WER NICHT FEIERT, HAT VERLOREN! - 9.Mai- 9 мая - VVN-BdA

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WER NICHT FEIERT, HAT VERLOREN!
neuntermai.vvn-bda.de
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Editorial3
Über uns
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Der 8. und der 9. Mai 1945
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8. Mai 1945 – Tag der Befreiung
Chance für Frieden
und Demokratie in Europa
9
70 Jahre Sieg und Befreiung
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Die Notwendigkeit einer
umfassenden Entschädigung
für Zwangsarbeit
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Antifa
Erben der Antifaschistischen Aktion
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Konsequent gegen Neonazismus,
Nationalismus, Antisemitismus,
Rassismus und Krieg
Solidarisch mit Geflüchteten
und Opfern rassistischer Gewalt
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Die Bundesregierung
instrumentalisiert den 70.
Jahrestag gegen Russland
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Basisorganisation (BO) 8.Mai
der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten
neuntermai.vvn-bda.de | [email protected]
Gestaltung: jorodesign.eu - V.i.s.d.P.: Berliner VVN-BdA eV., Franz-Mehring Platz 1 - 10243 Berlin
Gefördert durch
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EDITORIAL
„Nie wieder Faschismus - Nie wieder Krieg!“
lautete der Schwur der Überlebenden am
8./9. Mai 1945 in Europa und in der Welt. Es
war der Tag der Befreiung vom nazistischen
Joch, der Tag des Sieges über den deutschen
Faschismus. Für Millionen Menschen, Opfer
der nazistischen Diktatur kam dieser Tag
zu spät; für Jüdinnen und Juden, Sinti und
Roma, Homosexuelle und Zwangsarbeiter_
innen. Zu spät aber auch für Kommunist_innen, Sozialdemokrat_innen, Gewerkschafter_innen, Christ_innen und viele politisch
antifaschistisch Denkende und Handelnde.
Sie und hunderttausende alliierter Soldat_
innen, Partisan_innen, Widerstandskämpfer_innen in vielen Ländern mussten für
den Sieg und die Befreiung ihr Leben geben,
weil der Widerstand gegen Faschismus und
Krieg in Deutschland zu schwach war. Viele, aber dennoch viel zu wenige Menschen
haben Widerstand geleistet. Die Hauptlast
im Kampf gegen Nazi-Deutschland trug die
Sowjetunion. Der deutsche Antifaschist,
Exilant und Veteran der Roten Armee Stefan
Doernberg war einer von ihnen. Er brachte
es einst in seiner Rede auf unserem Fest zum
9. Mai auf den Punkt: »Die Rote Armee rettete die Zivilisation«.
Deshalb wollen wir uns auch und ganz besonders am 70. Jahrestag des Sieges über
den deutschen Faschismus bei allen antifaschistischen Kämpfer_innen bedanken, die
zur Zerschlagung Nazideutschlands einen
Beitrag geleistet haben. An sie alle feierlich
zu erinnern, ist der Anlass unseres fröhlichen Festes im Treptower Park, unweit des
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Sowjetischen Ehrenmals. In diesem Geiste
wollen wir am 9. Mai zusammen feiern. Auch
im achten Jahr organisieren wir deshalb ehrenamtlich unser nicht-kommerzielles Fest
zum Tag des Sieges und feiern, essen und
trinken zusammen mit den zahlreichen Gästen, Musiker_innen und Freund_innen.
Der Kampf um den Frieden ist auch 70 Jahre nach der militärischen Zerschlagung des
deutschen Faschismus durch die Armeen
der Anti-Hitlerkoalition, die antifaschistischen Widerstandskämpfer_innen und Partisan_innen unsere tägliche Aufgabe. Denn
auch 70 Jahre nach dem Sieg über den deutschen Faschismus existieren immer noch
Neo-Nazi-Gruppen. Neofaschistische, antisemitische, antiziganistische, rassistische und
nationalistische Einstellungen gewinnen in
der Welt an Popularität und sind Faktoren,
die die Gesellschaft in Deutschland wie auch
z.B. in der Ukraine und Russland ernsthaft
gefährden.
Neonazis und Nationalist_innen nutzen die
Krise, um Stimmung zu machen. Sie setzen
auf Ängste und Gefühle der Menschen in prekären Verhältnissen, auf Ängste vor Wohlstandsverlusten, vor Verlust sozialer Sicherheit, vor einem sozialen Abstieg. Jedoch wird
die „Soziale Frage“ unter dem völkischem
Aspekt gestellt und reaktionär beantwortet. Es geht dabei nicht um Lösungsansätze
gegen die eigentlichen Ursachen dieser Krisen – den Kapitalismus. Es geht mit platten
Parolen gegen Jüdinnen und Juden, Sinti und
Roma und Migrant_innen im Allgemeinen
und Muslime im Besonderen. Feindbild sind
aber auch jene, die sich antifaschistisch und
antirassistisch engagieren. Und auch heute
leisten viele, aber dennoch viel zu wenige
Widerstand. In diesem Jahr möchten wir in
unserer Broschüre unser Augenmerk nicht
auf faschistische Propaganda und Strukturen, sondern auf die Aktualität antifaschistischen Widerstandes richten. Wir berichten
darüber, wer in Deutschland Rassismus und
Faschismus aktiv bekämpft und damit das
Erbe der antifaschistischen Kämpfer_innen
für sich angenommen hat und fortsetzt.
Hitler kaputt!
Wer nicht feiert, hat verloren!
Basisorganisation (BO) 8.Mai der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA)
Antifaschistische Initiative Moabit (AIM) | Autonome Antifa Berlin (A2B)
FelS - Für eine linke Strömung organisiert in der Interventionistischen Linken (IL) | Kollektiv Zielona Gora e.V
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ÜBER UNS
Als am Abend des 8. Mai 2006 im Kapitulationsmuseum in Karlshorst (im Deutsch-Russischen Museum) auf den 61. Jahrestag des
Sieges über den deutschen Faschismus angestoßen wurde, waren auch wir, acht Frauen
und Männer dabei. Wir traten an diesem Tag
gemeinsam in die „Berliner Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA)
ein.
dem Exil zurückkehren konnten, bedeutete
der 8. Mai 1945 Befreiung, was sonst!
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Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!
Da wir seit vielen Jahren gemeinsam antifaschistisch aktiv sind, entschlossen wir uns,
Die VVN-BdA steht in der Tradition des „an- diesen Aktivitäten einen festen Rahmen in
deren Deutschlands“ zwischen 1933 und der Berliner VVN-BdA zu geben und uns in
1945, repräsentiert von den Widerstands- einer eigenen Basisorganisation (BO) zu organisieren. Der Name unserer BO ist nicht
kämpferinnen und -kämpfern gegen den
ganz überraschend „8. Mai“. Unsere
deutschen Faschismus – unabhängig
NIE
WIEDER
BO ist für all jene offen, die sich
von ihrer politischen Herkunft.
KRIEG!
mit ihren Ideen und MöglichFür alle Menschen, die aus den
keiten in die antifaschistische
Konzentrationslagern, GefängArbeit einbringen wollen.
nissen, aus ihren Verstecken im
Um die BO „8. Mai“ haben sich weiUntergrund befreit wurden, die aus
NIE
WIEDER
FASCHISMUS!
6
tere Berliner Antifa- Gruppen zusammengefunden. Unser gemeinsames zentrales
Anliegen ist der Kampf gegen alte und
neue Nazis, gegen staatlichen Rassismus,
Antisemitismus und der Kampf gegen die
Militarisierung der Bundesrepublik. Das
heißt auch, sich den Nazis dort entgegen
zu stellen, wo sie sich zeigen. Doch wir
halten es für unbedingt notwendig, sich
nicht alleinig auf die Verhinderung von
Aktionen der Neonazis, wie Demonstrationen zu beschränken. Für genauso wichtig
halten wir es, eigene Akzente zu setzen.
Seit Jahren mehren sich geschichtsrevisionistische Angriffe, die den Beitrag der damaligen Sowjetunion bzw. der Roten Armee zur
Befreiung Deutschlands und Europas vom
Faschismus schmälern und relativieren wollen. Deshalb haben wir mit unserem alljährlichen Fest zum 9. Mai unter dem Motto „Wer
nicht feiert, hat verloren“ ein fröhliches Fest
etabliert, das sich entschieden gegen diese
Versuche die Geschichte zu verfälschen,
wendet. Der 9. Mai wird in den Ländern der
ehemaligen Sowjetunion als Tag des Sieges
über den deutschen Faschismus gefeiert.
Jedes Jahr werden neben Informations- und
Bücherständen, Führungen zum Ehrenmal,
einem Kinderprogramm und russischer Küche auch ein deutsch/russisches Kulturprogramm geboten. Zeitzeugen der Roten Armee
wie Moritz Mebel, Stefan Doernberg, Ilja Kremer und Wladimir Gall oder Hania Szelewicz
von der 1. Polnischen Armee bereicherten
das Fest mit Schilderungen ihrer Erlebnisse.
Dieses Fest ist ein Beispiel für unser Verständnis antifaschistischer Arbeit. Denn wir
wollen ein deutliches Zeichen unseres entschiedenen Widerstandes gegen geschichtsrevisionistische Tendenzen und das unterschiedslose Gedenken bzw. der Vermischung
von Opfern und Tätern setzen und festlich daran erinnern, dass erst mit der bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands und dem
Sieg der Alliierten und vor allem Dank der
Roten Armee das von Berlin ausgegangene
Morden ein Ende fand. Für uns gilt ganz im
Sinne von Ernest Hemingway: „Jeder Mensch,
der die Freiheit liebt, hat der Roten Armee
mehr zu verdanken, als er jemals in seinem
Leben bezahlen könnte.“ Für die Menschen
in Deutschland und Europa waren der 8. und
9. Mai 1945, die Befreiung, der erste Tag des
Friedens. Aber das „Morgenrot der Menschheit“ das unser Genosse und Widerstandskämpfer Peter Gingold am 8. Mai 1945 aufscheinen sah, eine „Welt des Friedens und der
Freiheit“ für die zu kämpfen uns die Häftlinge
des KZ-Buchenwalds nach ihrer Selbstbefreiung in ihrem Schwur auftrugen, ist längst
nicht verwirklicht. Unser Kampf geht weiter.
Auch dafür steht unser Fest.
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DER 8. UND DER 9. MAI 1945
Bedingungslose Kapitulation Nazideutschlands, Tag der Befreiung vom deutschen
Faschismus und Tag des Sieges
Als in der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 in
Berlin-Karlshorst Vertreter des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht vor den
Vertretern der Streitkräfte der Anti-Hitler-Koalition die offizielle Urkunde über die
bedingungslose Kapitulation unterzeichnet
hatten, war ein verbrecherisches System
zerschlagen worden, dessen Weltherrschaftspläne, Herrschaftspraxis und Rassenwahn die menschliche Zivilisation generell in Frage gestellt hatten.
Der Sieg über den deutschen Faschismus
und die Befreiung Europas bleiben eine
Leistung aller Verbündeten in der Anti-Hitler-Koalition. Die Bedrohung führte Staaten
unterschiedlicher
Gesellschaftsordnung
und Menschen unterschiedlichster Weltanschauung und politischer Orientierung zusammen.
An der Seite der Streitkräfte der Anti-Hitler-Koalition kämpften Partisanen_innen
und Widerstandskämpfer_innen in allen okkupierten Gebieten für die Freiheit ihrer Län-
der. Deutsche Antifaschist_innen reihten sich
ebenfalls in die Armeen der Anti-Hitler-Koalition und in die Partisanen- und Widerstandsgruppen ein. Nicht vergessen werden
dürfen die mutigen Frauen und Männer, die
aus den unterschiedlichsten Motiven unter
ständiger Lebensgefahr im Deutschen Reich
Widerstand gegen das Naziregime leisteten.
Die Hauptlast im Kampf gegen Nazi-Deutschland trug jedoch die Sowjetunion. Sie hatte
den entscheidenden Anteil am Sieg. Die
Ostfront war die Hauptfront des Zweiten
Weltkrieges. Lange bevor endlich die zweite Front eröffnet wurde, hatten sowjetische
Soldat_innen den Feind vor Moskau gestoppt, in Stalingrad und im Kursker Bogen
die Wende des Krieges erzwungen. Der Preis
für diese Leistung war hoch. Mit über 30 Millionen Menschen hatte die Sowjetunion die
mit Abstand größten Verluste zu beklagen.
Über 8 Millionen sowjetische Soldat_innen
ließen dafür an der Front ihr Leben. Mehr
als 26 Millionen Zivilpersonen wurden ge-
8
tötet oder starben unter den unmittelbaren
Kriegseinwirkungen. Der deutsche Aggressor hinterließ eine Spur der „verbrannten
Erde“: 1.710 Städte und 70.000 Dörfer, 31.800
Industriebetriebe, 13.000 Brücken und
65.000 Kilometer Eisenbahnnetz zerstört,
gesprengt oder niedergebrannt.
Die Bilanz des Zweiten Weltkrieges ist eine
Bilanz des Schreckens. Mehr als 60 Millionen
Menschen starben bei Kampfhandlungen,
durch Repressalien, Massenvernichtungsaktionen und Kriegseinwirkungen. Von den
18 Millionen Menschen, die das Naziregime
in Konzentrationslager verbrachte, wurden
elf Millionen ermordet oder durch Arbeit
vernichtet. Unfassbar der industrielle Massenmord an sechs Millionen europäischer
Jüdinnen und Juden, die – wie auch Sinti und
Roma – dem Rassengenozid zum Opfer fielen.
In Deutschland mussten fast acht Millionen
und in Japan über zwei Millionen Menschen
aus den eroberten Ländern Zwangsarbeit
leisten. China zahlte mit 10-15 Millionen,
Polen mit sechs Millionen, Jugoslawien mit
1,5 Millionen, Frankreich mit etwa 700.000,
die USA und Großbritannien mit jeweils ca.
400.000 und Italien mit 500.000 Toten ebenfalls einen hohen Blutzoll.
Im April 1945 war der Krieg an seinen Ausgangspunkt zurückgekehrt. In Berlin waren
mit der „Machtergreifung“ im Januar 1933
die Weichen für die „Neuordnung Europas“
gestellt worden. Von hier aus wollte sich ein
“Tausendjähriges Reich” über die versklavten Völker erheben. Dem Terror nach innen
folgte der Terror nach außen. Die Revision
des Versailler Vertrages war das Vorspiel
zur Eroberung von „Lebensraum“ und Rohstoffquellen, die den planmäßigen Völkermord einschloss. In Berlin befanden sich die
Kommandozentralen des verbrecherischen
Naziregimes.
Der 8. Mai 1945 markiert das Ende der nazistischen Diktatur. Für Millionen von KZ-Häftlingen, Zwangsarbeiter_innen, Widerstandskämpfer_innen, Sinti und Roma, politischen
Gegnern und sonstigen „Feinden“ war die
bedingungslose Kapitulation der deutschen
Wehrmacht am 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung. Während in der DDR der 8. Mai als
Tag der Befreiung vom Faschismus gefeiert
wurde, blieb er für die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft eher ein unbequemes
Datum. Dort war er kein offizieller Gedenktag. Im Vordergrund stand die Erinnerung an
„Flucht und Vertreibung“.
Obwohl das besiegte Deutschland bereits am
Abend des 8. Mai 1945 gegenüber den Truppen der Sowjetunion kapitulierte, wurde die
Siegesmeldung erst einige Stunden später,
um 2.10 Uhr morgens über Radio Moskau bekannt gegeben. Zusammen mit der Meldung
von der bedingungslosen Kapitulation des
Deutschen Reiches erklärte das Präsidium
des Obersten Sowjet den 9. Mai zum landesweiten arbeitsfreien Feiertag zu Ehren des
Sieges über Nazideutschland. Seitdem wird
der 9. Mai in vielen Ländern der ehemaligen
Sowjetunion als „Tag des Sieges“ gefeiert.
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8. MAI 1945 – TAG DER BEFREIUNG
Chance für Frieden und Demokratie in Europa
Am 8. Mai wurde ganz Europa von der Geißel des Faschismus befreit. In Deutschland
erlebten in erster Linie die überlebenden
Verfolgten und Widerstandskämpfer_innen
diesen Tag als Befreiung.
Aber auch wir alle, die wir heute leben, verdanken die Grundlagen unseres Lebens in
Frieden, Freiheit und Vielfalt den Siegern des
8. Mai. Die alliierten Streitkräfte, unter denen die Rote Armee mit Abstand die größte
Last des Krieges in Europa zu tragen hatte,
sind und bleiben auch unsere Befreier. Mit
besonderer Dankbarkeit erinnern wir an den
Beitrag, den der deutsche antifaschistische
Widerstand in Deutschland, in der Emigration, als Teil von Partisanenverbänden und
in den Streitkräften der Anti-Hitler-Koalition
geleistet hat.
Mehr als 55 Millionen Menschen fielen Na-
zi-Terror, Holocaust und Vernichtungskrieg
zum Opfer. Sie bezahlten den deutschen
Griff nach der Weltherrschaft mit unvorstellbarem Leid und ihrem Leben. Die deutsche Wirtschaft, allen voran Chemie- und
Rüstungsindustrie und Banken waren die
Gewinner von „Arisierung“, Krieg und der
Ausbeutung von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeiter_innen. Diese Gewinne bildeten die
Grundlage des „Wirtschaftswunders“ in der
Bundesrepublik, während die Opfer um jede
Mark Entschädigung kämpfen mussten und
bis heute kämpfen müssen.
In nahezu allen ehemals von Nazi-Deutschland besetzten Ländern wurden der 8. und/
10
oder 9. Mai gesetzliche Feiertage, das war
auch in der DDR der Fall. Genau 40 Jahre hat
es gedauert, bis ein Präsident der Bundesrepublik an einem 8. Mai von Befreiung gesprochen hat. Bis dahin hatte die Sicht der Nazis,
der Deutsch-Nationalen, der „Frontkämpfer“,
der Profiteure und Mitläufer das offizielle
Vokabular geprägt: Zusammenbruch, Kapitulation, Besatzer. Mit Weizsäckers Rede
wurde die Perspektive der Verfolgten des
Nazi-Regimes „gesellschaftsfähig“. Damit
das so bleibt, fordern wir, dass der 8. Mai als
Tag der Befreiung von Faschismus und Krieg
endlich auch in Deutschland ein gesetzlicher
Feiertag wird.
Wir wissen, dass die Früchte des 8. Mai stets
gefährdet sind. Rassismus, Chauvinismus,
Antisemitismus und Antiziganismus, Islamfeindlichkeit – alle möglichen Ideologien
zur Begründung sozialer Ungleichheit und
gesellschaftlicher Ausgrenzung haben Konjunktur. Wir wissen, die soziale Spaltung der
Gesellschaft hat ein Ausmaß erreicht, in dem
die Angst vor dem Abstieg Anpassungsdruck
und Ausgrenzungsbereitschaft erhöht. Wir
erleben, dass Grundrechte immer weiter
eingeschränkt werden. Wir sehen mit Sorge,
wie unbarmherzig unsere Gesellschaft
Flüchtlingen gegenübertritt und gewaltsame Übergriffe duldet. Der rasante Aufstieg
neofaschistischer und rechtspopulistischer
Kräfte in nahezu allen europäischen Län-
dern verlangt entschiedene Gegenwehr. Der
Wiedereintritt Deutschlands in die Reihe der
Krieg führenden Länder stellt einen Bruch
mit dem Nachkriegskonsens „Es soll nie wieder Krieg von deutschem Boden ausgehen“
als wichtigste Lehre aus der jüngeren deutschen Geschichte dar. In vielen Ländern der
Welt, im Irak, in Syrien, in der Ukraine und in
weiten Teilen Afrikas toben Kriege. Wieder
sind deutsche Waffen - und oft auch
deutsches Militär - überall beteiligt. Die
Bereitschaft, „deutsche Interessen“ erneut
mit militärischen Mitteln durchzusetzen ist
gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung in Regierung und Bundestag wieder
politische Praxis geworden.
Gerade darum wollen wir den Tag zum Feiertag machen, den die Überlebenden als
„Morgenröte der Menschheit“ erlebt haben,
wie es der als Jude und Kommunist verfolgte Résistance-Kämpfer Peter Gingold ausgedrückt hat. Wir wollen am 8. Mai vor allem
an die Hoffnung der Befreiten auf eine Welt
ohne Kriege, Elend und Unterdrückung erinnern und diese als Impuls nehmen, weiter an
der Schaffung einer neuen Welt des Friedens
und der Freiheit zu arbeiten, so wie es die
befreiten Häftlinge von Buchenwald geschworen haben.
In diesem Sinne rufen wir auf: Nie wieder
Faschismus – nie wieder Krieg!
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70 JAHRE SIEG UND BEFREIUNG
Mehr als 60 Millionen Menschen starben
bei Kampfhandlungen, durch Repressalien,
Massenvernichtungsaktionen und Kriegseinwirkungen. Von den 18 Millionen Menschen,
die das Naziregime in Konzentrationslager
verbrachte, wurden elf Millionen ermordet
oder durch Arbeit vernichtet. Unfassbar der
industrielle Massenmord an sechs Millionen
europäischer Jüdinnen und Juden, die – wie
auch Sinti und Roma – dem Rassengenozid
zum Opfer fielen. China zahlte mit 10-15 Millionen, Polen mit sechs Millionen, Jugoslawien mit 1,5 Millionen, Frankreich mit etwa
700.000, die USA und Großbritannien mit
jeweils ca. 400.000 und Italien mit 500.000
Toten ebenfalls einen hohen Blutzoll.
Nie wieder Faschismus - Nie wieder Krieg!
lautete deshalb der Schwur der meisten
Überlebenden am 8. Mai 1945 in Europa und
überall in der Welt.
Nach 70 Jahren definiert Deutschland seine
neue Rolle alt
Deutschlands neue Rolle entspringt dabei
einem deutschnationalen Ja zu deutscher
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft inklusive eines starken deutschen Staates. Und
so wird vor dem Hintergrund des Gedenkens
an den Ersten Weltkriegs, der sich 2014-2018
zum hundertsten Mal jährt, die deutsche Geschichte dahingehend umgedeutet, dass es
einen zielstrebigen Griff nach der Weltmacht
nicht gegeben habe. Dabei werden Reden
wie Taten der deutschen Staatsführung als
gegenteilige Beweise mit dem Verweis weggewischt, auch andere Großmächte Europas
hätten diesen Krieg gewollt. In den letzten
Jahren und gerade auch vor dem Hintergrund
des Ukraine-Konflikts haben die Versuche sowohl in der Bundesrepublik als auch der Europäischen Union zugenommen, den Beitrag
der damaligen Sowjetunion, der Roten Armee
sowie der Partisan_innen zur Befreiung vom
verbrecherischsten System – dem deutschen
Faschismus – zu negieren und zu relativieren.
So zum Beispiel, indem der CDU-Bundestagsabgeordnete Ingo Wellenreuther von einem
Übergang „von einer braunen Diktatur in eine
rote Diktatur mit Gefängnissen und Internierungslagern wie Bautzen, Buchenwald und
Hohenschönhausen“ spricht. Damit wird eine
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faktische Gleichsetzung der Befreier_innen
mit Nazideutschland vorgenommen, weil
„weder die Sowjets noch die Nationalsozialisten verteidigt werden [müssen]; denn keins
war schlimmer als das andere!“ Eine entsprechende Gleichstellung erfolgt immer wieder
auch insbesondere von den baltischen Staaten, wenn sie ein Verbot sowjetischer Symbole fordern. Die Bundesregierung verbindet
mit ihrer Geschichtsinterpretation bezogen
auf den Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie
deren Ergebnisse nach innen, wie nach außen, um klarzumachen, welche Rechte sich
die deutsche Staatsführung in der Gegenwart
und Zukunft herausnehmen will. Nach 70 Jahren geht Krieg wieder von deutschem Bo­den aus
Von deutschem Boden sollten nie wieder
Krieg, sondern Frieden und gute Nachbarschaft mit allen Ländern ausgehen. Doch 70
Jahren nach der Zerschlagung des deutschen
Faschismus werden Drohungen mit militärischer Gewalt, militärische Einsätze und
Angriffskriege immer mehr zu „legitimen“
Mitteln der herrschenden Politik. Deutschland führt wieder Krieg und steht bewaffnet
in vielen Teilen der Welt. Es verfügt über so
genannte Krisenreaktionskräfte und schnelle
Eingreiftrup­pen und wieder über eine aggressive, expansionistische Militärdokt­rin. Die
Bundeswehr wird zur weltweit einsatzfähi­
gen Interventionstruppe umgebaut und aufgerüstet. Die Vorstellung, die europäische Einigung sei für den Friedenserhalt da gewesen
und überwinde „nationale Dünkel“, beruht auf
falschen Annahmen. Denn so wie nach 1945
die Kooperation der westeuropäischen Staaten gegen den Ostblock nicht durchgeführt
wurde, damit es „Frieden“ gibt, sondern um
den kalten Krieg effektiver zu führen und zu
gewinnen, soll sie heute eine Weltmachtposition neben den USA erreichen. Frieden gibt es
nur insoweit, als dass die Mitglieder der EU
ihre Konflikte miteinander nicht kriegerisch
austragen, dagegen nach außen gemeinsam
oder alleine Kriege wieder führen. Maßgeblich durch Deutschland wurde aus dem viel
beschworenen gemeinsamen Haus Europa,
die Festung Europa, an deren Mauer Jahr für
Jahr tausende Flüchtlinge sterben, Nachbarn
mit militä­rischer Potenz einschüchtert und
von wo aus vermeintliche „humanitäre Interventionen“ heuchlerisch und zynisch mit der
Forderung „Nie wieder Auschwitz!“ betrieben
werden. Unter dem Banner „responsibility to
protect“ werden Regime-changes zur Schaffung faktischer Protektorate instrumentalisiert. Die blutigsten Kriege der letzten beiden
Jahrzehnte im Kongo, in Irak, Afghanistan,
Sudan oder um das Kosovo gegen Jugoslawien und andere Sezessionskriege sind geopolitisch motiviert und fanden mit direkter oder
indirekter Beteiligung der Bundeswehr statt..
Nach 70 Jahren marschieren immer noch und
verstärkt wieder Nazis
Auch 70 Jahre nach Zerschlagung der Nazi-Diktatur hetzen Nazis gegen Frieden und
Solidarität, dürfen sich zusammenrotten und
mit Mord und Totschlag drohen. In ihren fast
wöchentlichen Aufmärschen ver­unglimpfen
13
sie Flüchtlinge und Migrant_innen, grölen
rassistische und antisemitische Parolen.
Doch es bleibt nicht bei Drohungen. Seit 1990
wurden in Deutschland über 180 Menschen
Opfer neonazistischer oder rassistischer
Gewalt. Behörden und Justiz erweisen sich
weniger als unfähig sondern mehr als unwillig. Die Enttarnung des Nazi-Trios um den
„Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU)
verstärkt den Eindruck, dass staatliche Stellen und Nazis Hand in Hand gehen und die
Sicherheitsbehörden nun mit allen erdenklichen Mitteln versuchen, dies zu vertuschen.
Die Nazis setzen auf ein durch den Staat
geschaffenes rassistisches Klima geprägt
durch Ausgrenzung, Abschiebung von Asylbewerbern und Kriminalisierung von Flucht
und Migration. Ein massiver Abbau von Demokratie, Bürgerrechten, rechts- und sozial­
staatlichen Standards sowie Angriffe auf
gewerk­schaftliche Rechte befördern einen
Nährboden, auf dem die Demagogie der Nazis
gedeihen kann. Was bereits seit dem 9. September 2011 – dem Tag der Terroranschläge
unter anderem auf das World Trade Center
(WTC) – immer offensichtlicher wurde, zeigt
sich in 2014 deutlicher denn je: Gruppen wie
die „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) und
noch mehr die „Patriotischen Europäer Gegen
die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA)
stehen für eine antiemanzipatorische, rechte, rassistische und antimuslimische Mobilisierung. Der Kampf gegen den Islam wird unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den
Salafismus/islamischen Fundamentalismus
zum einenden Band zwischen sich gemäßigt
gebenden Rassist_innen, der extremen Rechten und sich sonst möglichst unpolitisch
gebenden Fußballfans sowie Bürger_innen.
Dabei können sie sich auf einen politischen
Mainstream stützen, der nicht müde wird den
Islam als Ganzes und muslimische Menschen
zum Feindbild aufzubauen und auszugrenzen. Gerechtigkeit schafft die Voraussetzung für
Frieden
Der Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus und der Tag des Sieges über die
Nazi-Diktatur vor 70 Jahren erinnern uns an
unsere Verantwortung vor der Geschichte.
Für uns heißt das: Gegen Krieg, Faschismus,
Rassismus und Nationalismus.
Deshalb treten wir ein:
∙Für eine Gesellschaft, in der Menschen
gleiche Rechte haben – unabhängig von
Hautfarbe, Herkunft, Religion oder sexueller
Orientierung.
∙Für ein gemeinsames und konsequentes
Zurückweisen jeder neonazistischen und
rassistischen Politik, egal aus welcher Partei, Organisation, Strömung oder Person.
∙Für demokratische Rechte und Freiheiten.
Schluss mit der immer engmaschigeren Ü­berwachung der Bürger_innen und der Kriminalisierung antifaschistischen Engagements.
∙Für Abrüstung und Frieden. Ächtung und
Verweigerung des Krieges. 70 Jahre nach der
Befreiung schuldet Deutschland der Welt
keine Soldat_innen und keine Waffen, sondern Beiträ­ge zu Frieden, solidarischer Zusammenarbeit und sozialer Gerechtigkeit.
14
DIE NOTWENDIGKEIT EINER
UMFASSENDEN ENTSCHÄDIGUNG
FÜR ZWANGSARBEIT*
Christian Hartz
Bundespräsident Gauck machte 2014 die
Grundlinie deutscher Entschädigungspolitik
deutlich: Rechtsweg ausgeschlossen. Das
Kapitel der Entschädigung von NS-Opfern
sei „für Deutschland abgeschlossen“.
Angesichts des siebzigsten Jahrestags der
Befreiung am 8. Mai 1945 muss die Diskussion über „offene Rechnungen“ wegen der
NS-Verbrechen erneut vernehmbar werden.
Zwangsarbeit war einer der zentralen Bestandteile der deutschen NS-Herrschaft.
Ohne sie wäre eine zeitweise erfolgreiche
Kriegsführung unmöglich gewesen.
Dimensionen der NS-Zwangsarbei
Was NS-Zwangsarbeit betrifft, so knüpften
die Nazis an Instrumente zur Bekämpfung
der Massenarbeitslosigkeit während der
Weimarer Republik an. Die Arbeitsverfassung der Republik wurde zerschlagen,
Pflicht- wie Zwangsarbeitsverhältnisse eingeführt. Zwangsarbeit betraf die Häftlinge
der Arbeitserziehungslager, Jüdinnen und
Juden sowie Sinti und Roma, später neben den nach Deutschland verschleppten
Kriegsgefangenen und ZivilistInnen auch
die Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete.
HistorikerInnen gehen von ca. 13 Millionen
zivilen ZwangsarbeiterInnen innerhalb der
Reichsgrenzen aus. Dazu kommen, über
die Kriegszeit verteilt, ca. 4,5 Millionen
Kriegsgefangene im Arbeitseinsatz, die
mehrheitlich französische und sowjetische Soldaten waren. Ab 1941 setzte man
jährlich ca. 1,3 Millionen Kriegsgefangene
ein. Die westeuropäischen und polnischen
Kriegsgefangenen wurden mit der Zeit in
den Zivilstatus überführt. Ausgenommen
waren die sowjetischen Kriegsgefangenen,
von mindesten 5,7 Millionen überlebten
über 3 Millionen die Gefangenschaft nicht.
1939 standen einer ausländischen Arbeitskraft ca. 130 deutsche gegenüber. Bis 1944
reduzierte sich dieses Verhältnis auf 1:4.
* Gekürzte und bearbeitete Fassung eines Beitrages für Sozial.Geschichte Online, Heft 15 / 2015.
duepublico.uni-duisburg-essen.de/go/sozial.geschichte-online
15
der Vernichtungslager transportierte jüdische KZ-Häftlinge wieder im Reichsgebiet ein.
1944 waren 3/4 aller ausländischen Arbeitskräfte zivile ZwangsarbeiterInnen, 1/4 bestand aus Kriegsgefangenen. Die Mehrheit
stellten die „Ostarbeiter“ aus der Sowjetunion (SU) und Polen, mit über 4,4 Millionen
(59 %). Die übrigen Arbeitskräfte kamen aus
Frankreich und anderen Ländern. Den größten weiblichen Anteil bildeten mit ca. 51%
Frauen aus der Sowjetunion. Im Argrarbereich war nahezu jede/r zweite Beschäftigte
ZwangsarbeiterIn. Im Bergbau, der Metallund Chemieindustrie, den Zentren der Rüstungsindustrie, betrug der Anteil ca. 30%.
Mit dem Angriff auf die Sowjetunion waren deutsche, zur Armee eingezogene Arbeitskräfte zu ersetzen. Aus rassistischen
Gründen wurde die an polnischen ZwangsarbeiterInnen erprobte Ausgrenzung für
zwangsrekrutierte Arbeitskräfte aus der
SU verschärft. Die KZ-Lager wandelten sich
zu einem Strafsystem für ZwangsarbeiterInnen. Die KZ-Häftlinge wurden ebenfalls
in der Produktion eingesetzt. Bereits Ende
1940 fand ein zuerst zögerlicher Einsatz
von KZ-Häftlingen in Unternehmen in den
KZ-Lagern statt. Ab Sommer 1942 genehmigte die SS, nach Unternehmensanfragen, die
KZ-Zwangsarbeit auch außerhalb der Lager.
Im Laufe des Jahres 1944 setzte die SS aufgrund des Arbeitskräftemangels in Richtung
Resultate der Ausbeutung von ZwangsarbeiterInnen
Veränderte staatlichen Lenkung und die Restrukturierung der Industrie ermöglichten
zwischen 1941 und 1944 eine Verdreifachung
der Rüstungsproduktion. Der millionenfache
Einsatz von Zwangsarbeit entfaltete weitere
wirtschaftliche Wirkung. ZwangsarbeiterInnen erhielten im Schnitt 50% niedrigere Löhne als deutsche Beschäftigte. Die eingesparten Löhne entsprachen ca. 20 Mrd. RM, die
zusätzlich investiert wurden. Nach Ende des
Krieges standen in den Industriebetrieben
16
trotz Bombardierungen und Demontagen
mehr und modernere Anlagen als vor dem
Krieg. Ein Teil des „Wirtschaftswunders“
Deutschlands resultiert aus der mit den vorenthaltenen Löhnen im Krieg finanzierten
Erneuerung der Kapitalbasis der deutschen
Industrie.
Zwangsarbeitsentschädigungen
Die vorenthaltenen Löhne betrugen 1999
geschätzte 114 Mrd. €, das entspricht rechnerisch ca. 7.500 € pro Zwangsarbeitskraft.
In Anbetracht dieser Schätzung fiel die Höhe
der von der Stiftung „Erinnerung Verantwortung und Zukunft“ zur Verfügung gestellten
Entschädigungssumme niedrig aus. Es wurden etwas über 4 Mrd. € ausgezahlt, bis zu
7.500 € an ehemalige KZ-Häftlinge und bis zu
2.500 € an ehemalige ZwangsarbeiterInnen.
Von ca. 13 Millionen ZwangsarbeiterInnen
lebten im Jahr 2000 noch ca. 2,7 Millionen.
Kriegsgefangene, Landarbeits-, Kommunal-,
und Kirchenarbeitskräfte sowie Dienstleistungsbeschäftigte blieben von einer
Entschädigung ausgeschlossen, außer sie
erlitten KZ-Haft. Von den im Jahre 2000 noch
lebenden ehemaligen ZwangsarbeiterInnen
blieben ca. 1,3 Millionen anspruchsberechtigte übrig.
Resümee
Ende 2012 weist das Bundesfinanzministerium Entschädigungsleistungen von ca. 70
Milliarden € aus. Der darin enthaltene Anteil
für die ZwangsarbeiterInnen entspricht ca.
3,5% aller Entschädigungsleistungen. Gelingt es nicht, nochmals eine internationale
Kampagne zu initiieren, die die Unzulänglichkeiten und offenen Fragen bezüglich der
bisher erfolgten Entschädigung klärt und
erweitert steht einer Schlussstrichpolitik
nichts im Wege.
17
ANTIFA
Erben der Antifaschistischen Aktion
Der deutsche Kommunist Hans Beimler
schrieb nach seiner abenteuerlichen Flucht
aus dem Konzentrationslager Dachau im Mai
1933, was er dort an Folterungen, Erniedrigungen, aber auch an Solidarität unter den
Häftlingen erlebte. Ihm ging es insbesondere
darum, zum Widerstand gegen die Nazidiktatur in Deutschland und im Ausland aufzurufen. Er sah die Machtergreifung der Nazis
vor allem in der Spaltung der Arbeiterklasse, aber auch der mangelnden Einheitsfront
aller antifaschistischen Kräfte begründet.
Seine Konsequenz war, bei allen politischen
Unterschieden, gemeinsam gegen den Faschismus mit allen zu kämpfen, die dazu bereit waren und sich dafür gewinnen ließen.
Damit war Beimler auch ein Verfechter der
am 10. Juli 1932 während des Reichseinheitskongresses in Berlin ausgerufenen Antifaschistischen Aktion. Für Hans Beimler war
die praktische Konsequenz, dass er zunächst
illegale Aufklärungs- und Bündnisarbeit von
Frankreich, der Tschechoslowakei und der
Schweiz aus leistete. Später ging er mit den
ersten Freiwilligen nach Spanien, um dort
mit den Internationalen Brigaden die Volksfront gegen Franco zu unterstützen. Am 1.
Dezember 1936 fiel Hans Beimler vor Madrid.
Das Vermächtnis ist der Grundgedanke einer
antifaschistischen Aktionseinheit im Kampf
gegen alte und neue Nazis. Zur Abwehr
neonazistischer Gefahren müssen breite
Bündnisse von den Arbeiterinnen und Arbeitern bis zu Unternehmerinnen und Unternehmern, von Atheisten bis zu Christinnen
und Christen, von sozialdemokratischen,
kommunistischen und gewerkschaftlichen
bis zu auch konservativen und liberaldemo-
18
kratischen Kräften usw. sein, die fähig und
entschlossen sind, gegen faschistische Ideologien und Strukturen zu kämpfen.
Dieses Vermächtnis speist sich für die radikale Linke genauso wie bei der Vereinigung
der Verfolgten des Naziregimes – Bund der
Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVNBdA) aus dem Schwur von Buchenwald:
“Die Vernichtung des Faschismus mit seinen
Wurzeln, der Aufbau einer neuen Welt des
Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.” Die
VVN-BdA ist dabei ein Zusammenschluss
(partei)politisch unterschiedlich orientierter und motivierter Personen. Sie eint der
Kampf – unabhängig davon wie dieser im
Detail verstanden wird – gegen (neo)nazistische Gruppen und deren ideologischen
Versatzstücke. Dabei sieht ein Teil der Mitgliedschaft diesen Kampf unabhängig vom
Kampf gegen den Kapitalismus.
So teilen sie möglicherweise noch Theodor
Adornos Sorge, dass „das Nachleben des
Nationalsozialismus in der Demokratie […]
potentiell bedrohlicher [ist] denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die
Demokratie“, die er 1980 in seinem Vortrag
„Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit?“ äußerte. Doch wollen viele nicht den
Schluss von Max Horkheimer ziehen: „Wer
vom Kapitalismus nicht reden will, soll über
den Faschismus schweigen.“
Konsequenter Antikapitalismus ist der
nachhaltigste Antifaschismus
Drei zentrale Bezugsgrößen waren und sind
identitätsstiftend für die Politik der radikalen Linken; sei es nun die radikale Linke, die
parlamentarische oder außerparlamentarische Linke, anarchistische, syndikalistische
oder kommunistische Linke: Antifaschismus, Antikapitalismus und Antirassismus.
Die Notwendigkeit antifaschistischer und
antirassistischer Arbeit ist offensichtlich.
Denn gerade im Zuge der deutschen Vereinigung 1990 fand im nationalistischen
Taumel eine Hetzkampagne von Politik
und Leitmedien gegen einen angeblichen
„Asylmissbrauch“ und gegen vermeintliche
„Sozialschmarotzer“ sowie eine herbei halluzinierte „Asylantenflut“ statt. Die Folge
waren 1992 pogromartige Ausschreitungen
in Rostock-Lichtenhagen. Ähnliche rassistische Angriffe hatte es bereits 1991 im sächsischen Hoyerswerda und im Mai 1992 in
Mannheim in Baden Württemberg gegeben.
Von 1990 bis 1992 verfünffachte sich die
Zahl rechter Straftaten auf mehr als 7.000.
Allein 1992 fielen mindestens 18 Menschen
rassistischen Angriffen zum Opfer. Dieser
Rassismus der Straße fand am 26. Mai 1993
seine gesetzliche Umsetzung, als sich CDU/
CSU, FDP und SPD 1992 als vormalige geistige Brandstifter/innen nun zum Erfüllungsgehilfen des rassistischen Mobs machten
19
und den sog. Asylkompromiss beschlossen
und damit faktisch das Recht auf Asyl abschafften. Drei Tage nach dem Beschluss
starben erneut fünf Menschen durch einen
rassistisch motivierten Brandanschlag auf
ein Haus in Solingen.
Seit 1990 sind nach Recherchen der MUT-Redaktion und des Opferfonds CURA der Amadeu Antonio Stiftung über 180 Menschen
durch Nazis sowie Rassistinnen und Rassisten ermordet worden. Zu ihnen gehören
auch 10 Opfer der Nazi-Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Über
13 Jahre konnten die drei NSU-Mitglieder
neun rassistisch motivierte Morde begehen, eine Polizistin töten und sich für zwei
schwere Bombenanschläge sowie ca. 14
Banküberfälle verantwortlich zeichnen.
Antifaschismus kommt aber aus radikal
linker Sicht an einer Auseinandersetzung
mit kapitalistischen Herrschaftsstrukturen nicht vorbei, will er sich nicht allein an
den Symptomen des gegenwärtigen gesellschaftlichen Rechtstrends abarbeiten. Antifaschistischer Kampf ist in dieser Hinsicht
der „Kampf ums Ganze“. Denn der „bürgerliche Antifaschismus“, der die bürgerlich-parlamentarische Demokratie verteidigen will,
bzw. einen „sozialen“ und „humanen“ Kapitalismus anstrebt, bietet selbstredend Ansatzpunkte zum gemeinsamen Kampf gegen
nazistische Bestrebungen. Doch Sozialstaat
beinhaltet eben nur die nationalstaatliche
Milderung der Auswirkungen des Zwangs-
verhältnisses der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, nicht seine Aufhebung.
Antifaschismus, der den Schwur von Buchenwald einlösen, d. h. den Nazismus mit
seinen Wurzeln beseitigen und eine neue
Welt des Friedens und der Freiheit aufbauen
will, muss daher in seiner weiterführenden
Perspektive den Kapitalismus angreifen. Er
muss antikapitalistisch sein, will er Grundwerte wie Emanzipation, ein Leben ohne
Ausbeutung, freie Entfaltung aller und gleiche Rechte für alle verwirklichen.
Kapitalismus braucht die Ausbeutung des
Menschen durch den Menschen. Die dem
kapitalistischen System immanente Konkur-
20
renzlogik trifft sich in diesem Punkt mit dem
Verständnis der Nazis von einem ständigen
Kampf ums Dasein, von der Einteilung in
Höher- und Minderwertige, vom Überleben
des Stärkeren. Sozialdarwinismus und Rassismus sind ideologische Übersetzer der
Verwertungslogik. Verdrängungsprozesse
im Zuge der Privatisierung öffentlicher
Räume, führen faktisch zu „No-Go-Areas“
für Obdachlose und Drogenabhängige.
Sichtbar Arme, Obdachlose und bettelnde
Menschen stören das Bild. Das gilt auch für
die öffentliche Debatte über „nützliche“ und
„unnütze“ Ausländer bzw. Migrantinnen und
Migranten. Die „unnützen“ Migrantinnen und
Migranten, wie viele Flüchtlinge, werden abgeschoben, oftmals in Hunger, Elend, Folter
oder gar in den Tod. Dass sich Nazis unter
einem Klima des Primats der Verwertbarkeit
häufig als verlängerter Arm und Vollstrecker
eines staatlichen Konzeptes der Verdrängung sehen, bzw. als solcher wahrgenommen werden, überrascht deshalb kaum.
Erst, wenn die Nazis sich als Bedrohung für
die „nützlichen“ Ausländerinnen und Ausländer oder für die „Standortkonkurrenz“ erweisen, bekommen sie dies zu spüren.
Versuch der Entsolidarisierung
Hinsichtlich antifaschistischer Aktivitäten
(Gegendemos, Blockaden von Nazi-Demos
etc.) zielt die Debatte als auch das staatliche Agieren vordergründig darauf ab, die
außerparlamentarische radikale Linke als
Bündnispartnerin und damit die antifaschistischen Bündnisse generell durch Ent-
solidarisierung und Distanzierung von- und
untereinander zu schwächen. Dabei ist die
Auseinandersetzung um Militanz das Einfallstor für die Frage, wer mit wem in antifaschistischen Bündnissen zusammenarbeiten darf. Staatsschutz, Verfassungsschutz
und andere Strafverfolgungsbehörden
nutzen ihre Möglichkeiten, konservative
Kräfte in Politik, Wirtschaft und Medien auf
ihre Weise dahingehend zu unterstützen,
einer engeren Zusammenarbeit zwischen
parlamentarischen Parteien und den außerparlamentarischen Linken gezielt entgegenzuwirken. Insbesondere die Etikettierung
als „verfassungsfeindlicher Extremismus“
soll links und rechts gleichgesetzt, der Widerstand gegen Nazis und gesellschaftliche
Ungleichheit mit der reaktionären Hetze von
NPD und Kameradschaften auf eine Stufe gestellt werden. Darüber hinaus geht es aber
auch um die Spaltung des Protestes der linken Kräfte in Gut und Böse.
Im Mittelpunkt stehen dabei Aktionsformen, die sich z.B. gegen Ämter, die mit
Hartz IV zu tun haben und deshalb mit Repression in Verbindung gesetzt werden;.
gegen Rüstungskonzerne, Bundeswehr und
Militärlogistiker wie DHL und Deutsche
Post AG, die mit weltweiten Kriegen (beide
für das US-Militär im Irak und auch für die
Bundeswehr in Afghanistan) oder die Deutsche Bahn mit Castortransporten assoziiert
werden, richten. Gerade in Großstädten wie
Berlin und Hamburg sind es aber auch Aktivitäten gegen Luxussanierungen und Fragen
21
der Stadtumgestaltung nach neoliberalen
Maßstäben, die zu Protesten führen.
Nicht entsolidarisieren (lassen)!
Für die radikale Linke ist die Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen gesellschaftlichen Akteuren wie der VVN-BdA
wesentlicher Teil der politischen Wirkungsmacht. Gerade in diesem Zusammenspiel
sowie der Vernetzung mit sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, Verbänden und
Vereinen, anderen antifaschistischen und
antirassistischen sowie antimilitaristischen
Gruppen ist entscheidend für die gesamtgesellschaftliche Kampagnenfähigkeit der
linken Kräfte. Natürliche Bündnispartner/
innen sind jene Menschen, die die Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse wollen, um den Kapitalismus zugunsten einer friedlichen, sozial gerechten und
solidarischen Gesellschaft zu überwinden;
einer Gesellschaft, in der im Sinne von Marx
„die freie Entwicklung jedes Einzelnen die
Bedingung für die freie Entwicklung aller“
ist. Darüber hinaus aber brauchen wir auch
ein Bündnis mit jenen Kräften, die innerhalb
der ihnen gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen den Kampf gegen Patriarchat,
Militarismus, Repression, Rassismus und
Antisemitismus führen wollen. Hier gibt es
mit der VVN-BdA und deren Mitgliedschaft
viele Berührungspunkte.
Klar ist: die radikale Linke und die VVN-BdA
haben eine eigene Logik des politischen
Handelns. Daraus resultieren auch sehr unterschiedliche Organisationskulturen und
Aktionsformen. Diese beinhalten jede für
sich spezifische Stärken, Schwächen und
Aufgaben. Trotz aller möglichen Widersprüche gibt es punktuell gemeinsame Interessen. Deren Zusammenwirken schafft die
Voraussetzung für ein effektives Agieren
gegen Neonazismus und Rassismus. Gegenseitige Akzeptanz und Anerkennung der
unterschiedlichen Ansprüche und Herangehensweisen an Politik ist hierbei Grundvoraussetzung für die Zusammenarbeit.
Wichtig ist, tatsächlich gesellschaftlich zu
intervenieren. Das bedeutet aber nicht, in
breiten Bündnissen Repräsentantinnen und
Repräsentanten der „gesellschaftlichen Mitte“ nicht mehr mit den Konsequenzen ihrer
eigenen Politik zu konfrontieren. Diese Politik muss auch weiterhin in Frage gestellt
werden. Bündnisse um der Bündnisse wegen darf es nicht geben. Ein gemeinsames
Agieren gegen Neonazismus und Rassismus
muss selbstverständlich auch das Bündnis
22
selbst zum Schauplatz gesellschaftlicher
Auseinandersetzungen machen. Wer was
wann politisch mitgetragen und beschlossen oder dagegen gestimmt bzw. eingesetzt
hat, muss thematisiert werden können. Das
geht natürlich oftmals nicht konfliktfrei; ja
brachten manch herbe Enttäuschung; auf
allen Seiten. Antifaschistische Politik bleibt
erfolglos, wo sie versucht, mit bürgerlichen
Kräften zusammen zu agieren und dafür
deren oftmals rassistischen und nationalistischen Argumentationen in den Bündnissen
ignoriert und sie somit gar mitträgt.
Immer wieder steht die VVN-BdA wegen ihrer Zusammenarbeit mit antifaschistischen
Gruppen wegen vermeintlicher Unterstützung „extremistischer“ Gruppierungen im
Fokus der Sicherheitsbehörden wie dem
Verfassungsschutz. Bestes Beispiel sind die
Aktivitäten rund um den 13. Februar 2010
in Dresden gegen den damals größten Naziaufmarsch Europas. Dort vereinnahmte die
Oberbürgermeisterin von Dresden, Helma
Orozs, im Zusammenspiel mit den Behörden
(einschließlich Polizei) im Handstreich den
Anti-Nazi-Protest und erklärte die von ihr
mitinitiierte Menschenkette zum einzig demokratischen Protest und einzig „würdige“
Form des Gedenkens. Den in diesem Sinne
„dialogbereiten“ respektive dem vermeintlich demokratischen Spektrum wurde entsprechend ein offenes Forum geschaffen.
Die anderen werden als „Gewaltbereite“ bzw.
1
www.zentralratdjuden.de/de/topic/70.html
„Militante“ kriminalisiert. Wer sich aus Sicht
der Konservativen und Sicherheitsbehörden
nicht hinreichend von diesen „Gewaltbereiten“ bzw. „Militanten“ distanziert sowie deren Kriminalisierung selbst bei Umgehung
propagierter rechtsstaatlicher Methoden
nicht mit trägt, wird selbst Ziel politischer
Anfeindungen. Der Generalsekretär des Zentralrats des Juden, Stephan J. Kramer, der
selbst an der Menschenkette teilgenommen
hat, sagte dagegen: „Hätten sich die Blockaden nicht als so erfolgreich erwiesen, hätte
auch die Menschenkette keinen Erfolg gehabt“. Auch Nora Goldenbogen, Vorsitzende
der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, würdigte die Aktivitäten des Bündnis ‚Nazifrei
- Dresden stellt sich quer‘. „Ohne sie hätten
wir unsere Aktion nicht durchziehen können.“1
Unabhängig also von der Frage, welche Vorgehensweise, im Detail der/die Einzelne und
die beteiligten Organisationen und Gruppen
richtig finden oder verwirklichen könnten,
muss es genau um diese Abstimmung des
Widerstandes und gegenseitige Akzeptanz
geben. Das heißt, dass sich die stattfindenden unterschiedlichen Protest- und Widerstandsformen solidarisch zueinander verhalten, konstruktiv ergänzen und sich im
Wechselspiel zu einem gemeinsamen Erfolg
verhelfen müssen.
23
KONSEQUENT GEGEN
NEONAZISMUS, NATIONALISMUS,
ANTISEMITISMUS, RASSISMUS
UND KRIEG
Solidarisch mit Geflüchteten und Opfern rassistischer Gewalt
Gestern…
Am 16./17. Januar 1948 wurde in den Räumen der Jüdischen Gemeinde zu Berlin die
Berliner Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes (VVN) gegründet. An der Gründungsversammlung nahmen Delegierte der
Naziopfer aller Berliner Stadtbezirke teil.
Sie verstanden sich als Repräsentant_innen
der Überlebenden des Holocausts, der antifaschistischen Widerstandskämpfer_innen,
der Verfolgten des Naziregimes, der Überlebenden der Zuchthäuser und Konzentrationslager, der antifaschistischen Exilant_innen.
Ihre Forderung lautete:
Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!
Die befreiten Häftlinge des KZ Buchenwald
brachten das Vermächtnis des Schwurs von
Buchenwald mit: Wir stellen den Kampf erst
ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den
Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des
Nazismus mit seinen Wurzeln unsere Losung.
Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und
der Freiheit ist unser Ziel!
Dass dieser Schwur vom 19. April 1945 bis
heute schmerzhaft aktuell bleiben würde,
hätte damals keiner der befreiten Häftlinge
geglaubt. So bleibt und ist er unser Leitmotiv.
… und heute
Heute ist die Berliner VVN-BdA einer der ältesten und mit etwa 700 Mitgliedern auch
die größte antifaschistische Organisation
Berlins. Beitreten kann jede/r, die/der unsere
Ziele teilt. Und das haben in den vergangenen
Jahren viele Menschen getan, von 18 bis 80.
Unsere Bundesorganisation hat deutschlandweit 7.000 Mitglieder. Die von uns initiierten
Kampagnen wie „NoNPD“ zum Verbot der
Neonazipartei NPD oder „Naziaufmärsche blockieren ist unser Recht“ und Veranstaltungen
24
wie unsere jährlichen Kundgebungen am 8.
Mai zum Tag der Befreiung vom Faschismus,
unser Fest zum „Tag des Sieges“ am 9. Mai
oder der „Tag der Mahnung, Erinnerung und
Begegnung“ im September, seit dem 9. September 1945 als Tag der Opfer des Faschismus
begangen, bringen das sonst stark fragmentierte antifaschistische Spektrum zusammen. Die VVN-BdA beteiligt sich bundesweit
nach Kräften an zahlreichen bundesweiten
und lokalen antifaschistischen Bündnissen
und Initiativen gegen Neonazi-Aufmärsche,
gegen rassistische Proteste vor Asylbewerberheimen und gegen islamfeindliche Hetze
von „Pegida“ „Pro Deutschland“ und ähnlichen
Gruppierungen. Solidarität mit Flüchtlingen
und Migrant_innen, die staatlichen Repressionen, rassistischen Sondergesetzen und
nicht selten Neonaziterror ausgesetzt sind,
ist ein unbedingtes Muss in unserer Organisation. Wir setzen uns für die Entschädigung
der Angehörigen von deutschen Massakern
in Italie, Griechenland und Frankreich sowie
von italienischen Zwangsarbeitern und sowjetischen Kriegsgefangenen ein. Wir sind
auch europaweit aktiv, als Mitglied der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer F.I.R haben wir zum Beispiel 2014 gegen
einen Aufmarsch von Waffen-SS-Veteranen in
Riga demonstriert.
Antifa*schismus - keine Frage des Alters
Bei uns treffen 14-jährige Schüler_innen
auf 90-jährige ehemalige antifaschistische
Emigrant_innen und Widerstandskämpfer_innen. Bei uns treffen sich auch die An-
gehörigen der „zweiten Generation“, also die
Nachkommen der Verfolgten und Widerstandskämpfer_innen. Hier diskutiert der
Enkel mit dem Opa und auch auf Demonstrationen und Blockaden gegen Neonazis stehen oder sitzen drei Generationen Schulter
an Schulter. Das ist manchmal anstrengend,
aber auch wunderschön. Gerade für viele der
älteren Mitglieder ist die VVN-BdA auch eine
politische Heimat mit gewachsenen persönlichen Beziehungsnetzen, in der praktische Solidarität gelebt wird. Der Berliner VVN-BdA ist
der generationsübergreifende Kontakt unter
den Antifaschist_innen besonders wichtig.
„Unser“ Antifaschismus – Einigkeit in Vielfalt
Die Berliner VVN-BdA vereint Antifaschist_innen aus Ost und West. Wir haben ganz unterschiedliche politische und persönliche
Biografien und kommen aus unterschiedlichen antifaschistischen Traditionslinien und
sozialen Bewegungen. Wir verstehen uns
ausdrücklich als partei- und strömungsübergreifende Organisation. Das führt zu mitunter anstrengenden aber immer interessanten
Diskussionen. Es eröffnet uns zugleich den
Zugang zu einem breiten gesellschaftlichen
Spektrum – und da wollen wir auch hin!
Um es mit den Worten des jüdischen kommunistischen Résistancekämpfers Peter Gingold
(8. März 1916 – 29. Oktober 2006) zu sagen:
„1933 wäre verhindert worden, wenn alle
Hitlergegner die Einheitsfront geschaffen hätten. (…) Heute haben wir alle diese Erfahrung,
heute muss jeder wissen, was Faschismus bedeutet. Für alle künftigen Generationen gibt
25
es keine Entschuldigung mehr, wenn sie den
Faschismus nicht verhindern.“
Wir treten für einen weiten Begriff von Verfolgung und Widerstand ein, der alle gesellschaftlichen Gruppen und Einzelpersonen
umfasst, die aus unterschiedlichen Gründen
zu Opfern des Nazi-Regimes wurden. Gerade
weil der VVN-BdA die als sogenannte „Zigeuner“ oder „Asoziale“ Verfolgten ebenso wichtig
sind wie die aus politischen oder religiösen
Gründen Verfolgten, die jüdischen Menschen
oder die Opfer der nazistischen Eroberungsund Vernichtungskriege, ist sie auch heute
besonders wachsam. Die in der Nazizeit wirksamen Ideologien und Ausgrenzungsmechanismen spielen noch heute eine Rolle. Dass
Antisemitismus – nicht nur in Deutschland
– wieder zu einer Meinung unter anderen
zu werden droht, bereitet uns große Sorgen.
…für Morgen:
Das antifaschistische Erbe weitertragen
Als größten Schatz betrachtet die Berliner
VVN-BdA die Erfahrungen der Verfolgten und
Widerstandskämpfer_innen in ihren Reihen
und ihrem Umfeld. Das Erbe von Verfolgung
und Widerstand hat aktuelle politische Gültigkeit, denn Ideologien der Ungleichwertigkeit, Ausgrenzung und Unterdrückung
bestehen auch heute noch und gewinnen
wieder an „Attraktivität“, wie nicht nur die
rassistischen „Pegida“-Demonstrationen zeigen. So sie noch leben, sind die ehemaligen
www.vvn-bda.de, www.berlin.vvn-bda.de, www.npd-verbot-jetzt.de
Nazi-Verfolgten keine bloßen Zeitzeug_innen,
sondern aktive Mitkämpfer_innen für unsere
Ideale und Ziele. Sie haben uns erklärt, was
es bedeutet, als Flüchtling leben zu müssen,
was es bedeutet, nicht mehr als Mensch betrachtet zu werden. Aber sie haben uns auch
nahegebracht, wie wichtig Solidarität und
Widerstand sind. Sie haben uns begleitet,
unterstützt und ermutigt. Wir werden unsere Kämpfe bald ohne sie führen und eigene
Worte und Wege finden müssen. Die VVN-BdA
versucht, ihre Stimmen auch für zukünftige
Zeiten einzufangen und immer wieder in die
gesellschaftlichen Debatten einzubringen,
zum Beispiel durch Zeitzeug_innen-Gespräche, Veranstaltungen und Ausstellungen. In
einer Zeit, in der das Erinnern und Gedenken
an die Zeit des Nazismus nur zu häufig im Interesse staatlicher und nationaler Image-Pflege betrieben wird, sieht sich die VVN-BdA in
der Pflicht zur Mahnung und Aufklärung. Die
Berliner VVN-BdA tritt energisch gegen jede
Verfälschung der Geschichte ein, insbesondere gegen Versuche, bestimmte Gruppen von
Verfolgten und Widerständigen abzuwerten und in Vergessenheit geraten zu lassen.
Und nicht zuletzt wendet sich die VVN-BdA
energisch gegen alle Versuche, Faschismus und Nazismus mit dem Sozialismus
gleichzusetzen und so zu verharmlosen.
Faschismus ist keine Meinung,
sondern ein Verbrechen!
26
DIE BUNDESREGIERUNG
INSTRUMENTALISIERT DEN 70.
JAHRESTAG GEGEN RUSSLAND
Bundesregierung will Nazi-Kollaborateure
nicht verurteilen
Im Dezember 2014 verabschiedete die
UN-Vollversammlung mit großer Mehrheit
eine Resolution zur Bekämpfung der Glorifizierung des Nazismus. In 48 Punkten wurde
darin unter anderem vorbehaltlos die Leugnung des Holocausts verurteilt und eine
tiefe Besorgnis über die Verherrlichung des
Nazismus ausgedrückt. Für den Resolutionsentwurf stimmten 115 Staaten, 54 weitere
Staaten (darunter alle EU-Staaten) enthielten sich. Die USA, Kanada und die Ukraine
stimmten sogar dagegen. Die ukrainische
Ablehnung wurde damit gerechtfertigt, dass
der Stalinismus auch viele Menschen im Gulag getötet habe und sowohl Hitler als auch
Stalin Kriminelle seien. Deswegen dürfte
nicht nur die Verherrlichung des Nazismus
kritisiert werden.
70 Jahre nach der Befreiung erklärt die Bun-
desregierung also die Verherrlichung von
Angehörigen der Waffen-SS und Kämpfern
gegen die Anti-Hitler-Koalition für unbedenklich. Die Kollaboration mit den Nazi ist
offenkundig kein Problem, solange die Betreffenden nicht in Kriegsverbrechen und
Verbrechen gegen die Menschlichkeit involviert waren. Das wird aus der Antwort der
Bundesregierung auf eine Anfrage der Abgeordneten Dagdelen von der Linksfraktion im
Bundestag deutlich (Bundestagsdrucksache
18/3779). Damit stellt sich die Bundesregierung schützend vor Nazi-Kollaborateure und
Partnerländer wie Ungarn, die baltischen
Staaten und auch die Ukraine. Denn in diesen wird das Andenken an die Opfer des
Nazismus durch die Errichtung von Denk-
27
und Ehrenmälern und die Veranstaltung öffentlicher Demonstrationen von ehemaligen
Mitgliedern der SS beschmutzt. Gleiches
geschieht auch durch die Verklärung derer,
die gegen die Anti-Hitler-Koalition kämpften
und mit der nationalsozialistischen Bewegung kollaborierten (wie z.B. Angehörige der
SS-Division Galizien, 15. Waffen-Grenadier-Division der SS (lettische Nr.1), Sonderkommando Arajs, 20. Waffen-Grenadier-Division der
SS (estnische Nr. 1) etc.) zu „Mitwirkenden
nationaler Befreiungsbewegungen“.
Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise und
der anti-russischen Hetze werden gezielt
Nazi-Kollaborateure und ihr Kampf gegen
die Rote Armee politisch instrumentalisiert,
um ihren „patriotischen“ Kampf gegen die
Sowjetunion mit dem jetzigen Kampf gegen
Russland zu verbinden. Wenig verwunderlich, wenn die Bundesregierung den zunehmenden geschichtsrevisionistischen Kult
um Stepan Bandera sowie die „Organisation
Ukrainischer Nationalisten“ (OUN) und die
„Ukrainische Aufständische Armee“ (UPA)
akzeptiert. Schließlich sind in der verbündeten ukrainischen Führung extreme Rechte
vertreten, die Anhänger von Bandera oder
der UPA sind oder sich in deren Stil äußern.
So beschimpfte der ukrainische Regierungschef Jazenjuk seine Gegner im Bürgerkrieg
als „subhumans“ („Untermenschen“) und
erweckte im deutschen Fernsehen den Anschein, dass nicht Hitlerdeutschland die
Sowjetunion überfallen habe, sondern das
Opfer gewesen sei.
70. Jahrestag der Befreiung ist der Bundesregierung egal
Die Bundesregierung stellt sich aber nicht
nur schützend vor ihre Verbündeten und
Nazi-Kollaborateure. Sie instrumentalisiert
die Krise mit Russland, um das Gedenken an
die Sieger über den deutschen Zivilisationsbruch zu entsorgen. Während sie im letzten
Jahr noch mit einigem Tamtam den 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges
beging (BT-Drucksache 18/686), fällt der 70.
Jahrestag der Befreiung vom Nazismus bei
ihr ins bundespolitische Nirwana. Sie verweigert damit vor allem den Angehörigen
der Roten Armee ein ehrendes und würdiges
Gedenken. Denn sie war es, die dem Morden
in Auschwitz ein Ende gesetzt und mit enormen Opfern wesentlich zur Niederlage der
Nazi-Diktatur beigetragen hat. Doch weder
im In- noch im Ausland plant die Bundesregierung irgend welche eigenen Aktivitäten.
Das ist ein offener Affront gegen die noch
lebenden und für die Freiheit gefallenen Befreier_innen.
Diese Ignoranz insbesondere gegenüber
Russland als Rechtsnachfolger der Sowjetunion ist besonders deutlich im Streit um die
Einladung des ukrainischen Präsidenten Poroschenko und der faktischen Ausladung des
russischen Präsidenten Putin geworden. Zu
dieser Ungeheuerlichkeit stellte der Direktor
des Jerusalemer Büros des Otto-Wiesenthal-Instituts, Ephraim Zuroff, fest, dass „es
die Rote Armee gewesen sei, die dem Morden
in Auschwitz ein Ende gesetzt und mit enor-
28
men Opfern wesentlich zur Niederlage des
Dritten Reichs beigetragen habe“ und, „wenn
es jemand verdiene, an den Feierlichkeiten
teilzunehmen, dann Putin“. Ähnlich äußerte
sich der Vizepräsident des Internationalen
Dachau-Komitees (CID).
zusätzlich zum Weltflüchtlingstag noch einen nationalen Gedenktag einführt, der der
Flucht und Vertreibung der Deutschen gedenkt. Gemeint sind dabei insbesondere die
„deutschen Vertriebenen“ nach dem „Potsdamer Abkommen“.
Wenig verwunderlich ist, dass die Bundesregierung zusätzlich zum Tag des Gedenkens
an die Opfer des Nationalsozialismus am 27.
Januar, den 8. Mai nicht als Feier- und Gedenktag an die Befreier_innen einführen will.
Ihr Geschichtsverständnis zeigt die deutsche
Regierung lieber, in dem sie
Wir verurteilen jedwede Form der Verherrlichung des Nazismus unmissverständlich.
Dazu gehört auch die Nazi-Kollaboration, die
den rassistischen Massenmord und Vernichtungskrieg mit möglich gemacht hat. Unser
Dank gilt jenen, die die Menschheit vom Nazismus befreit haben.
9. MAI - TAG DES SIEGES
Fest zum 70. Jahrestag des Sieges über den deutschen Faschismus
S-BAHNHOF TREPTOWER PARK
PUS
CHK
INA
LLE
E
ATZ
PARKPNLGARTEN
ROSE
Musik: Internationale Musikgruppe Impuls Gropiusstadt / Trio Dawaj Walaj
Trio Scho? / MirMix Orchestra / Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot / Polkageist /
Zeitzeug_innen / Führung zum Ehrenmal / Russische Küche
Kinderspiele / Informations- und Bücherstände
11 Uhr Parkplatz Treptower Park an der Puschkinallee (Rosengarten)
in der Nähe des Sowjetischen Ehrenmals
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