Die Potsdamer Mitte weiterentwickeln!

Werbung
Stadtverordnetenversammlung
der Stadt Potsdam
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Friedrich-Ebert-Straße 79/81
14469 Potsdam
Tel.: (0331) 2893056
Fax: (0331) 2893120
[email protected]
Potsdam, im April 2016
Die Potsdamer Mitte weiterentwickeln!
Nach einer über 25-jährigen andauernden Entwicklung der Potsdamer Mitte werden
neuerdings starke Zweifel am Ziel ihrer Wiedergewinnung geäußert. Ein Bürgerbegehren zu
den Standorten von Fachhochschule, Staudenhofwohnhaus und Hotel Mercure wurde
gestartet. Dies hat uns veranlasst, unsere eigenen Positionen erneut umfänglich zu beraten.
Im Ergebnis sprechen wir uns dafür aus, die begonnene Entwicklung im Sanierungsgebiet
Potsdamer Mitte fortzusetzen. Das Anliegen des Bürgerbegehrens unterstützen wir nicht.
Wir setzen uns für die Wiederentstehung eines kleinteiligen, lebendigen Stadtteils ein, in
dem wieder Menschen wohnen, kulturelle und soziale Vielfalt gesichert wird, wo sich
Geschichte und Moderne begegnen und die Nähe des dichten Stadtgefüges zur
Flusslandschaft erlebbar wird. Dabei ist die Weiterentwicklung des modernen Lustgartens
als eines öffentlichen Erlebnisraumes von großer Bedeutung. Neben den vielen öffentlichen
Funktionen soll privates Bauen und Gestalten möglich werden, indem auch Bürgergruppen
für den Eigenbedarf investieren. Dies kann sich baulich an der Geschichte oder überwiegend
an der Moderne orientieren. Sanierungsziele und Leitbautenkonzept bilden einen Rahmen,
der über Jahre in einem öffentlichen Meinungsbildungsprozess gewonnen und durch
demokratische Mehrheiten untersetzt ist. Die Umsetzung der Beschlüsse durch die
Verwaltungen begleiten wir konstruktiv und kritisch zugleich.
Mit Ausnahme der Grundstücke der Fachhochschule, die bald ausgeschrieben werden
sollen, geht es bei den anderen Bereichen wie dem Lustgarten mit dem Hotel Mercure und
dem Staudenhofwohnhaus um Weichenstellungen für eine zukünftige Entwicklung, die teils
noch Jahre in Anspruch nehmen wird. Beim Wohnungsbau ist uns die soziale Vielfalt
wichtig, die durch Landesförderung aber auch durch Bürgerinvestitionen gesichert werden
soll.
Das Sanierungsgebiet Potsdamer Mitte ist nur ein Kernbereich der viel weiter
ausgreifenden Potsdamer Mitte. Wenn im Sanierungsgebiet die Bauten der DDR-Zeit für die
Zukunft infrage gestellt werden müssen, um das Ziel einer lebendigen Kleinteiligkeit zu
erreichen, bleibt im Blick, dass die Potsdamer Mitte weiter mit den Wohnbereichen der
DDR-Zeit in der Burgstraße und der Breiten Straße nicht nur preiswerten Wohnraum
sondern auch zahlreiche Zeugnisse der DDR-Geschichte auf Dauer aufweisen wird. Zu
letzteren zählen wir ebenso die Grünanlagen an der Alten Fahrt und der Havelbucht sowie
das Gartendenkmal Freundschaftsinsel, für deren Bewahrung wir uns einsetzen. Auch die
Schaffung von „Möglichkeitsräumen“ in der weiteren Potsdamer Mitte wollen wir klären
und unterstützen.
Die Auseinandersetzung im öffentlichen Diskurs ist uns wichtig. In 22 Antworten gehen wir
auf die in der öffentlichen Debatte gehörten Argumente ein. Auch wenn dies nicht
vollständig sein kann, mögen unsere Überlegungen auch anderen dienen, ihre jeweils eigene
Position zu finden.
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
Städtebau (1.- 2.)
Baukunst (1.- 4.)
DDR-Zeugnis (1.- 2.)
Eigentum und soziale Fragen (1.- 5.)
Funktionen und Nutzungen (1.- 2.)
FH Potsdam und Staudenhofwohnhaus (1.- 2.)
Lustgarten/Hotel Mercure (1.- 3.)
Bürgerbeteiligung (1.- 2.)
Schlussbemerkung
I. Städtebau
I. 1. „Warum wird die Potsdamer Mitte überhaupt umgebaut?“
Viele haben vergessen, wie unerfreulich die große Straßenkreuzung Breite
Straße/Friedrich-Ebert-Straße war und dass es gar keinen Alten Markt gab. Die großen
Gebäude im Zentrum der Potsdamer Mitte erzeugten in ihrer monolithischen
Maßstäblichkeit unwirtliche Stadträume. Derartige Strukturen der autogerechten Stadt
waren in den 60/70ern im Osten wie im Westen modern, heute sind sie überholt: Die alte
Stadtstruktur mit ihren wohlproportionierten Straßen und Plätzen soll im menschlichen
Maßstab wiederentstehen und so mit vielfältigem Leben erfüllt werden. Deshalb wurde
1991 die „behutsame Wiederannäherung an den alten Stadtgrundriss und -aufriss“
beschlossen und die Entwicklung etwa ab 1997/1998 kontinuierlich mit städtebaulichen
Untersuchungen, mit Fachwerkstätten, öffentlicher Beteiligung und zahlreichen
Stadtverordnetenbeschlüssen und ihrer Umsetzung vorangebracht. Der wiederentstehende
Alte Markt mit dem Landtagsschloss und der Humboldtstraße beginnt gerade, wieder zu
einer lebendigen Stadtmitte zu werden. Die ganze Wirkung wird erst vollständig zum
Tragen kommen, wenn wir die weitere Entwicklung nicht aufhalten, sondern befördern und
gestalten.
I.2. „ Es geht doch nur um Ästhetik, eher um Steine als um Menschen.“
Stadträume, also die Größenverhältnisse von Gebäuden, Wegen und Plätzen, wirken mit den
Außenansichten der Gebäude zu einer strukturellen Ästhetik zusammen, bei der es nicht
nur um Bilder geht, sondern um Lebensräume. Insofern ist Ästhetik in der Stadt nicht
nachrangig. Sie spielt für das Leben in ihr, das Wohlfühlen und damit auch das Miteinander
eine große Rolle. Wir erleben das alle täglich, auch wenn wir es uns nicht immer bewusst
machen. Die Schönheit der gebauten Stadt kommt allen darin lebenden Menschen zugute
und gerade darin besitzt Potsdam ein großes Potential!
2
II. Baukunst
II.1. „Es geht doch nur darum, die historischen Bilder wieder zu erschaffen.“
Nein, die meisten Häuser sollen in moderner Bauweise entstehen. Das Leitbautenkonzept
und einzelne Grundstückspässe beschreiben das genauer. Nur das Palais Barberini ist ein
Leitbau, bei dem Innen und Außen so genau wie möglich dem historischen Vorbild folgen.
Im Weiteren wird es außer dem Landtagsschloss und den beiden Leitfassaden in der
Humboldtstraße nur noch 5 weitere historisierende Bauten vor allem an den Ecken der
Karrees geben, alles andere werden moderne Bauten in der Struktur und Maßstäblichkeit
der alten Stadt.
II.2. „Es entsteht ein Disneyland.“
Disneyland ist eine abwertende Bezeichnung für Planungen, die ausschließlich
Schaufassaden als touristische Attraktion vorsehen. Hier aber sollen Wohnungen, Läden,
Gaststätten und andere, teils öffentliche, Nutzungen entstehen. Und anders als bei
Disneyland werden bei den historisierenden Neubauten große Anstrengungen
unternommen, um so genau wie möglich zu sein, altes Architektenwissen und
Handwerkskunst anzuwenden und damit auch weiterzugeben. Hier in Potsdam kommt man
dem Anspruch einer Rekonstruktion, d.h. einer an historischen Quellen und realen
Zeugnissen orientierten möglichst genauen Wiederholung, trotz aller Fachkritik im Detail
und notwendiger Kompromisse, schon recht nahe. Disneyland entsteht auch deshalb nicht,
weil die meisten Neubauten modern sein sollen. Die einsetzende Alterung wird den
Eindruck des zu „neuen“ ohnehin bald schwächen.
II.3. „Moderne Architektur wird infrage gestellt.“
In der Tat ist es nicht ganz einfach, in Potsdam wirklich gute moderne Baukunst zu finden,
da sie leider allzu oft in den Dienst renditeorientierter Massemodelle gestellt wird. Es gibt
aber sehr gute moderne Architektur, z. B. die bestens in den Kontext des Volksparkes
integrierte Biosphärenhalle, viele Forschungs- und Unibauten oder kleinere Privatbauten.
Wir unterstützen ausdrücklich die weitere Herausbildung hoher Qualitätsmaßstäbe und
haben deshalb den Gestaltungsrat für Potsdam angeregt. Wir sprechen uns grundsätzlich
für Wettbewerbs- und Gutachterverfahren aus.
In der Potsdamer Mitte wird man erst, wenn das Karree am Havelufer fertig ist, die
beabsichtigte Korrespondenz von original-historischen und neuen historisierenden Bauten
mit der Moderne erleben können, entsprechend soll das in den Baufeldern 3 und 4
(Fachhochschulgelände) erfolgen.
II.4. „Funktion und Form eines Gebäudes müssen zusammenpassen, reine Fassadenarchitektur
ist nicht glaubwürdig.“
An diesem alten Grundsatz ist viel Wahres. Aber zum Einen gibt es in Potsdam eine
Tradition der Fassadenarchitektur, denn Friedrich II. hat zahlreiche Häuser mit
Schmuckfassaden „modernisiert“ und damit ein prachtvolles Stadtbild erzeugt. So sind viele
Fachwerkhäuser der barocken Innenstadt überformt. Zum Anderen kennt auch die
moderne Architektur die Vorhangfassade. Vielen modernen Gebäuden kann man nicht
ansehen, ob darin eine Bank, ein Schwimmbad oder eine Turnhalle ist. Gleich, ob es um
historisierende oder moderne Bauweise geht, neues Bauen muss sich in diesem
Spannungsfeld orientieren.
3
III. DDR-Zeugnis
III. 1. „Kein Kahlschlag an der Ost-Moderne. DDR-Architektur gehört zu Potsdams Mitte.“
Es geht nicht darum, grundsätzlich die baulichen Zeugnisse der DDR-Zeit zu beseitigen, die
DDR bleibt Teil der Stadtgeschichte. Es geht um den Städtebau im Sanierungsgebiet, im
engsten Zentrum der Innenstadt, wo die aus der DDR überkommenen baulichen Strukturen
mit der neuen Entwicklung unvereinbar sind. Dagegen bleiben die unmittelbar an das
Sanierungsgebiet angrenzenden aber immer noch zur Mitte Potsdams gehörenden DDRBauten bestehen: das Burgstraßenviertel, die Breite Straße bis zur Zeppelinstraße mit dem
Studentenwohnheim, den Hochhäusern, der Markthalle und nicht zuletzt dem Baudenkmal
Seerose.
Unsere Bemühungen, bei der Sanierung der Bibliothek am Platz der Einheit die DDRFassade zu erhalten, blieben leider erfolglos, das ist schade. Es ist aber auch symptomatisch
für Sanierungen solcher Bauten und nährt die Erwartung, dass es auch in anderen Fällen
nicht gelingen wird, den äußeren Eindruck bei einer Gebäudesanierung zu erhalten.
III. 2. „Man kann die DDR-Bauten unter Denkmalschutz stellen oder eine Erhaltungssatzung
erlassen, dann muss man auch ihr Aussehen erhalten.“
Wir und auch die LINKE haben das prüfen lassen: Die Gebäude in der Potsdamer Mitte
wurden fachlich untersucht, es wurde keine Denkmalwürdigkeit festgestellt.
Auch eine Erhaltungssatzung kann man nicht willkürlich erlassen.
IV. Eigentum und soziale Frage
IV.1. „Öffentlicher Grund soll nicht mehr verkauft und die Privatisierung öffentlichen
Eigentums gestoppt werden.“
In Bezug auf das Grundstück des Staudenhofwohnhauses können wir diese Forderung
unterstützen. Es ist im Bestand der Pro Potsdam und soll so weiterhin für städtischen
Wohnungsbestand zur Verfügung stehen.
Darüber hinaus ließe sich diese Forderung aber nicht ohne katastrophale Verluste und
Auswirkungen für die gesamte Entwicklung umsetzen: Mit dem 1999 beschlossenen
Sanierungsgebiet und seinen Entwicklungszielen geht ein Finanzierungskonzept einher, das
das gesamte Sanierungsgebiet umfasst: Grundstücke werden verkauft, Einnahmen und der
spätere Wertausgleich, den die Eigentümer für die Aufwertung des Umfeldes zahlen,
werden in die Entwicklung der öffentlichen Flächen investiert. Fördermittel werden unter
den neuen Entwicklungszielen beantragt und angenommen. Stadtverwaltung und
Sanierungsträger arbeiten seit Jahren an den Aufträgen aus der
Stadtverordnetenversammlung, viel ist geschehen: die Platzflächen von Altem Markt, der
Rückbau der Straßenkreuzung, die Qualifizierung der Breiten Straße, der Steubenplatz, der
Platz vorm Filmmuseum, der Lustgarten mit Festplatz, der öffentliche Uferweg an der Havel,
die Rettung der Ringerkolonnade etc. etc. Die Mittel dafür müssen erwirtschaftet werden.
Ob es wie in der reichen Stadt Frankfurt/Main auch hier möglich wäre, die Flächen in
städtischer Regie zu entwickeln, darf bezweifelt werden, zumal auch dort die meisten der
Grundstücke später verkauft werden sollen.
4
IV.2. „Potsdamer werden hier ausgeschlossen.“
Es ist uns ein wichtiges Anliegen, die Voraussetzungen für Investitionen auch von
Bürgergruppen zu ermöglichen. D.h. für geeignete Grundstücke können sich Bürgerinnen
und Bürger zu einer Investitionsgemeinschaft zusammenschließen und in einem der
interessantesten Gebiete der Stadt auf Dauer heimisch werden. Diese kleineren
Grundstücke befinden sich vor allem in der zukünftigen Schwertfegerstraße.
IV.3. „Die Wohnungen werden nur Zweitwohnungen reicher Leute sein oder als
Gastwohnungen vermietet werden. Verdrängung findet statt.“
Für das Grundstück des Staudenhofwohnhauses wurde eine soziale Abfederung
vorgeschrieben, die sozial geförderten neuen Wohnungen werden besser und nicht teurer
als die bestehenden sein. Auf diesem, aber auch auf dem Grundstück des FH-Gebäudes
sollen jeweils ein Drittel der Wohnungen als geförderte Sozialwohnungen errichtet werden.
Außerdem gibt es kleinere Grundstücke für Baugruppen, die zur Eigennutzung bauen, d.h.
Bürger können hier Bauherr werden!
Um die Nutzung als Ferienwohnungen zu verhindern, bedarf es ohnehin mit Blick auf alle
Altstadtgebiete Potsdams dringend einer Landesgesetzgebung. Es wird auch teure
Wohnungen geben, aber Verdrängung kann auch dort nicht stattfinden, weil sie neu
entstehen.
IV.4. „Es soll kein öffentliches Geld für die Abrisse von FH und Mercure ausgegeben werden.
Statt die Stadtgesellschaft damit zu belasten, baut lieber Kitas und Schulen.“
Abgesehen davon, dass das Finanzierungskonzept beim Mercure noch aussteht, ist es nicht
sinnvoll, die möglicherweise erforderliche Entschädigung für das Mercure und die Finanzen
für den Abriss der FH isoliert vom übrigen Sanierungsgebiet zu betrachten. Es wird in
einem Treuhandvermögen vom Sanierungsträger Potsdamer Mitte, einer Tochter der Pro
Potsdam, verwaltet. Bei der Entwicklung des ganzen Stadtteils mit Wohnungen und der
Verschönerung des öffentlichen Raumes einschließlich des Lustgartens werden
Investitionen aus dem Treuhandvermögen eingesetzt. Dieses speist sich aus dem Wert des
Immobilienvermögens und Privatinvestitionen, an die Entwicklungsziele gebundene
Fördermittel kommen hinzu. Diese Finanzen stehen nicht mit den übrigen
Investitionshaushalten der Stadt oder der Pro Potsdam in Verbindung. Der Verzicht auf die
Entwicklung der Mitte würde also keine anderen Finanzlöcher etwa beim Bau von Schulen
oder Kitas stopfen helfen. Wohl würde aber durch die weitere öffentliche Nutzungen des
FH-Gebäudes der städtische Haushalt belastet, diese also zu anderen freiwilligen Sozial- und
Kulturleistungen in Konkurrenz treten.
IV.5. „Je schöner die Stadt wird, desto teurer wird sie.“
Im Gegenzug hieße das, wir dürften die Stadt nicht attraktiver machen, damit die Mieten
nicht steigen. Das ist ein Kurzschluss, denn mit der Steigerung der Attraktivität wächst die
Lebensqualität für alle und entstehen weitere Arbeitsplätze etc. Mit allen Mitteln, die
unterhalb der Bundes- und Landesgesetzgebung zur Verfügung stehen, arbeitet die Stadt
parteiübergreifend und energisch gegen die Auswirkungen von Mietsteigerung und
Gentrifizierung. Die großen Wohnungsbestände der städtischen Pro Potsdam und der
Genossenschaften, die über das ganze Stadtgebiet, darunter in sehr zentraler Lagen,
verstreut sind und auch nicht in Frage stehen, bilden die wichtigste Grundlage dafür.
5
V. Funktion und Nutzung
V.1. „Ihr denkt zu wenig daran, welche Funktionen in der Stadtmitte sein sollen. Es gibt keine
öffentlichen Räume in der Potsdamer Mitte, die Verluste seit der DDR-Zeit sind nicht
ausgeglichen. In 10 Jahren wird alles privatisiert sein.“
Das Sanierungsgebiet Potsdamer Mitte weist eine hohe Dichte öffentlicher Funktionen und
Räume auf: Potsdam Museum, Landtag, Kirche, Filmmuseum, Haus der Brandenburgisch
Preußischen Geschichte, die Forschungsinstitute am Neuen Markt, Stadt- und
Landesbibliothek mit ihrer Wissenschaftsetage und zukünftig noch die Synagoge, das
Versöhnungszentrum Garnisonkirche, für einige Jahre das Rechenzentrum und noch
unentschieden der Lange Stall, nicht zu vergessen der Lustgarten und die Plantage. Sie alle
bieten vielfältigen Raum für Austausch und Begegnung. Ausdrücklich war es immer ein
Hauptziel, neben diesen vielen öffentlichen Nutzungen Wohnungen in die Potsdamer Mitte
zu bringen, damit das Viertel auch ein eigenes Leben entwickeln kann. Natürlich wird es
auch Tourismus mit Handel und Gastronomie geben.
Über das Sanierungsgebiet hinaus befinden sich der Nikolaisaal, das Kabarett
Charlottenstraße, das Naturkundemuseum, das Haus der Natur, die Schiffbauergasse, das
Freiland, die Freundschaftsinsel in einer maximalen 5-Minuten-Fahrrad-Entfernung.
V.2. „Wir brauchen einen „Möglichkeitsraum“ für flexible Veranstaltungsformate und für die
Kreativwirtschaft, wie sie gerade im Rechenzentrum ausgelebt wird.“
Ja, das sehen wir ebenso, auch wenn Größe, Nutzer, Funktionen und baulicher Anspruch
noch zu klären sind. Zudem wird sich die Stadt fragen müssen, wieviele
„Möglichkeitsräume“ gebraucht werden und ob diese im Sanierungsgebiet, also dem
Kernbereich der Mitte, angesiedelt werden müssen. Vielleicht geht es eher darum, finanziell
bessere Bedingungen für Veranstalter an bereits bestehenden Orten im Potsdamer
Stadtgebiet zu schaffen. Wir setzen hier u.a. weiter darauf, dass die Stadt die Ulanenkaserne
in der Schiffbauergasse vom Bund erwirbt und langfristig zum Zentrum der
Kreativwirtschaft entwickelt. Auf keinen Fall können die Wohnbauflächen auf dem FHGrundstück dafür verwendet werden, da wir dort für die funktionale Vielfalt dringend
Wohnbebauung benötigen.
VI. FH Potsdam und Staudenhofwohnhaus
VI.1. „Die FH ist ein wertvoller öffentlicher Bau für öffentliche Nutzung. Dieser Ort soll nicht
privatisiert werden.“
Nach der Entscheidung des Landes Brandenburg die FH an der Pappelallee auszubauen und
zu konzentrieren, fehlt dem Gebäude eine auf Dauer finanzierte Nutzung. Beim Erhalt
würden abgesehen von den Verlusten im Investitionsvolumen des Sanierungsgebietes, der
Unklarheit über die Finanzierung einer Sanierung auch Belastungen im städtischen
Haushalt entstehen. Es wäre eine Frage der Kulturpolitik, ob Potsdam Mittel für eine
Nutzung auf Dauer zur Verfügung stellen könnte. Wenn man an die Vielzahl der geförderten
Kulturträger in Potsdam denkt, die hervorragende Arbeit machen und notorisch
unterfinanziert sind, ist das unwahrscheinlich.
Auch der Vorschlag, einen Teil des Gebäudes im Inneren der Karrees stehen zu lassen, wirft
Fragen auf: die Investitionen in der Nachbarschaft würden durch das Volumen der FH
beeinträchtigt, die Finanzierung für den aufwendigen Umbau und die Nutzung auf Dauer
wären kaum realistisch und würden ebenfalls den städtischen Haushalt einbeziehen
müssen.
6
VI.2. „Das Staudenhofwohnhaus soll bestehen bleiben.“
Hier gelten ähnliche räumliche Rahmenbedingungen wie für das Grundstück des FHGebäudes: die Karreestruktur mit ihrem Straßenverlauf ist mit dem Bestandsgebäude
unvereinbar, zumal hier noch das stark veränderte Höhenniveau im Straßenraum Probleme
bereitet. Hier ist die Nutzung bis 2022 festgesetzt. In der Frage Sanierung oder Neubau für
den Zeitraum danach steht der Erhaltung von 180 wenig attraktiven Wohnungen ein
Neubaupotential von etwa gleicher, aber besserer Wohnfläche gegenüber.
Da die Wohnungen nach einer Sanierung des Gebäudes deutlich über 9 € kosten würden
und die Miete bei Neuerrichtung geförderten Wohnraums bei 5-6 € bleiben würde, sehen
wir nicht nur städtebauliche sondern auch soziale Vorteile in einem Rückbau. Diesem
werden wir dann zustimmen, wenn die Errichtung von einem Drittel der
Neubauwohnungen im sozial geförderten Wohnungsbau gesichert wird.
VII. Lustgarten/Mercure
VII.1 „Ein funktionierendes Hotel abzureißen, ist falsch, das würde den Tourismus in Potsdam
schädigen.“
Bei dem Beschluss zur Konkretisierung der Sanierungsziele mit einem Lustgarten ohne
Hotel ging es um eine prinzipielle Weichenstellung für die Zukunft, die der Stadt erstmals
ein gesetzlich ermöglichtes Mitspracherecht an dem Standort einräumt. Es ist noch unklar,
wann und wie es zu Veränderungen kommen kann.
Das Hotel funktioniert im Moment im preiswerten Hotelsegment in Potsdam. Das kann es
aber nur, weil es sehr lange nicht grundlegend saniert wurde, d.h., dass branchenbedingt
der Zeitpunkt von weitergehender Sanierung- und Modernisierung näher rückt. Dann
würden sich die Preisverhältnisse vermutlich ändern. Bei einer grundlegenden Sanierung
des Hotels kann heute niemand vorhersagen, wieviel DDR-Architektur sichtbar bliebe.
Der Tourismus in Potsdam würde durch diese Veränderungen nicht beeinträchtigt, er ist
lebendig über das ganze Stadtgebiet verteilt. In Potsdam können an vielen Orten erfolgreich
Hotels betrieben werden, z. B. wird ein neues Hotel in der Speicherstadt gegenüber vom
Bahnhof entstehen.
VII.2. „Vor allem am Mercure hängen persönliche Erinnerungen, es ist den Leuten und den
Beschäftigten dort wichtig. 60 Arbeitsplätze werden vernichtet.“
Persönliche Gefühle und Erinnerungen spielen eine Rolle, aber nicht alle aus der DDR
stammenden Menschen empfinden übereinstimmend, das Gebäude wird ebenso kritisch
gesehen. Aber ganz gleich, um welche Gefühle es geht, sie genügen prinzipiell für solche
Entscheidungen nicht. Es stehen zwei Ziele gegenüber: Erhalt des Mercure als Erinnerung
an die DDR-Zeit oder Wiedergewinnung des Lustgartens als eines wichtigen öffentlichen
Grünraumes. Das erste wird voraussichtlich nicht gelingen: Grundstück und Gebäude
gehören einer Immobilienholding, die Hotelkette hat es gemietet, das Hotel wird in Potsdam
geführt. Kaum werden die internationalen Anteilseigener sich für die DDR-Erinnerung
interessieren, das DDR-Aussehen würde nach einer grundlegenden Sanierung
voraussichtlich nicht bestehen bleiben.
Gerade durch die Wiedergewinnung der Potsdamer Mitte entstehen neue Arbeitsplätze in
der Hotel- und Gastronomiebranche, bereits jetzt werden in der Stadt und der Region
Fachkräfte gesucht.
7
VII.3. „Die Wiese des Volkes ist Quatsch. Die Breite Straße stört ohnehin.“
Stimmt, das Wort von der Wiese ist nicht glücklich. Es lenkt auch vom eigentlichen Anliegen
ab, einen freien, offenen, flexibel nutzbaren Lustgarten unmittelbar an der dichten,
städtischen Altstadt zu schaffen, der den schon existierenden modernen Mittelteil ergänzt.
Auch hier gilt es, neben den gewohnten Bildern im Kopf neue Bilder zuzulassen, sich
beispielsweise den Aufenthalt in einem zukünftigen Restaurant am Neptunbecken
vorzustellen, mit Blick auf das Panorama der Altstadt, in Reichweite zum nächsten
Spielplatz oder zu den Schiffen der Weißen Flotte. Insgesamt würde die Attraktivität des
Lustgartens deutlich zunehmen. In diesem Sinne stehen öffentliche Interessen den
Renditeinteressen von Immobilieneignern am Hotelgrundstück gegenüber.
Der Platz zwischen Landtag, Marstall und Lustgarten kann in der Tat noch mehr
Verkehrsberuhigung gebrauchen, dafür setzen wir uns gerne ein. Das ist aber kein Grund,
die noch deutlichere Beeinträchtigung durch das Hotelbauwerk auf Dauer zu belassen.
Gerade hier besteht die große Chance eines freien Lustgartens am Rande der dichten
Altstadt.
VIII. Bürgerbeteiligung
VIII. 1. „Die Bürger sind zu wenig beteiligt worden, das soll jetzt nachgeholt werden.“
Die Stadtverordnetenbeschlüsse zur Potsdamer Mitte waren, soweit rechtlich zulässig, stets
öffentlich. Gremien wie der Beirat Potsdamer Mitte, der allen Fraktionen offen stand, das
öffentlich tagende Stadt-Forum, zahlreiche Beteiligungen und Veranstaltungen zum
Sanierungsgebiet und zu den Bebauungsplänen, eine Befragung und eine forsa-Umfrage
zum Landtagsbau, ein Bürgerbegehren gegen und eine Unterschriftensammlung für die
Garnisonkirche haben stattgefunden. Seit Jahren beteiligen sich Bürgerinitiativen wie
Mitteschön an der Diskussion um die Gestaltung der Mitte, insbesondere der Debatte um
das Leitbautenkonzept; ebenso artikulieren sich die Kritiker. Auf Initiative des
Oberbürgermeisters gibt es den Bürgerdialog zur Plantage.
1990, 1998, 2003, 2008 und 2014 haben die Kommunalwahlen vor dem Hintergrund dieses
Diskurses wiederholt Mehrheiten für die Wiedergewinnung der Potsdamer Mitte ergeben.
Es ist immer legitim, in eine Debatte neu einzusteigen, aber der Behauptung, es hätte keine
ausreichenden Möglichkeiten der Beteiligung gegeben oder diese Entwicklung wäre nicht
demokratisch legitimiert, treten wir ausdrücklich entgegen.
VIII. 2. „Die Entscheidungen sind unumkehrbar, überlasst sie der nächsten Generation. Gebt
nicht die Mitbestimmungsrechte an die zukünftigen Eigentümer ab.“
Was soll das genau heißen? Vor 1990 waren demokratisch legitimierte Entscheidungen
nicht möglich, seitdem entscheiden gewählte Bürgerinnen und Bürger unabhängig von ihrer
Jugend oder ihrem Alter. Dazu haben sie den Auftrag der Wählerinnen und Wähler. Was
wäre Potsdam heute, hätten sie nach dem o.g. Grundsatz gehandelt? Was bedeutet ein
solcher Gedanke für die Demokratie? Der Versuch durch Verzögerung die weitere
Entwicklung zu verhindern, ist recht durchsichtig. Die Diskriminierung schon länger
engagierter Menschen nimmt man dabei billigend in Kauf.
Die demokratischen Mitbestimmungsrechte sind eine Grundlage unserer Gesellschaft, sie
bestehen unabhängig von Eigentümerstrukturen an einzelnen Grundstücken.
8
Schlussbemerkung
Wir unterstützen die Wiedergewinnung der Potsdamer Mitte weiter, weil sie städtebaulich
sinnvoll ist. Potsdam nimmt eine sehr positive Entwicklung, ein Stillstand in der Potsdamer
Mitte würde die Stadt um nahezu 25 Jahre zurückwerfen.
Wahlen und die Wahrnehmung aller Formen der Beteiligung sind Grundlagen unserer
Demokratie, die wir ausdrücklich unterstützen. Die so öffentlich vorbereiteten
demokratischen Beschlüsse müssen dann aber Bestand haben, soll das Engagement der
Bürgerinnen und Bürger nicht ad absurdum geführt werden. Weder unsere noch künftige
Generationen sollten Entscheidungen, die sie nach reiflicher öffentlicher Debatte entwickelt
haben, vertagen, wie könnten wir sonst die Probleme unserer Zeit bearbeiten?
Überall dort, wo weiter unterschiedlich gedacht und empfunden wird, setzen wir uns für
einen fairen und offenen Diskurs ein.
9
Herunterladen