Die zweite geografische Ebene - WAN-IFRA

Werbung
Marketing
Dr. Wolfgang Falke
September 2000
zeitungstechnik
Beilagenoptimierung, Fine Zoning und lokale Kompetenz
Die zweite geografische Ebene
Für die Konsumenten entstand in
den letzten Jahren eine nie gekannte Fülle von Informationsund Unterhaltungsmedien und für
den Mediaplaner die entsprechende Fülle von Werbemedien. Bei
diesem Angebot werden auch
dominante Eigenschaften eines
Mediums wie „Glaubwürdigkeit“
oder „lokale Kompetenz“ in den
Mediaplänen danach bewertet,
was sie in einer konkreten Werbesituation leisten. Für die Werbemedien geht es mehr denn je um
Wettbewerbsvorteile. Aber wie
kommt eine Zeitung zu Wettbewerbsvorteilen?
Zu den erfolgreichsten Wettbewerbsstrategien von Unternehmen zählen die
Differenzierung des Angebotsprofils und
die Konzentration auf eine bestimmte Kundengruppe. Die Zeitungen verfolgen seit jeher eine Strategie der Differenzierung im
Angebotsprofil. Eine der beständigsten
Unterscheidungen der Zeitungen zu anderen Medien aber auch untereinander ist die
nach ihrer geografischen Reichweite: lokal,
regional, national und international. So
unscharf diese Unterscheidungen sind, sie
formulieren den Anspruch, wo eine Zeitung
ihre Leser sucht und wo die Werbekunden
vorrangig Leser für ihre Anzeigen erwarten
können. Hinzu können weitere Ansprüche
kommen, z. B. Lesersegmente mit bestimmten Themeninteressen besonders gut zu erreichen.
Eine zusätzliche, für die Mediaplanung wichtige Unterscheidung ist die nach
der Erscheinungsweise: täglich, ein- oder
mehrmals in der Woche und am Sonntag.
Zusammen mit typischen Vertriebswegen
gehören diese manifesten Erscheinungsformen zu den Grundmerkmalen, die zu einer
weitgehend stabilen Ausformung des Zeitungsmarktes geführt haben.
Der Strategie, eine bestimmte Kunden- bzw. Zielgruppe besonders gut zu bedienen, sich auf sie zu konzentrieren, entspricht der Anspruch einer Zeitung auf
„lokale Kompetenz“. Lokale Kompetenz
heißt, die Zeitung will die, die in ihrem
Verbreitungsgebiet Werbung betreiben, besonders gut bedienen und sie will ihre
Leser als solche und als Adressaten der
Werbung besonders gut erreichen. Aus
dem, was sie auf diesen zwei Feldern lei-
stet, ergeben sich – zusammen mit ihrem
typischen Angebotsprofil – ihre handfesten
Wettbewerbsvorteile. Beilagenoptimierung,
Fine Zoning und das, was wir „zweite geografische Ebene“ nennen, sind Instrumente,
diesen strategischen Anspruch mit zusätzlichen Optionen zu realisieren.
Das Mittel dafür ist die aktive Nutzung der zweiten geografischen Ebene. Die
erste geografische Ebene ist bestimmt
durch die Zeitung, so wie sie mit ihren
Unterausgaben von der Rotation läuft. Die
zweite geografische Ebene entsteht im Versandraum mit seinen Einsteckanlagen. Dort
können intern oder extern vorgedruckte
Produkte in die Zeitung eingesteckt werden, ohne an die geografische Struktur der
gedruckten Zeitung gebunden zu sein –
selbstverständlich in den Grenzen der weitesten Verbreitung.
Was tatsächlich möglich ist, wird
aber nicht nur von den Einsteckmöglichkeiten des Versandraums bestimmt, sondern von dem, was die Zustellung kann.
Die Flexibilität, welche die Produktion mit
der Einstecktechnik gewinnt, muss in der
Flexibilität der Zustellung eine Entsprechung finden. Anders formuliert: Die zweite geografische Ebene muss ihre Fortsetzung in der geografischen Organisation der
Zustellung und ihrer Handhabung finden.
Was kann die Zustellung?
Um die lokale Kompetenz im Kerngeschäft auszubauen, ist eine aktive Nutzung der zweiten geografischen Ebene
erforderlich (diese wird durch Einstecken erreicht).
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Die aktuelle Praxis des Einsteckens ist
geprägt von den Prospektbeilagen. In den
USA wird schon seit Jahren weniger über
einen potenziellen Markt, sondern vor
allem über die praktischen Fragen geschrieben, wie man mit Zoning-Management die
riesigen Beilagenvolumen bewältigt.
Vergleichbare Statistiken der Umsätze
gibt es bisher nur für die drei Länder mit
dem größten Prospektbeilagen-Markt der
Zeitungen. In den USA überschritt 1997
der Umsatz mit den Prospektbeilagen mit
knapp über 50 % den Umsatz mit nationalen und Einzelhandels-ROP-Anzeigen. In
Deutschland macht der entsprechende Anteil 24 % aus. In Japan sind es bei entsprechender Rechnung 26 % des addierten Umsatzes.
Wesentliche Merkmale dieses Geschäftes sind: Es zeigt keine Ermüdungs-
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erscheinungen. Es gibt einen massiven
Trend zur Teilbelegung, also zum gezonten
Beistecken. Das Geschäft wird bestimmt
vom Einzelhandel mit seinem Interesse am
geografisch-lokalen Marketing.
Von Fine Zoning wird auch in den
USA fast ausschließlich mit Blick auf den
Werbemarkt gesprochen. Fast überall in
den USA wird heute auf der Ebene der ZIPZonen beigesteckt. Sie heißen so, weil sie
auf den ZIP-Codes, den Postleitzahlen des
U.S. Post Office, beruhen. Europäische Zeitungen argumentieren gerne, dass sie mehr
kleine Lokalzeitungen und mehr kleine
Lokalausgaben haben, als es in den USA
der Fall ist. Dass deshalb die gezont eingesteckten Prospektbeilagen auch eine Folge der großen Zeitungen mit gleichfalls nur
großen Unterausgaben seien. Das übersieht,
dass über 80 % der etwa 1500 Tageszeitungen in den USA Auflagen unter 50 000
Exemplaren haben. Eine solche Zeitung
steckt bis zu drei Millionen Beilagen in der
Woche, eine große Zeitung mit 450 000
Auflage bis zu 35 Millionen in der Woche
bei. In einer Sonntagsausgabe sind bis zu
40 Prospektbeilagen und eine mittelgroße
Zeitung bearbeitet um 500 Beilagenaufträge pro Monat – eine enorme Aufgabe für
den Vertrieb.
Einen ähnlich entwickelten, aber
ganz anders organisierten Markt hat Japan.
In Japan werden wegen des Erscheinens
morgens und abends mehr Tageszeitungen
verkauft als in jedem anderen Land und
davon über 90 % als Home Deliveries. Die
Prospektbeilagen heißen dort Flyer und
sind so etabliert, dass sie als eigenes
Medium in den Werbungsstatistiken geführt werden.
Das Geschäft mit den Flyers wird
aber nicht von den Zeitungen betrieben,
sondern von den selbstständigen örtlichen
Newspaper Sales Agents. Sie stellen im
ganzen Land die Zeitungen morgens und
abends zu. Sie sind auch die Geschäftspartner für die Prospektbeilagen. Wer mit Prospektbeilagen werben will, produziert sie
und bringt sie zum Newspaper Sales Agent,
der sie einsteckt. Zoning und Fine Zoning
geschieht durch die Auswahl der lokalen
Shops und Agents. Da die Agents von
Hand einstecken lassen, können sie jedes
gewünschte Fine Zoning und MikroZoning nach den Vorgaben des Werbekunden realisieren. Deshalb werden sie auch in
größerem Umfange von kleinen lokalen
Geschäften in deren engerem Umkreis eingesetzt.
Aus diesem Grund nutzt auch der
Dienstleistungsbereich die Flyer, die zwar
zu zwei Dritteln vierfarbig aber auch in
sehr einfacher Form als schwarzweiß bedrucktes Blatt möglich sind: Gebäudewartungs- und Reparaturdienste, Friseure und
Kosmetiksalons, Vergnügungs- und Unterhaltungsindustrie. 70 % der Flyer-Umsätze
entfallen auf Einzelhandel und Immobilien.
Im Einzelhandel werben Supermärkte und
Home Electronics/Precision Instruments am
meisten mit Flyern. Die weitern Branchen
sind Kaufhäuser, Medical Care, Cosmetics,
Transport Machinery, wozu auch Automobile gehören, Discount Stores sowie
Schmuck und Accessoires.
Während in USA und Japan ein
durchgängiger und ziemlich homogen entwickelter Markt festzustellen ist, bietet sich
in den europäischen Ländern ein recht
unterschiedliches Bild. Es werden generell
erheblich weniger Beilagen pro Ausgabe
beigesteckt. Im Allgemeinen wurden für die
bezahlten Tageszeitungen nicht mehr als
fünf bis sieben Prospektbeilagen pro Ausgabe genannt. Am stärksten ist der Markt
in Deutschland entwickelt. Der Umsatz mit
Prospektbeilagen macht nahezu ein Viertel
des Anzeigenumsatzes nach Abzug der
Rubrikenmärkte aus. In Österreich dürfte
der Umsatz ähnlich sein, aber es gibt keine
Statistik; in der Schweiz setzen sich die
Prospektbeilagen erst durch. Fast überall
nimmt das Geschäft mit den Prospektbeilagen zu und es werden mehr und mehr
Einsteckanlagen angeschafft.
Selektive Belegung
Mit der Zunahme des Beilagenvolumens hat auch die selektive Belegung zugenommen. In den USA, dem einzigen
Land mit einer entsprechenden Statistik,
stiegen in den fünf Jahren von 1992 bis
1997 die Part-Run-Beilagen von 38 % auf
49 % des gesamten Beilagenaufkommens.
Diese Entwicklung ging in den letzten Jahren weiter, weil die Werbekunden mit den
besseren Möglichkeiten zum Fine Zoning
immer häufiger selektiv belegen.
In einer Umfrage zum Zeitungsvertrieb hat die NAA 1997 festgestellt, dass
82 % der Zeitungen Prospektbeilagen in
ihren täglichen Ausgaben nach Post-CodeGebieten zustellen, 53 % stellen unterhalb
der Postleitgebiete zu, 56 % nach Zustell-
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bezirken und 13 % stellen adressenspezifisch zu. In der gleichen Umfrage sagten
35 % der Befragten, dass sie im vergangenen Jahr ihre Zustellmöglichkeit auf kleinere Gebiete umgestellt haben, und 56 %
planten, ihre Kapazität für gezieltes Einstecken im kommenden Jahr zu erhöhen.
Die große Masse der Beilagenaufträge, 90 % der zugestellten Prospektauflage, waren Aufträge aus dem Einzelhandel. Die Breite der Branchen wie in Japan
wird von den Zeitungen in anderen Ländern generell nicht erreicht. Überall kehren
aber jene Branchen wieder, die über die
modernen und zentralisierten Formen des
Einzelhandels arbeiten: Kaufhäuser/Department-Stores, Fachmärkte, Supermärkte,
Einzelhandelsketten und Filialisten für
Bekleidung, Kosmetik, Spielwaren, Möbel,
elektronische und Printmedien, Do-it-yourself, Bau- und Gartenmärkte sowie weiße
und braune Haushaltswaren und Autos.
Die Kunden für Prospektbeilagen sind
fast immer auch Kunden für Fine Zoning,
und sie müssen in erster Linie dort gesucht
werden, wo es in einem geografisch konkreten Sinne um den Leitsatz geht „all
business is local“: Werbung um Standorte,
seien dies Verkaufsstellen, Agenturen und
Service-Center oder Veranstaltungsorte,
Freizeiteinrichtungen und Unterhaltungsstätten. Die großen Einzelhandels-Gruppen,
-Ketten und -Filialisten dominieren das Geschäft mit den Prospektbeilagen und von
ihnen geht die Forderung nach einem Fine
Zoning aus.
Trotz der Bedeutung des Beilagengeschäftes, greift die Definition von Fine
Zoning darüber hinaus: Unter Fine Zoning
verstehen wir das selektive Beistecken und
Zustellen von Werbebeilagen und redaktionellen Produkten in geografische Gebiete,
die kleiner oder anders geschnitten sind als
die regulären Ausgaben einer Zeitung.
Beim Mikro-Zoning werden Werbebeilagen
in Gebiete zugestellt, die noch kleiner sind
als die durch Postleitzahlen definierten
Zonen und die weniger als 100 Haushalte
umfassen können. Fine Zoning und MikroZoning bringen keine maßgeschneiderte
und keine personalisiert adressierte Zeitung
hervor. Es geht um geografische und nicht
um adressenspezifische Segmentierung.
Das heutige Marketing ist geprägt
durch die Ermittlung von Marktsegmenten
und die Auswahl von Zielmärkten; der Erfolg von Unternehmen wird immer stärker
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Links: Gestaltungsmerkmale für ROP- und Einsteckprodukte im Vergleich: mehr
Optionen mit Einstecken. Oben: Die Segmentierung des Zeitungsmarktes in Großbritannien (Zahlen von 1998): mit kleinen Ausgaben zu Anzeigenumsätzen.
davon abhängig gemacht, ob sie fähig sind,
diese richtig zu definieren und auszufüllen.
Im Konsumentenmarkt werden Marktsegmente auf unterschiedlichste Weise beschrieben. FAm einfachsten zu definieren
und am leichtesten umzusetzen ist eine
Segmentierung über die Geografie, d. h.
über die Beschreibung, wo die potenziellen
Kunden leben. Überall wo es um persönlichen Verkauf geht, um stationären Handel
oder standortbezogene Dienstleistung ist
die geografische Segmentierung am hilfreichsten. Sie ist der Grund für die traditionelle Zusammenarbeit zwischen Einzelhandel und Regional- oder Lokalzeitungen. Sie
ist auch der Grund für das Potenzial des
Fine Zoning im Zeichen fortgeschrittenen
Marketings. Die rein geografische Segmentierung kann heute mit der auf personenund haushaltsbezogenen Konsumentendaten beruhenden Segmentierung gekreuzt
und damit konsumsensitiver gemacht werden. Man spricht dann von einer geodemografischen Segmentierung, aber es
bleibt eine Segmentierung durch geografische Abgrenzung, nur weiß man etwas
über die Konsumenten in diesem Gebiet.
Das erfolgreiche Produktversprechen
von Fine und Mikro-Zoning besteht in der
geografischen und nicht in der personalisierten Segmentierung. Zum einen geht ein
Werbungtreibender nicht den Umweg über
ein Medium, wenn er Name und Adresse
seiner Zielperson hat. Er stellt über die Post
zu und erzielt damit eine mindestens gleich
große Aufmerksamkeit.
Wenn es zum anderen darum geht,
Zielgruppen abzugrenzen, die mit größerer
Wahrscheinlichkeit auf eine bestimmte
Werbung antworten und reagieren als andere, kommt es nicht auf eine hundertprozentige Genauigkeit an: Es muss nicht eine
ganz bestimmte Gruppe ganz genau
erreicht werden, sondern nur ungefähr
genau. Die Bewerbung von Zielgruppen
arbeitet mit Wahrscheinlichkeiten und
nicht mit einem One-to-one-Ansatz. Deswegen benötigt selbst Mikro-Zoning keine
absolute, sondern nur eine größtmögliche
Einsteck- und Zustellgenauigkeit, damit der
Werbekunde sein Ziel erreichen kann.
Wichtig ist gegenüber dem Werbekunden
nicht exemplargenaues Einstecken, sondern
Transparenz der Einsteckgenauigkeit.
Der in Deutschland gebrauchte Begriff Beilagenoptimierung meint im Prinzip
Fine Zoning, nur ist er enger. Beilagenoptimierung sollte besser durch Fine Zoning
ersetzt werden. Es geht nicht um einen instrumentellen Vorgang, wie das Wort suggeriert, sondern um etwas Elementares in
der Markt-Strategie der Zeitung.
ROP und Beilage
Im amerikanischen Sprachgebrauch
bezeichnet „insert“ sowohl Anzeige wie
Einsteckprodukt, meist Prospektbeilage.
Zur Unterscheidung nennt man die Anzeige „ROP-insert“. Das Kürzel ROP steht für
die synonym gebrauchten Begriffe Run-ofPress und Run-of-Paper. Fine Zoning findet
im Sprachgebrauch unterhalb, aber eigentlich außerhalb der geografischen Gliederungen der ROP-Ausgaben statt.
Gründe, warum das Fine Zoning für
viele Zeitungen unerlässlich wird, sind in
der nach wie vor zunehmenden personalisierten Kommunikation des DirektMarketings und in der Direkt-Zustellung
von Werbung, in der schnell wachsenden
Marktintelligenz mit ihrer immer leichteren
Eingrenzung von Marktsegmenten und in
der Konzentration im Einzelhandel zu
sehen. Zur eingehenderen Darstellung sei
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auf den vom Autor verfassten Ifra Special
Report 4.13 verwiesen, der im Juli 2000
veröffentlicht wurde.
Ein Wort aber zu Volumen, Kosten
und Streuverluste der Werbung, um aufzuzeigen, dass Fine Zoning für die Werbungtreibenden heutiger Größenordnung viel,
sehr viel Geld bedeutet. In Deutschland gab
der kleinste der zehn größten ZeitungsWerbekunden 1998 Zeitungswerbung in
der Größenordnung von 90 Millionen DM
in Auftrag, beim größten belief sich die
Summe auf 211 Millionen DM. Können
durch geografische Optimierung Streuverluste von zehn Prozent vermieden werden,
beträgt die Einsparung neun respektive 21
Millionen DM. Diese schlagen beim Einzelhandels-Unternehmen fast unmittelbar auf
den Gewinn durch.
Der Einzelhandel ist inzwischen so
konzentriert, dass er eine gewaltige Einkaufsmacht hat. Bereits 1994 repräsentierten die 20 größten Einzelhandelsgruppen in
Europa einen Umsatz von 310 Milliarden
Ecu, heute Euro. Bei drei Prozent vom
Umsatz kauften sie für 9,3 Milliarden Euro
Werbung ein. Inzwischen ging die Entwicklung weiter. Die drei ganz Großen – WalMart, Carrefour/Promodès und Metro –
machen heute zusammen knapp 250 Milliarden Euro Umsatz in knapp 15 000 Verkaufsstätten. Die Reduzierung von Streuverlusten ist für die Zeitungen unter diesen
Bedingungen essenziell, um bei einigen großen Werbekunden im Geschäft zu bleiben.
Losgelöst vom Thema Prospektbeilagen lohnt sich die Frage, wie Einstecktechnik und Fine Zoning zu einer besseren
Ausschöpfung von Marktsegmenten im
Leser- wie im Werbemarkt führen können.
Das traditionell wichtigste marketing-strategische Instrument der Zeitungen
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ist die Ausgabenpolitik. Das betrifft die
Entscheidung, an welchem Tag und zu welcher Tageszeit eine Zeitung erscheinen soll,
und es betrifft die innere Themenstruktur.
In diesem Zusammenhang interessiert besonders die Entscheidung, wo und für welches Gebiet eine Ausgabe erscheinen soll.
Auch in den USA erscheinen insbesondere die großen und mittelgroßen
Regionalzeitungen mit bis zu zehn Lokalausgaben („ROP-zoned editions“); in Europa haben die vielen Regionalzeitungen täglich bis zu 25 Lokalausgaben und in Japan
haben selbst die nationalen Zeitungen mit
ihren Zigmillionen-Auflagen bis zu 100
Lokalausgaben. Erfolg und Problem dieser
Lokalausgaben ist, dass sie einen geografischen Raum abgrenzen, der wegen seines
lokalen Bezuges für Leser und Anzeigenkunden gleichermaßen interessant ist und
interesant sein muss. In der Praxis folgt
daraus eine ständige Optimierungsaufgabe,
die aber nicht mit der gleichen Geschwindigkeit wahrgenommen wird, wie sich die
Lebensräume der Leser und die Märkte der
Werbekunden verändern. Lokalausgaben
haben insbesondere in Europa ein großes
Beharrungsvermögen. Ein Grund ist die
Orientierung an historisch gewachsenen
Strukturen der politischen Verwaltung. Für
eine Zeitung eine neue geografische Ausgabenstruktur zu schaffen, gleicht der Aufgabe des Herkules. Außerdem bleibt sie von
zwei Konflikten begleitet: Redaktionelle
Nachrichtenräume und Einzugsgebiete der
Anzeigenkunden können nur unvollständig
zur Deckung gebracht werden, und die
Abgrenzung einer Lokalausgabe bedeutet
immer, dass über bestimmte benachbarte
Gemeinden nicht in der gleichen Ausgabe
berichtet wird, obwohl sie für viele Leser
der Ausgabe zum Lebensraum gehören.
Eine Ausgabe schließt nicht nur ein, sie
schließt auch aus.
Darin liegt die strategische Bedeutung des Einsteckens mit Fine Zoning: Es
erlaubt neue Produkte mit lokaler Kompetenz anzubieten, die unabhängig von der
starren Einteilung der regulären ROPLokalausgaben sind. Im Werbemarkt der
Zeitung macht es die Belegungseinheiten
für die Werbung unabhängig von den
redaktionellen Einheiten. Im Lesermarkt
können die täglichen Ausgaben durch
periodische oder Ad-hoc-Ausgaben mit
abweichendem Gebietszuschnitt ergänzt
werden.
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Lokale Kompetenz aufbauen
Die Produktion auf der zweiten geografischen Ebene des Einsteckens liefert
mehr Freiheiten, um zusätzliche, gezielte
lokale Kompetenz aufzubauen. Dabei muss
allerdings klar sein, dass ROP- und Einsteckproduktion, erste und zweite geografische Ebene, nicht substitutiv, sondern komplementär gedacht und zu verstehen sind.
Feingezonte Einsteckprodukte kann
man sich durchaus großauflagig vorstellen,
da es vor allem um andere Grenzen geht.
Eine interessante Option sind aber zusätzliche, nicht täglich erscheinende Lokalausgaben mit eher geringen Auflagen für eng
definierte Gebiete, in denen man eine bessere Marktdurchdringung erreichen will.
Dass solches lohnend sein kann, ergibt sich
aus einem überraschenden Befund meiner
Untersuchung – obwohl er nicht überraschend sein sollte.
In Großbritannien bearbeiten regionale Tageszeitungen, die vielen Free Papers
und die nationalen Zeitungen mit erheblichen Anteilen den lokalen Zeitungsmarkt.
Als Besonderheit gibt es traditionell die
nicht täglich erscheinenden, bezahlten
lokalen Zeitungen. Die 472 Non-Dailies
haben durchschnittlich eine Auflage von
12 500 Exemplaren und können sich dennoch zu einem großen Teil im Besitz unabhängiger Verleger halten; 65 von ihnen
haben nur einen Titel. Die kleinen NonDailies haben im Jahresdurchschnitt die
mit Abstand größten Anzeigenerträge pro
verkauftem Zeitungsexemplar! Sie sind
mehr als doppelt so hoch als bei den regionalen Tageszeitungen und den Free Papers.
Die Non-Dailies decken bei weitem nicht
das ganze Land ab. Sie machen ihren
Erfolg offensichtlich damit, dass sie ihre
Tätigkeit auf kleine geografische Segmente
des Gesamtmarktes konzentrieren und sich
auf wenige Erscheinungstage beschränken.
Wäre das nicht ein Modell für die zweite
geografische Ebene?
Folgerungen für die Praxis
Was sind nun praktische Folgerungen
aus all dem Gesagten?
> Gewinnen Sie lokale Kompetenz im
Kerngeschäft, indem sie neue Möglichkeiten schaffen, Zustellleistung und Medialeistung zu verknüpfen.
Es macht einen Unterschied, ob Sie
Fine Zoning, oder besser, die zweite geografische Ebene, nur in dem Umfange
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Die Integration des Gesamtprozesses: von der Produktions- zur Kundenorientierung.
praktizieren, weil Sie sich dieser Forderung
nicht entziehen können, oder ob Sie es als
Marketingkonzept aufgreifen, um Kunden
zu binden oder neu zu gewinnen. Wer die
Möglichkeiten in Versandraum und Zustellung nutzen will, muss sich proaktiv und
nicht defensiv verhalten.
> Fine Zoning kann nicht so gestaltet
werden, dass der Verlag unter dem Strich
den gleichen Erlös pro Auftrag erzielt. Fine
Zoning führt zu mehr Aufträgen, mit kleineren Auflagen und höheren Kosten. Aber
Fine Zoning eröffnet einen Weg zu mehr
Wertbezogenheit in der Preisbildung. Eine
Zeitung kann einen guten Preis für eine
gute Medialeistung verlangen. Aber sie
kann nicht verlangen, dass der Kunde diesen Preis für Streuverluste bezahlt. Kann
der Kunde aus seiner Sicht die nicht vorteilhaften Gebiete ausklammern, hat der
Verlag ein Instrument, den Preis für die
Medialeistung hochzuhalten. Das gilt für
die großen Werbekunden, aber auch für die
kleinen im lokalen Markt, denen die heutigen Ausgaben zu groß oder im Zuschnitt
uninteressant sind.
> Fine Zoning ist ein Instrument zur
geografischen Marktsegmentierung. Wer
ein Marktsegment erreichen will, will
es vollständig erreichen. Resthaushaltsabdeckung gehört zum Angebot von Fine
Zoning. Sie bedeutet allerdings nicht den
Aufbau einer alternativen Zustellung. Ein
Verlag kann in die Direkt-Zustellung investieren, um zu diversifizieren; das ist aber
eine ganz andere Entscheidung. Resthaushaltsabdeckung kann wegen der Adressen
am besten durch die reguläre Zeitungszustellung erreicht werden. Werbekunden,
welche die Medialeistung der Zeitung in
Anspruch nehmen wollen, haben zur Prospektbeilage mit Resthaushaltsabdeckung
keine wirkliche Alternative, es sei denn sie
vollziehen den kompletten Wechsel zu den
Free Papers oder Direkt-Zustellern.
> Fine Zoning und Resthaushaltsabdeckung sollten nicht nur als Instrument
der Prospektbeilagen gesehen werden. Verlagsprodukte können eingesteckt und parallel in die Nicht-Abonnenten-Haushalte
zugestellt werden. In schwachen Gebieten
lassen sich so Märkte leichter entwickeln,
weil von Anfang an größere Marktpenetration gegeben ist. Voraussetzung für jede
Art komplementärer Produkte ist eine
selbstbewusste und langfristig angelegte
Markenführung. Die Marke der Zeitung bewirkt eine höhere Akzeptanz direkt zugestellter Produkte in Nicht-AbonnentenHaushalten, und überzeugend gemachte
Produkte wirken auf die Lebendigkeit der
Marke zurück.
> Die Zustellung muss die Möglichkeiten des Versandraums umsetzen, und
dazu brauchen Verlage einen synchronisierten Planungsprozess und eine geografische Koordination.
Von den Fachleuten wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Flexibilität des Versandraums an der Rampe keine
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Fortsetzung findet. Die Verkettung der Prozessbereiche Produktion (Arbeitsvorbereitung, Produktion und Versandraum) mit der
Zustellung – oder allgemeiner der Vertriebslogistik – ist unzureichend. Es fehlt der
Soll-Ist-Abgleich zustellungsrelevanter Produktionsdaten mit der Folge einer unzureichenden Planung und Steuerung des Zustellprozesses. Es gibt aber auch in der
Vertriebslogistik selbst brachliegende Effizienz- und Qualitätspotenziale, die mit
den herkömmlichen Verfahrensweisen nicht
ausgeschöpft werden können.
Die bisherige produktionsorientierte
Planung mit Arbeitsvorbereitung, Druck
und Versandraum/Rampe muss abgelöst
werden durch eine kundenorientierte Planung, die auf der einen Seite Verkauf und
Beilagenplanung und auf der anderen Seite
die Vertriebslogistik umfasst. Die Vertriebslogistik selbst kann sich nicht mehr dominant an fixen Standardrouten orientieren,
sondern muss flexibel auf die erheblich
komplexeren Produktionssituationen reagieren, wenn die zweite geografische Ebene
des Versandraums aktiviert wird, wenn also
nicht produziert wird, was zugestellt wird,
sondern zugestellt wird, was produziert
wird, um es überspitzt zu formulieren.
Das führt zur geografischen Koordination. Fine Zoning braucht Transparenz
und die Durchgängigkeit sowohl am Markt
wie in der internen Umsetzung. Für eine
Synchronisation des Gesamtprozesses müssen alle, wenn sie von Fine Zoning
sprechen, das Gleiche meinen – vom Verkaufsberater bis zur Zustellung, von der
Disposition bis zum Lieferanten der Versandraumtechnik. Dafür wird eine gemeinsame geografische Einheit für den Begriff
Zone gebraucht. Wenn sie den Bedürfnissen der verschiedenen Funktionsbereiche
genügt, kann sie deren Kommunikation
koordinieren. Sie muss nicht mit den
aktuell verkauften Belegmengen identisch
sein. Aber alle Belegungen müssen aus der
Aggregation der geografischen Planungseinheit hervorgehen.
Eine solche geografische Planungseinheit muss identisch sein mit der kleinsten Zustelleinheit. Deshalb liegt die größte
organisatorische Aufgabe beim Vertrieb.
Schon immer hat man im eigenen Vertrieb
ein wichtiges Kapital des Zeitungsverlages
gesehen – zusammen mit dem Versandraum wird er zu einem zentralen Marketingfaktor. <
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