Broschüre - Lehrstuhl für Altorientalistik

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ALTORIENTALISTIK
Inhalt
Adresse und Kontakt ........................................................ 4
Altorientalistik in Würzburg .............................................. 5
Faszination Alter Orient: Das Studium der Altorientalistik
und seine Rolle im Konzert Altertumswissenschaften ....... 6
Bildnachweise ............................................................... 21
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Adresse und Kontakt
Institut für Altertumswissenschaften
Lehrstuhl für Altorientalistik
Residenzplatz 2, Tor A, 97070 Würzburg
http://www.altorientalistik.uni-wuerzburg.de
Telefon: (+49)-(0)931-31-86470
Fax: (+49)-(0)931-31-82674
Email: [email protected]
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Altorientalistik in Würzburg
Die Altorientalistik gehört zu den „Kleinen Fächern“.
„Klein“ bezieht sich dabei auf die meist geringe Zahl der
Hauptfachstudenten, nicht auf den Umfang des Inhalts
dieser Fächer, der im Gegenteil meist sehr groß ist.
Dies hat den Vorteil, dass der Unterricht in kleinen Gruppen
stattfindet und dadurch eine flexible Gestaltung der Seminare je nach den Interessen und Studienbedürfnissen der
Teilnehmenden möglich ist. Zusätzlicher Unterricht insbesondere für ausländische Stipendiaten mit speziellen Interessen gehört zu den Angeboten des Instituts. Die konzentrierte Arbeit in Kleingruppen, das enge Miteinander von
Studierenden verschiedener Semester und die Möglichkeit
einer individuellen Studienplanung erlauben ein zügiges,
intensives und erfolgsorientiertes Studium.
Trotz des zunehmenden Einsatzes elektronischer Medien
bildet die Institutsbibliothek nach wie vor das wichtigste
Arbeitsinstrument in Studium und Forschung; sie ist der
Mittelpunkt des Institutslebens. Die Bibliothek des Würzburger Lehrstuhls, die über 18.000 Bände beherbergt,
erlaubt den unmittelbaren Zugriff auf die allermeisten in
der altorientalistischen Forschung benötigten Werke und
auf alle für das Studium wichtigen Bücher.
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Faszination Alter Orient
Das Studium der Altorientalistik und seine Rolle
im Konzert der Altertumswissenschaften
1. Fragte man nach den prägenden Kennzeichen unserer
eigenen Gegenwart, so würden die rapiden Fortschritte im
Bereich der Datenspeicherung und Datenübertragung sicher in jeder Antwort genannt; und bei näherem Hinsehen
würde man wohl feststellen müssen, dass die meisten anderen zukunftsweisenden Innovationen, die unsere eigene
Lebenswirklichkeit von derjenigen vorausgehender Jahrzehnte abheben, in der einen oder anderen Weise auf den
gewaltigen Veränderungen in der Informationstechnik
basieren. Diese Veränderungen betreffen nicht nur wissenschaftliche Institute und ihre Arbeit: vielmehr kann nahezu
jeder mit Hilfe eines einfachen PC auf riesige Mengen gespeicherter Daten zurückgreifen und sich zudem über das
gewonnene Wissen auch noch weltweit mit Anderen in kürzester Zeit austauschen.
Der Einfluss der Informationstechnologien auf die Lebenswirklichkeit der meisten Menschen ist heute so groß, dass
man für unsere Gegenwart den Begriff „Informationsgesellschaft“ – oder optimistischer: „Wissensgesellschaft“ –
geprägt hat. Dieser Begriff will natürlich nicht nur einen
gegenwärtigen Zustand beschreiben. Er kennzeichnet zugleich ein zukünftiges Ideal, dem wir alle freudig-skeptisch
gespannt entgegensehen und -streben. Dass die Universitäten, die ihrer Definition nach Orte der Informations- und
Wissenserschließung sind, dabei mit voranschreiten und
die neuen Technologien in ihrer Arbeit nutzen und weiterentwickeln, versteht sich von selbst.
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2. Weniger selbstverständlich mag vielen erscheinen, dass
innerhalb dieser Universität Forschende und Studierende
arbeiten, die ihre ganze Aufmerksamkeit nicht den Gestaltungs- und Anwendungsmöglichkeiten dieser Zukunftstechnologien widmen, sondern – scheinbar umgekehrt –
den Blick in die ferne Vergangenheit richten. Ihr Forschen
und Studieren im Rahmen der sogenannten Altertumswissenschaften zielt darauf, Epochen der Menschheitsgeschichte zu erhellen, die so weit zurückliegen, dass sie
beim besten Willen nicht als unmittelbare Voraussetzung
der gegenwärtigen Situation verstanden werden können
oder gar tagespolitische Relevanz besitzen.
Die alten, vorgriechischen Kulturen des Vorderen Orients
beispielsweise waren vor ihrer Wiederentdeckung um die
Mitte des 19. Jahrhunderts zwar nicht ganz und gar vergessen; sie gehörten aber doch in den Bereich des Sagenhaften, weil Informationen über sie nur indirekt und verzerrt in
biblischen Schriften und bei klassischen Autoren überkommen waren. – Hätte man es dabei nicht belassen können?
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Man sollte diese Frage nicht vorschnell, ohne genauere
Kenntnis des Gegenstandes beantworten. Was versteht
man eigentlich unter „Alter Orient“? Wo beginnt er, wo hört
er auf? Was lässt uns überhaupt von dem Alten Orient
sprechen? Gibt es prägende, gemeinsame Besonderheiten
dieses Kulturraums und mit welchen Methoden werden sie
erforscht? Und schließlich: Warum ist all dies vielleicht
doch von erheblicher Bedeutung für unsere eigene Kultur,
und wie bereichern dieses und verwandte Fächer unsere
Universität?
3. Als der Mazedone Alexander der Große im Jahr 331 v. Chr.
nach seinem entscheidenden Sieg über die Perser in Babylon als neuer Herrscher Babyloniens, also des heutigen
Südirak, begrüßt wurde, traf er auf eine selbstbewusste,
von alters bestehende einheimische Kultur. Anders als uns
die griechischen Historiker glauben machen wollen, bejubelte man in Babylon den aus dem Westen kommenden
Welteneroberer keineswegs als Befreier vom Joch persischer Unterdrückung.
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Vielmehr veranlasste man – ganz im Gegenteil – diesen
neuen Herrscher dazu, sich den babylonischen Gebräuchen
und Denkweisen anzupassen, wie es vor ihm auch schon
die persischen Könige getan hatten. Wie es sich für einen
altorientalischen Herrscher gehört, ordnete Alexander umfangreiche Bauprojekte in der babylonischen Königsstadt
an. Das wichtigste unter ihnen war die Renovierung des
Haupttempels der Stadt, nämlich das Heiligtum des Gottes
Marduk.
Der zu diesem Heiligtum gehörende, hoch in den Himmel
ragende Tempelturm, der den Zeremonialnamen „Fundament von Himmel und Erde“ trug, inspirierte Exilanten aus
dem palästinischen Juda zu einer Erzählung, die als „Der
Turmbau zu Babel“ in das Alte Testament einging und so
diesem berühmtesten altorientalischen Tempel einen
festen Platz im kollektiven Bewusstsein der europäischen
Kultur verschaffte. Dass heute von diesem grandiosen Turm
nur noch ein Lehmziegelkern und mit Grundwasser gefüllte
Fundamentgruben zu sehen sind, verdanken wir – neben
späteren Ziegelräubern – eben Alexander dem Großen: Er
ließ große Teile des Ziegelwerks abtragen, um dann den
Turm in neuer Pracht erstrahlen zu lassen. Sein Tod im Jahr
323 machte solche Pläne jedoch zunichte.
Auch unter der Herrschaft der Nachfolger Alexanders war
die babylonische Elite bemüht, die griechischen Herrscher
– wie zuvor Alexander selbst – als Förderer ihrer Kultur zu
gewinnen: Ein pseudo-prophetischer Text, in babylonischer
Sprache und Keilschrift verfasst, preist wohl Seleukos I. als
den kommenden Heilsherrscher von Babylon, der in einer
Reihe mit den ihm vorausgehenden altorientalischen Herrschern betrachtet wird; diese im Stil einer Chronik verfasste
Prophetie ist übrigens literarisch eng verwandt mit der
bekannten Prophetie über die Abfolge der Weltreiche im
biblischen Buch Daniel.
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Ein weiteres Beispiel: Ein Priester des Marduk-Tempels,
dessen babylonischer Name in der griechischen Form
Berossos bekannt ist, führt dem Nachfolger des Seleukos,
Antiochos I., Würde und Wert der babylonischen Kultur vor
Augen. In einer einzigartigen Komposition, die er in griechischer Sprache verfasst, schildert er die Geschichte und die
kulturellen Errungenschaften Babyloniens nach den zahllosen keilschriftlich geschriebenen babylonischen Quellen
seiner Tempelbibliothek, die unter anderem auch von der
Flut berichteten, die einst die Menschheit nach dem Willen
der Götter vernichten sollte.
Diese „Sintflut“ aber steht nach Berossos nicht am Anfang
der Geschichte Babyloniens: am Anfang der Geschichte
steht vielmehr die Übergabe der grundlegenden Kulturtechniken – wie etwa Schreibkunst und Städtebau – an die
Menschen durch fischgestaltige Mittlerwesen, die Enki, der
Gott der Weisheit, von seinem Wohnort im unterirdischen
Ozean zu den Menschen sandte: Der Ursprung menschlicher Kultur und Technologie in Babylonien. War Berossos
nur ein patriotischer Speichellecker?
4. Ein erster Blick auf eine historische Karte des Alten
Orients oder auf eine tabellarische Übersicht über die
3000-jährige altorientalische Geschichte kann auch wohlwollende Gemüter dauerhaft abschrecken. Dem Betrachter
zeigt sich eine verwirrende Vielfalt von Landschaften, Ethnien, Sprachen und Epochen: Sumerer, Babylonier, Assyrer,
Elamier, Lullubäer, Hurriter, Ugariter, Hethiter, Aramäer,
Araber und viele andere verteilen sich zu verschiedenen
Zeiten auf verschiedene historische Landschaften und haben ihre je eigene Kultur ausgeprägt. Die meisten Protagonisten tragen so unaussprechlichen Namen wie Suppiluliuma oder Iri-ʾinimgina; und wenn man sich einen von ihnen
einmal eingeprägt hat, kann man sicher sein, dass einem
binnen kurzem mitgeteilt wird, die verwendete Lesung des
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Namens sei inzwischen überholt und jener Iri-ʾinimgina
heiße eigentlich doch Urukagina.
Vertieft man sich aber etwas mehr in die altorientalische
Geschichte, werden rasch grobe Strukturen erkennbar: Zu
Beginn das dritte vorchristliche Jahrtausend, das in Mesopotamien von zwei Bevölkerungsgruppen geprägt ist: Von
den im Süden Babyloniens siedelnden Sumerern, deren
Sprache, das Sumerische, mit keiner anderen bekannten
Sprache verwandt ist, auf der einen Seite; und auf der
anderen Seite von den in Nordbabylonien und den im
Norden und Westen angrenzenden Gebieten siedelnden
Akkadern, die eine semitische Sprache sprechen, die wir
Akkadisch nennen und nach dem nördlichen und südlichen
Hauptdialekt in das Assyrische und das Babylonische
aufteilen.
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Mit den Sumerern verbindet man vor allem die erste große
Blüte der babylonischen Hochkultur zu Beginn des 3. Jahrtausends in Städten wie dem südbabylonischen Uruk; und
auch die nachfolgenden Jahrhunderte, während derer sich
verschiedene sumerisch geprägte städtische Zentren Südbabyloniens die Herrschaft über das Land in mehr oder
minder friedlichem Zusammenleben teilten. Besonders die
erste Hälfte des 3. Jahrtausend lag auch für die späteren
Bewohner des Alten Orients in grauer Vorzeit; Herrscher
dieser Zeit, wie Lugalbanda oder Gilgamesch von Uruk
wurden rasch von vergöttlichten Ahnen zu den wichtigsten
Heroen und Göttern der babylonischen Mythen und Epen.
Die zweite Hälfte des dritten Jahrtausends ist von einem
tiefen Einschnitt geprägt: Eine akkadische Dynastie, die in
der nordbabylonischen Stadt Akkade ansässig ist, kann
den sumerisch geprägten Süden unterwerfen und darüber
hinaus ihren Einfluss über ganz Mesopotamien und bis
nach Syrien ausdehnen: zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte entsteht ein großer Territorialstaat, der den
Anspruch erhebt, ein Weltreich zu sein. In Babylonien
selbst entfaltet sich nun voll und ganz ein Phänomen, das
vom Beginn des 3. Jahrtausends bis zum Ende der altorientalischen Zeit das typische Kennzeichen babylonischer
Kultur ist: die sumerisch-akkadische Zweisprachigkeit. Um
die Herrscher dieser Dynastie von Akkade ranken sich bald
Legenden; so wird vom Begründer der Dynastie, einem
gewissen Sargon, erzählt, seine Mutter habe ihn heimlich
zur Welt bringen müssen und in einem Schilfrohrkörbchen
auf dem Fluss ausgesetzt – auch dies ein babylonisches
Erzählmotiv, das in der Geburtsgeschichte des Mose Eingang in das Alte Testament gefunden hat.
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Es ist hier nicht der Ort, die altorientalische Geschichte in
ihrer bunten Vielfalt weiter darzulegen. Zu sprechen wäre
davon, wie nach einer kurzen Renaissance um die Jahrtausendwende das Sumerische als gesprochene Sprache ausstirbt und eine neue Herrschaftsschicht, die wir Amurriter
nennen und deren berühmtester Vertreter Hammurapi von
Babylon ist, wie diese neue Herrschaftsschicht dem Akkadischen endgültig zum Siegeszug verhilft. Es wäre davon zu
sprechen, wie sich zu dieser Zeit, in der ersten Hälfte des 2.
Jahrtausends, auch im Nordirak, also in Assyrien, erstmals
ein Großreich etabliert, das in Verarbeitung babylonischer
Vorbilder eine ganz eigene assyrische Kultur hervorbringt.
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Wir müssten die vielfältige Staatenwelt in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends schildern, von Kriegen und diplomatischen Missionen zwischen Ägypten, den anatolischen
Hethitern, syrischen Kleinstaaten, dem mächtigen Hurriterreich Mittani in Obermesopotamien, zwischen Assyrien und
Babylonien handeln. Schließlich würden wir uns dem
ersten Jahrtausend zuwenden, hätten über die Konkurrenz
zwischen assyrischen und babylonischen Herrschern zu
sprechen, deren Namen manchen von uns aus dem
Religionsunterricht als Inbegriff von Grausamkeit und
Aberglaube vertraut sind: Der metzelnde Sanherib, der
fehlgeleitete Nebukadnezzar. Und schließlich kämen wir
zurück zu Kyros, den Persern und Alexander dem Großen.
Aber ich möchte mich nicht in Einzelheiten verlieren,
sondern vielmehr fragen: Was macht all dies zum „Alten
Orient“, zu einem Großkulturraum, zu einer Disziplin?
5. Die Schwemmebene der Flüsse Euphrat und Tigris im
heutigen Südirak bot im 4. Jahrtausend v. Chr. Raum für
neue Ansiedlungen, für eine intensive Landwirtschaft, für
ein starkes Bevölkerungswachstum. Überflussproduktion,
Arbeitsteilung und die durch den zunehmenden Wassermangel bedingte Arbeitsorganisation ließen städtische
Zentren und eine differenzierte Siedlungshierarchie entstehen.
Die wirtschaftliche Notwendigkeit, über weitere Strecken zu
kommunizieren und zahllose Informationen objektiv, unabhängig vom Gedächtnis eines Individuums, zu speichern,
führen zu einer technologischen Revolution: Man schreibt.
Was am Anfang in feuchten Ton geritzte Bildzeichen für
einzelne Gegenstände sind, entwickelt sich schnell zu einer
Schrift mit abstrakten Zeichenformen, die für Silben oder
Wörter stehen; die typische Form dieser Keilschrift entsteht
dadurch, dass man einen scharfkantigen Rohrgriffel in
feuchten Ton eindrückt.
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Nun bleibt die Schrift als Kommunikationsmedium nicht
auf das Wirtschaftsleben und auch nicht auf die sumerische Sprache begrenzt. Die Akkader adaptieren dieselbe
Schrift für ihre semitische Sprache; und im Rahmen der
Schreiberausbildung entstehen Wörterbücher, Wort-,
Namen- und Zeichenlisten mit enzyklopädischen Anspruch,
Mythen, Epen und andere Literaturwerke werden niedergeschrieben, man übersetzt, fertigt Rechentabellen an,
schreibt medizinische Rezepturen nieder und vieles mehr.
Als das Sumerische als gesprochene Sprache ausstirbt,
werden Texte und Grammatik der altehrwürdigen Sprache
systematisch schriftlich fixiert und so für die eigene Kultur
bewahrt; die Zweisprachigkeit lebt trotz des Ausscheidens
einer Sprache aus dem gesprochenen Diskurs fort – eine
Leistung, die derjenigen der europäischen Gelehrten des
Humanismus durchaus gleichkommt.
Doch die Keilschrift bleibt nicht auf das Sumerische und
Akkadische beschränkt: nach und nach beginnt der gesamte Vordere Orient in dieser einen Schrift zu schreiben: Elamisch, Hurritisch, Hethitisch, Luwisch, Hattisch, Palaisch
und Urartäisch werden mit der babylonisch-assyrischen
Keilschrift geschrieben; für das Ugaritische und das Altpersische werden eigene Typen der Keilschrift entwickelt.
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Mit der Schrift und dem babylonischen Ausbildungs- und
Bildungssystem verbreiten sich aber auch die akkadische
Sprache und die babylonisch-assyrische Kultur über den
gesamten Orient. Schreibt der ägyptische Pharao dem hethitischen Herrscher in Anatolien einen Brief, so verwendet
er in aller Regel die babylonische Keilschrift und die akkadische Sprache. Dasselbe gilt mutatis mutandis für alles
internationale Kommunizieren im 2. vorchristlichen Jahrtausend; und so etabliert sich das Akkadische als eine
erste lingua franca im Vorderen Orient.
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Damit einher gehen zahllose Phänomene des Kultur- und
Sprachkontakts, der Akkulturation und des Technologietransfers. Benötigt man einen medizinischen Experten am
hethitischen Hof, so schreibt man nach Assur oder Babylon, woraufhin der dortige Herrscher Spezialisten ins ferne
Anatolien sendet, deren Handbücher – mit Keilschrift beschriebene Tontafeln – man heute in der Hethiterhauptstadt wiederfindet. Maßloses Zutrauen hatten die Hethiter
in die Heilkunst ägyptischer Ärzte. Freilich musste der Pharao dem anatolischen König einmal dann doch mitteilen,
dass selbst ägyptische Medizin einer Frau in weit fortgeschrittenem Alter nicht zu einer Schwangerschaft verhelfen
könne.
Es blieb aber nicht bei einem Kommunikations- und Konservierungsmedium, bei kanonisiertem Bildungssystem,
lingua franca, Kulturkontakt und Technologietransfer. Einer
der vor allem als grausame Kriegsherren bekannten neuassyrischen Könige, sein Name ist Assurbanipal, führte die
alte babylonische Vorstellung, dass der Herrscher sich
nicht nur als Kriegsherr und gerechter Richter auszeichnet,
sondern zugleich auch der gelehrteste Mann seines Landes
ist, zu neuer Blüte.
Assurbanipal verfolgte das ehrgeizige Ziel, in seiner Hauptstadt Ninive eine Bibliothek zu schaffen, die alles Wissen
seiner Zeit, damit besonders aber auch das älteste, besonders wertvolle, der Weisheit der Götter nahestehende
Wissen, in einem einzigen Gebäude versammelt. Assurbanipal sandte Gelehrte aus, die wichtige Texte sammeln
sollten. Was 2500 Jahre früher als Kommunikations- und
Speichermedium von gebildeten Verwaltungsexperten
begann, gipfelt nun im Projekt einer universalen Datenbank
zur babylonisch-assyrischen Kultur in Keilschrift. Dem modernen Betrachter mutet diese Bibliothek wie ein Denkmal
des Alten Orients als Epoche der Keilschriftkulturen an.
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6. All dies ist faszinierend und wird um so interessanter, je
mehr man sich damit beschäftigt. Doch mancher mag einwenden, dies sei ja nun seit 3000 Jahren vorbei und vergessen, und man könne wohl verstehen, dass der ein oder
andere sich mit solch abseitigen Dingen beschäftige, aber
ein wichtiger – oder gar notwendiger – Beitrag für unsere
gegenwärtige Gesellschaft könne auf diesem Gebiet gewiss
nicht geleistet werden. Warum lohnt es sich, hethitische
Texte mit modernster Technik „online“ zu edieren und
Tontafeln dreidimensional im Internet zugänglich machen,
wie es am Würzburger Institut geschieht?
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Dient solch ein Unternehmen etwa der Völkerverständigung? Das Verhältnis zwischen Deutschland, deutschen
Universitäten und den modernen Staaten des Nahen
Ostens ist natürlich nicht der Gegenstand der Altorientalistik. Trotzdem führt das Bemühen um die antike Kultur
dieses Raums zu vielfältigen Kontakten und Kooperationen.
Besonders aber zeigt es den heutigen Bewohnern der Region eine Wertschätzung ihrer Geschichte und Kultur, die
eine der wesentlichen Grundlagen bildet für eine Verbesserung der Verständigung, die immer noch zutiefst von
westlichem Überlegenheitsgefühl geprägt ist.
Aber das ist nur ein Nebenprodukt altorientalistischen Forschens. Im Kern geht es um das humane Interesse an der
eigenen Herkunft: So wie wir einen Satz ohne seinen Kontext missverstehen, so wie wir das Naturell eines Menschen
erst dann richtig einschätzen lernen, wenn wir ihn näher
kennen, also seine „Geschichte“ kennen, genauso können
wir unmöglich unsere eigene Kultur verstehen lernen, ohne
ihre Herkunft und Entwicklung zu erforschen. Der Alte
Orient aber war eine der prägenden und entscheidenden
Etappen auf dem Weg zur Informationsgesellschaft der
Gegenwart; wesentliche Voraussetzungen und Innovationen sind dort entstanden, viele grundlegende Phänomene
menschlichen Lebens lassen sich dort das erste Mal beobachten.
Abschied nehmen sollten wir allerdings von einem zu eng
gefassten „Aus der Geschichte Lernen“, das die Vergangenheit als eine Kette mehr oder weniger exemplarischer Ereignisse versteht, aus denen unmittelbare Handlungsanweisungen abgeleitet werden können. Um so wichtiger aber
wird in einer Zeit, in der Religionen und Ideologien ihre Bindekraft verloren haben, das Bewusstsein für die Relativität
und vielfältigen Bedingtheiten der menschlichen Existenz
wach zu halten; und eines der wichtigsten Mittel dazu ist
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die Begegnung mit dem Fremden, das doch in vieler Hinsicht das Eigene ist, eben mit der Vergangenheit.
Inhuman wird eine Kultur, die sich selbst absolut setzt, die
ihren eigenen Kontext vergisst. Dagegen zu wirken, ist im
weitesten Sinne Aufgabe der Altertumswissenschaften, und
darunter der Altorientalistik, eines noch jungen, lebendigen
Fachs, das in Deutschland von weltweit führenden Wissenschaftlern an kleinen, flexiblen Instituten gelehrt wird, die
jedem, der möchte, ein intensives, zielgerichtetes Studieren ermöglichen.
Daniel Schwemer
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Bildnachweise
Umschlag vorne: A. Caubet – M. Bernus-Taylor, The Louvre. Near Eastern
Antiquities, Paris 1991, 60. – S. 3: M. Mallowan – L. G. Davies, Ivories in
Assyrian Style, London 1970, fig. 85. – S. 5: W. Andrae, Das wiedererstandene Assur, 2. Aufl. München 1977, 54. – S. 6: ibid., 59. – S. 9: C. L.
Wooley, Ur Excavations II: The Royal Cemetery, London 1934, pl. 30. – S.
11: R. M. Czichon, Die Gestaltungsprinzipien der neuassyrischen Flachbildkunst, München – Wien 1992, Tf. 32 (Zeichnung: C. Wolff). – S. 13: R.
K. Englund, Proto-Cuneiform Texts from Diverse Collections, Berlin 1996,
pl. 38. – S. 14: D. Schwemer, Die Wettergottgestalten Mesopotamiens
und Nordsyriens im Zeitalter der Keilschriftkulturen, Wiesbaden 2001,
1018. – S. 16: E. A. Braun-Holzinger, Figürliche Bronzen aus Mesopotamien, München 1984, Tf. 55 (Zeichnung M. Ritter). – S. 1, 18: P. Albenda,
The Palace of Sargon King of Assyria, Paris 1986, pl. 58.
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