Bedarf pflegender Kinder und Jugendlicher aus der medizinischen

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Bedarf pflegender Kinder und
Jugendlicher aus der medizinischen
Perspektive
• Christine Gäumann
• Bereichsleiterin Adoleszentenpsychiatrie, Integrierte
Psychiatrie Winterthur ipw - Zürcher Unterland
Careum Weiterbildung | Abendveranstaltung 28.05.2015 | Kinder und Jugendliche als pflegende Angehörige in der Schweiz
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Bedarf pflegender Kinder
und Jugendlicher
aus der medizinischen
Perspektive
Christine Gäumann
Bereichsleiterin Adoleszentenpsychiatrie
Integrierte Psychiatrie Winterthur – Zürcher Unterland
Dr. med. Kurt Albermann
Chefarzt Sozialpädiatrisches Zentrum Winterthur (SPZ)
Departement Kinder- und Jugendmedizin
Kantonsspital Winterthur
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Schweizerische Stiftung zur Förderung der psychischen Gesundheit von
Kindern und Jugendlichen
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Angebote
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Prävalenz I
• Psychische Störungen zählen zu den häufigsten Leiden im
Erwachsenenalter (zusammen mit Herz-Kreislauf- und Tumorerkrankungen)
• Höchste Krankheitslast und häufigste Invaliditätsursache in
der Schweiz
• Zunahme der IV-Neuberentungen bei Jugendlichen / jungen
Erwachsenen aufgrund psychischer Erkrankungen
• Ca. 4‘000 Kinder haben im Kanton Zürich einen Elternteil mit
einer psychischen Erkrankung (konservative Schätzung)
• 30% der betroffenen Kinder zeigen dauerhafte Störungen im
emotionalen bzw. im Verhaltensbereich
Ravens-Sieberer et al. 2007, Bürli et al. BAG 2014, Gurny et al. 2006, Rutter et al. 1984
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«Pflegeleistungen» durch Kinder im Kontext
einer psychischen elterlichen Erkrankung
• Parentifizierung:
− Das Kind übernimmt über längere Zeit oder dauerhaft
elterliche Verantwortlichkeiten, Aufgaben und Pflichten
anstelle des Elternteils (Bsp. gegenüber den Geschwistern)
− Das Kind wird als Eltern- und/oder Partnerersatz in einer
ganz nahen Position zum erkrankten Elternteil festgehalten
(Beispielsweise als Klagemauer und Problembesprecher)
• Einbindung ins elterliche Krankheitssymptom
− Beispielsweise ins Angst- oder Zwangssystem. Das Kind wird
dadurch in seiner altersgemässen Entfaltung gehemmt und
mit angstvollen Gefühlen belastet
• Projektionsfläche für elterliche Gefühlsregulationsprobleme
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« Effekte» auf das Kind
Pseudo Positiv
Negativ
Das Kind wird «aufgewertet» und
erhält eine hohe Position in der
Familie
Das Kind fühlt sich überfordert,
belastet und seines altersgemässen
Gestaltungsraums enthoben
Das Kind entwickelt in der Familie
angepasste soziale Fähigkeiten
und fühlt sich wichtig
Das Kind kommt täglich an seine
körperlichen und psychischen
Grenzen und fühlt sich ohnmächtig
Das Kind übernimmt in der
Familie das «Schaltpult» und gibt
gegenüber den anderen
Geschwistern den «Tarif» durch
Das Kind ist nach innen orientiert
und verliert seine altersgemässen
Aktivitäten und Freundschaften mit
Gleichaltrigen
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Die Folgen der Überforderungen
Wichtig: nicht jedes Kind reagiert gleich belastet auf die
Überforderungen. 30 % aller belasteter Kinder entwickeln sich gut!
Das Alter, die Entwicklungsphase, familiäre heikle Übergänge
sowie die individuelle Widerstandsfähigkeit des Kindes/Jugendlichen
sind mitentscheidend, wie beeinträchtigend die Stressoren auf das
Kind einwirken.
Mitentscheidend für die Folgen der Überforderungen ist die Dauer und
Schwere der Inanspruchnahme der Kinder in elterliche Leistungen.
(Handelt es sich um eine einmalige, zeitlich beschränkte Krankheitsepisode oder um
sich wiederholende, chronische Krankheitsausfälle des Elternteils)
Entscheidend ist auch die Art und Weise der familiären
Krankheitsbewältigung.
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Prävalenz II
Psychosomatische Symptome / Störungen
Rezidiv. Kopfschmerz (Kinder / Jugendliche)
10-70%
Rezidiv. Bauchschmerzen
10-25%
Muskel- und Skelettschmerzen
5-20%
Gefühl der Mattigkeit (Jugendliche)
15%
Somatoforme Störungen (Jugendliche, junge Erw.)
2.7%
Asthma bronchiale
10%
Neurodermitis
Enuresis
nocturna
0.7-2.4%
8J
7.4%
diurna
4%
Enkopresis
2.3%
Haller et al. (2015), Steinhausen (2006), Herpertz-Dahlmann et al. (2003)
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Bio-psycho-soziales / Bioökologisches Modell
mod. für psychosomatische Störungen
Psychosomatische
Störung
Bronfenbrenner 1979,
Steinhausen 2006
Dr. med. Kurt Albermann
Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ)
Departement Kinder- und Jugendmedizin
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Fit (Zürcher FIT-Konzept)
Thomas & Chess (1977)
Kagan (1986)
Largo, Jenni (2007)
Wohlbefinden
Eigenaktivität
Selbstwertgefühl
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Misfit
Individuelle Disposition
Alter
Fehlendes Wohlbefinden
Verminderte Aktivität
Beeinträchtigtes Selbstwertgefühl
Verhaltensauffälligkeiten
Psychosomatische Erkrankung
Entwicklungsstörung
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Schutzfaktoren
Individuum
Autonomie, sicheres Bindungsverhalten
Soziale und kommunikative Kompetenz, Temperament
Problemlösungsfertigkeiten, Selbstwirksamkeit
Reflexivität / Impulskontrolle
Anpassungsfähigkeit
Selbstwert
Hohe Intelligenz, höheres Bildungsniveau
Emotionale Intelligenz
Sensibilität / Empathie
Fähigkeit der raschen Regeneration nach Belastung
Schutzfaktoren
Familie, Umfeld
Stabile emotionale Beziehung zu mind. einem Elternteil oder
verlässliche Bezugsperson, Fürsorge, Zuwendung
Emotionale und soziale Unterstützung ausserhalb der Familie
(z. B. erwachsene Vertrauensperson, wie Gotte/Götti, Grosseltern,
Nachbarn, Verwandte, Lehrpersonen)
Transparente und konsistente Strukturen, Regeln
Positive Rollenvorbilder, Normen und Werte
(Familie, Peergroup und Gesellschaft)
Ressourcen auf kommunaler Ebene
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Zusammenhang Resilienz – multiple Stressoren
Wahrscheinlichkeit kindlicher Resilienz gegenüber Misshandlung als Funktion
individueller Stärken und der Exposition von familiären und umgebungsbedingten
Stressoren
Jaffee et al. Child Abuse Negl. 2007
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Ungünstige Lebensbedingungen / Einflüsse
(Risikofaktoren)
Elterliche Konflikte / Scheidung
Wenig unterstützendes / ungünstiges Familienklima
Häusliche Gewalt
Mangelnde elterliche Aufsicht/Vernachlässigung
Sozioökonomische Benachteiligung/Armut/Arbeitslosigkeit
Schwere Erkrankung eines Kindes / Familienmitglied
Peer-Probleme
Schulische Frustrationserlebnisse
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Negative Lebensereignisse (einmalig)
Elterliche Scheidung / Trennung
Neues Familienmitglied (z.B. Stiefelternteil)
Elterlicher Verlust der Arbeit
Schwere Erkrankung / Unfall des Kindes
Schwere Erkrankung eines Familienmitglieds
Grösseres schulisches Frustrationserlebnis
Tod eines Elternteils, Geschwister, Grosseltern, Haustier
Familiäre / soziale Belastungen (chronisch)
Umzug / Immigration
Elterliches / mütterliches Bildungsniveau
Wohnverhältnisse
Ökonomische Benachteiligung / soziale Unterstützung
Abweichende Familiensituation
Unzureichende elterliche Aufsicht und Steuerung
Junge Mutterschaft (<19 J)
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Bedarf
Früherkennung von Belastungen / Überforderung
„Soft signs“ wahrnehmen, ernst nehmen:
Schlafstörungen
Psychosomatische Symptome
Störungen Aufmerksamkeit / Konzentration
Schulleistungsprobleme
Verhaltensauffälligkeiten (aggressives und disziplinarisches
Verhalten)
Vermehrte Traurigkeit, emotionaler Rückzug, Erregbarkeit,
Zynismus
(Destruktive) Parentifizierung
Depressive Stimmung, soziale Isolation, Suizidgedanken
Dr. med. Kurt Albermann
Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ)
Departement
Kinder- und Jugendmedizin
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Zusammenfassung
Psychische und somatische Symptome sowie soziale
Verhaltensauffälligkeiten können durch psychosoziale,
familiäre Belastungen ausgelöst und /oder verstärkt
werden
Aufklärung von Kindern, Jugendlichen, Eltern (Krankheitsmodell)
Abklärung integrativ > parallel veranlassen (Haus- / Kinderarzt)
Modell: „no wrong door“
Zusammenhang offen ansprechen, keine Tabuisierung
Partnerschaftliche Arzt-Patient-Familie-Beziehung
Umfeld einbeziehen, stufengerecht informieren (z.B. Kindergarten, Schule)
Geeignete Behandlungsmassnahmen einleiten
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Dr. med. Kurt Albermann
Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ)
Departement
Kinder- und Jugendmedizin
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Vielen Dank!
Kontakt:
iks Geschäftsstelle, Stiftung und Institut
c/o
Sozialpädiatrisches Zentrum SPZ
Kantonsspital Winterthur
Albanistrasse 24
Postadresse:
Brauerstr. 15, Postfach 834
8401 Winterthur
[email protected]
www.iks-ies.ch
Tel. 052 266 20 45
Schweizerische Stiftung zur Förderung der psychischen Gesundheit
von Kindern und Jugendlichen
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