Aserbaidschan: Erdöl dominiert die Entwicklung am Kaspischen Meer

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Aserbaidschan:
Erdöl dominiert die Entwicklung am Kaspischen Meer
5. März 2008
Öl und Gas sorgen momentan für rasantes Wirtschaftswachstum. Der nahende Produktionshöhepunkt verstärkt
die Notwendigkeit, die Wirtschaft zu diversifizieren und strukturellen Reformen anzugehen.
Ölförderung schon im 19. Jahrhundert von großer Bedeutung
Ohne Aserbaidschan hätte es den Nobelpreis vielleicht nie gegeben. Der Reichtum der schwedischen
Unternehmerfamilie Nobel, deren Mitglied Alfred Nobel mit seinem Erbe die renommierte Auszeichnung ins Leben
rief, geht zu einem großen Teil auf Gewinne aus dem aserbaidschanischen Ölgeschäft zurück. Bereits im Jahr
1848 florierte im nördlichen Aserbaidschan die Erdölindustrie, 95 Prozent des Öls im Russischen Reich und rund
die Hälfte der Erdölproduktion weltweit stammten Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts von
aserbaidschanischen Feldern. Neben den Nobels machte sich damals auch die Frankfurter Bankiersfamilie
Rothschild im Ölgeschäft Bakus einen Namen. Insgesamt erstreckt sich Aserbaidschan über eine Fläche von
86600 qkm und ist damit etwas größer als Österreich, im Osten wird es begrenzt vom Kaspischen Meer und im
Norden von den Bergen des Kaukasus. Seine Nachbarn sind neben den ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien,
Georgien und Russland auch Iran und die Türkei. Die Bevölkerung von 8,4 Millionen ist verhältnismäßig jung,
besteht zu 90 Prozent aus ethnischen Azeri und ist überwiegend muslimisch.
Aserbaidschan auch heute noch bedeutend im Energiebereich
Bis heute gehört Aserbaidschan weltweit zu den wichtigsten Akteuren im Energiebereich – auch wenn seine
Stellung im Vergleich zu vergangenen Zeiten geradezu bescheiden wirkt: 0,6 Prozent der bisher nachgewiesenen
Ölreserven befinden sich auf aserbaidschanischem Territorium, was vergleichbar mit den Reserven Angolas oder
Norwegens ist. Bei den Gasreserven kommt Aserbaidschan auf 0,7 Prozent und ist somit gleichauf mit den
Niederlanden, aber hinter Kasachstan oder Norwegen mit jeweils 1,7 Prozent.
Das Öl stammt hauptsächlich aus dem Offshore-Ölfeld Aseri-Tschirag-Guneschli im kaspischen Meer, das unter
der Leitung von BP erschlossen und genutzt wird. Die Ölproduktion steigt derzeit an, ihr Höhepunkt mit 1,1 Mill.
Barrel pro Tag – rund 85 Prozent der Gesamtfördermenge Aserbaidschans - wird für 2009/2010 erwartet. Ein
Großteil des Öls kann über die Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline (BTC) transportiert werden, was insbesondere für
europäische Kunden von Bedeutung ist, da sie nicht über russisches Territorium verläuft.
Die wichtigsten Gasquellen liegen ebenfalls in den Tiefen des kaspischen Meeres: Neben einigen älteren
Offshore-Feldern hat die Gasförderung durch den Beginn der Erschließung des Shah-Denis-Feldes im Dezember
2006 einen Aufschwung erlebt. Mit Reserven von 420 Mrd. Kubikmetern ist Shah-Denis eines der größten
Gasfelder, die in den vergangenen Jahren entdeckt wurden. Aserbaidschanisches Gas gelangt über die
Baku-Tiflis-Erzurum-Pipeline (BTE) in den Westen, die parallel zur BTC-Pipeline verläuft und erstmals überhaupt
zentralasiatisches Erdgas nach Europa transportiert.
Öl- und Gas beschert rasante Wirtschaftsentwicklung
Die rasante Entwicklung des Energiesektors - die Ölproduktion ist in den letzten Jahren jährlich um mehr als 40
Prozent angestiegen – spiegelt sich auch im Wirtschaftswachstum wider. Im vergangenen Jahr verzeichnete
Aserbaidschan mit 25 Prozent eine der weltweit höchsten BIP Wachstumsraten, was im Gegensatz zu 2006
sogar einen Rückgang um 10 Prozentpunkte darstellte (2006: 34,5 Prozent). Neben diesem extremen
Wirtschaftswachstum beschert der Energieboom dem südkaukasischen Staat auch steigende Fiskaleinnahmen
und einen zunehmenden Leistungsbilanzüberschuss. Die Auslandsverschuldung (2007: 8,3 Prozent des BIP) und
die Schulden des öffentlichen Sektors (2007: 5,6 Prozent des BIP) sind gering. Parallel zur positiven Entwicklung
der Einnahmen aus dem Erdölsektor sind auch die Fremdwährungsreserven auf rund 4 Mrd. US Dollar
angestiegen. Aufgrund einer expansiven Fiskalpolitik blieb der Haushaltsüberschuss jedoch bescheiden. Allein im
Jahr 2006 stiegen die Staatsausgaben um 80 Prozent und im Folgejahr nochmals um 50 Prozent. Vor allem für
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Löhne, Gehälter und Pensionszahlungen griff der aserbaidschanische Staat dabei tief in die Tasche – ein Trend,
der im laufenden Jahr aufgrund der anstehenden Präsidentschaftswahlen vermutlich anhalten wird.
Doch die Großzügigkeit der Regierung hat auch Schattenseiten: Die Inflation verdoppelte sich 2007 im Vergleich
zum Vorjahr und erreichte im Jahresdurchschnitt einen Wert von 16,7 Prozent, nachdem die jährliche
Teuerungsrate zu Beginn des Jahrtausends noch bei moderaten drei Prozent gelegen hatte. Zusätzlich angeheizt
wird dieser Trend durch eine Ausweitung der Geldmenge in Folge unsterilisierter Zentralbankinterventionen, die
eine Aufwertung des aserbaidschanischen Manat in Grenzen hält.
Strukturelle Reformen notwendig um Diversifizierung der Wirtschaft zu fördern
Ungeachtet des starken Wirtschaftswachstums bleiben die strukturellen Herausforderungen nach wie vor hoch.
Vor allem die Abhängigkeit der Wirtschaft vom Energiesektor verdeutlicht die Notwendigkeit von Reformen. Auf
den Energiesektor gingen 2006 85 Prozent der Exporte und über die Hälfte der Staatseinnahmen zurück.
Angesichts der Tatsache, dass momentan der Höhepunkt der Erdölproduktion bereits für 2009/2010 erwartet
wird, ist eine wirtschaftliche Diversifizierung in der nahen Zukunft dringend erforderlich. Obwohl die Wirtschaft
abseits des Energiesektors ihr Wachstum von 4 Prozent in 2006 im vergangenen Jahr auf 11 Prozent steigern
konnte, leidet sie nach wie vor unter der starken realen Aufwertung der heimischen Währung und unter
zunehmenden Arbeitskosten. Einer Diversifikation im Wege stehen allerdings sowohl der bislang gering
entwickelte Finanzsektor, Kredite an den privaten Sektor belaufen sich auf nur 16% des BIP, als auch die
schwierigen wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Laut Weltbank ist die Korruption in den
vergangenen Jahren zwar leicht zurückgegangen, im Vergleich mit den übrigen GUS-Staaten bewegt sich
Aserbaidschan jedoch immer noch im hinteren Bereich. Ähnlich kritisch bewertet die Weltbank auch die
Entwicklung der Rechtstaatlichkeit: Im Jahr 2006 schnitten 78 Prozent aller Staaten in dieser Kategorie besser ab
als Aserbaidschan.
Letzteres spiegelt sich auch im Verhalten ausländischer Investoren wider: Seit 2004 fließen zwar jährlich etwa 5
Milliarden US-Doller nach Aserbaidschan, davon jedoch mehr als zwei Drittel allein in den Ölsektor, die Wirtschaft
abseits dieses Sektors ist noch unterrepräsentiert. Während sich Direktinvestitionen noch schwierig gestalten,
entwickelt sich der Aussenhandel dynamischer: Die aserbaidschanischen Exporte wuchsen 2006 um 70 Prozent,
die Importe nahmen seit 2004 jährlich um über 20 Prozent zu. Die wichtigsten Importgüter sind Maschinen,
Anlagen und Fahrzeuge, was sich auch in den Handelsbeziehungen mit Deutschland zeigt. 26 Prozent der
deutschen Exporte nach Aserbaidschan entfielen 2006 auf Kraftfahrzeuge und Kfz-Teile, an zweiter und dritter
Stelle folgen Elektronik und Maschinen mit jeweils rund 11 Prozent. Für deutsche Unternehmen dieser Branchen
stellt Aserbaidschan also durchaus einen interessanten Absatzmarkt dar, für private Investoren existieren
dagegen bislang kaum Anlagemöglichkeiten: Die Marktkapitalisierung des Aktienmarktes befindet sich mit 9
Prozent des BIP noch auf einem sehr niedrigen Niveau und auch der Anleihenmarkt ist noch unterentwickelt momentan stehen beispielsweise nur zwei Eurobond-Anleihen mit einem Gesamtvolumen von rund 112 Millionen
US-Dollar aus.
Auch insgesamt betrachtet befindet sich die aserbaidschanische Volkswirtschaft noch auf einem relativ niedrigen
Entwicklungsniveau: Die Wirtschaftskraft des Landes insgesamt belief sich 2007 auf rund 30 Mrd. US-Dollar und
ist damit vergleichbar mit Lettland oder Kenia, das verhältnismäßig niedrige Pro-Kopf-Einkommen betrug 2007
circa 3400 US-Dollar, was etwa der Hälfte des russischen Pro-Kopf-Einkommens entspricht. Rund ein Drittel der
Bevölkerung Aserbaidschans arbeitet in der Landwirtschaft, die trotz der anteilig hohen Beschäftigung im Jahr
2007 jedoch nur 6 Prozent zum BIP beisteuerte. Wirtschaftliche Zentren des Landes sind neben der Hauptstadt
Baku mit 1,9 Millionen Einwohnern auch die Städte Sumgait und Ganja.
Das politische System ist auf den Präsidenten konzentriert
Das politische Leben konzentriert sich im zentralisierten präsidentiellen System Aserbaidschans, das seit 1991
offiziell als unabhängiger Staat existiert, auf den Präsidenten. Dieses höchste Amt hat seit 2003 Ilham Aliev inne,
der es von seinem Vater übernommen hat. Letzterer hatte das Land seit 1993 geführt. Der Präsident, der alle fünf
Jahre direkt gewählt wird, dominiert durch seine Machtfülle innerhalb des Systems die übrigen Organe der
Exekutive sowie die Legislative und die Judikative. Zusätzlich gestärkt wird seine Stellung durch die
Parlamentsmehrheit der von ihm geführten New Azerbaijan Party (YAP) mit 58 von 125 Sitzen. Auch bei den im
laufenden Jahr anstehenden Präsidentschaftswahlen ist davon auszugehen, dass Aliev von seiner Partei für eine
zweite Amtszeit ins Rennen geschickt wird. Die politische Opposition, bestehend aus zahlreichen kleineren
regierungskritischen Parteien, ist zersplittert, von staatlichen Maßnahmen geschwächt und wird nur von einigen
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wenigen Abgeordneten im Parlament vertreten. An den bestehenden Machtverhältnissen wird sich somit mit
hoher Wahrscheinlichkeit vorerst wenig ändern, spannend wird es erst wieder 2013, wenn die zweite und damit
laut Verfassung letzte Amtszeit Alievs zu Ende geht.
Ungelöster politischer Konflikt
International erregt immer wieder der armenisch-aserbaidschanische Konflikt um Nagorno-Karabach Aufsehen.
Zankapfel ist eine rund 4400 qkm umfassende Region im Herzen Aserbaidschans, in die nach dem Ende des
zweiten Krieges zwischen Russland und Persien 1829 ein Teil der damals im Persischen und Osmanischen
Reich lebenden Armenier umgesiedelt wurden. Der gegenwärtige Konflikt existiert bereits seit Ende des Ersten
Weltkriegs, entlud sich jedoch erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in einen Krieg zwischen Armenien
und Aserbaidschan. Zwar wurden die offenen Kämpfe 1994 mit einem Waffenstillstand beendet, der Konflikt ist
damit jedoch nicht beigelegt. Erst vor wenigen Wochen hat sich der Aussenminister Aserbaidschans Elmar
Mammadyarov im Wall Street Journal mit deutlichen Worten über den schwelenden Streit geäußert: Zwar sei
Aserbaidschan bereit, der Konfliktregion größtmögliche Autorität zu gewähren, könne aber die seit Kriegsende
andauernde Besetzung durch armenische Truppen nicht tolerieren. Die Tatsache, dass in diesem Jahr in
Aserbaidschan Präsidentschaftswahlen stattfinden, lässt wenig Hoffnung zu, dass sich das Land in naher Zukunft
auf einen Kompromiss einlassen wird.
Beitrag für die Börsen-Zeitung, 1. März 2008
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Evelyn Moser
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