Psychotherapie - Privatpraxis im Park

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Für Seelen
in Not
Psychotherapie Eine Psychotherapie kann bei seelischen
Problemen helfen. Aber
welche? Fünf Verfahren sind
bei uns wissenschaftlich
anerkannt. Ein Wegweiser.
D
er Schlaf kam wie gewohnt, blieb
aber nur etwa zwei Stunden. Dann
schreckte der Mann hoch, lag wach, dämmerte ein, schreckte hoch, immer wieder
bis zum Morgen. Monatelang zermürbten
die Nächte Roland Kerner (Name geändert).
„Tags ging nichts mehr“, sagt der Selbstständige, heute 49. Eine Ursache fanden die
Ärzte nicht. „Also dachte ich mir: Weitermachen, nicht rumjammern.“ Bis er etwas
über psychische Krankheiten las und
merkte: „Diese Beschreibungen passen zu
mir.“ Bei einer Psychotherapie erfuhr er,
dass hinter den Schlafstörungen eine mittelschwere Depression steckte.
Kerner erzählte uns von seinen Erfahrungen – stellvertretend für Millionen.
Mindestens jeder vierte Erwachsene in
Unser Rat
Psychotherapie lindert viele seelische Leiden. Das gilt besonders für
die fünf Verfahren, die in Deutschland wissenschaftlich anerkannt
sind. Wir ließen sie von Experten
darstellen (siehe Kästen S. 84 bis
87). Und wir sagen, wer wohl Hilfe
braucht und wie er sie bekommt.
Bei jeder Psychotherapie gilt: Patienten sollten aktiv mitarbeiten und
einen Therapeuten wählen, den sie
gleich zu Anfang sympathisch finden – beides wichtig für den Erfolg.
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Journal Gesundheit
Deutschland entwickelt im Laufe eines Jahres eine psychische Störung, allen voran
Ängste, Depressionen und Seelennöte als
Folge oder Ursache körperlicher Krankheiten. Das zeigte der Bundesgesundheitssurvey, eine besonders umfassende, wenn
auch nicht junge Erhebung von 1998. Aktuelle Krankenkassenberichte sehen psychische Krankheiten sogar auf dem Vormarsch und führen das vor allem auf die
Belastungen der modernen Arbeitswelt zurück. Auch eine andere Erklärung wird
erörtert: Psychische Störungen kommen
vermehrt in der öffentlichen und ärztlichen Wahrnehmung vor, werden also auch
öfter diagnostiziert. Doch egal, warum sie
auftreten: Sie belasten Betroffene und ihr
Umfeld stark. Was also tun?
Die Umfrage
Im Mai und Juni 2011 lief unsere
Onlineumfrage zur seelischen Gesundheit. Knapp 4 000 Teilnehmer
hatten in den vergangenen fünf Jahren psychische Probleme, vor allem
Depressionen (79 Prozent), Ängste
(64 Prozent), Belastungsreaktionen
(27 Prozent), gefolgt von Persönlichkeits- und Essstörungen. Über die
Hälfte war in ambulanter Psychotherapie. Details stehen in diesem
Text und ausführlicher unter www.
test.de/umfrage-psyche.
Wie merke ich, dass ich Hilfe brauche?
Dass Gefühle über gewohnte Grenzen gehen oder Krisen die Seele belasten, gehört
zum Menschenleben dazu. Wenn sich solche Probleme der Kontrolle entziehen, liegt
vielleicht eine psychische Störung vor. Und
unbehandelt bleibt diese womöglich bestehen oder verschlimmert sich sogar. Als
Schlüsselfragen gelten der „Leidensdruck“,
die „Alltagseinschränkungen“, unter anderem bei der Arbeit, und erfolglose Lösungsversuche, etwa in Selbsthilfegruppen. Die
Checkliste rechts nennt Warnzeichen.
Achtung: Normale Probleme wie Beziehungskrisen zählen nicht dazu, können
aber psychische Störungen auslösen.
test 11/2011
Psychotherapien
Checkliste
Brauche ich Hilfe?
Diese – unvollständige – Liste gibt
Hinweise auf behandlungsbedürftige psychische Störungen. Wer mindestens eine Frage klar mit „Ja“ beantwortet, sollte sich Hilfe suchen.
Gemüt. Ist Ihre Stimmung sehr oft
oder ständig gedrückt? Haben Sie
das Interesse an Dingen verloren,
die Ihnen früher Spaß machten? Finden Sie Ihr Leben sinnlos? Oder sich
oft unfähig, hilflos oder wertlos?
Trauma. Haben Sie Traumatisches
erlebt und leiden nun an Angstzuständen, Unruhe, Alpträumen, blitzartigen belastenden Erinnerungen?
Sucht. Nehmen Sie oft Alkohol,
Schlaf-, Beruhigungs-, Schmerzmittel, vielleicht Drogen und versuchten
wiederholt, das einzuschränken?
Essen. Ist Ihr Essverhalten gestört
und leiden Sie darunter?
FOTOS: JUMP / K. VEY
Die ganzen
Sorgen, der
ganze Kummer,
der ganze
Schmerz. Keine
Luft mehr. Es
geht nichts mehr.
An wen kann ich mich wenden?
An den Hausarzt oder einen niedergelassenen Psychotherapeuten – das geht ohne
Überweisung. Am besten schildern Sie jeweils die Beschwerden genau und fragen
konkret: „Glauben Sie, dass ich Hilfe brauche, und wie bekomme ich die?“ Auch zu
empfehlen: Beratungsstellen, etwa für Familien-, Erziehungs- oder Suchtfragen. Sie
helfen allgemein bei Problemen und bieten oft sogar kurzzeitige psychotherapeutische Maßnahmen, häufig kostenlos.
Menschen in akuten psychischen Krisen,
die etwa konkret an Selbstmord denken,
können sich direkt an eine psychiatrische
Klinik wenden. Zudem gibt es in vielen Ge11/2011 test
meinden „sozialpsychiatrische Dienste“ oder
„Krisendienste“. Die Mitarbeiter sind rund
um die Uhr für Betroffene und Angehörige
erreichbar und kommen wenn nötig auch
ins Haus. Auch immer und bei allen Nöten
ansprechbar: die Telefonseelsorge.
Tipp: Suchtipps für alle im Text genannten
Anlaufstellen stehen im Kasten auf S. 87.
Welche Behandlungsmöglichkeiten
gibt es bei psychischen Störungen?
Erstens: eine ambulante Psychotherapie,
in der Regel in einer Praxis. Sie arbeitet mit
psychologischen Techniken, meist im Gespräch. Es gibt viele Richtungen. Fünf sind
in Deutschland wissenschaftlich aner- 0
Schlaf. Haben Sie dauernd erhebliche Schlafstörungen, für die es
keine körperliche Ursache gibt?
Ängste. Leiden Sie wiederholt unter
Angstzuständen oder starker innerer
Unruhe – ohne richtige Erklärung?
Zwänge. Leiden Sie daran, dass Sie
manche Dinge immer wieder zählen
oder kontrollieren müssen? Oder
dass Ihnen immer wieder bestimmte
störende, scheinbar ganz unsinnige
Gedanken durch den Kopf gehen?
Körperzeichen. Leiden Sie an körperlichen Symptomen oder Schmerzen ohne ärztliche Erklärung?
Kontrollverlust. Leiden Sie daran,
dass Sie Gefühle oder Ihr Verhalten
nicht kontrollieren können, aggressiv gegen sich oder andere werden?
Irreales. Nehmen Sie Dinge wahr,
die andere Leute nicht bemerken?
Angelehnt an den Ratgeber „Psychotherapie“,
Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.
Journal Gesundheit
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Anerkannt: 1
Anerkannt: 2
Analytische
Psychotherapie
Tiefenpsychologische
Psychotherapie
Das Konzept: Es orientiert sich an
der klassischen Psychoanalyse von
Sigmund Freud und Weiterentwicklungen. Dabei gelten psychische
Beschwerden als Folge zwischenmenschlicher Konflikte, oft aus der
Kindheit, die unbewusst weiterwirken. Die Therapie versucht, sie im
Gespräch bewusst zu machen und
zu bearbeiten. Wichtig sind aber
auch aktuelle Erfahrungen.
Das Konzept: Das Verfahren – exakt
„tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie“ – erinnert an die analytische Psychotherapie und hat dieselben Wurzeln, ist aber kürzer und
stärker auf aktuelle Fragen und konkrete Ziele gerichtet. Dabei werden
seelische Nöte zurückgeführt vor
allem auf zwischenmenschliche
Konflikte, belastende Beziehungen
und Traumata, oft aus der Kindheit.
Der Ablauf: Die Couch ist heute
nicht mehr so üblich. Oft sitzt der
Klient dem Therapeuten gegenüber
und wählt die Themen. Der Therapeut hört vor allem zu und verhält
sich meist wohlwollend neutral,
ohne etwa zu loben oder zu tadeln.
Seine Deutungen, etwa von Träumen, regen zum Nachdenken an.
Der Ablauf: Klient und Therapeut
sitzen mit Sichtkontakt. In Gesprächen arbeiten sie die aktuellen
Probleme des Klienten heraus und
stellen biografische Zusammenhänge her, besonders zur Kindheit.
Der Therapeut übernimmt die Rolle
des aufmerksamen Zuhörers, greift
aber auch aktiv ins Gespräch ein.
Die Dauer: Durchschnittlich zwei
Jahre mit ein bis zwei Einzelsitzungen pro Woche, individuell aber
auch länger oder kürzer.
Die Dauer: Meist etwa drei Monate
bis zwei Jahre, mit einer Einzel- oder
Gruppensitzung pro Woche.
Kassenleistung: Auf Antrag erstatten die gesetzlichen Krankenkassen
Erwachsenen 160 Einzelsitzungen.
Die Höchstgrenze: 300 Einzelsitzungen. Für Kinder, Jugendliche, Gruppen gelten andere Erstattungssätze.
Kassenleistung: Auf Antrag erstatten die gesetzlichen Krankenkassen
Erwachsenen 25 (Kurzzeittherapie)
oder 50 Einzelsitzungen. Die Höchstgrenze liegt bei 100 Einzelsitzungen.
Für Kinder, Jugendliche und Gruppen gelten andere Erstattungssätze.
Kosten für Selbstzahler: Sie richten sich nach Gebührenordnungen,
etwa für Ärzte, und dürfen pro Einzelsitzung bis 92,50 Euro betragen.
Kosten für Selbstzahler: Sie richten sich nach Gebührenordnungen,
etwa für Ärzte, und dürfen pro Einzelsitzung bis 92,50 Euro betragen.
test-Kommentar: Besonders geeignet bei Patienten, die die biografischen Hintergründe ihrer Probleme
ausführlich, oft über ziemlich lange
Zeit erforschen wollen. Erwiesen
ist die Wirksamkeit besonders bei
Depressionen und schweren Persönlichkeitsstörungen. Für manche
Erkrankungen fehlen aber noch
verlässliche Studiendaten. Und die
Behandlung kann Patienten schwerfallen, etwa wegen ihrer Langwierigkeit, der starken Ausrichtung auf
frühere Konflikte und der Zurückhaltung des Therapeuten.
test-Kommentar: Besonders geeignet bei Patienten, die ihre Probleme
konkret angehen, aber auch die
Hintergründe erforschen möchten.
Belegte Wirkungen zum Beispiel
bei Depressionen, Belastungs- und
Persönlichkeitsstörungen sowie
psychosomatischen Beschwerden.
Auch stationär kommt die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
zum Einsatz. Insgesamt eignet sie
sich weniger für Menschen, die
sich nicht besonders stark für die
biografischen Hintergründe ihrer
Probleme interessieren.
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Journal Gesundheit
Seelische Nöte
sind womöglich
die Folge von
Konflikten aus
der Kindheit.
kannt (siehe Kästen S. 84 bis 87). Über den
Erfolg entscheidet vor allem eins: die Bereitschaft des Patienten zur Mitarbeit,
meist über lange Zeit.
Zweitens: Psychopharmaka. Diese Medikamente helfen oft schnell, können aber
Nebenwirkungen haben und leicht zur
Dauertherapie geraten. Daher vor allem bei
schweren psychischen Störungen, kombiniert mit Psychotherapie zu empfehlen.
Drittens: eine stationäre Behandlung, die
oft Psychotherapie, Medikamente und weitere Maßnahmen vereint. Zu empfehlen ist
sie vor allem bei Patienten, die Abstand
vom Alltag brauchen oder an schweren
psychischen Störungen leiden. Zugang gibt
es über niedergelassene Behandler und
direkt, etwa bei psychosomatischen oder
psychiatrischen Kliniken und normalen
Krankenhäusern mit solchen Stationen.
Zahlen Krankenkassen die Therapien?
Ja, wenn ein Arzt oder Psychotherapeut offiziell eine behandlungsbedürftige psychische Störung diagnostiziert. Bei ambulanten Psychotherapien gibt es weitere
test 11/2011
Psychotherapien
Bedingungen. Die gesetzlichen Krankenkassen erstatten drei sogenannte Richtlinienverfahren: analytische und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie sowie
Verhaltenstherapie. Die Therapeuten brauchen eine Kassenzulassung und dafür eine
spezielle Ausbildung, in der Regel ein Psychologie- oder Medizinstudium plus eine
mehrjährige Zusatzausbildung. Zudem
müssen sie jede Therapie gesondert beantragen. Vorher dürfen sie einige Probesitzungen abhalten. Psychotherapie-Anträge
werden meist bewilligt. Ansonsten können
Patienten Widerspruch einlegen.
Für privat Versicherte gibt es verschiedene Regelungen. Informieren Sie sich in Ihrer Police oder direkt bei der Krankenkasse.
FOTOS: MAURITIUS / CUSP; PLAINPICTURE / L. STEVENS
Welche Psychotherapie passt zu mir?
Die meisten Patienten wählen schon aus
Kostengründen kassenfinanzierte Therapien. Für Selbstzahler gibt es mehr Auswahl. Immer wichtig: Informieren Sie sich
über die Therapien und gleichen Sie sie mit
Ihren Vorstellungen ab. Manche Therapeuten scheinen Ansätze zu mischen – es sollte
aber stets einen nachweislichen Ausbildungsschwerpunkt geben. Bei den fünf
anerkannten Verfahren ist die Ausbildung
klar geregelt, bei anderen Richtungen womöglich undurchsichtiger. Uneinheitlich
ist sie auch für Heilpraktiker, die Psychotherapien durchführen. Die gesetzlichen
Krankenkassen erstatten diese Behandlungen in der Regel nicht.
Tipp: Gezielt suchen können Sie über die
Kassenärztlichen Vereinigungen. Sie listen
ärztliche und psychologische Psychotherapeuten mit Kassenzulassung auf (www.
kbv.de/arztsuche). Die Psychotherapeutenkammern nennen psychologische Psychotherapeuten, auch ohne Kassenzulassung
(www.psych-info.de).
Den ersten Kontakt nehmen Sie am besten telefonisch auf. Sprechen Sie gegebenenfalls eine Rückrufbitte auf den Anrufbeantworter. Und vergewissern Sie sich
direkt beim ersten Telefonat bezüglich der
Therapierichtung und Kassenzulassung.
Wie schnell beginnt die Therapie?
Die Umfrageteilnehmer warteten im Schnitt
etwa einen Monat auf ein Erstgespräch
und dann drei Monate bis zur Therapie.
Lange Wartezeiten zeigt auch eine Erhebung der Bundespsychotherapeutenkammer. Eine schlechte Versorgung gibt es
demnach vor allem auf dem Land, in Ostdeutschland und im Ruhrgebiet. Das liege
an der „Bedarfsplanung“, die große regiona0
le Unterschiede vorsieht.
11/2011 test
Verhaltenstherapie
Das Konzept: Das Verfahren, auch
„kognitive Verhaltenstherapie“, führt
psychische Störungen auf erlerntes
problematisches Verhalten zurück,
das sich verlernen lässt. „Verhalten“
meint neben dem Handeln auch Gefühle, Gedanken, körperliche Reaktionen. Oft arbeitet die Therapie an
sehr konkreten Zielen und setzt auf
das Ändern der inneren Einstellung.
Der Ablauf: Neben Gesprächen
gibt es oft Übungen. Dabei werden
Klienten etwa mit Situationen konfrontiert, die ihnen Angst machen.
Auch üblich: Hausaufgaben, um
Problemverhalten im Alltag zu dokumentieren oder Lernerfolge im
echten Leben zu erproben.
Die Dauer: Meist etwa sechs Monate bis zwei Jahre, mit einer Einzeloder Gruppensitzung pro Woche.
Oft kommen auch mehrstündige
Trainingsphasen vor.
Kassenleistung: Auf Antrag erstatten die gesetzlichen Krankenkassen
Erwachsenen 25 (Kurzzeittherapie)
oder 45 Einzelsitzungen. Die Höchstgrenze sind 80 Einzelsitzungen. Für
Kinder, Jugendliche, Gruppen gelten
andere Erstattungssätze.
Gibt es bei psychologischen und ärztlichen Therapeuten Unterschiede?
Der wichtigste: Psychopharmaka dürfen
nur Ärzte verordnen. Bei den ärztlichen
Therapeuten gibt es mehrere Richtungen.
Fachärzte für Psychosomatische Medizin
und Psychotherapie kümmern sich oft um
Krankheiten, bei denen Seele und Körper
zusammenwirken. Psychiater, meist Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie,
behandeln meist schwere psychische Störungen. Die große Mehrheit der Psychotherapeuten stellen jedoch die Psychologen.
Sie können mit Ärzten kooperieren, die Medikamente verordnen – wenn nötig.
Wie finde ich einen Therapeuten?
Viele Umfrageteilnehmer suchten über ihre Ärzte (37 Prozent) oder Verwandte und
Freunde (19 Prozent). Jeweils elf Prozent
nutzten das Internet oder Verzeichnisse
wie die Gelben Seiten. Die bieten einen guten Überblick, aber oft ohne Infos zur Qualifikation und Kassenzulassung.
Anerkannt: 3
Kosten für Selbstzahler: Sie richten sich nach Gebührenordnungen,
etwa für Ärzte, und dürfen pro Einzelsitzung bis 100,56 Euro betragen.
Es ist kein
Spaziergang,
die Seele
zu erkunden.
test-Kommentar: Geeignet für Patienten, die an konkreten Problemen
arbeiten möchten. Es gibt besonders
viele Wirksamkeitsbelege – etwa bei
Depressionen, Süchten, Angst-, Essund Persönlichkeitsstörungen. Zudem kommt die Verhaltenstherapie
begleitend bei körperlichen und
schweren psychischen Problemen,
wie etwa Schizophrenie, zum Einsatz, oft auch stationär. Mögliche
Schwierigkeiten: Manche Klienten
möchten die biografischen Hintergründe der Probleme noch genauer
ergründen. Andere fühlen sich von
den Aufgaben überfordert.
Journal Gesundheit
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Gibt es einen Weg, um schneller einen Therapieplatz zu bekommen?
Fragen Sie gleich bei mehreren Therapeuten an. Der Zusatzvorteil: Vergleichsmöglichkeiten. Protokollieren Sie alle Anfragen
und genannten Wartezeiten. Denn manches gilt als „unzumutbar“. Grobe Richtwerte: Wartezeiten über drei Monate oder
Wege über 25 Kilometer. In diesen Fällen
übernehmen gesetzliche Kassen oft auch
Behandlungen bei ausgebildeten Psychoanalytikern, Tiefenpsychologen oder Verhaltenstherapeuten ohne Kassenzulassung.
Besprechen Sie das Vorgehen am besten direkt mit einem solchen Therapeuten.
Wie überbrücke ich die Wartezeit?
Manche setzen sich allein mit ihren Problemen auseinander oder wenden sich an eine
Selbsthilfegruppe (Adressen zum Beispiel
bei der bundesweiten Kontaktstelle Nakos:
www.nakos.de). Studien bescheinigen der
Unterstützung durch andere Betroffene
große Erfolge. Außerdem können vielleicht
auch alle anderen Ansprechpartner bei
psychischen Problemen (siehe zweite Frage, S. 83), besonders Beratungsstellen und
Kliniken, beim Überbrücken helfen.
Wie kann ich zum Erfolg beitragen?
Widmen Sie der Therapie viel Aufmerksamkeit: Machen Sie aktiv und möglichst
offen mit, beschäftigen Sie sich auch außerhalb der Praxis mit den Themen. Bei all
diesen Punkten gaben sich unsere Umfrageteilnehmer laut eigenem Bekunden viel
Mühe. Mit dem Therapeuten waren knapp
80 Prozent zufrieden bis sehr zufrieden.
Welche Wirkung kann ich erwarten?
Bei vielen Patienten hilft Psychotherapie,
besonders die anerkannten Verfahren. Das
belegen Studien. In unserer Umfrage fanden vor der Therapie 77 Prozent der Teilnehmer ihr Leiden „sehr groß“ oder „groß“,
danach nur noch 13 Prozent. Auch die Einschränkungen in Beruf und Freizeit sanken deutlich. Doch es gab auch Misserfolge. So brach etwa jeder fünfte Befragte die
Behandlung ab. Die häufigsten Gründe:
ein Ausbleiben der Besserung (45 Prozent), Schwierigkeiten mit dem Therapeuten (39 Prozent) oder Zweifel an dessen
Kompetenz (36 Prozent). Das bestätigt: Psychotherapie ist kein Allheilmittel für jeden.
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Journal Gesundheit
Gesprächstherapie
Das Konzept: Exakt heißt das Verfahren „Gesprächspsychotherapie“.
Dabei gelten psychische Probleme
als Folge einer „Inkongruenz zwischen Selbst und Erfahrung“ – wenn
also jemand bestimmte Erfahrungen
nicht mit seinem Selbstbild vereinbaren kann. Im Mittelpunkt der Therapie steht daher die Selbsterforschung des Klienten. Der Therapeut
bietet dabei Unterstützung und
achtet darauf, dass der Klient sich
einfühlsam verstanden, wertgeschätzt und aufgehoben fühlt.
Der Ablauf: Klient und Psychotherapeut sitzen mit Sichtkontakt. Der
Klient bestimmt die Gesprächsthemen. Der Therapeut versucht, sich
in ihn hineinzuversetzen, fragt auch
nach Gefühlen und stimmt sein
Vorgehen individuell ab.
Die Dauer: In der Regel sechs
Monate bis anderthalb Jahre, mit
etwa einer Sitzung pro Woche. In
Gruppen teils anders.
Was ist bei Erstgesprächen und
Probesitzungen wichtig?
Sie klären für beide Seiten, ob eine Psychotherapie infrage kommt. Der Therapeut
lässt sich beim Erstgespräch Ihre Probleme
schildern. Machen Sie sich aber auch ein
Bild von ihm. Fragen Sie: Nach welcher Methode arbeitet er? Hat er Erfahrung speziell
mit Ihrem Problem? Wie laufen die Sitzungen ungefähr ab? Wann ist mit ersten Erfolgen zu rechnen? Achten Sie, auch in den
Probesitzungen, ganz besonders darauf, ob
Sie den Therapeuten sympathisch finden
und gern mit ihm arbeiten. Wer kein gutes
Gefühl hat, sucht besser weiter. Die Krankenkassen finanzieren Erstgespräche und
Probesitzungen bei mehreren Therapeuten. Wenn sich dabei ein vertrauensvolles
Verhältnis abzeichnet, erhöht das die Erfolgschancen der eigentlichen Therapie.
Was sollte der Therapeut leisten?
Das hängt von der Richtung ab. Verhaltenstherapeuten geben oft Hausaufgaben, Tiefenpsychologen Denkanstöße für die Zeit
zwischen Sitzungen. Immer wichtig: Der
Therapeut sollte Ziele nennen, sein Vorgehen erklären, auf Gesprächswünsche eingehen, regelmäßig Zwischenbilanz ziehen.
Dabei hilft es, wenn er viel dokumentiert,
etwa mit Notizen oder Fragebögen.
Anerkannt: 4
Keine Kassenleistung: Trotz wissenschaftlicher Anerkennung nicht
als Kassenleistung anerkannt.
Kosten für Selbstzahler: In Privatpraxen sind sie nicht an eine Gebührenordnung gebunden und frei
verhandelbar. Sie betragen pro Einzelsitzung etwa 70 bis 120 Euro.
In Kliniken läuft die Therapie als Teil
der erstattbaren Gesamtbehandlung.
Wer kein gutes
Gefühl hat,
sucht besser
einen anderen
Therapeuten.
test-Kommentar: Geeignet besonders bei Patienten, die sich und ihre
Gefühle genau erforschen und dadurch aktiv an der Problemlösung
arbeiten möchten. Nachgewiesen
ist die Wirkung vor allem bei Depressionen, Angst- und Belastungsstörungen. Die Gesprächspsychotherapie kommt auch stationär und
bei Kindern und Jugendlichen zum
Einsatz. Weniger geeignet ist sie
bei Patienten, die keinen Zugang
zu sich selbst und ihrem Erleben
finden und nicht aktiv an der Therapie mitarbeiten möchten.
test 11/2011
Psychotherapien
Anerkannt: 5
Systemische Therapie
Das Konzept: Es sieht Menschen
nicht für sich, sondern als Teil eines
sozialen Systems. Demnach kann
es zu Wechselwirkungen von psychischen Problemen und zwischenmenschlichen Beziehungen kommen. Daher bezieht die Therapie oft
Bezugspersonen ein, etwa Lebenspartner oder Eltern. Es geht nicht
nur um Probleme, sondern auch um
Stärken der Beteiligten und ihrer
Beziehungen. Oft nutzen Paar- und
Familientherapeuten den Ansatz.
Trotz vieler
Erfolge – ein
Allheilmittel
für jeden ist
Psychotherapie nicht.
Der Ablauf: Die Arbeit erfolgt je
nach Problem und Wunsch als Einzel- oder Gruppentherapie. Manchmal kommen Bezugspersonen nur
zu einzelnen Sitzungen mit. Die
Therapie umfasst Gespräche, aber
auch aktive Methoden, etwa das
Aufstellen von Figuren, um Familienstrukturen zu verdeutlichen. Der
Therapeut bemüht sich um guten
Kontakt und Verständnis mit allen
Beteiligten, auch Abwesenden.
Die Dauer: Die Therapie verfolgt klar
begrenzte Ziele und ist daher häufig
kürzer als sonst – bis zu 25 Sitzungen,
oft nur alle paar Wochen.
Keine Kassenleistung: Trotz wissenschaftlicher Anerkennung nicht
als Kassenleistung anerkannt.
FOTOS: PLAINPICTURE / R. CAMILO; THINKSTOCK
Kosten für Selbstzahler: In Privatpraxen sind sie frei verhandelbar,
pro Sitzung etwa 60 bis 200 Euro.
In Beratungsstellen oft kostenlos,
in Kliniken Teil der erstattbaren
Gesamtbehandlung.
test-Kommentar: Sehr verbreitet
in Beratungsstellen sowie stationär.
Nachweislich wirksam etwa bei
Depressionen, Essstörungen, Süchten. Es gibt bei der Systemischen
Therapie aber auch Schwierigkeiten.
Manche Klienten möchten keine
Bezugspersonen einbeziehen, oder
diese verweigern die Mitarbeit.
Übrigens: Der Ansatz will niemanden kritisieren, sondern lediglich
alle Sichtweisen berücksichtigen.
11/2011 test
Roland Kerner, dem die Depression den
Schlaf raubte, brauchte drei Anläufe. „Ich
war wohl zu uninformiert, zu passiv und
traute mich nie, mich zu beschweren“, sagt
er. Also saß er bei einem Psychoanalytiker,
dann bei einer Therapeutin, deren Ansatz
er nicht wirklich weiß, etwa fünf Jahre lang.
Und er bekam Psychopharmaka, von denen er vor allem Nebenwirkungen spürte.
„Als ich ein neues Mittel gar nicht vertrug,
wachte ich endlich auf.“ Er informierte sich,
diskutierte, wechselte zu einem Verhaltenstherapeuten. „Der passte zu mir. Ich brauche wohl konkrete Erklärungen für das, was
in meinem Kopf vorgeht.“ Bald endet die
Therapie. Kerner hat viel gelernt, wie er sagt:
Arbeit organisieren, glückliche Momente
bewusst wahrnehmen, schlechte Gefühle
aushalten und abmildern. Er wagte zwei
Neuanfänge: Im Frühling begann er ein Studium für soziale Arbeit, im Herbst zieht er
mit seiner Freundin zusammen. Wenn ihn
etwas sehr beunruhigt, liegt er wach. Doch
j
meist schläft er wie ein Stein.
Infos und Adressen
Gibt es auch unerwünschte Effekte?
Durchaus, schließlich ist eine Seelenerkundung kein Spaziergang. Viele Teilnehmer
unserer Umfrage berichteten über unerwünschte Effekte, vor allem eine Belastung
durch die Beschäftigung mit unangenehmen Themen (46 Prozent), neue Probleme
(39 Prozent), Angst in schwierigen Situationen (25 Prozent). Solche Folgen sollten nur
vorübergehend auftreten – das ist allerdings ein dehnbarer Begriff.
Was soll ich tun, wenn ich mit dem
Therapieverlauf unzufrieden bin?
Dann trauen Sie sich: Äußern Sie Zweifel
oder Kritik, besonders wenn Sie sich länger
nicht besser oder gar schlechter fühlen. Ein
guter Therapeut geht professionell damit
um, erklärt oder ändert sein Vorgehen.
Wenn Sie dann immer noch unzufrieden
sind, kommt ein Praxiswechsel in Betracht.
Fragen Sie aber unbedingt bei der Krankenkasse, ob und wie das geht. Grundsätzlich
sollte die Zahl der kassenfinanzierten Sitzungen für Erfolge reichen. Sonst ist wohl
eine andere Behandlungsart zu erwägen.
Psychotherapeutensuche über
Hausarzt, Bekannte, Gelbe Seiten,
www.kbv.de/arztsuche (Psychotherapeuten mit Kassenzulassung),
www.psych-info.de (psychologische Psychotherapeuten, auch
ohne Kassenzulassung).
Beratungsstellen helfen bei Nöten,
oft psychotherapeutisch und kostenlos. Suche: Telefonbuch, Internet
(„Beratung“, www.bzga.de/service).
Selbsthilfegruppen geben oft großen Halt. Viele unter www.nakos.de.
Im Notfall: Psychiatrische Klinik
oder, falls vorhanden, Krisendienst
(Netzsuche: Ort und „Krisendienst“;
www.kompetenznetz-depression.de
listet Krisendienste und Kliniken).
Telefonseelsorge: 0 800/1 11 01 11;
0 800/1 11 02 22 (kostenlos, anonym).
Bücher: Verbraucherzentrale
Nordrhein-Westfalen: Psychotherapie. 2010, 9,90 Euro.
Stiftung Warentest: Ängste überwinden. 2010, 19,90 Euro.
Stiftung Warentest: Depressionen
überwinden. 2010, 19,90 Euro.
Journal Gesundheit
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