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Erdbeben hinterlassen Narben in
den Bergen
Staunen und ständig Neues entdecken: Höhlenforscher im tropfsteingeschmückten Märchengang der
Raucherkahrhöhle. / Bild: (c) Clemens Tenreiter
In Höhlen überdauern Spuren von Erdbeben mehrere Millionen Jahre.
Daten zu den Verformungen der Gesteine könnten künftig bei der
Prognose tektonischer Bewegungen in der Erde helfen.
19.08.2016 | 18:22 | von Alice Grancy (Die Presse)
Alles begann mit 25 Zentimeter langen Kratzern in Gesteinsablagerungen und
zerbrochenen Tropfsteinen in der Hirschgrubenhöhle am steirischen Hochschwab.
Was zunächst nach Vandalismus aussah, entpuppte sich 2010 als unterirdischer
Beweis für die tektonischen Aktivitäten der Ostalpen. „Auf der Landoberfläche
verwischen Erosion, Vergletscherung und Frost die Spuren von Erdbeben. In
Höhlen bleiben sie Hunderttausende bis mehrere Millionen Jahre erhalten“, sagt
Lukas Plan vom Naturhistorischen Museum (NHM) Wien. Der Geologe war selbst
dabei, als die Relikte des Erdbebens zufällig entdeckt wurden. Es dürfte vor rund
100.000 Jahren – vermutlich mit Stärke 6 – die Wände des Höhleneingangs um
25 Zentimeter gegeneinander verschoben haben.
Der Fund prägte Plans weitere Forschung. Seine Vision: Daten zu den Narben im
Inneren der Berge sollen Erdbebenprognosen ergänzen. Denn: „Bisherige
Berechnungen von Erbebenwahrscheinlichkeiten beruhen auf gerade einmal
hundert Jahre alten Messungen und auf Aufzeichnungen, die bis ins Mittelalter
reichen“, so der Forscher. In Stadtchroniken etwa sind Schäden an Personen und
Gebäuden dokumentiert: Historische Quellen belegen beispielsweise die
schweren Auswirkungen des Erdbebens von 1590 in Ried am Riederberg auf das
23 Kilometer entfernte Wien: Die Türme von Michaeler- und Schottenkirche
stürzten ein, neun Menschen starben in der Rotenturmstraße.
Die Erde tickt anders
Aus Sicht des Geologen gehen die Aufzeichnungen zu wenig weit zurück. Die
Erde funktioniere nach ganz anderen zeitlichen Größenordnungen. Gerade starke
Erdbeben passieren oft in sehr großen zeitlichen Abständen. Mehrere tausend
Jahre alte Ereignisse sind aber noch gar nicht im Erdbebenkatalog erfasst. Ziel
des 2013 gestarteten, vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten
Forschungsprojekts Speleotect war es daher zu prüfen, ob und welche
Rückschlüsse Höhlen auf tektonische Bewegungen in der Erdkruste erlauben.
Die Plattentektonik verursacht Spannungen, dadurch entstehen im Gebirge Risse,
sogenannte Störungen. Verschieben sich diese, passiert ein Erdbeben. „Sind die
Störungen jünger als die Höhle, ist das ein Indiz für die Aktivität in der Erde“, sagt
Plan. Um Veränderungen im Gestein genau zu messen, befestigten die Forscher
Messeinrichtungen in sieben Höhlen Österreichs, darunter auch Schauhöhlen wie
die Obirhöhlen bei Bad Eisenkappel in Kärnten oder die Eisensteinhöhle nahe
dem niederösterreichischen Bad Fischau-Brunn sowie in weniger bekannten
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Höhlen. Dort erfassen seither im Gestein verankerte Sensoren stündlich jede
Bewegung im Berg: von wenigen Mikrometern, also tausendstel Millimetern, bis
zu 40 Zentimetern.
Bei Letzteren gehen die Forscher davon aus, dass sie von einem Erdbeben
stammen. Insgesamt wiesen die Forscher 20 Veränderungen nach, die von
Erdbeben ausgelöst sein könnten, und bestimmten großteils auch deren Alter.
Außerdem zeigten sie mit ihren Messungen, dass sich im Berg auch Bewegungen
vor einem Erdbeben erfassen lassen. Von einer Vorhersage sei man aber noch
weit entfernt, relativiert Plan.
Berg birgt weiter Rätsel
Um zu klären, ob tatsächlich Erdbeben das Gestein verformten, untersuchte er
mit seinem Team Gesteinsproben unter dem Rasterelektronenmikroskop. Die
tatsächlichen Ursachen lassen sich – kurz vor Projektende – aber noch nicht
festmachen. Man habe zwar „einige Steinchen zur Lösung des Rätsels
beigetragen“, stehe in der Forschung aber noch am Anfang. Ein bereits
beantragtes Folgeprojekt soll die Klärung vorantreiben.
Plan ist selbst staatlich geprüfter Höhlenführer und auch in seiner Freizeit zieht es
ihn in den Berg. Gemeinsam mit Christoph Spötl (Uni Innsbruck) und Erhard
Christian (Boku Wien) hat er kürzlich ein umfassendes Überblickswerk zu Höhlen
in Österreich veröffentlicht (siehe Buchtipp). Einen Beitrag zur Tektonik sucht man
dort allerdings vergeblich: Das Thema ist zu neu, Speleotect war hierzulande das
erste Forschungsprojekt dazu.
BUCHTIPP
„Höhlen und Karst in Österreich“ fasst auf 750 Seiten natur-, aber auch
kulturwissenschaftliche Aspekte der Höhlenforschung zusammen. Die
Herausgeber haben dazu allgemein verständlich formulierte Beiträge von 49
Autoren gesammelt (C. Spötl, L. Plan, E. Christian, 49 Euro, zu beziehen unter
0732/77 20-52101 bzw. [email protected]). Am Mittwoch, 7.
September 2016, 18.30, präsentieren sie das Buch im NHM Wien.
IN ZAHLEN
16.000Höhlen sind in Österreich erfasst. Aneinandergereiht wären sie rund 2300
Kilometer lang. Jedes Jahr entdecken Höhlenforscher etwa 300 neue Höhlen.
15Erdbeben sind pro Jahr in Österreich für die Bevölkerung spürbar, insgesamt
registriert die ZAMG mehrere hundert Erdbeben. Alle zwei Jahre richtet ein
Beben einen leichten Schaden an. Weltweit gibt es jährlich 150.000 kleinere und
mittlere Erdbeben, etwa 20 haben mitunter katastrophale Auswirkungen auf den
Menschen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2016)
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