Sonder-Newsletter 15 - Kinderwunschzentrum Darmstadt

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Sonder-Newsletter Nr. 15 (Juli 2010)
Präimplantationsdiagnostik (PID)
Genetisches Präimplantationsscreening (PGS)
Der BGH in Leipzig hat einen Berliner Reproduktionsmediziner freigesprochen, der in drei
Fällen von zu erwartender schwerer genetischer Schädigung eine Präimplantationsdiagnose
hat durchführen lassen. In seinem Urteil schränkte der BGH die Zulässigkeit der PID auf
schwere Gendefekte ein, ohne diese im Detail zu benennen. Der emeritierte Lübecker
Humangenetiker, Prof. Dr. Eberhard Schwinger, schätzt die Zahl derartiger Fälle in
Deutschland auf etwa 500 pro Jahr. Die reproduktionsbiologischen und humangenetischen
Voraussetzungen zur Durchführung einer PID sind im Kinderwunschzentrum Darmstadt
vorhanden.
PID muß von PGS unterschieden werden. Nach dem Urteil des BGH zur PID wird das
genetische Präimplatationsscreening vermehrt von Patientinnen und Paaren nachgefragt
werden. PGS ist in Deutschland auch weiterhin nicht erlaubt.
In seinem SPIEGEL ESSAY vom 12.07.2010 führt Professor Schwinger dazu aus:
„Gern werden in der Debatte um die PID als Beispiel die Trisomie 21 oder andere
Chromosomenstörungen angeführt. Die führt in die Irre, denn diese Syndrome sind zwar
häufig, mit Hilfe der PID aber kaum zu verhüten. Zwar haben Ärzte es häufig versucht: Sie
haben Embryonen auf Chromosomenstörungen hin untersucht, ehe sie diese implantierten.
Sie mussten jedoch feststellen, dass der Anteil von Embryonen extrem hoch ist – viel höher,
als es der Anteil von Trisomie-Kindern erwarten ließe. Offenbar gibt es frühembryonale
Reparaturmechanismen, mit deren Hilfe der Embryo sich selbst überschüssiger
Chromosomen zu entledigen weiß. Für die Praxis bedeutet das: Die PID (PGS; der Verf.) ist
im Falle des Down-Syndroms und ähnlicher Syndrome weitgehend ungeeignet. Die PID
(PGS) taugt nicht zur Massenuntersuchung“ – also nicht zum Screening.
Zu den möglichen „frühembryonalen Reparaturmechanismen“ und der Möglichkeit von
Mosaiken (einzelne Zellen des Embryos mit und ohne Triploidie) als Erklärung für die
Diskrepanz zwischen der hohen Anzahl triploider Embryonen und tatsächlich mit Triploidie
geborener Kinder kommt noch die „natürliche Selektion nicht intakter Embryonen während
der Reifung zur Blastozyste hinzu. Dies wird unten an einem Schema verdeutlich (s. unten).
In der Reproduktionsmedizin besteht der konzeptionelle Hintergrund von PGS in der
Annahme, daß bei Frauen ab einem Alter von 35 Jahren die abnehmende
Schwangerschaftsrate auf das mit dem Alter zunehmende Vorliegen einer Triploidie (z.B.
embryonale Anlage zu einem Down-Syndrom) zurückzuführen sei und der Transfer von
euploiden (also vermutlich intakten) Embryonen die Schwangerschaftsrate erhöhe.
Mehrere Untersuchungen konnten zeigen, dass dieser Effekt nicht nur nicht eintritt, sondern
die Schwangerschaftsrate bei Anwendung von PGS sogar sinkt. Die Arbeitsgruppe aus
Amsterdam (Center for Reproductive Medicine, Academic Medical Center, University of
Amsterdam, Amsterdam, The Netherlands) hat eine der wichtigen Studien zu dieser
Problematik verfasst:
Mastenbroek S, Twisk M, van Echten-Arends J, Sikkema-Raddatz B, Korevaar JC, Verhoeve
HR, Vogel NE, Arts EG, de Vries JW, Bossuyt PM, Buys CH, Heineman MJ, Repping S, van
der Veen F.
In vitro fertilization with preimplantation genetic screening
N Engl J Med. 2007 Jul 5;357(1):9-17. Epub 2007 Jul 4.
.http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17611204
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Bei Frauen in einem Alter von 35 bis 41 Jahren wurden in einer randomisierten, doppelt
blinden, kontrollierten Multicenterstudie jeweils drei IVF-Zyklen mit und ohne PDS
durchgeführt. Im Einzelnen wurde bei 206 Frauen (434 Zyklen) ein PGS und bei 202 Frauen
(402 Zyklen) kein genetisches Präimplantationsscreening durchgeführt. Bei Frauen mit PGS
lag die Rate fortlaufender Schwangerschaften (positive Herzaktion in der 12. Woche) mit
25% signifikant unter der ohne Screening (37%). Auch die Rate von Lebendgeburten lag mit
24% versus 35% signifikant tiefer.
Der nahe liegende Grund für das Absinken der Schwangerschafts- und Geburtenrate ist die
mögliche Schädigung des Embryos durch die Entnahme einer Zelle, so dass seine
Einnistungsfähigkeit beeinträchtigt wird. Die Schädigungsrate muß beträchtlich sein, denn
sonst wäre eine Erniedrigung der Schwangerschafts- und Geburtenrate durch PGS um etwa
30% nicht denkbar.
Das Schema zeigt die mögliche Entwicklung von Embryonen in der 5-Tage-Kultur aus
Eizellen im PN-Stadium zu Blastozysten. Im Verlaufe der Blastozystenkultur kommt es zu
einem Zurückbleiben der Entwicklung einer zunehmenden Anzahl von Embryonen, so daß
nur 20% der anfänglich der Eizellen im PN-Stadium bzw. der frühen Teilungsembryonen das
Blastozystenstadium erreichen. Dies sind die Daten des Kinderwunschzentrums Darmstadt,
die auch den internationalen Daten entsprechen. Grün umrandet sind die Zellen bzw.
Embryonen, die mikroskopisch an den jeweiligen Tagen nach der Punktion (P+1, P+3 etc.)
als entwicklungsfähig angesehen wurden, während diejenigen Embryonen rot umrandet sind,
die zu keiner Schwangerschaft führen werden. Der Entwicklungsverzögerung dieser
Embryonen liegen Gendefekte zugrunde.
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Die Blastozystenkultur als solche führt demnach im Rahmen einer „natürlichen Selektion“ zu
einer Reduzierung auf ein bis zwei Blastozysten. Die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung
einer solchen Blastozyste durch Entfernung einer Zelle im 8-Zell-Stadium zwecks
Durchführung eines genetischen Screenings und damit die Verhinderung einer intakten
Schwangerschaft ist offenbar ungleich größer als die Entwicklung eines Kindes z.B. mit
einem Down-Syndrom.
Die Indikation zur Pränataldiagnostik (Nackentransluzenz etc.) sollte nach Assistierter
Reproduktion großzügig gestellt werden. Bei mehreren tausend Schwangerschaften des
Kinderwunschzentrum Darmstadt in der Zeit von 1986 bis heute wurde glücklicherweise nur
dreimal die Diagnose einer Trisomie gestellt.
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