Zecken und ihre Krankheiten - biomed

Werbung
biomed_Heft_0702
8
05.07.2007
17:55 Uhr
Seite 8
wissenschaft & praxis
streifen. Auf dem Wirt gräbt I. ricinus mit Hilfe eines speziellen Organs,
dem Hypostom, eine Hautgrube, die
mehrmals mit Blut volläuft und von
der Zecke ausgesaugt wird. Während
des Saugvorganges kann eine Zecke
Zecken gehören weltweit zu den wichtigsten Überträgern
Krankheitserreger mit dem Blut des
von Krankheitserregern auf den Menschen. Aber wie gemein
Wirtes aufnehmen. Diese wandern
dann in den Mitteldarm, überdauern
ist der Holzbock wirklich? Tatsächlich sind Zecken keine
dort den Übergang in das nächste EntInsekten, sondern gehören gemeinsam mit Skorpionen und
wicklungsstadium und können von
Milben zu den Spinnentieren. Und Zecken beißen auch nicht
dort bei der nächsten Blutmahlzeit
– sie stechen.
über die Speicheldrüsen auf einen neuen Wirt, auch den Menschen, übertragen werden. Zudem können
Krankheitserreger von den Weibchen über die Eier auf die LarGemeiner Holzbock
Die in Mitteleuropa am häufigsten vorkom- ven weiter gegeben werden (transovarielle Übertragung). Somende Zeckenart ist die Schildzecke Ixodes mit fungieren bereits die kaum sichtbaren Larven als Überwissenschaft
ricinus („gemeiner Holzbock“). Um aktiv wer- träger von Krankheitserregern. Die Dauer der Blutmahlzeit ist
& praxis
den zu können, benötigt I. ricinus eine Luft- je nach Zeckenart unterschiedlich lang. Sie beträgt für I. ritemperatur von mindestens 6-8°C. Unterhalb dieser Schwel- cinus je nach Entwicklungsstadium 4-10 Tage. Die Dauer
le sind Zecken unfähig sich zu bewegen. Zudem bilanziert I. des Saugvorganges korreliert mit dem Risiko der Übertraricinus seinen Wasserhaushalt nicht durch Trinken, sondern gung von Krankheitserregern. So ist für die Übertragung von
nimmt Wasser aus der Atmosphäre über die Körperober- Borrelien eine Anhaftungszeit von mindestens 24-48 Stunden
fläche auf. Dazu ist eine relative Luftfeuchtigkeit von min- vonnöten.
destens 80 % vonnöten, bei Werten darunter trocknet I. ricinus schnell aus. Diese extreme Empfindlichkeit von I. rici- Richtiges Handeln
nus auf ihre Umgebung erklärt ihre saisonale Aktivität und das
Eine Vermeidung von Zeckenstichen ist nahezu unmöggehäufte Auftreten der durch sie verursachten Krankheiten im lich. Das Tragen heller Kleidung, das Stopfen der HosenbeiFrühsommer und Herbst. Im Winter ist es zu kalt, im Sommer ne in die Socken und Repellentien, auf die Haut aufgetrazu trocken. Das Verbreitungsgebiet von I. ricinus in Mittel- gene chemische Abwehrstoffe, haben sich nach eigenen Ereuropa erstreckt sich über Österreich, Slowenien, Norditali- fahrungen als nur mäßig wirksam erwiesen. Besser ist es, sich
en, Schweiz, Frankreich, Süddeutschland und Tschechien, nach einem Aufenthalt in einem potentiellen Zeckengebiet
aber auch die baltischen Staaten und das südliche Skandina- selbst oder von einer zweiten Person auf Zecken an der Haut
vien bis etwa 63° nördlicher Breite. I. ricinus lebt in der bo- untersuchen zu lassen. Entfernungshilfen wie Öl, Klebstoff
dennahen, feuchten Vegetation bis maximal etwa 1,5 m Höhe oder Nagellack sind unbedingt zu vermeiden. Besser sollte
auf Sträuchern, im Unterholz und auf Wiesen.
man die Zecke mit einer spitzen Pinzette dicht über der Haut
fassen und einfach heraus ziehen. Eine Quetschung des Hinterleibes oder ein Abreißen des Kopfes durch sinnloses Drehen sollte vermieden werden. Ein nach sachgerechter Entfernung der Zecke gelegentlich noch sichtbarer schwarzer
Punkt in der Wunde entspricht dem harmlosen Hypostom.
Verbleibt der Kopf inklusive Speicheldrüsen und möglicherweise Krankheitserregern in der Haut, sollte man möglichst
rasch einen Arzt aufsuchen, der die Zecke chirurgisch entfernen kann. Die Zeckenstichstelle sollte noch für zwei Wochen beobachtet werden. Eine kleine Schwellung über wenige Tage nach dem Zeckenstich spricht für eine harmlose Lokalreaktion. Die prophylaktische Gabe eines Antibiotikums
ist nutzlos und somit abzulehnen.
© AGES PharmMed, VDGH
Zecken und ihre Krankheiten
Ausgewachsene Zecke
Angesogene Zecke während der Blutmahlzeit
Entwicklungszyklus
I. ricinus Zecken entwickeln sich mittels Häutung
während eines meist drei Jahre dauernden Zyklus aus einem
Ei über ein sechsbeiniges Larven- und ein achtbeiniges Nymphenstadium in ein achtbeiniges Erwachsenenstadium. Vor jedem Wechsel in das nächste Entwicklungsstadium, für Weibchen zudem vor der Eiablage, ist eine Blutmahlzeit auf einem Wirtstier erforderlich. Als natürliche Wirte dienen Nagetiere, Vögel und Rotwild. Der Mensch, ein Fehlwirt, wird
von allen drei Entwicklungsstadien befallen. Üblicherweise
lässt sich I. ricinus von einem Wirt durch direkten Kontakt ab-
Infektionskrankheiten
Zecken könne eine Vielzahl verschiedener Krankheitserreger auf den Menschen übertragen (Tabelle 1). Die in unseren Breiten bedeutendsten sind die Erreger der FrühsommerMeningoenzephalitis (FSME) und der Lyme Borreliose.
Frühsommer-Meningoenzephalitis
Die FSME ist eine Viruserkrankung, bei der es etwa eine
Woche nach dem Zeckenstich zu einem Frühstadium mit
grippeähnlichen Symptomen und nach einem beschwerdefreien Intervall zu einer lebensbedrohlichen Meningitis, Enzephalitis oder Myelitis kommen kann. Nach Ausbruch der
Erkrankung ist keine spezifische Therapie möglich, etwa 1-
biomed_Heft_0702
05.07.2007
17:55 Uhr
Seite 9
wissenschaft & praxis
2 % der Erkrankten stirbt. Bis zu einem Drittel der Erkrankten klagt auch noch Jahre nach der Infektion über bleibende
Beschwerden wie Lähmungen, Schmerzen, Konzentrationsstörungen und Depressionen. Die Diagnose der FSME stützt
sich auf das klinische Bild sowie den Nachweis von spezifischen IgG- und IgM-Antikörpern in Serum und Liquor im
zweiten Stadium der Erkrankung. Zur Impfprophylaxe sind
in Österreich derzeit zwei ausgezeichnet verträgliche Präparate erhältlich. Nach einer Grundimmunisierung sind Auffrischungsimpfungen alle fünf Jahre bei jüngeren Patienten
und alle drei Jahre bei über 60-jährigen Personen nötig. Aufgrund der hohen Durchimpfungsrate von ca. 90 % wurden in
Österreich 2006 lediglich 86 Fälle einer FSME gemeldet. In
hochendemischen Ländern wie Deutschland, Tschechien und
vor allem den baltischen Staaten, in denen die Impfprophylaxe weit weniger verbreitet ist, erkranken dagegen jedes Jahr
hunderte Menschen an FSME.
Die Lyme Borreliose, durch das schraubenförmige Bakterium Borrelia burgdorferi s.l. verursacht, beginnt mit einer
schmerzlosen, an Größe zunehmenden Rötung an der Stelle
des Zeckenstiches (Erythema migrans). Unbehandelt kann
es Wochen bis Monate nach dem Zeckenstich zu schmerzhaften, einseitigen, undulierenden Schwellungen der großen
Gelenke, vor allem von Knie, Ellbogen oder Knöchel kommen
(Lyme Arthritis). Im Rahmen einer Neuroborreliose kann
sowohl das periphere als auch das zentrale Nervensystem
befallen werden. Jahre nach einer Infektion kann es im Bereich
der Hände und Beine zu einer irreversiblen Atrophie der Haut
kommen (Acrodermatitis chronica atrophicans). Immerhin
sind in Österreich je nach Region 5-35 % aller I. ricinus
Zecken mit B. burgdorferi s.l. infiziert, das Risiko nach einem
Zeckenstich an Borreliose zu erkranken, liegt jedoch nur bei
2-4 %. Eine Impfprophylaxe wie bei der FSME ist in Europa
nicht erhältlich. Die Therapie erfolgt mit Antibiotika per os,
bei Neuroborreliose ist meist eine intravenöse Antibiose indiziert.
Durch Zecken auf den Menschen
übertragene Krankheitserreger (Auswahl)
Klasse
Erreger
Bakterien
Borrelia burgdorferi s.l. Lyme Borreliose
Borrelia recurrentis
Borrelia duttoni
Francisella tularensis
Rickettsien
Anaplasma
phagocytophilum
Rickettsia ricketsii
Coxiella Burnetti
Viren
Protozoen
Lyme Borreliose
Erythema migrans
Tab. 1
FSME Virus
Erkrankung
Nordamerikanisches
Rückfallfieber
Afrikanisches
Rückfallfieber
Tularämie
Humane granulozytäre
Anaplasmose
Rocky Mountain
Spotted Fever
Q Fieber
Powassan Virus
FrühsommerMeningoenzephalitis
Powassan-Enzephalitis
Babesia ssp.
Babesiose
rologie). Bei Verdacht auf eine Neuroborreliose ist der Nachweis einer spezifischen Antikörperantwort im Liquor cerebrospinalis nötig. Die Bestimmung der Antikörper erfolgt
mittels Enzyme-linked immuno sorbent assay (ELISA) sowie
Immunoblot zur Bestätigung der ELISA-Ergebnisse. In frühen
Stadien der Erkrankung (Erythema migrans) sind Antikörper lediglich bei 50 % der Erkrankten nachweisbar. In späteren Stadien richtet sich die Antikörperantwort meist gegen
viele verschiedene Antigene von B. burgdorferi s.l. Diese
Tatsache spiegelt sich in einem umfangreichen Bandenmuster
im Immunoblot wider. Daher sollten im Ergebnisbericht alle reaktiven Immunoblotbanden angegeben werden. Zu beachten ist die Möglichkeit eines falsch negativen oder falsch
positiven Testergebnisses der Serologie. Falsch negative Testergebnisse treten dann auf, wenn in einem sehr frühen Stadium der Erkrankung, innerhalb von 2-3 Wochen nach der
Infektion, noch keine Antikörperbildung eingesetzt hat, oder
durch eine vorzeitige Antibiose die Antikörperbildung verhindert wurde. Falsch positive Ergebnisse kommen meist
durch Kreuzreaktionen mit ähnlichen Krankheitserregern
(T. pallidum) sowie durch polyklonale Antikörperstimulation
vor allem bei Viruserkrankungen (EBV) zustande. Auch PatientInnen mit Autoimmunerkrankungen (Lupus erythematodes, rheumatoide Arthritis) zeigen falsch positive Werte. Ein
großes Problem stellt die Seroprävalenz dar. Nach einmal
durchgemachter Infektion mit B. burgdorferi s.l. kann sowohl
der IgG- als auch der IgM-Antikörpertiter über Jahrzehnte
im Sinne einer Seronarbe ohne aktuellen Krankheitswert positiv bleiben. Die Seroprävalenzrate in Österreich beträgt
10-20 %. Somit gilt, dass ein positiver Antikörpertiter alleine
ohne klinische Anzeichen für eine Lyme Borreliose auf keinen Fall eine antibiotische Therapie indiziert!
■
Quelle: Univ.-Prof. Dr. Robert Müllegger
Die Diagnose der Lyme Borreliose stützt sich vor allem
auf das klinische Bild. Die kulturelle Anzüchtung von Borrelien oder der Nachweis von borrelien-spezifischer DNA
mittels PCR stellen keine Routinemethoden dar. Bei nicht
eindeutigen klinischen Beschwerden wird die Bestimmung
von IgG- und IgM-Antikörpern im Serum durchgeführt (Se-
Dr. Martin Glatz
Hals-, Nasen-, Ohren-Universitätsklinik,
Auenbruggerplatz 26-28, 8036 Graz
E-Mail: [email protected]
9
Herunterladen