Magenband gegen Übergewicht: Ärzte und Betroffene warnen vor

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Schlinge ge
Magenband gegen Übergewicht: Ärzte und Betroffene warnen vor Komplikationen
Wer sich ein Magenband einsetzen lässt, nimmt innerhalb kurzer Zeit stark ab. Doch für den Gewichtsverlust
bezahlen Patienten einen hohen Preis. Erbrechen und
Depressionen sind häufige Folgen. Fachleute warnen
davor, sich voreilig den Magen verkleinern zu lassen.
Thomas Grether
[email protected]
T
anja Götti, 30, aus Zetzwil
AG sagt: «Bei mir hat es
klick gemacht.» Sie habe
erkannt, weshalb sie kugelrund
geworden sei. «Ich habe ganz einfach zu viel gegessen.» Doch lange
habe sie sich selbst belogen. «Ich
stand vor dem Spiegel und sagte:
Das viele Fett gehört zu mir.»
Heute steht Tanja Götti als
Amateur-Modell auf dem Laufsteg,
«zum Plausch», wie sie sagt. Und
um zu zeigen, dass auch mollige
Menschen etwas erreichen können.
Tanja Götti ist ihre überschüssigen Kilos nicht mit Hilfe einer
Diät losgeworden. Die junge Frau
legte sich stattdessen auf den Operationstisch – und liess ihren Magen mit einem Silikonband zuschnüren.
Das Band kommt nur für Schwergewichtige mit einem BMI von
über 40 (siehe Tabelle Seite 17) in
Frage. Es unterteilt den Magen in
einen kleinen Vormagen und einen
grossen Restmagen. In den Vormagen passen so nur noch etwa drei
Esslöffel Nahrung, die sich langsam
den Weg durch die enge Passage in
den Restmagen bahnen muss (siehe
Grafik Seite 17). Dies zwingt Magenband-Trägerinnen und -Träger
dazu, nur noch kleine Happen zu
essen. Schlemmen sie zu viel oder
essen sie zu schnell, müssen sie erbrechen, weil die Speisen im verengten Magen stecken bleiben.
«Bratwürste und Pommes
würgen mich»
Viele von ihnen beklagen sich über
diese «ständige Kotzerei», wie es
etwa Edith Kälin aus Zufikon AG
unverblümt ausdrückt: «Ovomalti-
«Ich habe ganz
einfach zu viel
gegessen»
Magenband-Trägerin Tanja Götti
ne und Guetzli gehen gut runter.
Aber Bratwürste und Pommes würgen mich, deshalb erbreche ich häufig.» Kälin gesteht sich selbst ein:
«Ich habe es nicht geschafft, die
Ernährung umzustellen. Das Magenband macht mir mehr Probleme, als ich gedacht habe.»
«Übergewicht ist vor allem
ein Problem des Hirns»
DOMINIQUE SCHÜTZ
Dieses Band
schnürt den
Magen ein
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Heinrich von Grünigen, Leiter der
Schweizerischen Adipositas-Stiftung (Adipositas = krankhafte Fettleibigkeit) und selbst ein Schwergewicht, hat die Ernährung umgestellt
und mit Hilfe von Medikamenten
und Bewegung 35 Kilo abgenommen. Allerdings ohne Magenband,
PULStipp Oktober 2003
egen die Völlerei
BEHANDLUNGEN BEI ÜBERGEWICHT
Durch den knopfähnlichen Port können
Ärzte Flüssigkeit ins Magenband
spritzen. Dadurch wird die Öffnung im
Magen enger (siehe Grafik)
gegen das er sich ganz bewusst entschieden habe. Er wolle weiterhin
«ab und zu über die Stränge schlagen und ein Stück Wildschwein essen, ohne dass ich gleich erbrechen
muss», sagt er.
Der Arzt und Psychotherapeut
Kurt Laederach, der im Berner
Inselspital die Adipositas-Sprechstunde führt, bestätigt: «Erbrechen
gehört bei vielen Magenband-Trägern zum normalen Tagesablauf.»
Eine Schlinge um den Magen löse
das Essproblem nicht. «Übergewicht ist vor allem ein Problem des
Hirns und nicht allein des Magens», sagt Laederach. Wie Heinrich von Grünigen können es sich
viele nicht verkneifen, zwischendurch zu schlemmen. Laederach:
«Ein Magenband sollte gut überlegt
sein. Menschen mit Essanfällen raten wir davon ab.»
Welche Massnahmen sinnvoll sind – und wann die Kassen bezahlen
Bodymass-Index
(BMI) *
25–29,9
leichtes Übergewicht
30–34,9
Adipositas
35–39,9
erhebliche Adipositas
40 und mehr
krankhafte Adipositas
Kassen bezahlen – bei Adipositas-Begleitkrankheiten – erst ab einem BMI von 30.
In der Regel ab BMI 30 bezahlt, darunter nur auf ärztliche Verordnung.
3
Reductil ist nicht kassenpflichtig. Xenical und andere Medikamente werden ab BMI
35 bezahlt. Wenn Diabetes Typ 2 vorliegt und andere Medikamente nicht helfen, ist
Xenical ab BMI 28 bezahlt.
4
Magenband und -bypass sind ab BMI 40 bezahlt. Es müssen allerdings Begleitkrankheiten vorliegen (siehe Kasten Seite 18).
* Berechnung BMI: Gewicht (kg) geteilt durch Körpergrösse (m) mal Körpergrösse (m).
1
2
Quelle: FMH, BSV, Kantonsspital Basel
«Wer es nicht schafft,
kann depressiv werden»
Deshalb steht in einer Vereinbarung der Verbindung Schweizer
Ärzte FMH: «Eine operative Be-
Port
Magenband
Magen
Dickdarm
PULStipp Oktober 2003
Eingespritzte
Flüssigkeit verengt die
Magenöffnung
ILLUSTRATION: Z.SROGA
Vormagen
Ernährungs- Verhaltens- Medika- Magenband
mente3 und Magenberatung1 therapie2
bypass4
20–24,9
kein Übergewicht
Der Adipositas-Spezialist kritisiert,
dass Magenbänder zu oft und zu
schnell eingesetzt würden. Nicht
zuletzt, weil sie mit rund 20 000
Franken pro Band ein einträgliches
Geschäft seien. Laederach rät Patienten, dem Druck von Ärzten
nicht einfach nachzugeben. «Bei
mir ging alles viel zu schnell», sagt
Bettina Müller (Name geändert)
aus Kreuzlingen TG. Ultraschall,
Magenspiegelung und zweimal Blut
abzapfen – schon hatte sie einen
Operationstermin. Doch anhaltendes Erbrechen machte aus Bettina
Müller innerhalb kurzer Zeit «ein
psychisches Wrack», wie sie sagt.
SO FUNKTIONIERT DAS MAGENBAND
Speiseröhre
Bewegung
handlung des Übergewichts darf
dem Patienten unter keinen Umständen aufgezwungen werden.
Dem Patienten sollte eine Bedenkfrist von zwei bis drei Monaten eingeräumt werden.» MagenbandTrägerin Tamara Lintsen, 32, aus
Grenchen SO liess sich gar drei Jahre Zeit. Obwohl ihr Arzt, kaum
hatte er sie zum ersten Mal gesehen,
sofort sagte: «Sie sind eine klare
Kandidatin für ein Magenband.»
Doch so einfach ist es nicht.
Ärzte und Patienten müssen sich an
klare Kriterien halten, die erfüllt
sein müssen, damit die Kasse bezahlt (siehe Kasten Seite 18). Sie
müssen die Psyche eines Patienten
und sein Krankheitsbild richtig
einschätzen. Daniel Giachino, lei-
tender Chirurg des Berner Spitals
Tiefenau: «Auch wenn man zuvor
noch so viele Abklärungen macht:
Für einen Arzt ist es letztlich auch
Gefühlssache, einem Patienten ein
Magenband zu verordnen.» Ob
dieser später damit zurechtkommt,
weiss niemand.
Denn sicher ist: Der Eingriff ist
ein massiver Einschnitt ins Leben.
Die Übergewichtigen müssen sich
von heute auf morgen nach strengen Regeln ernähren, sonst erbrechen sie. Dies überfordert viele, die
über Jahre falsch gegessen haben.
«Wer die Umstellung nicht schafft,
kann depressiv werden», warnt
Kurt Laederach.
Weiter auf Seite 18
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