Vilnius im Wandel. Prozesse der Wohnsegregation in einer

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Jolita Lenkevičiūtė
Exposé zu der Dissertation:
Vilnius im Wandel.
Prozesse der Wohnsegregation
in einer baltischen Hauptstadt
Problembeschreibung
Die staatssozialistischen Länder unterschieden sich von westeuropäischen Demokratien durch
autoritäre politische Regime und Planwirtschaften. Nach dem Ende des Staatssozialismus
absolvierten
die
gegenwärtigen
Beitrittsländer
der
EU
mit
Erfolg
umfassende
Demokratisierungs- und Liberalisierungsreformen. Heute heben sich die postsozialistischen
Länder vom europäischen Kontext in erster Linie durch ihre sozialen Differenzen ab, die in
Folge der Reformen der letzten 14 Jahre stark in Erscheinung getreten sind. Wenn man von
Westeuropa in die betroffenen Länder einreist, wird man von großen sozialen Gegensätzen
der Gesellschaften, in denen soziale Gleichheit lange Zeit groß geschrieben war, überrascht,
und davon, dass diese Gegensätze bereits eine Selbstverständlichkeit sind. Die
gesellschaftlichen Demarkationslinien verlaufen zwischen unterschiedlichen Generationen,
Berufen und Bildungsgraden.
Soziale Differenzen schlagen sich auch räumlich nieder. Verschiedene Regionen sind
wirtschaftlich unterschiedlich erfolgreich, Städte unterscheiden sich massiv von ländlichen
Gebieten, Hauptstädte lassen die übrigen Städte weit hinter sich, Innenstädte differieren
gravierend von Randstädten, innerhalb der Innenstädte steht ein frisch und nobel renoviertes
Altgebäude neben einem verfallenden. Sind diese Differenzierungserscheinungen nur ein
vorübergehender Nebeneffekt der Transformation oder eine dauerhafte Tendenz nicht nur
ostmitteleuropäischer, sondern auch westeuropäischer Gesellschaften unter den Bedingungen
der Globalisierung? Meine Dissertation beschäftigt sich mit dieser Frage und analysiert am
Fallbeispiel Vilnius die innerstädtische Dimension sozialräumlicher Differenzierung.
Fragestellung und Begriffserklärung
Im Zentrum meiner Arbeit steht das Phänomen der sozialen Segregation des städtischen
Wohnraums in Vilnius, insbesondere die sozialstrukturellen Veränderungen, die sich in der
litauischen Hauptstadt in der Zeit nach der Wende von 1991 wohnräumlich niedergeschlagen
haben bzw. sich derzeit ausprägen. Die zentrale Fragestellung lautet: Wie wandeln sich die
Lebensstile, Wohnbedürfnisse und -bedingungen sowie das Wohnverhalten der Bewohner
von Vilnius gegenwärtig im Zusammenhang mit ihrer sozialen Lage und welche räumliche
Konsequenzen hat dieser Wandel? Diese Grundfrage wird durch zwei weitere erweitert und
vertieft: Welche historische kulturelle Traditionen prägen diesen Wandel mit? In welcher
Beziehung steht er zu jüngeren globalen Stadtentwicklungen?
Allgemein kann Segregation in städtischen Gebieten als ein doppelter Prozess beschrieben
werden. Einerseits grenzen sich in seinem Verlauf verschiedene soziale Gruppen räumlich
voneinander ab, andererseits und damit einhergehend differenzieren sich die Stadträume: sie
werden tendenziell entweder aufgewertet oder vernachlässigt. In statischer Betrachtung ergibt
eine Separierung bzw. Sortierung so ein Muster disproportionaler Verteilung von
Bevölkerungsgruppen im städtischen Raum. Wohnsegregation als stadtsoziologisches
Untersuchungsfeld wird daher traditionell der Forschung zur sozialen Ungleichheit
zugeordnet. Aber das Thema der sozialräumlichen Differenzierung braucht darüber hinaus
eine kulturelle Verortung, die ein Schwerpunktsthema meiner Dissertation bildet.
Residentielle Segregation ist ein globales Phänomen, das schon seit den Anfängen der
Urbanisierung bekannt ist. Deshalb muss die Analyse der städtischen Segregation in Vilnius
zwangsläufig über den Rahmen der Transformationsforschung im engeren Sinne hinausgehen
und an die individuelle Verstädterungsgeschichte Litauens sowie die bisherige Entwicklung
von Vilnius anknüpfen.
Dissertationsaufbau
Der Aufbau der Dissertation besteht aus vier Teilen. Im ersten Teil werden die
Rahmenbedingungen sozialer Segregation in europäischen Städten besprochen. Im zweiten
Teil wird Vilnius als Gegensand der Untersuchung vorgestellt. Dabei wird eine historische
Perspektive auf die Hauptstadt mit einer Analyse ihrer gegenwärtigen Stellung im litauischen
Städtesystem kombiniert. Im dritten Teil werde ich theoretische und methodische Zugänge
zur städtischen Segregation diskutieren und die methodische Anlage meiner Arbeit vorstellen.
Der vierte, zentrale Teil der Dissertation wird die Ergebnisse der von mir bereits
durchgeführten, qualitativen Bevölkerungsbefragung zusammenfassen, sie analysieren und
diskutieren. Die Dissertation wird mit allgemeinen Schlussfolgerungen und einem Ausblick
abgeschlossen.
Methodisches Vorgehen und Datenbasis
Der empirische Teil meiner Dissertation bezieht sich auf drei Aspekte:
1. den Umfang, die Richtungen und das Potential der räumlichen Mobilität der
Stadtbevölkerung, 2. Tendenzen sozialer Umschichtungen, 3. den sozialräumlichen
Zusammenhang zwischen diesen beiden Verteilungsprozessen in Vilnius.
Da es in Vilnius keine Meldepflicht gibt, können die Mobilitätsströme nur auf Grund von
Katasterdaten nachvollzogen werden. Der Wohnungsbestand in Vilnius ist fast vollständig in
privater Hand und der Mietsektor ist sehr klein. Deshalb spiegelt sich der Wohnsitzwechsel
am ehesten im Eigentumserwerb wider. Über innerstädtische soziale Strukturierung in Vilnius
informieren die offiziellen Statistiken sehr wenig. Deshalb werde ich einige vorhandene
Untersuchungen von internationalen Organisationen zu diesem Thema heranziehen.
Der Zusammenhang zwischen räumlicher und sozialer Differenzierung kann nur mit Hilfe
von Bevölkerungsbefragungen erforscht werden. In Bezug darauf werde ich repräsentative
Befragungen von Vilniuser Bewohnern von 1995, 1998 und 2001 analysieren. Eine wichtige
Information sind 15 Experteninterviews aus der Verwaltung und Wissenschaft, die ich zu
diesem Thema befragt habe. Außerdem habe ich in drei ausgewählten Stadtteilen:
Naujininkai, Pilaite und Verkiai mit jeweils 15 Bewohnern Tiefeninterviews durchgeführt.
Diese 45 offene Interviews bilden die wichtigste Datenquelle für meine Arbeit. Um die
Hintergründe und Dynamiken sozialer Segregation zu erforschen, habe ich die Bewohner
einerseits über ihr Wohnen (Einstellungen und Wohnverhalten) sowie andererseits über die
aktuelle und angestrebte Selbstpositionierung in der Gesellschaft (Einschätzungen und
Einstellungen zum eigenen Lebensstil und sozialen Status) befragt. Auf diesem Weg kann
man reale und potentielle Träger bestimmter Prozesse ausmachen und ihre Motivationen
erforschen, die zu unterschiedlichen Wohnverhaltensweisen führen.
Zwischenergebnis
Die Haupthypothese, dass es in Vilnius nach der Wende von 1991 zu einem Schub einer
sozial motivierten Mobilisierung gekommen ist, kann man nicht bestätigen. Ein Drittel der
Vilniuser Bewohnerschaft ist nach der Wende umgezogen, aber nur ein kleiner Teil dieser
Umzüge war auch sozial motiviert. Dennoch besteht eine starke sozialräumliche
Differenzierung in Vilnius. Dieses Paradox kann ein historischer Blickwinkel erklären. Trotz
egalitaristischer Bestrebungen entstand in der Sowjetzeit in Vilnius ein spezifisches
Segregationsmuster,
das
Wirkungskraft entfaltet.
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