Interview Krasser

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Sind Vegetarier gesünder?
Bei vielfältiger pflanzlicher Kost: Ja.
Vegetarier ernähren sich bewusster, bewegen sich mehr, rauchen
weniger und leben im Großen und Ganzen gesünder als Fleischbzw. Allesesser. Dr. Judith Krasser-Schurig, Fachärztin für Innere
Medizin und diplomierte Ernähungsmedizinerin in Feldkirch erklärt
weiters, dass die meisten Vegetarier in der Auswahl der
Nahrungsmittel wesentlich kritischer und informieren sich oft
besser über die in den Lebensmitteln enthaltenen Nährstoffe.
Im Interview beantwortet die Ernährungsexpertin zudem Fragen
über mögliche fehlende Nährstoffe und Vitamine, gibt Tipps für die
Ernährung von Schwangeren, Kindern oder älteren Menschen und
spricht sich klar für eine Annäherung an die vegetarische
Ernährungsweise aus.
Frau Dr. Krasser-Schurig, was ist typisch für Vegetarier – abgesehen vom Verzicht auf Fleisch?
Anders gefragt: Sind Vegetarier gesünder als „Fleischfresser“?
Meiner Erfahrung nach ist der Großteil der Vegetarier – zumindest in den westlichen Ländern – vor
allem in der Auswahl der Nahrungsmittel wesentlich kritischer als so genannte Omnivoren – also
Allesesser. Zudem informieren sich Vegetarier meist besser über die enthaltenen Nährstoffe und sie
ernähren sich im Großen und Ganzen bewusster. Es gibt eine ganze Reihe an epidemiologischen
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Studien , die Vegetariern ein geringeres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen bescheinigen. Das
heißt, Vegetarier leiden seltener an Erkrankungen, die das Herz und das Gefäßsystem betreffen.
Warum ist das so?
In den meisten Fällen pflegen Vegetarier eine andere Lebensweise: Sie rauchen weniger, bewegen
sich mehr und haben oft auch einen höheren sozioökonomischen Standard. Kurz gesagt: Vegetarier
leben meist gesünder. Sie weisen ein günstigeres Fettprofil auf, leiden seltener unter hohem Blutdruck
und Übergewicht. Diese Faktoren führen dazu, dass bei vegetarisch lebenden Menschen auch ein
geringeres Diabetes-Risiko festgestellt wird. Zudem wurden bei Vegetariern bestimmte Krebsarten
seltener nachgewiesen. Studien konnten zeigen, dass vegetarische Kost das Risiko für krebsartige
Erkrankungen in Lunge, Prostata und Pankreas vermindert.
Vegetarier essen also vitaminreich?
Ja, und sie nehmen auch sehr viele Spurenelemente zu sich. Die zu geringe Zufuhr pflanzlicher
Nahrungsmittel, die eben Vitamine und Spurenelemente enthalten, ist sowieso ein Problem in den
Industriestaaten. Und zwar zusätzlich zu der zu hohen Aufnahme an Kalorien und Fett. Vegetarier
nehmen durch den fehlenden Fleischkonsum weniger gesättigte Fettsäuren auf, was unter anderem
auch für den niedrigeren Cholesterinspiegel verantwortlich ist.
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Epidemiologie ist jene wissenschaftliche Disziplin, die sich mit den Ursachen und Folgen sowie der Verbreitung
von gesundheitsbezogenen Zuständen und Ereignissen in Bevölkerungsgruppen beschäftigt. Die Epidemiologie
untersucht somit jene Faktoren, die zu Gesundheit und Krankheit von Individuen und Bevölkerungsgruppen
beitragen. Sie ist deshalb die Basis aller Maßnahmen, die im Interesse der Volksgesundheit unternommen
werden. Im Gegensatz dazu kümmert sich die Medizin darum, dem einzelnen Menschen in einem konkreten
Krankheitsfall zu helfen.
Dies gilt natürlich nur für solche Vegetarier, die keinen deutlich erhöhten Konsum an Milchprodukten
haben – dann steigt der Cholesterinspiegel nämlich auch an. Vegetarier sind übrigens auch die
Gruppe von Menschen, die das von den Ernährungsgesellschaften empfohlene Nährstoffverhältnis
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zwischen Kohlenhydraten, Fett und Eiweiß erreichen.
Aber fehlen Vegetariern nicht auch bestimmte Nährstoffe – eben weil sie keine Fleischprodukte
essen?
Häufig wird bei Vegetariern befürchtet, dass sie nicht ausreichend mit Eisen versorgt werden. Es
stimmt schon, dass das zweiwertige Eisen, das in Vollkornbrot, Hülsenfrüchten und grünen
Gemüsesorten enthalten ist, weniger gut aufgenommen wird. Nimmt man aber genügend Vitamin C
zu sich, erleichtert das die Aufnahme des zweiwertigen Eisen. Dazu genügt es beispielsweise ein
Glas Orangensaft zum Essen zu trinken.
Vegetarier müssen ihrem Körper also nicht bestimmte Nährstoffe zusätzlich zuführen?
Grundsätzlich nein. Wenn sich jemand ausgewogen und vielseitig ernährt, ist auch eine
Supplementierung, also eine gezielte und ergänzende Aufnahme einzelner Nährstoffe neben der
gewöhnlichen Nahrung, nicht erforderlich. Ausgenommen sind natürlich die klassischen
„Risikogruppen“, die eine entsprechende Ernährungsberatung brauchen und unter Umständen auch
eine zusätzliche Gabe von Vitaminen oder Spurenelementen, um wirklich gut versorgt zu sein. Ich
spreche hier von Schwangeren und Kindern, die beispielsweise einen erhöhten Bedarf an den
Vitaminen B12 und D3 haben. Und auch ältere Menschen bilden eine Risikogruppe, weil bei ihnen die
Aufnahmefähigkeit der genannten Nährstoffe sinkt.
Auch Frauen mit starken Menstruationsblutungen leiden häufig an Eisenmangel, wo eine Substitution
aufgrund der Blutarmut erforderlich wird.
Was kann passieren, wenn man beispielsweise einen Vitamin B 12-Mangel aufweist?
Das kann verschiedene Folgen haben. Typisch sind Blutarmut und erhöhte Werte des
Stoffwechselprodukts Homocystein im Blutserum. Ein zu hoher Homocystein-Gehalt steigert das
Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten und eventuell auch für Demenz. Eine mehrjährige
Unterversorgung mit Vitamin B12 schädigt zudem die Nerven.
Es gibt ja unterschiedliche „Stufen“ von Vegetariern.
Das stimmt. Dazu möchte ich ein wenig ausholen: Als Vegetarismus wird eine Ernährungsweise des
Menschen bezeichnet, bei der auf den Verzehr von Fleisch und Fisch bewusst verzichtet wird. Einige
strengere Formen des Vegetarismus schließen auch Nahrungsmittel aus, die von Tieren produziert
werden – beispielsweise Eier, Milchprodukte oder sogar Honig. Ganz allgemein ernähren sich
Vegetarier also pflanzlich. Wir unterscheiden aber sechs Formen der vegetarischen Ernährung: Ovolakto-Vegetarier essen neben pflanzlicher Kost auch Milchprodukte und Eier. Lakto-Vegetarier
ernähren sich wie Ovo-lakto-Vegetarier nur ohne Eier. Ovo-Vegetarier essen hingegen Eier aber keine
Milchprodukte. Dann gibt es noch so genannte Piscovegetarier, die nicht nur Milchprodukte und Eier,
sondern auch Fisch verzehren. Bei Semivegetariern kommt auch Huhn auf den Tisch. Die, wenn man
so will, extremsten Vegetarier sind die Veganer: Sie nehmen überhaupt keine vom Tier stammenden
Produkte zu sich.
Wie wichtig sind diese „Stufen“ – insbesondere in Bezug auf die Versorgung mit den nötigen
Nährstoffen?
Vegetarier, die Eier und Milchprodukte konsumieren, sind bei vielseitiger pflanzlicher Kost mit allen
Nährstoffen versorgt. Veganer hingegen, die ganz auf tierische Nahrungsmittel verzichten, brauchen
ein großes Ernährungswissen und viel Disziplin, um sich mit allen nötigen Nährstoffen zu versorgen.
Vereinfacht ausgedrückt: Je geringer die Bandbreite der Nahrungsmittel, umso genauer muss die
Zusammensetzung eben dieser bekannt sein.
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50 bis 60 Prozent Kohlenhydrate, 25 bis 30 Prozent Fett und zehn bis 15 Prozent Eiweiß
Welche zusätzlichen Vitamine sollten schwangere Vegetarierinnen zu sich nehmen?
Vorweg: Eine Schädigung des ungeborenen Kindes ist meines Erachtens durch die Ernährung nicht
zu erwarten. Trotzdem besteht in der Schwangerschaft ein erhöhter Nährstoffbedarf. Grundsätzlich
wird Schwangeren und stillenden Frauen also die Zufuhr von Vitamin B12 und Vitamin D empfohlen,
egal ob sie sich vegetarisch ernähren oder nicht. Die Gabe von Folsäure ist zwar während der
Schwangerschaft nicht unbedingt erforderlich. Sie wird jedoch von den Gynäkologen bereits in den
Wochen vor einer Befruchtung dringend empfohlen, da man weiß, dass unter höheren
Folsäurespiegeln bei der Befruchtung seltener Neuralrohrdefekte, besser bekannt als „offener
Rücken“ auftreten. Davon abgesehen nehmen Vegetarier mit der Nahrung bei weitem mehr Folsäure
auf, als Fleischesser. Zu den natürlichen Folsäurelieferanten zählen zwar insbesondere Kalbs- und
Geflügelleber, aber eben auch Weizenkeime und -kleie. Außerdem ist Folsäure in geringen Mengen in
Vollkornprodukten, grünem Blattgemüse, rote Bete, Spinat, Brokkoli, Karotten, Spargel, Rosenkohl,
Tomaten, Eigelb und Nüssen enthalten.
Einer schwangeren Vegetarierin würde ich häufigere Kontrollen bei Grenzwerten des Blutbildes und
des Vitaminspiegels empfehlen. Ansonsten rate ich ihnen – wie anderen nicht vegetarisch lebenden
Schwangeren auch –, sich ausgewogen und vielfältig zu ernähren.
Und was raten Sie einer Frau in den Wechseljahren?
Hinsichtlich der Menopause gilt für Frauen dasselbe wie für Männer, die in die Jahre kommen:
Wesentlich ist eine ausreichende Zufuhr von Vitamin B12 und auch Vitamin D3. Das spielt ja auch in
Bezug auf Osteoporose eine Rolle.
Gibt es aus ihrer Sicht – und somit aus der Sicht einer diplomierten Ernährungsmedizinerin –
Pro und Kontra für vegetarische Ernährung?
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Wenn man die Zunahme der Erkrankungen am metabolischen Syndrom und damit auch den
Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen beobachtet, muss man ganz klar eine Empfehlung
für eine andere Ernährungsweise – und natürlich auch einen anderen Lebensstil – aussprechen. Das
heißt: weniger Fleisch, Wurstwaren, Eier und weniger fette Milchprodukte auf der einen Seite, mehr
Bewegung und vor allem auch Nikotinverzicht auf der anderen Seite. So gesehen ist dies in jedem
Fall zumindest eine Annäherung an die vegetarische Ernährungsweise.
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Das metabolische Syndrom wird heute als der entscheidende Risikofaktor für koronare Herzkrankheiten, also
Erkrankungen der Herzkranzgefäße, angesehen. Das metabolische Syndrom zeichnet sich durch vielfältige
Störungen des Stoffwechsels sowie einer charakteristischen Fettleibigkeit.
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