Praxisanleitung zwischen Lerntransfer und Transferproblem Frühjahrskonferenz des Bundesverband Pflegemanagement e.V. Landesgruppe Rheinland-Pfalz 20.05.2015 Kaiserslautern 1 Themen Zahlen Daten Fakten Lernen und Lerntransfer Wie lernen wir? Erkenntnisse der Neurodidaktik Kompetenzorientierung Schlussfolgerung Einflussfaktoren auf einen erfolgreichen Lerntransfer Zusammenfassung / Fazit 2 Zahlen Daten Fakten Auszug aus dem statistischen Bericht der Berufsbildenden Schulen 2014 in RLP Auszug aus dem Ausbildungsreport Pflege 2011/ 2012 3 Auszug aus dem statistischen Bericht der Berufsbildenden Schulen 2014 in RLP Quelle: Statistisches Landesamt Rheinland Pfalz; Bas Ems, 2014 4 Ergebnisse des Ausbildungsreportes Pflege 2011/ 2012 Erhebung zur Praktischen Anleitung Anzahl der befragten Auszubildenden: 4064 ¼ der befragten Azubis liegt für die praktische Ausbildung kein Ausbildungsplan vor In der Altenhilfe fehlt dieser bei 37,4 Prozent > ¼ der Azubis erfährt überwiegend keine oder nie eine praktische Anleitung In der Altenhilfe trifft dies auf knapp 30 Prozent der Azubis zu Ganz für diese Aufgabe frei gestellte Praxisanleiter/-innen erleben 7,5 % in der Altenpflege, 25,1 % in der Gesundheits- und Krankenpflege ~ ⅔ der Azubis sind der Meinung, dass mehr Praxisanleiter/-innen erforderlich sind ¼ der Azubis findet ihre Zahl ausreichend 92 % der Azubis schätzen die Qualifikation der Praxisanleiter/-innen als zufriedenstellend ein 8% der Azubis bewerten sie als mangelhaft und ungenügend 5 Betriebliche Weiterbildung Betriebliche Weiterbildung: mehr, länger, teurer Gesamtinvestition in Weiterbildung in Milliarden Euro 29 So viel Prozent der Weiterbildung fand in der Arbeitszeit statt 34 Befragung von 1.845 Unternehmen zwischen April und Juni 2014; Quelle Institut der deutschen Wirtschaft Köln 6 Lernen im Allgemeinen 7 Lerntheorien oder das Ende der Glaubenskriege Klassisches Konditionieren Behaviorismus Mathematische Lerntheorie Operante Konditionierung Thorndikes Konnektionismus Entdeckendes Lernen Kognitivismus Gestaltpsychologie Konzeptlernen Cognitive Apprenticeship Konstruktivismus Goal-Based-Learning 8 Lerntransfer Lerntransfer 9 Lerntransfer Generell bedeutet Lerntransfer, dass - Einstellungen, - Kenntnisse und Fertigkeiten, die in einer bestimmten Lernumgebung (Lernfeld) erworben wurden, auf Anwendungskontexte (Funktionsfelder) übertragen werden, deren Merkmale sich von denen der Lernumgebung mehr oder weniger stark unterscheiden. Hierfür muss das Erlernte auf veränderte Kontextbedingungen verallgemeinert werden und für längere Zeit wirksam oder anwendbar bleiben! WISSEN (KNOWLEDGE) deklarativ konzeptuell ability skill KÖNNEN (PROFICIENCY) 10 Lerntransfer Forschungsbefunde zeigen, dass Lerntransferprozesse nicht selbstverständlich sind. Hier wird vom Transferproblem gesprochen: ,,Most training investments do not produce full and sustained transfer of new knowledge and skills to the job" . (Broad & Newstrom, 1992,). - Insgesamt wird nur ein kleiner Teil des Gelernten in der Arbeitstätigkeit verwendet - durchschnittlich etwa 10 bis 20 % - die Lerntransferrate nimmt im Laufe der Zeit kontinuierlich ab (Baldwin & Ford, 1988; Machin, 2002). 11 12 Wie lernen wir? Erkenntnisse der Neurodidaktik Erwachsene sind lernfähig, aber unbelehrbar, da sie nur das Lernen können, was an ihre Erfahrungen anschlussfähig ist. Bevor wir etwas lernen, bewertet das Gehirn die Information unbewusst, ob sie für uns relevant und interessant ist. Wenn ja, kann das Gehirn schneller lernen und abspeichern. Wissen kann nicht übertragen werden; es muss im Gehirn eines jeden Lernenden neu geschaffen werden. Wissen lässt sich deshalb nicht „vermitteln“, nicht einfach weitergeben, es sei denn, man glaubt an die Wirksamkeit des Nürnberger Trichters. (Prof. Dr. Gerhard Roth, 2011) Sie brauchen sehr viel Aufwand und sehr lange Zeit, um das wieder weg zu bekommen, was mit zwanzig Jahren im Gehirn ist. Zitat: Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Ulm – Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen 13 Neurodidaktik oder: Wie lernen wir? Welches sind die Stellschrauben um eine erfolgreiche Umsetzung von Lerninhalten in die Praxis zu gewährleisten? Wie kann die Neurowissenschaft hierbei behilflich sein? Wie kann ein hirngerechtes Lehren und Lernen gestaltet sein? 14 Neurodidaktische Lernforschung 15 Das dreistufige Gedächtnismodell Sensorisches Gedächtnis Aufbereitung für das KZG „Filter“ -Merkmalanalyse Erkennen der Reizelemente Wiedererkennung von Mustern Benennung Aufmerksamkeit KZG 7-stelliges Register Wiederholung Wahrnehmung LZG Deklarativ (Semantisch u. Episodisch) prozedural Elaboration Aufbereitung für das LZG -modifizierende Einübung- angelehnt an: Peter Vontobel Vergessen 16 Fallgruben und ihre Überbrückung ….. auf dem Weg ins LZG Informationen müssen emotional labilisieren, damit Sie von den Sinnen wahrgenommen werden Information SG Mit Vorwissen verbinden (elaborieren) wiederholen Aufmerksamkeit wecken (Redundanz) Informationen bündeln (Chunking) KZG Erhalten Vertiefung und Anwendung (Lernaufgaben) Wiederholung LZG angelehnt an: Peter Vontobel 17 Die alten Formen der Wissensvermittlung haben ausgedient Lernen, so die Neurodidaktiker, ist ein höchst subjektiver Vorgang mit individueller Struktur und unterschiedlichen Verknüpfungen mit der bestehenden neuronalen Landkarte. 18 Kompetenzorientierung Teilstandardisierte kompetenzbasierte Prüfung 19 Warum Kompetenzorientierung? Bildungspolitische Hintergründe: Bologna-Reform; Rahmenvorgaben der KMK Outcome-Orientierung Employability Forderung Lehr-/lerntheoretische Begründungen Mangelnder Transfer des vermittelten Wissens / Vermeidung „trägen Wissens“ Tiefere Verarbeitung von Lerninhalten (i.S. eines „deep approach“) 20 Was sind Kompetenzen? Kompetenzen sind: die Fähigkeiten, in unerwarteten, (zukunfts-)offenen, manchmal chaotischen Situationen kreativ und selbstorganisiert zu handeln. Kompetenz ist subjektbezogen. Systeme von Fähigkeiten, Können oder Fertigkeiten, die notwendig sind, um spezifische Ziele zu erreichen. Kompetenz = Handlungskompetenz (nach Weinert, 2001) Es gibt keine Kompetenzen – also spezifische Handlungsfähigkeiten – ohne Emotionen! „Alle gegenteiligen Behauptungen sind unzutreffend“ (Klieme et al. 2007). Es gibt keine Kompetenzen ohne Wissen im engeren Sinne und Fähigkeiten sowie Qualifikationen, Wissen und Qualifikation sind aber keine Kompetenzen. Sie bilden lediglich die notwendige Voraussetzung für den Kompetenzaufbau. Prof.Dr. Rolf Arnold 21 Kompetenzen entwickeln Interiorisierte Regeln Regeln Interiorisierte Werte Wissen i.e.S. Fertigkeit Qualifikation Werte Kompetenz Interiorisierte Normen Interiorisation: Umwandlung von Regeln, Werten, Normen zu eignen Emotionen und Motivationen aufgrund emotionaler Labilisierung Normen Kompetenz „lernen“ Erlebnislernen und -handeln Erfahrungslernen und -handeln Expertisegewinn, Expertise Grafik: Prof.Dr. Rolf Arnold 22 Kompetenzen Kompetenzen sind keine Qualifikationen: Überlegen Sie doch mal, wie viele hochqualifizierte Inkompetente Sie kennen! Kompetenzen sind keine Persönlichkeitseigenschaften: Persönlichkeitsmerkmale sind langfristig, lassen sich kaum gezielt trainieren. Kompetenzen sollen und müssen oft kurzfristig geplant, entwickelt, trainiert und gemanagt werden! Wissen ist keine Kompetenz: Wissens“-weitergabe“ ist keine Kompetenzentwicklung! Angelehnt an Prof.Dr. Rolf Arnold 23 Kompetenzentwicklung Kompetenzentwicklung erfordert zwingend eine emotionale „Imprägnierung“ des Wissens Schule, Universität, Weiterbildung vermitteln Wissen, aber manchmal weniger Kompetenzen. Kompetenzentwicklung und ‐management erfordern emotionale Labilisierung. Fragen Sie ab heute, wenn jemand behauptet, eine Weiterbildungsmaßnahme diene der Kompetenzentwicklung: „Und wo ist der Punkt der emotional-motivationalen Labilisierung?“ Prof.Dr. Rolf Arnold 24 Schlussfolgerung 25 Einflussfaktoren auf einen erfolgreichen Lerntransfer Interesse Gedächtnis / Vorwissen Motivation Alter Arousal Einstellung Lernstil Umgebung Angelehnt an SCIL 26 im Lernfeld: Gestaltung der Qualifizierungsmaßnahme ganzheitliche Gestaltungsansätze: Identität von Lern- und Funktionsfeld, generelle Prinzipien und wechselnde Kontexte, konstruktivistische Gestaltungsprinzipien Transferprobleme erörtern und bearbeiten: Lerntransfermodule integrieren, Follow-up´s Selbstwirksamkeit stärken: Beobachtungslernen ermöglichen, durch Feedback ermutigen Lerntransfermanagement im Funktionsfeld: Gestaltung des Lerntransferklimas Anwendungsgelegenheiten schaffen: u.a. Anforderungsbezug von PE sichern, Transferziele setzen, Aufgabenübertragung, strukturelle Hindernisse beseitigen Transferanreize setzen: u.a. Nutzen aufzeigen, Transfererwartungen kommunizieren, Transfererfolge verstärken Transferprozesse unterstützen: u.a. Transferprobleme erörtern, Arbeitsdruck reduzieren, Vorbildfunktion wahrnehmen, Peer-Netzwerke, Mentoring Führungskräfte involvieren: u.a. durch Evaluationsbefunde Lernerfolg Erwerb und Behalten von Kompetenzen, die generalisierungsfähig bzw. transferförderlich sind Lerntransfermotivation Lerntransfer Leistung Generalisierung Beibehalten im Arbeitsalltag Bereitschaft, Gelerntes umzusetzen; zeigt sich in Intensität und Ausdauer der Lerntransferbemühungen Unterstützung/ praktische Hilfestellungen im Arbeitsumfeld Anwendungsgelegenheiten im Arbeitsumfeld Modell des Lerntransfermanagement in Lern- und Funktionsfeld 27 (in Anlehnung an Solga, 2006) Zusammenfassung/Fazit Allen neueren Theorien ist gemeinsam: Es geht um die Gestaltung der Lernumgebung als zentrales Kriterium für die Unterstützung des Lernens. Der Mythos der Belehrbarkeit ist abgeschafft und wurde von den Leitideen des selbstverantwortlichen Lernens, der vielfältigen Lehr-Lernarrangements und der Lernbegleitung ersetzt. 28 Zusammenfassung/Fazit Lerninhalte können nicht vom Lehrenden in den Kopf des Lerners transportiert werden. Problemzusammenhänge und Verständnis für die Brauchbarkeit des Lehrinhaltes sind notwendig, damit Lernen stattfindet. Erwachsene lernen besser, wenn man von ihren eigenen Fragen ausgeht. Lernen ist ein individueller kognitiver Grundprozess und muss von jedem Individuum selbst durchlaufen werden. Lernen wird heute als Aneignungsprozess der Lernenden, nicht mehr als Vermittlungsprozess der Lehrenden, gesehen. Der Lehrende muss vertrauenswürdig und kompetent wirken. Ohne Motivation und Belohnungserwartung sind Lehren und Lernen schwer oder unmöglich. Vermitteltes Wissen muss anschlussfähig sein; deshalb ist für den Lehrenden Kenntnis über das Vorwissen wichtig. 29 Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit »Bildung ist nicht das Befüllen von Fässern, sondern das Entzünden von Flammen.« (Heraklit) 30