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Frische Luft für kluge Kinder
Kindergärten und Schulen – am besten als Passivhaus
von Thomas Wahlbuhl
Fotos: Wahlbuhl
Der Bedarf an Sanierungen und Neubauten bei Kindertagesstätten in Deutschland ist sehr groß. Viele Kommunen und Träger stehen dabei auch vor der Frage, welchen Energiestandard die neue oder zu sanierende Kindertagesstätte oder Schule haben soll.
Gemäß EU-Gebäuderichtlinie sollen ab 2020 nur noch Gebäude gebaut werden, die einerseits einen sehr niedrigen Energieverbrauch haben und andererseits zumindest einen Teil der Energie, die das Gebäude benötigt, auch selbst erzeugen. Für öffentliche
Gebäude – wie Kindergärten und Schulen – gilt dies bereits ab 2019, also in drei Jahren.
Beispiel Neubau Passivhaus-Kita in Güsten
(Sachsen-Anhalt) für 200 Kita- und Hortkinder: Warmwasserbereitung und Heizung
erfolgen über eine Solarthermieanlage mit
42 m², einen Erdwärmespeicher unter der
Bodenplatte und eine Wärmepumpe mit
24 kW. Überschüssige Solarenergie und
Abwärme aus dem Kühlbetrieb wird im
Erdreich unter der Bodenplatte eingespeichert und im Winter mittels Wärmepumpe
für die Gebäudeheizung genutzt.
Dämmstandard
Gemäß Energiesparverordnung (EnEV) 2016 ist der Dämmstandard der Bauteile schon sehr hoch; der Abstand zwischen den
U-Werten, die die EnEV 2016 fordert, und jenen, die für den Passivhausstandard notwendig sind, ist demzufolge nicht mehr
groß. Deshalb ist es ein nahe liegender Gedanke, die Transmissionswärmeverluste auf ein Minimum zu begrenzen, damit die
Verbrauchskosten für den Betrieb zu minimieren und die Vorgaben des Passivhausstandards zu erfüllen. Gleichzeitig führt ein
hoher Dämmstandard zu hohen Innenwand- und Fußbodentemperaturen und so zu einem hohen Maß an Behaglichkeit.
Mittlere U-Werte
in W/(m²K) nach
EnEV 2016 und
Passiv­haus­
standard
Lüftung mit Wärmerückgewinnung
In Kindergärten und Schulen halten sich im Regelfall von Montag bis Freitag viele junge Menschen zuzüglich ein bis zwei Lehrer oder Erzieher – meist zwischen 15 und 28 Personen – in einem
Gruppen- oder Klassenraum auf. Das hat zur Folge, dass ohne
eine Lüftungsanlage die Luft im Raum alle 10-15 Minuten – je
nach Größe und Anzahl der Personen – über die Fenster mittels
Stoßlüftung ausgetauscht werden müsste, um für eine ausreichende Sauerstoffzufuhr zu sorgen und den CO2-Gehalt der Luft
im Raum auf das erforderliche Maß zu senken. Im Regelfall findet eine Stoßlüftung in Schulen mit Fensterlüftung in den Pausen statt und in Kitas in bestimmten größeren Abständen – nach
dem „Gefühl“ der Erzieherinnen. Eine Stoßlüftung alle 10-15 Minuten ist in der Praxis unrealistisch, weil Lehrer und Erzieher
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Passivhaus Kompendium 2016
konzentriert mit anderen Dingen beschäftigt sind. Eine gewisse
Hilfe können CO2-Messgeräte oder CO2-Ampeln sein, die optisch
vor Augen führen, dass der CO2-Gehalt im Raum zu hoch ist,
auch wenn dies noch nicht körperlich spürbar ist. Lüftet man
aber konsequent so, dass die Anzeige an der CO2-Ampel im grünen Bereich bleibt, kommt man schnell dahinter, dass in der
Heizperiode viel Energie verschwendet wird.
Eine CO2-Ampel für Gruppenund Klassenräume; die Leuchten
zeigen von unten (grün) bis oben
(rot) CO2-Werte bis 600 ppm,
von 600 bis 900 ppm, 900 bis
1200 ppm, 1200 bis 1600 ppm,
1600 bis 2000 ppm und über
2000 ppm an.
Ein steigender CO2-Gehalt in den Räumen führt zu Ermüdungserscheinungen und Unwohlsein, die Konzentration lässt merklich nach und bei dauernder zu hoher CO2-Belastung nehmen
Krankheiten zu, da sich gleichzeitig auch die Anzahl der Viren
und Bakterien im Raum erhöht. In den skandinavischen Ländern ist es deshalb schon lange Pflicht, dass in Schulen und Kindergärten Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung eingebaut werden müssen. Das Pisa-Spitzenland Finnland hatte übrigens die Pflicht zur Lüftung als erstes europäisches Land eingeführt, was natürlich nicht allein für die guten Pisa-Ergebnisse
verantwortlich ist, aber sicher auch dazu beiträgt. Eine dänische
Studie, die mit 10-12 Jahre alten Schülern durchgeführt wurde,
Grafik: Niedersächsisches Landesgesundheitsamt
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Anstieg der CO2-Belastung im Klassenzimmer
während einer Schulstunde; bis 800 ppm ist
die Luftqualität sehr gut, die Grenze nach
Pettenkofer liegt bei 1000 ppm. Der offizielle
Grenzwert der CO2-Belastung in Klassenräumen in Deutschland liegt bei 1500 ppm, in
anderen Ländern allerdings deutlich niedriger
(Niederlande 1200 ppm, Kanada und Dänemark 1000 ppm). In der Außenluft liegt der
CO2-Gehalt bei 300 bis 600 ppm.
konnte belegen, dass die Schüler bei regelmäßigem Lüften Leseund Rechenaufgaben in deutlich kürzerer Zeit lösten und weniger Fehler machten. Eine Verdopplung der Lüftungsrate verbesserte die Leistungsfähigkeit um 8-14 %. In einer vergleichbaren
Studie an Schulen in Bremen stieg nach vermehrtem Lüften die
Aufmerksamkeit der Schüler, die Lehrer-Schüler-Kommunikation wurde intensiver und der Geräuschpegel nahm ab. Zudem
ergaben sich Hinweise auf weniger störende Schüleraktivitäten
und weniger Disziplinierungsmaßnahmen.
Unabhängig von der Energieeinsparung, die durch Lüftungsanlagen mit 80-90 % Wärmerückgewinnungsgrad heute erreicht wird, sollte es für unsere Kinder in unserem Interesse
sein, dass zumindest Klassen- und Gruppenräume mit einer
Lüftungsanlage ausgerüstet werden – unabhängig davon, ob es
sich um ein Passivhaus handelt oder nicht.
Die Frage, ob eine dezentrale oder zentrale Lüftung in Schulen
und Kitas sinnvoller ist, lässt sich nur projektweise beurteilen.
In vielen zu sanierenden Schulen und Kitas ist es aufgrund zu
geringer Raumhöhen oder statischer Verhältnisse nicht oder
nur schwer möglich, eine zentrale Lüftungsanlage mit einem
Lüftungskanalnetz im Gebäude zu errichten. Will man die
dann notwendige dezentrale Lösung möglichst preiswert realisieren, müssen Außenluft und Fortluft auf kurzem Weg an der
Außenwand angeschlossen werden. Bei manchen Fassaden ist
dies nicht oder nur schwer umzusetzen, z. B. wenn das Gebäude unter Denkmalschutz steht. Aber es gibt hier auch sehr kreative Lösungen, wie die Luftaus- und -einlässe in die Fassade
integriert werden können. Prinzipiell haben dezentrale Lüftungssysteme den Vorteil, dass sie in der Investition preiswerter
sind und sehr bedarfsgerecht und individuell geregelt werden
können. Dagegen sind die Wartungskosten höher, denn es ist
ein Unterschied, ob 10-20 dezentrale Geräte gewartet und geprüft werden müssen oder ein zentrales Gerät. Bei der dezentralen Variante gibt es auch mehr technische Geräte, welche einmal defekt sein können.
Wichtig für den Betrieb der Lüftungsanlagen ist ein regelmäßiger Austausch bzw. die Reinigung der Zu- und Abluftfilter. Bei
verschmutzten Filtern verschlechtert sich die Zuluft- und da-
mit die Raumluftqualität. Außerdem erhöht sich der Druckverlust im Kanalsystem und die Ventilatoren verbrauchen mehr
Strom oder es gelangt kein ausreichendes Luftvolumen mehr in
die Räume. Deshalb sollte eine entsprechende Filterüberwachung miteingeplant werden.
Sparsame Beleuchtung wird zunehmend preiswerter
In Kitas und Schulen ist die Beleuchtung ein relativ hoher Energieverbraucher, teilweise macht sie – zumindest in den Wintermonaten – den höchsten Anteil am Stromverbrauch aus. Durch
die rasante Entwicklung der LED-Technik und gleichzeitig stark
gesunkener Preise für LED-Technik (Leuchten und Leucht­­
elemente) ist es heute und erst recht zukünftig sehr gut möglich, Kitas und Schulen komplett oder zumindest zu einem großen Teil mit LED-Beleuchtungstechnik auszurüsten. Dadurch
können der Stromverbrauch (Endenergieverbrauch) für die Beleuchtung und der Primärenergieverbrauch für das Gebäude
insgesamt entscheidend gesenkt werden.
Heizung
Kindergärten und Schulen sind Gebäude, die in den Abendund Nachtstunden, am Wochenende sowie in den Weihnachtsferien und eventuellen Winterferien im Regelfall nicht genutzt
werden. In diesen Zeiten erfolgt in den Haupträumen (Gruppenräume, Klassenräume) auch keine Wärmeabgabe, d. h. die
Verhältnisse sind hier anders als in einem Passiv-Wohnhaus.
An kalten und trüben Tagen ohne passive Wärmegewinne von
außen und ohne innere Wärmeeinträge kühlen sich die Räume
trotz sehr guter Wärmedämmung etwas ab und müssen entweder über die Lüftung oder über eine statische Heizung beheizt
werden. Beide Varianten werden in der Praxis durchgeführt.
Für Kindergärten und Grundschulen bietet sich durchaus eine
Fußbodenheizung an, da sich dort die Kinder häufig auf dem
Fußboden aufhalten. Der niedrige Energiestandard des Passiv­
hauses und die sich daraus ergebenden sehr niedrigen Heizmitteltemperaturen ermöglichen es auf jeden Fall, mit einem
hohen Anteil an regenerativen Energien (Erdwärme, Solarenergie etc.) zu heizen und innovative Methoden anzuwenden.
Passivhaus Kompendium 2016
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Kühlung
Eine Kühlung ist in den bisherigen Kindergärten und Schulen
überwiegend nicht vorhanden. Meist jedoch gibt es relativ große Fensterflächen, um eine helle, freundliche Atmosphäre mit
Verbindung nach draußen zu schaffen und in der Heizperiode
die passiven Energiegewinne durch die transparenten Bauteile
einzufangen. Bei Außentemperaturen von 30 °C und mehr und
zusätzlichen inneren Wärmelasten ist es häufig trotz hocheffektivem Sonnen- und Wärmeschutz nicht möglich, allein
durch Nachtauskühlung und Kälterückgewinnung über die
Lüftung und Speicherung in den Bauteilen Temperaturen unter
26 °C bzw. 28 °C zu erreichen. Außerdem muss man dem Umstand Rechnung tragen, dass die Sommer in den letzten Jahren
immer wärmer wurden. Auch die Anzahl der Tage mit Nacht­
temperaturen über 20 °C ist gestiegen, was für eine Nachtauskühlung der Gebäude ungünstig ist.
Daraus folgt, dass eine Kühlung in Kitas und Schulen durchaus
empfehlenswert ist. Diese sollte – der EnEV und dem Passiv­
hausstandard entsprechend – möglichst regenerativ erfolgen,
z. B. mit Erdsonden, über Rohrregister oder Außenluftkanäle unter der Bodenplatte bzw. im Erdreich, adiabate Kühlung (Verdunstungskühlung) bei der Lüftung oder über solare Kühlung.
Um genau zu ermitteln, wie viele Tage im Jahr im Gebäude über
26 °C bzw. 28 °C auftreten, ist es ratsam, eine dynamische Simulation in der Entwurfsplanung durchführen zu lassen.
Eigenstromerzeugung
Im Hinblick auf die kommende EU-Gebäuderichtlinie ist es
empfehlenswert, wenn Kindergärten und Schulen so konzipiert
werden, dass sie über das Jahr gesehen genauso viel Strom
selbst erzeugen, wie sie benötigen. Die üblichen Methoden dafür sind Photovoltaikanlagen oder Mini-BHKW bzw. eine Kombination aus beiden Techniken (die PV-Anlage liefert Strom
vorrangig im Sommer, das BHKW vorrangig im Winter). Die
ideale Ergänzung dazu ist ein Stromspeicher, um Erzeugungsund Verbrauchslastschwankungen auszugleichen. Vereinzelt
bieten sich bei höheren Gebäuden auch Kleinwindräder an,
welche auf dem Dach des Gebäudes installiert werden können.
Kindergärten und Schulen haben Vorbildcharakter
In Kindergärten und Schulen werden Menschen, die die Zukunft unseres Landes später gestalten, betreut, begleitet und
gebildet. Wenn diese als Kinder schon miterleben, dass „ihr“
Gebäude sehr behaglich ist, wenig Energie verbraucht und einen Teil davon sogar selbst erzeugt, dann prägt sich ihnen das
ein. Dadurch, dass die Kinder in die energetischen Prozesse des
Gebäudes einbezogen werden, kann auf kindgerechte Weise ein
Bewusstsein für Energieeffizienz vermittelt werden.
Kindgerechte Visualisierung des
Solarstromertrags im Kindergarten „Regenbogen“ in Naumburg
(Saale): Die Kinder können die
tägliche Leistung anhand der
Leuchten ersehen und den monatlichen Ertrag anhand roter Kugeln
erkennen, welche vom oberen in
den unteren Behälter wandern.
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Passivhaus Kompendium 2016
„Meine Sc
hule
heiz t erst
im
November
,
zu Hause
müssen
wir schon
im
Sep tember
heizen !“
Fazit
Zusammengefasst gibt es vier gute Gründe, Schulen und Kindergärten in Passivhaus- bzw. Nullenergiebauweise zu errichten:
1. In Kindergärten und Schulen ist der Einbau einer Lüftungsanlage mit hoher Wärmerückgewinnung für Neubauten ohnehin
Standard, um einen ausreichenden Luftaustausch zu gewährleisten. Die Energieeinsparung beim Lüftungswärmebedarf
fällt dadurch als Nebenwirkung mit ab.
2. Die Unterschiede der U-Werte gemäß EnEV 2016 und dem
Passivhausstandard sind nicht mehr sehr groß, sodass sich der
Mehraufwand für den Passivhausstandard in Grenzen hält.
3. Durch die rasante Entwicklung der LED-Technik in den letzten Jahren und die zu erwartenden weiteren Preissenkungen ist
ein niedriger Stromverbrauch für die Beleuchtung relativ leicht
zu realisieren. Auch der Stromverbrauch bei Pumpen und Ventilatoren ist in den letzten Jahren aufgrund technischer Entwicklungen stark gesunken.
4. Ab 2019 ist das annähernde Nullenergiegebäude bzw. Zero
Emission Building ohnehin Standard, deshalb ist es sowohl unter dem Aspekt der Vorbildwirkung als auch um schon Erfahrungen für eine solche Bauweise zu sammeln angebracht, den
Passivhaus- bzw. Nullenergiestandard bereits jetzt zu erfüllen.
Bei einem Neubau einer Schule oder Kita ist der Passivhausstandard sehr zu empfehlen. Bei Sanierungen muss man prüfen, inwieweit die Erreichung des Passivhausstandards möglich
ist und mit wie viel Aufwand dies verbunden ist. Auf jeden Fall
sollte ein möglichst hoher Energiestandard mit geringem Energieverbrauch angestrebt werden.
Thomas Wahlbuhl
ist Installateur, Dipl.-Ingenieur, Gebäudeenergieberater,
kommunaler Klimaschutzberater, eea Berater und Inhaber eines Planungsbüros für regenerative und energieeffiziente Gebäudetechnik in Naumburg (Saale).
www.pbw-nb.de
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