Protokoll Nachhaltige Lebensstile - welchen Beitrag kann ein

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Protokoll
Nachhaltige Lebensstile - welchen Beitrag kann ein
bewussterer Fleischkonsum zu artgerechter Tierhaltung und
gesunder Ernährung leisten?
Von: Leonie Bossert, Lieske Voget-Kleschin, Norbert Wiersbinski, Konrad Ott
Hintergrund und Ziel der Tagung
Nachhaltige Lebensstile entstehen nicht auf dem Verordnungsweg oder von allein. Sie erfordern
konkretes und bewusstes Handeln auf politischer, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und
privater Ebene. Als ein wichtiges Handlungsfeld ist der sehr hohe und noch immer wachsende
Fleischkonsum in den Industrie- und Schwellenländern in den Fokus geraten. Dieser Konsum hat
enorme Bedeutung für das Welternährungsproblem, die Art der Landnutzung, den Klimaschutz,
die Gesundheit und den Naturschutz. Er ist eine wichtige und zudem relativ leicht zu drehende
Stellschraube für einen nachhaltigen, naturverträglichen Lebensstil.
Die dreiteilige Tagungsreihe thematisierte, welchen Beitrag ein bewussterer Fleischkonsum zu
mehr Naturschutz, Klimaschutz und Gesundheit leisten kann. Die dritte Veranstaltung im
Rahmen der Reihe beschäftigte sich mit der Frage Welchen Beitrag kann ein bewussterer
Fleischkonsum zu artgerechter Tierhaltung und gesunder Ernährung leisten?
In Abgrenzung zu moralisierenden Verzichtspredigten strebte die Tagung danach, auszuloten, in
wie fern ein bewussterer Fleischkonsum nicht nur dem Tier- und Naturschutz förderlich ist,
sondern darüber hinaus mehr Lebensqualität und Genuss für die Verbraucher(innen) bedeutet
und somit echte Win-Win-Situationen möglich sind.
Die Tagung: Beiträge und Diskussionen
Innerhalb der Tagung wurde ein Bogen gespannt von normativ-theoretischen
Auseinandersetzungen mit Nachhaltigkeitsfragen über konkrete Fallbeispiele bis hin zu einer
Verbindung der beiden Elemente und konkreten Umsetzungsvorschlägen.
Die Tagung begann mit thematisch einführenden Filmbeiträgen, die die Vorstellungen vom
friedlichen Bauernhofidyll, die von den Grünen geforderte Einführung eines „Veggie-Days“,
sowie den Umgang der mündigen Bürgerin 1 mit vollständiger Transparenz beim
Lebensmitteleinkauf behandelten. 2 Insbesondere auf die beiden letztgenannten Beiträge und
Themenkomplexe wurde in etlichen Diskussionen im Verlauf der Tagung immer wieder Bezug
genommen.
Die verwendete weibliche Form schließt die männliche eine.
Der Kurzfilm zum Bauernhofidyll „Natur pur“ von Stefan Grandinetti und Holger Ernst entstand im Rahmen
des Filmwettbewerbs „Good Film Food“, welcher 2002 vom Bundesprogramm Ökologischer Landbau initiiert
wurde. Zum „Veggie-Day“ wurde die Berichterstattung über die von den Grünen geforderte Einführung
desselben in öffentlichen Kantinen in den 19:00Uhr „Heute“-Nachrichten vom 05.08.2013 gezeigt, vgl.
http://www.zdf.de/ZDFmediathek#/beitrag/video/1957432/ZDF-heute-Sendung-vom-05-August-2013. Der
Kurzfilm „agroprofit“, der im Rahmen einer Kampagnen-Aktion der Weltläden und Naturland entstanden ist
und aufschlussreich ist zur Thematik der Transparenz bei Lebensmittelproduktionen, findet sich unter
http://www.youtube.com/watch?v=pgCD-4Q4Wo&oq=agropro&gs_l=youtube..0.5j0i10j0.513.3290.0.5135.8.6.0.0.0.0.560.2053.0j2j1j0j1j2.6.0.eytns%2Cpt
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Protokoll der Tagung „Nachhaltige Lebensstile - welchen Beitrag kann ein bewussterer Fleischkonsum zu
artgerechter Tierhaltung und gesunder Ernährung leisten?“
Der erste inhaltliche Block der Tagung widmete sich dem Verhältnis von Nachhaltigkeit,
Naturschutz und Gesundheit. Norbert Wiersbinski, Mitarbeiter des Bundesamtes für
Naturschutz, machte in seinem Vortrag deutlich, dass ein enger Zusammenhang zwischen
Naturschutz und Gesundheit besteht, dass dieser aber zurZeit im öffentlichen Bewusstsein kaum
wahrgenommen wird. Natur und Gesundheit werden miteinander durch vielerlei Aspekte in
Verbindung gebracht, Naturschutz und Gesundheit dagegen nicht. Bei der Verbindung
Umweltschutz und Gesundheit ist die öffentliche Wahrnehmung schon erheblich weiter, da die
Bedeutung der Umweltmedien Boden, Wasser, Luft für die Gesundheit vielen plausibel zu sein
scheint. Naturschutz und Gesundheit(sschutz) werden bislang auch innerhalb der Wissenschaft,
Politik und Planung weitestgehend getrennt bearbeitet, Zusammenhänge werden ungenügend
kommuniziert. Naturschützer(innen) sollten jedoch nicht müde werden, die Zusammenhänge
dieser beiden Themengebiete zu benennen und dadurch den Naturschutz in seiner Bedeutung,
z.B. für präventiven Gesundheitsschutz, zu stärken.
Die anschließende Diskussion drehte sich vor allem um den schwer ermittelbaren Wert der
Natur und die Schwierigkeit zu erforschen, welche Krankheiten bei fehlendem Kontakt zu Natur
eintreten, sowie um eine akzeptable begriffliche Verwendung des Naturbegriffes.
In welchem Verhältnis Gesundheit zu Nachhaltiger Entwicklung steht und wo der
gesundheitliche Aspekt in einer Nachhaltigkeitstheorie am besten zu verorten ist, diskutierte
Simon Meisch von der Universität Tübingen. Für die ethische Begründung nachhaltigen Handelns
spielt es eine Rolle, welches Verständnis von Nachhaltiger Entwicklung vertreten wird. Häufig
dient das sogenannte Drei-Säulen-Modell als theoretische Grundlage. Gemäß dieses Modells
erfordert nachhaltige Entwicklung, die Säulen Ökonomie, Ökologie und Soziales in Einklang zu
bringen. Gesundheit wird dabei in der Regel als Teil der Sozialen Säule gesehen. Meisch
hinterfragte dieses Modell kritisch. Er begründete, warum es trotz seiner weiten Verbreitung
keine angemessene Hilfe bei der Behandlung von Nachhaltigkeitsthemen bietet und deswegen
auch bei der Verortung von Gesundheit im Nachhaltigkeitsdiskurs nicht herangezogen werden
kann. Stattdessen zeigte Meisch, dass klugheitsethische Begründungen, die an das
Eigeninteresse des Menschen appellieren, für eine solche Verortung ein Einstieg sein können.
Gesundheit sollte seiner Meinung nach insbesondere als Teil des Gerechtigkeits- und somit auch
des Nachhaltigkeitsdiskurses angesehen werden. Der Zusammenhang zwischen Fleischkonsum
und Gesundheit umfasse nicht nur die gesundheitliche Unbedenklichkeit für die
Konsument(inn)en, sondern auch für die vom Produktionsprozess Betroffenen. Somit kann auch
das gesundheitliche Wohl der Tiere um ihrer selbst Willen zählen und der menschliche
Fleischkonsum Fragen nach menschlicher und tierischer Gesundheit aufwerfen. Die an den
Vortrag anschließende Diskussion fokussierte v.a. auf die Kritik am Drei-Säulen Modell und die
Fragen, was eine geeignete Alternative sein könnte und woran man den Erfolg eines Modells
messen kann.
Nach diesem theoretischen Einstieg zu Fragen von Nachhaltigkeit und Gesundheit beschäftige
sich der zweite inhaltliche Block der Tagung mit der Thematik der Massentierhaltung. Zunächst
stellte Markus Wolter vom WWF Deutschland die ökologischen Aspekte der Massentierhaltung
auf globaler und überregionaler Ebene dar. Ein bedeutender ökologischer Faktor hierbei stellt
der Anbau von Soja dar, welches als Futtermittel für sog. Nutztiere verwendet und in
Intensivtierhaltung in großen Mengen verfüttert wird. Hierfür werden äußerst große Landflächen
benötigt, so dass 40% der virtuellen Landimports Deutschlands (50% EU-weit) auf Soja
zurückzuführen ist. Ein Großteil des Sojaanbaus findet in Südamerika statt, wo jährlich rund 4
Millionen ha Wald vernichtet werden, wobei wichtige Ökosysteme verloren gehen. Auch die
Bodenqualität verschlechtert sich deutlich in solchen Anbaugebieten. Zudem werden 45% aller
verkauften Pestizide im Soja-Anbau verwendet. Dieser Pestizideinsatz führt u.a. zur
Verschmutzung von Grundwasser und Oberflächengewässern. Ziel des WWF ist es, einen
nachhaltigeren Anbau von Soja voranzubringen, alternative eiweißreiche Futtermittel zu fördern,
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artgerechter Tierhaltung und gesunder Ernährung leisten?“
mit Bildungsprogrammen zu einer Verringerung des Fleischkonsums beizutragen und mehr
Transparenz zu schaffen, damit Verbraucher(innen) beim Produktkauf informiert entscheiden
können.
Die regionalen, Mecklenburg-Vorpommern (MV) betreffenden, ökologischen Aspekte der
Massentierhaltung beleuchtete Arndt Müller von Bündnis 90/Die Grünen. Die Zahl der in MV
gehaltenen Hühner übertrifft heute sogar die äußerst hohen Tierzahlen zu DDR-Zeiten und MV
hat einige der größten Schweinemastanlagen der Republik. Regionale Umweltfolgen dieser
„Intensivtierhaltungsanlagen“ wirken sich z.B. auf das Grundwasser und Gewässer, auf den
Boden und auf die Luftqualität aus. Das Grundwasser in der Nähe solcher Anlagen ist häufig stark
nitratbelastet, Tierhaltungsbetriebe in MV überschreiten regelmäßig den international
definierten Emissionsschwellenwert für Ammoniak und auch die Stickstoffeinträge in
Waldtestflächen liegen deutlich über der ökologischen Belastungsgrenze. Als Lösungswege für
eine Verbesserung der Situation nannte Müller u.a. die Festlegung von Obergrenzen für
Tierbestände, den Ausbau besserer Filtertechnik, eine Steuerung der Tierhaltungsanlagen mit
Hilfe der Raumordnung und eine andere Boden(vergabe)politik sowie die politische Abkehr von
der Industrialisierung der Tierhaltung ohne jede Flächenbindung..
Eine die menschliche Gesundheit stark betreffende Folge von Tierhaltungsanlagen zeigte Carmen
Dahms von der Universität Greifswald auf. Ihr Beitrag behandelte multiresistente Bakterien aus
Tierställen, also Bakterien, die Mechanismen entwickelt haben, damit ihnen Antibiotika nichts
mehr anhaben können. Als Beispiel hierfür nannte Dahms das Bakterium Methicillin-resistente
Staphylococcus aureus (MRSA), von dem 2005 ein neuer Stamm in sogenannten Nutztieren und
Kontaktpersonen entdeckt wurde: das livestock associated(la)-MRSA. Es wurde erstmals in
Schweinen gefunden, aber auch Rinder- und Geflügelbestände sind betroffen. MRSA wurde in
Fleischprodukten verschiedenster Tierarten nachgewiesen, allerdings hat eine Studie, für die
Tiere in Neuland-Betrieben getestet wurden, ergeben, dass in diesen Betrieben alle Tiere negativ
waren. Gründe dafür könnten ein restriktiver Antibiotikaeinsatz, die geringere Tierzahl und
geringere Besatzdichte sowie weniger Stress bei den Tieren und folglich weniger Krankheiten
sein. Möglichkeiten, den zunehmenden Gesundheitsgefahren, die von la-MRSA und anderen
Bakterien ausgehen, entgegenzuwirken, sind eine Reduktion des Antibiotikaeinsatzes bei
gleichzeitig richtiger Anwendung sowie – noch bedeutender – die Vermeidung von
Antibiotikaeinsätzen.
Dies bot einen guten Übergang zum Vortrag Verena Preußners von Neuland e.V., die über die
artgerechte Tierhaltung auf Neuland-Betrieben berichtete. Preußner stellte die konventionelle
Tierhaltung der artgerechten gegenüber, benannte die Probleme, die bei konventioneller
Tierhaltung vorkommen und zeigte, wie mit den Neuland-Grundsätzen versucht wird, diese
Probleme zu vermeiden und den Tieren ein möglichst gutes und schmerzfreies Leben zu bieten.
Auch sind gemäß Neuland-Richtlinien gentechnisch veränderte Futtermittel verboten, sowie
Futtermittel aus Importen. Zudem fördert Neuland den Erhalt (klein)bäuerlicher Betriebe. Mit
den Grundsätzen möchte Neuland zum Tierwohl, zur besseren Qualität der Produkte und somit
der Gesundheit des Menschen, zu mehr sozialer Verantwortung und auch zum Umwelt- und
Klimaschutz beitragen. Die Forderungen, die aus Neuland-Perspektive zu stellen sind, ähneln
denen, die auch in den bisherigen Vorträgen genannt wurden: eine Abkehr von der
industrialisierten Tierhaltung, Änderungen des Ordnungsrechts, Modifikationen der Förderpolitik
und die Einführung von Kennzeichnungsregelungen am Markt für mehr Transparenz.
Um eine gewisse Art der Transparenz ging es auch Denis Buchmann, der mit seinem Projekt
„MeinekleineFarm.org“ die Konsument(inn)en darauf aufmerksam machen möchte, dass hinter
dem Wurstprodukt, das sie essen, ein Tier steckt(e). Über die Internet-Platform
„MeineKleineFarm.org“ vermarktet Buchmann gemeinsam mit Öko-Landwirten Wurstprodukte,
auf denen ein Portraitfoto des jeweiligen Schweins zu sehen ist mitsamt Geburts- und
Schlachtungsdatum. Vor der Schlachtung lässt sich das Leben der Tiere im Internet per webcam
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verfolgen. Das Ziel Buchmanns ist es, der Entfremdung der Wurstprodukte von dem Lebewesen,
das diese Wurst einmal gewesen ist, Einhalt zu gebieten und die Verbraucher(inn)en genau für
diese Verbindung zwischen Produkt und Tier (wieder) zu sensibilisieren. Der Beitrag von Denis
Buchmann stellt einen Vorschlag dar, wie gesunder und nachhaltiger Fleischkonsum umgesetzt
bzw. gefördert werden kann.
Die im Anschluss an diese Vorträge geführten Diskussionen fragten vor allem nach der Balance
der Verantwortungsübertragung zwischen Konsument(inn)en, Politik und Wirtschaft. Wie viel
nützt ein Verweis auf „mündige Bürger(innen)“, wenn diese – wie im zur Einführung gezeigten
Kurzfilm „agroprofit“ dargestellt – trotz des Wissens über äußerst fragwürdige
Herstellungsbedingungen trotzdem zum billigsten Produkt greifen? Welche Bildungsmaßnahmen
sind geeignet, eine Veränderung des Kaufverhaltens hervorzurufen? Wie viele und welche
Verbesserungen kann man von Änderungen der Gesetze, wie dem Baugesetzbuch, dem
Tierschutzgesetz, dem Anlagengenehmigungsrecht oder der Privilegierung der gewerblichen
Tierhaltung, erwarten? Warum orientieren sich Produzent(inn)en, Verarbeiter(innen) und
Vermarkter(innen) so häufig ausschließlich an wirtschaftlicher Effizienz, wo doch das
wissenschaftlich fundierte Wissen über Tiere und die negativen Folgen bestimmter
Haltungsformen auf Mensch und Tier bekannt sind? Schließlich wurden auch Konfliktfälle
zwischen menschlicher Gesundheit und Tierwohl diskutiert: Kann ein präventiver
Antibiotikaeinsatz aus tierethischen Gründen gefordert sein, auch wenn er menschlichen
Interessen überwiegend abträglich ist?
Im dritten inhaltlichen Block der Tagung wurden Fragen nach dem Zusammenhang von
Fleischkonsum und Gesundheit aufgeworfen. Den Einstieg gab Simone Goetz von der
Verbraucherzentrale Mecklenburg-Vorpommern mit einem Beitrag zu Lebensmittelskandalen.
Sie wies auf das Problem hin, dass häufig in der öffentlichen Wahrnehmung nicht zwischen
einem wirklichen Skandal und schlechter Qualität unterschieden würde sowie auch zwischen
Skandal und Gesundheitsgefahr zu wenig getrennt würde. In jedem Fall könne daraus, was als
Skandal angesehen wird und was nicht, auf Wertvorstellungen einer Gesellschaft
zurückgeschlossen werden. Goetz ging auch der Frage nach, wie viel Schuld den
Verbraucher(innen) zu zuschreiben sei. In Deutschland kauften die Menschen angeblich zu billig
ein, wohingegen in anderen Ländern oft deutlich mehr Geld für Lebensmittel ausgegeben würde.
Es könne der Eindruck entstehen, dass die Nachfrage nach billigen Lebensmitteln erst dazu führt,
dass zum Teil minderwertige Produkte verkauft werden. Unabhängig davon, ob der Vorwurf
gerechtfertigt ist oder nicht, sollte preiswert jedoch laut Goetz nicht „qualitativ minderwertig“
bedeuten.
Im Anschluss daran gab Carolin Möhrke, Kinderärztin in Wolgast, einen Einblick, wie (un)gesund
vegetarische und vegane Ernährung im Kindesalter ist. Sie fokussierte auf die Nährstoffe, die
besonders im Hinblick auf eine vegetarische und vegane Ernährung relevant sind. Bei allen
Betrachtungen sei es wichtig, die jeweiligen Altersstufen der Kinder zu beachten, da der
Nährstoffbedarf altersabhängig ist. Möhrke stellte dar, dass gegenüber einer rein vegetarische
Ernährung bei Sorgfalt und Planung keine gesundheitlichen Bedenken bestehen. Sie könne sogar
vorteilhaft sein, da eine ausgewogene vegetarische Ernährung gesunde Verhaltensmuster im
Erwachsenenleben begünstigt, die Wahrscheinlichkeit für späteres Übergewicht reduziert und
zur Verhinderung von Zivilisationskrankheiten (Bluthochdruck, Diabetes und Erkrankungen der
Gefäße) beitragen kann. Eine rein vegane Ernährung von Kindern sei dagegen ohne Zugabe von
Nahrungsergänzungen (mindestens Vitamin B12) nicht möglich.
Die Position der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zu Fleischkonsum und Gesundheit
und ihre Verbindungen zur Nachhaltigkeit wurden von Helmut Oberritter von der DGE
dargestellt. Er erläuterte die ernährungsphysiologischen Vor- und Nachteile von Fleischverzehr,
sowie von pflanzlichen Nahrungsmitteln und wies darauf hin, dass der durchschnittliche
Fleischverzehr in Deutschland etwa doppelt so hoch sei wie die von der DGE empfohlenen 300-
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600g pro Woche. Die DGE empfiehlt, überwiegend pflanzliche Lebensmittel zu verzehren. Dies
bewirke u.a. ein verringertes Risiko an einer von vielen chronischen Krankheiten (wie z.B.
Hypertonie, Diabetes mellitus Typ 2, koronare Herzkrankheiten, einige Krebskrankheiten) zu
erkranken. Eine solche pflanzenbetonte Ernährung sei nicht nur gesundheitsfördernder, sondern
auch klimafreundlicher. Eine Ernährung auf Basis der Empfehlungen der DGE könne laut einer
Studie des WWF zu einer Verminderung der Treibhausgasemissionen um 27 Mio. Tonnen
jährlich, sowie den Flächenbedarf für die Landwirtschaft um 1,8 Mio. Hektar verringern und sei
somit nicht nur aus gesundheitlichen Gründen, sondern auch aus Gründen des Klimaschutzes zu
befürworten.
Auch im Anschluss an diesen Block kamen in den Diskussionen verstärkt die Fragen danach auf,
wie viel Veränderung man von den Verbraucher(inne)n und wie viel von politischen Maßnahmen
erwarten kann. Als Beispiele für politische Änderung wurden ein höherer (Mehrwert)Steuersatz
auf Fleisch und die Einführung des „Veggie-Days“ in Kantinen diskutiert. Außerdem wurde
debattiert, ob Ernährung nicht weniger als individuelle Entscheidung und stärker als politische
Frage anzusehen sei und inwieweit Ernährungsempfehlungen in starker Korrelation mit der
Kultur einer Gesellschaft stünden.
Der Frage des vierten und letzten inhaltlichen Blocks der Tagung, wie man gesunden und
nachhaltigen Fleischkonsum umsetzen kann, ging Toni Meier von der Universität HalleWittenberg nach, indem er die Auswirkungen eines verringerten Fleischkonsums auf die Natur
aufzeigte. Meier zeigte die ernährungsbedingten Umweltwirkungen im Vergleich zu den
Auswirkungen anderer Konsumbereiche wie Kleidung, Wohnen, Energie, Wasserverbrauch,
Mobilität und anderen auf. Das Umweltentlastungspotential einer umwelt- und
gesundheitsbewussten Ernährung sei sehr groß, wie auch das Umweltentlastungspotential
vegetarischer Ernährung. In Deutschland sei der Bereich Ernährung verantwortlich für 95% der
Ammoniakemissionen, 50% des Flächenbedarfs, 25% des Treibhauseffekts und 15% des
Primärenergieverbrauchs. Es existieren laut Meier drei Strategien, um die Umwelt durch
Ernährung zu entlasten: die Vermeidung von Nahrungsmittelverlusten, veränderte
Verzehrsgewohnheiten sowie Effizienzfortschritte in Technik und Produktionsweise, wobei
veränderte Verzehrsmuster und reduzierte Verluste das größte Einflusspotential haben.
Im letzten Beitrag der Tagung diskutierte Ulrike Johannsen von der Universität Flensburg die
Möglichkeiten von Ernährungs- und Verbraucher(innen)bildung, überwiegend bezogen auf
Schüler(innen) und Studierende. Sie wies darauf hin, dass die alltäglichen
Handlungskompetenzen von Kindern und Jugendlichen auch im Bezug auf Ernährung bildungsund wohlstandsabhängig seien. Was schmeckt und was „auf den Tisch kommen darf“, wird an
den Esstischen sozialer Gemeinschaft entschieden. Die Familie als Sozialisationsinstanz sei auch
für das Ernährungsverhalten der Kinder zuständig, erst danach folgten Instanzen wie Schule und
Freunde. Johannsen verwies auf Ergebnisse aus den Neurowissenschaften, die bestätigen, wie
wichtig der Geruch, die Konsistenz und der Geschmack von Lebensmitteln sind und ließ die
Teilnehmenden der Tagung dies durch eigenes Erproben testen. Außerdem stellte sie die in der
EU und in Deutschland erstellten Ernährungsbildungsziele vor sowie verschiedene Curriculae,
wie diese Schüler(inne)n und Studierenden nahe gebracht werden. Auch führte sie ein in
konkrete Konzepte, mittels derer gegenwärtig versucht wird, Kindern und Jugendlichen eine
gesundheitsfördernde und umweltschonende Ernährung näherzubringen und ihnen die Freuden
des Selbstkochens aufzuzeigen.
Im Anschluss an die beiden Beiträge wurde u.a. den Fragen nachgegangen, ob Ernährung nicht
auch (noch) umfassender von Naturschutzverbänden aufgegriffen werden sollte, wenn die
Auswirkungen der heute in Industrieländern vorherrschenden Ernährungsweise so verheerende
Folgen auf Natur und Umwelt hätten und wie mit den unterschiedlichen sozioökonomischen
Verhältnissen innerhalb einer Gesellschaft umzugehen sei, wenn bei den gewünschten
Ernährungsverhaltensänderungen niemand diskriminiert werden solle.
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Protokoll der Tagung „Nachhaltige Lebensstile - welchen Beitrag kann ein bewussterer Fleischkonsum zu
artgerechter Tierhaltung und gesunder Ernährung leisten?“
Fazit
Die Diskussionen im Anschluss an die Beiträge verliefen im Hinblick auf einzelne Frage zum Teil
kontrovers, dennoch bestand in einigen Punkten Einigkeit:
• Politische Maßnahmen müssen Rahmenbedingungen schaffen für eine
Produktion von Lebensmitteln, die keine schädlichen Auswirkungen auf die
Gesundheit, das Tierwohl oder Natur und Umwelt hat. Die Verantwortung für
eine solche Produktion kann nicht ausschließlich den Konsument(inn)en auferlegt
werden, da zum einen diesen dadurch eine zu große Last aufgebürdet würde und
zum anderen auch eine hohe Transparenz etliche Verbraucher(innen) nicht
davon abhält, zum billig(st)en Produkt aus widrigen Herstellungsbedingungen zu
greifen.
• Eine weitere Industrialisierung der Nutztierhaltung sollte gestoppt und die
bestehende zurückgefahren werden, da sie negative Konsequenzen für Umwelt,
Tierwohl und Gesundheit aufweist und – zumindest theoretisch (z.B. bei
Umfragen) – von den Bürger(inne)n nicht gewünscht wird. Dies kommt bisher
aber nur ungenügend bei den Kaufentscheidungen an der Fleischtheke zum
Ausdruck.
• Etliche Gründe sprechen dafür, den Fleischkonsum deutlich zu verringern – so
z.B. die Sorge um die eigene Gesundheit und das Tierwohl, Gerechtigkeitsaspekte
(da u.a. der Futtermittelanbau Flächen benötigt, die direkt für den
Lebensmittelanbau verwendet werden könnten), und die schädlichen Folgen des
Fleischkonsums für Ökosysteme und das Klima.Wenn Fleisch verzehrt wird, so
sollte zu Fleisch aus artgerechter Tierhaltung gegriffen, sowie darauf geachtet
werden, dass keine importierten Futtermittel gefüttert werden. Wenn der
Fleischkonsum insgesamt gesenkt wird, sollte für die Verbraucher(innen) auch
der damit einhergehende Mehrkostenaufwand tragbar sein.
• Ernährung ist ein sehr emotionales Thema, weshalb positive Verstärkung und
positive Assoziationen das bessere Mittel sind, um Veränderungen zu erzeugen
als moralisierende Aufrufe zum Verzicht.
Wir danken allen Referent(innen) und Teilnehmer(innen) für ihre Beiträge und Kommentare auf
der Tagung sowie zu dieser Zusammenfassung!
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