Schwieriger Nachweis für Zika

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Tages-Anzeiger – Donnerstag, 11. Februar 2016
Wissen
Schwieriger Nachweis für Zika-Viren
Das mysteriöse Virus lässt sich nur eine Woche im Blut detektieren. Danach müssen Experten auf
gängige Antikörpertests zurückgreifen, die aber fehleranfällig sind, wie der erste Schweizer Fall zeigt.
Barbara Reye (Text) und
Klaudia Meisterhans (Grafik)
Wunderschöne Strände und viel Sonne —
dafür ist die traumhafte Feriendestination Canoa Quebrada im Nordosten Brasiliens bekannt. Doch Anfang Juni vergangenen Jahres kam eine 44-jährige Touristin krank zurück in die Schweiz. Mit Hautausschlag, Fieber, Schwindelgefühl, Kopfschmerzen und stark angeschwollenen
Lymphknoten liess sie sich in der Travel
Clinic in Zürich untersuchen. Die erste
Blutanalyse wies auf Denguefieber hin,
weil entsprechende Antikörper nachgewiesen werden konnten.
«Doch das Ergebnis war falsch positiv», sagt die behandelnde Ärztin, Danielle Gyurech. Denn die Patientin habe
sich nicht mit dem Dengue-Virus, sondern mit dem Zika-Virus infiziert, wie
sich kurz darauf herausgestellt habe.
«Sie war somit die erste Zika-Patientin in
der Schweiz», sagt Gyurech, die zusammen mit Kollegen in Zürich und in
Deutschland den Fall jetzt im «Swiss
Medical Weekly» veröffentlicht hat.
Nach etwa zwei Wochen sei die mit dem
Zika-Virus infizierte Frau wieder beschwerdefrei gewesen. Inzwischen gibt
es in der Schweiz gemäss Angaben des
Bundesamts für Gesundheit insgesamt
drei Zika-Fälle von Reiserückkehrern.
Dass es überhaupt zu einer Falschanalyse kommen konnte, liegt daran,
dass die herkömmlichen Bluttests viel zu
ungenau sind. Das Problem ist, dass die
Erreger von Dengue, Gelbfieber oder
auch Zika alle zu den Flavi-Viren gehören und eng miteinander verwandt sind.
Die gegenwärtig verfügbaren Antikörpertests fallen positiv aus, weil es zu
Kreuzreaktionen mit Antikörpern gegen
andere Flavi-Viren gekommen ist. «Erst
ein aufwendiger Neutralisationstest in
Speziallabors zeigt, dass es sich wirklich
auch um Zika und nicht Dengue handelt», sagt Jonas Schmidt-Chanasit vom
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg, der die Probe aus
Zürich nochmals analysiert hat.
Am einfachsten ist es, wenn man das
Erbgut der Zika-Viren direkt im Blut nachweisen kann. Dazu benutzen die Experten
das PCR-Verfahren, bei dem das Virusgenom vervielfältigt wird und identifiziert
werden kann. «Doch eine Woche nach
Symptombeginn ist der Erreger meist
nicht mehr im Blut detektierbar», sagt der
Mediziner Hans H. Hirsch von der Universität Basel. Es gibt für diesen Direktnachweis somit nur ein kurzes Zeitfenster.
Im Urin ist der Nachweis noch ein
paar Tage länger möglich. Doch in den
Epidemiegebieten sei die Infrastruktur
für einen solchen Direktnachweis oft unzureichend, sodass man die Patienten
erst viel später mithilfe des herkömmlichen, aber fehleranfälligen Antikörpertests untersuchen könne, sagt SchmidtChanasit. Das Problem sei zudem, dass
die Spezialisten etwa in den Diagnosezentren in Brasilien gar nicht mehr mit
der Arbeit nachkämen. Und man die Ergebnisse oft erst nach Wochen habe.
Viren im Speichel
Ursache allen Übels ist zumeist der Stich
einer Gelbfiebermücke. Das nur vier bis
sieben Millimeter kleine schwarze Wesen
mit weisser Zeichnung auf dem Rückenschild gilt als Hauptverursacher, dass sich
der Erreger so rasch verbreitet: In mehr
als 30 Ländern überträgt die sogenannte
Aedes aegypti derzeit das Zika-Virus.
«Der Geruch von Schweiss zieht das
Weibchen der Gelbfiebermücke stark an,
die das Blut ihrer Opfer für die Bildung
der Eier benötigt», sagt der Mückenspezialist Alexander Mathis von der Universität Zürich. Doch es sei keine fliegende
Spritze, die sofort Zika-Viren von einer
Person auf die andere verbreite. Denn
zuerst befallen die Viren die Darmzellen
der Mücke, vermehren sich dort, bis die
Virenfracht nach ein paar Tagen in die
Speicheldrüse der Mücke gelangt und
dann wiederum bei der nächsten Blutmahlzeit mit dem Speichel auf einen weiteren Wirt übertragen wird.
Obwohl eine Infektion mit dem ZikaVirus normalerweise einen milden Verlauf hat und in drei von vier Fällen ohne
Beschwerden verläuft, rief die Weltgesundheitsorganisation Anfang Februar
den globalen Gesundheitsnotstand aus.
Wie die Gelbfiebermücke sich vermehrt und das Zika-Virus überträgt
Asiatische Tigermücke
Die Aedes albopictus ist ein potenzieller
Überträger des Zika-Virus. Seit den
1990er-Jahren breitet sie sich auch in
Südeuropa aus. Die 6 bis 9 mm grosse
Mücke ähnelt der Gelbfiebermücke,
hat aber einen weissen Strich
auf dem Rücken.
Weibliche
Gelbfiebermücke
Gefahr für Ungeborene
Der Mückenzyklus
5
Nach 9–10 Tagen
ist die gesamte
Entwicklung
beendet und die
Mücke fliegt los.
Eine Mücke sticht eine
infizierte Person und
nimmt das Virus auf. Das
Virus vermehrt sich nun in
der Mücke, die selbst
unbeeinträchtigt bleibt.
1
Luft
Nach der Paarung
braucht das Weibchen
Blut für die Bildung
der Eier.
Erwachsenes
Insekt
Puppe
Ei
2 mm
Larve
4
In der Puppe
entwickelt sich
innerhalb von ca.
zwei Tagen das
adulte Insekt.
Jetzt sticht die infizierte
Mücke eine gesunde
Person und überträgt das
Virus in deren Blut.
2
Eiablage meist
knapp über der
Wasseroberfläche.
Nach etwa zwei
Tagen schlüpft
bei etwa 30˚C
erste Larve.
Wasser
Atemröhre
In der noch gesunden
Person kommt es zur
starken Virusvermehrung.
3
3–7 Tage
Zeitdauer zwischen
Infektion und den ersten
Symptomen.
Werden Schwangere
infiziert, besteht das
Risiko von schweren
Schädelfehlbildungen
(Mikrozephalie) beim
Ungeborenen. Bisher
fehlt dafür aber noch
der wissenschaftliche
Beweis. Ein möglicher
Zusammenhang wird
weiterhin untersucht.
Normale Kopfgrösse
Mikrozephalie: zu kleiner
Kopf und zu kleines
Gehirn. Erhöhtes Risiko
für lebenslange geistige
Beeinträchtigungen.
Die geschlüpften Larven
wachsen und häuten sich
viermal. Das dauert ca.
eine Woche.
Länder mit fortlaufend neuen Infektionen
Stand 4. Februar 2016
1 Curaçao
2 Virgin Islands
Dominikan. Rep.
Honduras
Mexiko
Guatemala
El Salvador
Nicaragua
Costa Rica
Haiti
Jamaika
Panama 1
23
4 Guadeloupe
5 Martinique
6 Barbados
4
5
6
Weitere betroffene
Staaten im Pazifik:
Salomoninseln,
Vanuatu, Samoa,
Fidschi, Tonga,
Neukaledonien
In Asien:
Thailand, Malediven
Bolivien
Schutzmassnahmen
Insektensprays, imprägnierte langärmlige
Kleidung, Moskitonetze,
Moskitogitter an den
Fenstern. Im Haushalt
und der näheren Umgebung möglichst kleinste
Wasseransammlungen
vermeiden oder entfernen (z. B. Unterteller
von Blumentöpfen oder
herumliegende Autoreifen).
Surinam
Venezuela
Kolumbien
Ecuador
Häufige Symptome: Fieber,
Bindehauentzündung,
Kopf- und Gelenkschmerzen,
knotig-fleckiger Hautausschlag. Sehr selten: nach
Infektion ein Guillain-BarréSyndrom.
3 Saint Martin
Puerto Rico
FranzösischGuayana
Guyana
Brasilien
Paraguay
Die Chronologie der Ausbreitung
1947
1. Nachweis
bei Affen
in Uganda
1952
1960er1. Nachweis
Jahre
bei Menschen in
Malaysia
Uganda und Tansania
1950
1968
Nachweis
in Nigeria
1960
1970
1977
Krankheitsausbrüche
in Pakistan, Malaysia,
Indonesien
1980
2007
Nachweis auf den
Yap-Inseln im
Westpazifik
1990
2000
2013
Franz. Polynesien
im Südpazifik
2014 Brasilien
2010
TA-Grafik kmh/Quelle: ECDC, WHO, CDC
Denn Ende 2015 kam es in Brasilien erstmals zu einem auffälligen Anstieg von
Schädelfehlbildungen bei Neugeborenen, die im zeitlichen Zusammenhang
mit einer Epidemie von Infektionen mit
dem Zika-Virus stehen.
Seit dem vergangenen Herbst wurden
dort fast 5000 Babys mit Verdacht auf
eine sogenannte Mikrozephalie und andere neurologische Erkrankungen geboren, von denen aber erst rund 400 Fälle
als solche auch bestätigt wurden und nur
bei sehr wenigen davon bisher auch eine
Zika-Virus-Infektion festgestellt werden
konnte.
Momentan lässt sich noch nicht eindeutig belegen, ob tatsächlich immer
das Zika-Virus der Auslöser war. Denn
auch andere Krankheitserreger wie etwa
das Zytomegalie-Virus oder der Parasit
für Toxoplasmose können beispielsweise während der Schwangerschaft zu
ähnlichen Verkalkungen der Hirngefässe
führen und die Entwicklung beim Fötus
stören. Dennoch geht Schmidt-Chanasit
davon aus, dass das Zika-Szenario sehr
Ein italienischer Arzt setzte
Patienten künstliche Organe
ein. Die meisten starben.
Silke Bigalke
Stockholm
Gelbfiebermücke
Die Aedes aegypti, Hauptüberträgerin des
Zika-Virus, ist in den Tropen und Subtropen
heimisch. Sie ist unter anderem auch für andere
Viruserkrankungen wie Gelbfieber und
Dengue-Fieber verantwortlich. Das 4 bis 7 mm
grosse schwarze Insekt ist an der weissen,
geschwungenen Zeichnung am Rücken zu
erkennen. Die Beine haben weisse Streifen.
Die Übertragung
Chirurgenskandal
in Schweden
wahrscheinlich ist. «Als Vorsichtsmassnahme sollte man deshalb auch lieber
keine ungeschützten Flitterwochen in
der Karibik verbringen», meint Hirsch.
Jetzt steht Zika im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. «Es ist erstaunlich,
dass unser Bericht über das falsche Testresultat und den ersten Schweizer ZikaFall vor ein paar Monaten von einem renommierten Journal als zu banal abgewiesen wurde», sagt Gyurech. Erst jetzt
sei er auf grosses Interesse gestossen.
Kommentar Seite 2
Organe aus Kunststoff wollte der italienische Chirurg Paolo Macchiarini erschaffen. Er durchsetzte die Ersatzteile
mit gezüchteten Stammzellen seiner Patienten und hoffte, so würde sich nach
der Verpflanzung in den Körper neues
Gewebe bilden. Er versprach Patienten
aus Schweden, den USA, Russland und
der Türkei ein neues Leben. Die meisten
von ihnen sind heute tot. Immer wieder
ist dem Chirurgen vorgeworfen worden,
seine Forschungsergebnisse zu beschönigen. Trotzdem durfte er jahrelang am
renommierten Karolinska-Institut in
Stockholm forschen. Eine Dokumentation des schwedischen Fernsehsenders
SVT hat das Institut, das auch über die
Medizin-Nobelpreisträger entscheidet,
nun in Bedrängnis gebracht.
Kritik an Macchiarini, der anfangs für
seine Forschung gefeiert wurde, gibt es
seit fast zwei Jahren. Seine erste künstliche Luftröhre setzte er 2011 ein. Der
Patient Andemariam Beyene kam ursprünglich aus Eritrea, lebte in Island
und hatte Luftröhrenkrebs. Im November 2011, fünf Monate nach der Operation, beschrieb Macchiarini den Fall in
der Fachzeitschrift «The Lancet». Im selben Monat operierte er einen weiteren
Patienten aus den USA und im Sommer
2012 eine Türkin. Macchiarini erntete
dafür weltweit Beachtung.
Im Januar 2014 starb Beyene. Seine
Kunststoff-Luftröhre hatte sich teilweise
abgelöst. Auch der zweite Patient starb
wenige Monate nach der Operation. Bei
der jungen Türkin musste die Operation
wiederholt werden. Sie liegt seit Jahren
im Spital und braucht intensive Pflege.
Vier Kollegen am Karolinska warfen
Macchiarini später vor, die Ergebnisse in
«The Lancet» sowie fünf weitere Veröffentlichungen geschönt und etwa Hinweise auf eine Infektion bei Beyene verschwiegen zu haben. Im Sommer 2014
zeigten sie Macchiarini offiziell bei der
Leitung des Instituts wegen «wissenschaftlichen Fehlverhaltens» an. Dieses
bat Ende 2014 den emeritierten Professor
der Universität Uppsala, Bengt Gerdin,
den Fall zu untersuchen. Er bestätigte
den Betrug. Die Institutsleitung hielt dennoch an Macchiarini als Forscher fest.
Operationsverbot umgangen
Operieren durfte er zu diesem Zeitpunkt
nicht mehr. Das Karolinska-Universitätskrankenhaus hatte ihm das untersagt.
Doch Macchiarini liess sich nicht aufhalten. Im russischen Krasnodar operierte
er Medienberichten zufolge vier Patienten, von denen heute drei nicht mehr leben. Die SVT-Doku deutet an, dass er
dort nicht ausreichend über die Risiken
der Operation informiert habe. Er operierte demnach auch eine junge Frau,
deren Zustand nicht lebensbedrohlich
war, die danach aber starb.
Auf die Bitte um eine Stellungnahme
schreibt Macchiarini: «Ich befinde mich
derzeit in dem Prozess, alle notwendigen Beweise zu sammeln, um zu zeigen,
dass die Anschuldigungen vollkommen
falsch sind.» Vorher könne er keinen
Kommentar abgeben.
Anders Hamsten, Vize-Rektor des Karolinska-Instituts, reagierte entsetzt auf
die neuen Enthüllungen. Wenn die Behauptung wahr sei, «dass Patienten betrogen oder auf fragwürdiger Grundlage
zur Operation überredet wurden», sei
dies «gänzlich inakzeptabel». Es soll nun
eine unabhängige Untersuchung durch
externe Experten geben.
Die vier Kollegen, die sich 2014 über
Macchiarini beschwert hatten, werfen
der Institutsleitung nun Augenwischerei
vor. Sie beschuldigen Hamsten, früher
von den Problemen gewusst zu haben,
als er zugab. Empört ist auch Torbjörn
Tännsjö, bis Anfang 2015 Mitglied des
ethischen Rats am Karolinska-Institut.
«Es ist Teil des Skandals, dass dieser Rat
zu dem Fall nicht befragt wurde», sagt
er. Offenbar habe Vize-Rektor Hamsten
allein darüber entscheiden wollen, ob
Macchiarini nach dem ersten negativen
Gutachten weiter beschäftigt werde.
«Wenn jemand zurücktreten muss, dann
der Vize-Rektor», sagt Tännsjö, «und
jemand muss zurücktreten.»
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