Seite 332 ff. - Dornbach GmbH

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Kopie von Dornbach_München_Rae , abgerufen am 19.08.2016 14:18 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK
Kentner: Kündigungsschutz in Konzernunternehmen – Aus klein wird groß?
GWR 2016, 332
Kündigungsschutz in Konzernunternehmen – Aus klein wird groß?
Rechtsanwalt Matthias Kentner, Dornbach GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft, München
Die arbeitsrechtliche Beratungspraxis zeigt, dass viele Mitarbeiter großer Konzerne sich als Teil
eines Unternehmens wahrnehmen. Doch in der Regel stellen sich Konzerne als Verbund rechtlich
selbständiger Konzernunternehmen dar. Diese Konzernunternehmen sind teilweise wesentlich
kleiner als die Konzernmutter. Aus Gründen einer effizienten Organisation und zur Reduzierung von
Personal und Kosten ist es in der unternehmerischen Praxis üblich, dass die Mitarbeiter sämtlicher
Konzernunternehmen durch zentral handelnde Abteilungen der Konzernmutter betreut werden.
Eine Folge dieser Konzernorganisation ist, dass sich die Zahl der in den
Konzerntochterunternehmen angestellten Arbeitnehmer im einstelligen Bereich bewegen kann und
damit der Schwellenwert des § 23 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) von mehr als 10
Arbeitnehmern nicht erreicht wird. Möchte sich das Konzerntochterunternehmen von einem
Mitarbeiter trennen, benötigt es in diesem Fall keinen Kündigungsgrund. Für die Mitarbeiter dieser
Tochterunternehmen besteht faktisch kein effektiver Kündigungsschutz. Der Geltungsbereich des
Kündigungsschutzgesetzes ist nicht eröffnet.
Doch können sich Konzerntochterunternehmen tatsächlich auf die sogenannte
„Kleinbetriebsklausel“ zurückziehen, wenn im Hintergrund zentrale Abteilungen (z. B. die Abteilung
Human Resources) konzernübergreifend agieren? Es stellt sich die Frage, wann ein einheitlicher
Leitungsapparat und damit ein Gemeinschaftsbetrieb entstehen kann, sodass bei der Berechnung
im Rahmen des § 23 KSchG auch die Mitarbeiter anderer Konzernunternehmen zu berücksichtigen
wären.
I. Der Gemeinschaftsbetrieb
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) liegt ein gemeinsamer Betrieb mehrerer
Unternehmen vor, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen
Betriebsmittel mehrerer Unternehmen für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck
zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen
Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat betriebsbezogen gesteuert wird. Die
beteiligten Unternehmen müssen sich zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung
rechtlich verbunden haben, so dass der Kern der Arbeitgeberfunktion im sozialen und personellen
Bereich von derselben institutionellen Leitung ausgeübt wird. Diese Voraussetzung trifft nicht schon
dann zu, wenn die Unternehmen – etwa auf der Grundlage von Organ- oder
Beherrschungsverträgen – unternehmerisch zusammenarbeiten. Konzernrechtliche Weisungsmacht
erzeugt, selbst wenn sie bis zur Betriebsebene durchschlägt, für sich genommen keinen
betriebsbezogenen gemeinsamen Leitungsapparat (vgl. BAG Urt. v. 24.5.2012 – Az. 2 AZR 62/11,
BeckRS 2013, 65447).
II. Die Kriterien
Allein die Tatsache, dass die einzelnen Konzernunternehmen mittels Organ- und
Beherrschungsverträgen zusammenarbeiten, kann also nicht zur Annahme eines
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Gemeinschaftsbetriebs führen. Wann ein solcher tatsächlich vorliegt, bedarf im Einzelfall jeweils der
Gesamtwürdigung konkreter Indizien. Folgende Beispiele illustrieren die Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts:
So wurde ein Gemeinschaftsbetrieb angenommen, da dem Betriebsrat in den wesentlichen sozialen
und personellen Angelegenheiten stets dieselbe Ansprechperson als Arbeitgebervertreter, nämlich
der immerhin mit Prokura ausgestattete „Personalleiter” Dr. M, entgegengetreten sei (vgl. BAG Urt.
v. 18.10.2000 – 2 AZR 494/99, BeckRS 2001, 40228). Gleich entschied das BAG in einem anderen
Fall und führte aus, dass für das Bestehen einer einheitlichen Leitung in personellen und sozialen
Angelegenheiten sprechen kann, dass die Personalakten der bei einer Gesellschaft beschäftigten
Arbeitnehmer bei der Verwaltung einer anderen Gesellschaft geführt und Arbeitsverträge und
sonstige personenbezogene Schriftstücke der einen für die andere Gesellschaft erstellt werden.
Auch könne Personenidentität in der Geschäftsführung beider Unternehmen als wesentliches Indiz
für das Bestehen eines einheitlichen Leitungsapparats angesehen werden. Bei einer derartigen
Organisation könne angenommen werden, dass die Unternehmen institutionell einheitlich geleitet
werden (vgl. BAG, Beschl. v. 11.2.2004 – 7 ABR 27/03, BeckRS 2004, 40742).
In anderen Fällen hat das BAG allerdings die Existenz eines Gemeinschaftsbetriebs mit der
Begründung abgelehnt, dass das Vorhandensein einer gemeinsamen Personalabteilung nur dann
ein wesentliches Indiz für einen gemeinsamen Betrieb bilden würde, wenn nicht nur
Dienstleistungen übernommen werden, die auch als Serviceleistungen Dritter denkbar sind, wie
zum Beispiel die Lohnbuchhaltung. Erforderlich sei vielmehr,
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groß?(GWR 2016, 332)
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dass die Personalabteilung zur Wahrnehmung der personellen Arbeitgeberfunktionen bevollmächtigt
ist bzw. sie durch eine Person geleitet werde, die für beide Unternehmen die Entscheidungen in
wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten trifft. Handele es sich dagegen bei der
Personalabteilung lediglich um eine Einheit, die unterstützend die Entscheidungen der beiden
Unternehmen umsetzt, kann ihr keine ausschlaggebende Indizwirkung zukommen (vgl. BAG; Urt.
v. 18.20.2006 – Az. 2 AZR 434/05, BeckRS 2007, 41755).
Auch könne allein die Erledigung der Buchhaltung von zwei Unternehmen durch ein Unternehmen
als Indiz nicht ausreichen. Sie könne auf die Ausübung konzernrechtlicher Leitungsmacht
zurückzuführen sein. Ebenfalls sei der Vortrag, zwei Unternehmen seien „in Personalunion“ von
derselben Person geführt worden, unzureichend, wenn den Vertretungsorganen beider
Unternehmen weitere und unterschiedliche Personen angehören. Eine gemeinsame Betriebsführung
würde regelmäßig voraussetzten, dass die wesentlichen Entscheidungen gerade in personellen und
sozialen Angelegenheiten gemeinsam getroffen werden (vgl. BAG, Urt. v. 24.5.2012 – Az. 2 AZR
62/11, BeckRS 2013, 65447).
III. Fazit
Vom Bundesarbeitsgericht wird anerkannt, dass mehrere rechtlich selbständige Unternehmen einen
Gemeinschaftsbetrieb bilden können. Entscheidend ist, dass der „Kern der Arbeitgeberfunktionen“
von einem einheitlichen Leitungsapparat ausgeübt wird. Bleibt die tatsächliche Entscheidung in
arbeitsrechtlichen Angelegenheiten, wie beispielsweise eine Arbeitgeberkündigung, allerdings bei
den einzelnen Konzerntochterunternehmen und wird lediglich die Umsetzung von einer zentralen
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Abteilung Human Resources vorgenommen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein
Gemeinschaftsbetrieb gegeben ist.
Die wesentlichen Entscheidungen in personellen und sozialen Angelegenheiten sollten daher
dezentral von den Geschäftsführern, Vorständen oder Personalverantwortlichen der jeweiligen
Konzerntochterunternehmen getroffen werden, um einen einheitlichen Leitungsapparat und damit
die Gefahr der Annahme eines Gemeinschaftsbetriebs zu vermeiden. Ob dies bei der Leitung
mehrerer Konzerntochterunternehmen durch eine Person immer möglich ist, steht auf einem
anderen Blatt. Eine Alternative kann die „Auslagerung der Arbeitgeberfunktion“ in ein ausländisches
Konzernunternehmen sein, da das Kündigungsschutzgesetz nur im Inland Anwendung findet. Die
Arbeitgeberfunktion für eine deutsche Konzerntochter wird in diesem Fall von einem ausländischen
Konzernunternehmen ausgeübt, dessen Mitarbeiter aber in die Berechnung des Schwellenwerts
nach § 23 KSchG nicht einbezogen werden.
Liegt kein Gemeinschaftsbetrieb vor und bleibt die Arbeitnehmerzahl des
Konzerntochterunternehmens unter dem Schwellenwert des § 23 KSchG, wird die Konzerntochter
letztendlich wie ein Kleinunternehmen behandelt. Einer Arbeitgeberkündigung stehen dann in der
Regel, abgesehen von rechtsmissbräuchlichem Verhalten, keine Hürden entgegen.
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