1|2011 - Facultas

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Internationale Zeitschrift für Personzentrierte und Experienzielle Psychotherapie und Beratung
1|2011
15. Jahrgang
Herausgegeben von Franz Berger und Christian Korunka
FAC H B E I T R Ä G E
Karin Wunderlich: Der Organismus. Materialien und Überlegungen zu einem
vielschichtigen Begriff und seiner Bedeutung im Personzentrierten Ansatz
5
Gabriela Schreder: Ich bin die Andere – Die Bedeutung der Differenz in der
Erfahrung psychotherapeutischer Gegenseitigkeit
17
Rosina Brossi: Fragmente „en gros et en détail“ zum Thema ethische Fragen
im psychotherapeutischen Alltag
25
Ute Binder: Störungsspezifische Verstehensprozesse versus diagnosegeleitete
Einstellungen
37
Eva-Maria Biermann-Ratjen: Empathie heute
44
Margret Katsivelaris: Personzentrierte Aspekte zur Entwicklung kindlicher
Sexualität in der Beziehung zur Mutter
52
Jochen Eckert und Eva-Maria Biermann-Ratjen: Gesprächspsychotherapie unter
Interventionsgesichtspunkten
62
REZENSIONEN
73
ISSN 1028-6837
PERSON. Internationale Zeitschrift für Personzentrierte und Experienzielle Psychotherapie und Beratung
Die Herausgeber sind dem von Carl Rogers und seinen Mitarbeitern begründeten
Personzentrierten Ansatz verpflichtet. Dieser Ansatz wurde im deutschen
Sprachraum im Rahmen der Psychotherapie unter den Bezeichnungen
„Gesprächspsychotherapie“, „Klientenzentrierte Psychotherapie“ und
„Personzentrierte Psychotherapie“ bekannt. Seit Beginn hat der Ansatz
unterschiedliche Differenzierungen und Weiterentwicklungen erfahren.
Die Begriffe „personzentriert“ und „experienziell“ und die mit ihnen
verbundenen Konzepte und Prozesse beruhen auf einer umfassenden
und reichhaltigen Geschichte und sind ständig in Entwicklung begriffen.
Die Bezeichnung „personzentriert und experienziell“ wurde gewählt, um
fortgesetzten Dialog und beständige Entwicklung zu fördern; es ist nicht
beabsichtigt, ein bestimmtes Verständnis dieser Ansätze und ihrer Beziehung
zueinander zu bevorzugen.
Die Zeitschrift dient als Forum der Diskussion dieser Entwicklungen und ihrer
Umsetzung innerhalb und außerhalb der Psychotherapie in den Bereichen der
Human- und Sozialwissenschaften, der Ausbildung, Kultur und Wirtschaft.
Dies gilt sowohl für die wissenschaftliche Forschung und Theoriebildung als
auch für Lehre und Praxis. Die Zeitschrift bietet außerdem einen Rahmen
für Auseinandersetzung und Zusammenarbeit mit anderen kulturellen,
wissenschaftlichen, philosophischen und künstlerischen Strömungen.
Herausgeber
ÄGG – Ärztliche Gesellschaft für Gesprächspsychotherapie
c/o Dr. L. Teusch, Ev. Krankenhaus, D-44577 Castrop-Rauxel, Grutholzallee 21
Tel.: + 49 2305 102 28 58; Fax: + 49 2305 102 28 60
E-Mail: [email protected]
Forum – Forum Personzentrierte Praxis, Ausbildung und Forschung der APG
(Arbeitsgemeinschaft Personzentrierte Gesprächsführung, Psychotherapie
und Supervision. Vereinigung für Beratung, Therapie und Gruppenarbeit)
A-1090 Wien, Liechtensteinstr. 129/3
Tel./Fax: + 43 1 966 79 44; E-Mail: [email protected]
GwG – Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie e.V.
c/o Karl-Otto Hentze, D-50825 Köln, Melatengürtel 125a
Tel.: +49 221 92 59 08-0; Fax: +49 221 25 12 76; E-Mail: [email protected]
Institut für Gesprächspsychotherapie und personzentrierte Beratung
Stuttgart (IGB)
D-70374 Stuttgart, Sechselbergerstr. 26
Tel.: +49 711 580182; Fax: +49 711 580192;
E-Mail: [email protected]
IPS – Institut für Personzentrierte Studien der APG
A-1030 Wien, Dißlergasse 5/4
Tel.: + 43 1 713 77 96; Fax: + 43 1 718 78 32; E-Mail: [email protected]
ÖGwG – Österreichische Gesellschaft für wissenschaftliche klientenzentrierte Psychotherapie und personorientierte Gesprächsführung
A-4020 Linz, Altstadt 17
Tel./Fax: + 43 70 78 46 30; E-Mail: [email protected]
pca.acp – Schweizerische Gesellschaft für den Personzentrierten Ansatz
Weiterbildung. Psychotherapie. Beratung.
CH-8005 Zürich, Josefstr. 79
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VRP – Vereinigung Rogerianische Psychotherapie
A-1091 Wien, Postfach 33
Tel.: +43 664 4173170, E-Mail: [email protected]
Herausgeber dieses Hefts
Franz Berger und Christian Korunka
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Redaktion
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Redaktionssekretariat
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Fachbeirat von PERSON
Clara Arbter-Rosenmayr, Elisabeth Ardelt-Gattinger, Béatrice Amstutz, Anna
Auckenthaler, Niklas Baer-Stählin, Elfriede Bartosch, Robert Bauer, Ludwig
Becker, Edwin Benko, Eva-Maria Biermann-Ratjen, Johannes Binder, Ilona
Bodnar, Claudia Boeck-Singelmann, Rosina Brossi, Rainer Bürki, Jef H. D.
Cornelius-White, Olaf de Haas, Miriam de Vries, Martina Dienstl, Gottfried
Dohr, Ulrike Dollack, Harald Doppelhofer, Sybille Ebert-Wittich, Jochen
Eckert, Karin Eisner-Aschauer, Ulrich Esser, Ruth Etienne Klemm, Reinhold
Fartacek, Christian Fehringer, Andrea Felnemeti, Irmgard Fennes, Peter Figge,
Peter Frenzel, Klaus Fröhlich-Gildhoff, Renata Fuchs, Sylvia Gaul, Christiane
Geiser-Juchli, Susanne Gerckens, Herbert Goetze, Walter Graf, Simone Grawe,
Charlotte Gröflin-Buitink, Hiltrud Gruber, Regula Haefeli, Klaus Heinerth,
Ernst Hemmert, Hans Henning, Ruth Hobi, Viktor Hobi, Beate Hofmeister,
Anita Hufnagl, Dorothea Hüsson, Catherine Iseli Bolle, Dora Iseli Schudel,
Elisabeth Jandl-Jager, Bettina Jenny, Annette Jessinghaus, Stephan JürgensJahnert, Dietlinde Kanolzer, Sylvia Keil, Sonja Kinigadner, Lore Korbei, Ruth
Koza, Franz Kraßnitzer, Jürgen Kriz, Dorothea Kunze, Barbara Kurzmann, Elke
Lambers, Margarethe Letzel, Germain Lietaer, Hans-Jürgen Luderer, Ulf Lukan,
Brigitte Macke-Bruck, Ueli Mäder, Margarete Mernyi, Jörg Merz, Christian
Metz, Beatrix Mitterhuber, Christiane Monden-Engelhardt, Dietrich Moshagen,
Doris Müller, Khalid Murafi, Gerd Naderer, Sibylle Neidhart, Nora Nemeskeri,
David Oberreiter, Alfred Papst, Brigitte Pelinka, Josef Pennauer, Henriette
Petersen, Marlis Pörtner, Klaus Renn, Klaus Riedel, Brigitte Rittmannsberger,
Eckart Ruschmann, Bruno Rutishauser, Klaus Sander, Jochen Sauer, Eva-Maria
Schindler, Stefan Schmidtchen, Christoph Schmitz, Wolfgang Schulz, Reinhold
Schwab, Helmuth Schwanzar, Klaus-Peter Seidler, Karl F. Sommer, Gert-Walter
Speierer, Dora Stepanek, Norbert Stölzl, Ursula Straumann, Hans Swildens,
Reinhard Tausch, Beatrix Teichmann-Wirth, Beatrix Terjung, Ludwig Teusch,
Brian Thorne, Ottilia Trimmel, Richard van Balen, Martin van Kalmthout,
Angelika Vogel-Hilburg, Helga Vogl, Madeleine Walder-Binder, Robert Waldl,
Christine Wakolbinger, Kurt Wiesendanger, Agnes Wild-Missong, Johannes
Wiltschko, Marietta Winkler, Andreas Wittrahm, Hans Wolschlager, Heidrun
Ziegler, Elisabeth Zinschitz, Carola von Zülow, Günther Zurhorst
Richtlinien und Hinweise zur Manuskriptabgabe finden Sie auf der hinteren Umschlagseite.
PERSON
15. Jg. 2011, Heft 1
Herausgegeben von
Franz Berger und Christian Korunka
Inhalt
Editorial
.................................................................................3
Fachbeiträge
Karin Wunderlich
Der Organismus. Materialien und Überlegungen zu einem vielschichtigen Begriff und seiner Bedeutung
im Personzentrierten Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
Gabriela Schreder
Ich bin die Andere – Die Bedeutung der Differenz in der Erfahrung psychotherapeutischer Gegenseitigkeit . . . . . . . . . . . . . . 17
Rosina Brossi
Fragmente „en gros et en détail“ zum Thema ethische Fragen im psychotherapeutischen Alltag
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Ute Binder
Störungsspezifische Verstehensprozesse versus diagnosegeleitete Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
Eva-Maria Biermann-Ratjen
Empathie heute
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
Margret Katsivelaris
Personzentrierte Aspekte zur Entwicklung kindlicher Sexualität in der Beziehung zur Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
Jochen Eckert und Eva-Maria Biermann-Ratjen
Gesprächspsychotherapie unter Interventionsgesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
Rezensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
Veranstaltungskalender 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
Person 1 (2011) 3 – 4
Editorial
Die Beiträge in diesem Heft dokumentieren, mit welchen Fragen und
macht. Von dieser Überlegung geht Gabriela Schreder aus. Wenn wir
Themen sich die dem Personzentrierten Ansatz verpflichteten Fach-
Fremdheit gegenüber den Erfahrungen anderer empfinden und mit
leute für Psychotherapie und Beratung derzeit auseinandersetzen.
dem Verständnis für und von anderen an Grenzen stoßen, besteht
Ganz besonders freuen wir uns darüber, dass fast alle Beiträge die-
die Chance einer Begegnung, in der sich zwischen Beteiligten wech-
ses Heftes von Frauen verfasst wurden. Die Autorinnen setzen sich
selseitig eine Bereicherung, ein Mehr und Anderes entfaltet. Die
mit der Vielschichtigkeit der Begriffe im Personzentrierten Ansatz
Autorin sieht in der Erfahrung von Ähnlichem und Verschiedenem
(PZA) auseinander, machen scheinbar Selbstverständliches explizit,
das vorantreibende Moment in der Beziehung unter Menschen und
stoßen dabei auf Vorannahmen, Bilder, Ungereimtes, auf „Stolper-
in der Psychotherapie. Diese Erfahrung setzt voraus, dass wir offen
steine“. Sie überbrücken die Spanne zwischen Konzepten, die auf
sind, uns auf die Angst einlassen, das Fremde in den Anderen und
hohem Abstraktionsniveau angesiedelt sind, – dem Organismus, der
in uns selbst aushalten und Fremdes nicht abwehren durch Kate-
Empathie, der Ethik –, und dem konkret-spezifischen, singulären
gorisierung und Pathologisierung. Schreder erörtert ausführlich die
Handeln im Alltag, so etwa im Fallbeispiel von Schreder zur Be-
entwicklungspsychologische Bedeutung der Erfahrung von Vertrau-
gegnung als Zusammentreffen von Fremdem und Eigenem, in den
tem und Fremdem und erläutert allgemein und in einer Fallstudie,
Fallvignetten von Katsivelaris oder in der Beschreibung von Ein-
wie sich dieses Verständnis in der psychotherapeutischen Praxis
führungsseminaren zum Thema Ethik im Beitrag von Brossi. „Hier
darstellt und auswirkt.
Das Thema des Fremden im Vertrauten provoziert einen neuen,
ist Genauigkeit gefragt, und wohl auch noch Diskussion, Reflexion
und vor allem begriffliche Weiterentwicklung“, schreibt Wunder-
differenzierenden Blick auf das Konzept der Empathie im PZA.
lich in ihrem Beitrag. Die Beiträge vermitteln zahlreiche Brücken
Schreder betont die Differenz in der Erfahrung von Gegenseitigkeit,
zwischen Theorie und Praxis und können durchwegs als person-
von Bezogenheit und weist auf die ethischen Konsequenzen die-
zentrierte Theorieentwicklung im besten Sinne bezeichnet werden.
ser Akzentuierung hin: Alterität als Herausforderung. Implizit be-
Im Zentrum des letzten Heftes standen das interdisziplinäre Er-
legt die Autorin eine Übereinstimmung der Beziehungstheorie des
kenntnismodell der Systemtheorien und ihr Erkenntnisgewinn für
PZA mit aktuellem philosophischem Denken, etwa mit dem Ringen
den PZA. Eine erhellende Fortführung dieser Thematik präsentiert
Foucaults nach radikaler Singularität oder den Thesen Levinas’ –
Karin Wunderlich in ihren Überlegungen zum mehrdeutigen Begriff
dem ‚Denker des Anderen‘ – zur Ethik. Die Objektivierung, Verall-
Organismus, einem zentralen Begriff im Denken von Rogers. Wun-
gemeinerung, Neutralisierung einer Beziehung führt nach Levinas
derlich verweist zunächst auf die Mehrdeutigkeit dieses Konzepts,
zwangsläufig zu ‚Gleich-gültigkeit‘ (in-difference); die Begegnung
das Rogers aus angrenzenden Wissenschaftsgebieten übernommen
‚von Angesicht zu Angesicht‘ mit der Andersheit macht wach für
hatte. Mit begrifflicher und gedanklicher Klarheit widmet sie sich
die ‚Nicht-Gleich-Gültigkeit‘ (non-in-difference), für die ethische
den schillernden Facetten dieses Begriffs und zeigt Wege zu einem
Antwort. Diese These ist kompatibel mit Rogers‘ ‚unconditional
handlungsrelevanten Verständnis von Organismus auf. Was ist unter
positive regard’ als Beziehungsprozess. Für den Begegnungsphilo-
organismischer Erfahrung zu verstehen und wie ist ihr Verhältnis
sophen Levinas ist das Ethische der Anruf des Anderen, wir stehen
zur organismischen Bewertung? In welchem Verhältnis stehen Or-
in der Verantwortung, der Alterität zu antworten.
ganismus und Selbst zueinander? Was sagt die Neurobiologie zu
Zur Ethik im psychotherapeutischen Alltag steuert Rosina Brossi
Rogers’ Befunden, dass der menschliche Organismus, um sich zu
in ihrem Beitrag ‚Fragmente‘ bei. So selbstverständlich inzwischen
entfalten und erhalten, auf die Einbettung in zwischenmenschliche
die Ethik für die psychotherapeutische Praxis erachtet wird, so
Beziehungen angewiesen ist? Konsequenzen aus den Betrachtungen
wenig ist es mit einer schlichten Bejahung der Wichtigkeit von
zum Organismus – so führt die Autorin zum Schluss aus – ergeben
Ethik in unserem professionellen Handeln getan. Es geht der Au-
sich für die psychotherapeutische Praxis, für die Ethik und nicht
torin allerdings nicht um eine Begründung einer Kontroll- und
zuletzt für die (Gesundheits- und Umwelt-) Politik.
Disziplinierungspraxis, sondern um die Suche nach Fairness, nach
„Selbstheit gibt es nur in Relation zur Andersheit“, schreibt
einer verantwortlichen, persönlichen, im Sinne Levinas’ „an-archi-
Wunderlich. Wir wissen, dass die Person sich selbst unter dem Blick
schen“, d. h. herrschaftsfreien Ethik. Brossi bearbeitet in diesem
(‚regard‘) des Anderen konstituiert, sofern der ihn nicht zum Objekt
Rundgang durch philosophische, entwicklungspsychologische und
3
Editorial
soziale (Begriffs-) Räume Gedankenstränge, die der Verknüpfung
Empathie und Kongruenz der Mutter ist auch für die Entwick-
von allgemeinen Handlungsgrundsätzen, ethischen Richtlinien und
lung der sexuellen Identität von Kindern von Bedeutung, das be-
der subjektiven, nicht delegierbaren Verantwortlichkeit nachspü-
legt Margret Katsivelaris. In ihrem Beitrag widmet sie sich einem
ren, und berichtet anhand ihrer Erfahrung als Ausbilderin in der
im PZA eher vernachlässigten Thema. Sie definiert Sexualität unter
Schweiz , wie in der Weiterbildung zur Psychotherapeutin die Sen-
drei Aspekten: als sich entfaltendes Potenzial des Organismus, als
sibilisierung für die ethische Dimension und für den Umgang mit
körperliches Erleben mit Bedeutungszuschreibung und als Erlebens-
ethischen Dilemmata gefördert werden kann. Sie schildert auch ihre
form und Ausdrucksmöglichkeit von kontextabhängiger Begrenzung.
permanente Verunsicherung bei der Auseinandersetzung mit dem
Katsivelaris nennt als Bedingung für die Entfaltung der Sexualität
Thema. Das ist – aus der Perspektive von Levinas’ Ethik – nicht
die Schaffung eines „adäquaten erogenen Milieus“, und sie weist
verwunderlich: „Das Ethische ist (…) nie ungefährdet, und seine
auf die Missbrauchsgefährdung hin.
größte Gefährdung ist die, sich seiner sicher zu sein“ (Stegmaier,
Jochen Eckert und Eva-Maria Biermann-Ratjen antworten mit
2009, S. 92)1.
ihrem Beitrag auf die Frage, ob sich die Gesprächspsychotherapie
Um Störungswissen im Dienst therapeutischer Empathie ging
mit Begriffen der Interventionstechnik beschreiben lasse. Ein Aus-
es Ute Binder im hier postum publizierten Salzburger Vortrag aus
schuss der Gesundheitsbehörde in der Bundesrepublik Deutschland
dem Jahr 2004. Wie können Psychotherapeuten und Psychothera-
hat die GPT als „aus drei Interventionselementen zusammenge-
peutinnen dem Anliegen von Patienten, in ihren gestörten oder
setzte Interventionstechnik“ bezeichnet und ihr die sozialrechtliche
schwer zugänglichen Bereichen verstanden zu werden, gerecht
Anerkennung versagt. Dieser Vorgang illustriert, was Foucault in
werden, ohne der Begegnung ihre Einmaligkeit und den Charakter
seinen Ausführungen zum Diskurs beschrieb: Jeder Diskurs (somit
eines kooperativen Prozesses zu nehmen? Prozessuale Diagnosen
auch der wissenschaftliche Diskurs zur Psychotherapie) folgt nicht
können als vertraute Hypothesen den Psychotherapeuten vor de-
reiner Rationalität und auch nicht einer absoluten Idee, sondern
struktiven Erwartungen schützen und seine Intuition verbessern.
lässt bestimmte Vorstellungen als wahr gelten (die „Wahrheit“)
Die Aktualität des Themas veranlasste die Redaktion, diesen von
und grenzt andere als falsch aus. Diese Vorstellungen haben be-
tiefreichenden Erfahrungen geprägten Text in Zusammenarbeit mit
stimmte – historisch gewordene – Machtstrukturen und Interes-
Johannes Binder und Wolfgang Keil zu bearbeiten und zu veröf-
sen zur Grundlage („Dispositive“), und sie erzeugen und erhalten
fentlichen. Ute Binder bringt uns den Begriff der „Beziehungslust“
ihrerseits Machtstrukturen. Die Autorin und der Autor akzeptieren
nahe, eine den Beziehungsprozessen inhärente Freude an inter-
die Ausgrenzung nicht und lassen sich auch nicht zum Schweigen
subjektiven Austauschprozessen. Sie hat sie im Beruflichen und
bringen, sie schalten sich in den Diskurs ein und stellen sich einer
Persönlichen gelebt.
interdisziplinären, d. h. das Begriffssystem des PZA überschreiten-
Mit seinem Buch „The Age of Empathy“ hat Frans de Waal2 rege
den wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Sie rufen zunächst
Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit gefunden. Er weist nach, dass
in Erinnerung, dass die von Rogers formulierten Begriffe die the-
Primaten und andere Säugetiere innerhalb ihrer Art Verbundenheit
rapeutische Beziehung auf unterscheidbaren Abstraktionsebenen
herstellen und ihr in ‚gezielten Hilfestellungen‘ Ausdruck verleihen,
erfassen. Nimmt man diese Perspektive ein, lassen sich im klien-
die zum Gedeihen und Überleben der Art sinnvoll sind. Diese biolo-
tenzentrierten Therapeutinnenverhalten sehr wohl definierbare In-
gisch begründete Empathie setzt voraus, dass das Individuum sich
terventionsregeln, Interventionsprinzipien und Interventionstech-
von anderen Individuen abzugrenzen vermag (minimaler Grad von
niken erkennen. Eckert und Biermann-Ratjen klären das Verhältnis
Selbstwahrnehmung) sowie zu emotionaler Erregung und zur Per-
zwischen diesen Begriffen, also zum Beispiel zwischen dem The-
spektivenübernahme fähig ist. Ist damit das Zeitalter der Empathie
rapieprinzip ‚Empathisches Zuhören‘ und den differenzierten kon-
angebrochen und besteht zu diesem Konzept Klarheit und Konsens?
kreten Therapeutenantworten, und zeigen damit auf, wie vielfältig
Eva-Maria Biermann-Ratjen präzisiert in ihrem Beitrag „Empathie
die Möglichkeiten im PZA sind, „das therapeutische Verhalten den
heute“ diesen für den PZA zentralen Begriff im Licht neuerer For-
Patienten und der jeweiligen Situation im Therapieprozess entspre-
schung. Sie prüft – nach einem Abriss zur Geschichte des Empa-
chend differenziert auszurichten.“ Sie belegen, dass der PZA Regeln
thiebegriffs im PZA – Beiträge aus verschiedenen Blickwinkeln zu
der methodischen Strenge und logischen Disziplin folgt, und set-
einem differenzierteren Verständnis von Empathie. Forschungser-
zen sich so mit wissenschaftlichen Argumenten zur Wehr gegen die
gebnisse aus der Entwicklungspsychologie, der Psychotherapiefor-
politisch motivierte Ausgrenzung durch einen derzeit nicht eben
schung, der Neurobiologie und den eigenen Studien im Ansatz zur
humanistisch geprägten Diskurs zur Psychotherapie.
Beziehungsqualität untermauern die Bedeutung der von Rogers
Die nächste Ausgabe von PERSON ist ein Schwerpunktheft, es
definierten Empathie.
widmet sich dem historischen Hintergrund des Personzentrierten
Ansatzes.
1
Stegmaier, W. (2009). Emmanuel Levinas zur Einführung. Hamburg: Junius.
2
de Waal, F. (2011). Das Prinzip Empathie. München: Hanser.
Franz Berger und Christian Korunka
4
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