Prof. Dr. Svenja Taubner

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Den Heranwachsenden verstehen
und begleiten – die
Mentalisierungsbasierte Therapie
mit Adoleszenten (MBT-A)
Univ. Prof. Dr. phil. Svenja Taubner
Institut für Psychosoziale Prävention
Universität Heidelberg
[email protected]
Inhalte:
- Herausforderungen für die Gesundheit Adoleszenter
- Merkmale der Adoleszenz
- Mentalisierung
- Entwicklung von Mentalisierung
- Mentalisierung in der Adoleszenz
- Psychopathologie und Mentalisierung am Beispiel von
Gewalt
- MBT-A
HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE
GESUNDHEIT ADOLESZENTER
• Adoleszenz ist die Entwicklungsphase, in der ein
Individuum seine Fähigkeiten für sein Erwachsenenleben
erwirbt.
• Größte Population der 10-24jährigen weltweit in der
Geschichte der Menschheit und vermutlich Gesündeste
(Nahrung, Bildung, Familiengründung, Technologiezugang)
• Aber auch eine vulnerable Phase und so hat diese
Altersgruppe den geringsten Gesundheitszuwachs bei
verbesserter Ökonomie im Vergleich zu anderen
Altersgruppen
• Herausforderungen im Hinblick auf Lebensjahre
und Todesfälle
• „Multi-Burden countries“ (n=68)
– Armut (HIV, Unterernährung)
• Unfälle und Gewalt-Länder (n=28)
• Länder mit Hauptlast nicht-übertragbarer
Erkrankungen (psychische Störungen, chronische
körperliche Erkrankungen) (n=92)
• Größte Not in den NCB-Ländern
haben die folgenden Minoritäten
– LGBT, ohne festen Wohnsitz,
junge Gewalttäter (haben eine
10mal höhere Wahrscheinlichkeit
in der Adoleszenz zu sterben)
GEWALT UND
AGGRESSION
Aggressionsentwicklung im Lebenslauf
• Höhepunkt der Aggressionsentwicklung bei 2 Jahren
(Nagin & Tremblay 2001, Shaw et al. 2003)
• 75% der Kinder sind aggressiv!
• Danach kontinuierliche Abnahme
• ca. 6% zeigen stabiles körperlich-aggressives
Verhalten, keine Unterschiede im IQ aber größere
Furchtlosigkeit
• 25% sind nie besonders aggressiv
Gewalt wird verlernt, nicht erlernt!
Gewalt markiert das Scheitern normaler
Entwicklungsprozesse!
Aggression in der Adoleszenz I
• 10-20% der Jugendlichen sind
psychopathologisch auffällig
• Bestimmte psychische Erkrankungen beginnen
in der Adoleszenz
– Depression und Angst
– Antisoziales Verhalten
– Drogenabusus
– Schizophrenie
11
Adolescent-Limited Path
Life-Course Persistent Path
(Moffitt 1993)
Aggression in der Adoleszenz II
• 62% der Todesfälle unter Jugendlichen als
Folge tödlicher Verletzungen
– Ursachen (Statistisches Bundesamt 2010) :
• Verkehrsunfälle, Gewalt und Selbstverletzungen
• Risikoverhalten (National Youth Risk Behavior
Survey, Eaton et al. 2006)
– Alkohol am Steuer, Fahren ohne
Sicherheitsgurt
– Tragen von Waffen
– Substanzabusus
– Ungeschützter Geschlechtsverkehr
13
Aggression in der Adoleszenz III
• Einige Vereinfachungen:
– „Gewalt ist jugendlich“
• Shell Jugendstudie 2006: 22% der Jugendlichen in
letzen Jahr in Schlägereien verwickelt.
– „Gewalt ist männlich“
• 2007: 83% der Körperverletzungen von Männern/
männlichen Jugendlichen
– „Gewalt ist wiederholt“
• 50% aller registrierten Straftaten von 10% der
jungen, männlichen Straftätern begangen
(Daten aus Wahl, 2009)
MERKMALE DER ADOLESZENZ
Entscheidungs- und Risikoverhalten
(Kambam & Thompson 2009)
• „kalte“ Kognitionen (logisches Denken,
Hypothesentestung) ist ab 14 Jahren auf dem Stand
Erwachsener
• „heiße“ Kognitionen in Situationen mit hoher
emotionaler Involviertheit
– Konformitätsdruck mit den Peers
– Weniger Verantwortlichkeitsempfinden
– Weniger langfristige Perspektive
– Weniger Impulskontrolle
– Mehr Wunsch nach „Belohnung“ oder „sensation
seeking“ (Steinberg 2008)
16
Gehirnentwicklung während der Adoleszenz
(Giedd et al., 1999)
• vermutlich existiert eine
Überproduktion von Synapsen in
der Präadoleszenz
• vermutlich wird die Zahl der
Synapsen während der
Adoleszenz „verschlankt“
• die Adoleszenz ist also eine
„gestalterische Phase“ der
Hirnentwicklung
• erfahrungsabhängig
17
Ungleichgewicht zwischen limbischer und
kortikaler Entwicklung in der Adoleszenz
Neurofunktionelle Entwicklung
(Casey et al. 2008)
Limbische
Areale
Präfrontaler
Kortex
Adoleszenz
Maturierung 4-25 Jahre
Alter
18
Entwicklung des Gehirns
• “Windows of vulnerability” = kritische
Entwicklungsphasen, in denen das Gehirn
spezifische Fertigkeiten oder Funktionen
entwickelt
• Unterschiedliche kritische Entwicklungsfenster
in Bezug auf verschiedene Hirnregionen
• Wenn die Chance des Übens einer bestimmten
Fertigkeit versäumt wird, so kann das Kind/ der
Adoleszente dies nie lernen oder nur
eingeschränkt.
(Lupien et al., 2009; Teicher et al., 2008)
Vulnerabilität bei Problemen der Affektregulation
und dem Verhalten in der Adoleszenz
Frühe Adoleszenz
Mittlere Adoleszenz
Späte Adoleszenz
Pubertät erhöht die
emotionale Erregbarkeit,
sensation-seeking und die
Belohnungsorientierung
Phase der erhöhten
Vulnerabilität bezogen auf
Risikobereitschaft und
Probleme bei der
Affektregulation und im
Verhalten
Reifung der
Frontalhirn-Bereiche,
die regulierende
Funktionen
übernehmen
“The developments of early adolescence may well create a situation in which one is
starting an engine without yet having a skilled driver behind the wheel.” (Steinberg,
Trends Cogn Sci: S. 70, 2005)
20
Mentalisierung
Mentalisierung als
Brückenfunktion
•Fähigkeit, sich innerpsychische
(mentale) Zustände in sich selbst
und in anderen Menschen
vorzustellen, weil das Selbst und
der Andere als intentionale
Wesen aufgefasst werden, deren
Verhalten auf Gründen im Sinne
psychischer Befindlichkeiten
basiert. (Fonagy et al. 2002)
Intentionalität
• Mentalisierung basiert auf der Annahme, dass die
Attribuierung von Intentionalität das Verhalten
am ehesten vorhersagt.
• Kontrast physikalischer/ biologischer Standpunkt.
23
Mentalisierung als eine Form der
sozialen Kognition
Ist die Fähigkeit,
einen Sinn in seiner
emotionalen und
relationalen Welt zu
sehen
Ich fühle etwas…
Sich selbst von außen
und andere von innen
zu sehen
Deswegen tue ich…
Das dich etwas fühlen lässt…
Was mich etwas fühlen lässt…
Und dann tust du…
Der Fokus liegt auf dem mentalen Zustand und nicht auf dem Verhalten
24
Nur die eigene Perspektive im Blick…
Sich selbst von außen und den anderen von
Innen sehen…
Effektives Mentalisieren
• Neugier in Bezug auf mentale Zustände
• Gewahrsein des Einflusses auf andere
• Gewahrsein , dass mentale Zustände opak,
also undurchsichtig, sind
• Zulassen versch. Perspektiven
• Nicht-paranoide Einstellung
• Vertrauen in andere
Gutes Mentalisieren
Other
Explicit
awareness
Affect
External (visible)
Mz
Internal (opaque)
Implicit
automatic
Cognitions
Self
D. Bevington
Präfrontale Kapazität
Posteriore und
subkortikale Kapazität
Leistung
Switchpoint
Niedrig
Hoch
Erregungsniveau
Beispiel Cook aus „Skins“
Wie entsteht Mentalisierung?
• „Das psychische Selbst taucht
auf, wenn sich das Kind als
denkendes und fühlendes
Wesen in der Psyche einer
anderen Person wahrnehmen
kann.“ (Fonagy et al. 2002)
32
Soziale Bio-Feedback Theorie
(Watson & Gergely)
33
Zwischen dem 3.-5.Lebensjahr
Integration:
Mentalisierung
Modus der
Äquivalenz
•
•
Gefühle und Gedanken
sind Teil der
physikalischen Realität
Realitätsorientiert aber
nicht mentalisierend
(keine Metakognition,
keine
Repräsentationalität)
„Als-Ob“
Modus
•
•
Abkoppelung von
Repräsentation und
Realität
Mentalisierend aber
nicht realitätsorientiert
34
MENTALISIERUNG IN DER
ADOLESZENZ
Reflexionsfähigkeiten als Motor
der Veränderung?
• Dezentrierung des Selbst:
– Gefühl der (unerträglichen) Einsamkeit
– Geschichtlichkeit
– Umarbeitung der eigenen Kindheitserinnerungen
– Kindheitserinnerungen erhalten eine
lebensgeschichtliche Bedeutung
• Reflexion verschiedener Selbstzustände
• Vertiefung Metakognitiver Fähigkeiten
• Multiple-Perspektiven
36
Entwicklungspsychopathologie
Risiko- und Schutzfaktoren für die Entwicklung
von Gesundheit vs. Krankheit
Soziale Kognitionen bei
externalisierenden Störungen
• Keine Defizite bei False-Belief-Tests (Happé & Frith,
1996).
• Kinder mit SSV zeigen einen übertrieben positiven
Mentalisierungsstil in Bezug auf die Gedanken, die sie
anderen über sich unterstellen (Ha et al., 2011).
• Haben Defizite im verstehen von Emotionen (Sharp,
2008).
• Zeigen Defizite der korrekten Zuordnung von mentalen
Befindlichkeiten bei anderen (Happé & Frith, 1996).
• Die meisten dieser Studien erfassen “offline”
Mentalisierung (Sharp & Venta, 2012).
Sozial-kognitive Informationsverarbeitung (Crick & Dodge, 1994)
Soziale Reize
Proaktiv aggressiv
Sehr gute ToM, aber
Störung der Empathie
Kodierung
Auswahl
Ergebnisevaluation
Reaktiv aggressiv
„Theory of nasty minds“
Interpretation
Zielklärung
Soziale Informationsverarbeitung bei gewalttätigen
jungen Männern
In Koop. mit Prof. John Haynes, Bernsteincenter for Computational Neuroscience, und
Prof. Gerhard Roth & PD Thorsten Fehr, Universität Bremen
• Stimuli: Bremen Aggression Inventory (BrAIn,
Fehr, 2010)
• 90 Videos à 5 sec. Länge, die interaktionelle
Situationen aus der Ich-Perspektive filmisch
darstellen
• Positive Interaktion (z.B. freundliches Lächeln)
• Neutrale Interaktion (z.B. aneinander
vorbeigehen)
• Reaktiv aggressive Interaktion (z.B. schubsen,
bedrohen, Provokation)
• n(EG)=24, n(KG)=22
Taubner et al. (in prep)
Gold-Standard Operationalisierung von
Mentalisierung:
Gesamtwertung
Reflective Functioning Scale
(Fonagy et al. 1998)
9
Außergewöhnlich
7
5
3
Deutlich
Durchschnittlich
Fraglich od. niedrig
1
-1
Abwesend
Negativ
Durchschnittlich
bis hoch
Negativ bis
niedrig
Reflective Functioning Scale –
Beispiele:
I: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sich ihre
Eltern Ihnen als Kind gegenüber so verhalten
haben, wie sie es getan haben?
A: Die haben sich immer gut verhalten... Was soll
es da für Gründe geben? Ich bin die Tochter.
B: Mein Vater hatte auch keinen richtigen Vater,
also ich weiß nicht ob das, ich bin auch selber oft
am Überlegen, ob das eine Entschuldigung dafür
ist, wie er ist oder was er gemacht hat oder was
er nicht gemacht hat, aber ähm er hat seinen
Vater auch glaub ich ein, zwei Mal gesehen oder
so und kennt ihn auch nicht richtig, weiß auch
nicht wo der jetzt lebt und das könnte halt, naja
das prägt ja ein Kind auch und das ist dann
entscheidend für die Entwicklung
C: Ja, ich denke, dass beide auch sehr viel Selbstwertzweifel hatten,
an sich selbst und ihrem eigenen Wert gezweifelt haben, und an
ihrem eigenen Vermögen, so äh, dass meine Mutter auch sehr viel
Bestätigung immer brauchte, so von außen auch, und mein Vater eben
auch, hm, dass er, also immer darunter gelitten hat, dass er nicht
studieren konnte, und sich alles selbst aneignen musste, und immer
wieder auch Bestätigung gesucht hat bei anderen. Und auch, mein
Vater ist auch recht streng erzogen worden, hat, ich denke auch sehr
viel Prügel bekommen als Junge, […] also ich denke, sie hat auch viel
Mangel erlebt, so, wenig Zuwendung und Wärme, so, und jetzt, klar,
konnte sie das natürlich nicht weitergeben, und ja, wo ich denke,
dass sie sich schon bemüht hat, oder sie beide sich das vorgenommen
haben.
Mentalisierung und Störung des
Sozialverhaltens
• Mentalisierungsdefizite bei aggressiven
Adoleszenten und Erwachsenen (Levinson &
Fonagy, 2004; Taubner et al., 2010; Möller
et al., 2014)
• Taubner et. al, 2010 (n=48):
• Mit SSV:
• Ohne SSV:
RF-Score: M = 2.6
RF-Score: M = 4.7
• Cropp, Taubner et al., submitted (N=134):
• Mit SSV:
• Ohne SSV:
RF-Score: M= 1.4
RF-Score: M= 4.0
RF bei Adoleszenten
Patient group Control group
(N=38)
(N=96)
Reflective
Functioning
overall score,
M (SD)
1.4 (0.9)
4.0 (1.4)
Descriptive
Range
M
Number of SCID-I
diagnoses, N=117
Number of SCID-II
diagnoses,
N=117
History of childhood
trauma (CTQ/ CECAQ), N=132
aSpearman’s
(Cropp, Taubner et al. submitted)
F
p
effect size η2
81.31
˂0.001
.38
SD
Correlationsa
RF
SCID-I
0-7
1.22
1.70
-.56***
0-5
0.79
1.17
-.39***
.66***
%
yes
no
31.1
68.9
-.39***
.37***
SCID-II
.29**
rho, * p<0.05, ** p<0.01, *** p<0.001 (two-tailed test).
ÄTIOLOGIE AUS SICHT DER
MENTALISIERUNGSTHEORIE
WHO (2013) weltweit:
Sexueller Missbrauch:
– Insgesamt 9,6% (Europa 18 Mio.)
– Mädchen: 13,4%
– Jungen: 5,7 %
Physischer Missbrauch:
–
Insgesamt: 22,9% (Europa 44 Mio.)
Psychischer Missbrauch:
–
Insgesamt: 29,1% (Europa 55 Mio.)
88 (3)
„Prävalenz- und
Versorgungsstudie KiD 0-3
des NZFH“
285 (12)
185 (7)
52 (2)
164 (7)
575 (20)
425 (15)
190 (6)
1941 (68)
516 (16)
Verteilung der
teilnehmenden
Familien und
Arztpraxen
238 (7)
577 (18)
358 (12)
170 (6)
1024 (36)
1057 (38)
8063 Familien (271 Arztpraxen)
Ergebnisse aus KiD 0-3
Prävalenz von Verletzung/Vernachlässigung in Abhängigkeit
von Risiko-Kumulation* und Alter der Kinder
bis 1 Jahr alt
18%
16%
14%
12%
10%
8%
6%
4%
2%
0%
zwischen 1-2 Jahre alt
2+ Jahre alt
16%
9%
8%
5%
0% 1%
2%
1%
2%
5%
4%
1%
16%
1% 1%
0
1 Risikofaktor
2
3
4 oder mehr
Risikofaktoren
(n=1591)
Risikofakotren Risikofaktoren Risikofaktoren
(n=2725)
(n=901)
(n=428)
(n=424)
* Auf der Basis der 12 vorher gezeigten Risikofaktoren [Datenquelle: KiD 0-3 Hauptstudie]
N=161
Ergebnisse:
Mentalisierung
.371**
.230
Aversive frühe
Erfahrungen
GewaltPotential
Bindung
** = p < 0.01
* = p < 0.05
Kinder, die keine Beruhigung und
Rückversicherung in ängstigenden
Situationen erfahren.. (Derryberry u. Rothbart 1997)
• Werden weniger aufmerksam für
angstauslösenden Informationen und lernen keine
adäquaten Regulationsstrategien, sondern
entwickeln andere Bewältigungsformen (z. B.
Zwang)
• Profitieren nicht von den positiven Folgen
erlebter Angst (Affektregulation, Impulskontrolle,
Empathie und Bewusstheit für Angst).
56
SSV & Mentalisierung
Gehemmte Mentalisierung
• Schutzmechanismus
• Anpassung an den Missbrauchskontext
• Hill et al. (2007, 2008)
• Aufgabe des intentionalen Standpunkts
• z.B. wütende Stimme „nur“ laut oder
drohende Handbewegung „nur“ als
erhobener Arm
Posteriore und
subkortikale Kapazität
Leistung
Präfrontale Kapazität
Niedrig
Hoch
Erregungsniveau
Gewalttätigkeit vor dem Hintergrund
gehemmter Mentalisierung
• Fehlattribuierung (hostility-attribution-bias)
• Kein psychischer Spielraum, im Zuge dessen
sich die Zuschreibungen und Überzeugungen
bei näherer Prüfung als unwahr erweisen
könnten.
• Körper und Motorik werden als Regulierung von
Erregungszuständen genutzt.
• Niedrige Hemmschwellen (Violence Inhibition
Mechanism, Blair 1995)
• Geschwächte Urheberschaft
Beispiel Beschämung aus „Die
Kriegerin“
Gewalt zur Wahrung der
Selbstkohärenz
• Fragile Selbststruktur führt zu interpersonellem
Rollenzwang, Rigidität
• Vermeintliche oder tatsächliche Demütigungen müssen
abgewendet werden
• Ohne Mentalisierung wird Beschämung existentiell
vernichtend (keine Trennung zwischen physisch und
psychisch) (Gilligan 2009).
• Irrtum des Gewalttätigen: Gedanken und Gefühle könnten
über physische Akte ausgelöscht werden.
Beispiel Beschämung II aus „Die
Kriegerin“
Evidenz-basierte psychotherapeutische Behandlung!
• Problem:
• Bestrafungsorientierte Programme sind ineffektiv (Cullen
2013)
• Das Justizsystem als solches ist ein Risikofaktor für den
Rückfall (Petrosino et al. 2014)
• Gruppenangebote verstärken Delinquenz (Lilienfeld 2007)
• „Nothing-Works“ Pessimismus ist noch in den Köpfen
• Aber internationale Meta-Analysen zeigen:
– Therapeutische Interventionen haben die höchste
Wirksamkeit (Lipsey et al. 2009 an 548 Studien)
– Programme, die die Eltern oder das soziale Netz
involvieren, sind am besten evaluiert
MENTALISIERUNGSBASIERTE THERAPIE
FÜR ADOLESZENTE
(MBT-A)
Der MBT-Ansatz basiert auf der Sichtweise, dass ein
Kernproblem in der Vulnerabilität für einen
Verlust/Zusammenbruch an Mentalisierungsfahigkeit
liegt.
Diese Vulnerabilität wird mit interpersoneller
Sensibilität assoziiert, welche dysregulierte
Emotionen und Impulsivität hervorruft.
MBT liegt die Hoffnung zugrunde, an dieser
Vulnerabilität arbeiten zu können und die
Intervention verfolgt das Ziel, die
Mentalisierungsfähigkeiten zu verbessern.
Kernzusammenfassung für neue Kliniker(1)
1. Kollaborativer Prozess
2. Fokusformulierung der Probleme des/der Patienten/in
zu Beginn der Behandlung und ein Fokus in jeder Sitzung
– Verlauf der Gesamtbehandlung und in jeder Sitzung
3. Identifikation von nicht-mentalisierenden Prozessen
4. Generelle Haltung
– Nicht-wissende Haltung
5. Grundsätze für Kliniker
– Versuche die Mentalisierungskapazität
wiederherzustellen oder aufrechtzuerhalten
– Interventionen müssen zu der Mentalisierungsfähigkeit
des/der Patienten/in passen
– Identifizierung der Mentalisierungspole
Kernzusammenfassung für neue Kliniker(2)
6. Grundsätze für Kliniker (Fortsetzung)
–
–
–
–
–
Fokus auf die Aufrechterhaltung der Mentalisierung des Therapeuten
authentische und offene Therapeuten
Aufmerksam für Brüche in der Mentalisierung
Das Ausmaß des affektiven Erregungsniveaus managen
Fokus auf Kontingenz und Markierung von Interventionen
7. Verlauf der Sitzungen: Interventionen strukturieren von
empathischer Validierung zur Exploration, Klärung, und
Challenge durch Affektidentifizierung und affektivem Fokus, um
die Beziehung zum Therapeuten zu mentalisieren
8. Explizite Identifikation der Gefühle des/der
Therapeuten/in in Bezug auf die
Verarbeitungsprozesse des/der Patienten/in
Mentalisierungs-Basierte Therapie für Jugendliche mit Störung
des Sozialverhaltens
(Taubner, Gablonski, Volkert, Bateman, Fonagy, Nolte, Sevecke & Rossouw)
• Indikation: Diagnose SSV
• Setting: 30 Einzel- und 10 Familiensitzungen
• Verbesserung von Mentalisierung im Kontext der therapeutischen Beziehung in
Bezug auf gewalttätiges Verhalten
• Klare Ziele und Einbezug des Helfersystems
• Integration von spieltherapeutischen Elementen und Visualisierung innerer
Prozesse
MBT-SSV: Ablauf
1
Ziele
Spezifische Prozesse
Beurteilung der Mentalisierung
und Gesamtpersönlichkeit
•
•
•
•
PatientIn und Familie für
Behandlung gewinnen
•
•
Diagnosestellung
Psychoedukation
Hierarchie therapeutischer Ziele
Stabilisierung von Verhaltensproblemen und
sozialen Schwierigkeiten
Überprüfung der Medikation und Krisenplan
Schriftliche Fokusformulierung
2
Verbesserung der
Mentalisierungsfähigkeit
Wenn Symptome und Verhaltensprobleme
kontrolliert sind, wird an interpersonalen
Problemen mit dem Ziel gearbeitet, konstruktive
und intime Beziehungen führen zu können
3
Abschluss
•
•
Bearbeitung und Vorbereitung der Trennung
Follow-Up Programm
Für die Therapie
motivieren durch…
• Zusammenarbeit
• Hervorrufen
neuer Ideen
(evocation)
• Autonomie
• Konfrontation
&/or Direktion
• Belehrung
(education)
• Authorität
Pro
Kontra
Aufhören
Kiffen
besser fühlen
weniger Geld ausgeben
mehr Geld einnehmen
mehr Realität
verliert, schmeckt gut
Zigaretten mehr
dann habe ich gar nichts mehr/bin nichts
mehr
kein Respekt von „Leuten“
kein „Einkommen“ f. Essen/Trinken/Kippen
+ Familie
Angst vor dem Erwachsen-werden
Kiffen
„weniger Zigaretten“
lernt Leute kennen
Ich bin interessant für andere (Jungs und
ne schlechte Sorte Mädchen)
erlaubt
gut Fühlen, schweben
lustig
Job, der Spaß macht
keine Sorgen
ernst genommen (sozialer Aufstieg)
meine Welt, wie sie mir gefällt (Freiheit)
für manche abstoßend
vor allem Mädchen (gute)
Besitz + Dealen  strafbar
kaputt am nächsten Morgen
Stress mit Familie
Geheimnis
Schulden, Stress mit Dealern
Hemmschwelle für Straftaten sinkt bei
Suchtdruck
Man kann gefickt werden (gefährlich)
geringe Gewinnspanne
keine Zeit
5 für Aufhören auf einer Skala von 1-10
4 für Zutrauen auf einer Skala von 1-10
Fokusformulierung
• Ziele
– Hilft das Denken von Therapeut/in und Patient/in zu organisieren – jeder sieht
verschiedene Gedankenstrukturen
– Modelliert einen mentalisierenden Ansatz– es wird nicht angenommen, dass der/die
Patient/in dies kann (explizit, klar und mit Beispielen)
– Modelliert Bescheidenheit, was die Natur der Wahrheit angeht
• Risikomanagement
– Analyse der Risikokomponenten auf eine intentionale Art und Weise
– Vermeide Überstimulierung durch die Fokusformulierung
• Überzeugungen vom Selbst
– Beziehungen von diesen zu spezifischen (variierenden) internen Zuständen
– Historische Aspekte in Kontext gesetzt
• Zentrale aktuelle Probleme in Beziehungskontext gesetzt
– Identifikation von Bindungsmustern – was wird aktiviert
– Hürden, die damit verbunden sind
• Positive Aspekte
– Wann Mentalisierung funktioniert hat und die Situation verbessert hat
• Antizipation der sich entfaltenden Behandlung
– Wirkung der individuellen- und Gruppentherapie
Lieber S., seit einigen Wochen kommen du und deine Familie zu Gesprächen. Du
machst jetzt den zweiten Anlauf, eine Therapie zu beginnen und ich würde mich
freuen, wenn du das nächste Jahr dabei bleibst. Deine Familie (Mama und Schwester)
und du haben sehr unterschiedliche Vorstellungen, was sich ändern sollte. Du leidest
darunter, dass sie ein so schlechtes Bild von dir haben und sie wünschen sich, dass du
dich änderst, mehr Verantwortung übernimmst und nicht in eine kriminelle Karriere
abrutschst.
Du hast mir erzählt, dass dir deine Familie sehr wichtig ist, aber dass du dich von
Ihnen oft nicht richtig anerkannt fühlst. Dann zweifelst du vielleicht an deinem
Selbstwert. Auch in der Schule hast du dich nicht wohlgefühlt, fühltest dich von
Lehrern zurückgewiesen und hattest große Ängste vor anderen zu sprechen. Du hast
mit 13 Jahren mit dem Kiffen und Zocken angefangen und bist immer weniger zur
Schule gegangen. Vielleicht hat dir das mit den schlechten Gefühlen geholfen, dich
aber von vielen Menschen und Zielen (besserer Schulabschluss) ferngehalten. Dann
hast du neue Kontakte mit den Leuten geknüpft, die Marihuana verkaufen. Aktuell
fühlst du dich in dieser Gruppe ernstgenommen und wertgeschätzt, was für dich sehr
wichtig ist. Das Kiffen und Dealen hat dich aber auch schon in Schwierigkeiten
gebracht, wenn du Schulden nicht zurückzahlen konntest oder unter Sucht-Druck
geraten bist. Ich erlebe dich aktuell als sehr verunsichert, was du in der nächsten Zeit
machen willst. Am liebsten würdest du vielleicht ein paar Jahre viel Geld mit
Drogenverkauf machen, aber du ahnst, dass dies mit Risiken verbunden ist und dich
von deiner Familie und einem „normalen“ Leben weiter entfernen könnte. Du
wünschst dir eine Freundin, aber viele Mädchen lehnen deinen Lebensstil ab. Es ist
sehr schwer, alles unter einen Hut zu bekommen…
Du hast sehr hohe Ansprüche an dich und wie du mit anderen umgehen möchtest, z.
B. zuverlässig und großzügig sein. Du verstehst nicht, wenn deine Mutter deine
Freunde nicht mitversorgen möchte und erlebst das als egoistisch. Wenn deine
Mutter Forderungen an dich stellt und du dich von ihr nicht wertgeschätzt fühlst,
dann kannst du sehr wütend werden und ziehst dich zurück. Deine Mutter erscheint
mir manchmal hilflos und versucht dich vielleicht aus der Reserve zu locken, indem
sie dich bloßstellt. Dann ist bei dir manchmal ein Punkt erreicht, wo du dich nur
noch in die Ecke gedrängt fühlst und du die Baseballkappe vor das Gesicht ziehst,
damit nichts Schlimmeres aus Wut passiert. Obwohl du versuchst, die Kontrolle zu
behalten, gehen dann auch Sachen kaputt. Am Ende bist du vielleicht verzweifelt,
weil genau das Gegenteil passiert, was du dir wünschst. Wenn du dann bekifft bist,
kannst du deiner Mutter wieder zeigen, wie gern du sie hast und dass du ein großes
Bedürfnis nach Nähe und Harmonie hast.
In der Therapie könnte es darum gehen, für dich zu klären, wann du andere und
dich nicht mehr verstehen kannst und wie es möglich wäre, eine bessere Beziehung
zu deiner Familie aufzubauen, damit es nicht ständig eskaliert. Auch würde ich
gerne mit dir klären, ob es möglich ist, dass du Selbstvertrauen auch außerhalb der
Dealerfreunde aufbauen kannst und eine realistische Perspektive für deine Zukunft.
Das kann nur gelingen, wenn du regelmäßig teilnimmst und nicht bekifft zur Stunde
kommst. Auch sollte das Kiffen nicht deinen kompletten Tag ausfüllen, damit du
über dich und deine Wünsche nachdenken kannst.
Deine Familie ist bereit, mit dir gemeinsam einen neuen Weg zu gehen. Ich
gespannt, wie du dich entscheiden wirst. Ich finde dich schon jetzt sehr mutig, dass
du einen zweiten Anlauf wagst.
Interventionshierarchien
am wenigsten
Mentalisierung der
Beziehung
Basis-Mentalisierung
Klären, Elaborieren,
Fordern
am meisten
Validierung:
Unterstützung/ Empathie
30
Hemmungskreislauf der Mentalisierung in einer
Familie
starke Emotionen
ängstigende, untergrabende,
frustrierende, stressige oder
zwingende Interaktionen
Unsicherheit darüber,
ob Gefühle real sind
der Versuch andere oder
sich selbst zu
kontrollieren oder zu
verändern
schwache
Mentalisierung
Unfähigkeit Gefühle anderer
zu verstehen oder sogar ihnen
Beachtung zu schenken
Andere scheinen
unbegreiflich
88
Teufelskreise der Mentalisierungsprobleme
in Familien
starke Emotionen
ängstigende,
untergrabende,
frustrierende,
stressige oder
zwingende
Interaktionen
schwache
Mentalisierung
Person 1
der Versuch andere
oder sich selbst zu
kontrollieren oder
zu verändern
Unfähigkeit Gefühle
anderer zu
verstehen oder sogar
ihnen Beachtung zu
schenken
andere scheinen
unbegreiflich
starke Emotionen
ängstigende,
untergrabende,
frustrierende,
stressige oder
zwingende
Interaktionen
schwache
Mentalisierung
Person 2
der Versuch andere
oder sich selbst zu
kontrollieren oder
zu verändern
Unfähigkeit Gefühle
anderer zu
verstehen oder sogar
ihnen Beachtung zu
schenken
andere scheinen
unbegreiflich
89
Der MBT-F - Loop
Wahrnehmen
und
Benennen
Generalisieren
(und
Veränderung
erwägen)
Den Moment
mentalisieren
Prüfen
98
Herzlichen Dank!
80
Zum
Weiterlesen…
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