Skript von Herrn Prof. Dr. Rinkens

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SS 2008
Prof. Dr. Hans-Dieter Rinkens
0:3=
0:2=
0:1=
0:0=
Stuhl
oben
3.3=
2:2=
1:1=
0:0=
links
unten
B
A
C
D
A
C
B
D
A
C
B
D
A
B
D
C
Grundmenge
Ergebnismenge
C
D
B
D
B
C
C
D
A
D
C
A
B
D
A
D
A
B
B
C
C
A
A
B
rechts
D
C
D
B
C
B
D
C
D
A
A
C
D
B
D
A
B
A
C
B
A
C
B
A
(a ∗ b) ∗ c = a ∗ (b ∗ c)
A
B
D
C
A
D
B
C
A
C
0, 9 = 1
B
D
C
D
B
0,3030030003 00003 ...
A
B
A
C
D
(-1)·(-1) = +1
Anzahl der günstigen Fälle
Anzahl der möglichen Fälle
Ω
A gewinnt
A
„unmöglich“
B
C
Teilmengen
Ereignisse
0
„sicher“
½
Maß für die Teilmengen
Wahrscheinlichkeit der Ereignisse
1
A gewinnt
W
1/2
W
1/2
1/2
Z
1/2
Z
B gewinnt
2
Inhaltsverzeichnis
1. Natürliche Zahlen
3
1.1. Grundeigenschaften des Rechnens
1.1.1.
1.1.2.
Reihung und Bündelung
Rechnen als strukturiertes Zählen
3
3
4
1.2. Exkurs zur Null
5
1.3. Die Null als Ziffer: Vom additiven Ziffernsystem zum Stellenwertsystem
1.3.1. Die Null als Zahl: Rechnen mit der Null
5
5
1.4. Abzählstrategien: Kombinatorik
9
1.4.1.
1.4.2.
1.4.3.
1.4.4.
1.4.5.
Was ist verschieden? Was ist gleich?
Modellierung mit einem Baumdiagramm
Produktregel und Summenregel
Künstliche Vervielfachung: Quotintenregel
Verschiedene Modelle - eine Stuktur: „n über k“
2. Zahlbereichserweiterungen
2.1. Ganze Zahlen
2.1.1.
2.1.2.
2.1.3.
2.1.4.
Identifizieren und Abstrahieren – Äquivalenzrelation und Äquivalenzklasse
Rechnen mit Äquivalenzklassen
Einbettung von N in Z
„Minus mal minus ergibt plus“
29
30
31
32
Die Menge Q der rationalen Zahlen
Messen heißt Vergleichen: rationale Zahlen reichen nicht
2.4. Reelle Zahlen
2.4.1.
2.4.2.
2.4.3.
2.4.4.
24
26
27
27
28
Äquivalenzrelation und Äquivalenzklasse
Rechnen mit Äquivalenzklassen
Einbettung von N in B
2.3. Rationale Zahlen
2.3.1.
2.3.2.
24
24
2.2. Brüche und Bruchzahlen
2.2.1.
2.2.2.
2.2.3.
9
10
12
16
18
32
32
33
Familie der Zehnerbrüche
Gewöhnliche Brüche und Dezimalbrüche
Neuner-Perioden
Irrationale Zahlen
3. Zufall und Wahrscheinlichkeit
33
34
35
36
37
3.1. Vorerfahrung und Geschichte
37
3.2. Grundbegriffe
38
3.2.1.
3.2.2.
Stichprobenraum und Wahrscheinlichkeit
Ereignis und Wahrscheinlichkeit
3.3. Rechnen mit Wahrscheinlichkeiten
3.3.1.
3.3.2.
3.3.3.
SS2008
Laplace-Regel
Pfadregel
Faire Wetten
38
39
41
41
43
47
Grundlagen der Schulmathematik
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3
1.
Natürliche Zahlen
1.1. Grundeigenschaften des Rechnens
Die mit den natürlichen Zahlen verbundene Grundaktivität ist das Zählen.
Vom Zählen kommt man zum Rechen als strukturiertem Zählen und zum Messen als (zunächst ganzzahligem) Vergleichen.
1.1.1.
Reihung und Bündelung
Zählen ist die erste, elementare, fundamentale mathematische Tätigkeit
sowohl in der Stammesgeschichte wie in der Individualgeschichte des Menschen. Es beginnt mit dem einfachen Abzählen: Stück für Stück geht man
die zu zählende Menge durch und sagt dabei (laut oder still) die Zahlwortreihe
auf; die zuletzt genannte Zahl gibt die Anzahl der Menge an. Wie viele Punkte
sind im Kasten?
Beim einfachen Abzählen treten folgende Schwierigkeiten auf: Wurden wirklich alle zu zählenden Dinge erfasst oder wurde eins ausgelassen? Wurde
jedes Ding nur einmal gezählt, oder wurde es mehrfach erfasst?
Ein strukturiertes Zählen hilft, diese Schwierigkeiten zu vermeiden. Eine elementare Art des strukturierten Zählens nutzt die Tatsache aus, dass wir Menschen bei bis zu fünf Dingen die Anzahl simultan (d.h. ohne einzeln abzuzählen) erfassen können.
Wir zerlegen daher (in Gedanken oder wirklich) die zu
zählende Menge in überschaubare Teilmengen: Die
Gesamtzahl ermittelt man dann durch Addieren der
Anzahlen für die einzelnen Teilmengen.
Speziell kann man, solange es geht, auch die Teilmengen gleich groß wählen ("In Zweier-, Dreier-, ...-Schritten zählen"): Durch Multiplizieren kann man
dann die Gesamtzahl noch schneller bestimmen.
Oben haben wir selber durch Verschieben der Punkte im Kasten Struktur in die Menge gebracht. Oft
ist diese Struktur auch vorgegeben und wir müssen sie herauslesen.
Dann setzt das Nachdenken über diese Strukturen ein:
•
Welche Anzahlen lassen sich im Rechteck-Format darstellen, welche nicht (genauer: welche
lassen sich nur mit einer einzigen Reihe darstellen)? Die letzteren nennt man Primzahlen. sie
sind die Bausteine, aus denen man alle übrigen Zahlen multiplikativ aufbauen kann („Primfaktorzerlegung“).
•
Quadrate sind besondere Rechtecke, Quadratzahlen besondere Zahlen. An ihnen gibt es viel
zu entdecken.
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•
Welche Anzahlen lassen sich im Dreieck-Format darstellen? Im Dreieck erhöht sich, in der
Spitze mit 1 beginnend, von Stufe zu Stufe die Anzahl um 1. Die Gesamtzahl ist also die
Summe der ersten Zahlen der Zahlenreihe. Ein schönes Zahlenmuster, aber ein mühsames
Zählgeschäft. Lässt sich die Gesamtzahl schneller ermitteln?
•
Welche Anzahlen lassen sich im Trapez-Format darstellen, welche nicht? Und wenn sich eine
Anzahl so darstellen lässt, dann nicht unbedingt nur auf eine Weise; denn 15 Dinge kann man
auch in einem Trapez mit 7 und 8 Dingen darstellen. Auf wie viele Weisen geht es denn
grundsätzlich?
Die ersten beiden Abschnitte dieses Kapitels haben im Grunde nur ein einziges Thema:
strukturiertes Zählen.
Schon beim einfachen Abzählen stößt man auf die Grundeigenschaften der natürlichen Zahlen:
I)
Reihung: Man erhält alle natürlichen Zahlen durch Nachfolger-Bildung, startend mit 1 (oder
mit 0).
II) Bündelung: Jede natürliche Zahl kann durch Zehner-Bündelung eindeutig dargestellt werden.
Ein weiteres Nachdenken über diese Grundeigenschaften führt zur weiteren Vertiefung/ Abstraktion:
I)
Vollständige Induktion, Peano-Axiome
II) Potenz-Darstellung, Stellenwertsysteme
1.1.2.
Rechnen als strukturiertes Zählen
Wir bezeichnen die Menge der natürlichen Zahlen, startend mit 1, mit N. Nehmen wir die Null hinzu, so
bezeichnen wir sie mit N0.
Addieren und Multiplizieren als strukturiertes Zählen haben folgende Grundeigenschaften (setze +
oder · für ∗):
•
Kommutativität
a∗b=b∗a
•
Assoziativität
•
Distributivität
(a + b) · c = (a·c) + (b·c) und a · (b + c) = (a·b) + (a·c)
(Verträglichkeit von Addition und Multiplikation:
erst addieren, dann multiplizieren „=“ erst multiplizieren, dann addieren)
•
Neutrale Elemente
(a ∗ b) ∗ c = a ∗ (b ∗ c)
0+a=a+0=a
1·a=a·1=a
Operation und Umkehroperation:
a ∗ b = x hat für alle a und b eine Lösung, a ∗ x = b nicht.
A) a + x = b hat nur dann eine natürliche Zahl als Lösung, wenn a < b,
in diesem Fall hat die Subtraktionsaufgabe b – a = x eine natürliche Zahl als Lösung.
B) a · x = b hat nur dann eine natürliche Zahl als Lösung, wenn b Vielfaches von a ist, in diesem
Fall hat die Divisionsaufgabe b : a = x eine natürliche Zahl als Lösung.
Solche Grenzen des Rechnens führen zu Erweiterungen des Zahlbereichs, im Fall
A) zu den negativen und ganzen Zahlen,
B) zu den Brüchen und rationalen Zahlen.
Subtrahieren und Dividieren sind weder kommutativ noch assoziativ.
Aber es gilt die uneingeschränkte Distributivität zwischen Subtraktion und Multiplikation:
(a – b) · c = (a·c) – (b·c)
und
a · (b – c) = (a·b) – (a·c)
Es gilt nur eine eingeschränkte Distributivität zwischen Addition/ Subtraktion und Division:
(a ± b) : c = (a:c) ± (b:c) , sofern c ≠ 0 und die Divisionsaufgaben lösbar sind,
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aber a : (b ± c) = (a:b) ± (a:c) ist außer für a = 0 immer falsch.
Für das praktische Rechnen wichtig ist auch die (Term-) Erweiterungs-/ Kürzungsregel:
(Setze + , - , · oder : für ∗ und vorausgesetzt, a ∗ c = x und b ∗ c = x haben Lösungen in N):
a = b genau dann, wenn a ∗ c = b ∗ c
Mit „genau dann, wenn“ sind immer zwei Aussagen verbunden, hier:
Wenn a = b, dann a ∗ c = b ∗ c, und wenn a ∗ c = b ∗ c, dann a = b
Kleiner- bzw. Größer-Relation
a < b bzw. b > a gilt genau dann, wenn es eine natürliche Zahl c gibt, so dass a + c = b ist.
Die Kleiner-Relation (und entsprechend die Größer-Relation) hat folgende Grundeigenschaften:
•
Transitivität:
Wenn a < b und b < c, dann auch a < c.
•
Trichotomie:
Entweder a < b oder a = b oder b < a.
Den Zusammenhang zu den Operationen regeln die Monotonie-Gesetze:
Für alle natürlichen Zahlen a, b, c gilt:
•
Wenn a < b, dann auch a + c < b + c und a – c < b – c.
•
Wenn a < b, dann auch a · c < b · c und a : c < b : c, sofern c ≠ 0.
1.2.
Exkurs zur Null
1.2.1.
Die Null als Ziffer: Vom additiven Ziffernsystem zum Stellenwertsystem
Im 4. Jahrtausend vor Christus wurde wahrscheinlich von den Sumerern die Schrift erfunden. Ursprünglich war sie ausschließlich ein Instrument der Buchführung, eine "Buchhalterschrift". Das
Schreibwerkzeug waren Griffel und kleine Tontafeln: Der zylindrische Griffel aus Schilfrohr oder Knochen oder Elfenbein wurde in einem bestimmten Winkel in den weichen Ton gedrückt. Dabei entstand
ein runder Abdruck oder eine Kerbe, deren Größe vom Durchmesser des benutzten Griffels abhing.
Wenige hundert Jahre später als die Sumerer, aber unabhängig von diesen, entwickelten die Ägypter
ihre Hieroglyphenschrift. Mit Hammer und Meißel schlugen sie Bilder in den Stein. Das Bild bezeichnete zunächst einmal das, was es darstellte z. B ein Bein; darüber hinaus konnte es aber auch Vorstellungen oder Tätigkeiten wiedergeben, die damit im Zusammenhang standen wie z.B. "Gehen",
"Laufen", "Fliehen". So entstanden auch Bilder für Zahlen.
Seit Ende des vierten Jahrtausends vor Christus verwendeten die Ägypter eine Bilderschrift auf der
Basis der Zehnerbündelung, mit der sie Zahlen bis zu einer Million und darüber hinaus darstellen
konnten. Jede der ersten sieben Zehnerpotenzen besaß ein eigenes Zeichen:
Für die Einer stand ein kleiner Strich, für die Zehner ein nach unten geöffnetes Hufeisen, für die Hunderter ein eingerolltes Seil, für die Tausender eine Lotosblüte samt Stiel, für die Zehntausender ein
erhobener, leicht angewinkelter Finger, für die Hunderttausender eine Kaulquappe, für Millionen ein
kniender Genius mit erhobenen Armen. Um eine bestimmte Zahl wiederzugeben, mussten die einzelnen Zahlzeichen ihrer Anzahl entsprechend wiederholt werden.
9
50
2000
700
Darstellung von 2759 und von 9047
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7
40
9000
hdr
6
Um die Schreibarbeit zu reduzieren, haben verschiedene Völker zusätzliche Zeichen eingeführt. So
gibt es bei den Römern noch Zahlzeichen für die Zwischenstufen 5, 50, 500.
Übrigens: Das Zeichen M für Tausend wird erst im Mittelalter üblich. Auch die subtraktive Schreibweise (IV für vier, XC für neunzig) kommt im Altertum nur vereinzelt vor und bürgert sich erst im Mittelalter ein. Die klassische Schreibweise war also additiv (IIII für vier, LXXXX für neunzig).
Was aber tun, wenn die Zahlen immer größer werden? Statt immer neue Zeichen für die Stufenzahlen
(= Zehnerpotenzen) zu erfinden, behalfen sich die Römer mit einer Art Multiplikationsprinzip: Wurde
eine Zahl überstrichen, so musste ihr Wert vertausendfacht werden, wurde sie auch noch von zwei
senkrechten Balken eingerahmt, musste der Wert mit 100 000 multipliziert werden.
Die additiven Ziffernsysteme, selbst wenn sie durch ein Multiplikationsprinzip in ihrer Komplexität reduziert wurden, benötigten für immer größere Zahlen immer neue Zahlzeichen. Außerdem war ein
praktisches Rechnen, wie wir es z.B. vom schriftlichen Multiplizieren kennen, nicht möglich; man war
auf Tricks oder Rechengeräte wie den Abakus angewiesen.
Zwei Erfindungen in der Menschheitsgeschichte haben hier eine Revolution der Denkökonomie bewirkt; das Stellenwertsystem und die Null. Ein Stellenwertsystem ist dadurch gekennzeichnet, dass
der Wert eines Zahlzeichens durch seine Stelle innerhalb der Zeichenkette bestimmt ist; jede Stelle
entspricht einer Stufe im Bündelungsprozess. Um eindeutig zu erkennen, an welcher Stelle z.B das
Zeichen für die Drei steht, muss auch dann ein Zeichen notiert werden, wenn auf einer Stufe gar kein
Bündel existiert: Die Null.
Die Gemeinsamkeit von additiven Ziffernsystemen und einem Stellenwertsystem liegt in der Grundidee des Bündelns. Historisch unterschiedlich ist die Größe der Bündel. Fast alle Völker haben zu
zehn (manchmal noch unterteilt in zwei Fünfer) gebündelt, so z.B. die Ägypter, Griechen, Römer und
heutzutage alle. Mayas und Azteken haben z.B. zu zwanzig gebündelt; Reste dieser Art von Bündelung findet man heute noch in der französischen (quatre-vingt für 80) und dänischen Sprache. Die
Bündelungszahl der Sumerer und Babylonier war die Sechzig; Spuren dieser Bündelung finden wir in
unseren Maßen für die Zeit und die Winkel.
Der Unterschied zwischen additiven Ziffernsystemen und Stellenwertsystemen besteht in der Verwendung der Zahlzeichen (Ziffern): In additiven Ziffernsystem erhält jede Bündelungsstufe ein eigenes
Zeichen, die Anzahl der Bündel wird durch Wiederholung dieses Zeichens notiert, eine Null wird nicht
benötigt. In Stellenwertsystemen wird auf jeder Stufe (fortlaufend von rechts nach links) die Anzahl der
Bündel durch ein eigenes Zeichen notiert, die Null steht für das Fehlen eines Bündels auf dieser Stufe.
Der Name für die Null kommt vom lateinischen nullus,nulla,nullum, zu deutsch keiner, keine, keines.
Das Dezimalsystem mit arabischen Ziffern löste erst im Spätmittelalter in Europa das römische additive Ziffernsystem ab. Die arabische Bezeichnung für die Null war al-sifr, was so viel heißt wie „das
Leer-sein“. Aus diesem Wortstamm gehen die englische (zero) und französische (zéro) Bezeichnung
für null wie auch das deutsche Wort Ziffer hervor. Statt „Ziffer“ benutzte man bis in die frühe Neuzeit
allerdings noch das aus dem lateinischen stammende Wort „Figura“, weshalb im Englischen bis heute
das Wort „figure“ dem deutschen Wort „Ziffer“ entspricht. Von al-sifr stammt auch das aus dem Französischen entlehnte Wort „Chiffre“ und die daraus abgeleiteten Verben chiffrieren und dechiffrieren
(=entziffern).
1.2.2
Die Null als Zahl: Rechnen mit der Null
Ist 0 eine Ziffer oder eine Zahl? Was ist der Unterschied? Als Ziffer ist 0 Bestandteil einer schriftlichen
Zahldarstellung, als Zahl verwendet man die Null zum Zählen (beim Rückwärtszählen), beim Messen
oder zum Rechnen.
•
Ist 0 eine gerade Zahl, eine ungerade Zahl oder keins von beidem?
•
Ist 0 eine Primzahl?
•
Ist 0 eine Quadratzahl?
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Das Rechnen mit der Null führt schon bei der Einführung zum Nachdenken. Beim Addieren (im Sinne
von Zusammenfügen oder Hinzufügen) und beim Subtrahieren (i.S. von Wegnehmen) tritt es noch als
einfachster Sonderfall auf. Aber schon beim Multiplizieren1 ist – wegen der unterschiedlichen Bedeutung von Multiplikator und Multiplikand in der Realsituation – eine Aufgabe mit Null als Faktor nicht
einfach zu erklären.
Mathematisch (nicht psychologisch) kann man die Multiplikation über die Addition rekursiv definieren2:
1·a := a
2·a := a + a
3·a := 2·a + a
...
(n+1)·a := n·a + a
für alle natürlichen Zahlen n und jede beliebige natürliche Zahl a (einschließlich 0)
Daraus folgt: n·0 = 0 für alle natürlichen Zahlen n. Aber nicht unmittelbar: 0·n = 0; denn die rekursive
Definition startet erst bei 1. In der Bedeutung „wiederholtes Addieren“ macht ja 0·n auch keinen Sinn!
Wenn das Rechnen mit der Null sich nicht aus der Bedeutung der Rechenoperation erschließt, wendet
der Mathematiker das Permanenz-Prinzip an:
Bei der Erweiterung des Systems der Zahlen, mit denen man rechnet, sollen die bisherigen
Rechenregeln möglichst ausnahmslos weiter gelten.
Aus der obigen Definition der Multiplikation kann man mit etwas formalem Aufwand (vollständige Induktion) zeigen, dass aus dem Kommutativgesetz der Addition das Kommutativgesetz der Multiplikation folgt: a·b = b·a für alle natürlichen Zahlen ab 1. Das Permanenzprinzip wäre verletzt, wenn 0·a
etwas anderes ergeben würde als a·0.
Eine andere Argumentationskette ist die folgende: Für alle natürlichen Zahlen c und b gilt das Distributivgesetz (a – b)·c = a·c – b·c. Dies soll auch gelten, wenn a = b, also a – b = 0; daraus folgt:
0·c = a·c – a·c = 0 für jede natürliche Zahl c.
Wichtig für die Anwendung ist auch die Umkehrung der Aussage, dass ein Produkt 0 ist, wenn ein
Faktor 0 ist: Wenn ein Produkt 0 ist, dann ist (mindestens) ein Faktor 0.
Beim Dividieren bereitet 0 : a keine Probleme, aber a : 0. Insbesondere 0 : 0.
0:3=
3.3=
9:3=
6:2=
0:2=
2:2=
1:1=
3:1=
0:1=
0:0=
0:0=
0:0=
12 : 4 =
12 : 3 =
12 : 2 =
12 : 1 =
12 : 0 =
Vorsicht mit suggestiven Päckchen, aber sie sind gut, um einen kognitiven Konflikt zu erzeugen.
Zeigen wir zunächst, warum a : 0 keine natürliche Zahl als Lösung hat. Dazu benutzen wir den Zusammenhang zwischen Dividieren und Multiplizieren:
a : b = x gilt genau dann, wenn a = b · x
6 : 0 = x gilt genau dann, wenn 6 = 0 · x; für jede natürliche Zahl x gilt aber 0 · x = 0. Also gibt es keine
natürliche Zahl x, für die 0 · x = 6 bzw. 6 : 0 = x ist. Die Argumentation, die hier für a = 6 durchgeführt
wurde, geht für jede andere natürliche Zahl außer für a = 0. (Sie gilt auch für jede ganze, rationale
oder reelle Zahl a außer für a = 0.)
0 : 0 = x gilt genau dann, wenn 0 = 0 · x; für jede natürliche Zahl x gilt aber 0 · x = 0. Also gibt es nicht
nur eine natürliche Zahl x, für die 0 · x = 0 bzw. 0 : 0 = x ist.
Fazit: Die Division durch Null ist innerhalb der natürlichen (ganzen, rationalen, reellen) Zahlen
nicht zu definieren, ohne mit den geltenden Rechenregeln in Konflikt zu geraten.
1
Grundvorstellungen des Multiplizierens: räumlich simultane Wiederholung, zeitlich sukzessive Wiederholung,
Proportionalität, kombinatorische Verbindung.
Davon zu unterscheiden das Grundverständnis: Multiplizieren als wiederholtes Addieren
2
Der Doppelpunkt mit dem Gleichheitszeichen bedeutet: die Gleichheit muss nicht bewiesen werden, sondern
der Ausdruck links vom Gleichheitszeichen wird durch den rechts davon definiert
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8
Frage: Ist das ein ähnliches Problem wie 3 – 7 oder wie 10 : 4? D.h. gibt es zwar keine Lösung in der
Menge der natürlichen Zahlen aber in einem erweiterten Zahlbereich? Kann man die bekannten Zahlbereiche um „neue“ Zahlen Ω6 = 6 : 0 und Ω0 = 0 : 0 etc. sinnvoll erweitern, wobei, falls nötig, auch Ω6
= Ω0 sein kann?
Es kommt auf die Interpretation von „sinnvoll“ an. Wenn „sinnvoll“ heißt, dass die bestehenden Rechen-Gesetze auch in dem erweiterten Bereich gelten sollen, dann lautet die Antwort: Nein.
Nun gibt es eine ähnliche Situation mit − 1 , das innerhalb der natürlichen (ganzen, rationalen, reellen) Zahlen nicht zu definieren ist, weil das Quadrat einer Zahl, ob positiv oder negativ, nie negativ
sein kann. Durch Erweiterung der reellen Zahlen um imaginäre Zahlen – man nennt i = − 1 auch die
imaginäre Einheit – haben sich die Mathematiker seit gut 400 Jahren daran gewöhnt, mit komplexen
Zahlen zu rechnen, die tatsächlich den selben Rechengesetzen gehorchen wie die reellen Zahlen –
mit Ausnahme der Ordnungseigenschaften; denn i ist weder positiv noch negativ noch Null, was dem
Trichotomie-Gesetz widerspricht (Dass i ≠ 0 ist, ist klar; wäre i positiv, dann müsste nach dem Monotonie-Gesetz auch i2 positiv sein, in Wirklichkeit ist i2 = -1; wäre i negativ, dann wäre -i und damit auch
(-i)2 positiv, in Wirklichkeit ist (-i)2 =-1.) Doch dieser Nachteil, dass im Zahlbereich der komplexen Zahlen die alten Anordnungsgesetze nicht mehr gelten, wurde aufgewogen durch die vielen Verbesserungen beim Rechnen und auch Einsichten, die man durch den neuen Zahlenraum gewann.
Also: die Mathematiker sind durchaus bereit, das Permanenz-Prinzip zu verletzen – es heißt ja auch
nur „möglichst ausnahmslos“ – , wenn es sich lohnt. Sie könnten auch einen, sogar mehrere Zahlenräume erfinden, in dem die Division durch Null wohldefiniert ist, allerdings ohne dass alle bisherigen
Rechengesetze weiter gelten können. Es müsste sich nur lohnen.
Das 0 : 0-Problem tritt noch an einer ganz anderen Stelle auf, nämlich bei Näherungsprozessen, z.B.
wenn man von der Durchschnittsgeschwindigkeit zur Momentangeschwindigkeit übergeht, und findet
dort eine Lösung durch Präzisierung des Grenzwertbegriffs in der Analysis.
Nach den vier Grundrechenarten (Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren, Dividieren) soll noch ein
Blick auf die Null beim Potenzieren und Wurzelziehen geworfen werden.
Potenzieren: 03, 30, 0
Potenzieren wird eingeführt als wiederholtes Multiplizieren:
a1 := a
a2 := a · a
a3 := a2 · a
...
an+1 := an · a
für alle natürlichen Zahlen n und jede beliebige natürliche Zahl a (einschließlich 0)
03 bereitet dann kein Problem: 03 = 0 · 0 · 0 = 0
30 macht in der Interpretation des Potenzierens als wiederholtes Addieren zunächst keinen Sinn.
Beim Rechnen mit Potenzen entdeckt und beweist man schon bald die Potenzgesetze:
am · an = am+n
am : an = am–n
(a · b)n = an · bn
(a : b)n = an : bn
(am)n = am·n
Hierbei sind m, n, a, b beliebige natürliche Zahlen ab 1. Das zweite Gesetz gilt zunächst nur für m > n.
Es gibt zugleich den Hinweis, wie man das Potenzieren mit dem Exponenten 0 (und sogar mit negativen Exponenten) sinnvoll definiert; denn aus am : an = am–n ergibt sich für m = n: a0 = 1. Diese Erweiterung ist auch mit den übrigen Potenzgesetzen verträglich – ganz im Sinne des Permanenz-Prinzips.
0 3 = 02 = 01 = 0
3 0 = 20 = 10 = 1
00 = ???
Wir können 00 nicht definieren, ohne das Permanenz-Prinzip zu verletzen; denn gäbe es eine natürliche (ganze, rationale, reelle) Zahl a, die dem Ausdruck 00 zugeordnet werden kann, dann wäre a = 00
= 03-3 = 03 : 03 = 0 : 0 und das ist ein undefinierter Ausdruck, d.h. ein Ausdruck, dem keine natürliche
(ganze, rationale, reelle) Zahl zugeordnet werden kann. (Wie reagiert Ihr TR auf die Eingabe 00?)
SS2008
Grundlagen der Schulmathematik
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9
Wurzelziehen:
0,
3
0,
0
0
1,
0
Wir benutzen den Zusammenhang zwischen Potenzieren und Wurzelziehen:
n
n
a = x genau dann, wenn x = a.
Da bei geradem Exponenten n die Potenz xn irgendeiner reellen Zahl x niemals negativ ist, ist die n-te
Wurzel aus negativen Zahlen innerhalb der reellen Zahlen nicht zu definieren. Für den Radikanden 0
dagegen gibt es kein Problem:
Zu definieren
1
2
3
n
0 = 3 0 = n 0 = 0 , denn 0 = 0 = 0 = 0.
1
a = a macht Sinn, denn a = a.
Kann man 0 1 sinnvoll definieren? Es gilt x0 = 1 für jede natürliche (ganze, rationale, reelle) Zahl x ≠ 0.
Anders ausgedrückt: Es gibt nicht nur eine Zahl x, für die x0 = 1 ist. Der Fall liegt ähnlich wie bei 0 : 0.
Ein anderer Weg, die Undefinierbarkeit von 0 a einzusehen, ist der folgende. Das fünfte Potenzgesetz
(am)n = am·n gibt den Hinweis, wie man Potenzen mit gebrochenem Exponenten sinnvoll definiert: Für
m=
1
n
n
1
1
ergibt sich ⎛⎜ a n ⎞⎟ = a1 = a , also x = a n erfüllt die Bedingung xn = a; es ist deshalb sinnvoll zu
⎝ ⎠
1
definieren: a n := n a . Für welche Radikanden a macht das Sinn? Für positive in jedem Fall, denn dann
kann man immer die n-te Wurzel ziehen. Dasselbe gilt für a = 0. Bei negativen Radikanden ist Vorsicht
geboten. Und für welche Wurzelexponenten macht es Sinn? Sicher nicht für 0, denn dann stünde bei
1
a 0 := 0 a ein undefinierter Ausdruck im Exponenten auf der linken Seite.
1.3.
Abzählstrategien: Kombinatorik
1.3.1.
Was ist verschieden? Was ist gleich?
Bevor man anfängt zu zählen, muss klar sein, was
gezählt werden soll. Das hört sich trivial an, ist es
aber nicht, sondern sogar häufig der Grund für eine
Auseinandersetzung über das "richtige" Ergebnis.
Kombinatorik: Die mathematische Disziplin, die "zählt,
ohne zu zählen", und dabei Antworten sucht auf Fragen
von der Form: "Auf wie viele Arten kann man ... ?"
(aus Ph. J. Davis, R. Hersh: Erfahrung Mathematik)
Beispiel Aus vier Ziffernkärtchen sollen Kinder durch Mischen und anschließendes Aneinanderlegen vierstellige Zahlen bilden. Wie viele vierstellige Zahlen können sie bilden?
0
0
3
7
Es gibt zwei Ziffernkärtchen mit der Null, eins mit runden Ecken und eins mit spitzen: Soll das beim
Zählen berücksichtigt werden? Ist "0307" eine zulässige Zahl (dann wäre doch wohl 307 gemeint, aber
307 ist drei-, und nicht vierstellig)?
Beispiel Auf wie viele Weisen können sich vier Personen an einen Tisch setzen?
Mal abgesehen davon, dass mit verschiedenen Weisen nicht "schnell", "mit dreckigen Händen" und
dergleichen gemeint ist, sondern ihre Position am Tisch, bleibt noch fraglich, ob und welche dieser
Positionen "im Prinzip" gleich sind, also nicht als voneinander verschieden angesehen und daher nur
einmal gezählt werden. Dabei kann es durchaus zu verschiedenen Antworten kommen, je nachdem
ob der Tisch rund oder rechteckig ist. Aber auch wenn man nur einen rechteckigen Tisch nimmt,
kommt es darauf an, was man unter "verschiedenen Weisen" versteht. Ist es wichtig, ob man zur Tür
oder zum Fenster hin sitzt? Ist es wichtig, ob man am breiten oder am schmalen Tischende sitzt? Ist
es wichtig, neben wem man sitzt oder wem man gegenübersitzt?
Jedes Mal erhält man eine andere Antwort auf das gestellte Problem.
A
A
D
B
C
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B
D
C
C
A
C
B
D
D
B
B C
A
Grundlagen der Schulmathematik
A
D
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10
In allen Beispielen/Problemen/Aufgaben dieses Kapitels wird etwas gezählt. Die wichtigste Doppelfrage vorab ist:
Was wird als verschieden angesehen und daher abgezählt?
Was wird als gleich angesehen und daher nur einmal gezählt?
Oft werden wir allerdings aus Zweckmäßigkeit zunächst Dinge als verschieden ansehen, weil sie sich
dann leichter zählen lassen, und anschließend überlegen, was wir korrigieren müssen, weil Dinge
gleich waren und so fälschlicherweise mehrfach gezählt wurden.
1.3.2.
Modellierung mit einem Baumdiagramm
In diesem Kapitel geht es immer nur darum, etwas zu zählen. Wenn dieses Etwas konkrete Gegenstände sind wie Leute, Plättchen oder auch die Striche einer Strichliste, ist das (psychologisch) einfacher, als wenn wir Möglichkeiten zählen müssen, z.B. die Möglichkeiten, vier Leute um einen Tisch
herum zu setzen. Das Problem ist, dass man in der Wirklichkeit immer nur eine der Möglichkeiten
realisieren kann und anschließend wieder zerstören muss, um eine andere Möglichkeit zu realisieren.
Eine erste Hilfe, um den Überblick nicht zu verlieren und vor allem um das Gedächtnis zu entlasten,
kann es sein, sich von jeder realisierten Möglichkeit ein Bild zu machen. Dann muss man anschließend noch die verschiedenen Bilder zählen. Das ist ein sehr aufwendiges Verfahren, und wer es einmal bei einer größeren Zahl von Möglichkeiten durchspielt, merkt schnell, dass die Gefahr besteht,
den Überblick zu verlieren, welche Realisierung denn nun noch fehlt.
Eine größere Hilfe ist oft die folgende: Man strukturiert das Zählen durch Auswahlentscheidungen, die
man schrittweise nacheinander fällt. Da es auf die Anzahl der Möglichkeiten und nicht auf irgendeine
spezielle Realisierung ankommt, legt man sich am besten bei jedem Schritt Rechenschaft ab, wie
viele Fälle denn zur Auswahl stehen. Der Baum veranschaulicht diesen Entscheidungsprozess.
Beispiel Auf wie viele Weisen können sich vier Personen an einen Tisch setzen?
o
l
Jetzt soll es durchaus als unterschiedlich angesehen werden, wo die
einzelnen Personen sitzen, ob z.B. die Tür hinter oder vor ihnen, links
oder rechts von ihnen ist.
r
u
1. Modellierung: Um die Seiten zu kennzeichnen, betrachten wir die Situation aus der Vogelperspektive und bezeichnen die Seiten mit o(ben), u(nten), r(echts) und l(inks).
Um das Zählen zu strukturieren, lassen wir die Personen A, B, C und D nacheinander Platz nehmen.
Entscheidungsprozess
A
entscheidet
B
entscheidet
o
C
u
l
r
o
u
l
r
o
l
u
r
o
r
u
l
SS2008
r
l
u
r
u
l
r
l
o
r
o
l
r
u
o
r
o
u
u
l
o
l
o
u
Realisierungen
D
l
r
r
u
l
u
l
r
r
o
l
o
u
r
r
o
u
o
l
u
l
o
u
o
Grundlagen der Schulmathematik
A
B
D
C
A
D
B
C
A
C
B
D
C
D
B
A
B
A
C
D
hdr
11
2. Modellierung: Wir können den Entscheidungsprozess auch „aus der Sicht der Stühle“ darstellen:
Die Stühle werden nacheinander besetzt, erst der Stuhl oben , dann der unten, usw.
Entscheidungsprozess
Stuhl
oben
links
unten
B
A
C
D
A
B
C
D
A
C
B
D
A
D
B
C
Realisierungen
rechts
C
D
B
D
B
C
C
D
A
D
C
A
B
D
A
D
A
B
B
C
C
A
A
B
D
C
D
B
C
B
D
C
D
A
A
C
D
B
D
A
B
A
C
B
A
C
B
A
A
B
D
C
A
D
B
C
A
C
B
D
C
D
B
A
B
A
C
D
Fassen wir zusammen:
Es sollen Möglichkeiten (Sitzanordnungen, ...) gezählt werden.
Um das Zählen zu strukturieren, wird ein Entscheidungsprozess konstruiert, der schrittweise oder
stufenweise abläuft, und durch einen Baum veranschaulicht:
Jeder zu zählenden Möglichkeit entspricht dabei ein "Pfad", das ist ein Streckenzug von der "Wurzel"
des Baumes bis zu einer seiner "Spitzen", vom Startpunkt bis zu einem Endpunkt.
Der Baum ist vollständig, wenn zu zwei Möglichkeiten, die man in der Realisierung als verschieden
ansieht, auch zwei verschiedene Pfade existieren.
Der Baum ist nicht redundant, wenn zu zwei Realisierungen, die man als gleich ansieht, nur ein Pfad
existiert.
Wenn der Baum vollständig und nicht redundant ist, d.h. wenn zu zwei Möglichkeiten, die man in der
Realisierung als verschieden ansieht, genau zwei verschiedene Pfade existieren,
dann ist die gesuchte Anzahl der Möglichkeiten gleich der Anzahl der Pfade.
Wir haben uns zur Lösung des obigen Beispiels zwei Modelle für Entscheidungsprozesse ausgedacht.
Solche Modelle zu finden, ist oft der schwierigste Teil einer Abzählaufgabe. Wie wir oben sahen, gibt
es meist mehrere Möglichkeiten für solche Modelle, darunter auch solche, die zwar ein korrektes Bild
aller Möglichkeiten ergeben, aber leider keine besondere Hilfe beim schnellen d.h. strukturierten Zählen sind.
Eine 3. Modellierung des obigen Beispiels könnte z.B. so aussehen: Wir lassen alle vier Personen
Platz nehmen (1. Möglichkeit). Die Anzahl der übrigen Möglichkeiten der Sitzanordnung wollen wir
dadurch ermitteln, dass wir abzählen, auf wie viele Weisen vier Personen ihre Plätze tauschen können.
Können Sie aus dieser Vorstellung ein schnelles Abzählverfahren gewinnen?
(Die Antwort kennen wir ja: es gibt 23 Möglichkeiten, die Plätze zu tauschen.)
SS2008
Grundlagen der Schulmathematik
hdr
12
1.3.3.
Produktregel und Summenregel
Einen vollständigen Baum zu zeichnen, ist oft ein mühsames und - wenn man die besondere Struktur
erkannt hat - auch langweiliges Geschäft. Beide Bäume des obigen Beispiels haben eine besonders
einfache Struktur, die das Abzählen der Pfade im Schnellverfahren ermöglicht: Bei jedem Schritt (auf
jeder Stufe) gibt es die gleiche Anzahl von Alternativen, für die man sich entscheiden kann. Auf der
ersten Stufe gibt es 4 Alternativen, auf der zweiten Stufe 3, also gibt es nach der zweiten Stufen
schon 4 · 3 Möglichkeiten, die ersten beiden Entscheidungen zu fällen; zu jeder von diesen gibt es
auf der dritten Stufe 2 Alternativen, also 4 · 3 · 2 Möglichkeiten, die ersten drei Entscheidungen zu
fällen. Da auf der vierten Stufe nur noch eine Alternative gewählt werden kann, ändert sich an der
Anzahl der Möglichkeiten nichts. Der Struktur des Baumes entspricht also der Rechenausdruck
4 · 3 · 2 · 1.
So wie man für ein Produkt aus lauter gleichen Faktoren zur Abkürzung die Potenzschreibweise benutzt, gibt es auch eine Abkürzung für ein Produkt aus lauter aufeinanderfolgenden Zahlen:
4 · 3 · 2 · 1 = 4!
lies: "vier Fakultät"
Allgemein:
Das Produkt der Zahlen von n bis 1 heißt "n Fakultät", in Symbolen:
n · (n-1) · (n-2) · ... · 3 · 2 · 1 = n!
oder rekursiv: n! = n ⋅ (n-1)!
Wissen Sie noch, warum 71 = 7 und 70 = 1 ist, obwohl die Ausdrücke 71 und 70 als "Produkte gleicher Faktoren" doch keinen Sinn machen? Wegen des Permanenzprinzips. Ebenso können wir den
Ausdrücken 1! und 0! eine Bedeutung geben, obwohl sie als "Produktabkürzung" keinen Sinn machen. Wir wollen die Rechenregel 3! = 3 ⋅ 2! auch auf 2! = 2 ⋅ 1! und auf 1! = 0! ⋅ 1 anwenden.
Das geht nur, wenn wir setzen:
1! = 1
0! = 1
Exkurs: Wie groß ist n! ?
Um eine Vorstellung von n! zu bekommen, wenn man für n immer größere Zahlen eingibt, veranstalten wir ein
Wettrennen zwischen 10n und n!.
Da 100 und 0! beide gleich 1 eins,
haben beide Rechenausdrücke denselben Start, wie sich's gehört.
Ein total unfairer Wettkampf? Langsam:
Bisher hatte n! noch keine Chance
aufzuholen, weil nur Zahlen unter 10
miteinander multipliziert wurden. Das
ändert sich nun schlagartig: Während
bei 10n die Zahlen auch weiterhin immer durch Anhängen einer Null wachsen, werden bei n! nun immer größere
Zahlen multipliziert.
n
0
1
2
3
4
5
...
10
10n
1
10
100
1000
10 000
100 000
...
10 000 000 000
n!
1
1
2
6
24
120
...
3 638 800
n
11
12
13
14
15
10n
100 000 000 000
1 000 000 000 000
10 000 000 000 000
100 000 000 000 000
1 000 000 000 000 000
n!
39 916 800
479 001 600
6 227 020 800
87 178 291 200
1 307 674 368 000
Wir sehen: n! hat etwas aufgeholt, hat aber immer noch drei Stellen weniger.
1020 ist eine 1 mit 20 Nullen. Bei 20! steht zuerst eine 2, dann folgen noch 18 Stellen.
1030 ist eine 1 mit 30 Nullen. Bei 30! steht zuerst eine 2, dann folgen noch 32 Stellen.
Da haben wir's: n! hat 10n überholt. Es passiert zwischen 24 und 25.1024 ist eine 1 mit 24 Nullen. Bei 24! steht zuerst eine 6, dann folgen noch 23 Stellen.
1025 ist eine 1 mit 25 Nullen. Bei 25! steht zuerst eine 1, dann folgen noch 25 Stellen.
Und ab da geht es rasant:
Beispiel 40! ist die Anzahl der Möglichkeiten, 40 Leute auf 40 Plätze zu setzen. Bei 40! folgen auf die
erste Ziffer 47 Stellen; 40! ist also mehr als 10 Millionen mal so groß wie 1040, und das ist schon eine 1
SS2008
Grundlagen der Schulmathematik
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13
mit 40 Nullen. Und dabei ist die Anzahl der Leute, die da ihre Plätze tauschen sollen, mit 40 doch
wahrlich noch nicht riesig.
Beispiel Noch ein Gedankenspiel: Zehn Leute wollen alle möglichen Sitzanordnungen ausprobieren.
Im 10-Sekunden-Takt wechseln sie ihre Plätze. Wie lange brauchen sie (Fehlversuche und Pausen
ausgeschlossen), bis sie alle Möglichkeiten einmal realisiert haben? Antwort: 420 Tage.
Wenn elf Leute das Spiel machen, dauert es über 12Fehler! Textmarke nicht definiert. Jahre (reine
Spielzeit). Zwölf Leute schafften es in ihrem Leben nicht, da es über 150 Jahre dauern würde.
Beispiel Auf wie viele Weisen können sich vier Personen an einen Tisch setzen? Dabei kommt es den
Personen (und dem Fragesteller) nur darauf an, ob jemand an der breiten Seite des Tisches sitzt oder
an der schmalen; alles andere ist egal.
D.h. die folgenden Sitzanordnungen sind zum Beispiel als gleich zu betrachten.
A
D
B
B
C
C
C
A
B
D
D
D
A
C
B
A
Welches Entscheidungsmodell wählen wir: „von den Personen aus“ oder „von den Stühlen aus“?
Offensichtlich ist "von den Stühlen aus" nicht geeignet, da ja jetzt nicht zwischen vier Stühlen sondern
zwischen zwei Seiten des Tisches gewählt werden soll; wenn schon, können wir die Situation also
höchstens "von den Tischseiten aus" betrachten (2. Modellierung).
1. Modellierung: "Von den Personen aus"
Wir lassen die Personen A, B, C und D wieder nacheinander Platz nehmen. Diesmal entscheiden sie
sich allerdings entweder für die breite oder die schmale Seite des Tisches. Es ist klar: Wenn sich A
und B für die breite Seite entschieden haben, bleibt C nur noch die schmale Seite; hat sich dagegen A
für die breite und B für die schmale Seite entschieden, kann C noch zwischen beiden Seiten wählen.
Entscheidungsprozess
A
entscheidet
B
entscheidet
Realisierung
s
s
An der breiten
Seite sitzen
A und B
b
s
A und C
s
b
A und D
b
s
B und C
s
b
B und D
b
b
C und D
C
b
b
s
b
s
s
D
(Überprüfen Sie, dass der Baum vollständig und nicht redundant ist. Man könnte meinen, dass bei
unserer Modellierung nicht alle Fälle erfasst werden, da z.B. die Person D ja nie frei wählen kann. Wie
würden Sie dem Einwand begegnen?)
Für diesen Baum gilt nicht, dass er auf einer Stufe immer die gleiche Zahl von Abzweigungen hat. Die
Anzahl seiner Pfade kann man also nicht wie oben direkt durch eine Multiplikation gewinnen. Bei einer
so kleinen Gesamtzahl ist das nicht so tragisch. Aber wenn wir bei größeren Zahlen genötigt wären,
erst den ganzen Baum zu zeichnen, ehe wir zählen können, kann es leicht unübersichtlich werden.
Es ist das Ziel, möglichst einen Entscheidungsprozess bzw. einen Baum zu konstruieren,
der auf einer Stufe an allen Verzweigungspunkten die gleiche Zahl von Alternativen bzw. von Abzweigungen hat. Dann kann man nämlich die Gesamtzahl der Möglichkeiten (= Anzahl der Pfade) durch
Multiplizieren der Zahlen auf den einzelnen Stufen erhalten („Produktregel“).
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Grundlagen der Schulmathematik
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14
Also kurz gesagt: Es ist das Ziel, einen Entscheidungsprozess zu konstruieren, den man nach der
Produktregel berechnen kann. Voraussetzung (man kann es nicht oft genug wiederholen, da hier die
häufigste Fehlerquelle liegt):
Der Baum ist vollständig und nicht redundant, d.h.
zu zwei Möglichkeiten, die man in der Realisierung als verschieden ansieht, existieren zwei Pfade,
und zu zwei Realisierungen, die man als gleich ansieht, existiert lediglich ein Pfad.
2. Modellierung: "Von den Tischseiten aus"
Die Tischseiten werden nacheinander besetzt, erst die beiden breiten Seiten, dann die beiden schmalen. Langsam: Wenn die beiden breiten Seiten besetzt sind, ist die Angelegenheit schon erledigt, da
es nicht mehr darauf ankommt, wie sich die beiden übrigen Personen auf die beiden schmalen Seiten
verteilen. Also geht es aus der Sicht der Tischseiten darum, auf wie viele Weisen man aus den vier
Personen zwei für die breiten Seiten auswählen kann. Naheliegend ist, diesen Auswahlprozess in
zwei Stufen zu strukturieren und zu zeichnen: Auswahl der ersten Person, dann Auswahl der zweiten
Person. Es entsteht ein Baum der bevorzugten Sorte: Die Anzahl der Pfade lässt sich leicht durch
Multiplikation ermitteln, nämlich 4 · 3 = 12.
Zwei Modellierungen, zwei Ergebnisse? Ein Blick auf die Realisierungen im 2. Modell zeigt, was passiert ist. Wir haben für jede in Frage kommende Möglichkeit zwei Pfade in unserem Baum, da wir unterschieden haben, ob z.B. die Person A bei der ersten Auswahl oder bei der zweiten Auswahl an die
breite Seite kam. Die zweite Modellierung ist deshalb nicht wertlos; sie enthält nur eine künstliche
Verdopplung der Zählfälle. Das muss bei der Ermittlung des Ergebnisses argumentativ und rechnerisch berücksichtigt werden. (vgl. Kap.1.3.4). Fassen wir das Bisherige zusammen.
.Das Zählen wird strukturiert, indem man die Situation durch einen mehrstufigen Entscheidungsprozess modelliert und diesen am Baum veranschaulicht.
Die Anzahl der Pfade ist gleich der gesuchten Anzahl der Möglichkeiten
- aber nur dann, wenn der Baum vollständig und nicht redundant ist.
Wenn der Baum auf einer Stufe an allen Verzweigungspunkten die gleiche Anzahl von Abzweigungen hat, wird die Anzahl der Pfade durch Multiplizieren ermittelt ("Produktregel"),.
Beispiel Fünf Städte sind, wie in der Skizze dargestellt, durch Wege
verbunden. Von A nach B gibt es drei verschiedene Wege.
a)
b)
c)
d)
e)
f)
A
C
B
Wie viele verschiedene Wege gibt es von A über B nach E?
Wie viele verschiedene Wege gibt es insgesamt von A nach E?
E
Wie viele Wege gibt es von A nach E und zurück?
Wie viele Wege gibt es von A nach E und zurück, die wenigstens einmal über B gehen?
Wie viele Wege gibt es von A nach E und zurück, bei denen Hin- und Rückweg verschieden sind?
Wie viele verschiedene Rundwege gibt es?
Lösungsvorschläge:
zu a) 3 · 2 Wege = 6 Wege
B
A
B
B
zu b) 3 · 2 + 2 · 2 · 2 Wege = 14 Wege
E
E
E
E
E
E
B
B
B
E
E
E
E
E
E
A
C
D
D
C
D
D
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E
E
E
E
E
E
E
E
hdr
D
15
Die beiden Entscheidungsprozesse sind leicht zu durchschauen. Beide Bäume sind vollständig und
nicht redundant. Also ist die gesuchte Anzahl der Wege gleich der Anzahl der Pfade.
In a) ist die Anzahl der Pfade nach der Produktregel berechenbar.
In b) kann man den Baum in zwei Teilbäume zerlegen, die beide nach der Produktregel berechenbar
sind. Die Gesamtzahl ergibt sich als Summe der Pfade in den beiden Teilbäumen („Summenregel“). Voraussetzung ist allerdings, dass die Pfade der beiden Teilbäume wirklich zu verschiedenen
Realisierungen führen (keine Redundanz!).
Wie oft, wenn man ein Verfahren (hier die Konstruktion eines Entscheidungsprozesses/Baumes zum
Abzählen von Möglichkeiten) im Prinzip verstanden hat - aber tunlichst erst dann! -, fängt man an, es
zu verkürzen. Bei den Bäumen oben bietet sich eine weitere Verkürzung der Darstellung an: Statt z. B.
3 Kanten von A nach B zu zeichnen, zeichnen wir nur eine und notieren darauf ihre Vielfachheit 3;
usw.
3
A
2
B
E
3
B
2
C
A
2
E
D
2
E
2
Produktregel und Summenregel lassen sich zur Pfadregel zusammenfassen:
Multipliziere längs der Pfade und addiere die Pfadprodukte.
zu c) 14 · 14 Wege = 196 Wege zu d) 3 · 2 · 14 + 2 · 4 · 2 · 3 Wege = 132 Wege
14
A
E
14
A
3
B
2
C
A
zu e) Für den Rückweg gibt es
eine Möglichkeit weniger:
14 · 13 Wege = 182 Wege
2
4
14
E
E
A
B
2
3
A
zu f) Die Frage ist unklar gestellt: Kommt es auf die
Richtung des Rundwegs an? Wenn nicht, gibt es
48 Rundwege, wenn doch, 96.
Beispiel „Vorstandswahl“: Für die Vorstandswahlen einer Kommission (Vorsitz und Stellvertretung)
stehen 5 Franzosen, 10 Engländer und 6 Deutsche zur Verfügung.
Wie viele Wahlmöglichkeiten gibt es?
a) Die beiden Vorstandsmitglieder sollen verschiedener Nationalität sein.
b) Die beiden Vorstandsmitglieder dürfen auch gleicher Nationalität sein.
Die Nationen bezeichnen wir mit F, E und D. Jede Nation kann den Vorsitz, dessen Stellvertretung
oder keinen Platz im Vorstand stellen.
Es gibt (mindestens) zwei Modellierungen: "Aus der Sicht der Nationalitäten" und "aus der Sicht der
Vorstandssitze.
zu a)
"Aus der Sicht der Nationalitäten"
F
D
E
10
V
5
5
1
"Aus der Sicht der Vorstandssitze"
S
k
1
S
k
10
V
1
10
k
10
S
V
1
6
S
1
k
6
V
6
6
S
V
Anzahl der Möglichkeiten
5·10 + 5·6 + 5·10 + 5·6 + 10·6 + 10·6 = 280
SS2008
S
V
k
F
5
10
6
E
D
10
E
6
5
D
6
10
D
5
F
E
F
Anzahl der Möglichkeiten
5·10 + 5·6 + 10·5 + 10·6 + 6·10 + 6·5 = 280
Grundlagen der Schulmathematik
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zu b)
"Aus der Sicht der Nationalitäten" ergibt sich jetzt zusätzlich zu den Fällen "V(orsitz)",
"S(tellvertretung)" und "k(ein Sitz im Vorstand)" noch der vierte Fall "b(eide Sitze im Vorstand)". Man
kann diese vier Fälle auch durch einen Teilbaum darstellen, der sich aus den Fällen V und nV ("nicht
Vorsitz") sowie S und nS ("nicht Stellvertretung") zusammensetzt. Dem Fall k entspricht dann der Pfad
über nV nach nS, dem Fall b der Pfad über V nach S.
"Aus der Sicht der Nationalitäten"
"Aus der Sicht der Vorstandssitze"
D
E
F
V
5
S
S
1
1
k
6
10
V
1
k
1
k
6
V
5
10
k
1
90
20
b
V
10
1
4
V
6
S
S
6
V
k
30
b
b
1
k
k
1
k
V
10
1
S
k
Anzahl der Möglichkeiten:
5·10+5·6+5·10+5·6+10·6+10·6+30+90+20 = 420
F
5
F
10
E
6
10
D
5
9
E
6
6
5
10
D
5
Anzahl der Möglichkeiten:
5·20+10·20+6·20 = 420
Künstliche Vervielfachung: Quotientenregel
Beispiel „Schachturnier“: Acht Personen bestreiten ein Schachturnier. Die erste Runde besteht aus
vier Spielen, die gleichzeitig ausgetragen werden sollen. Wie viele Möglichkeiten gibt es, die Paarungen für die erste Runde aufzustellen?
Wie kann man die Paarungen ermitteln? Z.B. indem man die 8 Spieler in irgendeiner Reihenfolge
nebeneinander schreibt (Teilnehmerliste) und anschließend fortlaufend immer nach zwei Spielern
einen Strich zieht. Wie viele Möglichkeiten gibt es 8 Spieler in irgendeiner Reihenfolge nebeneinander
zu schreiben? Begründen sie mit einem Baum und der Produktregel: Es gibt 8! Möglichkeiten.
Statt die ursprüngliche Frage ("Wie viele Möglichkeiten zur Bildung von Paarungen gibt es?") direkt
anzugehen, haben wir ein anderes Modell ("Teilnehmerlisten") entwickelt, das "berechenbar" ist. Aber
ist das Modell auch korrekt? D.h. ist die Anzahl der möglichen Teilnehmerlisten gleich der Anzahl der
möglichen Paarungen? Nein! Denn die beiden Teilnehmerlisten, die sich nur dadurch unterscheiden,
dass die Namen innerhalb einer Paarung getauscht werden, sind aus der Sicht der Aufgabenstellung
gleich. Die obige Zahl ist also zu groß, aber "berechenbar" zu groß.
A
B
2
SS2008
Zu jeder Möglichkeit, eine Liste mit vier Paarungen zu bilden,
C
D
E
F
G
gibt es
B
C
D
E
F
G
A
D
C
F
E
H
·
2
·
2
·
Möglichkeiten, eine Teilnehmerliste zu bilden.
B
Grundlagen der Schulmathematik
F
E
D
Verschiedene Wege auszuprobieren, ist immer von Vorteil: Sie trainieren Ihre Flexibilität. Auf zwei
Wegen zum selben Ergebnis zu gelangen, ist die beste Selbstkontrolle.
A
E
D
Es gibt kürzere und längere, einsichtigere und elegantere Lösungswege. Dabei ist die Bewertung hinsichtlich Einsichtigkeit und Eleganz subjektiv, also Ihre persönliche Entscheidung.
1.3.4
F
H
H
G
2
hdr
17
Umgekehrt gibt es also
8!
24
Möglichkeiten, aus den Teilnehmerlisten eine Liste von vier Paarungen zu
bilden, wobei es auf die Reihenfolge der Spieler innerhalb einer Paarung nicht ankommt.
Haben wir damit die Zahl der möglichen Paarungen für die erste Runde im Sinne der Aufgabenstellung? Nein! Denn es kommt auch nicht auf die Reihenfolge der einzelnen Paarungen an: Ob A und B
als 1. oder als 3. Paarung genannt werden, ist egal.
Denken wir den Prozess vom Ende her: Zu jeder Möglichkeit von Paarungen für die erste Runde - die
Anzahl dieser Möglichkeiten sollen wir ermitteln - gibt es 4 · 3 · 2 · 1 Möglichkeiten diese Paarungen in
eine Reihenfolge zu bringen und dann 2 · 2 · 2 · 2 Möglichkeiten in jeder Paarung die Partner zu vertauschen, um auf diese Weise zu den 8 · 7 · 6 · 5 · 4 · 3 · 2 · 1 Möglichkeiten zu gelangen, eine Teilnehmerliste zu erstellen.
Umgekehrt gibt es also
8!
24 ⋅ 4!
Möglichkeiten, aus den Teilnehmerlisten die Paarungen für die erste
Runde aufzustellen.
In diesem Beispiel haben wir zweimal die Quotientenregel angewendet. Sie ist im Grunde nichts
anderes als die Umkehrung der Produktregel.
(Wenn wir den Bruch kürzen, erhalten wir 7 · 5 · 3 · 1 Möglichkeiten. Ein Rechenausdruck, der uns
nachdenklich stimmen sollte, ob wir die Lösung nicht unter Anwendung der einfachen Produktregel
direkt hätten ermitteln können. Dazu müssten wir das Problem allerdings anders modellieren. Haben
Sie eine Idee?)
Beispiel In einer Klasse sind 20 Kinder.
Wie viele Möglichkeiten gibt es, vier Kinder auszuwählen
a) für ein Rollenspiel mit vier verschiedenen Rollen,
b) für ein Team mit vier gleichberechtigten Partnern?
zu a)
Üben wir nochmal die beiden Sichtweisen! Wir bezeichnen die Rollen mit A, B, C und D.
Aus der Sicht der 20 Kinder stellt sich der Auswahlprozess so dar: Für das 1. Kind gibt es fünf Alternativen, nämlich eine der vier Rollen oder keine zu übernehmen. Jede der ergriffenen Möglichkeiten führt
zu einer anderen Konsequenz für das 2. Kind; usw.
Wir sehen: Dies wird ein sehr unübersichtlicher Entscheidungsprozess (zumal sichergestellt werden
muss, dass am Ende nicht alle Kinder "keine Rolle" erhalten), der uns auf keinen Fall die Produktregel
anwenden lässt. Also probieren wir, das Auswahlverfahren "aus der Sicht der Rollen" zu betrachten.
Für die Rolle A stehen 20 Kinder/Alternativen zur Verfügung. Für jede der möglichen Besetzungen der
Rolle A stehen dann für die Rolle B noch 19 Kinder/Alternativen zur Auswahl. Usw.
Es gibt insgesamt 20 · 19 · 18 · 17 Möglichkeiten, die vier Rollen mit Kindern der Klasse zu besetzen.
zu b)
Beim Rollenspiel will jedes Kind auch jede Rolle einmal spielen. Also ist die Anzahl der Spiele/Möglichkeiten bei a) sicher größer als bei b). Wir können aber den Zusammenhang zwischen den
beiden Spieltypen noch genauer beschreiben und damit die Lösung von a) benutzen, um die von b) zu
bekommen.
Angenommen, wir hätten schon vier Kinder für ein Team (Spiel b) ausgewählt. Diese sollen aber auch
das Rollenspiel a) machen. Wie oft müssen sie dann spielen, damit jedes der vier Kinder einmal jede
der vier Rollen übernommen hat? Wie oben überlegt man: 4 · 3 · 2 · 1 Mal.
Also müssen
20 ⋅ 19 ⋅ 18 ⋅ 17
= 4 845 Spiele vom Typ b) gespielt werden, bis jedes Kind einmal in
4 ⋅ 3 ⋅ 2 ⋅1
jedem möglichen Team gespielt hat.
SS2008
Grundlagen der Schulmathematik
hdr
18
Das Beispiel macht noch einmal die Strategie der "künstlichen Redundanz", oder besser, die Strategie der künstlichen Vervielfachung deutlich, die hinter der Quotientenregel steckt.
"Künstliche Vervielfachung"
Beispiel
Es sollen Möglichkeiten gezählt werden.
Aus n Kindern Teams mit k Kindern bilden
Dazu wird eine Entscheidungprozess/Baum konstruiert, der alle Möglichkeiten erzeugt (also vollständig ist). Damit er leicht (d.h. mit der Produktregel) berechenbar ist, werden die zu zählenden
Möglichkeiten mit einem zusätzlichen Merkmal
versehen, wobei das Merkmal bei jeder Möglichkeit in derselben Vielfachheit auftritt.
Entscheidungsprozess:
Auswahl der Team-Mitglieder der Reihe nach
Gezählt werden
n · (n-1) · … · (n-k+1) Möglichkeiten, aus n Kindern k der Reihe nach auszuwählen,
die Anzahl der Pfade des Baumes (-> Zähler)
und die Vielfachheit des zusätzlichen Merkmals
(-> Nenner).
Der Quotient gibt die richtige Anzahl der Möglichkeiten an, Vierer-Teams aus 20 Kindern zu
bilden.
Zusätzliches Merkmal:
Reihenfolge innerhalb eines Vierer-Teams
Zu jedem Team mit k Kindern gibt es k! Möglichkeiten, es in eine Reihenfolge zu bringen.
k! Möglichkeiten, ein Team mit k Kindern in eine
Reihenfolge zu bringen.
n ⋅ (n − 1) ⋅...⋅ (n − k + 1)
Möglichkeiten,
k!
Eine einfache Kontrolle, ob man mit seinen Überlegungen falsch liegt, ergibt sich, wenn man den
Quotienten ausrechnet: Es muss sich in jedem Fall eine natürliche Zahl ergeben; denn es soll
etwas gezählt werden.
1.3.5 Verschiedene Modelle - eine Struktur: „n über k“
Beispiel Urnenmodell: In einer Urne sind 17 verschiedene Kugeln. Mit einem Griff werden 5 Kugeln
gezogen und notiert. Wie viele verschiedene Ziehungsergebnisse sind möglich?
Statt "mit einem Griff" können wir die Kugeln auch nacheinander ziehen, nicht wieder zurücklegen und
am Schluss die Reihenfolge der Ziehungen ignorieren (genau wie bei der Ziehung der Lottozahlen).
Es gibt 17 ⋅ 16 ⋅ 15⋅ 14⋅ 13 Möglichkeiten 5 Kugeln nacheinander aus der Urne zu ziehen und 5! mögliche Reihenfolgen für diese 5 Kugeln. Durch Anwendung der Quotientenregel erhalten wir als Lösung
(17 ⋅ 16 ⋅ 15⋅ 14⋅ 13) : 5! = 6188
Wir verallgemeinern: Statt 17 setzen wir n. Statt von 17 abwärts 5 aufeinanderfolgende Zahlen zu
multiplizieren, multiplizieren wir von n abwärts k aufeinanderfolgende Zahlen. Statt durch 5! zu dividieren, dividieren wir durch k! .
n ⋅ (n − 1) ⋅...⋅ (n − k + 1)
verschiedene Möglichkeiten aus einer Urne mit n Kugeln mit
k!
einem Griff k Kugeln zu ziehen.
Lösung: Es gibt
Der Bruch hat im Zähler genau so viele Faktoren wie im Nenner. wenn man also beim Aufschreiben
eines konkreten Beispiels mit dem Nenner beginnt, braucht man sich nicht so viele Gedanken zu machen, mit welcher Zahl man im Zähler aufhören muss.
Man kann die Formel auch noch umformen, so dass sie griffiger wird. (Das Ausrechnen wird dadurch
allerdings nicht erleichtert.) Im Zähler stehen die ersten k Faktoren von n!, wenn man bei n beginnt.
Durch Erweitern des Bruchs mit (n-k)! erhält man im Zähler also n!. Insgesamt:
n ⋅ (n − 1) ⋅...⋅ (n − k + 1)
n!
=
k!
k! ⋅ (n − k )!
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19
Interpretation des neuen Rechenausdrucks am Urnenmodell:
n! ist die Anzahl der Möglichkeiten, aus einer Urne mit n verschiedenen Kugeln n-mal ohne Zurücklegen zu ziehen und das Ergebnis unter Berücksichtigung der Reihenfolge zu notieren.
Die Aufgabe lautete aber:
1. Nur k-mal ziehen: Die Vielfachheit, die durch das Ziehen der restlichen (n-k) Kugeln ins Spiel gekommen ist, muss wieder korrigiert werden; deshalb "geteilt durch (n-k)!".
2. Die Reihenfolge der entnommenen k Kugeln ist belanglos: Die Vielfachheit, die durch ihre Berücksichtigung entstanden ist, muss korrigiert werden; deshalb "geteilt durch k!".
Dieser neue Rechenausdruck wird uns noch in vielen Anwendungen begegnen. Es gibt für ihn eine
⎛ n⎞
Abkürzung: ⎜⎜ ⎟⎟ , lies „n über k“.
⎝k ⎠
Egal, wie groß n ist, immer gilt:
⎛n⎞
⎜⎜ ⎟⎟ = 1
⎝0⎠
⎛n⎞
⎜⎜ ⎟⎟ = 1
⎝n⎠
⎛n⎞
⎜⎜ ⎟⎟ = n
⎝ 1⎠
⎛ n ⎞
⎜⎜
⎟⎟ = n
⎝ n − 1⎠
Prüfen Sie das nach, indem Sie
- die zugehörige Aufgabe im Urnenmodell formulieren und mit gesundem Menschenverstand lösen,
(wie so oft, macht das Rechnen mit der Null in realen Situationen Probleme),
- für die abgekürzte Schreibweise die ausführliche wählen und ausrechnen.
Beispiel Mengenmodell: Gegeben ist eine Menge mit n Elementen. Daraus soll eine Teilmenge mit k
Elementen gebildet werden. Auf wie viele Weisen geht das?
(Oder kurz: Wie viele k-elementige Teilmengen besitzt eine n-elementige Menge?)
Das ist eine etwas abstrakte Formulierung einer häufig auftretenden Problemstellung: Immer wenn
aus einer Gesamtheit Mannschaften gebildet werden sollen, in denen alle Mitglieder gleichberechtigt
sind, tritt eine solche Fragestellung auf.
Lösung: Die Menge mit n Elementen ist wie eine Urne mit n verschiedenen Kugeln. Eine Teilmenge
mit k Elementen bilden, ist wie Ziehen von k Kugeln „mit einem Griff“. Die Lösung kennen wir:
⎛ n⎞
Es gibt ⎜⎜ ⎟⎟ Möglichkeiten.
⎝k ⎠
Jedesmal, wenn man eine Teilmenge mit k Elementen gebildet hat, bleibt eine Restmenge mit (n-k)
Elementen übrig. Das heißt: Es gibt genau so viele Teilmengen mit (n-k) Elementen wie Teilmengen
mit k Elementen. Es gilt also:
⎛ n ⎞ ⎛ n⎞
⎜⎜
⎟⎟ = ⎜⎜ ⎟⎟
⎝n − k ⎠ ⎝k ⎠
Damit haben wir eine wichtige "Symmetrieeigenschaft" von "n über k" kennengelernt.
⎛ 20 ⎞ 20 ⋅ 19 ⋅ 18 ⋅ 17
Diese Symmetrieeigenschaft hilft bisweilen auch beim Rechnen; denn ⎜⎜ ⎟⎟ =
ist leich1⋅ 2 ⋅ 3 ⋅ 4
⎝4⎠
⎛ 20 ⎞ 20 ⋅ 19 ⋅...⋅ 6 ⋅ 5
ter zu überschauen als ⎜⎜ ⎟⎟ =
. (Natürlich: wenn man vor dem Ausrechnen kürzt, steht
⎝ 16 ⎠ 1⋅ 2 ⋅... ⋅ 15 ⋅ 16
in beiden Fällen dasselbe da.)
Gegeben ist eine Menge mit n Elementen. Daraus sollen alle möglichen Teilmengen gebildet werden
(inklusive der Menge, die aus allen n Elementen besteht, und der Menge, in der kein einziges Element
liegt, die also leer ist). Wie viele sind das?
(Oder kurz: Wie viele Teilmengen besitzt eine n-elementige Menge?)
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Teilmengen mit
Anzahl
0 El.
⎛n⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝0⎠
1 El.
2 El.
3 El.
4 El.
...
(n-1) E.
n El.
⎛ n⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝ 1⎠
⎛n⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝ 2⎠
⎛n⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝3⎠
⎛n⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝ 4⎠
…
⎛ n ⎞
⎜⎜
⎟⎟
⎝ n − 1⎠
⎛ n⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝ n⎠
⎛ n ⎞ ⎛ n⎞
⎛ n ⎞ ⎛ n⎞ ⎛ n ⎞ ⎛ n ⎞
⎟⎟ + ⎜⎜ ⎟⎟ Teilmengen.
Also gibt es insgesamt ⎜⎜ ⎟⎟ + ⎜⎜ ⎟⎟ + ⎜⎜ ⎟⎟ + ⎜⎜ ⎟⎟ + … + ⎜⎜
⎝ n − 1⎠ ⎝ n ⎠
⎝ 0 ⎠ ⎝ 1⎠ ⎝ 2 ⎠ ⎝ 3 ⎠
Wir können an die Beantwortung der Frage auch aus der Sicht der n Elemente herangehen. Für eine
beliebige Teilmenge stellt sich für jedes Element die Frage: "Bin ich drin: ja oder nein?" Für jede Teilmenge müssen also n Entscheidungen getroffen werden. Der Entscheidungsbaum hat also n Stufen
und auf jeder Stufe zwei Alternativen. Jedem Pfad in diesem Baum entspricht genau eine Teilmenge.
Es gibt 2n Pfade, also insgesamt 2n Teilmengen.
Das Abzählen auf zwei Arten hat zu einer neuen Gesetzmäßigkeit geführt:
⎛ n ⎞ ⎛ n⎞
⎛ n ⎞ ⎛ n⎞ ⎛ n ⎞ ⎛ n ⎞
⎟⎟ + ⎜⎜ ⎟⎟ = 2n
⎜⎜ ⎟⎟ + ⎜⎜ ⎟⎟ + ⎜⎜ ⎟⎟ + ⎜⎜ ⎟⎟ + … + ⎜⎜
n
−
1
3
2
1
0
⎝
⎠ ⎝ n⎠
⎝ ⎠ ⎝ ⎠ ⎝ ⎠ ⎝ ⎠
Beispiel Schubladenmodell: Auf dem Tisch liegen 5 gleiche Dinge. Zu ihrer Verpackung gibt es 17
unterschiedliche Schachteln. In eine Schachtel passt nur ein Ding. Wie viele Möglichkeiten gibt es, die
5 Dinge auf die 17 Schachteln zu verteilen?
Nach der Strategie der "künstlichen Vervielfachung" geben wir zunächst den 5 gleichen Dingen ein
zusätzliches Unterscheidungsmerkmal, so dass sie verschieden aussehen. Lösen wir das Verteilungsproblem „aus der Sicht der Kugeln“, so ergeben sich 17 ⋅ 16 ⋅ 15⋅ 14⋅ 13 Möglichkeiten. Das ist
ein 5!-fach zu großes Ergebnis. Die richtige Lösung lautet also: (17 ⋅ 16 ⋅ 15⋅ 14⋅ 13) : 5! = 6188.
Die Aufgabe, k gleiche Dinge auf n Schubladen zu verteilen, wobei in eine Schublade nur ein Ding
passt, lässt sich auch so codieren: 1 = Schublade besetzt, 0 = Schublade leer. Jeder Möglichkeit entspricht dann eine n-stellige Zeichenkette aus k Einsen und (n-k) Nullen. Man stelle sich n Ziffernkarten
mit k Einsen und (n-k) Nullen vor. Hätten die Ziffernkarten verschiedene Farben und wollten wir die
Zeichenkette auch nach Farben unterscheiden („künstliche Vervielfachung“), dann gäbe es n! Zeichenketten. In Wirklichkeit gibt aber die Vertauschung der Einsen (k! Möglichkeiten) und die Vertauschung der (n-k) Nullen ((n-k)! Möglichkeiten) zur selben Lösung des ursprünglichen Problems. Also
⎛n⎞
n!
gibt es
= ⎜⎜ ⎟⎟ Möglichkeiten für eine n-stellige Zeichenkette aus k Einsen und (n-k) Nullen.
k! ⋅ (n − k )! ⎝ k ⎠
Beispiel Entscheidungsmodell: Wie viele Möglichkeiten gibt es bei n hintereinander zu treffenden Ja/
Nein-Entscheidungen k-mal Ja (und folglich (n-k)-mal Nein) zu sagen, wobei es auf die Reihenfolge
der Entscheidungen ankommt?
Die Lösung geht wie beim Schubladenmodell: 1 = Ja, 0 = Nein.
Oder wie beim Mengenmodell: eine k-elementige Teilmenge einer n-elementigen Menge zu bilden
heißt aus der Sicht der Elemente, auf die n-malige Frage: "Bin ich drin: ja oder nein?" k-mal die Ant⎛ n⎞
wort „Ja“ und (n-k)-mal die Antwort „Nein“ zu erhalten. Dafür gibt es ⎜⎜ ⎟⎟ Möglichkeiten.
⎝k ⎠
Beispiel Wegemodell: Auf wie viele Arten lässt sich das Wort "ABRAKADABRA" im folgenden Muster
von oben nach unten lesen?
(Wie man aus diesem Rätsel eine schöne mathematische Entdeckung gewinnen kann, können Sie in dem Buch
von Georg Pólya "Vom Lösen mathematischer Aufgaben, Band 1" (Seite 110 ff) nachlesen. Der Untertitel des
Buches lautet "Einsicht und Entdeckung, Lernen und Lehren".)
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A
B
R
A
K
A
A
K
A
D
B
R
K
A
D
A
R
A
K
A
D
A
B
A
D
A
B
R
K
A
A
D
A
B
R
A
Lösung: Bei jedem Buchstaben stellt sich die Frage „Gehe ich nach links unten oder nach rechts unten?“. Um zu dem dritten K in der fünften Reihe zu gelangen, muss man die Frage viermal stellen und
⎛ 4⎞
dabei zweimal „nach rechts unten“ antworten. Dafür gibt es ⎜⎜ ⎟⎟ Möglichkeiten.
⎝ 2⎠
Wir wollen an die Stelle des Buchstaben-Musters für jeden Buchstaben den entsprechenden Rechenausdruck schreiben, der die Frage beantwortet: Auf wie viele Weisen kommt man vom Anfangs-A zu
diesem Buchstaben?
Wie sieht der Rechenausdruck für das Anfangs-A aus? Dafür gibt es keine Entscheidung und folglich
⎛0⎞
0!
= 1.
keine Antwort. Der passende Rechenausdruck ist ⎜⎜ ⎟⎟ =
0
!
(
0
⋅
− 0)!
⎝0⎠
Links stehen die Rechenausdrücke und rechts die zugehörigen Ergebnisse.
⎛0⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝0⎠
⎛3⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝0⎠
⎛ 4⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝0⎠
⎛5⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝0⎠
⎛5⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝ 1⎠
1
⎛ 1⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝0⎠
⎛ 2⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝0⎠
⎛1⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝1⎠
⎛ 2⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝ 1⎠
⎛3⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝ 1⎠
⎛ 4⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝ 1⎠
⎛3⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝ 2⎠
⎛ 4⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝ 2⎠
⎛5⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝ 2⎠
⎛5⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝3⎠
1
⎛ 2⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝ 2⎠
⎛3⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝3⎠
⎛ 4⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝3⎠
⎛5⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝ 4⎠
1
1
⎛ 4⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝ 4⎠
⎛5⎞
⎜⎜ ⎟⎟
⎝5⎠
1
1
1
2
3
4
5
1
3
6
10
1
4
10
1
5
1
Wie sieht die nächste Zeile in den beiden Dreiecksmustern aus?
Man nennt dieses Zahlenmuster auch das Pascalsche Dreieck nach dem berühmten französischen
Philosophen, Theologen und Mathematiker Blaise Pascal (1623 - 1662). Es war allerdings schon lange vor ihm z. B. den Chinesen bekannt, wie man aus alten Handschriften weiß.
Was fällt am Aufbau des Zahlendreiecks rechts auf?
1. Am Rand stehen immer Einsen. Woran liegt das?
2. Das Ergebnismuster ist links-rechts-symmetrisch. Wie kommt das?
3. Jede Zahl außer den Randzahlen ist die Summe ihrer beiden oberen Nachbarn, z.B.
4=1+3
6=3+3
10 = 6 + 4
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⎛ n⎞
Wie würde man ⎜⎜ ⎟⎟ berechnen, wenn man das Dreieck entsprechend weit fortsetzen würde? Man
⎝k ⎠
⎛ n − 1⎞
⎛ n − 1⎞
⎟⎟ . Also gilt:
⎟ und ⎜⎜
müsste die beiden oberen Nachbarn addieren. Wie heißen sie? ⎜⎜
⎟
⎝ k ⎠
⎝ k − 1⎠
⎛ n − 1⎞
⎛ n − 1⎞
⎛ n⎞
⎜⎜
⎟⎟ + ⎜⎜
⎟⎟ = ⎜⎜ ⎟⎟
⎝ k − 1⎠
⎝ k ⎠
⎝k ⎠
Wir könnten das durch Ausrechnen bestätigen. Wir wollen stattdessen durch eine Überlegung im
⎛ n⎞
Mengenmodell zeigen, dass die Gleichung richtig ist. ⎜⎜ ⎟⎟ ist die Anzahl aller möglichen k-elementigen
⎝k ⎠
Teilmengen, die man aus einer Grundmenge mit n Elementen bilden kann. Wir versetzen uns jetzt in
die Lage eines Elements der Grundmenge, nennen wir es Ella. Wie sieht der Prozess der Teilmengenbildung aus der Sicht von Ella aus? Alle k-elementigen Teilmengen lassen sich zwei Klassen zuordnen, diejenigen Teilmengen, zu denen Ella gehört, und diejenigen, in denen Ella nicht enthalten ist.
Wie groß ist die erste Klasse? Diese Teilmengen sind aus der Sicht von Ella so entstanden, dass man
aus den übrigen (n-1) Elementen der Grundmenge (k-1) ausgewählt und zu Ella hinzugetan hat: Das
⎛ n − 1⎞
⎟⎟ Weisen. Wie groß ist die zweite Klasse? Diese Teilmengen sind aus der Sicht von
geht auf ⎜⎜
⎝ k − 1⎠
Ella so entstanden, dass man aus den übrigen (n-1) Elementen der Grundmenge gleich alle k Elemen⎛ n − 1⎞
⎟⎟ Weisen.
te ausgewählt hat: Das geht auf ⎜⎜
⎝ k ⎠
Das Bildungsgesetz für das Pascalsche Dreieck lautet also:
Jede Zahl außer den Randzahlen ist gleich der Summe ihrer beiden oberen Nachbarn.
Die Randzahlen sind immer 1.
Entdeckungen am Pascalschen Dreieck: Was stellst du fest? Kannst du es auch begründen?
• Addiere alle Zahlen in einer (horizontalen) Reihe.
• Subtrahiere und addiere abwechselnd die Zahlen in einer Reihe.
• Addiere die Quadrate aller Zahlen in einer Reihe. Das Ergebnis steht in der Mitte etliche Reihen tiefer.
• Addiere die Zahlen in einer Reihe vom Rand bis zu irgendeiner Zahl. Das Ergebnis steht in
der Reihe darunter. Wo?
• Färbe alle geraden Zahlen rot, alle ungeraden Zahlen grün
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Beispiel Binomische Formel: Berechne (a + b)17.
Wenn man die 17 Klammern nach dem Distributivgesetz auflöst, muss man letztlich jedes a und jedes
b aus den verschiedenen Klammern miteinander multiplizieren. Wenn man das systematisch macht,
erhält man insgesamt 18 Summanden: Es fängt mit a17 und a16⋅b an und hört mit a⋅b16 und b17 auf.
Dazwischen gibt es den Summanden a5⋅b12. Wie oft kommt er vor? Um a5⋅b12 zu erhalten, muss man
aus 5 Klammern a und aus 12 Klammern b auswählen und miteinander multiplizieren. Wie oft geht
das? Genau so oft, wie man eine 17-stellige Zeichenkette aus 5 Einsen und 12 Nullen bilden kann.
⎛17 ⎞
Es gibt ⎜⎜ ⎟⎟ Möglichkeiten. Insgesamt gilt also:
⎝5⎠
⎛n⎞
⎛ n⎞
⎛n⎞
⎛ n ⎞
⎛ n⎞
⎟⎟ ⋅ a ⋅ bn −1 + ⎜⎜ ⎟⎟ ⋅ bn
(a + b)n = ⎜⎜ ⎟⎟ ⋅ an + ⎜⎜ ⎟⎟ ⋅ a n −1 ⋅ b + ... + ⎜⎜ ⎟⎟ ⋅ a k ⋅ bn − k + ... + ⎜⎜
⎝0⎠
⎝ 1⎠
⎝k ⎠
⎝ n − 1⎠
⎝ n⎠
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2.
Zahlbereichserweiterungen
2.1.
Ganze Zahlen
In Abschnitt 1.1. hatten wir für das Rechnen mit natürlichen Zahlen folgenden Zusammenhang zwischen Operation und Umkehroperation festgehalten (setze + oder · für ∗):
die Gleichung a ∗ b = x hat für alle a und b eine Lösung, die Gleichung a ∗ x = b nicht.
A) a + x = b hat nur dann eine natürliche Zahl als Lösung, wenn a < b,
in diesem Fall hat die Subtraktionsaufgabe b – a = x eine natürliche Zahl als Lösung.
B) a · x = b hat nur dann eine natürliche Zahl als Lösung, wenn b Vielfaches von a ist, in diesem
Fall hat die Divisionsaufgabe b : a = x eine natürliche Zahl als Lösung.
Solche Grenzen des Rechnens führen zu Erweiterungen des Zahlbereichs, im Fall
A) zu den negativen und zu den ganzen Zahlen,
B) zu den Brüchen und zu den rationalen Zahlen.
In diesem Abschnitt geht es um die Erweiterung der natürlichen Zahlen zu den ganzen Zahlen – allerdings nicht in dem Sinne, wie man dies „kindgerecht“ durchführen könnte, sondern in dem Sinne, was
dieser Erweiterung (und auch der zu den rationalen Zahlen) mathematisch zu Grunde liegt.
Dabei gibt es zwei Grundgedanken. Zum einen das Permanenz-Prinzip:
Bei der Erweiterung des Systems sollen die bisherigen Rechenregeln möglichst ausnahmslos
weiter gelten.
Zum zweiten:
Die Konstruktion einer neuen Zahlenwelt,
¾ deren einer Teil sich im Wesentlichen verhält wie die „alte Welt“,
¾ die aber als Ganzes den Vorteil hat, dass man uneingeschränkt rechnen kann.
„Zahlbereichserweiterung“ bedeutet genau genommen nicht, dass man zu den vorhandenen Zahlen
neue hinzufügt, sondern Einbettung in einen größeren Zahlbereich, in dem die alten Grenzen des
Rechnens überwunden sind.
2.1.1.
Identifizieren und Abstrahieren – Äquivalenzrelation und Äquivalenzklasse
Aus dem Nichts wird diese neue Welt allerdings nicht erschaffen. Das „Material“, aus dem sie erschaffen wird, sind Subtraktionsaufgaben. Jede Subtraktionsaufgabe a – b = x ist festgelegt durch die beiden natürlichen Zahlen a und b, anders ausgedrückt: durch das Zahlenpaar (a,b), wobei es auf die
Reihenfolge der beiden Zahlen im Zahlenpaar ankommt, denn a – b = x ist eine andere Aufgabe als
b – a = x. Das Material ist also die Menge aller geordneten Paare von natürlichen Zahlen einschließlich 0, kurz
(lies: „N0 kreuz N0“)
N0 × N 0 = {(a,b) a,b ∈ N 0 }
Diese Menge bezeichnet man als Produktmenge oder Paarmenge.
Verschiedene Gleichungen können dieselbe Lösung haben. Solche Gleichungen (bzw. Zahlenpaare)
werden miteinander identifiziert („Äquivalenzrelation“) und in den gleichen Sack („Äquivalenzklasse“)
gesteckt.
Das Programm:
¾
In der Produktmenge N0 × N0 werden Zahlenpaare miteinander identifiziert, d.h. als äquivalent
bezeichnet. Die Eigenschaften dieser Äquivalenzrelation werden genauer betrachtet. Eine Menge zueinander äquivalenter Zahlenpaare, eine sog. Äquivalenzklasse, nennen wir „ganze Zahl“.
Die Menge der ganzen Zahlen bezeichnen wir mit Z.
¾
In Z werden Rechenoperationen analog zu den bekannten Operationen in N und ebenso eine
analoge Kleiner-Relation eingeführt. Wir zeigen, dass hierfür die bekannten Rechengesetze gelten (Permanenz-Prinzip).
SS2008
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¾
Wir zeigen: Eine Teilmenge von Z, die wir Z+ nennen, hat die gleiche Struktur wie N. In diesem
Sinne ist N eingebettet in Z.
Äquivalenzrelation
Zwei Zahlenpaare (a,b) und (c,d) aus N0 × N0 heißen äquivalent, in Zeichen: (a,b) ≅ (c,d), wenn sie
„unterschiedsgleich“ sind, d.h. wenn a – b = c – d oder b – a = d – c ist, je nachdem welche der beiden
Termgleichungen eine natürliche Zahl als Ergebnis der Rechnung hat. Die Alternativbedingung kann
man zu einer einzigen Bedingung zusammenfassen:
(a,b) ≅ (c,d) genau dann, wenn a + d = b + c
(in Worten: Summe der Außenglieder gleich Summe der Innenglieder)
Beispiele: (0,7) ≅ (3,10) ≅ (5,12)
(3,0) ≅ (10,7) ≅ (15,12)
(0,0) ≅ (3,3) ≅ (12,12)
Die Äquivalenzrelation ≅ hat folgende Grundeigenschaften:
Reflexivität:
(a,b) ≅ (a,b)
Symmetrie:
Wenn (a,b) ≅ (c,d), dann auch (c,d) ≅ (a,b)
Transitivität:
Wenn (a,b) ≅ (c,d) und (c,d) ≅ (e,f), dann auch (a,b) ≅ (e,f)
Beweis für die Transitivität:
Die Voraussetzung ist (a,b) ≅ (c,d) und (c,d) ≅ (e,f), also a + d = b + c und c + f = d + e. Durch Addition
der beiden Gleichungen ergibt sich (a + d) + (c + f) = (b + c) + (d + e). Durch Anwendung des Assoziativ- und des Kommutativgesetzes in N folgt hieraus (a + f) + (c + d) = (b + e) + (c + d) und weiter durch
Anwendung der „Kürzungsregel“ a + f = b + e, was gleichbedeutend ist mit (a,b) ≅ (e,f).
Symmetrie und Transitivität kann man auch zusammenfassen: Sind zwei Elemente zu einem dritten
äquivalent, dann sind sie auch zueinander äquivalent.
Die Äquivalenzrelation ist eine Verallgemeinerung der Gleichheitsbeziehung, die ja reflexiv, symmetrisch und transitiv ist. Sie „identifiziert“ verschiedene Elemente unter einem vorgegebenem Kriterium,
hier: Zahlenpaare unter dem Kriterium „Summe der Außenglieder gleich Summe der Innenglieder“.
Die so als äquivalent identifizierten Zahlenpaare werden nun in einen „Sack“ gepackt, die „Äquivalenzklasse“.
Äquivalenzklasse
Die Menge [(a, b)] = {( x, y) ( x, y) ≅ (a, b)} heißt Äquivalenzklasse von (a,b).
[(a,b)] ist sozusagen das „Etikett“, das auf dem „Sack“ klebt. Für ein solches Etikett kann man ein beliebiges Zahlenpaar aus dem Sack nehmen; es heißt dann Repräsentant der Äquivalenzklasse. Zwei
Äquivalenzklassen [(a, b)] und [(c, d)] sind genau dann gleich, wenn ihre Repräsentanten (a,b) und
(c,d) äquivalent sind. Anders ausgedrückt: Zwei Äquivalenzklassen [(a, b)] und [(c, d)] sind entweder
gleich oder disjunkt. Da die Vereinigungsmenge aller Äquivalenzklassen wieder ganz N0 × N0 ergibt,
erzeugen sie eine disjunkte Zerlegung, eine Klasseneinteilung von N0 × N0 .
Beispiele: [(6,10)] = [(3,7)] = [(0,4)]
[(10,8)] = [(7,5)] = [(2,0)]
[(10,10)] = [(4,4)] = [(0,0)]
Jede Äquivalenzklasse ist in genau einer der drei Formen darstellbar: [(n,0)] oder [(0, m)] oder [(0,0)] ,
wobei n und m von Null verschieden sind.
Menge der ganzen Zahlen Z
Die Menge aller Äquivalenzklassen in N0 × N0 bezeichnen wir als Menge der ganzen Zahlen, kurz:
Z=
{ [(a,b)]
(a,b) ∈ N0 × N0
}
Dass dies berechtigt ist, werden wir sehen, wenn wir das Rechnen mit Äquivalenzklassen untersuchen.
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26
2.1.2.
Rechnen mit Äquivalenzklassen
Addition:
Multiplikation:
Kleiner-Relation:
[(a,b)] ⊕ [(c, d)] := [(a + c,b + d)]
[(a, b)] ⊗ [(c, d)] := [(a ⋅ c + b ⋅ d, a ⋅ d + b ⋅ c)]
[(a, b)] p [(c, d)] genau dann, wenn a + d < b + c
Beispiele:
[(0,7)] ⊕ [(3,0)] = [(3,7)] = [(0,4)]
[(7,0)] ⊕ [(0,5)] = [(7,5)] = [(2,0)] [(0,4)] ⊕ [(4,0)] = [(4,4)] = [(0,0)]
[(0,7)] ⊗ [(3,0)] = [(0,21)]
[(7,0)] ⊗ [(5,0)] = [(35,0)]
[(1,4)] ⊗ [(5,1)] = [(9,21)] = [(0,12)]
[(3,0)] p [(5,0)]
[(0,5)] p [(0,3)]
[(0,0)] p [(5,0)]
[(0,5)] p [(0,0)]
[(0,5)] p [(5,0)]
Zu prüfen ist, ob diese Definitionen sinnvoll sind, d.h. ob dasselbe herauskommt, wenn man für jede
der Äquivalenzklassen einen anderen Repräsentanten wählt.
Für die Addition heißt das: wenn [(a, b)] = [(a' , b' )] und [(c, d)] = [(c' , d' )] ist, dann muss auch
[(a,b)] ⊕ [(c, d)] = [(a' ,b' )] ⊕ [(c' , d' )] , also [(a + c, b + d)] = [(a'+c' ,b'+d' )] sein.
Beweis:
[(a,b)] = [(a' , b' )] , bedeutet (a,b) ≅ (a’,b’), d.h. a + b’ = b + a’.
[(c, d)] = [(c' , d' )] , bedeutet (c,d) ≅ (c’,d’), d.h. c + d’ = d + c’.
Addition der beiden Gleichungen und Ausnutzung des Kommutativ- und Assoziativgesetzes
der Addition natürlicher Zahlen ergibt: (a + c) + (b’ + d’) = (b + d) + (a’ + c’), d.h.
(a + c, b + d) ≅ (a'+ c' , b'+ d' ) bzw. [(a + c, b + d)] = [(a'+ c' , b'+ d' )] .
Der Beweis für die Multiplikation läuft nach demselben Schema.
Für die Kleiner-Relation gilt: Wenn [(a, b)] p [(c, d)] und [(a, b)] = [(a' , b' )] und [(c, d)] = [(c' , d' )] ist, dann
muss auch [(a' , b' )] p [(c' , d' )] sein.
Beweis: [(a, b)] p [(c, d)] bedeutet a + d < b + c . Nach dem Monotonie-Gesetz im Bereich der natürlichen Zahlen gilt a + d + a’ + d’ < b + c + a’ + d’.
[(a,b)] = [(a' , b' )] heißt (a,b) ≅ (a’,b’), d.h. a + b’ = b + a’. [(c, d)] = [(c' , d' )] heißt c + d’ = d + c’.
Man kann die rechte Seite der Ungleichung umformen: a + d + a’ + d’ < a + d + b’ + c’.
Aus dem Monotonie-Gesetz folgt dann a’ + d’ < b’ + c’, d.h. [(a' , b' )] p [(c' , d' )] .
Nach dem gleichen Schema
¾ aus der Welt der ganzen Zahlen (= Äquivalenzklassen) über die Definition der Äquivalenzklasse und Äquivalenzrelation hinüber wechseln in die Welt der natürlichen Zahlen,
¾ dort die Grundeigenschaften des Rechnens mit natürlichen Zahlen ausnutzen (immer mit
Blick auf die Eigenschaft, die man für das Rechnen mit ganzen Zahlen beweisen will)
¾ und zurück wechseln über die Definition in die Welt der ganzen Zahlen
erhält man den Nachweis, dass für das Addieren und Multiplizieren ganzer Zahlen die Grundeigenschaften der Kommutativität, der Assoziativität und der Distributivität und für die Kleiner-Relation die
Grundeigenschaften der Transitivität und der Trichotomie sowie die Monotonie-Gesetze gelten. Für
die Multiplikation müssen wir dabei eine Einschränkung machen (s.u.).
Fazit: Wir haben eine neue Welt von Objekten konstruiert, mit denen wir rechnen können wie mit natürlichen Zahlen. Unser Ziel war es aber, eine Welt von Zahlen zu konstruieren, in der wir uneingeschränkt subtrahieren können. Haben wir das erreicht? Ja!
Der Subtraktionsaufgabe b – a = x entspricht die Additionsaufgabe a + x = b; beide haben nur dann
eine natürliche Zahl als Lösung, wenn a < b ist. In der Menge Z der ganzen Zahlen gilt dagegen:
[(a,b)] ⊕ [(x, y)] = [(c, d)] hat für alle [(a,b)] und [(c, d)] aus Z eine Lösung [(x, y)] in Z.
Die Lösung heißt: [( x, y)] = [(b + c, a + d)] .
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2.1.3. Einbettung von N in Z
Jede ganze Zahl ist in genau einer der drei Formen [(n,0)] oder [(0, m)] oder [(0,0)] darstellbar, wobei
n und m von Null verschiedene natürliche Zahlen sind. [(0,0)] spielt bei den ganzen Zahlen dieselbe
Rolle wie die Null bei den natürlichen Zahlen: wenn man [(0,0)] zu irgendeiner ganzen Zahl addiert,
erhält man wieder diese Zahl. Wie schon die Beispiele [(0,0)] p [(5,0)] , [(0,5)] p [(0,0)] , [(0,5)] p [(5,0)]
zeigen, gilt [(0,0)] p [(n,0)] und [(0, m)] p [(0,0)] für alle von Null verschiedenen natürliche Zahlen m und
n; d.h. die ganzen Zahlen der Form [(n,0)] spielen die Rolle der natürlichen Zahlen. Man kann jeder
natürlichen Zahl n eine ganze Zahl [(n,0)] zuordnen und umgekehrt jeder ganzen Zahl [(a, b)] = [(n,0)]
mit a > b und n = a – b eine natürliche Zahl n. Und dabei gilt:
Es ist das Gleiche, ob man erst zwei natürliche Zahlen a und b den zwei ganzen Zahlen [(a,0)] und
[(b,0)] zuordnet und dann die beiden ganzen Zahlen addiert bzw. multipliziert oder
ob man erst die beiden natürlichen Zahlen a und b addiert bzw. multipliziert und dann das Ergebnis
der ganzen Zahl [(a + b,0)] bzw. [(a ⋅ b,0)] zuordnet.
Kurz: Die Menge N der natürlichen Zahlen zusammen mit der Addition +, der Multiplikation · und der
Kleiner-Relation <
und die Menge Z+ der ganzen Zahlen von der Form [(n,0)] zusammen mit der Addition ⊕ , der
Multiplikation ⊗ und der Kleiner-Relation p
haben dieselbe Struktur (man sagt auch: sie sind isomorph).
Wir können deshalb eine gängigere Schreibweise einführen:
statt
[(7,5)] = [(2,0)]
[(n,0)]
[(3,7)] = [(0,4)]
[(0,m)]
[( 4,4)] = [(0,0)]
⊕
⊗
p
+2
+n
–4
–m
0
+
·
<
schreiben wir
Beispiel: Addition
statt
schreiben wir
[(7,0)] ⊕ [(0,5)] = [(7,5)]
[(0,7)] ⊕ [(3,0)] = [(3,7)]
[(0,4)] ⊕ [(4,0)] = [( 4,4)]
(+7) + (–5) = +2
(–7) + (+3) = –4
(–4) + (+4) = 0
[(7,0)] ⊗ [(5,0)] = [(35,0)]
[(0,7)] ⊗ [(3,0)] = [(0,21)]
[(0,1)] ⊗ [(0,1)] = [(1,0)]
(+7) · (+5) = +35
(–7) · (+3) = –21
(–1) · (–1) = +1
Beispiel: Multiplikation
statt
schreiben wir
2.1.4. „Minus mal minus ergibt plus“
Hauptziel der durchgeführten Zahlbereichserweiterung ist die uneingeschränkte Subtraktion. Das wird
erreicht, indem man
¾ in der Produktmenge N0 × N0 Zahlenpaare miteinander identifiziert, d.h. als äquivalent bezeichnet,
¾ zueinander äquivalente Zahlenpaare zu Äquivalenzklassen zusammenfasst und
¾ in der Menge Z aller Äquivalenzklassen eine Addition definiert, die den bekannten Rechengesetzen genügt.
Außerdem sollen die neuen Zahlen der Größe nach geordnet werden, wie dies bei den natürlichen
Zahlen der Fall ist. Dies erfolgt durch Definition einer Kleiner-Relation in Z. (Hier hätten wir noch einen
Spielraum gehabt, da unsere Äquivalenzrelation als „Unterschiedsgleichheit“ noch nicht festlegt, ob
mit (1,0) 1 – 0 oder 0 – 1 gemeint ist. Wir haben uns entschieden, dass [(0,0)] p [(1,0)] und nicht
[(1,0)] p [(0,0)] sein soll.) Die ganzen Zahlen der Form [(n,0)] sind danach positiv, der Form [(0,m)]
negativ.
Dann haben wir in Z eine Multiplikation definiert, die den bekannten Rechengesetzen genügt. Unmittelbar aus dieser Definition folgt: Das Produkt zweier negativer Zahlen ist eine positive Zahl; denn
[(0,m)] ⊗ [(0,n)] := [(m ⋅ n,0)] oder in neuer Schreibweise: (–m) · (–n) = +m·n.
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Das Produkt zweier negativer Zahlen ist eine positive Zahl – das widerspricht unserer Intuition. Hätte
es eine Möglichkeit zur Definition einer Multiplikation gegeben, in der nicht „Minus mal minus ergibt
plus“ gilt?
Nach der intuitiven Vorstellung der Multiplikation als wiederholter Addition muss gelten:
3·(+15) = (+15)+(+15)+(+15) = (+45) und 3·(–15) = (–15)+(–15)+(–15) = –45.
Aber unsere intuitive Vorstellung versagt schon bei (–15)·3, wenn wir es als „minus 15-mal“ lesen. Nun
haben wir uns so an die Kommutativität der Multiplikation gewöhnt, dass wir nicht ohne Not von ihr
lassen wollen (Permanenz-Prinzip!); dann ist (–15)·3 = 3·(–15); auch wenn wir es uns das „Vervielfachen“ mit einer negativen Zahl nicht vorstellen können, so können wir es doch plausibel berechnen.
Und ob wir statt 3 nun +3 schreiben, ist auch von der Vorstellung her unerheblich.
Bleibt nur noch der ominöse Fall (–3)·(–15). Erinnern wir uns: Wer 3·15 nicht sofort weiß, rechnet nach
dem Distributivgesetz 3 · (10 + 5) = 3 · 10 + 3 · 5. Nach diesem Gesetz gilt:
(–3)·((–15) + (+15)) = (–3)·(–15) + (–3)·(+15).
In diesem Ausdruck kennen wir die Zahl auf der linken Seite (sie ist Null) und den zweiten Summanden auf der rechten Seite (er ist –45); also muss (–3)·(–15) = +45 sein – wenn wir nach denselben
Regeln rechnen wollen wie bisher (Permanenz-Prinzip!).
An einer Stelle folgt aus der strikten Anwendung des Permanenz-Prinzips, dass wir ein Gesetz bei
Erweiterung des Zahlbereichs präzisieren müssen: das Monotonie-Gesetz der Multiplikation. In N0 gilt:
•
Wenn a < b, dann auch a · c < b · c, sofern c ≠ 0
In Z gilt [(0,0)] p [(1,0)] ; Multiplikation mit [(0,1)] ergibt auf der linken Seite [(0,0)] ⊗ [(0,1)] = [(0,0)] , auf der
rechten Seite [(1,0)] ⊗ [(0,1)] = [(0,1)] . Es gilt aber [(0,1)] p [(0,0)] .
Das Monotonie-Gesetz der Multiplikation lautet also:
Wenn [(a, b)] p [(c, d)] , dann [(a, b)] ⊗ [(n,0)] p [(c, d)] ⊗ [(n,0)] und [(c, d)] ⊗ [(0, m)] p [(a, b)] ⊗ [(0, m)] , oder in
der neuen Schreibweise:
Für alle ganzen Zahlen a, b, c gilt:
•
2.2.
Wenn a < b, dann auch a · c < b · c, sofern c > 0 ist, und b · c < a · c, sofern c < 0 ist.
Brüche und Bruchzahlen
Ist schon “minus mal minus ergibt plus” schwer vorstellbar, so gehen bei der Einführung der Brüche zu
Beginn der Sekundarstufe etliche Vorstellungen zu Bruch: Jede natürliche Zahl hat zwei Nachbarzahlen; bei Brüchen ist dieser Begriff sinnlos. Eine natürliche Zahl hat im Dezimalsystem einen eindeutig
festgelegten Namen; eine Bruchzahl hat unendlich viele Namen: 2/3 = 4/6 = 6/9 = … . Das Produkt
zweier natürlicher Zahlen ist außer bei 1 und bei 0 immer größer als die beiden Faktoren, bei Brüchen
mal kleiner, mal größer. Die bekannten Algorithmen wie z.B. das schriftliche Addieren funktionieren
nicht mehr. Usw.
In diesem Abschnitt geht es um die Erweiterung der natürlichen Zahlen zu den Bruchzahlen – allerdings nicht in dem Sinne, wie man dies „kindgerecht“ durchführen könnte, sondern in dem Sinne, was
dieser Erweiterung mathematisch zu Grunde liegt. Es sind im wesentlichen dieselben Grundgedanken
wie bei der Erweiterung zu den ganzen Zahlen; um diese Analogie zu verdeutlichen, benutzen wir dieselben Bezeichnungen, unterlegen aber eine andere Bedeutung.
Zum einen leitet uns das Permanenz-Prinzip:
Bei der Erweiterung des Systems sollen die bisherigen Rechenregeln möglichst ausnahmslos
weiter gelten.
Zum zweiten geht es um die Konstruktion einer neuen Zahlenwelt, die wie bei den ganzen Zahlen
aus Klassen von Aufgaben besteht, deren einer Teil sich im Wesentlichen verhält wie die „alte Welt“
der natürlichen Zahlen, die aber als Ganzes den Vorteil hat, dass man uneingeschränkt dividieren
kann (außer durch Null).
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2.2.1. Äquivalenzrelation und Äquivalenzklasse
Aus dem Nichts wird diese neue Welt allerdings nicht erschaffen. Das „Material“, aus dem sie erschaffen wird, sind Divisionsaufgaben. Jede Divisionsaufgabe a : b = x ist festgelegt durch die beiden natürlichen Zahlen a und b, anders ausgedrückt: durch das Zahlenpaar (a,b), wobei es auf die Reihenfolge
der beiden Zahlen im Zahlenpaar ankommt, denn b : a = x ist eine andere Aufgabe als a : b = x.
Das Material ist also die Menge aller Paare von natürlichen Zahlen ohne die Null, kurz
{
}
N × N = (a,b) a,b ∈ N
(lies: „N kreuz N“)
Verschiedene Gleichungen können dieselbe Lösung haben. Solche Gleichungen (bzw. Zahlenpaare)
werden miteinander identifiziert („Äquivalenzrelation“) und in den gleichen Sack („Äquivalenzklasse“)
gesteckt.
Das Programm:
¾ In der Produktmenge N × N werden Zahlenpaare miteinander identifiziert, d.h. als äquivalent bezeichnet. Die Eigenschaften dieser Äquivalenzrelation werden genauer betrachtet.
¾ Eine Menge zueinander äquivalenter Zahlenpaare, eine sog. Äquivalenzklasse, nennen wir
„Bruchzahl“. Die Menge der Bruchzahlen bezeichnen wir mit B.
¾ In B werden Rechenoperationen analog zu den bekannten Operationen in N und ebenso eine
analoge Kleiner-Relation eingeführt. Wir zeigen, dass hierfür die bekannten Rechengesetze gelten (Permanenz-Prinzip).
¾ Wir zeigen: Eine Teilmenge von B hat die gleiche Struktur wie N. In diesem Sinne ist N eingebettet in B.
Äquivalenzrelation
Zwei Zahlenpaare (a,b) und (c,d) aus N × N heißen äquivalent (wörtlich: „gleichwertig“ oder „wertgleich“), in Zeichen: (a,b) ≅ (c,d), wenn sie „quotientengleich“ sind, d.h. wenn a : b = c : d ist.
Nun haben die beiden Divisionsaufgaben nur in besonderen Fällen eine natürliche Zahl als Lösung,
z.B. 6 : 2 = 9 : 3. Man kann diese Bedingung aber auch multiplikativ formulieren, z.B. 6 · 3 = 2 · 9
(„Überkreuz-Multiplikation“) und die lässt sich dann verallgemeinern:
(a,b) ≅ (c,d) genau dann, wenn a · d = b · c
(in Worten: Produkt der Außenglieder gleich Produkt der Innenglieder).
Beispiele:(3,4) ≅ (6,8) ≅ (9,12)
(3,2) ≅ (6,4) ≅ (15,10)
(4,1) ≅ (8,2) ≅ (12,3)
Die so definierte Äquivalenzrelation ist reflexiv, symmetrisch und transitiv.
Beweis für die Transitivität:
Die Voraussetzung ist (a,b) ≅ (c,d) und (c,d) ≅ (e,f), also a · d = b · c und c · f = d · e. Durch Multiplikation der beiden Gleichungen ergibt sich (a · d) · (c · f) = (b · c) · (d · e). Durch Anwendung des Assoziativ- und des Kommutativgesetzes in N folgt hieraus (a · f) · (c · d) = (b · e) · (c · d) und weiter mit der
Kürzungsregel a · f = b · e, was gleichbedeutend ist mit (a,b) ≅ (e,f).
Äquivalenzklasse
Die Menge [(a,b)] = {( x, y) ( x, y) ≅ (a,b) } heißt Äquivalenzklasse von (a,b).
Zwei Äquivalenzklassen [(a, b)] und [(c, d)] sind genau dann gleich, wenn ihre Repräsentanten (a,b)
und (c,d) äquivalent sind. Anders ausgedrückt: Zwei Äquivalenzklassen [(a, b)] und [(c, d)] sind entweder gleich oder disjunkt. Da die Vereinigungsmenge aller Äquivalenzklassen wieder ganz N × N ergibt,
erzeugen sie eine disjunkte Zerlegung, eine Klasseneinteilung von N × N .
Beispiele: [(3,4)] = [(6,8)] = [(9,12)]
[(3,2)] = [(6,4)] = [(15,10)] [(4,1)] = [(8,2)] = [(12,3)]
Menge der Bruchzahlen B
Die Menge aller Äquivalenzklassen in N × N bezeichnen wir als Menge der Bruchzahlen, kurz:
B=
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{ [(a,b)]
(a,b) ∈ N × N
}
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Wir wollen schon an dieser Stelle die gängigen Ausdrucksweisen mit den abstrakteren dieses Abschnitts in Verbindung bringen, obwohl die Rechtfertigung dafür erst später erfolgt. Bei den ganzen
Zahlen gibt es einen Standard-Namen für eine Äquivalenzklasse, der aus dem Zahlnamen einer natürlichen Zahl, versehen mit einem Vorzeichen, besteht. Das ist bei Bruchzahlen anders.
Ein Zahlenpaar (a,b), das einer Divisionsaufgabe a:b entspricht, nennt man auch einen Bruch mit dem
Zähler a und dem Nenner b. Damit sind die Brüche (3,4) und (6,8) zunächst verschieden, da sie ja in
Zähler und Nenner verschieden sind. Aber sie sind „wertgleich“ oder äquivalent, gehören also zu ein
und derselben Äquivalenzklasse: verschiedene Brüche, dieselbe Bruchzahl. Jeder Bruch ist also ein
Repräsentant seiner Äquivalenzklasse, der zugehörigen Bruchzahl. Diese Repräsentanteneigenschaft
ist gemeint, wenn wir statt der Äquivalenzklasse [(3,4)] die Bruchzahl in der Form 34 schreiben und
wenn wir statt [(3,4)] = [(6,8)] schreiben:
3
4
=
6
8
.
2.2.2. Rechnen mit Äquivalenzklassen
Multiplikation:
[(a,b)] ⊗ [(c, d)] := [(a ⋅ c,b ⋅ d)]
Beispiele: [(1,7)] ⊗ [(3,4)] = [(3,28)]
(Bruchschreibweise:
[(3,2)] ⊗ [(5,7)] = [(15,14)]
a
b
⋅
c
d
=
a⋅c
b⋅d
)
[(3,4)] ⊗ [(8,3)] = [(24,12)] = [(2,1)]
Zu prüfen ist, ob diese Definition sinnvoll ist, d.h. ob dasselbe herauskommt, wenn man für jede der
Äquivalenzklassen einen anderen Repräsentanten wählt; anders formuliert: wenn [(a, b)] = [(a' , b' )] und
[(c, d)] = [(c' , d' )] ist, dann muss auch [(a,b)] ⊗ [(c, d)] = [(a' ,b' )] ⊗ [(c' , d' )] , also [(a ⋅ c,b ⋅ d)] = [(a'⋅ c' ,b'⋅ d' )]
sein.
Beweis: [(a, b)] = [(a' , b' )] , bedeutet (a,b) ≅ (a’,b’), d.h. a · b’ = b · a’.
[(c, d)] = [(c' , d' )] , bedeutet (c,d) ≅ (c’,d’), d.h. c · d’ = d · c’.
Multiplikation der beiden Gleichungen und Ausnutzung des Kommutativ- und Assoziativgesetzes der Multiplikation natürlicher Zahlen ergibt:
(a · c) · (b’ · d’) = (b · d) · (a’ · c’), d.h. (a ⋅ c,b ⋅ d) ≅ (a'⋅ c' ,b'⋅ d' ) bzw. [(a ⋅ c,b ⋅ d)] = [(a'⋅ c' ,b'⋅ d' )] .
Nach dem gleichen Schema
¾ aus der Welt der Bruchzahlen (= Äquivalenzklassen) über die Definition der Äquivalenzklasse und Äquivalenzrelation hinüber wechseln in die Welt der natürlichen Zahlen,
¾ dort die bekannten Grundeigenschaften des Rechnens mit natürlichen Zahlen ausnutzen
(immer mit Blick auf die Eigenschaft, die man für das Rechnen mit Bruchzahlen beweisen
will)
¾ und zurück wechseln über die Definition in die Welt der Bruchzahlen
erhält man den Nachweis, dass für das Multiplizieren von Bruchzahlen die Grundeigenschaften der
Kommutativität und der Assoziativität gelten.
Fazit: Wir haben eine neue Welt von Objekten konstruiert, mit denen wir multiplizieren können wie mit
natürlichen Zahlen. Unser Ziel war es aber, eine Welt von Zahlen zu konstruieren, in der wir uneingeschränkt dividieren können. Haben wir das erreicht? Ja!
Der Divisionsaufgabe b : a = x entspricht die Multiplikationsaufgabe a · x = b; beide haben nur dann
eine Lösung in N, wenn b ein Vielfaches von a ist. In der Menge B der Bruchzahlen gilt dagegen:
[(a,b)] ⊗ [(x, y)] = [(c, d)] hat für alle [(a,b)] und [(c, d)] aus B eine Lösung [(x, y)] in B.
Die Lösung heißt: [( x, y)] = [(b ⋅ c, a ⋅ d)] .
Die Bruchzahl [(1,1)] = [(n,n)] spielt in B die gleiche Rolle wie die Eins bei den natürlichen Zahlen: Wenn
man irgendeine Bruchzahl [(a, b)] mit [(1,1)] = [(n,n)] multipliziert, erhält man wieder [(a,b)] = [(a ⋅ n,b ⋅ n)] .
Den rechten Repräsentanten nennt man auch den erweiterten Bruch.
Wie muss die Addition von Äquivalenzklassen definiert werden? So, dass das Distributivgesetz der
Division erhalten bleibt (Permanenz-Prinzip!): a:b + c:b = (a + c):b ; geschrieben als Bruchzahlen heißt
das: [(a,b)] ⊕ [(c,b)] = [(a + c,b)] . Damit wäre die Addition von Brüchen mit gleichem Nenner definiert.
Nun gilt nach der (Term-) Erweiterungs-/ Kürzungsregel [(a,b)] = [(a ⋅ d,b ⋅ d)] und [(c, d)] = [(b ⋅ c,b ⋅ d)] .
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Rechts stehen jeweils Bruchzahlen mit gleichem Nenner, dem sog. Hauptnenner der beiden Bruchzahlen. Da die Addition unabhängig vom Repräsentanten sein soll, muss gelten:
[(a,b)] ⊕ [(c, d)] = [(a ⋅ d,b ⋅ d)] ⊕ [(b ⋅ c,b ⋅ d)] = [(a ⋅ d + b ⋅ c,b ⋅ d)] . Also lautet die Definition:
Addition:
[(a,b)] ⊕ [(c, d)] := [(a ⋅ d + b ⋅ c,b ⋅ d)]
(Bruchschreibweise:
a
b
+
c
d
=
a⋅d + b⋅c
b⋅d
)
Durch ähnliche Überlegungen kommt man zu der Definition:
[(a, b)] p [(c, d)] genau dann, wenn a · d < b · c
[(1,5)] p [(1,3)]
[(1,1)] p [(5,1)]
[(1,5)] p [(1,1)]
Beispiele: [(3,1)] p [(5,1)]
Kleiner-Relation:
[(1,5)] p [(5,1)]
Nach dem gleichen Schema wie oben erhält man den Nachweis, dass für das Addieren von Bruchzahlen die Grundeigenschaften der Kommutativität, der Assoziativität und der Distributivität und für die
Kleiner-Relation die Grundeigenschaften der Transitivität und der Trichotomie sowie die MonotonieGesetze gelten.
2.2.3.Einbettung von N in B
Die Bruchzahl [(1,1)] = [(n,n)] spielt in B die gleiche Rolle wie die Eins bei den natürlichen Zahlen. In N
erhält man alle natürlichen Zahlen durch fortgesetzte Addition mit der 1. Dem entspricht in B die fortgesetzte Addition mit [(1,1)] . So kommt man zu der Teilmenge { [(m,1)] m ∈ N } . Man kann jeder natür-
lichen Zahl m eine Bruchzahl [(m,1)] zuordnen und umgekehrt jeder Bruchzahl [(m,1)] = [(m ⋅ n,n)] eine
natürliche Zahl m. Und dabei gilt:
Es ist das Gleiche, ob man erst zwei natürliche Zahlen a und b den zwei Bruchzahlen [(a,1)] und [(b,1)]
zuordnet und dann die beiden Bruchzahlen addiert bzw. multipliziert oder
ob man erst die beiden natürlichen Zahlen a und b addiert bzw. multipliziert und dann das Ergebnis
der Bruchzahl [(a + b,1)] bzw. [(a ⋅ b,1)] zuordnet.
Kurz: Die Menge N der natürlichen Zahlen zusammen mit der Addition +, der Multiplikation · und der
Kleiner-Relation <
und die Menge der Bruchzahlen von der Form [(m,1)] zusammen mit der Addition ⊕ , der Multiplikation ⊗ und der Kleiner-Relation p
haben dieselbe Struktur (man sagt auch: sie sind isomorph).
Rückschau zum Zusammenhang zwischen Zahl und Zahlzeichen:
In unserem Dezimalsystem hat
¾
eine natürliche Zahl ein eindeutig festgelegtes Zeichen, z.B.
¾
eine ganze Zahl ein eindeutig festgelegtes Zeichen, bestehend aus einem Vorzeichen und
dem Zeichen für eine natürliche Zahl z.B.
+3
–32
–2007
¾
eine Bruchzahl unendlich viele Zeichen, bestehend aus den Zeichen für zwei natürliche Zahlen (“Zähler” und “Nenner”) und einem Bruchstrich
z.B.
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2
3
3
32
2007
= 64 = 96 = ...
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2.3. Rationale Zahlen
2.3.1. Die Menge Q der rationalen Zahlen
Wir haben im Abschnitt 2.2. die Menge B der Bruchzahlen, ausgehend von der Menge N der natürlichen Zahlen über deren Paarmenge N × N konstruiert. Im Abschnitt 2.1.haben wir aus der Menge N0
über N0 × N0 die Menge Z der ganzen Zahlen konstruiert. Diese Konstruktion kann man auf B0 , die
Menge der Bruchzahlen einschließlich der Null, übertragen; salopp gesprochen erweitert man B um
die Null und die negativen Bruchzahlen. Damit erhält man die Menge Q der rationalen Zahlen, in der
man uneingeschränkt addieren und subtrahieren, multiplizieren und (außer durch 0) dividieren kann.
Für das Addieren und Multiplizieren gelten die folgenden Rechengesetze (setze + oder · für ∗):
a∗b=b∗a
•
Kommutativität
•
Assoziativität
(a ∗ b) ∗ c = a ∗ (b ∗ c)
•
Distributivität
(a + b) · c = (a·c) + (b·c) und a · (b + c) = (a·b) + (a·c)
•
Neutrale Elemente
0+a=a+0=a
1·a=a·1=a
Subtrahieren und Dividieren sind weder kommutativ noch assoziativ.
Aber es gilt die uneingeschränkte Distributivität zwischen Subtraktion und Multiplikation:
(a – b) · c = (a·c) – (b·c)
und
a · (b – c) = (a·b) – (a·c)
Es gilt nur eine eingeschränkte Distributivität zwischen Addition/ Subtraktion und Division:
(a ± b) : c = (a:c) ± (b:c) , sofern c ≠ 0 und die Divisionsaufgaben lösbar sind,
aber a : (b ± c) = (a:b) ± (a:c) ist außer für a = 0 immer falsch.
Für das praktische Rechnen wichtig ist auch die (Term-) Erweiterungs-/ Kürzungsregel:
Für alle a, b, c (außer für c=0 im Fall der Division) gilt:
(Setze + , - , · oder : für ∗) a = b genau dann, wenn a ∗ c = b ∗ c
Außerdem sind die rationalen Zahlen der Größe nach geordnet. Für die Kleiner-Relation gilt:
a < b gilt genau dann, wenn es eine positive rationale Zahl c gibt, so dass a + c = b ist.
Die Kleiner-Relation hat folgende Grundeigenschaften:
•
Transitivität:
Wenn a < b und b < c, dann auch a < c.
•
Trichotomie:
Entweder a < b oder a = b oder b < a.
Den Zusammenhang zu den Operationen regeln die Monotonie-Gesetze:
Für alle rationalen Zahlen a, b, c gilt:
•
Wenn a < b, dann auch a + c < b + c und a – c < b – c.
•
Wenn a < b, dann auch a · c < b · c und a : c < b : c, sofern c positiv ist.
2.3.2. Messen heißt Vergleichen: rationale Zahlen reichen nicht
„Alles ist Zahl“ – davon war Pythagoras überzeugt und er meinte mit „Zahl“ natürliche Zahl. Beim Zählen ist dies selbstverständlich; aber er bezog sein Credo auch auf die zweite Grundaktivität, das Messen. Messen heißt Vergleichen: Will man zwei Strecken a und b miteinander vergleichen, sucht man
eine Strecke e, so dass a und b jeweils Vielfache der Strecke e sind: a = m · e und b = n · e und man
sagt: die Strecke a verhält sich zur Strecke b wie die Zahl m zur Zahl n. Die Strecke e ist nicht eindeutig festgelegt; man könnte auch die Hälfte oder irgendeinen Bruchteil von e nehmen; entsprechend
würden die Zahlen m und n vervielfacht. Ein Streckenverhältnis ist also gleichsam eine Äquivalenzklasse von Brüchen, eine Bruchzahl – glaubte Pythagoras.
Das müsste dann auch gelten für die Diagonale d und die Seite a eines Quadrats. Es muss ein ungeheurer Schock für Pythagoras gewesen sein, als er herausfand, dass es kein gemeinsames Maß e für
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die beiden Strecken gibt. Wie er das herausfand, werden wir hier nicht beschreiben. (Er argumentierte
mit einem geometrischen Verfahren, ähnlich dem euklidischen Algorithmus, das das größte gemeinsame Maß zweier Strecken ermittelt.) Wir erleichtern uns den Beweis, indem wir das geometrische
Problem zu einem arithmetischen machen. Das Vehikel ist der bekannte Satz des Pythagoras, nach
dem für die Diagonale d und die Seite a eines Quadrats gilt: d2 = a2 + a2 = 2 · a2.
¾ Wir nehmen einmal an, es gäbe ein gemeinsames Maß e, so dass d = m · e und a = n · e; wir
nehmen außerdem an, dieses gemeinsame Maß sei das größte, das man finden kann, d.h.
die Zahlen m und n haben keinen gemeinsamen Teiler mehr.
¾ Aus d2 = 2 · a2 folgt dann: m2 = 2 · n2; d.h. die Zahl m2 wäre gerade.
¾ Die Quadratzahl m2 kann nur dann gerade sein, wenn die Zahl m gerade, also m = 2 · k, ist.
¾ Aus m2 = 2 · n2 folgt dann: 2 · k2 = n2; d.h. die Zahl n2 wäre auch gerade.
¾ Die Quadratzahl n2 kann nur dann gerade sein, wenn die Zahl n gerade ist.
¾ Dann hätten aber m und n den gemeinsamen Teiler 2, im Widerspruch zu unserer Voraussetzung.
Was bedeutet das? Unsere Annahme, es gäbe ein größtes gemeinsames Maß für die Diagonale und
die Seite eines Quadrats, lässt sich nicht halten. Anders ausgedrückt: das Verhältnis von Diagonale
und Quadratseite lässt sich nicht durch einen Bruch ausdrücken.
Geometrisch: Rationale Zahlen reichen nicht aus, um das Verhältnis beliebiger Strecken exakt
zu beschreiben.
Arithmetisch: Die Wurzel aus einer natürlichen Zahl oder einer Bruchzahl ist im allgemeinen
keine rationale Zahl.
Wir kennen einen Bereich, in dem diese Lücke gefüllt ist: die Dezimalzahlen bzw. die Menge R der
reellen Zahlen.
2.4. Reelle Zahlen
In der Menge Q der rationalen Zahlen kann man uneingeschränkt addieren, subtrahieren, multiplizieren und – bis auf die Division durch Null – dividieren. Trotzdem reichen diese Zahlen nicht aus, um
z.B. das Verhältnis der Diagonale zur Seite eines Quadrats oder des Kreisumfangs zum Kreisdurch41 bzw. 22 sind zwar ungefähr gleich diesen Verhältnissen, aber
messer zu beschreiben. Die Brüche 29
7
eben nur ungefähr. Diese Verhältniszahlen sind keine Bruchzahlen. Seit der Klasse 6 kennen wir Dezimalzahlen. Diese Verhältniszahlen sind Dezimalzahlen.
In diesem Abschnitt geht es darum, den strukturellen Unterschied zwischen Bruchzahlen und Dezimalzahlen zu verdeutlichen.
2.4.1.
Familie der Zehnerbrüche
In Bruchfamilien rechnet sich’s einfacher. Was sind Bruchfamilien? Das sind Bruchzahlen, die durch
Brüche repräsentiert werden, deren Nenner Potenzen einer festen Zahl sind.
Beispiel: Zweierbrüche, d.h. der Nenner ist eine Zweierpotenz:
3
4
5
8
,
,
25
16
,
17
32
, ...
Die beiden Tätigkeiten, die in der „gewöhnlichen“ Bruchrechnung am meisten Schwierigkeiten machen, nämlich Addieren und der Größe nach Vergleichen, gehen hier vergleichsweise einfach: Hauptnenner ist immer die höchste vorkommende Zweierpotenz.
Beispiel: Zehnerbrüche, d.h. der Nenner ist eine Zehnerpotenz:
Wohlgemerkt:
4
5
und
5
4
und
10
8
7
10
,
8
100
,
125
1000
gehören auch zu dieser Bruchfamilie; denn
4
5
,
=
3141
1000
8
10
, ...
und
5
4
=
10
8
=
125
100
Wie kann man einem Bruch ansehen, ob die zugehörige Bruchzahl zur Familie der Zehnerbrüche
gehört? Das ist dann der Fall, wenn man den Bruch so erweitern kann, dass im Nenner eine Zehnerpotenz steht. Daraus folgt:
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.
34
Eine Bruchzahl gehört genau dann zur Familie der Zehnerbrüche, wenn sie durch einen Bruch
repräsentiert wird, dessen Nenner eine Zweier- oder eine Fünferpotenz oder ein Produkt aus
beiden ist.
Anders formuliert:
Genau solche Brüche repräsentieren eine Bruchzahl aus der Familie der Zehnerbrüche, deren
Nenner nur durch 2 oder durch 5 oder durch beide Zahlen teilbar sind.
Neue Schreibweise: Statt eines Bruchs mit einer Zehnerpotenz im Nenner notiert man die Ziffernfolge
des Zählers stellengerecht nach dem Komma, als Dezimalbruch:
8
10
= 0,8
= 0,08
8
100
8
1000
= 0,008
125
1000
= 0,125
125
100
= 1,25
125
10
= 12,5
Allgemein:
z1z2z3 ... zn
z0 , z1z 2z3 ... zn = z0 +
n
10
= z0 +
z1
1
10
+
z2
10
2
+
z3
3
10
+ ... +
zn
10n
mit z0 ∈ Z und zi ∈ {1, 2, 3, ..., 9, 0}
Der Vorteil der neuen Schreibweise wird vor allem beim Rechnen deutlich. Es gilt
7
25
= 0,28 . Vergleiche den Rechenaufwand:
11
40
+
7
25
11
40
= 0,275 und
und 0,275 + 0,28 .
Wir können bei Dezimalzahlen die Rechenverfahren beim Rechnen mit natürlichen Zahlen, angepasst
durch Komma-Regeln, anwenden.
Die Dezimalbrüche kann man leicht auf der Zahlengeraden veranschaulichen. Zunächst teilt man die
Intervalle zwischen zwei ganzen Zahlen in zehn gleiche Teilintervalle; die Intervallgrenzen sind die
Dezimalbrüche mit einer Nachkommastelle. Dann teilt man diese Teilintervalle wieder in zehn kleinere,
gleich große Teilintervalle; deren Intervallgrenzen sind die Dezimalbrüche mit zwei Nachkommastellen. Usw.
2.4.2. Gewöhnliche Brüche und Dezimalbrüche
Der Bruch
1
3
gehört nicht zur Familie der Zehnerbrüche, kann also nicht wie oben beschrieben als
Dezimalbruch dargestellt werden. Anders ausgedrückt: Wenn wir das Intervall von 0 bis 1 in drei
gleich große Teilintervalle zerlegen, dann fällt die rechte Intervallgrenze des ersten Teilintervalls nicht
mit einem der Punkte zusammen, die wir bei der dezimalen Einteilung der Zahlengeraden gewonnen
haben. Es gilt:
3
1
1
1
= 10
+ 30
= 0,3 + 30
3
=
3
10
3
1
+ 100
+ 300
1
= 0,33 + 300
=
3
10
3
3
1
+ 100
+ 1000
+ 3000
1
= 0,333 + 3000
= ....
=
3
101
+
Die Abweichung
3
10 2
+
1
3⋅10n
Anders ausgedrückt:
3
10 3
+ ... +
3
10n
+
1
3⋅10n
= 0, 333
3+
1
42...
4
3
n Dreien
1
3⋅10n
von einem Dezimalbruch geht mit fortschreitender Entwicklung gegen Null.
1
3
liegt zwischen 0,3 und 0,4, zwischen 0,33 und 0,34, zwischen 0,333 und
3 und 0, 333
3 4 . Der Abstand der letzten beiden Dezimalbrüche beträgt
0,334, zwischen 0, 333
1
42...
4
3
1
42...
4
3
n Dreien
n−1 Dreien
0, 000
0 1.
1
42...
4
3
n−1 Nullen
Was hier beschrieben wurde, ist ein Grenzprozess, den man gedanklich bis ins Unendliche fortsetzen
kann. Die mathematisch exakte Beschreibung solcher Grenzprozesse geschieht über konvergente
Folgen, entweder Folgen von rationalen Zahlen wie 0,3 0,33 0,333 ... oder Folgen von Intervallen
wie
[0,3 0,4] [0,33 0,34] [0,333 0,334] ...
SS2008
.
Grundlagen der Schulmathematik
hdr
35
Ein unendlicher Dezimalbruch ist die formale Darstellung dafür, dass ein unendlicher Prozess
(eine konvergente Folge) genau einer Zahl bzw. genau einem Punkt auf der Zahlengeraden zugeordnet werden kann, die bzw. den man den Grenzwert des Prozesses nennt.3
Ist der Nenner eines Bruchs außer durch 2 und durch 5 noch durch andere Primzahlen teilbar, dann
ist der zugehörige Dezimalbruch unendlich, aber von besonderer Gestalt: Er besitzt eine Periode, d.h.
eine Ziffernfolge, die sich ständig wiederholt.
Dies sieht man besonders leicht ein, wenn man die Dezimalbruchentwicklung eines Bruchs
a
b
da-
durch herstellt, dass man das „Ergebnis der Divisions-Aufgabe“ a : b mit Hilfe des bekannten schriftlichen Divisionsverfahrens ermittelt. Das Divisionsverfahren bricht ab, wenn bei einem Teilschritt sich
bei der Division durch b der Rest 0 ergibt; wie gesagt, das geschieht nur wenn b außer 2 und 5 keine
weiteren Primfaktoren besitzt. Bei der Division durch b gibt es n – 1 von Null verschiedene Reste.
Dann muss sich nach endlich vielen Schritten ein bereits vorher aufgetretener Rest erneut ergeben
und die Folgeschritte müssen sich wiederholen. Mit etwas Aufwand kann man genau beschreiben, wie
lang die Periode ist und ob es davor noch eine Ziffernfolge als Vor-Periode gibt.
Beispiele4:
3
7
= 0, 428571
25
63
= 0, 396825
27
52
= 0,51923076
Ein Dezimalbruch beschreibt genau dann eine rationale Zahl, wenn er endlich oder periodisch
ist.
Wie man von einem endlichen Dezimalbruch zum gewöhnlichen Bruch kommt, ist klar. Wie kommt
man von einem periodischen Dezimalbruch zum gewöhnlichen Bruch?
Beispiel5: z = 0, 321
z = 0,321
1000 ⋅ z = 321, 321
10 ⋅ z = 3, 21
999 ⋅ z = 321
1000 ⋅ z = 321, 21
z=
321
999
=
107
333
990 ⋅ z = 318
z=
318
990
=
53
165
Allgemein für den sofort-periodischen Dezimalbruch mit der Periodenlänge n:
z = 0, z1z2 ... zn
2.4.3.
10n ⋅ z = z1z2 ... zn, z1z2 ... zn
(10n − 1) ⋅ z = z1z2 ... zn
z=
z1z 2 ... zn
10n −1
Neuner-Perioden
Wenn man die Dezimalbruchentwicklung eines gewöhnlichen Bruchs mit Hilfe des schriftlichen Divisionsverfahrens ermittelt, kann man niemals zu periodischen Dezimalbrüchen mit einer Neuner-Periode
wie 0, 9 oder 0,539 kommen. Welche reellen Zahlen sind es dann? Denn wie gesagt: 0, 9 und 0,539
sind nichts anderes als die formale Darstellung der Grenzwerte zweier konvergenter Folgen, wobei
Grenzwert heißt, dass der unendliche Prozess genau einer Zahl bzw. genau einem Punkt auf der Zahlengeraden zugeordnet werden kann.
0, 9 steht für die Folge 0,9 0,99 0,999 ... von rationalen Zahlen oder die Folge von Intervallen
[0,9 1] [0,99 1] [0,999 1] ...
. Es gibt nur eine reelle Zahl, die diesen Folgen sinnvollerweise – auch
nach der Exaktifizierung durch die Analysis – zugeordnet werden kann: die Eins.
3
Die hier skizzierte Präzisierung benutzt begriffliche Instrumente der Analysis und ist weitaus aufwändiger als bei
den bisherigen Zahlbereichserweiterungen. Analog zu der Erweiterung von N nach Z oder nach B wird auch hier
zunächst eine Äquivalenzrelation zwischen Folgen definiert; denn es können durchaus verschiedene Folgen
gegen denselben Grenzwert konvergieren. Eine Äquivalenzrelation erzeugt Äquivalenzklassen; mit diesen kann
man „rechnen“ wie mit den rationalen Zahlen (Permanenz-Prinzip); deshalb nennt man sie auch wieder „Zahlen“,
genauer „reelle Zahlen“, und identifiziert eine Teilmenge von ihnen mit den rationalen Zahlen.
4
Bei dem Verfahren, einen periodischen Dezimalbruch mit Hilfe der schriftlichen Division zu erzeugen, scheint
der eingangs skizzierte Grenzprozess noch durch.
5
Bei diesem Verfahren, aus einem periodischen Dezimalbruch einen gewöhnlichen Bruch zu machen, erkennt
man auf den ersten Blick keinen Grenzprozess mehr. Tatsächlich ist aber das Vertausendfachen einer Zahl mit
unendlich vielen Nachkomma-Stellen und die Subtraktion zweier Zahlen mit unendlich vielen Nachkomma-Stellen
keine Selbstverständlichkeit, wie das hier suggeriert wird. Die Legitimation erfolgt mit begrifflichen Instrumenten
der Analysis.
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36
Es gibt noch eine andere Argumentationsebene: das Permanenz-Prinzip. Mit reellen Zahlen kann man
rechnen wie mit den rationalen. Danach ist 0, 9 = 3 ⋅ 0, 3 . Mit 0, 3 = 31 folgt dann 0, 9 = 3 ⋅ 31 = 1 .
Die zweite Argumentation sieht sehr viel einfacher und plausibler aus. Aber Vorsicht: Die Exaktifizierung dieser Argumentation läuft darauf hinaus zu zeigen, dass man mit konvergenten Folgen genau
so rechnen kann wie mit rationalen Zahlen – z.B. ist 0, 428571⋅ 0, 3 = 0,142857 und das „sieht“ man
nicht auf den ersten Blick – und der Aufwand dafür ist nicht unerheblich.
0, 9 = 1 und 0,539 = 0,54 bzw. 3 = 2, 9 und 3,14 = 3,139 , das bedeutet: man kann jede ganze Zahl
und jeden endlichen Dezimalbruch auch als unendlichen Dezimalbruch mit Neuner-Periode schreiben.
In der Welt der periodischen Dezimalbrüche (wobei wir die Null nicht als Periode zulassen) herrscht
dann wieder Eindeutigkeit: Jedem ist genau eine Zahl (Bruchzahl incl. der ganzen Zahlen) zugeordnet. In der Welt der Dezimalbrüche müssen wir dagegen mit einer eingeschränkten Eindeutigkeit leben: Für ganze Zahlen und Bruchzahlen aus der Familie der Zehnerbrüche gibt es zwei Darstellungen, eine endliche und eine mit Neuner-Periode. Beide Dezimalbrüche beschreiben dieselbe Dezimalzahl.
2.4.4.
Irrationale Zahlen
z = 0,303003000300003... = 31 + 33 + 36 + 310 + ... +
10
10
10
10
3
101+ 2+ 3 + 4 +...+n
+ ...
Dieser Dezimalbruch ist sicher nicht periodisch, stellt also keine rationale Zahl dar. Trotzdem können
wir sagen, ob auf der 100. oder der 1000. Stelle oder irgendeiner festen Stelle eine Drei oder eine Null
steht. Auf der Zahlengeraden liegt der zugehörige Punkt zwischen 0,3 und 0,4, zwischen 0,30 und
0,31, zwischen 0,303 und 0,304, zwischen 0,3030 und 0,3031, usw.. Die ineinander geschachtelten
Intervalle werden immer kleiner. Es gibt genau einen Punkt, der in allen diesen Intervallen liegt.
Weitere Beispiele für Punkte, denen keine rationale Zahl, wohl aber eine Dezimalzahl mit einer unendlichen Dezimalbruchentwicklung ohne Periode zuzuordnen ist:
2
3
1,5
π
2π
π
... .
Solche Zahlen heißen irrationale Zahlen.
Rückschau:
Gestartet sind wir mit einer Teilmenge der Bruchzahlen: solche, die durch Zehnerbrüche darstellbar
sind. Hierfür wurde eine neue Schreibweise eingeführt, die Dezimalbrüche. Auf der Zahlengeraden
entsprechen den Dezimalbrüchen die Punkte, die durch fortgesetzte Zehntelung der Intervalle zwischen den ganzen Zahlen entstehen.
Um diese Schreibweise auf alle rationalen Zahlen zu übertragen, müssen unendliche Prozesse betrachtet werden. Zu einem gewöhnlichen Bruch, dessen Nenner außer durch 2 und 5 noch durch eine
andere Primzahl teilbar ist, und dem entsprechenden Punkt auf der Zahlengeraden gehört ein unendlicher Prozess, der durch einen periodischen Dezimalbruch beschrieben wird.
Ein unendlicher nicht-periodischer Dezimalbruch beschreibt einen unendlichen Prozess, der zu einem
Punkt auf der Zahlengeraden gehört, dem keine rationale Zahl entspricht.
Fazit:
Die Dezimalzahlen mit endlicher und unendlicher Dezimalbruchentwicklung bilden einen größeren
Zahlbereich als den der Bruchzahlen, den Zahlbereich der reellen Zahlen, bestehend aus den rationalen und den irrationalen Zahlen.
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3.
Zufall und Wahrscheinlichkeit
3.1.
Vorerfahrung und Geschichte
Keine von Ihnen ist hinsichtlich des Begriffs "Wahrscheinlichkeit" völlig frei von Vorerfahrungen. Selbst
wenn Sie in der Schule überhaupt nichts damit zu tun gehabt haben sollten, im täglichen Sprachgebrauch verwendet jede dann und wann Wendungen wie "ist unwahrscheinlich" oder "ist wahrscheinlicher als" oder "hat geringere Chancen als" und argumentiert auch damit. Beantworten Sie einmal für
sich die folgenden beiden Fragen.
1. Ruth und Jenny spielen Lotto. Ruth bevorzugt aufeinanderfolgende Zahlen wie 1, 2, 3, 4, 5, 6. Sie
meint, dass sie auf diese Weise ihre Gewinnchancen verbessert.
Jenny dagegen meint, dass die Chance, sechs aufeinanderfolgende Zahlen wie 1, 2, 3, 4, 5, 6 zu
erhalten, kleiner sei als die Chance, eine beliebige Folge von Zahlen zu erhalten.
Was halten Sie von diesen beiden Ansichten, der von Ruth und der von Jenny?
2. Frank hat 100 weiße und 50 schwarze Kugeln in einer Schachtel. Tim hat in seiner Schachtel 200
weiße Kugeln und 100 schwarze. Ohne zu schauen, zieht jeder eine Kugel aus seiner Schachtel.
Vergleichen Sie ihre Chancen, eine schwarze Kugel zu ziehen. Welcher Meinung sind Sie?
a) Franks Chance, eine schwarze Kugel zu ziehen, ist größer.
b) Tims Chance, eine schwarze Kugel zu ziehen, ist größer.
c) Ihre Chancen, eine schwarze Kugel zu ziehen, sind gleich.
d) Es ist unmöglich, aus den obigen Angaben eine Antwort zu geben.
Zufall und Wahrscheinlichkeit sind zwei Begriffe, die philosophisch-erkenntnistheoretisch schwer zu
fassen und überhaupt umstritten sind. "Vorgänge, deren Ergebnis nicht definitiv vorausgesagt werden
kann, heißen Zufallsversuche" ist eine übliche Erklärung, aber sie ist irgendwie widersprüchlich: In den
Naturwissenschaften werden viele Versuche gemacht, mit denen man gewisse Theorien bestätigen
oder widerlegen will. Deren Ergebnis kann man nicht definitiv voraussagen, sonst wären sie ja sinnlos.
Trotzdem wird man sie wohl nicht als Zufallsversuche bezeichnen. Andererseits setzen sich ja alle
Körper aus Molekülen zusammen, die sich völlig willkürlich bewegen, so dass jede physikalische Aktion vom Zufall bestimmt ist; demnach müsste man alle physikalischen Vorgänge überhaupt als Zufallsversuch bezeichnen, wodurch dieser Begriff sinnlos würde, weil es sein Gegenteil nicht gäbe.
Der Prototyp eines Zufallsversuchs ist der Wurf eines Würfels. Man kann sich auf den Standpunkt
stellen, dass die Lage des Würfels in der Hand, die Lage der Hand selbst, die Kraft, mit der geworfen
wird, der Dreheffekt, die Auftrefffläche doch feststehen und damit den Wurf determinieren. Wenn man
alle Einflussgrößen kennt, kann man also das Ergebnis definitiv vorhersagen. Nur wird man sie nie
kennen: Ein winziges Staubkörnchen kann schon dafür sorgen, dass der Würfel auf eine andere Fläche abgelenkt wird. Entscheidend ist also auch die Information, die ich habe. Wenn ich ein Kartenspiel
mische, es mir angucke, es Ihnen hinhalte und Sie dann ziehen, so ist das ein Zufallsexperiment für
Sie, aber nicht für mich. Ich habe die Information; Sie nicht. Oder: das Lösen einer Mathematikaufgabe ist für manche ein Zufallsversuch, für andere nicht.
Wir wollen und können den Zufallsbegriff mathematisch nicht definieren, sondern wir gehen jetzt einfach mit ihm um und lernen ihn dabei besser kennen. Ähnlich werden wir es mit dem Wahrscheinlichkeitsbegriff tun, der in der Mathematik entwickelt wurde, um Zufallsphänomene quantitativ in den Griff
zu kriegen. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung verdankt ihre Entstehung dem Unternehmen, Chancen
bei Glücksspielen berechnen zu können. So befasste sich schon der italienische Mathematiker Geronimo Cardano im 16. Jahrhundert mit dem Würfelspiel. Der eigentliche Beginn dieses mathematischen
Zweiges wird meist mit einem Brief des Chevalier de Méré, eines Philosophen, Literaten und Glücksspielers am Hofe Ludwig des XIV. verbunden. Er wandte sich 1654 an Blaise Pascal mit zwei Fragen:
1. Was ist wahrscheinlicher, bei vier Würfen mit einem Würfel mindestens eine Sechs oder bei 24
Würfen mit zwei Würfeln mindestens eine Doppelsechs zu werfen?
2. Zwei Spieler werfen eine Münze. Bei "Wappen" erhält Spieler A einen Punkt, bei "Zahl" Spieler B.
Wer zuerst fünf Punkte hat gewinnt den Einsatz. Nach sieben Würfen wird das Spiel abgebrochen
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("Höhere Gewalt") und kann nicht mehr fortgesetzt werden. Zu diesem Zeitpunkt hat A vier Punkte
und B drei. Wie soll der Einsatz verteilt werden? Nach dem Verhältnis der erreichten Punkte, also
4:3, oder nach dem umgekehrten Verhältnis der noch fehlenden Punkte, also 2:1?
Pascal fand nicht nur eine Lösung, die den Chevalier überzeugte, er entwickelte dabei gleich die Anfänge der Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Mit zunehmender Industrialisierung stieg das Interesse, Daten (aus der Produktion, aus der Bevölkerung,...) zu erheben und zu strukturieren, um daraus Prognosen zu entwickeln oder begründete Entscheidungen in unsicheren Situationen zu treffen (Ähnliches finden Sie jeden Tag in der Zeitung). Die
dafür zuständige Disziplin nennt man die Statistik. Eine Stichprobe zu machen, hat strukturelle Ähnlichkeit mit der Ziehung der Lottozahlen: Stellen Sie sich vor, Sie wüssten nicht, wie viele Kugeln in
der Lostrommel sind; was könnten Sie aus den wöchentlichen Ziehungen schließen? Aus einer Stichprobe Rückschlüsse auf die Gesamtheit zu ziehen, setzt hinsichtlich ihrer Sicherheit Kenntnisse aus
der Wahrscheinlichkeitsrechnung voraus. Man fasst daher Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung
unter dem Sammelbegriff Stochastik zusammen. Das Wort stammt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie die Lehre vom richtigen Mutmaßen (In "Mutmaßen" steckt beides: Vermuten und
Messen).
"Irgendein Ding vermuten, heißt soviel, als seine Wahrscheinlichkeit messen. Deshalb bezeichnen wir
als Vermutungs- oder Mutmaßungskunst (ars conjectandi sive stochastice) die Kunst, so genau als
möglich die Wahrscheinlichkeiten der Dinge zu messen, und zwar zu dem Zwecke, dass wir bei unseren Urteilen und Handlungen stets das auswählen und befolgen können, was uns besser, trefflicher,
sicherer oder ratsamer erscheint. Darin allein beruht die ganze Weisheit des Philosophen und die
ganze Klugheit des Staatsmannes."
Jakob Bernoulli (1654 - 1705) "Ars conjectandi" (veröff. 1713)
3.2.
Grundbegriffe
3.2.1.
Stichprobenraum und Wahrscheinlichkeit
Zur Beschreibung eines Zufallsversuchs gehören der Sachverhalt, die Bedingungen, die Handlungsanweisung, sowie Mess- und Rechenvorschriften. Zu jedem Zufallsversuch gehört eine Menge von
Ergebnissen oder Ausfällen (wie kann der Versuch ausfallen?), die mathematisch zum sog. Stichprobenraum zusammengefasst werden. Das Wort stammt aus der Statistik und hat sich in der Stochastik
eingebürgert. Man kann auch von der Ergebnismenge des Zufallsversuchs reden, wenn man die
Gesamtheit aller möglichen Ausfälle meint.
Zufallsversuch
Stichprobenraum = Ergebnismenge
1. Eine Münze werfen
W, Z (d.h.: Wappen, Zahl)
2. Einen Würfel werfen
1, 2, 3, 4, 5, 6
3. Aus einer Urne mit einer roten und einer
blauen Kugel zweimal ziehen (mit Zurücklegen der Kugel nach dem ersten Zug)
rr, rb, br, bb
4. Eine Münze dreimal werfen
ZZZ, ZZW, ZWZ, ZWW, WZZ, WZW, WWZ, WWW
5. Einen grünen und einen roten Würfel werfen
11, 12, 13 ..., 16, 21, 22, 23, ..., 61, 62, ..., 66
(der Ausfall des grünen ist zuerst genannt)
6. Zwei Würfel werfen (ohne Beachtung einer
Reihenfolge)
11, 12, 13, ..., 22, 23, 24, ..., 56, 66
7. Zwei Würfel werfen und die Augensumme
bilden
2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12
8. Zwei Würfel werfen und den Unterschied der
Augenzahlen bilden
0, 1, 2, 3, 4, 5
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Grundlagen der Schulmathematik
hdr
39
9. Einen Würfel so lange werfen, bis '6' erscheint, und die Würfe bis dahin zählen
1, 2, 3, ... (alle natürlichen Zahlen)
10. Aus einer Urne mit 2 roten und 3 weißen
Kugeln einmal ziehen
w, r
11. Aus einer Urne mit 2 roten und 3 weißen
Kugeln zwei Kugeln mit einem Griff ziehen
ww, wr, rr
Der entscheidende Schritt in die Stochastik ist nun, dass man den Ausfällen des Zufallsversuchs eine
Zahl zuordnet, die die Wahrscheinlichkeit ihres Eintreffens messen soll: Für den gesamten Stichprobenraum hat man eine Wahrscheinlichkeitsmasse zur Verfügung und verteilt diese auf die Ausfälle
(die Elemente der Ergebnismenge). Um nachher verschiedene Zufallsversuche miteinander vergleichen zu können, verteilt man in jedem Stichprobenraum eine Wahrscheinlichkeitsmasse 1. Das hat
zur Folge, dass die einzelnen Ausfälle immer einen Bruchteil davon und damit eine Zahl zwischen 0
und 1 zugewiesen bekommen. Eine Wahrscheinlichkeit (im mathematischen Sinne) ist also eine reelle
Zahl zwischen 0 und 1.
Bei den Zufallsversuchen 1 bis 5 gibt es keinen vernünftigen Grund, einen Ausfall hinsichtlich der
Wahrscheinlichkeit seines Auftretens vom andern zu unterscheiden: die Ausfälle sind gleichwahrscheinlich. Wenn die Ergebnismenge n Ausfälle umfasst, ist die Wahrscheinlichkeit für jeden dieser
Ausfälle n1 .
Die Wahrscheinlichkeiten drücken aber auch noch eine andere Erfahrung aus:
Wenn man einen Versuch sehr oft durchführt, interessiert, wie häufig ein bestimmter Ausfall wohl eintritt. Da die Anzahl nur informativ ist, wenn man auch die Gesamtzahl der Versuche kennt, gibt man
am besten gleich an, mit welchem Anteil jedes einzelnen möglichen Ausfalls an der Gesamthäufigkeit
man rechnen kann. Diesen Anteil nennt man auch die relative Häufigkeit des jeweiligen Ausfalls.
Was wir erwarten, ist, dass bei einer großen Zahl von Wiederholungen eines Zufallsversuchs die relative Häufigkeit eines Ausfalls in etwa seiner Wahrscheinlichkeit entspricht („Gesetz der großen Zahlen“).
Wir drücken uns so vage aus, weil eine Gleichsetzung "Wahrscheinlichkeit = relative Häufigkeit"
schlicht falsch ist. Die Behauptung "Immer wenn ich einen Würfelwurf sechsmal durchführe, kommt
genau einmal die '6'." ist falsch. Bei realen Versuchen sowieso: Der reale Würfel ist vielleicht nicht
ganz regelmäßig gearbeitet; es ist etwas abgesplittert; er ist gefälscht. Unsere Gedankenexperimente
werden in Zukunft immer von idealen Versuchsbedingungen ausgehen, d.h. unsere Zufallsgeräte
(Würfel, Münze, Urne, ...) sind ideal, und bei Wiederholung gehen wir grundsätzlich von absolut gleichen Randbedingungen aus. Mit den "idealen" und den "realen" Zufallsgeräten verhält es sich so wie
mit den geometrischen Körpern (Kugel, Quader, ...) und den realen Objekten: Obwohl nirgends in der
Wirklichkeit das Ideale zu finden ist, tun wir so "als ob" – wir nehmen das Ideale als Modell für das
Reale – und fahren gut damit.
Auch bei idealen (vorgestellten) Versuchsbedingungen ist eine Ausdrucksweise wie „Immer wenn ich
einen Würfelwurf sechsmal durchführe, kommt genau einmal die ‘6’“ falsch. Auch beim idealen Würfel
kann die '6' schon im ersten Wurf fallen; es kann aber auch sehr lange dauern, z.B. 300 Würfe oder
noch mehr. Folgende Aussage ist dagegen richtig: "Immer wenn ich einen Würfelwurf sechsmal
durchführe, kommt mit 40prozentiger Wahrscheinlichkeit genau einmal die '6'." Wieso, das werden wir
noch sehen.
3.2.2.
Ereignis und Wahrscheinlichkeit
Oft interessiert man sich nicht für einzelne Ausfälle eines Versuchs, sondern für mehrere Ausfälle, die
alle eine bestimmte Eigenschaft haben, z.B. Pasch (d.h. gleiche Augenzahl) beim Würfeln mit zwei
Würfeln. Durch Angabe der Eigenschaft werden die Ausfälle, die diese Eigenschaft haben, zu einer
Menge zusammengefasst, einer Teilmenge des Stichprobenraums.
SS2008
Grundlagen der Schulmathematik
hdr
40
Jede solche Teilmenge nennt man Ereignis.
Kennt man die Wahrscheinlichkeit für jeden Ausfall, der zu dem Ereignis gehört, dann kann man von
jedem Ereignis die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses angeben: Man addiert die Wahrscheinlichkeiten der Ausfälle, die zu ihm gehören.
Schreibweise:
Ist klar, um welches Ereignis es sich handelt, kürzen wir es oft durch einen Großbuchstaben ab; am
beliebtesten ist E. Für "Wahrscheinlichkeit von E" schreibt man kurz p(E) (lies: "p von E").
Während man beim Vergleich mehrerer Ereignisse statt E auch andere Buchstaben benutzt, bedeutet
p(..) immer "Wahrscheinlichkeit (lateinisch: probabilitas) von".
Es gibt in jedem Stichprobenraum zwei extreme Ereignisse:
Wenn alle Ausfälle des Stichprobenraums in dem Ereignis vorkommen, nennt man es auch das sichere Ereignis. Das sichere Ereignis - es kann nur der Stichprobenraum selbst sein - hat die Wahrscheinlichkeit 1.
Wenn kein Ausfall des Stichprobenraums in dem Ereignis vorkommt, die Teilmenge also leer ist,
spricht man vom unmöglichen Ereignis. Das unmögliche Ereignis – es kann nur die leere Teilmenge
des Stichprobenraums sein – hat die Wahrscheinlichkeit 0.
Grundmenge
Ergebnismenge Ω
„unmöglich“
A
„sicher“
B
C
Teilmengen
Ereignisse
0
½
1
Maß für die Teilmengen
Wahrscheinlichkeit der Ereignisse
Ein Ereignis umfasst alle Ausfälle des Stichprobenraums, die eine bestimmte Eigenschaft haben. Alle
Ausfälle, die diese Eigenschaft nicht haben, bilden das Gegenereignis. Da alle Ausfälle entweder
zum Ereignis oder zu seinem Gegenereignis gehören, müssen die Wahrscheinlichkeiten der beiden
Ereignisse zusammen gleich der Summe der Wahrscheinlichkeiten aller Ausfälle, also gleich 1 sein.
Wird das Ereignis mit E abgekürzt, dann setzt man für das Gegenereignis E (lies: "E quer"). Es gilt:
p( E ) = 1 − p(E)
"Das Gegenereignis untersuchen" ist manchmal eine gute Strategie, um an eine gesuchte Wahrscheinlichkeit heranzukommen.
Beispiel Lotto: "Wenigstens ein Richtiger im Lotto", meint Peter, "das ist doch schon mal was." Wie
groß ist die Wahrscheinlichkeit dafür?
"Wenigstens ein Richtiger im Lotto", dieses Ereignis besteht aus den Ausfällen mit einem, zwei, drei,
vier , fünf oder sechs Richtigen - eine sehr unübersichtliche Menge. Wie heißt das Gegenereignis?
"Kein Richtiger im Lotto".
Was sind „sechs Richtige“? Das ist eine Auswahl von sechs verschiedenen Kugeln, die ohne Zurücklegen aus einer Urne gezogen werden, deren Reihenfolge aber belanglos ist.
Nach der Quotientenregel der Kombinatorik gilt, dass es
49⋅ 48⋅47⋅ 46⋅ 45⋅ 44
6!
= 13.983.816 Möglichkeiten für
eine solche Auswahl gibt. D.h. jeden Samstag wird nur eine von ca. 14 Millionen Möglichkeiten realisiert. Da es keinen Grund gibt, irgendeinen dieser Ausfälle vor den anderen auszuzeichnen ("GleichSS2008
Grundlagen der Schulmathematik
hdr
41
wahrscheinlichkeit"), muss man jedem Ausfall die Wahrscheinlichkeit
1
13983816
= 0,000.000.07 zuordnen.
(Anders ausgedrückt: Die Wahrscheinlichkeit für "sechs Richtige im Lotto" ist 0,000 000 07.)
"Kein Richtiger im Lotto", wie viele Möglichkeiten gibt es dafür?
"Kein Richtiger im Lotto" bedeutet, dass alle sechs Zahlen zu den 43 Kugeln gehören, die nicht von
⋅39⋅38⋅
der Glücksfee gezogen wurden. Dafür gibt es 43⋅42⋅416⋅40
= 6.096.454 Möglichkeiten bzw. Ausfälle.
!
Das Ereignis "Kein Richtiger im Lotto" hat also die Wahrscheinlichkeit
6096454
13983816
= 0,436 = 43,6% .
Das Ereignis "Wenigstens ein Richtiger im Lotto" hat infolgedessen die Wahrscheinlichkeit 1 – 0,436 =
0,564 = 56,4%. D.h. es ist wahrscheinlicher, dass man wenigstens einen Richtigen hat als überhaupt
keinen. Für Peter besteht also kein besonderer Grund zur Freude.
Grundeigenschaften der Wahrscheinlichkeit von Ereignissen
I
0 ≤ p(E) ≤ 1
„Die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses liegt zwischen 0 und 1.“
II
p(Ω) = 1
„Das sichere Ereignis hat die Wahrscheinlichkeit 1.“
III
p(∅) = 0
„Das unmögliche Ereignis hat die Wahrscheinlichkeit 0.“
IV
p(Ē) = 1 – p(E)
„Die Wahrscheinlichkeiten für ein Ereignis und sein Gegenereignis
addieren sich zu 1.“
V
Wenn A ⊂ B,
dann p(A) ≤ p(B)
„Wenn das Eintreten des Ereignisses A immer auch das Eintreten des
Ereignisses B mit sich bringt, ist die Wahrscheinlichkeit für B mindestens so groß wie die für A.“
3.3.
Rechnen mit Wahrscheinlichkeiten
3.3.1.
Laplace-Regel
Der Fehler des Chevalier de Méré.
Der Glücksritter neigte dazu, anderen unfaire Spiele anzubieten nach dem Schema: "Wir setzen beide
denselben Betrag ein. Wenn das Ereignis .... eintritt, erhalte ich den Einsatz, sonst du." Für das Ereignis - wir kürzen es mit E ab - hatte er sich zwei schwer durchschaubare Varianten ausgedacht:
a) E: "Bei vier Würfen mit einem Würfel mindestens eine Sechs werfen"
b) E: "Bei 24 Würfen mit zwei Würfeln mindestens eine Doppelsechs werfen"
Der Chevalier hatte folgende Überlegung angestellt:
zu a) "Die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Wurf eine Sechs fällt, ist
1
6
, also bei vier Würfeln 4 ⋅ 61 .
Also gewinne ich in zwei Drittel der Spiele den Einsatz."
zu b) "Bei zwei Würfeln gibt es 36 (= 6 · 6) mögliche Ergebnisse, also sechsmal so viele wie beim
Spiel a). Wenn man also sechsmal so oft wirft wie dort, d.h. 24 Mal statt viermal, müsste die
Wahrscheinlichkeit für eine Doppelsechs in diesem Spiel genauso groß sein wie die Wahr1 .“
scheinlichkeit für eine Sechs dort, nämlich 24 ⋅ 36
Die Erfahrungen des Chevalier waren zwiespältig. Zwar konnte er seinem Mitspieler in der Variante a)
im Laufe einer Nacht Geld abknöpfen, wenn auch nicht soviel, wie erhofft. Bei der Variante b) verlor er
sogar auf die Dauer. Deshalb trug er seine Überlegungen Blaise Pascal vor. Der zeigte ihm, dass
beide Überlegungen falsch waren.
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Grundlagen der Schulmathematik
hdr
42
zu a)
Bei vier Würfen mit einem Würfel mindestens eine Sechs zu werfen, bedeutet ja, genau eine Sechs
oder zwei Sechsen oder drei Sechsen oder vier Sechsen zu werfen. Das Gegenereignis lässt sich
leichter beschreiben: Bei vier Würfen mit einem Würfel keinmal eine Sechs werfen.
Wie viele mögliche Ausfälle gibt es bei vier Würfen mit einem Würfel? Beim ersten Wurf sechs, für
jede der sechs Möglichkeiten beim zweiten Wurf wieder sechs, also 6 · 6 Möglichkeiten für die ersten
4
beiden Würfe, usw.. Insgesamt gibt es also 6 Ausfälle bei vier Würfen mit einem Würfel. Jeder dieser
Ausfälle hat die Wahrscheinlichkeit
1
64
(6 )
4
= 1 .
Bei vier Würfen mit einem Würfel keinmal eine Sechs zu werfen, heißt, bei jedem Wurf eine Eins,
4
Zwei, Drei, Vier oder Fünf zu werfen: Zu diesem Ereignis gehören 5 Ausfälle. Damit hat dieses Ereignis die Wahrscheinlichkeit 5 4 ⋅
(61 )4 = (56 )4 = 0,482.. = 48,2%
Die Wahrscheinlichkeit für das Ereignis E ist also 1 – 0,482 = 0,518 = 51,8%. Das Spiel ist also unfair;
denn wer auf das Ereignis E setzt, gewinnt langfristig öfter als derjenige, der auf das Gegenereignis
setzt. Während sich allerdings der Chevalier mit seiner falschen Überlegung Hoffnung auf einen Gewinn in zwei Drittel oder 67% der Spiele machte, sind die Chancen in Wirklichkeit gar nicht so ungleich
verteilt.
zu b)
Das Gegenereignis E lautet: "Bei 24 Würfen mit zwei Würfeln keinmal eine Doppelsechs werfen". Bei
24
einem Wurf mit zwei Würfeln gibt es 36 Ausfälle, bei 24 Würfen 36 Ausfälle.
24
Bei einem Wurf mit zwei Würfeln gibt es 35mal keine Doppelsechs, bei 24 Würfen 35 mal.
Also :
(36 )
24
p( E ) = 35 24 ⋅ 124 = 35
= 0,509 = 50,9%
36
p(E) = 1 − 0,509 = 0,491 = 49,1%
Es gibt also leichte Vorteile beim Wetten auf das Gegenereignis, wie der Glücksritter de Méré
schmerzlich am eigenen Portemonnaie erfuhr.
In den bisherigen Beispielen ließen sich die Wahrscheinlichkeiten leicht berechnen, weil alle Ausfälle
des jeweiligen Stichprobenraums gleichwahrscheinlich waren. Solche Zufallsversuche nennt man
auch Laplace-Versuche nach Pierre Simon Laplace (1749 - 1827), einem berühmten französischen
Mathematiker, der 1812 eine zusammenfassende Darstellung der damals noch jungen Wahrscheinlichkeitsrechnung veröffentlichte.
Da das besondere Interesse dem Ereignis E gilt, bezeichnet man auch die Ausfälle dieses Ereignisses als "günstige Ausfälle". Der Stichprobenraum umfasst alle "möglichen Ausfälle" und die
Wahrscheinlichkeit für einen einzelnen Ausfall ist wegen der Gleichwahrscheinlichkeit aller Ausfälle
1
gleich
.
Anzahl der möglichen Fälle
Für Laplace-Versuche, aber auch nur für diese, lässt sich die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses
nach einer einfachen Regel berechnen, der Laplace-Regel:
Wenn alle Ausfälle des Stichprobenraums gleichwahrscheinlich sind, gilt:
Wahrscheinlichkeit des Ereignisses E =
Anzahl der günstigen Fälle
Anzahl der möglichen Fälle
Die Laplace-Regel gilt nur im Falle der Gleichwahrscheinlichkeit der möglichen Ausfälle (Laplace-Raum) - man kann es nicht oft genug wiederholen, da hier die meisten Fehler gemacht werden.
Beispiel "Rednerliste": In einer Versammlung sollen die Redner A, B, C, D und E sprechen. Die Reihenfolge auf der Rednerliste wird durch Los bestimmt. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass
a) Redner B sofort nach A spricht,
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b) Redner B nicht vor A spricht?
Grundlagen der Schulmathematik
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43
Es 5! (= 120) Möglichkeiten, fünf Redner auf eine Rednerliste zu setzen, wenn keine Zusatzbedingungen gestellt sind. Alle diese möglichen Ausfälle des Losverfahrens sind gleichwahrscheinlich. Für das
Ereignis "Redner B sofort nach A" gibt es 4! (= 24) günstige Fälle. Also ist die Wahrscheinlichkeit 20%.
Zum Ereignis "Redner B nicht vor A" gehören 5 4 3 (= 60) Ausfälle des Losverfahrens. Die Wahrscheinlichkeit für dieses Ereignis beträgt 50%. D.h. das Ereignis "Redner B nicht vor A" und das Gegenereignis "Redner B vor A" sind in der Tat gleichwahrscheinlich. Das hätten wir durch Überlegung
auch unmittelbar herausfinden können. Wie?
Beispiel Aus einer Urne mit zwei roten und drei weißen Kugeln wird eine Kugel gezogen. Wie groß ist
die Wahrscheinlichkeit, dass sie weiß ist?
Es gibt zwei mögliche Ausfälle, rot und weiß. Für das Ereignis "eine weiße Kugel ziehen" gibt es einen
("günstigen") Ausfall, nämlich w. Aber die Wahrscheinlichkeit hierfür ist keineswegs 0,5. Wir können
diesen Zufallsversuch aber künstlich zu einem Laplace-Versuch machen, indem wir die beiden roten
und die weißen Kugeln jeweils durchnummerieren: r1, r2, w1, w2, w3 („künstliche Vervielfachung“).
Nun besteht beim Zufallsversuch "einmaliges Ziehen" der Stichprobenraum aus 5 Ausfällen. Für das
Ereignis "eine weiße Kugel ziehen" gibt es nun 3 günstige Ausfälle, nämlich w1, w2, w3. Das Ereignis
hat also die Wahrscheinlichkeit 0,6.
Allgemein:
Bei vielen Zufallsversuchen gibt es einen natürlichen Stichprobenraum mit Ausfällen, die nicht gleichwahrscheinlich sind. Dann lässt sich die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses nicht mit der LaplaceRegel berechnen.
Ausweg:
Man erzeugt dabei einen künstlichen Stichprobenraum mit Gleichwahrscheinlichkeit, einen Laplace-Raum, wobei die eigentlich interessierenden Ausfälle des natürlichen Stichprobenraums Ereignisse des Laplace-Raums sind.
Stichprobenraum
Laplace-Raum
x x
xx x
xx x
x
x
xx
x
Zusammenhang
x
x x
x
x x
xx
xx x
x
x x
xx x
x
x
x
x
xx
x
x
x x
x
x x
x
x x
x
x
Ein häufig benutztes Gedankenexperiment für den Laplace-Versuch ist das mehrmalige Ziehen aus
einer Urne.
Im Falle, dass die entnommenen Kugeln nicht zurückgelegt werden, ist es gleichgültig, ob man das
Experiment mit oder ohne Berücksichtigung der Reihenfolge der entnommenen Kugeln konstruiert.
Der Fall "mit Berücksichtigung der Reihenfolge" ergibt sich mit der Strategie der "künstlichen Vervielfachung" aus dem "ohne Berücksichtigung der Reihenfolge", und diese Vielfachheit kürzt sich bei der
Division der günstigen durch die möglichen Fälle wieder heraus.
Anders ist es im Falle, dass die entnommenen Kugeln wieder zurückgelegt werden. Hier ist die Berücksichtigung der Reihenfolge wichtig; sonst ergeben sich in der Regel keine gleichwahrscheinlichen
Ausfälle.
3.3.2. Pfadregel
Beispiel Aus einer Urne mit 2 roten und 3 weißen Kugeln werden zwei Kugeln mit einem Griff gezogen. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass beide rot sind?
Modellierung:
Statt „mit einem Griff“ wird zweimal ohne Zurücklegen gezogen und die Reihenfolge nicht berücksichSS2008
Grundlagen der Schulmathematik
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tigt. Der „natürliche Stichprobenraum“ ist {rr, rw, ww}. Aber die Ausfälle darin sind nicht gleichwahrscheinlich!
Wir erzeugen einen Laplace-Raum durch „künstliche Vervielfachung“: Die Kugeln gleicher Farbe werden unterschieden. Es wird zweimal ohne Zurücklegen gezogen und die Reihenfolge berücksichtigt.
Wie in der Kombinatorik gewohnt, stellen wir den Ziehungsprozess in einem Baum dar.
r1
r2
w1
w2
w3
r2
w1
w2
w3
r1
w1
w2
w3
r1
r2
w2
w3
r1
r2
w1
w3
r1
r2
w1
w2
1
r
r
2
3
w
r
2
3
w
2
w
Der linke Baum zeigt den Auswahlprozess mit künstlicher Vervielfachung in aller Ausführlichkeit. Weil
zwischen den Kugeln mit gleicher Farbe jetzt künstlich unterschieden wird, gibt es mehr Möglichkeiten
beim Ziehen von zwei Kugeln (ohne Zurücklegen und mit Berücksichtigung der Reihenfolge): Wir erhalten einen Stichprobenraum mit 20 Ausfällen: Jeder Pfad entspricht einem möglichen Ausfall. Jeder
Ausfall/Pfad ist gleichwahrscheinlich. Zum Ereignis A, "beide rot", gehören in diesem Baum zwei Pfade/Ausfälle, nämlich (r1,r2) und (r2,r1). Also ist die Wahrscheinlichkeit für das Ereignis A gleich
1 = 0,1 .
2 ⋅ 20
Der rechte Baum ist eine Kurzform des linken: Auf den Kanten wird die jeweilige Vielfachheit notiert.
Durch eine einfache Überlegung können wir aus diesem „Baum der Möglichkeiten“ einen „Baum
Wahrscheinlichkeiten“ machen und aus der Pfadregel für die Möglichkeiten eine Pfadregel für Wahrscheinlichkeiten.
Man stellt sich vor, dass man die Wahrscheinlichkeitsmasse 1 von der Wurzel bis zur Baumspitze
durchdrückt und dabei die an einem Verzweigungspunkt ankommende Masse auf die Abzweigungen
anteilmäßig entsprechend ihrer Vielfachheit verteilt. Auf eine Kante schreibt man deshalb nicht nur
ihre Vielfachheit sondern den Anteil, den sie an den Abzweigungen ihres Verzweigungspunktes hat,
das ist ihre Vielfachheit, dividiert durch die Summe aller Vielfachheiten an ihrem Verzweigungspunkt.
(Die Summe der Anteile aller Kanten an einem Verzweigungspunkt ist also 1.)
Wem das zu abstrakt ist, der mache folgendes Gedankenexperiment:
1/4
Der Zufallsversuch wird sehr oft, z.B. 500mal wiederholt.
2/5
r
Dann erhält man beim 1. Zug etwa 200 Mal eine rote und
3/4
etwa 300 Mal eine weiße Kugel. Wir notieren aber nicht
die Häufigkeiten, sondern die relativen Häufigkeiten. Auf
2/4
3/5
w
der 2. Stufe erhält man am Verzweigungspunkt „r“ von den
200 Zügen, die über diesen Verzweigungspunkt laufen ca. 50 Mal
2/4
"rot" und 150 Mal "weiß" . Man notiert wieder statt der Häufigkeiten die relativen Häufigkeiten.
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Grundlagen der Schulmathematik
r
w
r
w
hdr
45
Das Ereignis A, "beide rot", besteht nur aus einem Pfad; auf ihn entfällt der Anteil
2
5
⋅
1
4
= 10% der
Wahrscheinlichkeitsmasse 1, die am Start zur Verfügung steht. Das Ereignis B, "beide weiß" besteht
auch nur aus einem Pfad; auf ihn entfällt der Anteil 35 ⋅ 24 = 30% . Das Ereignis C, "beide verschieden",
besteht aus zwei Pfaden; insgesamt kommt also bei diesem Ereignis
2
5
⋅ 34 +
3
5
⋅
2
4
= 60% der gesamten
Wahrscheinlichkeitsmasse 1 an. Auch hier gilt also die alte Regel:
Multipliziere längs der Pfade und addiere die Pfadprodukte.
Wann kann man die Pfadregel anwenden? Immer wenn sich der Zufallsversuch in einem Baumdiagramm darstellen lässt, d.h. wenn man ihn sich als Hintereinanderausführung mehrerer Zufallsversuche vorstellen kann. Solche Zufallsversuche nennt man auch mehrstufige Zufallsversuche.
Beispiel Drei Würfel werden gleichzeitig geworfen. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass dabei
keine '1' oder '2' ist (Ereignis E)?
1. Modellierung (falsch):
Der Versuch entspricht einem Urnenexperiment mit sechs Kugeln (= Augenzahlen), wobei dreimal mit
Zurücklegen gezogen wird und die Reihenfolge der gezogenen Kugeln belanglos ist. Die Anzahl der
möglichen Ausfälle ist 56 .
Keine '1' oder '2' zu würfeln, entspricht dem dreimaligen Ziehen mit Zurücklegen aus einer Urne mit
den Kugeln '3', '4', '5' und '6', wobei die Reihenfolge wieder belanglos ist. Die Anzahl der günstigen
Fälle ist 20 .
Also p(E) = 20 : 56 = 0,357 . Das Ergebnis ist falsch. Der Fehler liegt darin, dass die Laplace-Regel
angewendet wurde, obwohl der Stichproben-Raum kein Laplace-Raum ist, d.h. die Ausfälle des Stichprobenraums nicht gleichwahrscheinlich sind. Denn der Fall, dass zwei Würfel '6' und ein Würfel '5'
zeigt, tritt z.B. dreimal so häufig auf wie der Fall, dass alle drei Würfel '6' zeigen.
2. Modellierung:
Wir erzeugen einen Laplace-Raum durch „künstliche Vervielfachung“: Der Versuch entspricht einem
Urnenexperiment mit sechs Kugeln (= Augenzahlen), wobei dreimal mit Zurücklegen gezogen wird
und die Reihenfolge der gezogenen Kugeln berücksichtigt wird. Dann gibt es 63 (= 216) mögliche
Ausfälle. Diese Ausfälle sind alle gleichwahrscheinlich.
Keine '1' oder '2' zu würfeln, entspricht dem dreimaligen Ziehen mit Zurücklegen aus einer Urne mit
den Kugeln '3', '4', '5' und '6', wobei die Reihenfolge wieder berücksichtigt wird. Die Anzahl der günstigen Ausfälle ist 64 .Also ist p(E) = 64 : 216 = 0,296 .
Den künstlichen Laplace-Versuch kann man auch direkt mit den Würfeln machen. Man denke sich die
drei Würfel in verschiedenen Farben und unterscheide dementsprechend auch die Augenzahlen.
Dann gibt es 63 (= 216) mögliche gleichwahrscheinliche Ausfälle. Jeder Würfel hat aber nur vier Augenzahlen, die für das Ereignis E günstig sind; insgesamt gibt es also 43 (= 64) günstige Ausfälle.
Also p(E) = 64 : 216 = 0,296 .
3. Modellierung (falsch):
Man interpretiere das gleichzeitige Werfen von drei Würfeln als dreistufigen Zufallsversuch: Jede Stufe
entspricht dem Werfen eines Würfels. Als Ausfälle interessieren auf jeder Stufe nur der Fall „ '1' oder
3
'2'“ und der Fall „keine '1' oder '2'“ Das sind zwei Fälle pro Stufe. Bei drei Stufen gibt das insgesamt 2
(= 8) mögliche Ausfälle, aus denen der Stichprobenraum besteht. Das Ereignis „keine '1' oder '2'“ ist
genau einer dieser acht Ausfälle. Demnach wäre p(E) = 1 : 8 = 0,125 .
Der Fehler liegt wieder in der falschen Anwendung der Laplace-Regel auf einen Stichprobenraum, der
nicht aus gleichwahrscheinlichen Ausfällen besteht.
4. Modellierung:
Diesmal korrigieren wir den Fehler, indem wir das dreistufige Zufallsexperiment im "Wahrscheinlichkeiten"-Baum darstellen und die Pfadregel anwenden, die ja nicht nur für Laplace-Versuche gilt.
Zum Ereignis E gehört nur ein einziger Pfad (fett). Nach der Pfadregel werden die Wahrscheinlichkeiten längs dieses Pfades multipliziert: p(E) = ( 32 )3 = 0,296 .
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46
2/3
3,4,5,6
1/3
2/3
1,2
3,4,5,6
2/3
3,4,5,6
2/3
1/3
1,2
1/3
1,2
1/3
1,2
1/3
3,4,5,6
1,2
2/3
3,4,5,6
1/3
1,2
2/3
3,4,5,6
1/3
1,2
2/3
3,4,5,6
Im Hinblick auf das, was uns interessiert, ist der Aufwand für den Baum groß geraten: Er enthält noch
viele Pfade, die für die Fragestellung belanglos sind. In solchen Fällen verkürzt man ihn auf den Pfad
bzw. die Pfade, die zu dem interessierenden Ereignis gehören. Die übrigen deutet man u.U. nur an:
1/3
1/3
3,4,5,6
2/3
3,4,5,6
2/3
1/3
3,4,5,6
2/3
Beispiel "Werfen bis zur ersten '6'". Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die '6'
a) schon im 1.Wurf erscheint,
b) erst im 2. Wurf erscheint,
c) erst im 6. Wurf erscheint,
d) erst im 100. Wurf erscheint,
e) keinmal in den ersten 100 Würfen erscheint?
f) mindestens einmal in den ersten sechs Würfen erscheint,
g) genau einmal in den ersten sechs Würfen erscheint?
Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die '6' beim Würfeln erscheint, ist
scheint,
5
6
1
6
, dafür, dass sie nicht er-
. Für die Augenzahl '6' in einem Wurf zeichnen wir einen Kreis, für 'keine 6' einen durch-
kreuzten Kreis.
1.
Wurf
1/6
5/6
2.
3.
Wurf
1/6
4.
5.
Wurf
1/6
5/6
5/6
1/6
5/6
6.
Wurf
Wurf
Wurf
1/6
1/6
5/6
5/6
1/6
5/6
Lösungen:
1 = 0,167 = 17%
6
5 1
⋅
= 0,139 = 14%
6 6
( 5 )5 ⋅ 1 = 0,067 = 7%
6
6
5
= ( 6 )99 ⋅ 61 = 0,000 000 002 41
100 Würfen") = ( 56 )100 = 0, 000
a) p(“'6' schon im 1.Wurf") =
b) p("'6' erst im 2. Wurf) =
c) p("'6' erst im 6. Wurf) =
d) p("'6' erst im 100. Wurf")
e) p("keinmal in den ersten
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000 012
Grundlagen der Schulmathematik
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Entscheiden Sie selbst, ob die folgenden Aussagen richtig oder falsch sind:
(1) Die Wahrscheinlichkeit für das erstmalige Auftreten einer '6' in einer Wurfserie ist beim 1. Wurf am
größten.
(2) Je länger die Wurfserie "Werfen bis zur ersten '6'", desto unwahrscheinlicher ist sie.
(3) Im 2. Wurf erscheint die '6' im Schnitt etwa doppelt so häufig wie im 6. Wurf.
(4) Eine Wurfserie mit zwei Würfen bis zur ersten '6' tritt etwa doppelt so häufig auf wie eine Wurfserie
mit sechs Würfen.
(5) In sechs Würfen muss die '6' einmal auftreten.
(6) Es geschieht im Schnitt fünfmal so häufig, dass die '6' in den ersten 100 Würfen keinmal auftritt,
wie, dass sie zum ersten Mal im 100. Wurf auftritt.
Beispiel Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß beim mehrmaligen Würfeln die '6'
a) mindestens einmal in den ersten sechs Würfen erscheint,
b) genau einmal in den ersten sechs Würfen erscheint?
zu a) p("mindestens einmal in den ersten 6 Würfen") = 1− ( 56 ) 6 = 0,665 = 66,5%
zu b) "Genau einmal '6' in sechs Würfen" heißt ja "fünfmal nicht und einmal doch". Ein solcher Pfad
hat eine Wahrscheinlichkeit von 7%. Aber zu dem Ereignis "Genau einmal '6' in sechs Würfen" gehören sechs solcher Pfade; denn die '6' kann im 1., 2., ... oder 6. Wurf auftreten. Deshalb gilt:
p("genau einmal '6' in sechs Würfen") = 6 ⋅ ( 56 )5 ⋅ 61 = ( 56 )5 = 0,402 = 40%
3.3.3. Faire Wetten
Beispiel Geburtstagswette (1): In einer Vorlesung sitzen 30 Studierende. Der Dozent bietet eine Wette
an: „Ich wette, dass mindestens zwei von Ihnen am gleichen Tag Geburtstag haben.“ Wären Sie bereit, mit gleichem Einsatz dagegen zu wetten?
Modellierung: Das Jahr hat 365 Tage. Alle sind gleichwahrscheinlich für einen Geburtstag.
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass mindestens zwei der 30 Personen haben am selben Tag
Geburtstag(Ereignis E) haben? Aus Erfahrung wissen wir, dass es bei "mindestens..."-Ereignissen
einfacher ist die Wahrscheinlichkeit des Gegenereignisses zu berechnen. Das Gegenereignis ist, dass
alle 20 Personen an verschiedenen Tagen Geburtstag haben, seine Wahrscheinlichkeit beträgt
365⋅ 364⋅363⋅ ... 346
36520
= 0,294 . Die Wette ist also unfair, da der Dozent in gut 70% der Fälle gewinnt.
Es ist einleuchtend, dass er bei 10 Leuten keine große Chance hat zu gewinnen. Ab wie viel Personen
kippt die Chance? Bei 22 Personen beträgt die Chance des Dozenten 48%, bei 23 Personen 51%.
Prüfen sie es nach.
Beispiel Geburtstagswette (2): In einer Vorlesung sitzen 100 Studierende. Der Dozent bietet eine Wette an: „Ich wette, dass mindestens einer von Ihnen am gleichen Tag Geburtstag hat wie ich.“ Wären
Sie bereit, mit gleichem Einsatz dagegen zu wetten?
Ereignis E: Mindestens einer der 100 Studierenden hat am selben Tag Geburtstag wie der Dozent.
p(E) =
364100
365100
=
(364
)100 = 76%
365
p(E) = 24%
Um bei dieser Wette gleich Chancen zu haben wie sein Gegenüber, muss die Vorlesung 253 Teilnehmer haben. Warum ist das so anders als bei der ersten Geburtstagswette?
Beispiel Geburtstagswette (3): Jedesmal wenn Felicitas fünf Personen zusammen stehen sieht, bietet
sie ihnen eine 5:1-Wette an, dass mindestens zwei Personen in diesem Jahr am selben Wochentag
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Grundlagen der Schulmathematik
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Geburtstag haben. Wir setzen natürlich voraus, dass von den Beteiligten niemand alle Geburtstage
(außer seinem eigenen) kennt. Würden Sie die Wette annehmen?
Eine 5:1-Wette auf ein bestimmtes Ereignis heißt: Ich setze 5 € ein, der Gegenspieler 1 €; ich verliere
meinen Einsatz, falls das Ereignis nicht eintritt; ich erhalte den Einsatz zurück und gewinne 1 € dazu,
falls das Ereignis eintritt.
Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass fünf Personen am selben Wochentag Geburtstag haben wie Felicitas ist 85%. Betrachten wir eine Serie von 100 Spielen. In etwa 15% der Spiele hätte Felicitas ihren
Einsatz verloren, insgesamt also etwa 75 €. In etwa 85% der Spiele hätte sie gewonnen, insgesamt
also ungefähr 85 €. Das ergibt einen Reingewinn von 10 € in 100 Spielen. Sie hat also einen, wenn
auch nicht sehr großen Vorteil gegenüber ihren Mitspielerinnen. Das ist unfair.
Eine Wette ist fair, wenn beide Spieler die gleichen Chancen haben, d.h. wenn sich für jeden bei häufiger Wiederholung des Spiels Gewinn und Verlust ausgleichen.
Wann wäre die Wette von Felicitas fair gewesen? Z.B. wenn sie eine 17:3-Wette angeboten hätte; d.h.
sie setzt 17 € ein, ihr Gegenspieler 3 €. In 100 Spielen würde sie dann ungefähr 15 ⋅ 17 € (= 255 €)
verlieren und 85 ⋅ 3 € (= 255 €) gewinnen.
Hieraus können wir eine Regel für faire Wetten herleiten.
Felicitas wettet auf das Eintreten des Ereignisses E. Sie macht einen Einsatz, der zugleich ihr Verlust ist, wenn das Gegenereignis eintritt. Sie verlangt vom Gegenspieler einen Gegeneinsatz, der
zugleich ihr Gewinn ist, wenn das Ereignis eintritt.
Die Wette ist fair, wenn folgende Bilanz stimmt:
Einsatz mal Wahrscheinlichkeit des Gegenereignisses =
Gegeneinsatz mal Wahrscheinlichkeit des Ereignisses
Anders ausgedrückt:
Eine Wette ist fair, wenn sich der Einsatz zum Gegeneinsatz verhält wie die Wahrscheinlichkeit
des Ereignisses zu der des Gegenereignisses.
Beispiel "Höhere Gewalt": Zwei Spieler werfen eine Münze. Bei "Wappen" erhält Spieler A einen
Punkt, bei "Zahl" Spieler B. Wer zuerst fünf Punkte hat gewinnt den Einsatz.
Nach sieben Würfen wird das Spiel abgebrochen und kann nicht mehr fortgesetzt werden („höhere
Gewalt“). Zu diesem Zeitpunkt hat A vier Punkte und B drei. Wie soll der Einsatz verteilt werden?
Der Chevalier de Méré hatte zwei verschiedene Lösungsvorschläge und fragte Blaise Pascal, welcher
der richtige sei: Nach dem Verhältnis der erreichten Punkte, also 4:3, zu verteilen oder nach dem umgekehrten Verhältnis der noch fehlenden Punkte, also 2:1?
Pascal überlegte so: Angenommen, beide Spieler hätten 100 Münzen eingesetzt. Beim nächsten Wurf
hätte Spieler A mit 50% Wahrscheinlichkeit den entscheidenden Punkt gemacht, also stehen ihm
schon mal 50 Münzen zu. Wenn Spieler B den nächsten Punkt gewinnt, haben sie gleich viele Punkte,
also gleiche Chancen zu gewinnen. Deshalb teilen sie sich die restlichen 50 Münzen. Insgesamt erhält
A also 75 Münzen und B 25. Der Einsatz wird also im Verhältnis 3:1 aufgeteilt, eine Lösung, die der
Chevalier nicht vorgesehen hatte.
Pascals Lösung läuft darauf hinaus, den Einsatz im Verhältnis der Gewinnwahrscheinlichkeiten für
beide Spieler zu verteilen.
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49
A gewinnt
A gewinnt
W
W
1/2
1/2
Z
1/2
1/2
Z
B gewinnt
p("A gewinnt")
=
1 1 1 3
+ ⋅ =
2 2 2 4
p("B gewinnt")
=
1 1 1
⋅ =
2 2 4
Aufteilung im Verhältnis 34 :41 = 3 : 1
Wie wäre die gerechte Verteilung des Einsatzes gewesen, wenn das Spiel schon nach fünf Würfen
abgebrochen worden wäre und A zu diesem Zeitpunkt drei, B dagegen nur zwei Punkte gehabt hätte?
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