Barack Obama – vorwärts, aber wie?

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2
10. 11. 2012
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cmyk
meinung
SAMSTAG, 10. NOVEMBER 2012
2
Krise als Beschleuniger
des Strukturwandels
von Thomas Griesser Kym
kosten als in der Schweiz. Allerdings
stehen dahinter auch reine Gewinnüberlegungen, angesichts einer betrieblichen Marge des US-amerikanischen Mutterkonzerns Colgate-Palmolive von traumhaften 23 Prozent.
Unia-Gewerkschafter Corrado Pardini hat Recht, wenn er sagt, die eine
Vor gut einer Woche haben wir als Firma hat Probleme mit dem Umsatz,
erste Zeitung in der Schweiz von ge- eine andere ändert die Strategie, eine
häuften Meldungen über Stellenab- dritte will die Rendite steigern. Letztebau und Entlassungen hierzulande res geht oft zulasten von Schweizer Beberichtet. Und Hansjörg Schmid vom trieben, wenn sie in der Hand globaler
Verband Angestellte Schweiz äusserte Multis sind. Diese können an Standmit Gewissheit, es «kommen sicher orte weltweit verlagern und so Kosten
noch mehr Hiobsbotschaften». Die sparen und die Effizienz steigern.
dunkle Prophezeiung hat sich umStellt sich die Frage, ob sich das in
gehend bewahrheitet, mit dem Abbau jedem Fall langfristig bezahlt macht.
bei der Baselbieter Elmex-Herstellerin So ist ab und an von Firmen zu hören,
Gaba oder bei Credie ihre Produktion
Jetzt verschwinden Stellen –
dit Suisse als promiauch in die Schweiz
nenteste Beispiele.
zurück verlegen, etso bitter dies ist –, die aber
Der starke Franwa weil im Ausland
über kurz oder lang
ken, der die Erzeugdie Qualität nicht
wahrscheinlich so oder so
nisse der Schweizer
passte oder sie OpExporteure auf den
fer wurden von Ingestrichen worden wären.
Absatzmärkten im
dustriespionage.
Ausland verteuert, die internationale
Hinzu kommt, dass die Trümpfe des
Konjunkturabkühlung und die maro- Standorts Schweiz, von geringer Büroden Staatsfinanzen in vielen Ländern, kratie über gut ausgebildete Arbeitsdie allenthalben zum Sparen anhalten kräfte bis zu hoher Produktivität, auch
– das sind Faktoren, die vielen Firmen zur Schaffung neuer Stellen führen.
am Standort Schweiz mit den hohen Und das in zukunftsträchtigen GeLöhnen und damit Produktionskosten schäften wie im Forschungszentrum
das Leben erschweren. Ausserdem Dättwil, das ABB mit Millionen aufführt die Stärke des Frankens dazu, rüstet. Oder bei der Thurgauer RWD
dass Importe ausländischer Firmen Schlatter, die in Roggwil eine neue
billiger werden, was Schweizer Pro- Fabrik errichtet für Spezialtüren, die
dukte auch auf ihrem Heimmarkt zu- Einbrecher verzweifeln lässt und im
nehmend konkurrenziert.
Brandfall Schutz bieten.
Dennoch ist fast jeder Fall von StelSo gesehen ist auch diese Krise eine
lenabbau für sich speziell. Bei Arbo- Chance. Jetzt verschwinden Stellen –
nia-Forster etwa leuchtet ein, dass ei- so bitter dies für die betroffenen Bene Schweizer Fabrik für 80 000 Kühl- schäftigten ist –, die aber über kurz
schränke pro Jahr kaum Chancen hat oder lang wahrscheinlich so oder so
gegen die Kostenstrukturen globaler gestrichen worden wären. Gleichzeitig
Hersteller, die mehrere Millionen Ein- entstehen in der Schweiz auch neue
heiten montieren. Auch bei der Gaba hochqualifizierte Arbeitsplätze. Dieist klar: Herstellung und Abfüllung von ser Strukturwandel macht die SchweiZahnpasta in Tuben geht billiger in zer Wirtschaft noch fitter und wohl gePolen mit sechsmal tieferen Arbeits- rüstet für den nächsten Aufschwung.
Die Bürokratie der SBB könnte
sich als Bumerang erweisen
von Tobias Gafafer
Die SBB verärgern die
Parteien mit Regeln für
Standaktionen in Bahnhöfen. Diese bürokratische Arroganz könnte
ihnen dereinst schaden.
Die Geschichte wiederholt sich: Im
Streit um die Werkstätte Bellinzona
2008 fehlte es der SBB-Spitze um ihren
damals neuen Chef Andreas Meyer an
Fingerspitzengefühl und politischem
Instinkt. Nun haben die SBB die vier
grossen Parteien mit neuen Regeln
für politische Standaktionen an Bahnhöfen verärgert. Die Hürden seien viel
zu hoch, lautete die Kritik. Die SBB
stellten damit ein Urteil des Bundesgerichts auf den Kopf, das Bahnhofareale als öffentliche Räume definiert.
Nach dem gemeinsamen Protest der
Parteien krebsten die SBB bei den
Gebühren zwar sofort zurück: Für
das Unterschriftensammeln in einem
Bahnhof wie Zürich wollen sie noch
50 statt 1053 Franken pro Halbtag verlangen. Dennoch bleiben die ausufernden Regeln realitätsfremd. In der
direkten Demokratie lassen sich politische Standaktionen nicht wie kommerzielle Werbeaktionen regeln.
Gewiss: Die historisch gewachsenen Schweizer Bahnhöfe genügen den
stets steigenden Frequenzen oft nicht
mehr. Bereits wieder zu knapp dimensionierte neuere Bahnhöfe wie Zürich-Stadelhofen oder der S-Bahnhof
Zürich-Museumsstrasse gelten laut
einer SBB-Analyse wegen Engpässen
teils gar als Sicherheitsrisiko. Damit
der Betrieb dennoch reibungslos funktioniert, darf der Passagierfluss nicht
gestört werden. Deshalb braucht es
auch für Unterschriftensammler ein
Minimum an Regeln – solange diese
verhältnismässig bleiben.
Dabei kann die SBB-Spitze die
Warnsignale jedoch nicht mehr einfach ignorieren, wie sie es beim Streit
um Wahlkampf-Auftritte in Bahnhöfen 2011 tat. Bereits damals protestierten die grossen Parteien geschlossen. Denn die Arroganz der Bürokraten könnte sich dereinst als Bumerang
erweisen: Das Wohlwollen der Politik
für den öffentlichen Verkehr und die
SBB ist nicht selbstverständlich.
Bild: ap/John Minchillo
Die Meldungen über
Abbau und Verlagerung
von Stellen häufen sich.
Gleichzeitig werden
aber auch neue hochqualifizierte Arbeitsplätze geschaffen.
BILD DER WOCHE
Jubel für den Präsidenten
TRIBÜNE
Barack Obama –
vorwärts, aber wie?
von James W. Davis
Für Barack Obama sehen die Tage nach
der Wahl im Wesentlichen nicht anders
aus als die Tage zuvor. Ein demokratischer Präsident, eine knappe demokratische Mehrheit im Senat, ein deutlich
unter republikanischer Kontrolle stehendes Repräsentantenhaus. Was könnte
ihm dabei durch den Kopf gehen? Wie er
es schaffte, seine Präsidentschaft nach
der katastrophalen Leistung in der ersten
Debatte doch noch zu retten? Oder vielleicht, was er wohl getan hätte, wenn er
verloren hätte?
Ich vermute, dass er überlegt, wie
angesichts
dieser
Situation
ein
Regierungshandeln aussehen kann, mit
dem sich das Versprechen einer besseren
Zukunft einlösen lässt. Immerhin geht es
ab jetzt um das Vermächtnis, das er der
Welt oder zumindest den Amerikanern
(ja, es gibt einen Unterschied) hinterlässt.
Doch auch wenn der Präsident in der
Nacht von Dienstag auf Mittwoch seinen
Vorsprung in der Gunst des amerikanischen Volkes behaupten konnte; der Berg
an Aufgaben vor ihm ist dadurch kein
bisschen kleiner, die Schwierigkeiten seiner Bezwingung kein bisschen geringer
geworden.
Worum es in dieser Wahl vor allem
ging, waren die Ängste der amerikanischen Mittelklasse vor einer ungewissen
Zukunft. Die Kandidaten präsentierten
zwei konkurrierende Visionen dieser Zukunft, jede eng verwoben mit unterschiedlichen Strängen der amerikanischen politischen Kultur. Mit den Forderungen nach Steuersenkungen und einer
kleineren Regierung appellierte Mitt
Romney an eine lange Tradition, in der
individuelle Freiheit, Eigenverantwortung und der Schutz vor den Fesseln des
Fürsorgestaats die primären Werte sind.
Befreie die Amerikaner von Überregulierung und unnötiger Besteuerung, der
Rest läuft von alleine.
Präsident Obama betonte einen anderen, aber ebenso amerikanischen Traditionsstrang, der die Rolle des Staates in
der amerikanischen Gesellschaft thematisiert. Individuelle Freiheit ist in der Tat
der Schlüssel zum Verständnis der amerikanischen Erfahrung, aber Obama wies
die These zurück, dass diese immer am
James W. Davis
ist Direktor des Instituts
für Politikwissenschaft
an der Universität St. Gallen.
besten durch einen kleinen und unauffälligen Staat garantiert wird. Ganz im
Gegenteil: Wir brauchen den Staat, um
ein gleiches Spielfeld zu schaffen, so dass
jeder, unabhängig von Herkunft, Klasse
oder Religion, seine Freiheiten auch tatsächlich ausüben kann. Und während die
Republikaner befürchteten, der Präsident
könnte sich zur Rettung aus den Um-
Die Mittelschicht ihrer Zukunft
versichern und sie gleichzeitig
bitten, mit weniger auszukommen:
Noch hat der Präsident nicht
einmal begonnen, sich dieser
Herausforderung anzunehmen.
frage-Tiefs eine Oktoberüberraschung
herbeizaubern, war es Mutter Natur
selbst, die ihm einen Rettungsanker zuwarf. Hurrikan Sandy war eine Metapher
und für den Präsidenten eine perfekte
Gelegenheit zu zeigen, was nur eine
starke Bundesregierung für Menschen in
Not zu tun in der Lage ist.
Am Ende stimmten die Amerikaner für
das Sicherheitsversprechen des Wohlfahrtsstaats. Doch wusste niemand am
Tag danach, wie dafür bezahlt werden
soll. Die reichsten Amerikaner in Anspruch zu nehmen, einen grösseren Teil
der Rechnung zu stemmen, ist in der Mittelschicht zwar populär. Aber auch die
Mittelklasse selbst wird nicht ohne Belas-
Anzeigen: Immobilien 0 Miete 0 Ostevent 0 Fonds 0 Marktplatz 0 Treffpunkt 0 Traueranzeigen 0 Service: Radio/TV 0 Wetter/Rätsel 0 Kino 0 Börse 0
tungen davonkommen, wenn die Investitionen für Infrastruktur, Bildung und saubere Energie wirklich gemacht werden,
die zur Wiederherstellung der amerikanischen Wettbewerbsfähigkeit in einer globalen Wirtschaft erforderlich sind.
Die innenpolitische Herausforderung
für die nächsten vier Jahre? Die Mittelschicht ihrer Zukunft versichern und sie
gleichzeitig bitten, mit weniger auszukommen: Noch hat der Präsident nicht
einmal begonnen, sich dieser Herausforderung anzunehmen.
Um eine progressive Agenda voranzubringen, muss der Präsident natürlich
Koalitionen in einem geteilten Kongress
schmieden. So ist die vielleicht wichtigste
Frage, die sich der Präsident in den Tagen
nach seiner Wiederwahl stellt, welche
Lehren die Republikaner aus Romneys
Niederlage ziehen werden. Mindestens
zwei Deutungen sind bereits im Spiel.
Nach der ersten hat Romney verloren,
weil er den Rechten innerhalb der Republikanischen Partei zu viele Zugeständnisse gemacht macht. Ob in Fragen der
Gesundheitsversorgung für Senioren,
staatlicher Hilfen für notleidende Firmen
oder Schwangerschaftsabbruch: Romney
war während der republikanischen Vorwahlen gezwungen, extreme Positionen
zu vertreten und verlor so die Wähler der
politischen Mitte. Die konkurrierende
Deutung hält dagegen, dass Romneys
Kampagne nach seiner Nominierung zu
sehr in die Mitte gerückt ist und ihn wie
den Präsidenten hat aussehen lassen.
Doch warum für «Obama Light» stimmen, wenn man auch das Original haben
kann?
Die grösste Herausforderung für die
Republikaner ist, dass Amerika selbst zunehmend wie der Präsident aussieht. Die
Koalition, die Barack Obama erneut ins
Weisse Haus gebracht hat, ist eine Mehrheit von Minderheiten, und die meisten
von ihnen kommen in verschiedenen
Brauntönen. Bis die Republikanische Partei in der Lage ist, auch Menschen für sich
zu gewinnen, die auf den ersten Blick
ganz anders anmuten als die älteren weissen Herren in der Gefolgschaft Romneys,
sind ihre Zukunftsaussichten für den Gewinn der Präsidentschaft in der Tat düster.
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