über gentechnik und klone

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Über
Gentechnik und
Klone
Eine Übersicht
Oskar Luger
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Impressum: Herausgegeben im Eigenverlag, Dr. Oskar Luger, Oberfellabrunn 3, A-2020 Hollabrunn,
2009, Druck: Thompson Ges.m.b.H. Digitaldruck, A-29020 Hollabrunn
2
Einleitung
Gentechnologie und Klonen von Säugern sind beides junge Techniken der Biologie und
Medizin. Beide üben sie Faszination aus, beide sind verbunden mit außerordentlichen
Erwartungen, insbesondere in der medizinischen Anwendung. Beide lösen aber auch
Abwehr und tiefes Misstrauen aus, in der Gentechnologie ist es besonders der Bereich der
Lebensmittelproduktion.
Gentechnologie und Klone sind auch verbunden mit ethischen/religiösen Bedenken und
Diskussionen.
Und
schließlich
haben
die
beiden
weitgehend
getrennten
Anwendungsbereiche doch Überlappungen, weswegen es sinnvoll ist diese beiden relativ
jungen Bereiche der biomedizinischen Wissenschaften gemeinsam zu behandeln.
Gentechnologie
In der Gentechnologie geht es um Gene, deren Erforschung und Veränderung und damit
auch um die Schaffung neuer Lebewesen, die so in der Natur nicht entstehen würden und
damit um eine potentiell sehr weit reichende vielleicht auch folgenschwere Technologie.
Vorbemerkung
Der aus Österreich stammende und in den dreißiger Jahren in die USA emigrierte
Biochemiker Erwin Chargaff hat in seiner 1981 erschienenen Autobiographie Parallelen
zwischen der Atom- und der Gentechnologie gezogen:
„Zwei verhängnisvolle wissenschaftliche Entdeckungen haben mein Leben gezeichnet.
Erstens die Spaltung des Atoms, zweitens die Aufklärung der Chemie der Vererbung. In
beiden Fällen geht es um die Misshandlung eines Kerns: des Atomkerns und des Zellkerns.
In beiden Fällen habe ich das Gefühl, dass die Wissenschaft eine Schranke überschritten
hat, die sie hätte scheuen sollen.“ (Erwin Chargaff, Das Feuer des Heraklit, Klett – Cotta,
1981)
Das Verblüffende an dieser Aussage ist die Person, die sie formuliert hat. Denn Chargaff
selbst war maßgeblich an eben dieser Entschlüsselung der Chemie der Vererbung beteiligt.
- 25 Jahre später sagte auch der frühere UNO Generalsekretär Kofi Anan, dass die
potentiellen Gefahren der Gentechnologie ähnlich wie die enormen Auswirkungen der
Kernkraft ernst genommen werden müssen.
Diese zwei Technologien haben bei genauerer Betrachtung ihrer Folgen mehr gemeinsam,
als ein einseitiger Blick auf ihre verschiedenen Ausgangspunkte - hier die Physik, da die
Biologie - vermuten ließe:
1. Beide Techniken können, sind sie einmal entfesselt bzw. freigesetzt, Unabänderbares
erzeugen. Wenn in ihren äußerst komplexen Konstruktionen, Abläufen und Systemen etwas
Unbedachtes passiert, können Reaktionen ausgelöst werden, die irreparabel und nie wieder
gut zu machen sind.
2. Beide Großtechnologien waren oder sind mit Heilsversprechungen verbunden.
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So hat die Atomtechnologie - unbescheiden genug - unbegrenzte, billige und saubere
Energie auf einfache Weise versprochen. Und hat dabei z. B. unter den Teppich gekehrt,
dass neben allen Erzeugeranlagen auch der tödliche Abfall über Zeiträume gesichert und
bewacht werden müsste, wie sie, historisch gesehen, noch keine staatliche Ordnung der
Welt heil überstanden hat. Man stelle sich dazu - einmal ganz abgesehen von den
kriegerischen Aspekten - die Frage, wie es der Menschheit wohl ergangen wäre, wenn uns
die Neandertaler tödlich verstrahlte Landstriche und ein paar längst vergessene Atommülldeponien auf allen Kontinenten hinterlassen hätten . . . . Im Zuge der Diskussion um den
Treibhauseffekt erlebt nun die Atomtechnologie eine Renaissance als hätte es Tschernobyl
und all die anderen zahllosen größeren und kleineren Unfälle und das erwähnte ungelöste
Problem des radioaktiven Abfalls nie gegeben.
Mit noch wesentlich gewaltigerem und weiter gefächertem Anspruch aber tritt Gentechnik
auf. Sie verheißt nicht weniger als die Heilung zahlreicher schwerer Krankheiten, ja sogar
die Reparatur von Erbkrankheiten samt Verlängerung des Lebens, die Beseitigung des
Hungers in der südlichen Hemisphäre und für den satten Norden soll es neuartige
Lebensmittel geben, die seinen Bewohnern ohne Aufgabe ihrer Lebensweise Gesundheit
verschaffen werden. Neuerdings verspricht die Gentechnologie auch veränderte Pflanzen,
zur einfacheren Gewinnung von Agrotreibstoffen, also die Lösung des Klimaproblems; kurz
und in dieser Logik zu Ende gedacht - Gentechnik rettet diese unvollkommene Welt bei
unvermindertem Lebensstil….
Dass man allzu großartigen Versprechungen mit Vorsicht begegnen sollte, ist eigentlich eine
Binsenweisheit; daher wollen wir im Folgenden zuerst einmal nach dem Preis für all die
Herrlichkeiten fragen und uns nach der berühmten Kehrseite der Medaille umsehen - ob die
auch so glänzt, wie die lauthals propagierte und gepriesene Vorderseite.
Wie so oft - und besonders dann, wenn man es mit Lebendigem zu tun hat - sind diese
Kehrseiten anfangs manchmal unauffällig, schwer auszumachen und sie können durchaus
auch völlig anders aussehen, als man es sich anfänglich vorgestellt hat. Da finden sich dann
große Problemfelder bei der Anwendung der Gentechnologie nicht nur im direkten
gesundheitlichen Bereich, sondern in ökologischen, sozialen, gesellschaftlichen und - nicht
zuletzt - in ethischen Belangen. Wie überall, ist es auch in der Gentechnologie wichtig
zunächst einmal zu klären, wo die Vorteile liegen und wie groß diese tatsächlich sind,
welche Nachteile man in Kauf nehmen und welchen Preis man bezahlen muss.
Das ist abzuwägen.
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Überblick
Gentechnik breitet sich auf sehr vielen Gebieten aus und betrifft mehr oder weniger
unbemerkt in irgendeiner Weise unser aller Leben. Nicht umsonst hat Jeremy Rifkin,
Wirtschaftswissenschaftler und Berater zahlreicher Regierungen und der EU sein in kurzem
Abstand in 2. Auflage erschienenes Buch zur Gentechnologie „Das biotechnische Zeitalter“
genannt. Mittendrin in diesem Zeitalter leben wir.
Ganz allgemein gesagt geht es in der Gentechnik um die Erforschung von Erbanlagen.
Jener des Menschen, der Mäuse, von Würmern, Pflanzen, Bakterien und anderen
Lebewesen. Am bekanntesten geworden, weil auch in den Medien ausgeschlachtet, ist wohl
die Forschung am menschlichen Genom: Das weltweite Projekt HUGO, das im Frühjahr
2001 die Entschlüsselung der menschlichen Erbanlagen gemeldet hat. Wirklich genau hatte
man damals allerdings nur jenen Teil der DNA gelesen, der die Information von Genen
enthält. Den größten Teil der DNA, mit nicht ganz geklärten Funktionen, hatte man nicht
weiter analysiert. Außerdem war das, was da bereits als Lösung verkündet worden ist, ein
allererstes Ergebnis. Vor uns liegt noch die Riesenaufgabe, den gewaltig vielen
Informationen die richtigen Funktionen zuzuordnen. Es war ein Meilenstein der Forschung,
von dem man sich Wunder erwartet hat. Aber bei den Versuchen, dieses Wissens praktisch
umzusetzen, zeigte sich sehr schnell: Gene sind etwas wesentlich Komplexeres und
Dynamischeres als ursprünglich gedacht. Es ist in der Folge auch ziemlich still geworden um
das Projekt HUGO und die frohgemuten Prognosen über die direkte Anwendbarkeit seiner
Ergebnisse.
Neben ihrer Erforschung war es von Anfang an das erklärte Ziel der Gentechnologie die
Erbanlagen auch zu verändern, also Gene zu übertragen um damit Lebewesen neue
Eigenschaften zu geben. Gearbeitet wird dabei auf verschiedenen Feldern:
Die Gentherapie versucht, in der humanmedizinischen Anwendung Gene zum Zwecke der
Heilung von Krankheiten zu übertragen.
Medikamente sollen durch Einbau bestimmter, oft menschlicher Gene in Mikroorganismen,
Pflanzen oder Tiere erzeugt werden.
Die Lebensmitteltechnologie arbeitet mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen.
Und in der Landwirtschaft werden transgene Tiere und vor allem transgene Pflanzen,
also Nutztiere und Nutzpflanzen, die durch den Einbau fremder Erbanlagen verändert
wurden, immer häufiger verwendet.
Je nach Bereich spricht man von der roten, der grünen und der grauen (auch weißen)
Gentechnik:
Die rote Gentechnik ist die medizinische Anwendung, die grüne der Bereich der
Landwirtschaft und bei der grauen geht es um die Produktion von verschiedenen Produkten
mit Hilfe von Mikroorganismen. Grüne Gentechnik wird in Österreich, aber auch generell in
Europa weitgehend abgelehnt, während rote Gentechnik - meines Erachtens etwas zu
unkritisch - allgemein akzeptiert ist.
Bei diesen Anwendungsbereichen der Gentechnik, ist der Mensch mehr oder weniger direkt
betroffen. Daneben spielt die Gentechnik in der Grundlagenforschung und in der
angewandten Forschung eine sehr große Rolle. Dementsprechend fließen auch enorme
Mengen an Forschungsgeldern in den Bereich der Gentechnologie. Das hat zur Folge, dass
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für andere Forschungszweige weniger Geld vorhanden ist.
Gentechnisch veränderte Pflanzen
Die gentechnische Veränderung von Pflanzen, vorwiegend Nahrungspflanzen, aber auch
von anderweitig wirtschaftlich interessanten Pflanzen, wie Baumwolle oder verschiedene
forstwirtschaftlich bedeutende Bäume oder Zierpflanzen, wird schon seit langer Zeit
angewandt. Zahlreiche gentechnisch veränderte Nutzpflanzen, vor allem Raps, Mais,
Sojabohnen, Reis und Baumwolle, werden weltweit angebaut und sind in zahlreichen
Ländern im Handel erhältlich. Noch viel häufiger aber tauchen Produkte solcher Pflanzen als
Zusätze in verschiedenen Lebens- und Genussmitteln (z. B., Sojalezithin oder Glukosesirup
aus Mais) auf; besonders aber im Tierfutter, auch dabei wiederum insbesondere bei Mais
und Soja.
In der allgemeinen Begründung für die Anwendung der Gentechnik in der
Lebensmittelproduktion geht es vor allem um zwei Bereiche; einerseits um eine
Landwirtschaft, die mit weniger Gift auskommen, somit aber ökologisch verträglicher sein
soll, und die andererseits helfen soll, die Hungerproblematik in dieser Welt, insbesondere in
den armen Ländern des Südens, zu lösen. Das sind sehr positive, begrüßenswerte Ziele. Es
fragt sich nur, ob die Gentechnik ihren eigenen Anforderungen gerecht wird und ob die
Vorteile die Risiken und Nebeneffekte tatsächlich aufwiegen.
Die Erzeugung von pflanzlichen gentechnisch veränderten Organismen (GVO) ist,
verglichen mit der von Tieren, relativ einfach. Einzelne Pflanzenzellen oder Gewebsstücke
können sehr leicht vegetativ (ungeschlechtlich) in Zellkulturen, in einer Nährlösung, gehalten
und vermehrt werden. Aus solchen Einzelzellen oder kleinen Gewebsteilen können ganze
Pflanzen, die Blüten und Samen ausbilden, herangezogen werden. Man muss also nur
einzelne Pflanzenzellen gentechnisch verändern und kann dann aus diesen gentechnisch
manipulierten Zellen ganze Pflanzen ziehen und diese vermehren.
Die erste Generation gentechnisch veränderter (gv) Pflanzen, die derzeit auch großflächig
angebaut und vermarktet wird, sind Kulturpflanzen mit verschiedenen eingebauten
Resistenzen; und zwar Resistenzen gegen Herbizide und gegen Insekten. Im Prinzip sind es
immer noch diese beiden gentechnischen Veränderungen, die den Markt an gentechnisch
veränderten Pflanzen beherrschen.
Resistenz gegen Herbizide (Unkrautvernichter):
Von den großen Pharma- und Saatgutfirmen wurden häufige Nutzpflanzen (Mais, Soja,
Raps, Reis, Baumwolle u. a.) durch den Einbau von entsprechenden Genen gegen so
genannte Totalherbizide resistent gemacht; bezeichnenderweise von jedem Konzern immer
das jeweils eigene Herbizid. Während Pflanzen von der Firma Monsanto gegen 'Roundup
ready' resistent sind, sind gv Pflanzen von Bayer unempfindlich gegen 'Liberty link' - das
Bayer-eigene Totalherbizid. Neuerdings sind gv Pflanzen manchmal gegen beide Herbizide
resistent; teils durch Kreuzungen, teils durch gleichzeitigen Einbau von zwei
Resistenzgenen. Monsanto und Bayer arbeiten seit 2007 in der Forschung und Entwicklung
von gv Pflanzen zusammen. Ein Acker mit einer derartigen Nutzpflanze kann mit einem
Totalherbizid, das alle anderen Pflanzen vernichtet, problemlos behandelt werden. Durch
diese gentechnische Veränderung wird die Handhabung für den Landwirt bedeutend
erleichtert und der Einsatz von Totalherbiziden überhaupt erst ermöglicht. Gleichzeitig soll,
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und das ist die ökologische Begründung, dadurch ein gezielter und damit geringerer Einsatz
von Herbiziden ermöglicht werden.
Resistenz gegen Insekten
Ebenso häufig wie gegen Herbizide werden Pflanzen gegen Schadinsekten resistent
gemacht. Diese Resistenz erreicht man durch den Einbau von Genen für ein Gift, das die
Pflanze unempfindlich gegen Insektenfraß macht, da die Insekten sich beim Fressen dieses
Gifts den Tod holen. Neuere Pflanzen haben meist beide gentechnischen Veränderungen,
Herbizid- und Insektentoleranz.
Das am häufigsten verwendete derartige Gift ist das Gift des Bazillus thurengiensis, ein
Insekten tötendes Bakterium. Das Gen für dieses Gift (Bt-Gift) wird in die Pflanze eingebaut
und wenn die Pflanze das Gift erzeugt, ist sie gegen Schädlinge, in der Regel ist das gegen
den Hauptschädling, resistent. Die Pflanze ist selbst das Insektizid.
Durch diese Technik soll der Verbrauch an Insektiziden zurückgehen, und gv Pflanzen somit
ökologisch vorteilhaft sein, da es zu einer Reduktion von Agrargiften kommen soll. Ebenso
soll, durch den Wegfall des Hauptschädlings, der Ertrag gesteigert werden.
Die eine wie die andere Technik ist ideal für den Einsatz in einer großflächigen technisierten
Landwirtschaft mit riesigen Monokulturen, denn gerade dort machen sich Wildkräuter und
Schadinsekten besonders unangenehm bemerkbar. Diese beiden Resistenzen, besonders
die Herbizidtoleranz, machen den Farmern das Leben eine Zeit lang leichter, einfach
bequemer; daher auch die große Akzeptanz in der großflächigen, industrialisierten
Landwirtschaft, wie man sie u. a. besonders in den USA, Kanada, oder neuerdings auch in
Argentinien und vermehrt in verschiedenen anderen Ländern wie Indien oder Spanien findet.
Bei beiden Resistenzen gibt es eine ganze Reihe von Einwendungen und Risiken, die teils
nur die eine, teils beide gentechnischen Manipulationen betreffen, und vor allem sind beide
Techniken langfristig nicht nachhaltig.
Was den Herbizidverbrauch betrifft, haben Kritiker von Anfang an befürchtet, dass der
Verbrauch von Herbiziden nicht sinken, sondern steigen wird. Tatsächlich ist der Verbrauch
an Herbiziden deutlich gestiegen, was nicht nur ein ökologisches, sondern auch zunehmend
ein gesundheitliches Desaster darstellt. Herbizide zählen zu den besonders bedenklichen
Agrargiften. Ein wiederkehrendes Problem beim Einsatz von herbizidresistenten Pflanzen ist
die unbeabsichtigte Produktion von Problemunkräutern, die gegen Totalherbizide resistent
sind. Von Kritikern von Anfang an vorhergesagt, ist dieses Auftreten von Problemunkräutern
inzwischen wiederholt beobachtet worden. Problemunkräuter können einerseits durch
Auskreuzen der Eigenschaft auf verwandte Wildpflanzen, falls es solche in der Umgebung
gibt, entstehen. Diese Entwicklung ist in den USA zunehmend beobachtet worden.
Andererseits verhalten sich herbizidresistente Kulturpflanzen gelegentlich wie Unkräuter.
Ausgefallene Samen, die im Folgejahr aufgehen, sind u. U. nur schwer zu behandeln,
besonders, wenn diese gleich gegen 2 Herbizide tolerant sind. Solches wurde
verschiedentlich beobachtet. Mehrfach wird dieses Phänomen in Kanada und neuerdings
vor allem in Argentinien beobachtet. Weil die ausgefallenen Samen gegen 'Roundup'
resistent sind, müssen nun in Kanada vor dem Anbau gegen die aufgegangenen,
ausgefallenen Körner des Vorjahres extra Herbizide - zusätzlich zu 'Roundup' - verwendet
werden. Um der Problemunkräuter Herr zu werden, kommen auch besonders giftige, bei uns
längst stark eingeschränkte Herbizide, wie die berüchtigten Wuchsstoffherbizide, die auch
Bestandteil von 'agent orange' im Vietnamkrieg war, zum Einsatz. Auch in Argentinien
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behandelt man herbizidresistente Soja inzwischen mit besonders giftigen alten Herbiziden.
In Costa Rica, wo vor allem Saatgutvermehrung von gv Pflanzen durch N-amerikanische
Saatgutfirmen erfolgt, sind herbizidresistente Pflanzen seither auch schon in den Gärten der
Bewohner aufgetaucht. Quer durch Argentinien und Teilen Brasiliens wird gv
herbizidresistente Soja in riesigen Plantagen, die dank der Herbizidsresistenz in dieser Form
möglich sind, angebaut; mit gravierenden sozialen, gesundheitlichen und ökologischen
Folgen. Zahllose Kleinbauern und indigene Gemeinschaften sind von ihren Feldern
vertrieben und riesige Wälder abgeholzt worden, um Platz für gv Soja zu machen.
Inzwischen sind praktisch alle Früchte von herbizidresistenten gv Pflanzen mit Roundup
kontaminiert sind. Glyphosphat, der Wirkstoff in Roundup aber ist eine äußerst toxische
Verbindung, die den Hormonhaushalt stört, embryonale und Plazentazellen schädigen und
sogar Einfluss auf die DNA haben kann. Schädigende Wirkungen von Roundup konnten
schon in Konzentrationen nachgewiesen werde, die weit unter dem liegt, was in der
Landwirtschaft üblich ist und ebenfalls weit unter dem für Lebensmittel zulässigen
Grenzwert.
Sozial gesehen, erhöht sich die Abhängigkeit der Landwirte vom Saatgutlieferanten, da man
mit dem Saatgut auch gleich das dazu passende Herbizid mitkaufen muss.
Abhängig wird der Landwirt auch durch Patentrechte auf GVOs, die ihn davon abhalten,
Saatgut aus der eigenen Ernte zu verwenden. Das Saatgut muss immer neu gekauft
werden. Da gentechnisch verändertes Saatgut patentiert wird, gilt dies generell für
gentechnisch veränderte Pflanzen, aber davon später mehr.
Die Verwendung von Insektiziden ist demgegenüber beim Einsatz von Bt Pflanzen
zurückgegangen, gelegentlich allerdings nur vorübergehend. Man hat wiederholt
beobachtet, dass sich mit dem Zurückdrängen des Hauptschädlings andere Schadinsekten,
die früher kaum eine Rolle gespielt haben, ausbreiten. Dies ist eine Entwicklung, die weiter
nicht verwundert oder nicht verwundern hätte sollen, da damit zu rechnen war. Es ist in sich
logisch und sollte allen, auch nur wenig ökologisch Informierten, eine Selbstverständlichkeit
sein. Eine ähnliche Erfahrung hat man doch auch seinerzeit bei der Einführung von DDT
gemacht. Ebenfalls aus einem weiteren Grund ist die Technik nicht nachhaltig, und zwar
wegen der Resistenzbildung. Es ist unvermeidlich, dass Insekten eine Resistenz gegen Bt
Gift entwickeln, wenn das Gift großflächig angewandt wird. Dann braucht man wiederum die
Insektizide, die man ja vermeiden wollte, oder man muss eine neue Generation von
gentechnisch veränderten Pflanzen erzeugen, mit einem anderen Gift. Tatsächlich wurden
in Australien Bt resistente Baumwollkapselbohrer gefunden; und in den USA haben
Wissenschaftler festgestellt, dass Bt Pflanzen ihre Wirksamkeit gegenüber den
Schadinsekten verlieren, diese also ebenfalls resistent werden.
Problematisch wird eine Insektenresistenz gegen BT Gift für die biologische Landwirtschaft.
Dort war dieses Gift immer eine Art Notnagel, wenn es wider Erwarten doch einmal zu einer
Massenvermehrung eines Schadinsektes kam. Wenn das Gift gegen Insektenbefall
wirkungslos ist, verliert die biologische Landwirtschaft diese Rückendeckung.
Betrachtet man beide Techniken gemeinsam, ist der Verbrauch an Pestiziden nicht weniger
geworden.
Was den Ertrag betrifft, so gibt es unterschiedliche Beobachtungen. Eine Übersichtsstudie,
die Daten aus den USA und Kanada aufgearbeitet hat, kommt zum Ergebnis, dass
insgesamt der Ertrag nicht zugenommen hat. Vor kurzem hat aber eine Aussendung der
indischen Regierung betont, dass Indien nur dank des Einsatzes von BT Baumwolle den
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derzeit zu beobachtenden Höhepunkt an Baumwollproduktion erreichen konnte. Andrerseits
ist gerade gv Baumwolle in Indien berüchtigt. Bt Baumwolle hat in einigen Regionen Indiens
zu Missernten geführt, was den Selbstmord von zahlreichen indischen Bauern zur Folge
hatte. Kritiker haben zur gentechnikfreundlichen Jubelmeldung der indischen Regierung
bemerkt, dass die Ernten in diesem Jahr in Indien generell deutlich höher waren, da der
Monsun zur rechten Zeit und sehr ausgiebig eingesetzt hatte, also schlicht und einfach
genug Wasser im Boden vorhanden war. Eine neue Untersuchung des US-amerikanischen
Landwirtschaftsministeriums aus dem Jahre 2006 kommt zum Ergebnis, dass der Ertrag von
gv Pflanzern nicht über dem von konventionellen Hybridsorten liegt, ja sogar darunter liegen
kann. Auch aus Kanada berichten Bauernvertreter, dass sie keine Ertragssteigerung durch
gentechnisch veränderte Pflanzen feststellen konnten.
Ein generelles Problem in der Anwendung der Gentechnik im Pflanzenbau ist das
Auskreuzen, die Übertragung der eingebauten Fremdgene auf Wildpflanzen oder
unveränderte Kulturpflanzen durch Pollentransport, sei es durch Tiere oder den Wind. Mit
dem Pollen, der die anderen Pflanzen bestäubt, gelangt auch das eingebaute Genkonstrukt
auf die Wildpflanze oder die konventionelle Nutzpflanze und wird an weitere Generationen
weitergegeben! Auf dieses Problem werden wir später noch detailliert eingehen.
Die Vertragsbedingungen zwischen den Farmern und den Lieferanten von gv Saatgut sind
für die Landwirte ziemlich streng. Die Landwirte müssen Kontrollen jederzeit akzeptieren.
Die Saatgutfirmen führen zudem auch heimliche, verdeckte Kontrollen durch.
Zuwiderhandeln gegen die Verträge, wie das Verwenden des Saatgutes zum Wiederanbau,
oder ein Handel damit (durch das Patentrecht ist die Ernte eigentlich Eigentum der
Saatgutfirma) wird mit sehr hohen Strafgebühren, die bei erfolgreicher Klage in die
zigtausend Dollar gehen, geahndet.
Über die Wirkung auf uns Menschen gibt es widersprüchliche Aussagen. Offiziell hat der
Einbau von Resistenzgenen keine nachteiligen gesundheitlichen Folgen. Diesen Standpunkt
vertreten nicht nur die Zulassungsbehörden in den USA und in Kanada, sondern auch die
EU Lebensmittelbehörde. Dem steht allerdings eine zunehmende Zahl von Beobachtungen
entgegen, wonach die Anwendung, der Verzehr von gv Pflanzen so harmlos doch nicht sein
kann.
Am bekanntesten sind die Versuche von Arpad Pusztai in Schottland. AP hat im Auftrag die
Toxizität von gv Kartoffeln untersucht und diese Erdäpfel Ratten verfüttert. Es hat sich, muss
gesagt werden, nicht um Bt Pflanzen gehandelt, sondern um Kartoffeln, denen das Gen für
ein Maiglöckchenlektin eingebaut worden war, um sie Insekten-resistent zu machen. AP
musste feststellen, dass seine Ratten daraufhin Wachstumsstörungen, Leberschäden und
ein beeinträchtigtes Immunsystem entwickelten. Besonders erstaunlich war, dass das
Verfüttern des Lektins, gemeinsam mit konventionellen Kartoffeln, weniger schädlich war.
Die gentechnische Veränderung hat offensichtlich einen weiteren, unbekannten und
unerwarteten Nebeneffekt gehabt. Das weitere Schicksal von diesem Wissenschaftler ist
symptomatisch. Nachdem er die Ergebnisse bekannt gegeben hatte, haben diese für
Schlagzeilen in ganz Europa gesorgt; und Herr Pusztai wurde umgehend
zwangspensioniert. Darüber hinaus wurde erklärt, er hätte seine Studien schlampig
durchgeführt und die eigenen Ergebnisse falsch interpretiert. Es gibt Hinweise, dass sogar
Downing Street gegen Arpad Pusztai interveniert haben soll. Arpad Pusztai war Zeit seines
Lebens ein seriöser, gründlicher Forscher, sowie international anerkannter Spezialist auf
dem Gebiet der Lektine gewesen. AP hat die Herausgabe seiner Versuchsunterlagen
erkämpft und dann nachweisen können, dass seine Experimente nach allen Regeln der
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Kunst durchgeführt und von ihm richtig gedeutet worden waren. Es war aber im Weiteren
schwierig eine Zeitschrift zu finden, die seine Rehabilitation gedruckt hätte – aus Angst vor
Verlusten von Werbeeinnahmen. AP selbst war bis zu diesem Zeitpunkt der Unterstellungen
der Gentechnik durchaus nicht ablehnend gegenüber gestanden, war auch weiterhin kein
genereller Feind der Gentechnik, hat aber öffentlich gesagt, dass er keine gentechnisch
veränderten Lebensmittel essen möchte. Das, was derzeit in der Genforschung stattfinde,
mache die Menschheit zu Versuchsmeerschweinchen, meinte Pusztai. Der Wissenschaftler
betonte, dass keine andere im Handel befindliche gentechnisch veränderte Pflanze auch nur
annähernd so gut untersucht worden sei, wie seine gv Kartoffeln.
Ähnliche Ergebnisse erbrachten Fütterungsversuche mit gv Erbsen in Australien, die mit
einem Eiweiß aus Bohnen versetzt worden waren, wieder um Insekten abzuwehren. Mäuse,
die davon aßen, zeigten eine ausgeprägte Lebensmittelunverträglichkeit und erkrankten an
Lungenentzündungen. Ähnlich wie in AP's Versuchen, waren auch hier die Effekte
deutlicher, wenn gentechnisch veränderte Erbsen gefüttert worden waren, als nach der
Verfütterung von konventionellen Erbsen, gemeinsam mit dem Bohneneiweiß. Wieder muss
der Einbau des Fremdgens einen zusätzlichen, unerwarteten Effekt gehabt haben. Das ist
von Bedeutung, da für die Zulassungsbehörden gv Pflanzen als prinzipiell identisch mit den
nicht veränderten Pflanzen gelten, mit Ausnahme des eingebauten Gens. Dies ist aber
offensichtlich doch nicht der Fall. Auch dieses Manipulationsergebnis ist eigentlich weiter
nicht verwunderlich. Nicht nur, dass es zahlreiche andere Beispiele gibt, in denen durch den
Einbau von Fremdgenen unerwartete Effekte aufgetreten sind; es konnte auch
nachgewiesen werden, dass dieser Einbau zahlreiche kleine Mutationen auslöst. Da es nicht
möglich ist, ein Fremdgen an einen ganz bestimmten Platz im Genom der Zielpflanze
einzusetzen, sondern diese Gene sich unvorhersehbar in die Chromosomen einbauen, sind
allein schon aus theoretischen Überlegungen unerwünschte Nebeneffekte zu erwarten. Bt
Mais hat im Vergleich zu gleichwertigen nicht manipulierten Pflanzen eine veränderte
Aminosäuren- und Eiweißzusammensetzung, was ebenfalls auf weiter reichende
Änderungen, die über den reinen Einbau eines zusätzlichen Gens hinausgehen, schließen
lässt.
Zurück zu den gesundheitlichen Aspekten: Eine Fütterungsstudie in Italien, bei der Mäusen
24 Monate lang gv Soja gegeben worden war, führte bei den Versuchstieren zu
Veränderungen in den Zellkernen der Leber, ein Hinweis auf Stoffwechselbelastungen der
Mäuse durch das gv Futter.
Vor kurzem hat die russische Forscherin Irina Ermakova gv Soja an Nager verfüttert und
gesundheitliche Veränderungen (Verkrüppelungen, niedrige Überlebensraten beim
Nachwuchs) beobachtet. Es waren dies vorläufige, noch nicht gut abgesicherte Experimente
und, ähnlich wie Arpad Pusztai, wurde die Autorin persönlich attackiert. Sie wurde in der
ansonsten angesehenen wissenschaftlichen Zeitschrift 'Nature Biotechnology' öffentlich
wissenschaftlich 'hingerichtet'. In einem sehr ungewöhnlichen Vorgang hatte der
Herausgeber ihre vorläufigen Ergebnisse an 4 ausgesprochene Befürworter der
Gentechnologie, mit guten Beziehungen zur Industrie, mit der Bitte um Kritik weitergegeben,
ohne der Forscherin die Möglichkeit zu geben auf diese Kritik direkt zu antworten. Dies ist
eine Vorgangsweise, die im Zusammenhang mit wissenschaftlichen Publikationen sehr
ungewöhnlich ist.
Und schließlich lässt sogar eine Studie der Firma Monsanto ein gesundheitliches
Gefahrenpotential von gv Pflanzen vermuten. In einer Fütterungsstudie mit zwei
verschiedenen Sorten von gv Mais waren bei Versuchstieren Schäden an Leber und Niere,
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sowie Gewichtsveränderungen aufgetaucht. Monsanto erklärte dazu, es handle sich dabei
nur um Ausnahmen, die für die Sicherheit nicht relevant seien, und weigerte sich gleichzeitig
die Originalprotokolle zu veröffentlichen. Eine französische Forschergruppe, die die Studie
einer eingehenden Untersuchung unterzog, kam zum Ergebnis, dass Monsanto die
beobachteten Veränderungen nicht ausreichend weiter untersucht hat; und auf Grund der
vorhandenen Daten tatsächliche Schäden nicht ausgeschlossen werden können.
So viel zu möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei Menschen. Eine weitere
Beobachtung bei Tieren, die mit Bt Mais gefüttert wurden, ist ebenfalls beunruhigend. Ein
Landwirt in Norddeutschland hat seine gesamte Rinderherde verloren, nachdem er das
Futter konsequent und praktisch ausschließlich auf gentechnisch veränderte Bt-Pflanzen
umgestellt hatte. Trotz eingehender Untersuchungen konnte kein anderer Grund für das
reihenweise Verenden der Tiere gefunden werden. Tatsächlich konnte Bt Gift in praktisch
allen Organen der erkrankten bzw. verstorbenen Tiere nachgewiesen werden.
Am Rande sei noch erwähnt, dass Landwirte in Nordamerika wiederholt beobachtet haben,
dass Wildtiere gv Pflanzen meiden und, wenn sie die Wahl haben, konventionelle Pflanzen
essen.
Die Problematik besteht darin, dass seitens der Zulassungsbehörden keine langfristigen
Untersuchungen über gesundheitliche Risiken verlangt werden, obwohl man gv Nahrung
natürlich über Jahre zu sich nimmt, so sie einmal in Regalen zu finden ist. Außerdem
genügen Unbedenklichkeitsstudien der Antragssteller. Üblicherweise werden keine
unabhängigen Studien verlangt.
Nicht absehbar sind ökologische Folgen, wenn Insektenresistenz auskreuzt und
Wildpflanzen insektengiftig werden.
Bt Pflanzen führen leider auch bei anderen Insekten zu Beeinträchtigungen, vor allem
bekannt bei Käfern, Hautflüglern und Schmetterlingen. Oft sind das so genannte
Nutzinsekten, die sich von Schadinsekten ernähren. Dabei muss es nicht immer die direkte
Giftwirkung sein, die zur Schädigung führt. Schlupfwespen haben die (für uns Menschen)
freundliche Eigenschaft ihre Eier in andere Insekten zu legen, üblicherweise sind das die,
die wir Schadinsekten nennen. Aus den Eiern schlüpfen die Larven, die sich im Inneren vom
Wirtsinsekt ernähren. Wenn die Schlupfwespenlarve fertig entwickelt ist, stirbt das Wirttier.
Wenn Schlupfwespen nun ihre Eier in Insekten legen, die sich von Bt Pflanzen ernähren,
dann stirbt der Wirt bevor die Schlupfwespe fertig entwickelt und geschlechtsreif ist! Der
Nützling Schlupfwespe kann sich nicht mehr fortpflanzen! Ein Sonderfall sind Bienen, die,
wenn sie Bt Pollen als Nahrung verwenden, anfälliger für einen Parasiten werden, den sie
ansonsten gut überleben.
Wenn man über gesundheitliche Gefahren für Menschen spricht, dann vergisst man, dass
nicht nur die erwähnten Insekten, sondern natürlich auch andere Tiere den gleichen
gesundheitlichen Risiken ausgesetzt sind. Andere Säuger reagieren vermutlich ähnlich wie
Menschen und es fragt sich, wie weit wir das Recht haben Wildtiere Gesundheitsrisiken
auszusetzen. In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine prinzipielle Geisteshaltung im
Bereich der Gentechnologie hinweisen, die man allerdings nicht nur hier findet. Zum einen
ist es, dass die außermenschliche Natur für die meisten Wissenschaftler keinen Wert hat.
Ob ein weit reichender Eingriff in die Natur einem Tier schaden könnte, steht nicht einmal
zur Diskussion. Wir sind de facto Herr über Leben und Tod vieler Tiere, 'dank' unserer
technischen, gerade auch gentechnologischen Möglichkeiten. Aber ich finde nicht, dass wir
das moralische Recht dazu haben. Zum anderen wird gerade seitens der
Gentechnikindustrie nicht einmal das Gesundheitsrisiko von Menschen sonderlich
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berücksichtigt, sondern vor allem nur der finanzielle Ertrag – aber auch das findet man nicht
nur im Bereich der Gentechnik.
Gentechnisch veränderte Pflanzen mit Zusatznutzen:
Die bislang erwähnten gentechnischen Modifikationen ermöglichen zwar den Landwirten
eine Zeitlang eine fragwürdige Bequemlichkeit, bringen aber ansonsten vor allem für die
Erzeugerfirmen Vorteile, finanzielle Gewinne. Um diese Einseitigkeit auszugleichen, erklären
Gentechnikfirmen seit einiger Zeit Pflanzen erzeugen zu wollen, die auch dem Konsumenten
oder sogar der Menschheit allgemein einen Nutzen versprechen, wie z. B. Produkte mit
erhöhtem Vitamin- oder Eiweißgehalt, mit Dürre- oder Salzresistenz, die auch auf sehr
trockenen und versalzenen Böden wachsen könnten. Mit wenigen Ausnahmen sind bislang
auf dieser Schiene erst wenige Pflanzen zur Marktreife gekommen. Nach wie vor werden
vor allem weitere Nahrungspflanzen herbizid- oder insektenresistent gemacht, wenngleich
gesagt werden muss, dass an verschiedensten Pflanzen, vorwiegend an tropischen,
gearbeitet wird und einige tropische gv Früchte im Freilandversuch getestet werden.
Der Goldreis:
Eine dieser Pflanzen, die der Bevölkerung von Nutzen sein soll, ist der so genannte
Goldreis, ein Reis, der einen erhöhten Pro-Vitamin A Gehalt aufweist. Er soll vor allem in
den armen Ländern des Südens, insbesondere in Asien, eingesetzt werden, um dort den
häufig auftretenden Mangel an Vitamin A zu beheben. Vitamin A-Mangel führt im
schlimmsten Fall zu Blindheit. Dieser Goldreis soll den Vitamin A-Mangel durch einen
höheren Provitamin A-Gehalt beheben; er wurde speziell zu diesem Zweck entwickelt. Und
zwar aus durchaus philanthropischen Gründen.
Kritiker, sowohl im Norden, als auch solche im Süden, vor allem Kleinbauernverbände,
sehen eine ganze Reihe von Problemen in Verbindung mit dem Goldreis, erkennen aber vor
allem auch andere und eventuell einfachere Möglichkeiten die Vitamin A Versorgung der
Bevölkerung zu verbessern:
Es ist bislang nicht geklärt, wie weit der menschliche Körper das im Goldreis vermehrt
vorkommende Provitamin auch tatsächlich in das Vitamin A umwandeln kann. Außerdem
müssten täglich große Mengen dieses Reises verzehrt werden, wollte man den Vitamin A
Bedarf damit decken. Zu bedenken gibt auch, dass damit nur ein Mangel behoben werden
könnte, nämlich der des Vitamins A, während andere vorhandene Mängel und
Einseitigkeiten weiter bestehen blieben.
Der großflächige Anbau dieses Reises würde zu einer Verdrängung zahlreicher lokal
entwickelter und regional angepasster Reissorten führen, die aber für das Überleben der
lokalen Bevölkerung von großer Bedeutung sind. Dies wäre ein Beispiel für genetische
Erosion im Zuge der Einführung gentechnisch veränderter Pflanzen. Darauf möchte ich
später noch ausführlicher zu sprechen kommen.
Gleichzeitig würden die Bauern vom Saatgutproduzenten und durch den wiederkehrenden
Ankauf von teurem, patentiertem Saatgut abhängig werden, was die Finanzkraft vieler
kleiner Bauern des Südens bei weitem übersteigen, sogar deren Ruin bedeuten würde. Es
ist ja gerade die arme Bevölkerung, die vom Vitamin A-Mangel betroffen ist. Auch wenn das
Saatgut, wie derzeit geplant und versprochen, preisgünstig angeboten werden würde, liegt
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es im Ermessen des Patentinhabers (Novartis), wie lange er auf Patentgebühren verzichtet.
Sind einmal die alten Sorten verschwunden und hat die Mehrzahl der Landwirte auf Goldreis
umgestellt, dann sind die Landwirte in Indien und anderen Ländern des Südens gegenüber
dem Patentinhaber, der vielleicht gerade seine Profite maximieren möchte, in einer
schlechten Position.
Tatsächlich gibt es aber einige andere erfolgreiche Aktionen zur Bekämpfung der Vitamin A
Blindheit, z. B.: Das Austeilen von Vitamintabletten, was sofort gegen Vitaminmangel hilft,
aber doch eine eher kurzfristige Maßnahme ist.
Ernährungs- und Anbauschulungen: Diese veranlassen die BewohnerInnen mehr Gemüse
anzupflanzen und zu verwenden, sowie noch die kleinsten Flecken zum Gemüseanbau zu
nutzen. Diese Kampagne hat erstaunliche Erfolge gezeigt und zu einer langfristigen
Verbesserung der Ernährungssituation geführt.
Schließlich wäre die Verbesserung der sozialen Situation der Menschen in den armen
Ländern des Südens die einfachste Art dieses Problem zu lösen. Würde man den Menschen
für ihre Arbeit einen fairen Preis bezahlen, dann wären sie nicht gezwungen sich nur von
Reis zu ernähren.
In diesem Zusammenhang machen sich auch die negativen Folgen der Grünen Revolution
bemerkbar: In früherer Zeit haben die Reisbauern Asiens in den überfluteten Reisfeldern
Fische gezüchtet. Der für die Hochertragssorten notwendige Pestizideinsatz vernichtet aber
den Fischbestand und eine wichtige Nahrungsergänzung ist dadurch verloren gegangen.
Andere gentechnische Veränderungen, wie oben erwähnt, die Vorteile bringen sollen, sind
kaum auf dem Markt und es ist unklar, wann und ob sie kommen werden. Es ist zudem
zweifelhaft, ob solche gentechnische Veränderungen überhaupt notwendig sind, da es für
viele Kulturpflanzen schon lange Sorten mit den verschiedensten Resistenzen gibt, die von
traditionellen Züchtern erarbeitet worden sind. Es wäre weitaus sinnvoller und vor allem
nebenwirkungsfreier und sozial gesehen verträglicher, wenn man aufbauend auf diesen
Sorten die diversen Resistenzen auf konventionellem Weg, durch Kreuzungen auf andere
Sorten übertragen würde. Es scheint aber überhaupt nach wie vor das Hauptaugenmerk auf
den erwähnten Resistenzen zu liegen. Einsatzfähig, aber noch nicht großflächig auf dem
Markt ist eine Technologie, die den Saatgutkonzernen die absolute Kontrolle über das
Saatgut verschaffen würde:
Die Terminatortechnologie
Um zu verhindern, dass gentechnisch veränderte Pflanzen nachgebaut werden, haben
einige Saatgutfirmen Saatgut mit der so genannten Terminatortechnologie entwickelt. Dabei
werden Pflanzen gentechnisch so verändert, dass die Samen nicht mehr keimfähig sind; der
Same stirbt beim Keimen ab.
Offiziell wird betont, dies soll verhindern, dass sich gentechnisch veränderte Pflanzen
unkontrolliert vermehren. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass diese Technologie entwickelt
wurde, um den Nachbau von gentechnisch veränderten Pflanzen zu verhindern und die
Kontrolle über Saatgut zu bekommen.
Diese Technologie macht die Landwirte völlig vom Saatguthersteller abhängig. Die
ungebremste Aussaat solcher Pflanzen hätte weit reichende, gravierende soziale Folgen, da
der Einsatz dieser Technologie wahrscheinlich den Ruin aller Klein- und Subsistenzbauern
in den armen Ländern des Südens bedeuten würde. Deren Existenz ist vom Wiederanbau
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des eigenen Saatgutes abhängig; und diese Bauern sind finanziell nicht in der Lage, Saatgut
jedes Jahr nachzukaufen. Jede eigenständige Landwirtschaft würde damit verhindert
werden. Auch eine Weiterzucht, wie sie seit jeher zu Zwecken der weiteren
Saatgutverbesserung üblich war, wäre damit unmöglich.
Wer immer auch Terminatorsaatgut anbaut, gerät in völlige Abhängigkeit vom
Saatgutproduzenten. Je mehr davon angebaut wird, desto mehr hängt die
Nahrungsproduktion vom good will des Lieferanten ab, umso erpressbarer wird eine
Gesellschaft. Es entstehen aber auch ganz banale Abhängigkeiten, wie die des ungestörten
und rechtzeitigen Transportes des Saatgutes vom Erzeuger zu den Landwirten quer über
die Erde. Jedes Hindernis im rechtzeitigen Transport des Saatgutes vom Erzeuger zum
Landwirt würde den Totalausfall der landwirtschaftlichen Produktion einer Region und damit
die schlimmste Hungersnot bedeuten.
Ökologische Schäden durch Auskreuzen auf Wildpflanzen sind nicht absehbar.
Derzeit besteht noch ein Moratorium des Einsatzes dieser Technologie. Aber die
Saatgutkonzerne und einige Regierungen, so z. B. die von Kanada und den USA, drängen
vehement auf eine Zulassung von Terminatorsaatgut.
Es gibt einige Anwendungen abseits der Nahrungsmittelproduktion, bei denen aber
hauptsächlich Nahrungspflanzen verwendet werden, weswegen sie hier erwähnt werden
sollen.
Industriell oder energetisch interessante Pflanzen
Diese anderen gentechnischen Forschungen streben danach, Pflanzen zu erzeugen, die für
die Industrie von Interesse sind. Beispiele für gv Pflanzen zur besseren industriellen
Nutzung wären Kartoffeln oder andere stärkehältige Pflanzen mit verändertem Stärkegehalt.
Derzeit drängt die Firma Bayer mit der gv Kartoffel 'Amflora', die eine veränderte
Stärkezusammensetzung hat, in der EU auf Zulassung.
Der Boom an Pflanzen zur Energiegewinnung, wie Pflanzenöle, oder zur Alkoholproduktion
als Benzinersatz, wird vermutlich auch einen enormen Zuwachs an gentechnisch
veränderten Pflanzen mit sich bringen. Solche Pflanzen können mit dem Hinweis, dass sie
ja nicht als Nahrungsmittel verwendet werden, als Türöffner für die Gentechnik dienen.
Allerdings bleiben die ökologischen und sozialen Probleme bestehen. Solche Pflanzen mit
veränderten Inhaltsstoffen für die industrielle Fertigung oder die Verwendung als Treibstoffe
sind wahrscheinlich weniger gut geeignet für den Verzehr und hätten auch keine Zulassung
als Nahrungspflanzen. Durch Auskreuzen kann diese neue Eigenschaft auf die Verwandten
übergehen, die auf dem Nachbarfeld wachsen; die aber für den menschlichen Genuss
bestimmt sind und damit kann diese Veränderung plötzlich doch in der menschlichen
Nahrung aufscheinen – sehr zum Nachteil aller Konsumenten und natürlich auch der
Landwirte, da solche Ernten vernichtet werden müssten.
Ein weiteres Beispiel für diese Anwendungen, bei denen es nicht um Nahrung, wohl aber
um Nahrungspflanzen geht sind Pflanzen, die so verändert worden sind, dass sie nun
Medikamente erzeugen.
Pharmapflanzen
Schon seit den 80er Jahren, aber in letzter Zeit vermehrt, drängt die Pharmaindustrie mit
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Pflanzen ins Freiland, die Medikamente erzeugen. Hauptsächlich werden menschliche, aber
auch tierische Gene in Pflanzen eingebaut, die die Pflanzen veranlassen Medikamente und
Impfstoffe zu erzeugen. Die Industrie erhofft sich davon wesentliche Verbilligungen und
Erleichterungen in der Produktion verschiedener Medikamente oder Impfstoffe.
Für diesen Zweck werden vor allem häufig verwendete Nahrungspflanzen, wie Mais, Reis,
Soja eingesetzt; vor allem weil diese schon gut an Massenproduktion und Gentechnik
angepasst sind. Gleichzeitig ist das aber das eigentlich Gefährliche daran, denn es handelt
sich dabei eben hauptsächlich um häufig angebaute Nahrungspflanzen. Eine Kontamination
ist dadurch praktisch unvermeidlich, diesmal - ohne jeden Zweifel - mit schweren Gefahren,
denn wir essen dann mit der Nahrung unkontrolliert Medikamente oder Impfstoffe mit.
Solche Kontaminationen sind in den USA bereits beobachtet worden, was die Vernichtung
ganzer Ernten zur Folge gehabt hat. Üblicherweise werden Medikamente in einem eigenen
Kasten verschlossen und unerreichbar für Kinder aufbewahrt, jetzt aber würden sie plötzlich
frei auf den Feldern wachsen.
Aber nicht nur die Menschen sind gefährdet. Auch Tiere essen diese Medikamente mit und
das führt bei diesen zu vergleichbaren Wirkungen. Insbesondere Hormone zeigen auch bei
weit entfernten Tierarten jeweils eigene Effekte, bei nah verwandten, wie allen Säugern,
praktisch identische. Diese Technologie kann ebenfalls zur Verseuchung der Böden führen,
denn Pflanzen geben Stoffe, wie zusätzlich gebildete Medikamente, über die Wurzeln in den
Boden ab.
Gentechnisch veränderte Pflanzen als Futtermittel
Die Einführung der Massentierhaltung und der Hochleistungssorten in der Tierzucht hat den
Futterbedarf radikal verändert. Wurden Tiere, hier besonders Wiederkäuer, früher
hauptsächlich mit dem ernährt, was Menschen nicht aßen, nämlich Gras und Heu, müssen
heutzutage hochwertige, eiweißhältige Nahrungsmittel verfüttert werden. Hauptsächlich sind
das Getreide und Soja. Bis zum BSE Skandal stammte das Eiweiß zu einem Gutteil aus
Tiermehl, dessen Verwendung aber aufgrund des BSE Skandals verboten wurde. Seit
dieser Zeit werden die Regenwälder Süd- und Mittelamerikas noch viel radikaler abgeholzt,
um Sojabohnen anzubauen; und auf immer größeren Flächen Argentiniens wird ebenfalls
Soja produziert. In Argentinien wird nahezu ausschließlich gentechnisch veränderte Soja
angebaut. Brasilien ist gespalten in Bundesstaaten, die den Einsatz von Gentechnik
erlauben und solche, in denen gentechnisch veränderte Sojabohnen nicht zugelassen sind.
In den USA wird generell sehr viel gentechnisch verändertes Saatgut verwendet.
Weder Milch und Milchprodukte, noch Fleisch, Wurst, Selchware oder Eier müssen
gekennzeichnet sein, wenn die Tiere mit gentechnisch veränderten Pflanzen (hauptsächlich
Soja und Mais) gefüttert worden sind. Einige Molkereien verkaufen nur Milch, die
gentechnikfrei ist, deren Kühe also kein gentechnisch verändertes Futter bekommen haben,
und kennzeichnen ihre Produkte als gentechnikfrei. Ansonsten kann man nur bei
Lebensmitteln aus biologischer Landwirtschaft damit rechnen, dass auch als Tierfutter keine
gentechnisch veränderten Pflanzen verwendet worden sind. Greenpeace hat im
vergangenen Dezember der EU Kommission 1 Million Unterschriften übergeben, die eine
generelle Kennzeichnung auch bei Einsatz von gentechnisch verändertem Futtermittel
verlangt, ist aber dort auf taube Ohren gestoßen.
Allgemeine Probleme
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Mit der Grünen Gentechnik sind einige generelle Probleme verbunden, auf die teilweise
schon im vorhergehenden Kapitel eingegangen worden ist, die hier aber ausführlicher
behandelt werden.
Die Patentierung
Während früher Lebewesen von der Patentierbarkeit ausgenommen waren, hat sich dies
seit der Einführung der Gentechnik gewandelt. Die Patentämter vergeben seit Jahren
Patente auf gentechnisch veränderte Organismen, auf Organe, Zelllinien und einzelne
Gene.
Die Vergabe eines Patentes auf eine Pflanze hat weit reichende Folgen. Diese Pflanze und
all ihre Nachkommen sind mit der Patenterteilung alleiniges Eigentum des Patentinhabers
und können nur mit dessen Zustimmung und im Allgemeinen nach Bezahlung von
Patentgebühren von Landwirten verwendet werden. Ein Nachbau ist (s.o.) ebenso verboten
wie die Verwendung zum Zwecke der Weiterzucht.
Üblicherweise werden in einem Patentantrag nicht nur eine Sorte oder eine Art, sondern
ganze Pflanzenfamilien, alles was sich mit einem bestimmten Gen versehen lässt, verpackt.
So geraten mit einem einzigen Antrag gleichzeitig viele Arten in den Besitz eines Konzerns.
Patentiert werden nicht nur ganze Organismen, sondern auch einzelne Gene, für die dann
ebenfalls Patentrechte gelten. Dies wiederum verschafft Kontrolle über Pflanzen, die diese
Gene enthalten.
Begründet wird diese Vorgangsweise mit der Tatsache, dass für die Produktion von GVOs
sehr viel investiert werden muss und diese Investitionen sich rechnen müssen. Außerdem
bestehe die Gefahr, dass die Forschung auf diesem Gebiet aufhören könnte, würde kein
finanzieller Anreiz durch Patentgebühren bestehen.
Kritiker halten dem eine ganze Reihe von Argumenten entgegen:
Nahrungspflanzen als solche waren immer schon Allgemeingut aller Menschen und
nicht Privatbesitz eines Menschen oder einer Firma, die mit diesem Patentrecht die
Kontrolle über die Ernährung der Menschheit bekommt.
Gentechnisch veränderte Pflanzen sind keine Erfindung und sollten damit nicht
patentierfähig sein.
Prinzipiell wird die Patentierung von Lebewesen, aber auch von einzelnen Genen oder
Zellen, auch aus ethischen und religiösen Gründen, abgelehnt.
Wirtschaftliche Gründe sprechen ebenfalls gegen die Patentierung von Lebewesen und
Genen. Durch das Patentrecht wird die weitere Forschung behindert oder erschwert und
verteuert. Und Landwirte geraten in die Abhängigkeit der großen Chemiekonzerne, die
auch gleichzeitig die großen Saatgutfirmen sind. Die Verträge, die von den Bauern
unterschrieben werden müssen, wenn sie gentechnisch verändertes Saatgut anbauen,
wurden von Bauernvertretern auch schon als „Knebelverträge“ bezeichnet. Wie oben
erwähnt, ist eine eigenständige Verwendung des eigenen Erntegutes nicht mehr
möglich, weil es vertraglich und durch das Patentrecht verboten ist. Berühmt geworden
ist der Fall Percy Schmeiser aus Kanada, auf den im Kapitel 'Koexistenz' eingegangen
werden wird.
Vergabe von Patenten ist absolut keine Voraussetzung für Züchtung und Forschung.
Seit der Jungsteinzeit züchten Menschen immer wieder neue und verbesserte
Pflanzensorten, ohne Patentrechte dafür erhalten zu haben.
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Die Tendenz zu patentieren hat sich in den letzten Jahren verstärkt, denn inzwischen
bekommen sogar neue Varianten, die konventionell gezüchtet worden sind,
Patentschutz. Es scheint im Bereich des Lebens nichts mehr zu geben, was nicht
patentiert werden kann. Und wie gesagt, die Patente werden immer weit reichender,
umfassen oft zahlreiche Familien. Auch die Vorschriften für traditionelle Züchtungsarbeit
werden immer strenger. So wurde in der Zwischenzeit die so genannte
Farmerausnahme zurückgenommen, wonach Landwirte mit Sorten, die Sortenschutz
haben, selbstständig weiterarbeiten konnten. In neueren Abkommen wird auch die
frühere Züchterausnahme gestrichen, nach der es einst möglich war eingetragene
Sorten zur Weiterzucht zu verwenden.
Ein internationales Abkommen, TRIPS (Agreement on Trade Related Aspects of Intellectual
Property Rights), das im Rahmen der WTO (World Trade Organisation) verhandelt wurde,
wird von verschiedenen NGOs (Nichtregierungsorganisationen), vor allem von VetreterInnen
aus Dritte-Welt-Ländern, heftig kritisiert. Es bevorzugt eindeutig die Rechte der
Patentinhaber gegenüber denen der traditionellen Züchter und verpflichtet alle
Vertragsstaaten dazu, Patentrechte zu akzeptieren, sowie solche oder vergleichbare Rechte
selber zu schaffen. Die traditionelle Züchterarbeit wird nicht patentiert! Mit TRIPS haben sich
die reichen Staaten und die großen Konzerne die Patentrechte gesichert - über fast das
ganze Leben, wenn man an die Patentrechte für Lebewesen denkt oder an die für
Medikamente. Sie sind, um in materiellen Werten zu sprechen, zu einem Geldfluss vom
armen Süden in den reichen Norden geworden. Darüber hinaus zwingen die USA zahlreiche
arme Länder zu bilateralen Verträgen, die selbst die wenigen Möglichkeiten zum
selbstständigen Handeln des TRIPS Abkommens noch untergraben.
Eng verbunden mit der Patentproblematik ist die Biopiraterie.
Biopiraterie
Vermehrt gehen die großen Saatzuchtfirmen, vor allem aber auch die großen Pharmafirmen
dazu über, vorrangig die Länder der so genannten 3. Welt, die Länder des Südens nach
interessanten Pflanzen zu durchforsten. Diese Pflanzen, oder einzelne Gene daraus,
werden dann patentiert. Somit wird der Patentinhaber zum Eigentümer der betreffenden
Pflanze, womöglich erlangt er gleich noch das Patent über einige andere Pflanzen, in denen
diese Gene auch vorkommen oder eingebaut worden sind. Der Norden schickt Prospektoren
in die Länder des Südens, vornehmlich auch zu indigenen Gemeinschaften mit ihrem noch
enormen Wissen über Heilpflanzen; befragen sie, sammeln heimlich oder offen Proben und
nehmen all das erworbene Wissen mit in den Norden, wo dann ein Konzern sich die
Patentrechte darüber verschafft. Es gibt zahllose Beispiele für Biopiraterie und diese nimmt
stark zu. Wenn Sie bei google 'Biopiraterie' eingeben, bekommen Sie derzeit 7.420
Eintragungen.
Nicht nur pharmazeutisch interessante Pflanzen, sondern vor allem auch Nahrungspflanzen,
wie der berühmte asiatische Basmati-Reis, Bohnen aus Mexiko und zahlreiche andere
Pflanzen mehr, wurden de facto geraubt und mit Patentrechten versehen. Berühmt
geworden ist der indische Nehmbaum. Der Nehmbaum enthält eine große Zahl praktischer
Eigenschaften und weist eine Reihe wertvoller Inhaltsstoffe auf. U. a. enthält er ein Insektenabstoßendes Öl, das seit langem in Indien verwendet wird. Eine US-amerikanische Firma
hat das Öl isoliert und zum Patent angemeldet; mit der Folge, dass indische Bauern, die aus
ihren eigenen Nehmbäumen so wie bisher Öl extrahieren, nun aber diesem Konzern
Lizenzgebühren zahlen müssten. Das Patent wurde in den USA von mehreren
Gruppierungen beansprucht, allerdings erfolglos. Vor dem europäischen Patentamt in
17
München hatte ein Einspruch jedoch Erfolg gehabt, und das Patent wurde aufgehoben.
Dieser Erfolg bezog sich allerdings nur auf eines von vielen Patenten, die auf
Nehmbaumprodukten bestehen.
Auch wenn in der Konvention zur biologischen Vielfalt (Convention on Biological Diversity)
von 'access' and 'benefit sharing' die Rede ist, hat dies nicht zu einem Ende der Biopiraterie
geführt – im Gegenteil. Die nächste Nachfolgekonferenz der Konvention über biologische
Vielfalt wird heuer in Bonn erneut verhandelt. Sowohl NGOs als auch Vertreter der Länder
des Südens drängen auf Verbesserungen für die Rechte der indigenen Völker und lokalen
Züchter, sowie auf einen entsprechenden finanziellen Ersatz. Allerdings, die wichtigsten
Bremser sind auch aktiv. Unter den Vertragsländern sind dies Kanada, Australien und
Neuseeland, sowie selbstverständlich das Nichtvertragsland USA.
Die Biopiraterie in Verbindung mit den Patentierungen wird auch die zweite Kolonisation
genannt. Diese ist wahrscheinlich ebenso folgenreich, wenn nicht noch folgenreicher als die
erste. Sie betrifft aber langfristig alle Länder und alle Gesellschaften, da die Nahrungsmittel
dabei immer mehr in die Verfügungsgewalt und die Hände einiger weniger Konzerne
übergehen, von denen man nicht das Gefühl hat, dass sie etwas anderes als der Profit
interessiert. Der menschliche oder ökologische Preis dafür, den alle anderen zahlen und in
Zukunft bezahlen werden, spielt in deren Überlegungen offensichtlich keine Rolle.
Genetische Erosion
Schon bei der Besprechung der mit dem Goldreis verbundenen möglichen Probleme wurde
auf die Gefahr des Verlustes von angepassten lokalen Sorten hingewiesen. Generell wird
befürchtet und es ist genau genommen zu erwarten, dass die Gentechnik in der
Landwirtschaft zu einem weiteren Sortenverlust führen wird. Je großflächiger diese Pflanzen
angebaut werden, desto mehr verschwinden andere Pflanzen, und deren Genschatz geht
verloren.
Die so genannte Grüne Revolution mit ihren Hochleistungssorten und der Agrarchemie hat
in der Vergangenheit bereits zum Verschwinden zahlreicher Nutzpflanzensorten geführt.
Durch die Verwendung gentechnisch veränderter Pflanzen wird dieser Verlust an Genen
noch beschleunigt werden. Wenn statt der vielen lokal angepassten und lokal entwickelten
Sorten nur einige wenige gentechnisch veränderte Arten angebaut werden, bedeutet das
einen nicht wieder gut zu machenden Verlust an Genen, an Eigenschaften und zwar für die
Menschheit. Besonders betroffen sind natürlich die jeweiligen Regionen mit ihren
Landwirten, denn diese verlieren die an ihre Umwelt angepassten Sorten und tauschen sie
gegen einige wenige Sorten, über die sie keine Verfügungsgewalt haben, die aber auch
längst nicht so gut an die jeweilige Situation angepasst sind.
Dieser Aspekt wird sich in der Zukunft noch viel mehr auswirken als man heute
vordergründig vermuten würde. Im Gegensatz zu alten lokal entwickelten Sorten haben
Hochertragspflanzen einen erhöhten Düngerbedarf. Mineraldünger, aber auch Pestizide,
und dazu gehören ebenfalls die zwangsweise zu verwendenden Totalherbizide, sind direkt
abhängig von Erdöl. Pestizide werden direkt aus Erdöl hergestellt. Und Kunstdünger ist in
seiner Produktion bekanntlich sehr energieintensiv und damit ans Erdöl gekoppelt. D. h., die
Landwirtschaft in ihrer jetzigen Form wird mit steigendem Ölpreis wahrscheinlich immer
teurer und irgendwann einmal nicht mehr finanzierbar bzw. auch überhaupt nicht mehr
möglich sein. Dann werden wir angepasste, vielleicht gegen Schadinsekten oder
Krankheiten resistentere alte Landsorten brauchen; abgesehen davon, dass ja auch jetzt
schon das Bestreben zu beobachten ist, in die bestehenden ertragreichen Sorten
Resistenzen gegen Krankheiten etc. einzukreuzen. Aber dazu braucht man ein breites
18
genetisches Reservoir, eben all die vielen erwähnten Landsorten, die man nicht verlieren
darf.
Die genetischen Ressourcen sind aber noch aus einem anderen Grund bedroht, und zwar
von der Kontamination mit gentechnisch veränderten Pollen oder Samen. Das ist auch die
zentrale Problematik bei der Frage, ob es eine Koexistenz zwischen gentechnikfreier und
gentechnischer Landwirtschaft geben kann.
Koexistenz zwischen gentechnischer und gentechnikfreier Landwirtschaft.
Zuerst kurz etwas zum Problem der Kontamination von Wildsorten oder alten Landsorten,
die wertvolle Gene für die Weiterzucht und den Erhalt der Ernährungssicherheit haben.
Leider sind diese bedroht. Bekannt ist ein Beispiel aus Mexiko, wo in Maisursprungssorten
Teile von Genkonstrukten aus gentechnisch verändertem Mais gefunden worden sind; und
zwar weitab von Anbaugebieten von gv Mais und während eines Moratoriums für GVOs in
Mexiko. Wahrscheinlich sind die gentechnischen Veränderungen über Importmais aus den
USA nach Mexiko in die entlegenen Gebiete gekommnen. Dieser importierte Mais ist dort
vermutlich nicht nur als Nahrungsmittel, sondern auch als Saatgut verwendet worden. Die
USA trennen nicht in gv und konventionelles Saatgut, außer sie werden dazu gezwungen,
wie beim Export nach Europa. Welche Folgen eine solche Kontamination der Ressourcen
hat, ist nicht absehbar, es besteht nur die einhellige Meinung, dass so etwas vermieden
werden sollte.
Inzwischen drängen die USA auf Export und Anbau von gv Mais nach und in Mexiko, was
immerhin eines der Ursprungsländer des Mais ist. In anderen Staaten Mittelamerikas, in
weiteren Ländern mit einer hohen pflanzlichen genetischen Vielfalt, werden ebenfalls
gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut. Diese sind Ursprungsländer zahlreicher
Kulturpflanzen. Im Irak z. B., zwingen die amerikanischen Besatzer die Bauern gentechnisch
verändertes Saatgut zu verwenden und auf ihre lokal gezüchteten Sorten zu verzichten. Das
ist nicht nur eine Tragödie für eben diese Bauern, sondern auch ein enormer Verlust an
wertvollen Pflanzen. Immerhin ist der vordere Orient eines jener Gebiete mit einem
besonders reichen Schatz an Ursprungspflanzen für unsere Nahrung. Diese
Ursprungspflanzen sind nun durch die zu erwartende Kontamination mit diversen
Genkonstrukten bedroht.
Probleme mit Wildpflanzen können immer dann auftreten, wenn es in der Gegend kreuzbare
Wildpflanzen gibt. Bei uns ist das der Raps, der mit einigen anderen Kreuzblütlern gekreuzt
werden kann. Auf diese Weise geraten die künstlich eingebauten Gene in die
Wildpopulationen; mit all ihren negativen Folgen, wie sie im Zusammenhang mit der
Herbizid- und Insektenresistenz bereits angesprochen wurden.
Nun zum Nebeneinander von gentechnisch orientierter und konventioneller oder gar
biologischer Landwirtschaft:
Es ist nicht damit zu rechnen, dass ein Nebeneinander langfristig möglich ist. Durch die
Verbreitung von Samen und Pollen (Wind, Insekten, . . .) - oft über weite Strecken - werden
die künstlich erzeugten Genkonstrukte auf andere Pflanzen übertragen und können sich so
unkontrolliert verbreiten. Davon können auch Nutzpflanzen auf benachbarten Feldern
betroffen sein. In Kanada ist es als Folge des großflächigen Anbaus von gentechnisch
veränderten Pflanzen praktisch unmöglich geworden biologischen Raps anzubauen oder zu
ernten, da durch Pollenverbreitung die Ernte der biologischen Bauern regelmäßig
gentechnisch verseucht worden ist.
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Kanada, mit seiner hohen Dichte an gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln, ist ein
besonders erschreckendes Beispiel für die Folgen eben dieser Technologie. Der
Vizepräsident von Kanadas National Farmers Union erklärte vor kurzem, dass es in Kanada
unmöglich sei zwischen gv und konventionellem Raps zu unterscheiden, da auch der
konventionelle praktisch gv Raps ist - wegen der Kreuzbestäubung. Im Gegensatz zu den
offiziellen Aussagen von Regierungen, etc. betonte er, dass die Einführung der
Gentechnologie die Rapsbauern habe verarmen lassen und dass diese Entwicklung zu einer
Landflucht geführt habe - wegen der hohen Preise des Saatguts und des Verlustes der EU
als Absatzmarkt, aber auch, weil die Erträge nicht gestiegen sind.
Berühmt geworden ist der Fall Percy Schmeiser, ebenfalls in Kanada. Schmeiser hat
konventionellen Raps zur Saatgutvermehrung angebaut. Durch Pollenflug wurde sein
Raps, ohne dass er es wusste, mit gentechnisch veränderten Pollen kontaminiert. Sein
Saatgut hat nun gentechnisch veränderte Samen enthalten. Der Chemie- und
Saatgutmulti Monsanto hat heimlich Proben von Percy Schmeisers Produkten gezogen
und Schmeiser auf Herausgabe der Ernte, sowie auf Patentgebühren (insgesamt eine
Million Kanadische Dollar) verklagt. In den ersten beiden Instanzen haben die Gerichte
Monsanto Recht gegeben (!). Der oberste Gerichtshof hat Monsanto zwar im Prinzip
ebenfalls Recht gegeben, aber die Strafzahlung für Schmeiser gestrichen. Trotzdem
musste Schmeiser diese Prozessgebühren bezahlen, was ihm nur durch Verpfänden
eines Teils seiner Äcker und durch Rückgriff auf Veranlagungen, die für seine
Altersversorgung bestimmt waren, möglich war. Inzwischen hat Percy Schmeiser
seinerseits Monsanto auf Schadenersatz geklagt.
Neben der Verbreitung durch Pollen wird vor allem auch die Kontamination durch Ernteund Sämaschinen zu einem Problem werden. Die effektive und sehr gründliche
Reinigung der landwirtschaftlichen Maschinen ist äußerst zeitaufwändig und kann in der
Hektik der Ernte zu einem Problem, wenn nicht gar unmöglich werden, aus
wirtschaftlichen Gründen, wie professionelles Erntepersonal bei einer Befragung im
Detail erklärt hat.
Wiederholt sind in der Vergangenheit in Ernten gv Kontaminationen, die nicht für die
menschliche Nahrung zugelassen waren, gefunden worden. Dabei war es nicht immer
möglich, die Ursache der Verunreinigung nachzuweisen. Dies führt jedes Mal zur
Vernichtung der Lieferungen. Auch in Saatgut, das als gentechnikfrei deklariert war, sind
wiederholt Kontaminationen mit gv Saaten gefunden worden, was ebenfalls meist zur
Vernichtung führt. So gesehen stellt sich die Gentechnik als Methode zur Vernichtung
von Ernten heraus.
In Spanien hat der Anbau von gv Pflanzen zu einem teilweise dramatischen Einbruch
bei biologisch angebauten Pflanzen geführt. Da eine Kontamination mit gv Pflanzen
nicht verhindert werden kann, haben zahllose Bauern die biologische Wirtschaftsweise
aufgeben müssen, in einigen Landesteilen bis zu 70% der biologisch arbeitenden
Landwirte.
Demgegenüber berichtet das portugiesische Agrarministerium, dass es möglich
gewesen sei, die Kontamination der gentechnikfreien Produkte mit gv Mais unter 0,4%
zu halten, also unter dem Grenzwert der EU. Die gleiche Aussendung berichtet auch,
dass die Erträge durchschnittlich höher und die Insektizidanwendungen durchschnittlich
niedriger gewesen seien. In Portugal werden derzeit auf etwas mehr als 4000 ha gv
Pflanzen angebaut. Portugal ist übrigens das einzige Land in der EU, das eine völlig
legale GMO freie Provinz, nämlich Lagos, hat und darüber hinaus ein striktes Monitoring
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des gv Anbaus vorschreibt. Das ist allerdings die einzige Meldung dieser Art, und stellt
eine Rarität dar. Dies wird wahrscheinlich mit den noch geringen Mengen an gv Saaten
in Portugal zusammenhängen.
Unerwartete Nebeneffekte
Es ist nicht vorhersehbar, ob beim Einbau von Fremdgenen nicht unerwünschte
Nebeneffekte entstehen, deren Folgen u. U. lange verborgen bleiben, da man mit ihnen
nicht gerechnet und daher auch nicht danach gesucht hat. Tatsächlich gibt es im Bereich
der Gentechnologie eine Reihe von Beispielen, wo der Einbau von Genkonstrukten zu
unerwarteten und unerklärlichen Nebeneffekten geführt hat. Einige davon habe ich bereits
erwähnt. Diese unerwünschten Nebeneffekte sind nicht weiter verwunderlich; und wie vieles
bei dieser Technologie zu erwarten gewesen. Das Genom, also die Gesamtheit der Gene
der Erbanlagen einer Pflanze, ist kein wirrer Haufen, dem man einfach unkontrolliert Gene
hinzufügen kann. Im Gegenteil, eines jeden Lebewesens Erbanlagen sind ein
wohlgeordnetes, auf einander abgestimmtes Ganzes in enger Verflechtung untereinander
und mit der Umwelt. Darauf werde ich noch einmal zu sprechen kommen. Jede Änderung
kann eine Störung bedeuten, die wiederum unerwartete, weil nicht kontrollierbare Effekte
haben kann.
Allergierisiko
Die gentechnische Veränderung führt dazu, dass die Pflanzen andere, zusätzliche, ihr an
sich fremde Eiweiße erzeugt. Diese zusätzlichen Eiweiße stellen ein dauerndes
Allergierisiko dar, das umso größer wird, je mehr Gene ausgetauscht und transferiert
werden.
Hungerproblematik
Kann die Gentechnik zur Lösung der Hungerproblematik beitragen? Dies ist ja eines der
häufigen Argumente der Befürworter einer Grünen Gentechnologie. Durch eine schon oben
erwähnte Anpassung an trockene oder versalzene Böden könnten die Anbaugebiete von
Nahrungspflanzen
ausgeweitet
werden.
Ertragreichere
Sorten
würden
das
Nahrungsangebot erhöhen und anderes mehr.
Einerseits gibt es diese immer wieder versprochenen Wunderpflanzen noch nicht (s. o.);
andrerseits wird von Kritikern befürchtet, dass die globale Einführung von Gentechnik in der
Landwirtschaft wegen der hohen Kosten für Patentrechte, sowie des Verbots des
Wiederanbaus etc. den Hunger in den armen Ländern noch verschärfen werde. Besonders
die Patentierung von traditionell gezüchteten und verwendeten Pflanzen, die die
traditionellen Anwender zu Patentgebühren zwingen würde, könnte in den Ländern des
Südens zu verheerenden Folgen führen. Hier muss auch noch einmal auf die schon früher
erwähnte genetische Erosion zurückgekommen werden. Der Verlust von angepassten
Sorten kann weit reichende langfristige Folgen für die Ernährungssicherheit haben.
Nahrungssicherheit wird durch eine Vielzahl von nebeneinander bestehenden lokal
angepassten Sorten, die natürlich immer wieder verbessert werden können, gewährleistet.
Diese kontinuierliche Verbesserung des Saatguts hat sich seit Jahrhunderten bewährt. Es
gibt so viele Züchtungstechniken und auch gerade in letzter Zeit neu entwickelte, die
gänzlich ohne Gentechnik und damit ohne Fremdgene auskommen, und viele verschiedene
gewünschte
Eigenschaften
hervorbringen.
Durch
Patentierung
und
geistige
Eigentumsrechte aber werden gerade diese Kulturleistungen und wichtigen
21
Weiterentwicklungen unterbunden.
Außerdem - Hunger ist bekanntlich keine Folge von Nahrungsmittelmangel, sondern von
Armut. So wie die Grüne Revolution den Hunger nur vermehrt hat, würde eine genetische
Revolution vermutlich den gleichen Effekt haben.
Gentechnische Veränderung versus Züchtung
Ein weiterer Aspekt soll noch erwähnt werden: Seitens der Befürworter wird oft argumentiert,
gentechnische Veränderung sei nichts anderes als Züchtung mit anderen Methoden. Aber
das stimmt nicht. Es war früher unmöglich in z. B. Baumwolle Bakteriengene einzukreuzen,
weil man Baumwolle nur mit Baumwolle kreuzen kann. Diese Schranke gibt es in der
Gentechnik nicht mehr. Man kann neue Lebewesen erzeugen, die man so nicht züchten
könnte, und die so auch nicht in der Natur entstehen könnten. Gentechnik unterscheidet sich
daher qualitativ und grundsätzlich sehr deutlich von der klassischen Züchtung.
Gentechnisch veränderte Tiere
Dieser Bereich war bislang bedeutend weniger erfolgreich als die Manipulation von
Pflanzen. Technisch ist diese Manipulation viel schwieriger durchzuführen. Bei Tieren
genügt es nicht eine Körperzelle in der Zellkultur zu verändern; aus einer isolierten Kuhzelle
wird keine Kuh. Man muss Eizellen oder befruchtete Eizellen manipulieren, eine künstliche
Befruchtung vornehmen und die Embryonen dann, so es sich um Säuger handelt, in einem
so genannten Ammentier heranwachsen lassen. D. h., sie werden in ein empfängnisbereites
Tier eingesetzt, das den Embryo austrägt. Etwas einfacher ist es beispielsweise bei Fischen,
da diese meist im Wasser heranreifen, also kein Ammentier brauchen. Außerdem sind
Fischeier viel leichter und in viel größerer Zahl zu bekommen als Eizellen von Säugern,
auch viel größer, was ihre rein technische Manipulation einfacher macht.
Experimente wurden mit Schweinen gemacht, denen Gene für ein menschliches
Wachstumshormon eingesetzt worden waren – sie sollten rascher wachsen und größer
werden. Diese Versuche waren wenig erfolgreich. Sie taten zwar, was man von ihnen
erwartet hatte - sie wuchsen schneller - waren aber derart gesundheitlich geschädigt, dass
die Experimente nie weitergeführt wurden, oder dass versucht worden wäre sie zur
Serienreife zu bringen.
Erfolgreicher verlief die Produktion von transgenen Fischen. Auch hier ging es um den
Einbau von Wachstumshormonen von Menschen oder von größeren Fischen. Derartig
veränderte Fische wachsen tatsächlich schneller und werden bedeutend größer. Erfolgreich
waren auch Versuche, Lachse durch Einbau von Genen anderer Fische an kältere
Gewässer anzupassen.
Einige Risiken sind aber auch hiermit verbunden. Diese Tiere produzieren andauernd große
Mengen an Wachstumshormonen, sind also unter Hormonstress und entsprechen Tieren,
die mit zusätzlichen Hormonen gedopt sind.
Abgesehen vom gesundheitlichen Aspekt befürchtet man vor allem große ökologische
Gefahren und schwerwiegende Folgen, wenn solche Tiere in die freie Natur entkommen.
Und es ist zu erwarten, dass sie eines Tages entkommen werden. Diese Versuche wurden
trotz tatsächlicher Erfolge nicht weitergeführt und bislang nicht kommerziell angewandt –
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wegen der zu erwartenden Ablehnung durch die KonsumentInnen – womit man den Effekt
der Ablehnung durch viele Menschen und somit die Macht der KonsumentInnen erkennen
kann.
Ein Sonderfall im Berech der Gentechnik bei Tieren ist das gentechnisch erzeugte oder
rekombinante Rinderwachstumshormon (rBST). Werden Kühe regelmäßig damit behandelt,
steigt die Milchleistung um ca. 10% an.
Abgesehen davon, dass es fraglich ist, ob wir einen Bedarf an höherer Milchleistung haben,
sind mit diesem Wachstumshormon zahlreiche Probleme verbunden. Was die Tiere selbst
betrifft, so sind sie krankheitsanfälliger, leiden häufiger an Entzündungen. Außerdem sind
sie wegen der enormen Milchleistung, die sie erbringen müssen, früh ausgelaugt und
müssen schon nach wenigen Jahren der Milchproduktion geschlachtet werden. Man kann
diese Kühe auch nicht mit dem traditionellen Futter für Rinder, nämlich Gras oder Heu,
füttern. Sie brauchen eiweißhältiges Kraftfutter und werden so praktisch zum
Nahrungskonkurrenten des Menschen. Was die Konsumenten betrifft, so steht diese Milch
im Ruf Tumorwachstum zu fördern. In Europa ist der Einsatz von rBST verboten, in den
USA, wo Hormone in der Tierzucht generell erlaubt sind, ist seine Verwendung zugelassen.
Allerdings wehren sich auch in den USA gerade in der letzten Zeit Verbraucherverbände
dagegen. Und immer mehr Lebensmittelkonzerne und Handelsketten setzen auf Milch, die
frei von Wachstumshormonen ist.
23
Gentechnisch veränderte Tiere in der medizinischen Anwendung
Zwei Forschungsrichtungen beschäftigen sich mit gentechnisch veränderten Haustieren, die
nicht der Nahrungsmittelproduktion, sondern der medizinischen Anwendung dienen. Da es
häufig verwendete Nutztiere betrifft, sollen sie, ähnlich den Pharmapflanzen, hier ergänzend
behandelt werden, auch wenn sie beide ebenfalls zum Bereich der Gentechnik in der
Medizin, also zur Roten Gentechnik, gehören.
Einer dieser Bereiche ist das Pendant zu den Pharmapflanzen in der Tierzucht; man spricht
auch von 'gene farming': Milchgebende Tiere sollen so umgebaut werden, dass sie
verschiedene Medikamente mit ihrer Milch erzeugen. Es gibt einige dieser Tiere, die
tatsächlich in ihrer Milch Medikamente haben. Diese Milch ist natürlich als Milch
unbrauchbar, sie ist ein reines Medikamentenlager. Sie dient nur dazu, aus ihr das
Medikament zu isolieren. Selbstverständlich kann das Muttertier seine Jungen auch nicht
säugen, da diese mit der Milch das Medikament mittrinken würden.
Bei dieser Methode wird das Klonen von Tieren interessant. Wenn man diese Tiere klont,
bekommt man genetisch identische Kopien, die alle diese Medikamente erzeugen.
Insgesamt scheint aber die Produktion von Medikamenten in Pflanzen offensichtlich
bedeutend einfacher zu sein, weshalb diese Forschung mehr forciert wird und schon viel
erfolgreicher war und ist.
Der zweite hier zu erwähnende Bereich ist die Produktion von transgenen Schweinen für die
Transplantationsmedizin für so genannte Xenotransplantate (Transplantate von einer
anderen Spezies). Wegen des akuten Mangels an menschlichen Organen versucht man
schon seit längerer Zeit Schweine genetisch so zu verändern, dass ihre Organe weniger
heftig abgestoßen und deswegen in der Humanmedizin als Transplantate verwendet werden
können.
Es stellt möglicherweise eine zusätzliche Belastung dar zu wissen, dass man mit
Tierorganen weiterlebt. Man darf diesen psychologischen Aspekt nicht ignorieren, gibt es
doch Vermutungen, dass etwa die Hälfte der Abstoßungsreaktionen bei
Organtransplantationen seelisch bedingt ist.
Vor allem aber bergen Xenotransplantate unvorhersehbare Risiken. Es besteht die Gefahr,
dass in Schweinen vorkommende Viren sich dabei an den Menschen anpassen und bislang
unbekannte Krankheiten, eventuell sogar Seuchen auslösen können.
Darüber hinaus wird der ethische Aspekt diskutiert, inwieweit der Mensch das Recht hat
Tiere so zu instrumentalisieren, dass diese von ihrer Genetik her zum bloßen Ersatzteillager
für den Menschen werden.
24
Lebensmittelzusätze aus gentechnisch veränderten
Mikroorganismen
Fast unüberschaubar ist der Bereich der Produktion von Lebensmittelzusätzen, Enzymen,
etc. zur Bearbeitung von Lebensmitteln, die mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen
erzeugt werden.
Die derzeitigen Ernährungstrends mit immer mehr Teil- und Ganzfertigwaren verlangen
nach immer mehr Zusätzen und Nahrungsergänzungen – gar nicht zu reden vom
wachsenden Markt des 'functional food'.
Viele dieser Zusätze können mit Hilfe gentechnisch veränderter Mikroorganismen rascher,
leichter und billiger hergestellt werden, als dies konventionell möglich ist. Das gilt auch für
Enzyme in der Waschmittelindustrie.
Ebenso können Mikroorganismen, die in der Nahrungsmittelproduktion (Yoghurt, Bier,
Würste, . . .) verwendet werden, gentechnisch optimiert oder mit Zusatzfunktionen versehen
werden, sodass die Produktion schneller, mit größerer Effizienz, etc. erfolgt.
Unabsehbar ist auch die Entwicklung im Bereich der Zusätze aus Sojabohnen, Mais und
anderen stärkehaltigen Produkten, wie etwa Glukosesirup aus Stärke. Solche Produkte sind
in wirklich sehr vielen industriell gefertigten Nahrungsmitteln enthalten.
Eine Deklarationspflicht besteht derzeit nur, wenn der gentechnisch veränderte Zusatz
nachweisbar ist. Das ist eher selten der Fall. Deklarationspflicht besteht auch, wenn der
gentechnisch veränderte Organismus im Produkt enthalten ist.
Die Anwendung beginnt bei einfachen Zusätzen, wie Vitaminen und Geschmacksstoffen,
Geschmacksverstärkern, Süßstoffen, sei es Aspartam oder Glukosesirup aus gv Mais; und
reicht bis zu komplexeren Molekülen, wie die oben erwähnten Enzyme. All dies hat
heutzutage vielseitige Verwendung. Man muss nur einmal die Produktdeklaration
irgendeines Teil- oder Ganzfertiggerichtes, eines Kekses oder eines anderen verpackten
Produktes durchlesen, um zu sehen wie allgegenwärtig Lebensmittelzusätze sind. Somit ist
die Palette der Produkte, die gentechnisch erzeugt werden können, enorm.
Enzyme finden vor allem in der Backindustrie Verwendung. Einerseits findet man sie in den
vielen halbfertigen Teigen, die in jedem Supermarkt frisch aufgebacken werden,
andererseits aber auch in Broten, um die Kruste zu verbessern oder sie länger weich zu
erhalten. Außerdem kommen Enzyme in der Wurst und auch in der Käseproduktion zur
Anwendung. Sie werden ebenfalls in Waschmitteln verwendet; aber diese essen wir ja nicht.
Bier kann mit gentechnisch verändertem Getreide erzeugt werden, was nicht nachweisbar
ist; es können aber auch gentechnisch veränderte Hefen zum Einsatz kommen, wie dies seit
einigen Jahren in England praktiziert wird. Bei der Herstellung von alkoholreduzierten oder
alkoholfreien Bieren könnte die Gentechnik zum Einsatz kommen.
Bislang sind keine unerwünschten Effekte nachgewiesen worden. Aber es gibt auch kaum
Risikoforschung. Nicht auszuschließen ist allerdings auch hier ein Allergierisiko. Ein Problem
liegt generell in der Verwendung der großen Anzahl an Lebensmittelzusätzen,
Fertiggerichten etc., die teilweise gesundheitlich bedenklich und meist von zweifelhaftem
Ernährungswert sind; die ohne die Möglichkeiten der Gentechnik wahrscheinlich nicht in
diesem Ausmaß vorhanden wären.
25
Zu denken gibt das L-Tryptophan Problem, dessen Auftreten allerdings schon so viele Jahre
zurückliegt, dass es fast in Vergessenheit geraten ist. Ein japanischer Konzern ist vor
Jahren für die Produktion von L-Tryptophan, einem Zusatz in Beruhigungsmitteln und
Kraftnahrung für Sportler, auf gentechnisch veränderte Bakterien umgestiegen. In der Folge
erkrankten zahlreiche Menschen, die die Medikamente eingenommen hatten; weltweit
starben 30 Personen. Mit der Rückkehr zu den alten, nicht manipulierten Bakterienstämmen
traten diese teilweise sogar tödlichen Auswirkungen nicht mehr auf. Die Ursache für die
Krankheiten und Todesfälle wurde nie ganz geklärt. Wahrscheinlich ist, dass die
gentechnische Manipulation den Stoffwechsel der Bakterien stärker als geplant verändert
hat und ein zusätzliches Produkt erzeugt worden ist, das unerkannt blieb und die tödlichen
Effekte ausgelöst hat. Unerwartete Nebeneffekte tauchen, wie schon mehrfach erwähnt, in
gentechnisch veränderten Lebewesen systembedingt immer wieder auf und stellen
deswegen ein nie ganz auszuschließendes Risiko dar.
Schlussüberlegungen
Abschließen möchte ich dieses Kapitel mit einem Zitat der Schweizer Biologin und Mitglied
der eidgenössischen Ethikkommission Florianne Köchlin, die dabei von einem mehr
theoretischen, biologischen Gesichtspunkt ausgeht:
„Ich hege große Skepsis gegenüber der massenhaften gentechnischen Veränderung von
Pflanzen. Das sind immer noch krude Eingriffe, bei denen weder der Ort noch die Anzahl
der eingebrachten Fremdgene kontrolliert werden können. Cesare Gessler vom Institut für
Pflanzenpathologie an der ETH Zürich, nennt die Gentechnik, die heute bei Pflanzen üblich
ist, eine Dinosauriertechnik, wo wir nicht wissen, in welche komplexen Zusammenhänge wir
eingreifen, welche epigenetischen Netzwerke gestört werden. Und gerade solche ersten
Einblicke in die immense Komplexität dynamischer Netzwerke, die es Zellen, Organen und
Lebewesen ermöglichen, flexibel auf Umweltänderungen zu reagieren, legen nahe, dass es
eine andere Herangehensweise braucht. Der lineare und mechanistische Ansatz der
Gentechnik, geeignet allenfalls für molekulare Maschinen, greift zu kurz.“
(http://www.blauen-institut.ch/Pg/pG/pGn/a_Gd.html). Was hier über die gentechnische
Veränderung von Pflanzen gesagt wird, gilt gleicherweise auch für die Manipulation von
anderen Lebewesen.
Medizinische Anwendung
Die direkte medizinische Anwendung der Gentechnik stößt auf weniger Ablehnung. Dies gilt
insbesondere für die Produktion von Medikamenten – verständlich, kann doch jede/r in die
Situation kommen ein derartiges Medikament zu brauchen. Außerdem hat man vor der
Medizin und vor Krankheiten oft sehr viel Respekt.
Produktion von Medikamenten
Dies ist ein besonders stark expandierender Zweig der Medizin, mit immer neuen
Produkten. Oft handelt es sich um körpereigene Stoffe, von denen bei manchen Menschen
entweder generell zu wenig erzeugt wird oder von denen zu bestimmten Zeiten, im
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Krankheitsfall, mehr gebraucht wird.
Die Technik ist die, dass man in Bakterien das Gen, also die Bauanleitung für den
entsprechenden Stoff, einbaut und diese so gentechnisch veränderten Bakterien dann dazu
bringt dieses Medikament zu erzeugen. Nachdem Bakterien sich sehr schnell vermehren
(sie verdoppeln sich unter guten Bedingungen alle 20 bis 30 Minuten), kann man auf diese
Weise die gewünschte Menge des Medikamentes erzeugen.
Am Anfang dieser Entwicklung stand gentechnisch hergestelltes Humaninsulin für
Diabetiker. Das früher nur von Schlachttieren stammende Insulin hat bei PatientInnen
gelegentlich Unverträglichkeiten ausgelöst, was man zu umgehen hoffte durch den Einsatz
von Insulin aus Bakterien, denen man das menschliche Insulingen eingesetzt hatte.
Inzwischen ist vorwiegend Humaninsulin auf dem Markt und die tierischen Insuline werden
immer seltener.
Humaninsulin hat den Nachteil, dass der hypoglykämische Schock, der Unterzucker, wie
man diesen Zustand auch nennt, sich wenig deutlich anzeigt, was für Betroffene sehr
unangenehm bzw. gefährlich sein kann. Bei tierischen Insulinen kündigt sich der Zustand
des akuten Blutzuckermangels, der zum Kollaps führen kann, deutlicher und früher an und
die Betroffenen können geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen, was bei Humaninsulin
gelegentlich nicht mehr gelingt. Die Hoffnung, dass Humaninsulin keine Unverträglichkeiten
haben wird, wurde leider auch nicht erfüllt. Eine vor kurzem bekannt gewordene
Übersichtsstudie zum Einsatz von Humaninsulin sieht keine Vorteile gegenüber den alten
tierischen Insulinen. Es hat außerdem den Nachteil teurer zu sein als tierisches Insulin.
Eines der Probleme für Menschen, die Humaninsulin nicht vertragen, ist das erwähnte
Verschwinden der tierischen Insuline vom Markt.
Seit einiger Zeit sind gentechnisch hergestellte Insulinanaloga, auch Kunstinsulin genannt,
auf dem Markt. Kunstinsulin ist ein gezielt verändertes Insulin, von dem es mehrere
verschiedene Sorten gibt. Insulinanaloga dienen neuerdings als Ausweg für Menschen mit
Unverträglichkeit gegenüber Humaninsulin. Sie sind allerdings sehr teuer und stehen im
Verdacht das Tumorwachstum zu fördern. Vor seiner Einführung und Zulassung durch die
Behörden wurden keine Untersuchungen über Langzeitwirkungen durchgeführt; was gerade
bei Insulin wichtig wäre, da Diabetiker ja jahre- bis jahrzehntelang Insulin brauchen.
Verglichen mit den alten tierischen Insulinen sind die gentechnisch hergestellten wesentlich
teurer - eine nicht zu unterschätzende Belastung für das Gesundheitswesen. In Summe
scheinen Diabetikervereinigungen und einzelne Diabetologen das Humaninsulin etwas
kritischer zu beurteilen als viele Ärzte und die Pharmaindustrie.
Ein anderes bekanntes gentechnisch hergestelltes Medikament ist das Erythropoetin, das
die Blutbildung anregt. Es hat sich inzwischen zu einem beliebten Dopingmittel im
Spitzensport entwickelt, kann allerdings mit den entsprechenden Analysen nachgewiesen
werden. Der illegale Einsatz als Dopingmittel gilt auch für das gentechnisch hergestellte
Wachstumshormon. Wachstumshormon kann medizinisch bei einigen Formen von
Minderwuchs eingesetzt werden und ergibt eine Wachstumssteigerung von ca. 10%. Neben
dem Missbrauch im Sport wird Wachstumshormon auch gelegentlich missbräuchlich von
Eltern für ihre zwar normal- aber kleinwüchsigen Kinder verwendet. Was medizinisch höchst
problematisch ist, da Wachstumshormon vielfältige Wirkungen im Körper entfaltet. Der
unkontrollierte Einsatz, wie z. B. als Dopingmittel, hat gravierende medizinische
Nebenwirkungen. Ein anderes Beispiel sind Gonadotropine, Hormone, die bei der
künstlichen Befruchtung zur Erhöhung der Eizellreifung eingesetzt werden, oder
Interferone, die entweder bei Multipler Sklerose oder bei einigen seltenen Tumoren
27
verwendet werden. Schließlich sei noch der Gerinnungsfaktor VIII erwähnt, der den
meisten Menschen mit Hämophilie (Bluterkrankheit) fehlt und der früher aus Spenderblut
hergestellt worden ist. Ebenso werden vermehrt Impfstoffe auf gentechnischem Weg
hergestellt.
Insgesamt haben die gentechnischen Medikamente zu einem Teuerungsschub im
Gesundheitswesen geführt.
Dies ist auch einer der Kritikpunkte, dass nämlich immer mehr Geld für aufwändige
Spezialitäten verwendet wird und dafür die Basisversorgung zunehmend zu kurz zu
kommen droht.
Andere kritische Fragen in diesem Zusammenhang wären, ob alle Medikamente wirklich
sinnvoll sind, oder ob man für ein Produkt einen Absatzmarkt gesucht und gefunden hat
(Interferon wurde anfänglich erzeugt, weil man hoffte es in der Krebstherapie einsetzen zu
können. Bis auf einige Krebsarten hat es sich aber als erfolglos erwiesen. Daraufhin suchte
man intensiv nach einer Verwendung und fand schließlich, dass es bei Multipler Sklerose
verlangsamend auf die Krankheitsschübe wirkt, wo es jetzt hauptsächlich eingesetzt wird).
Oder wie im Falle des Insulins, wie oben erwähnt, wo mit der Produktion der gentechnisch
erzeugten Insuline, die ökonomisch weitaus günstigeren tierischen Insuline weitgehend
fallen gelassen worden sind und Patientinnen und Patienten, die die Humaninsuline nicht
vertragen auf die teuren und nicht unriskanten Kunstinsuline angewiesen sind.
Nicht diskutiert ist die Frage, ob Freiwerden von Mikroorganismen, die Medikamente
produzieren, nicht Probleme in der Umwelt machen kann. Tatsächlich konnte man
gentechnisch veränderte Medikamente im Abwasser von Fertigungsanlagen nachweisen.
An sich werden Bakterien, die zur Medikamentenproduktion dienen, verkrüppelt, so dass
sie in der Natur nicht lange überleben können, sodass daher kein großes Risiko drohen
sollte. Nicht auszuschließen ist aber, dass gentechnisch veränderte Medikamente
produzierende Bakterien diese Eigenschaft an andere Bakterien weitergeben
Offen ist auch die Frage, ob diese humanidenten, also nicht vom Menschen produzierten
aber den menschlichen Stoffen mehr oder weniger identen Stoffe, nicht eventuell
Autoimmunerkrankungen auslösen können.
Und natürlich muss man bei jedem aufwändigen medizinischen Verfahren fragen, ob man
die Energie nicht lieber in Vorbeugen, also Ursachenbehandlung stecken oder ganzheitliche
Behandlungsmethoden besser erforschen sollte.
Ein neuer Bereich der gentechnischen Pharmaforschung ist die Pharmacogenomic. Dabei
versucht man auf Grund von genetischen Unterschieden herauszubekommen, welches
Medikament für wen passt, welches die kleinsten Nebenwirkungen hat, oder welches
wirkungslos sein wird. Man spricht von maßgeschneiderten Medikamenten. Mit Hilfe von
Gentests sollen PatientInnen einmal vor der Verschreibung untersucht werden, ob jemand
auf Grund seiner Gene für ein bestimmtes Medikament geeignet ist. Auch wenn die
Pharmafirmen intensiv an solchen Fragestellungen arbeiten, wird es wohl noch eine Zeit
dauern und es fragt sich für wie viele Medikamente die passenden Menschen mittels
Gentest gefunden werden können. Der allgemeine Aufwand mit Gencheck für Jedermann
vor der Medikamentenverabreichung muss beträchtlich sein. Allerdings würde das eine
Menge unnützer, ungezielter Behandlungen ersparen oder Therapien weitaus wirkungsvoller
machen.
28
Mögliche Probleme liegen auch hier eher im sozialen oder zwischenmenschlichen Bereich.
Was macht jemand für den die gängigen Medikamente nicht gut passen, ein
Therapieversager? Er fällt aus dem System vielleicht hinaus und wird zur neuen
Randgruppe.
Die Richtung der Medikamentenentwicklung könnte sich ändern: Suchte man früher
nach Medikamenten für möglichst viele Menschen, kann es sein, dass man künftig nach
genetisch passenden Menschen für ein Medikament sucht.
Ist es nicht sinnvoller den gesamten Behandlungsablauf zu optimieren als nur ein
einzelnes Medikament? Wo liegen die Prioritäten, die wir setzen?
Vor allem aber wirken sich nicht nur Gene sondern sehr viele andere Faktoren auf die
Wirkung eines Medikamentes aus, die dabei zu wenig beziehungsweise gar nicht
beachtet werden. Diese Forschungsrichtung geht von einem veralteten Genbegriff aus
und übersieht den, immer besser erkannten, Einfluss der Umwelt auf die Aktivität und
Wirkung der Gene.
Außerdem ist es gut dokumentiert, dass viel weniger das Genrepertoir, als vielmehr die
soziale Situation eines Menschen für seine Gesundheit verantwortlich ist. Auch hier stellt
sich die Frage nach den Prioritäten, die eine Gesellschaft setzt.
Gentherapie
Ein Bereich, von dem man sich Wunder erwartet hat, ist die Gentherapie. Die Erwartungen
und Versprechungen erinnern sehr stark an die derzeitige Stammzellendiskussion, die auch
ungeheure Heilserwartungen erweckt.
Menschen mit defekten Genen sollen passende, intakte Gene bekommen und damit
wirkungsvoll und für dauernd geheilt sein. Es schien sehr einfach, hat sich aber als
problematischer erwiesen als gedacht und um die Gentherapie ist es etwas stiller geworden.
Prinzipiell muss man zwei verschiedene Arten unterscheiden: Somatische Gentherapie und
die Keimbahntherapie.
Somatische Gentherapie
Bei der somatischen Gentherapie werden einzelne Zellen eines kranken Menschen
gentechnisch verändert. Man entnimmt ihm die Zellen in denen das defekte Gen gebraucht
wird, baut in diese Zellen Kopien des intakten Gens ein und transferiert dann die nun
funktionstüchtigen Zellen zurück in den Körper. Das neue Gen wird meist mit Hilfe eines
Virus in die menschliche Zelle transportiert. Dieses Virus wird vorher gentechnisch
verkrüppelt, sodass es nicht mehr schadet. Man kann aber auch den Menschen als ganzes
mit genbeladenen Viren sozusagen infizieren. Man hofft dabei, dass das Virus selbst den
Weg in die richtigen Zellen finden wird und so die intakten Gene gleich in viele Zellen
transportiert wird.
Die meisten derartigen Versuche sind fehlgeschlagen. Einige hatten desaströse Folgen
(s.u.). Trotzdem werden immer wieder Gentherapieversuche durchgeführt und in letzter Zeit
gab es Teilerfolgsmeldungen. So wurde z.B. von einer teilweise erfolgreichen Therapie bei
PatientInnen mit einer erblichen Krankheit, die zum Erblinden führt, berichtet. Durch die
Therapie erhielten die PatientInnen teilweise das Augenlicht zurück. Alle diese Therapien
29
befinden sich noch im Versuchsstadium. Die Gentherapie wird derzeit auch in der
Krebstherapie eingesetzt mit dem Ziel einzelne Tumore lokal zur Regression zu bringen.
Durchbrechende Erfolge sind aber auch hier bislang ausgeblieben.
Nicht vergessen werden soll, dass im sportmedizinischen Bereich, oder vielleicht besser im
Dopingbereich zu bezeichnen, der Einsatz der Gentherapie zur Leistungssteigerung nicht
nur diskutiert, sondern im Tierversuch erforscht wird.
Die Technik ist mit verschiedenen Risiken verbunden: Weil die Erbanlagen aufeinander
abgestimmt sind und ein geordnetes komplexes Ganzes bilden, weiß man nie, ob man
nicht beim Einbau zusätzlicher Gene gleichzeitig einen Schaden im Genom setzt oder
unvorhergesehene Prozesse auslöst. Dies ist ein der Gentechnik generell anhaftendes
Risiko und es gibt, wie schon früher berichtet, etliche Beispiele dafür, dass
gentechnische Veränderungen gänzlich unerwartete Effekte gezeigt haben.
Bei den verwendeten Viren handelt es sich meist entweder um krebserregende Viren
(sie sollen, weil sie verkrüppelt sind, ungefährlich sein, können aber trotzdem zum
Risiko werden, s. u.) oder um Schnupfenviren, die das Risiko bergen, dass sie im
Körper Entzündungen auslösen.
1999 sind diese Viren einem 18 jährigen US Amerikaner zum Verhängnis geworden, der
an einer Gentherapie gestorben ist. Im Zuge der anschließenden Nachforschungen fand
man weitere Todesfälle im Zusammenhang mit Gentherapien.
Anfang dieses Jahrhunderts, wurde bekannt, dass einige Kinder erfolgreich
gentherapeutisch gegen eine angeborene Immunschwäche behandelt worden sind.
Kurze Zeit später erkrankten zwei dieser Kinder an Leukämie, als Folge der
Gentherapie.
Schon Mitte der neunziger Jahre hat das amerikanische Nationale Gesundheitsinstitut
(NIH) von Gentherapien abgeraten, da sie bei derzeitiger Technik kaum
Erfolgsaussichten hätten. Trotzdem wird, vor allem im Tierversuch, an verschiedenen
Gentherapien gearbeitet.
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Keimbahntherapie
Die somatische Gentherapie verändert nur einzelne Zellen und damit nicht einen ganzen
Menschen. Dies, nämlich die gentechnische Veränderung eines ganzen Individuums ist mit
Hilfe der Keimbahntherapie möglich, bzw. man sollte besser sagen wäre möglich, da dieser
Bereich der Gentechnologie, was den Menschen betrifft, nicht aktuell ist.
Bei der Keimbahntherapie muss die Eizelle oder die Zygote, nach der Verschmelzung von
Ei- und Samenzelle gentechnisch verändert werden. Technisch geht man dabei so vor, dass
unter dem Mikroskop mit einer hauchdünnen Kapillare die Fremd-DNA direkt in einen
Zellkern injiziert wird.
Als Begründung für die Keimbahntherapie wird vorgebracht, dass damit ein Mensch wirklich
zur Gänze von Erbkrankheiten geheilt werden könnte und auch seine Nachkommen von
dieser Krankheit verschont wären.
Zumindest offiziell wird an der Keimbahntherapie beim Menschen nicht gearbeitet, für
Tierversuche, die Erzeugung gentechnisch modifizierter Mäuse oder Ratten, oder anderer
Labortiere, ist es eine häufig verwendete Methode in der Forschung.
Es gibt bei der Keimbahntherapie allerdings eine ganze Reihe von Bedenken, sowohl
biologischer als auch ethischer/religiöser Natur.
Biologische: Die Gefahren der unerwarteten Nebeneffekte, wie sie auch bei der somatischen
Gentherapie vorhanden sind, wiegen hier natürlich viel schwerer, weil nicht nur einzelne
Zellen, sondern der ganze Mensch geschädigt würde, samt eventuellen Nachkommen.
Solche möglichen Schädigungen wären außerdem nicht vorhersehbar und würden sich
möglicherweise erst während der Schwangerschaft oder nach der Geburt zeigen. Das Risiko
ist also beim derzeitigen Stand der Technik unverantwortbar hoch.
Keimbahntherapie ist nur bei künstlicher Befruchtung möglich und beinhaltet alle Risiken
und Probleme einer solchen für die betroffene Frau.
Ethisch/religiöse: Wer entscheidet was geändert werden soll, welche Anlagen akzeptabel
sind und welche nicht? Behandelnde ÄrztInnen, die Eltern, in einem totalitären Regime die
Regierung, . . . ? Mit welchen Anlagen ist ein Mensch akzeptiert und welche machen ein
Kind unakzeptabel?
Darf überhaupt irgendjemand in einen Menschen so eingreifen, dass seine Erbanlagen
geändert werden - ohne Zustimmung der Betroffenen? Nachdem die Keimbahn verändert
ist, werden solche künstlich gesetzten Mutationen ja an die Nachkommen weitergegeben,
die man auch alle nicht fragen konnte.
Kinder würden nach den Interessen und Wünschen von Eltern, ÄrztInenn gestaltet – ein
sehr tiefgreifender Eingriff in das Leben eines Menschen. Letzten Endes würde die
Keimbahntherapie auf Menschenzucht hinaus laufen. Man stelle sich dabei ein totalitäres
Regime vor oder einfach sehr ehrgeizige Eltern.
31
Gendiagnose
Die Gene, Erbanlagen der Menschen, werden weltweit intensiv erforscht. Man hat ja, wie
oben erwähnt im Frühjahr 2001 die Sequenzierung, das Ablesen aller Gene des Menschen,
gefeiert. Für immer mehr Erbkrankheiten werden genetische Ursachen gefunden und
Gendiagnosen entwickelt. Man kann genetisch bedingte Krankheiten also u. U.
vorhersagen.
Spricht man von genetisch bedingt, muss man zwischen so genannten monogen vererbten
Krankheiten und polygen vererbten Krankheiten unterscheiden.
Monogen vererbte Krankheiten
Im Fall der monogen vererbten Krankheiten oder Leiden liegt die Ursache in einem einzigen
veränderten Gen. Es besteht also eine relativ einfache Wirkungsbeziehung zwischen Gen
und Erkrankung, auch wenn der Grad der Erkrankung von Mensch zu Mensch variieren
kann. Diese Krankheiten werden nach den Mendel’schen Regeln vererbt. Meist sind sie
rezessiv vererbt, d. h. sie treten nur dann auf, wenn von beiden Elternteilen das defekte Gen
kommt. Kommt der Fehler nur von einem Elternteil, wirkt er sich nicht aus, da er von der
intakten Erbanlage des anderen Elternteils kompensiert wird. Wir alle tragen vermutlich
einige solcher rezessiver Gendefekte, von denen wir nichts wissen und die sich auch bei
unseren Kindern nur auswirken können, wenn der andere Elternteil zufällig genau den
gleichen Gendefekt beisteuern würde.
Im Falle der monogen vererbten Krankheiten liefert eine Gendiagnose eine sehr verlässliche
Information, dass man diese Krankheit hat bzw. haben wird, wenn sie später ausbrechen
sollte (s. u.), oder eben nicht. Trotzdem führt die Anwendung in der Praxis zu zahlreichen
Problemen.
Man hat in die Erforschung der Gene hohe Erwartungen und Hoffnungen gesetzt; man
könne dadurch Therapien finden und erhofft dies immer noch. Tatsächlich hat das Wissen
um die molekularen Ursachen der Gendefekte bislang kaum Auswirkungen auf mögliche
Therapien gehabt. Es gibt für die wenigsten dieser Erbkrankheiten eine Therapie im Sinne
einer Heilung der Krankheit. Manchmal kann man die Folgen mildern oder bekämpfen;
allerdings geht das eher mit konventionellen medizinischen Methoden, unabhängig von
genetischen Forschungen.
Man weiß nun über die Krankheit bescheid, kann aber in vielen Fällen nichts dagegen tun.
Das Ausmaß/die Schwere der Krankheit oder des Leidens ist darüber hinaus auch nach
einer Gendiagnose nicht vorhersehbar und kann von Mensch zu Mensch variieren.
Ein Beispiel dafür ist die cystische Fibrose, auch Mucoviscidose genannt. Menschen mit
dieser Krankheit produzieren in verschiedenen Organen, besonders aber in den Lungen
oder auch der Bauchspeicheldrüse große Schleimmengen, die nicht abgebaut werden
können. Kinder mit cystischer Fibrose brauchen sehr viel Pflege und Betreuung. Früher
starben sie meist früh, vor allem an Lungenkomplikationen. Die Prognose hat sich durch
verbesserte Therapien, wie schleimlösende Medikamente deutlich verbessert. Welches
Gen defekt ist, ist seit langem bekannt, ohne dass dieses Wissen zum Fortschritt in der
Therapie beigetragen hätte. Auch konnte man beobachten, dass es viele verschiedene
Ausprägungen der Krankheit gibt, von schwerer Beeinträchtigung bis zu leichten Problemen
– ohne dass man das auf Grund der Gendiagnose voraus sagen könnte.
Für weitere Beobachtungen ist die cystische Fibrose beispielhaft: Man hat viele
32
verschiedene Veränderungen des entsprechenden Gens gefunden, die alle zu cystischer
Fibrose führen können. Aber es ist irrelevant für die Therapie, welche Veränderung nun im
Einzelfall vorliegt.
Manche Erbkrankheiten treten erst nach Jahren auf. Ein Beispiel dafür ist Corea huntington
(erblicher Veitstanz), die sich erst nach Jahren (je nach Lehrbuch nach 40 oder 50 Jahren)
zeigt. Sie führt dann allerdings innerhalb weniger Jahre zum Tod durch Zerstörung des
Gehirns. Bis dorthin führt man ein normales Leben. Wenn man die Diagnose mit 20 Jahren
gestellt bekommt, lebt man die nächsten Jahrzehnte mit dem dauernden Wissen noch vor
dem hohen Alter an Zerstörung des Gehirns zu sterben. Wie lebt man mit solchem Wissen?
Tatsache ist, dass nur ein Teil jener Menschen, die auf Grund der Familiensituation ein
Corea huntington–Risiko haben, sich auch wirklich genetisch untersuchen lassen.
Man muss aber auch bedenken, dass das Wissen um voraussehbare Krankheiten oder
früher Tod im Einzelfall auch zu einem bewussten und damit erfüllteren Leben führen kann.
Es kann auch Entscheidungen bezüglich Familien- und Kinderplanung beeinflussen oder
auch erleichtern.
Polygen vererbte Krankheiten und die Umwelt
Neben den monogen vererbten Krankheiten mit ihren überschaubaren genetischen
Ursachen werden seit vielen Jahren auch und gerade für Krankheiten oder Eigenschaften
mit komplexen Ursachen verantwortliche Gene gesucht.
Es geht dabei vor allem um häufige Krankheiten oder Leiden wie Krebs, Anfälligkeiten und
Neigungen für chronische Krankheiten wie Herz- und Kreislauferkrankungen, aber auch
Adipositas und viele andere mehr.
Es sind dies Krankheiten oder Leiden bei denen zahlreiche Gene eine Rolle spielen –
weswegen man von polygener Veranlagung spricht. Wobei man weit davon entfernt ist
verantwortliche Gene zu kennen. Diese Krankheiten sind außerdem von einer mehr oder
weniger großen Zahl von Umweltfaktoren abhängig. Dabei sind weder die genetischen
Zusammenhänge noch der Beitrag der Umwelt eindeutig geklärt. Abgesehen davon, dass
man inzwischen weiß, dass es praktisch unmöglich ist etwas eindeutig den Genen oder der
Umwelt zuzuordnen (siehe abschließende Bemerkungen).
Was man auf der Suche nach verantwortlichen Genen bestenfalls findet, sind einzelne
Gene, die im Zusammenhang mit einer bestimmten Krankheit gehäuft auftreten. Wobei
weder die Anwesenheit dieses Gens etwas darüber aussagt, ob die Erkrankung tatsächlich
eintreten wird, noch seine Abwesenheit die Garantie gibt, die Krankheit nicht zu bekommen.
Besonders bekannt sind in diesem Zusammenhang die so genannten Brustkrebsgene, die
laut Aussagen der Medizin das Risiko an Brustkrebs zu erkranken um 80% erhöht. Das
heißt natürlich nicht, dass alle TrägerInnen (auch Männer können, wenngleich selten an
Brustkrebs erkranken) Brustkrebs bekommen werden, sondern, dass das Risiko
entsprechend erhöht ist. Gleichzeitig ist neben Brustkrebs auch das Risiko für
Eierstockkrebs erhöht. Aber Brustkrebs ist nur in wenigen Fällen an diese Gene gekoppelt.
Nur bei ca. 5% aller Mammacarcinome kommen diese Brustkrebsgene überhaupt vor. Die
Hauptmasse der Brustkrebserkrankungen taucht völlig unabhängig von diesen Genen auf.
Es kann eine derartige vorausschauende Diagnose, man spricht deswegen oft auch von
prädiktiver Medizin, oft nicht wesentlich mehr sagen, als eigentlich ohnehin immer schon
bekannt war, nämlich, dass in manchen Familien bestimmte Krankheiten gehäuft auftreten
und deswegen ein höheres Risiko herrscht. Was eine solche Gendiagnose allerdings schon
33
kann ist - bei positivem Befund - ein höheres Risiko individuell zuzuordnen oder – bei
negativem Befund - auszuschließen. Letzteres würde aber nicht ausschließen, dass man die
Krankheit nicht doch bekommen kann - siehe Brustkrebsgene. Während ersteres noch nicht
bedeutet, dass man wirklich erkranken wird.
Neben Genen für eindeutige Krankheiten werden auch immer wieder Gene für
Verhaltenseigenschaften, wie z. B. Homosexualität, Intelligenz oder diverse soziale
Fähigkeiten und Verhaltensmuster gesucht. Regelmäßig wird berichtet, dass für die eine
oder andere Eigenschaft verantwortliche Gene gefunden worden seien; Beobachtungen, die
allerdings langfristig oft nicht bestätigt werden können.
Zu bedenken ist dabei, dass ein genetischer Befund ein weitaus größeres Gewicht hat als
nur die vage Beobachtung, dass in einer Familie Krankheiten gehäuft auftreten. Es ist auch
ein personenbezogener Befund, der jetzt ein Risiko persönlich zuordnet und keinen
Spielraum, ein „vielleicht bin ich nicht betroffen“, offen lässt.
Eine Gendiagnose hat auch, und das besonders in unserer gengläubigen Zeit ein höheres
Gewicht. In den USA und Großbritannien haben sich Frauen auf die Gendiagnose
Brustkrebsgen hin beide Brüste amputieren lassen und in beiden Ländern ist dies eine von
Ärzten gelegentlich empfohlene „Therapie“. Was neben allem anderen die Tatsache außer
Acht lässt, dass Brustkrebs nicht die einzige Krebsart ist, die durch ein und dasselbe Gen
vermehrt auftritt.
Die voraussagende Medizin kann Menschen dazu veranlassen vorsorglich mit ihrem Leben
umzugehen,
Risikofaktoren
vermehrt
zu
meiden,
Vorsorgemedizin
und
Frühdiagnosemöglichkeiten zu nützen etc. und dadurch zum Vorteil werden.
Voraussagende Medizin kann aber auch apathisch wirken und Zukunftsangst machen, wie
es einmal eine Frau mit diagnostiziertem Brustkrebsgen ausgedrückt hat, dass man nur
noch wie das Kaninchen vor der Schlange dasitze und auf den Ausbruch der Krankheit
warte.
Vor allem macht so eine vorausschauende Gendiagnose gesunde Menschen zu
PatientInnen, die nun medizinische Betreuung brauchen, obwohl sie eigentlich noch gesund
sind. Menschen, die wahrscheinlich jahrzehntelang als gesund gegolten und sich auch so
gefühlt hätten. Durch die Gendiagnose aber sind sie für den Rest ihres Lebens PatientInnen,
auch dann, wenn sie noch gesund sind.
Mit äußerstem Misstrauen sind genetische Befunde, für irgendwelche Wesen- Verhaltensoder Sozialeigenschaften zu werten. Es handelt sich dabei um äußerst komplexe
Eigenschaften mit ungeklärter Beteiligung von genetischen und Umweltfaktoren. Neuere
Untersuchungen aus dem Bereich des Verhaltens und der Neurobiologie deuten sehr auf
eine wichtige Rolle von Umweltkomponenten, bzw. eine enge Verflechtung von genetischen
und Umweltfaktoren, die letztlich nicht zu trennen sind, hin.
Das Recht auf Nichtwissen
Für den Umgang mit Gendiagnosen wäre es wichtig, dass PatienInnen nicht gezwungen
oder auch nur gedrängt werden dürfen eine Gendiagnose an sich durchführen zu lassen.
Jede/r muss mit der eigenen Gendiagnose selber leben und damit zurecht kommen und
deswegen ein Recht auf Nichtwissen über mögliche Krankheiten oder Leiden haben.
Neben dem ganz persönlichen Bereich gibt es im Zusammenhang mit Gendiagnosen und
prädiktiver Medizin auch soziale Aspekte zu bedenken, die im Folgenden besprochen
werden.
34
ArbeitgeberInnen und Gendiagnosen
In Östererreich ist es ArbeitgeberInnen verboten, vor einer Anstellung nach Gendiagnosen
zu fragen oder einen genetischen check up zu verlangen. Schon die Forderung ist strafbar.
Dies ist allerdings nicht überall so. In den USA ist es nicht unüblich, dass BewerberInnen für
höhere Positionen im Zuge der Bewerbung ein Haar abzugeben haben, ohne dass sie
erfahren würden, was damit alles untersucht wird. Auch kommt es vor, dass vor der
Anstellung eine genetische Untersuchung verlangt wird.
Dies schafft neue Diskriminierungen, diesmal auf Grund der Gene, die ein Mensch hat. Wer
wird jemand einstellen, dem/der ein erhöhtes Herzinfarktrisiko mit einem Gentest
bescheinigt worden ist? Gefahr besteht auch, dass eines Tages ein Arbeitgeber statt die
Arbeitsplätze verträglich zu gestalten einfach nur noch Menschen einstellt, die auf Grund
ihrer genetischen Disposition mit den vorhandenen ungesunden Arbeitsbedingungen
zurecht kommt.
Krankenkassen
Ähnlich wie im Arbeitsrecht ist es in Österreich auch im Bereich des Versicherungswesens
verboten vor Abschluss eines Versicherungsvertrags nach einer genetischen Untersuchung
zu fragen.
Aber auch hier ist es nicht überall so. Schon seit 1990 darf in Großbritannien eine
Versicherung bei Verdacht auf Corea Huntington eine diesbezügliche Gendiagnose
verlangen. In den USA ist es nicht unüblich, dass Versicherungen genetische
Untersuchungen vor dem Abschluss eines Versicherungsvertrages erwarten. Das Ziel für
die Versicherung ist es, ihr Risiko zu minimieren. Denn zu erwartende Erkrankungen können
aus dem Versicherungsvertrag genommen werden. Es gibt dokumentierte Fälle in denen
Versicherungen in den USA von Schwangeren mit Risiko für cystische Fibrose eine
vorgeburtliche Untersuchung des Embryos verlangt haben, mit dem Hinweis, dass das Kind
abzutreiben sei bei positivem Befund, da ein krankes Kind nicht versichert werde. Neuere
Gesetze schränken diesen Missbrauch von Gendiagnosen auch in den USA stark ein.
Der Wunsch der privaten Versicherungen nach der Zulassung von Gendiagnosen vor
Vertragsabschluss wird auch in Österreich und Deutschland immer wieder erhoben. So
vorteilhaft es für die Versicherung ist, nachgewiesene aber noch nicht manifeste
Krankheiten oder auch nur mögliche Schwächen aus dem Vertrag herausnehmen zu
können, so desaströs wäre dies für die Versicherten.
Datentransfer
All diese Überlegungen und Möglichkeiten führen zur wichtigen Frage, was mit einmal
erhobenen genetischen Daten geschehen darf. Wer bekommt Zugang dazu? Wem und
unter welchen Umständen dürfen sie weiter gegeben werden? Welche Rechte haben
PatientInnen, jene Menschen von denen die Daten stammen? Wann und unter welchen
Umständen werden genetische Daten vernichtet um Missbrauch zu verhindern? Wie kann
überhaupt Weitergabe wirksam verhindert werden?
Legalen und illegalen Datentransfer hat es immer gegeben und wird es vermutlich weiter
geben. Je persönlicher Daten sind, desto schwerwiegender können auch Folgen und
Auswirkungen einer Datenweitergabe sein.
35
Pränataldiagnosen
Ein weiterer Bereich der Anwendung der Gendiagnosen ist der vorgeburtliche Bereich.
Durch eine Untersuchung des Fruchtwassers oder eine Chorionzottenbiopsie (dabei werden
Proben der Plazenta, die kindlichen Ursprungs ist, entnommen) kann man allfällige
genetische Defekte des Kindes erkennen. Was früher eher selten war, wird immer mehr zur
Routine. Besonders häufig sind Untersuchungen nach Down Syndrom. Mit zunehmenden
Gentests können aber andere Erbkrankheiten diagnostiziert werden.
Auch hier gilt, was oben gesagt worden ist. Es gibt meist zu einer Diagnose keine Therapie.
Die Therapie ist die Abtreibung. Und tatsächlich kommt es in den meisten Fällen, in denen
eine Behinderung des Kindes diagnostiziert worden ist, zur Abtreibung.
Problematisch ist, dass durch die Fruchtwasseruntersuchung, aber noch mehr durch die
Chorionzottenbiopsie, es zum Tod des Kindes kommen kann, eventuell sogar
Behinderungen ausgelöst werden. Das Risiko für einen ausgelösten Abort ist relativ hoch
und wird je nach Literatur und Methode zwischen 1 und 3 % angegeben.
Ab einem Alter von 36 Jahren wird Schwangeren eine Untersuchung auf Down Syndrom
dringend empfohlen, da das Risiko, dass das Kind Down Syndrom hat, mit dem Alter der
Mutter (je nach Literatur auch dem Alter des Vaters) zunimmt. Das Risiko, dass das Kind
Down Syndrom haben wird, liegt mit 36 Jahren bei 1: 300. Gibt es aber ein
Untersuchungsrisiko von 1%, dann heißt das, dass im Schnitt 3 Kinder, die wahrscheinlich
gesund sind, nicht zur Welt kommen, um ein Kind mit Down Syndrom zu entdecken.
Ein weiteres Problem ist die meist mangelnde Information über Möglichleiten der Hilfe und
der Unterstützung, Frühfördermöglichkeiten, eventuell auch von Therapiemöglichkeiten nach
der Geburt. Mütter/Eltern bräuchten bei einer Pränataldiagnose auf Behinderung
psychologische Betreuung und Unterstützung. Eine solche steht aber nicht
selbstverständlich zur Verfügung; die Mutter, die Eltern sind oft mehr oder weniger allein
gelassen.
Ärzte sind oft wenig informiert über die Fähigkeiten, die behinderte Menschen bei
entsprechender Betreuung und Förderung haben und welche Betreuungsmöglichkeiten und
Entwicklungsmöglichkeiten es tatsächlich gibt.
Faktisch wird seitens der Medizin auf Frauen oft Druck ausgeübt humangenetische
Untersuchungen in Anspruch zu nehmen und sie erleben meist wenig Verständnis, wenn sie
sich dem Trend zum Trotz entscheiden das behinderte Kind zu behalten. 95% der Kinder,
bei denen eine Behinderung nachgewiesen worden ist, kommen nicht zur Welt, weil die
Schwangerschaft beendet wird.
Wie alle Nachweise können auch genetische Diagnosen mit Fehlern behaftet sein.
Zunehmende vorgeburtliche Diagnosen bergen immer die Gefahr, dass sich daraus ein
Screening entwickelt, man gezielt nach Behinderten sucht. Wenn Behinderte und genetisch
bedingt Kranke verhindert werden können und zunehmend nicht mehr zur Welt kommen,
wird man vielleicht immer weniger in Förderungsmaßnahmen, Suche nach Therapien etc.
investieren.
Dabei haben die letzten Jahrzehnte gezeigt, dass die Möglichkeiten und Fähigkeiten von
Behinderten, körperlich und geistig, weit über dem liegen, was man früher gedacht, auch nur
im Entferntesten für möglich gehalten hat. Man hat das Gefühl, dass gerade dieses Wissen
noch nicht zur Gänze in der Medizin Fuß gefasst hat – mit den entsprechenden Folgen für
36
ärztliche, humangenetische Beratungen.
Wenn man dazu übergeht Behinderte zu verhindern, dann verändert sich vielleicht das
Klima in der Gesellschaft und die Toleranz gegenüber Behinderten, vor allem aber
gegenüber Frauen, die ein behindertes Kind zur Welt bringen kann schwinden. Es ist zu
befürchten, dass sich eines Tages eine Frau mit einem behinderten Kind wird sagen lassen
müssen, sie sei selber schuld, sie hätte ja eine Pränataldiagnose und eine Abtreibung in
Anspruch nehmen können. Dies ist eine der besonderen Gefahren der routinemäßigen
Pränataldiagnosen.
Aber Behinderungen sind nur ein Teil des Problems. Je mehr man dazu übergeht für alles
und jedes Gene zu suchen, desto mehr verlangen wir nach dem perfekten Kind. Irgendwann
einmal wird jemand Kinder abtreiben lassen, weil man ihnen eine Neigung zum dick werden
vorhergesagt hat. In China und Indien werden Kinder jetzt schon abgetrieben, nur weil sie
weiblich sind. Die Sucht nach dem perfekten Körper wird ergänzt durch die Sucht nach dem
perfekten Kind mit den vermeintlich perfekten Genen.
Die Präimplantationsdiagnostik (PID)
Im Zuge einer künstlichen Befruchtung ist es möglich den Embryo vor der Implantation auf
Gendefekte zu untersuchen, man spricht dann von Präimplantationsdiagnostik (PID).
Prinzipiell können zwei verschiedene Methoden unterschieden werden. Das eine ist die
Polkörperdiagnostik. Dabei werden nicht Zellen des Embryos, sondern werden die
Polkörperchen einer Gendiagnose unterzogen. Polkörperchen sind, vereinfacht gesagt, die
Schwesterzellen der reifen Eizelle, die bald nach der Befruchtung zu Grunde gehen. Man
kann von der genetischen Situation des Polkörperchens auf die der Eizelle schließen.
Nachdem nur bei der Reifung der Eizellen, nicht aber bei der der Samenzellen,
Polkörperchen entstehen, ist dabei die Suche nach genetischen Veränderungen auf die der
Mutter beschränkt.
Die andere Methode ist eine Untersuchung des Embryos. Diesem wird eine Zelle
entnommen, die dann auf Gendefekte hin untersucht wird. Dabei wird das Genom des
neuen Lebewesens, des Embryos, einer Kontrolle unterzogen. Diese Untersuchung ist für
den Embryo riskant, da die Zellentnahme häufig zum Tod des Embryos führt.
Die PID hat hauptsächlich zwei Ziele:
Behinderungen sollen noch vor der Implantation des Embryos festgestellt werden, um
Embryonen mit Risiko auf eine Erbkrankheit, Behinderung etc. gar nicht zu implantieren und
auf diese Weise eventuell ein behindertes/krankes Kind zu verhindern, bzw. später einen
Schwangerschaftsabbruch nach einer Pränataldiagnose unnötig zu machen
Durch die PID soll andrerseits die Erfolgsrate der künstlichen Befruchtung gesteigert
werden. Wenn Embryonen mit Gendefekten gar nicht implantiert werden, erwartet man,
dass die in vitro Fertilisation weniger Ausfälle haben wird. Was dieses zweite Ziel betrifft,
gibt es widersprüchliche Ergebnisse. Während Fertilisationskliniken und –institute von einer
verbesserten Erfolgsrate nach PID berichten, kommen andere Studien zum Ergebnis, dass
die PID keinen Einfluss auf den Erfolg einer künstlichen Befruchtung hat.
Die PID soll vor allem bei bestehendem und erkanntem Risiko für eine Behinderung
eingesetzt werden.
Während die PID in einigen Staaten erlaubt ist, mit unterschiedlich vielen Einschränkungen,
ist sie in Österreich und Deutschland verboten (mit Ausnahme der Polkörperdiagnose, bei
der ja der Embryo nicht direkt untersucht wird). In beiden Staaten besteht aber deutlicher
37
Druck seitens der Medizin und der Humangenetik das Verbot aufzulockern.
Es gibt auch bei der PID eine Reihe von Bedenken:
Es ist unmöglich auf zahlreiche Erbänderungen gleichzeitig zu untersuchen. Man kann
jeweils nur nach einigen Krankheiten suchen und bekommt natürlich nur für diese
untersuchten Krankheiten oder Behinderungen eine Antwort. Durch die Untersuchung aber
wird eventuell eine sehr hohe Erwartungshaltung erzeugt, dass das Kind sicher fei von
unerwünschten Problemen ist; was ein unerfüllbarer Wunsch ist. Tatsächlich werden auch
nach einer PID meist Pränataldiagnosen durchgeführt, die auch gelegentlich zu einem
Schwangerschaftsabbruch führten, da dabei eine Behinderung festgestellt worden ist.
Problematisch ist eine solche Erwartung auch, weil nur wenige Behinderungen genetisch
bedingt sind, die Mehrzahl der Behinderungen aber während oder nach der
Schwangerschaft entstehen.
Wegen der hohen Ausfallsrate bei der PID werden sehr viele Eizellen gebraucht, die
befruchtet werden müssen. Dementsprechend muss die Frau vorher hyperstimuliert werden
um die hohe Eimenge ernten zu können. Eine Behandlung die nicht nur mit
Unannehmlichkeiten , sondern mit einem gravierenden gesundheitlichen Risiko verbunden
ist.
Insbesondere Behindertenverbände weisen darauf hin, dass die PID per se
behindertenfeindlich ist, da ihr Ziel ja die Verhinderung von behinderten Menschen ist. Was
schon bei der Pränataldiagnostik gesagt worden ist, dass zu befürchten ist, dass es zu einer
schleichenden Ablehnung von Behinderungen und Behinderten kommen kann, gilt auch
hier. Da die PID ja dezidiert angewandt wird um unerwünschtes Leben auszusortieren, ist
sie praktisch angewandte Eugenik (diesmal nicht aus rassischen Gründen sondern aus
genetischen). Aus diesem Grund kann man die PID auch nicht direkt mit der Abtreibung
vergleichen, was von Befürwortern oft gemacht wird. Eine Abtreibung ist meist die Folge
einer ausweglosen oder als ausweglos empfundenen Situation.
Es besteht schließlich die Gefahr, dass man mit der PID eine Türe öffnet, die man nicht
mehr schließen kann oder, wie im angelsächsischen Raum gesagt wird, man auf einen
„slippery slope“ gerät. Erfahrungen aus Großbritannien sprechen dafür, dass diese
Befürchtungen zu Recht bestehen. Ursprünglich sollte die PID nur für Fälle drohender
schwere Behinderung oder Krankheit zugelassen werden. Inzwischen ist auch die weiter
oben erwähnte cystische Fibrose ein hinreichender Grund für eine PID und neuen
Informationen zufolge soll inzwischen auch ein bestehendes Risiko für eines der
Brustkrebsgene in Großbritannien ein hinreichender Grund für eine PID sein.
Man geht bei all dem davon aus, dass ein früher menschlicher Embryo nichts anderes sei
als ein Zellhaufen - eine Beschreibung, die dem hochorganisierten und sich dramatisch
schnell entwickelnden frühen menschlichen Embryo absolut nicht gerecht wird.
Natürlich stellt sich hier auch die Frage nach der Schutzwürdigkeit oder Verfügbarkeit eines
frühen menschlichen Embryos. Die PID sollte besonders auch unter diesem Aspekt
diskutiert werden.
38
Schlussbemerkungen
Die Erforschung des menschlichen Genoms im Human Genom Organisation Project hat die
überraschende Erkenntnis gebracht, dass der Mensch viel weniger Gene hat, als früher
angenommen. Mit den inzwischen bekannten gut 25.000 bis 30.000 Genen, bewegt sich
der Mensch im Bereich der verwandten Tiere. Und der genetische Unterschied zu seinen
nächsten Verwandten, den großen Affen ist minimal. Auf Basis dieser überraschend kleinen
Zahl von Genen und den geringen Unterschieden zu Tieren sind die Besonderheiten der
Menschen kaum zu erklären. Es muss andere Mechanismen geben, die dafür notwendig
sind.
Tatsächlich sind inzwischen Mechanismen bekannt, die es auf zellulärem Niveau
ermöglichen das vorhandene genetische Repertoire vielfältig zu verwenden. Ein Gen ist
nicht einfach eine fixe, konstante Informationseinheit, wie man früher dachte und wovon die
Gentechnik letztlich ausgeht. Aus einem Gen können je nach Bedarf verschiedene gemacht
werden, die unterschiedliche Effekte haben. Wenn aber aus einem Gen verschiedene
Genprodukte und Ausprägungen entstehen können, dann bekommt der Begriff „Gen“ eine
neue Bedeutung.
In letzter Zeit hat man erkannt, dass Gene nicht einfach das Zellgeschehen und damit den
Organismus steuern, wie man früher geglaubt hat. Ein neues Forschungsgebiet, die
Epigenetik hat gezeigt, dass die Aktivität oder Inaktivität von Genen sehr stark unter dem
Einfluss der Umwelt steht. Selbst seelische Erlebnisse und Eindrücke können die
Genaktivität in Gehirnzellen verändern. Mit der Epigenetik gibt es also Erklärungsmodelle,
die über die klassische Molekulargenetik hinausgehen und auch die alte Frage, was ist
angeboren, was ist erworben, obsolet macht. Die Aktivität der Gene wird durch die Umwelt
beeinflusst und lässt aus einem Gen verschiedene Genprodukte und Ausprägungen
entstehen, die wieder die Reaktion des Organismus auf die Umwelt beeinflussen Schließlich
kann man nicht wirklich und exakt trennen zwischen dem was Anlage und was Umwelt ist,
weil beide sich gegenseitig bedingen und eng miteinander verzahnt sind.
Trotzdem gibt es bei Genetikern, Medizinern, Forschern und Betroffenen, PatientInnen und
anderen Laien eine erstaunliche Gläubigkeit an das technisch Machbare, in diesem Fall
gentechnisch Machbare und die alles beherrschende Wirkung einiger Gene.
Das verschleiert gleichzeitig den Blick auf die Wirklichkeit: Beispiel Behinderungen: Nur ein
kleiner Teil der Behinderungen ist genetisch bedingt, die meisten entstehen während der
Embryonalzeit, während oder nach der Geburt. Und selbst die wenigen genetisch bedingten
kann man mit einer PID oder Pränataldiagnose nie alle ausschließen: Man kann gerade
nach den am ehesten zu erwartenden Genänderungen suchen, nie nach allen.
Behinderungen, nach denen man nicht gesucht hat, die findet man natürlich auch nicht.
Wie geht es einem Menschen, der eines Tages erfährt, dass er nur lebt, nur implantiert
worden ist, weil er genetisch gut genug war, ansonsten weggeworfen worden oder für
Experimente verwendet worden wäre. Dieser Mensch hat vielleicht keine Erbkrankheit, aber
er braucht von da an vielleicht einen Therapeuten.
Aber es ist natürlich verlockend zu glauben, man habe das Rätsel des Lebens gelöst, man
habe die Natur jetzt in der Hand und könne die Evolution künftig nach eigenem Plan und
eigenen Vorstellungen von richtig und falsch gestalten. Und genau so wird es ja auch, fast
wörtlich, von Genetikern formuliert.
Den Abschluss soll ebenfalls ein Biochemiker, der an der Erforschung der DNA gearbeitet
39
hat, machen, Friedrich Cramer, emeritierter Leiter des Max-Planck-Institutes für
experimentelle Medizin: „Das Konzept, nach dem das Human-Genom-Projekt arbeitet und
das die Welt gegenwärtig so erregt . . . ist vollkommen veraltet. . . . Aber Forscher, Medien
wie Laien werden geradezu in einen Wahn getrieben, dass fast alles mit den Gentechniken
heilbar werden wird. Das ist so übertrieben und weckt so hohe Erwartungen, dass es fast
schon sträflich ist. Die Sequenz des menschlichen Genoms zu kennen bedeutet fast noch
nichts.“ (Aus einem Interview mit Friedrich Cramer in Psychologie Heute, 28, 2001).
40
Von Klonen und Menschen
Klone sind das Produkt ungeschlechtlicher Vermehrung. Ein Klon ist eine Gruppe von
Lebewesen, die alle durch vegetative, ungeschlechtliche Fortpflanzung aus einem
Individuum entstanden und somit untereinander alle genetisch identisch sind. Klonen ist das
Herstellen eines Klons oder mehrere Klone.
Diese Technik wird in der Pflanzenzucht schon lange angewandt, z. B. beim Veredeln. Seit
einiger Zeit, seit dem Einführen der in vitro Fertilisation, auch in der Tierzucht, in Form des
so genannten Embryosplittings. Dabei werden nach künstlicher Befruchtung in einem sehr
frühen Entwicklungsstadium die Embryonen in mehrere Teile zerlegt, von denen jeder sich
noch in ein ganzes Tier entwickeln kann und in ein Ammentier eingesetzt, das diese
Embryonen dann austrägt. In der letzten Zeit aber denken wohl die meisten Menschen an
Dolly oder an das Klonen von Menschen, wenn man von Klonen spricht.
Gurdons Kerntransplantationen mit Krallenfröschen
Die ersten Wirbeltierklone stellte Gurdon bei Krallenfröschen Mitte der sechziger Jahre des
vergangenen Jahrhunderts her. Er zerstörte in reifen Eizellen die Zellkerne durch UVStrahlen und ersetzte diese durch Kerne aus einer jungen Kaulquappe. Die Injektion des
fremden Kerns wirkte auf die Eizellen wie ein Befruchtungsreiz, sie begannen sich zu teilen
und aus den Eizellen mit den fremden Kernen entstanden Frösche, die alle untereinander
genetisch identisch und außerdem identisch der Spenderkaulquappe - die die Zellentnahme
allerdings nicht überlebt hatte - waren.
Vergleichbare Experimente mit Säugern schlugen lange Zeit fehl, wenn man von den
Experimenten des Biologen Illmensee absieht. Ilmmensee hatte in den siebziger Jahren
behauptet, es sei ihm geglückt Mäuse mit Hilfe von Kerntransplantationen zu klonen. Die
Experimente konnten von anderen Labors nicht reproduziert werden und Illmensee wurde
allgemein zum Fälscher erklärt. Er selber behauptete, dass die Experimente schwer
durchzuführen seien und außer ihm es wahrscheinlich kein Labor zustande bringe.
Neuerdings ist Illmensee in die Schlagzeilen geraten, weil er erklärt hat, er habe einen
Menschen - allerdings erfolglos - zu klonen versucht.
Dolly
Der erste nachweisbare und anerkannte Klon eines Säugers mit Hilfe von
Kerntransplantationen glückte Jan Wilmut zum Ende des letzten Jahrhunderts mit dem
Klonschaf Dolly. Dolly ist aus einer entkernten Eizelle, die mit einer Zelle aus dem Euter
eines erwachsenen Schafes verschmolzen worden war, entstanden. Aus der Eizelle mit dem
Kern einer Körperzelle hat sich ein Embryo entwickelt, der im Blastocystenstadium in den
Uterus eines Ammenschafes eingesetzt worden ist. Die Blastocyste ist ein sehr frühes
Stadium der Embryonalentwicklung. Zur Herstellung von Dolly waren allerdings nahezu 300
Versuche notwendig.
Diese enorme Ausfallsrate beobachtete man bei allen weiteren Klonierungsexperimenten
mit Säugern. Die wenigen Klone, die tatsächlich geboren wurden, waren oft mehr oder
weniger schwer krank, defekt oder alterten frühzeitig, wie Dolly.
41
Menschliche Klone
Bereits nach den Kerntransplantationen von Gurdon wurde diskutiert, ob es wohl jemals
möglich wäre auch Menschen auf diese Weise zu vervielfachen und wie weit dies ethisch
gerechtfertigt wäre. Dann war es lange Zeit stiller um das Klonen von Menschen; es schien
unmöglich, Säuger mit Hilfe von Kerntransplantationen zu klonen - eben bis Dolly geklont
wurde.
Sofort nach der erfolgreichen Klonierung eines Schafes entbrannte eine sehr heftige, bis
heute nicht verebbte, Diskussion um die Produktion menschlicher Klone. Trotz diverser Für
und Wider herrscht einstweilen noch ein mehrheitlicher Konsens, dass die Erzeugung eines
genetisch identen Nachkommen inakzeptabel sei. Das verhindert nicht, dass immer wieder
Ärzte oder Genetiker erklären, Klone erzeugen zu wollen oder solche bereits produziert zu
haben. Keine der diesbezüglichen Behauptungen hat sich bislang bewahrheitet.
Die Herstellung eines genetisch identischen Nachkommen wird nicht nur aus moralischen,
ethischen, religiösen Gründen mehrheitlich abgelehnt, sie ist auch aus rein praktischen
Erwägungen - bei der derzeitigen Erfolgsrate und den vielfältigen Problemen, die die
wenigen Klone, die tatsächlich geboren werden, haben - abzulehnen. Diese Technik ist
darüber hinaus unweigerlich an den Verbrauch von menschlichen Eizellen gekoppelt, die
selbstverständlich von Frauen gewonnen werden, die dafür hormonell stimuliert werden,
dass mehr als ein Ei gewonnen werden kann. Diese hormonelle Behandlung ist für die
betroffenen Frauen mit beträchtlichen gesundheitlichen Gefahren verbunden.
Reproduktives und therapeutisches Klonen
Wenn das Ziel des Klonens ein genetisch identer, neuer Mensch ist, dann spricht man von
reproduktivem Klonen. Dies ist eigentlich das, woran man beim Wort „Klonen“ zuerst einmal
denkt. Die Bedenken dagegen sind, siehe oben, nach wie vor so groß, dass dieses
reproduktive Klonen weltweit mehr oder weniger geächtet ist.
Beim therapeutischen Klonen hingegen besteht gar nicht das Ziel einen Nachkommen zu
erzeugen. Es geht vielmehr um die Produktion von embryonalen Stammzellen. Aus einem
Embryo lassen sich in einer frühen Phase, im Blastocystenstadium, Zellen gewinnen, aus
denen zwar kein ganzer Embryo mehr werden kann, aus denen sich aber theoretisch noch
alle Zelltypen eines Menschen entwickeln können – man sagt, sie sind totipotent. Wenn es
möglich wäre, wirklich die verschiedensten Zellarten daraus zu züchten und schließlich
womöglich noch Gewebe oder ganze Organe, dann hätte man damit ein geradezu perfektes
Ersatzteillager. Ob das allerdings je möglich sein wird, ist völlig offen.
Embryonale und adulte Stammzellen
Stammzellen kann man nicht nur aus Embryonen, sondern auch aus Nabelschnurblut oder
aus erwachsenen Menschen gewinnen. Diese so genannten adulten Stammzellen sind
pluripotent, was heißt, dass mehrere unterschiedliche Zelltypen sich daraus entwickeln
können, aber nicht mehr alle. Es gibt eine Reihe von Experimenten, sowohl im Tierversuch,
42
als auch in der medizinischen Praxis, in denen man adulte Stammzellen zu therapeutischen
Zwecken erfolgreich verwendet hat. Allerdings sind es bislang nur Einzelbeobachtungen.
Diese adulten Stammzellen haben den Vorteil, dass man sie aus den PatientInnen selbst
gewinnen kann, es somit keine Abstoßungsreaktionen gibt.
Embryonale Stammzellen gewinnt man aus Blastocysten, die derzeit im Allgemeinen aus
übrig gebliebenen Embryonen von künstlichen Befruchtungen stammen. Würde man solche
Stammzellen zu therapeutischen Zwecken verwenden, dann hätte man vielleicht eine Quelle
von Zellen, die sich zu allen gewünschten Zellarten differenzieren ließen (s.o.). Man hätte
aber mit Zellen zu tun, die den PatientInnen fremd sind und gegen die eine Abwehrreaktion
aufgebaut wird, die dann medikamentös niedergehalten werden muss.
Erzeugt man hingegen einen Klon einer/s PatientIn und verwendet diesen Embryo als
Quelle für Stammzellen, dann vermeidet man eine Abstoßungsreaktion, denn Klone sind ja
genetisch identisch. Man muss dazu eine menschliche Eizelle entkernen und diese kernlose
Eizelle, wie bei allen Klonexperimenten mit einer Körperzelle der/s PatientIn verschmelzen.
Wenn diese Eizelle, die nun das Erbmaterial der/s PatientIn enthält sich entwickelt und ein
Embryo daraus entsteht, dann kann man aus diesem Embryo Stammzellen gewinnen, den
Embryo muss man dabei allerdings töten.
Da man hier zwar einen Klon erzeugt, diesen aber gar nicht heranwachsen lassen, also
keinen identischen Nachkommen eines Menschen erzeugen will, sondern den Klon als
Ersatzteillager für Stammzellen verwendet, die zu therapeutischen Zwecken eingesetzt
werden sollen, spricht man in diesem Fall eben von therapeutischem Klonen.
Eine Reihe von Problemen ergibt sich im Zusammenhang mit embryonalen Stammzellen
und therapeutischem Klonen.
Es ist einstweilen noch nicht bekannt, ob und auf welchem Weg es möglich sein wird,
embryonale Stammzellen in alle verschiedenen adulten Zellformen sich differenzieren zu
lassen; ob es also möglich sein wird aus embryonalen Stammzellen wirklich alle
gewünschten Zellsorten zu bekommen.
Unklar ist auch, wie sich diese nach einer Implantation in einen adulten Menschen verhalten
werden; ob sie tatsächlich dort das gewünschte Verhalten zeigen und sich wunschgemäß
einbauen werden.
Man weiß nicht, ob bei solchen Transplantationen nicht noch undifferenzierte embryonale
Stammzellen mittransplantiert werden, deren Verhalten im Empfängerorganismus nicht
absehbar ist.
Unbekannt ist, ob Stammzellen insbesondere embryonale Stammzellen nicht unbegrenztes
Wachstum haben und damit die Gefahr besteht, dass sich daraus Tumore entwickeln
können. Es wäre sinnvoll diesen Aspekt abzuklären, ehe man an therapeutisches Klonen
denkt. Tatsächlich muss man nach derzeitigem Wissenstand damit rechen mit den
embryonalen Stammzellen auch einen Tumor mit zu transplantieren.
Medizinische Bedenken ergeben sich aus der Tatsache, dass Stammzellen auf tierischen
Zellen gezüchtet werden. Es ist nicht auszuschließen, dass die Stammzellen dabei tierische
Eiweiße aufnehmen oder sich mit tierischen Viren infizieren und diese dann auf den
Spender übertragen würden.
Zur Erzeugung von Klonen braucht man reife menschliche Eizellen, die von Frauen
43
gewonnen werden müssen. Es ist die Eizellentnahme selbst mit einem medizinischen
Restrisiko verbunden. Weitaus problematischer aber ist die üblicherweise damit verbundene
hormonelle Stimulation, der Frauen vor der Eizellentnahme unterworfen werden müssen. Da
bei Menschen üblicherweise nur eine Eizelle pro Zyklus reift, werden Spenderinnen, um
mehrere Eizellen zu bekommen, einer hormonellen Stimulation unterworfen, die mit
erheblichen Risiken und Nebenwirkungen verbunden ist. Hwang, ein inzwischen als
Fälscher bekannt gewordenen koreanische Forscher, der behauptet hat, er habe Zelllinien
von embryonalen Stammzellen bekommen, hat für seine Versuche mehrer hundert
menschliche Eizellen verbraucht.
Diese Eizellspende ist aber auch ein soziales Problem. Hwang hat Eizellen von seinen
MitarbeiterInnen, also von ihm Abhängigen bekommen bzw. hat dafür bezahlt. Letzteres
kann direkt zur Ausbeutung von sozial schwachen Bevölkerungskreisen führen.
Hwangs anfänglich weltweit als bahnbrechend gefeierte Experimente haben sich als
erfunden herausgestellt. Tatsächlich gibt es bislang keinen experimentellen Beleg, dass es
möglich ist mit Hilfe von Kerntransplantationen embryonale Stammzellen zu bekommen.
Während es immer mehr Berichte über den erfolgreichen Einsatz adulter Stammzellen gibt,
hat es bislang keinerlei therapeutische Erfolge mit embryonalen Stammzellen gegeben,
nicht im Tierversuch und schon gar nicht beim Menschen.
Induzierte pluripotente Stammzellen
Seit einiger Zeit gibt es Erfolg verheißende andere Methoden embryonale, pluripotente
Stammzellen herzustellen und zwar aus adulten Zellen; man spricht in diesem Fall von
induzierten embryonalen Stammzellen (iPS). Zum einen ist das eine gentechnische
Veränderung, die aus adulten Zellen solche mit den Eigenschaften von embryonalen
Stammzellen macht. Dem japanischen Forscher Yamanaka ist es gelungen zuerst durch
Einbau von 4 Genen adulte Zellen in pluripotente Stammzellen, mit den gleichen
Möglichkeiten wie embryonale Stammzellen, umzuwandeln. Als Vektor für die Gene dienen
Retroviren. Diese Technik ist mit allen Problemen, insbesondere dem Tumorrisiko behaftet,
die schon bei der Gentherapie erwähnt worden sind. Darüber hinaus hat eines der vier Gene
eine direkte Tumor auslösende Wirkung. Inzwischen ist es gelungen auf eben dieses Gen
zu verzichten, das Risiko mit den Viren als Transportvehikel besteht allerdings nach wie vor.
Es gibt neuere Ergebnisse, wonach es möglich sein soll durch geeignete Kulturverfahren
aus adulten Zellen, ohne gentechnischen Eingriff, embryonale Stammzellen zu machen. In
diesem Fall würde das Tumorrisiko von der gentechnischen Manipulation her wegfallen und
man hätte eine nahezu unbegrenzte Quelle an Stammzellen. Nicht geklärt aber ist auch hier,
ob nicht embryonale Stammzellen per se zu einem Tumor führen können. In beiden
letztgenannten Fällen gäbe es natürlich kein Abstoßungsrisiko, da die umzuwandelnden
Zellen ja von den Patientinnen oder Patienten genommen werden könnten.
Chimären
Um die – bislang erfolglosen – Versuche mit kerntransplantierten embryonalen Stammzellen
trotz des Mangels an menschlichen Eizellen weiterführen zu können, hat man in England
begonnen Mensch-Tier-Chimären herzustellen. Es wurden dazu menschliche Zellkerne in
entkernte Rindereizellen transplantiert. Diese Tier–Mensch–Mischlebewesen machen nur
die ersten Phasen der Embryonalentwicklung durch, ehe sie absterben und haben sich –
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nicht verwunderlich - als gänzlich ungeeignet erwiesen. Man hat unnötig und es kann leicht
sein, nur der Sensation und des Experimentierens wegen, eine ethische Schranke
überschritten.
Auf den ethischen Aspekt des Therapeutischen Klonens soll im nächsten, abschließenden
Kapitel eingegangen werden.
Abschließende Gedanken
Gegenüber dem Klonen von Menschen, und zwar dem reproduktiven Klonen gibt es, wie
erwähnt, generelle und zahlreiche Bedenken und weltweit eine fast einheitliche Ablehnung.
Anders ist es beim therapeutischen Klonen, wo es sowohl Zustimmung als auch Ablehnung
gibt.
Die Befürworter führen die möglichen medizinischen Chancen ins Treffen und vertreten die
Meinung, ein menschlicher Embryo im Blastocystenstadium sei noch kein Mensch, sondern
eher ein Zellhaufen und daher nicht schutzwürdig.
Kritiker fürchten, dass das therapeutische Klonen als Türöffner für das reproduktive Klonen
fungieren könnte. Sie geben zu bedenken, dass ein menschlicher Embryo im
Blastocystenstadium zwar kein voll entwickelter Mensch ist, aber die Potenz, ein solcher zu
werden, in sich trägt - eine Möglichkeit, die ihm genommen wird, wenn er nur als
Ersatzteillager dient und dafür getötet wird. Vor allem hat der häufig gebrauchte Ausdruck
„Zellhaufen“ nichts mit einem frühen Embryo, gleich welcher Spezies, gemein. Eine
Blastocyste ist ein hochorganisiertes, komplexes Lebewesen. Sie stellt einen kurzen
Ausschnitt aus der Embryonalentwicklung dar, die ein Kontinuum darstellt, beginnend mit
der Zygote nach der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle bis zur Geburt. Und eine
menschliche Blastocyste ist ein menschliches Lebewesen und nicht irgendetwas
Undefinierbares, nicht Beschreibbares.
Es besteht die Gefahr, dass man dabei eine Grenze überschreitet, die man lieber nicht
überschreiten sollte und eine Türe öffnet, die sich nicht mehr schließen lässt: Wer
entscheidet, ab wann ein menschlicher Embryo schutzwürdig ist und nicht mehr zu
medizinischen Zwecken verwendet werden darf? Wer entscheidet überhaupt, ab wann ein
Mensch ein Mensch ist? Jede Grenze, die wir irgendwo in der Embryonalentwicklung
festlegen, ist nie für immer festgelegt, sondern kann nach Bedarf oder Nützlichkeit
verschoben werden und öffnet dem Missbrauch Tür und Tor.
Unabhängig von religiösen oder ethischen Bedenken gegenüber dem Klonen im
Allgemeinen und dem therapeutischen Klonen im Besonderen, seien hier noch auf einige
praktische Probleme hingewiesen.
Möglicherweise kann man mit den in jedem Menschen vorhandnen adulten Stammzellen
ebenfalls den gewünschten Erfolg erzielen. Zahlreiche bisherige Beobachtungen deuten
darauf hin. Oder es gelingt aus adulten Zellen Stammzellen zu machen. Dann wäre es
überhaupt unnötig embryonale Stammzellen einzusetzen und die Fragen nach dem
therapeutischen Klonen und Experimenten an menschlichen Embryonen würden sich gar
nicht stellen.
Angesichts der großen ungelösten technischen Probleme (siehe Kasten oben) und der
zahlreichen ethischen, religiösen und gesellschaftlichen Bedenken stellt sich die Frage,
warum man, ehe das Potential der adulten Stammzellen ausgeschöpft ist, überhaupt
unbedingt mit embryonalen Stammzellen arbeiten muss. Es wäre weise und im Interesse
45
einer humanitären Gesellschaft und eines gesellschaftlichen Konsenses darauf zu
verzichten und zuerst zu klären, ob nicht ohnehin adulte Stammzellen ausreichend
Möglichkeiten bieten.
Die oben erwähnte Erzeugung von Tier-Mensch-Chimären erachte ich als ethisch absolut
unvertretbar.
Es ist zu befürchten, dass neben humanitären auch finanzielle Überlegungen und solche der
Ehre und des Ruhmes eine Rolle spielen. Renommierte Wissenschaftler und Befürworter
der Forschung an embryonalen Stammzellen besitzen Patente an embryonalen
Stammzellen. Auch was das betrifft, ist man an die Situation in der Gentechnik erinnert.
Schließlich stecken die Stammzellforschung und deren Anwendung in der Medizin generell
noch in den Kinderschuhen, im Prinzip ist es Grundlagenforschung, weit entfernt von jeder
praktischen Anwendung. Eine Firma, früher sehr für die Forschung an embryonalen
Stammzellen engagiert, hat diesen Zweig gestrichen, da eine Anwendung in der Praxis und
damit Verwertung der Forschungsgelder nicht absehbar ist.
Niemand weiß außerdem, ob in den Stammzellen tatsächlich dieses medizinische Potential
steckt, das einstweilen postuliert wird. Es erinnert die derzeit geradezu euphorische
Hoffnung, die man an die Stammzellforschung knüpft, an die ebenso weit reichenden,
seinerzeitigen Erwartungen in die somatische Gentherapie. Sie haben sich in letzterem Fall
bislang nur sehr, sehr eingeschränkt bewahrheitet. Sinnvoll wäre es, auch diesen Aspekt zu
klären ehe man daran geht, menschliche Klone, also menschliche Lebewesen, zu erzeugen
nur um diese wieder zu vernichten um Stammzellen daraus zu gewinnen.
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