Ein virtueller Kompass für die politische Landkarte

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polit:zeit
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Ein virtueller Kompass
für die politische Landkarte
In einem Jahr wird in Liechtenstein der neue Landtag gewählt. Doch welcher Kandidat vertritt Sie am besten, wenn Sie für eine Verschärfung der Asylpolitik und eine Privatisierung öffentlicher Unternehmen sind?
Oder für einen Ausbau staatlich finanzierter Krippenplätze und einen längeren Vaterschaftsurlaub? Das
Online-Tool «wahlhilfe.li» soll die Qual der Wahl etwas lindern. Text: Michael Benvenuti
Wer ein neues Auto, Mountainbike oder TV-Gerät kaufen will,
klappert heute nicht mehr stundenlang die Region ab, fährt
von einem Händler zum nächsten, sammelt Prospekte und
vergleicht diese dann zu Hause.
Heute reicht ein Blick ins Internet: Ohne grössere Anstrengung
können die einzelnen Modelle
gemütlich vom Wohnzimmer
aus auf einer der unzähligen
Konsumenteninfo-Websites verglichen werden. Mit wenigen
Mausklicks ist für den Kunden
ersichtlich, was er beim jeweiligen Anbieter für sein Geld bekommt.
Der unbekannte Kandidat
So einfach es ist, Konsumgüter ohne grossen Aufwand zu
vergleichen und das geeignete
Produkt zu finden, so schwierig
gestaltet sich dieses Vorhaben in
Liechtenstein bei Landtags- oder
Gemeinderatswahlen. Zwar haben die Parteien mittlerweile die
elektronischen Medien für sich
entdeckt und ihren Internetauftritt in den vergangenen Jahren
professionalisiert – ein detaillierter Vergleich zwischen VU, FBP,
FL und DU und vor allem deren
Kandidaten ist wegen fehlender
unabhängiger Informationsquellen nur sehr schwer möglich –
wenn überhaupt.
Wissen Sie, wie die einzelnen
Landtagsabgeordneten zur geplanten AHV-Reform stehen,
die Notwendigkeit der S-Bahn
einschätzen, Zuwanderungsbeschränkungen beurteilen, das
Ende November soll das Online-Tool
«wahlhilfe.li» starten. Kooperationspartner ist smartvote aus der Schweiz.
Adoptionsrecht von gleichgeschlechtlichen Paaren werten
oder ob sie striktere Datenschutzmassnahmen fordern?
Um das zu erfahren, müssten
Sie die einzelnen Volksvertreter
persönlich kontaktieren und
befragen – ein Ding der Unmöglichkeit. Dabei basieren demokratische Wahlen auf dem Ideal,
dass Wähler ihre Stimme jenen
Kandidaten geben, die den eigenen politischen Positionen und
Werten am ehesten entsprechen.
So soll sichergestellt werden,
dass der Wählerwille auch tatsächlich zum Tragen kommt.
Das Fehlen eines objektiven,
transparenten und neutralen
Vergleichsinstruments für Parteien und Kandidaten beschäftigt Robin Schädler schon länger. Während des Wahlkampfs
zu den Landtagswahlen 2013
kam dem Balzner die Idee, in
Liechtenstein eine entsprechende Online-Plattform zu schaffen. Auf dieser bewerten Wähler
Haltungen zu Sachfragen, denen
sich zuvor schon die Kandidaten
gestellt haben: Mit «Ja», «Eher ja»,
«Eher nein», «Nein» oder «Keine
Antwort». Am Ende kann der
Nutzer vergleichen, mit welchen
Kandidaten er die grösste Übereinstimmung hat. 2015 reichte Robin Schädler das Projekt
beim Ideenkanal ein und wurde
prompt prämiert. Seither treibt
er es gemeinsam mit einem engagierten Mentorenteam voran.
Testlauf erfolgreich absolviert
Ein erster Testlauf mit aktuellen
Landtagsabgeordneten wurde
im September 2015 erfolgreich
absolviert. 18 der 25 amtierenden Abgeordneten nahmen daran teil, daneben auch 5 stellvertretende Abgeordnete. Die
dabei gesammelten Anregungen
polit:zeit
Smartspider Landtag
Spektrum der im Landtag
vertretenen Positionen
neutral
100
Du
de
Offene
Aussenpolitik
Liberale
Gesellschaft
Liberale
Wirtschaftspolitik
75
50
Durchschnittswert der Abgeordneten
25
Ausgebauter
Maximaler Wert der Abgeordneten
Restriktive
Finanzpolitik
Sozialstaat
Minimaler Wert der Abgeordneten
0
Datenreihen1
Law & Order
Ausgebauter
Umweltschutz
Ablehnung
mung
Durchschnittswert der Abgeordneten
Maximaler Wert der Abgeordneten
Minimaler Wert der Abgeordneten
und Vorschläge werden in den
Fragebogen für die Landtagswahlen 2017 einfliessen. Zuvor
wurde Schädler persönlich mit
seinem Projekt «wahlhilfe.li»
bei Abgeordneten und Fraktionen vorstellig. Er erhielt dabei
grossmehrheitlich ein erfreulich positives Feedback: «Nicht
nur Wähler, auch Abgeordnete
schätzen diese Transparenz und
die Möglichkeit, ihre Ansichten
klarer darlegen zu können.»
Schweiz bietet die Online-Wahl-
Minimaler Wert
hilfe Smartvote ihre Dienste seit
2003 an. Smartvote wird auch
der Abgeordneten
das technische Know-how der
liechtensteinischen Version liefern, wie Robin Schädler im GeLiberale
spräch mit der
«lie:zeit» erklärt:
Gesellschaft
«Smartvote wird als Kooperationspartner die IT-Infrastruktur
zur Verfügung stellen.» Die
Homepage selbst wird jedoch
von einer heimischen Firma gestaltet.
Ausgebauter
Minimaler Wert aller Abgeordneter
Um alle
Altersgruppen anzuIdee wurde 1989 geboren
Sozialstaat
sprechen und auch weniger
Neu ist die Idee einer Onlineinternetaffi ne Personen nicht
Wahlhilfe freilich nicht. Erfunzu überfordern, soll die Maske
den wurde das simple Prinzip
möglichst einfach und intuitiv
1989 in den Niederlanden, damals erschien der Fragebogen
bedienbar sein, betont Schädler.
noch auf Papier. Die erste InEntscheidend ist jedoch die Austernet-Version des StemWijzer
wahl der Fragen. Diese werden
Ausgebauter unter
stammt aus dem Jahr 1998. In
vom Liechtenstein-Institut
Umweltschutz
Deutschland wurde der Wahlder Federführung
von Wilfried
O-Mat erstmals zur BundestagsMarxer und Christian Frommelt
wahl 2002 aufgeschaltet, in der
erstellt und decken insgesamt
Restriktive
Migrationspolitik
über zehn Bereiche ab – unter
anderem Offene
den Sozialstaat, BilAussenpolitikUmwelt, Justiz
dung, Wirtschaft,
und Ethik. Die einzelnen Fragen
sind dabei speziell auf Liechten-
«Die Politiker sollen
erklären, in welche
Richtung sie das
Land führen wollen.»
Robin Schädler,
Initiator wahlhilfe.li
stein zugeschnitten und bieten –
als Entscheidungshilfe – jeweils
kurze Erläuterungen sowie ein
Pro und Contra. Angeboten werden im Vorfeld der Landtagswahlen 2017 zwei Fragebogen: Eine
Kurzversion mit ca. 30 Fragen
Restriktive
Migrationspolitik
und eine ausführliche Variante
mit ca. 75 Fragen. Am Schluss
wird dem Wähler eine Liste der
Kandidaten präsentiert, auf der
diese in absteigender Reihenfolge gemäss Übereinstimmung
Liberale
mit
dem Profil des Wählers aufWirtschaftspolitik
geführt werden.
Start Ende November 2016
Als offiziellen Start der neuen
Online-Plattform «wahlhilfe.
li» hat Robin Schädler Ende November 2016 im Visier: «Ziel ist
Restriktive
es, dass Finanzpolitik
möglichst alle Kandidierenden ein Profi l erstellen
und somit einen vollständigen
Vergleich ermöglichen.» Der
Vorteil für den interessierten
Wähler liegt auf der Hand, doch
was nützt dieses Instrument
den Parteien und vor allem den
Law
& Order «Jeder Kandidat
Kandidaten?
hat objektiv dieselben Chancen,
sich einem breiten Publikum
zu präsentieren. Er kann seine
M
de
19
liche politische Arbeit mit den
vorher getätigten Aussagen im
Wahlkampf vergleichen», glaubt
Schädler.
Im Herbst 2015 absolvierte wahlhilfe.li mit den
aktuellen Landtagsabgeordneten einen erfolgreichen Testlauf. 18 der 25
amtierenden Abgeordneten nahmen daran teil,
daneben auch 5 stellvertretende Abgeordnete.
Das Ergebnis zeigt, dass
im Landtag ein breites
Spektrum an Positionen
abgedeckt wird. Darüber
hinaus konzentrieren sich
die Positionen der meisten
Abgeordneten um den
Mittelwert herum.
eigenen Ansichten anschaulich
darstellen. Gleichzeitig können
sich die Parteien profi lieren.
Ausserdem steigert dieses Tool
die Partizipation der Bürger an
der Politik, was wiederum den
Parteien zugutekommt», ist
Schädler überzeugt. Aufgrund
detaillierter Erläuterungen zu
den einzelnen Fragen handelt
es sich denn auch um ein Instrument der politischen Bildung.
Merkzettel für die Wähler
Und was erhofft sich Schädler
von der neuen Online-Wahlhilfe? «Die Politiker sollen erklären, in welche Richtung sie
das Land führen wollen. Unser
Tool gibt ihnen die Möglichkeit,
ganz präzise ihre Haltung darzulegen.» Dadurch, dass die Antworten transparent sind, eignet
sich «wahlhilfe.li» auch sehr gut
als eine Art «Merkzettel» für die
Wähler. «Sie können die tatsäch-
Ganz umsonst ist das Ganze natürlich nicht zu haben. Schädler
freut sich deshalb umso mehr
über die erfolgreiche Spendenkampagne, die der Ideenkanal
initiiert hat. Überhaupt sei
«wahlhilfe.li» durch das Feilen
an der Idee im Rahmen des Ideenkanals und durch die kontinuierliche Unterstützung der
Mentoren richtig ins Rollen
gekommen. Noch aber braucht
Schädler für das Projekt «Zustupf». Weitere Finanzierungszusagen, und auch insbesondere
inhaltliche Rückmeldungen, seien immer willkommen.
Weitere Informationen zum Projekt
gibt es unter www.wahlhilfe.li und
auf www.facebook.com/wahlhilfe.li
Robin Schädler
Nach der Matura am Liechtensteinischen Gymnasium in
Vaduz schloss Robin Schädler
2010 den Bachelor in Recht
und Wirtschaft ab, 2012 am
University College London,
dann den Master in Menschenrechten. Soeben absolvierte er
ein sechsmonatiges Praktikum
beim Landgericht in Vaduz.
Aktuell schreibt der 27-jährige
Balzner an einer Doktorarbeit
über den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Das Ziel der Arbeit ist es, dass
jeder relativ einfach abschätzen
kann, ob sich ein Gang zum
Gerichtshof nach Strassburg
lohnt.
CHRISTIAN FROMMELT
Forschungsbeauftragter Politik
am Liechtenstein-Institut
IM INTERVIEW
lie:zeit Die Aussagekraft von
Online-Wählerhilfen
steigt
und fällt mit der Auswahl der
Fragen. Nach welchen Gesichtspunkten wird der Fragenkatalog bei «wahlhilfe.li» erstellt?
Christian Frommelt: Der Fragekatalog für die Landtagswahlen
wird dieselben Themenbereiche abdecken wie bei den von
smartvote Schweiz im Vorfeld
von kantonalen oder eidgenössischen Wahlen durchgeführten
Befragungen. Folglich sind auch
die Fragen meist sehr ähnlich
wie in der Schweiz. Selbstverständlich wird der Fragebogen
aber auch Fragen enthalten, die
sich nur auf Liechtenstein beziehen und sich dabei an aktuellen
politischen Herausforderungen
orientieren.
Was ist bei der Erstellung des
Fragebogens besonders zu berücksichtigen?
Die Fragen sind so zu stellen,
dass die Ansicht des einzelnen
Kandidaten möglichst deutlich
wird. Beantwortet ein Kandidat
z. B. die Frage, ob es richtig wäre,
den Staatsbeitrag für die AHV
auf 30 Millionen zu senken, mit
«eher Nein», bedeutet dies nicht
zwangsläufig, dass er gegen eine
Senkung des Staatsbeitrages ist.
Entsprechend ist es wichtig, dass
sich aus den Antworten der Kandidaten immer eine möglichst
klare Einteilung in ein Pro- und
Contra-Lager ergibt.
Obwohl die Fragen zweifelsohne sehr sorgfältig ausgewählt
werden, hat ein solcher Fragenkatalog immer etwas Willkürliches. So wird beispielsweise
nicht nach Begründungen oder
alternativen Lösungen gefragt.
Sehen Sie das als Problem?
Nein. Eine hohe Übereinstimmung in politischen Fragen soll-
te nie das alleinige Wahlmotiv
sein. In der Politik geht es ja auch
nicht nur darum, Ansichten zu
haben, sondern diese in den politischen Prozess einzubringen,
zu präsentieren und letztlich
auch erfolgreich durchzusetzen.
Entsprechend sehen wir das Tool
lediglich als einen ersten Filter
für den Wahlentscheid und der
Wähler ist dazu aufgerufen, sich
weiter über die einzelnen Kandidaten zu informieren.
Kann sich eine Wahlhilfe auf
den Wahlentscheid auswirken?
Die bisherigen Erfahrungen aus
anderen Ländern zeigen, dass
Online-Wahlhilfen besonders
von jungen Wählern und dabei
vor allem von Wechselwählern
genutzt werden. Aus politikwissenschaftlicher Sicht ist das
liechtensteinische Wahlrecht besonders geeignet für eine Wahlhilfe, da Liechtenstein keine starren Listen kennt. Studien in der
Schweiz zeigen, dass die Nutzer
von Online-Wahlhilfe eher dazu
neigen, einzelne Kandidaten zu
streichen bzw. Kandidaten von
anderen Listen dazu zu schreiben – also zu panaschieren.
Mit Blick auf Online-Wahlhilfen wird oft kritisiert, dass die
Kandidaten strategisch antworten, um so das von ihnen
angestrebte Profil zu erlangen.
Kann das verhindert werden?
Um einem solchen Antwortverhalten gegenzusteuern, ist es
wichtig, auch die konkreten Positionen im Parlament zu dokumentieren und gegebenenfalls
den Antworten bei Online-Wahlhilfen gegenüber zu stellen. Das
Liechtenstein-Institut analysiert
seit 2010 das Abstimmungsverhalten der Landtagsabgeordneten. Entsprechend wäre ein solcher Abgleich möglich.
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