Mathematik ist schön

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WISSEN & CAMPUS
ie Faszination für mathematisches Denken ist in uns
Menschen angelegt. Als Kulturtechnik reicht sie zurück bis in
uralte Gesellschaften. Mathematik ist auch sehr nützlich, aus unserem Alltag ist sie nicht mehr
wegzudenken: Die gesamte Computertechnologie basiert auf mathematischen Methoden – kein
Handy, kein Auto, keine Waschmaschine kommt ohne sie aus.
Mathematiker sind in der Regel
Analytiker, die komplizierte Probleme knacken – ganz anders
als Künstler, denen es
nicht um den Alltagsnutzen ihrer Werke
geht. Doch immer
wieder
haben
sich
Künstler
Anregungen in
der Mathematik geholt, wie
etwa Leonardo da Vinci,
Albrecht Dürer oder M.C.
Escher. Ganz
neue Möglichkeiten zu Visualisierung
eröffnet heute
der Computer.
Konrad
Polthier, MathematikProfessor an der
Freien
Universität
Berlin, erklärt: „Früher
ging es bei der Mathematik immer darum, ganz
konkrete Probleme des Alltags zu lösen. So hat Archimedes die Flugbahnen von Kanonenkugeln berechnet, und der große
Mathematiker Carl Friedrich
Gauß hat im 19. Jahrhundert das
Königreich Hannover vermessen.“ Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hätten sich die Mathematiker dann auf fundamentale mathematische Theorien besonnen.
Sie machten sich bewusst von
der Anschauung frei, und leiteten die ganze mathematische
Theorie aus einigen wenigen definierten Axiomen her. Nur so
konnten sie sicher sein, dass das
Gedankengebäude keine Lücken
hat und es ohne Begründungen
wie „das sieht man doch“ auskommt. Die Anschauung kann einen nämlich auch ganz schnell zu
falschen Schlüssen verleiten.
Diese sehr theorielastige Sichtweise der Mathematik wurde
auch in den Schulen übernommen. Waren vorher noch anschauliche Gipsmodelle gang und
gäbe, verstaubten diese nun in
den Vitrinen. Doch gab es immer
einen gewissen Anteil von Schülerinnen und Schülern, die sich für
das logische Denken begeisterten.
„Eigentlich lernt man schon in
der Schule eine ganze Menge mathematisches Handwerkszeug“,
meint Polthier. „Aber es fehlt oft
der letzte Schritt, bei dem die
Schüler sehen, was man damit
anfangen kann.“ Konrad Polthier
hat das abstrakte mathematische
Denken zwar immer großen Spaß
gemacht, aber ihm lag auch das
Visuelle, im Nebenfach studierte
er Computergraphik. Um diese
beiden Neigungen zu verbinden,
ging er schon in den 1980er Jahren in die Mathematik-Bibliothek
und suchte in den Büchern nach
Abbildungen mit der Frage: Was
sind die Formen der Mathematik?
Ernüchtert stellte er fest: Selbst
Geometrie-Bücher bestanden fast
nur aus Text und Formeln, nur
sporadisch gab es mal eine Schema-Zeichnung. Sehr früh hat Polthier daher Computeranimationen erstellt: „Von den Formen,
Frankfurter Rundschau
Mathematik ist schön
Zwei Hochschullehrer visualisieren das Fach – und lassen es so
besser begreifbar werden / Von Gesine Wiemer
Reise ins Reich der
Formen: die Spiralflächen
des Wiener Geometrieund Mathematikprofessors
G.GLAESER
Georg Glaeser.
die ich in Gedanken sah,
konnte ich nun auch Bilder
machen – aber umgekehrt
konnte ich aus den Grafiken
etwas lernen und kam zu neuen Resultaten, die meine Forschung weiterbrachten.“ Anfang
der 1980er Jahre waren diese
Computergrafiken noch neu, und
sie stießen nicht überall auf Begeisterung. Viele angestammte
Mathematiker waren der Meinung, damit lenke man sich nur
ab. „Dabei machten wir es nicht
der Ästhetik wegen“, betont Polthier. „Wir wollten in erster Linie
mathematische Inhalte transportieren.“
Gemeinsam mit seinem Kollegen Georg Glaeser, MathematikProfessor an der Universität für
angewandte Kunst in Wien, hat er
das Buch „Bilder der Mathematik“ veröffentlicht. Auf jeder Doppelseite gibt es eine zentrale mathematische Visualisierung, die
dem Leser ein bedeutendes mathematisches Thema anschaulich
vorstellt
und ihn
in seinen
Bann zieht.
„Wir wollten
damit den gleichen Effekt erreichen
wie die Bilder von Escher.“ Wer
zum Beispiel dessen Bild von der
Treppe sehe, die immer nur nach
oben führt, fange sofort an zu
analysieren – ganz ohne dazu
aufgefordert zu werden. Wer es
genauer wissen will, findet Literaturangaben und Internetlinks
zum
Vertiefen.
Nicht
nur
ansehen, sondern
mathematische
Ornamente selbst
zeichnen können die
Nutzer der App „iOrnament“. Jürgen Richter-Gebert
von der Technischen Universität
München trieb schon lange die
Frage um, wie sich Mathematik
vermitteln lässt, so dass es Spaß
macht. Mit „iOrnament“ hat er
wahre Begeisterungsstürme ausgelöst. Auf der ganzen Welt kreieren Menschen damit wunder-
PRIMZAHLEN
Unendlich viele Primzahlen gibt es.
Das lernt jeder in der Schule. Aber wie
beweist man das? Es kann doch sein,
dass es irgendwo ab Hunderttrillionentrillarden plötzlich keine Primzahlen
mehr gibt? Ein wirklich schöner Beweis
geht auf Euklid zurück: Wir nehmen
an, es gäbe nur endlich viele Primzahlen, sagen wir n Stück, diese
benennen wir als p1, p2, p3, … pn.
Diese n Primzahlen multiplizieren wir
miteinander und addieren eine 1, also
p1 x p2 x p3 x … x pn+1 und nennen
diese Zahl z. Die Zahl z lässt sich durch
keine der Primzahlen p1 bis pn teilen.
Das hieße aber, dass z selbst eine
Primzahl ist. Und das ist ein Widerspruch zu unserer Annahme, dass es
nur die Primzahlen p1 bis pn gibt.
Dieser Trick wird bei vielen mathematischen Beweisen angewendet:
Wenn man etwas nicht direkt zeigen
kann, nimmt man einfach das Gegenteil an und beweist, dass dies nicht
möglich ist. Manchmal sind so auf den
ersten Blick komplizierte Probleme ganz
einfach zu lösen.
Fundgrube für schöne Mathematik:
Georg Glaeser, Konrad Polthier: Bilder
der Mathematik. – 2. Auflage in vollständig überarbeiteter Softcover-Version, Heidelberg 2014.
http://www.bilder-der-mathematik.de
/ (mit freien Downloads) iOrnament –
App erhältlich im Apple App Store.
Ornamente-Weltausstellung:
http://www.science-to-touch.com/
Dienstag, 19. Mai 2015
71. Jahrgang
Nr. 114
schöne Bilder. Hinter den Mustern steckt eine starke mathematische Struktur, die auf Drehungen, Spiegelungen und Verschiebungen beruht. Schon durch einfaches Darauf-Loskritzeln können
faszinierende Ornamente entstehen. Will man jedoch ein Kunstwerk zielgerichtet gestalten, muss
man die Symmetrieregeln dahinter durchschauen – dann wird
Mathematik zum kreativen Prozess. Jürgen Richert-Gebert sagt:
„Ich war erstaunt, wer alles unsere App nutzt – vom dreijährigen
Kind über den Professor, der die
Ornamente für die Lehre nutzt,
bis hin zu Künstlern.“
Begeisterte Nutzer haben
Richter-Gebert immer wieder ihre
schönsten Werke zugesandt. Um
diese zu teilen, hat der Mathematiker die Ornamente der Öffentlichkeit in einer digitalen Ornamente-Weltausstellung
zugänglich gemacht. „Besonders überrascht war ich,
dass man vielen Bildern
den kulturellen Hintergrund ansehen kann.
Das gilt besonders für
Ornamente aus exotischen Kulturkreisen,
in denen Traditionen
im Alltag noch eine
größere Rolle spielen als bei uns, wie
zum Beispiel Mexiko
oder Korea.“
Mathe ist schön –
gilt das nur für die
Bilder der Mathematik oder auch für
die
Mathematik
selbst, mit ihrer abstrakten Formelsprache? Der Direktor
des Bonner MaxPlanck-Instituts
für
Mathematik, Don Zagier, merkt an: „Die
Mathematiker benutzen Wörter wie schön
und elegant sogar häufiger als wissenschaftliche
Begriffe wie überzeugend
und korrekt. Und, was noch
interessanter ist: Dieses Gefühl
für mathematische Schönheit
stellt sich sehr häufig als der sicherste Führer bei der Wahl des
besten Weges durch das Labyrinth der Mathematik heraus, als
eine Art Ariadnefaden.“ Warum
können das so viele Menschen
nicht nachempfinden? Don Zagier meint, dass die meisten Menschen nie echte Mathematik gesehen haben. Das zeigt vielleicht
folgende Geschichte von Carl
Friedrich Gauß, von dem oben
schon die Rede war: Als neunjähriger Schüler bekam er die Aufgabe, die Zahlen von 1 bis 100 zu
addieren. Eine lästige Fleißaufgabe, die keinerlei Schönheit der
Mathematik erahnen lässt. Der
kleine Carl Friedrich ließ aber
schon damals sein Genie aufblitzen. Er schrieb die Zahlen von 1
bis 100 in eine Reihe, in der Reihe
darunter schrieb er sie in umgekehrter Reihenfolge von 100 bis
1. Nun addierte er jeweils die beiden untereinander stehenden
Zahlen,
also
1+100=101,
2+99=101, 3+98=101, usw. bis
100+1=101. Er hatte 100 Mal
die Summe 101 erhalten, und da
er die Reihe doppelt aufaddiert
hatte, musste er das Ergebnis nur
noch halbieren. Die Lösung ist so
schön und elegant, dass sie sich
ganz einfach verallgemeinern
lässt: Ist n eine beliebige natürliche Zahl, so ist die Summe von 1
bis n gleich n x (n+1)/2. Das ist
doch eine schöne Lösung – finden
Sie nicht?
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