Minore Depression im höheren Lebensalter Peter Schönknecht Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsklinikum Leipzig AöR Krankheitsverlauf Erkrankungsgipfel zwischen 30-44 Jahren1 Episodenlänge (unbehandelt): ca. 6 – 12 Monate2 Ca. 75 % der Erkrankten erleiden mehr als eine Episode3 Hohe Suizidalität: ¾ 5 - 15 % der Patienten suizidieren sich im Rahmen ihrer depressiven Erkrankung4 ¾ Die Depression ist der häufigste Grund für Suizid5 1 Kessler RC, et al. JAMA. 2003;289 (23):3095-3105. 2 Möller HJ, Laux G, Kapfhammer HP (Hrg) Psychiatrie und © Universitätsmedizin Leipzig (201) Psychotherapie. 2. Aufl. Berlin Heidelberg NY, Springer, 2003. 3 Andrade L et al. Int J Methods Psychiatr Res. 2003;12(1):3-21. 4 Simon GE et al.; Am J Epidemiology 1998;147:155-60. 5 Schmauß M et al; Fortschr Neurol Psychiat 2003; 71:341-357. 2 HauptHaupt-und undNebenkriterien Nebenkriteriennach nachICD-10 ICD-10 Suizidgedanken / Suizidale Handlungen Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven Gefühl von Schuld und Wertlosigkeit Verlust von Interesse u. Freude Depressive Stimmung Verminderter Antrieb Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen Appetitminderung Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit Schlafstörungen © Universitätsmedizin Leipzig (201) 3 Allgemeine Anmerkungen „Leichte Depressionen“ sind schwere Erkrankungen unterschiedliche Definitionen Häufigkeitszunahme? Ist Zurückhaltung bei Behandlung entsprechend S3Leitlinien gerechtfertigt? © Universitätsmedizin Leipzig (201) 4 © Universitätsmedizin Leipzig (201) 5 Schwere der depressiven Symptomatik wahnhafte Depression schwere Depression Krankheit mittelschwere Depression leichte Depression, Dysthymie minore und subdiagnostische Depression normale psycholog. Verstimmungen Übergangsbereich Gesundheit Häufigkeit © Universitätsmedizin Leipzig (201) 6 „Burnout“ modisch, aber oft irreführend • meist Ausweichdiagnose für Depression • Depression bessert sich jedoch nicht durch „Erholung“ oder „Ausruhen“ • Schlafentzug antidepressiv • Krankschreibung oft kontraproduktiv • Urlaub kontraproduktiv • Erschöpfungsgefühl fester Bestandteil jeder Depression, jedoch meist keine Überforderung als Ursache • Depression nicht häufiger im Hochleistungsbereich Diagnostisches und therapeutisches Defizit behandlungs- in hausärztlicher bedürftige Depressionen Behandlung ca. 4 Mio. 2,4 - 2,8 Mio. 60-70% Als Depr. diagnostiziert (1,2) suffizient Behandelt (4) 1,2 - 1,4 Mio. 240 - 360 Tausend 30-35% 6-9% nach 3 Mo. compliant (5) 100- 160 Tausend 2,5-4% Optimierungsspielraum durch Fortbildung und Kooperation mit Hausärzten 1) Ustun & Von Korff 1995, 2) Mitchell et al 2009, 3) Wittchen et al 2001, 4) Maginn et al 2004, 5)(201) Lingam & Scott 2002 © Universitätsmedizin Leipzig 8 Minore Depression - erhebliche Beeinträchtigung des psychosozialen Funktionsniveuas -Prävalenz der minoren Depression bei Älteren. ca. 10-20% - jedoch erlaubt die insuffiziente klinische Diagnostik in den meisten Studien keine valide Klassifikation der minoren Depression. -strukturierte klinische Interviews fehlen © Universitätsmedizin Leipzig (201) 9 •Definition MiD (DSM-IV) -≥ 2 und <5 depressive Symptome über mind. 2 Wochen mit entweder depressiver Verstimmung oder Freud- oder Interesselosigkeit -die Symptome verursachen ein klinisch bedeutsames Leiden und eine Beeinträchtigung im sozialen Bereich, bei der Arbeit oder in anderen wichtigen Lebensbereichen -die Störung ist keine direkte physiologische Folge einer Substanz oder eines allg. med. Krankheitsfaktors -die Symptome können nicht besser durch einen Trauerfall erklärt werden (oder Dauer >2 Monate) -Keine majore Depression, manische/ gemischte/ hypomane Episode in Vorgeschichte; Kriterien für Dysthyme Störung/ Zyklothymie nicht erfüllt -Störung tritt nicht ausschließlich während einer Schizophrenie, schizophreniformen/ schizoaffektiven/ psychotischen Störung NNB oder Wahnstörung auf © Universitätsmedizin Leipzig (201) 10 REVIEW ARTICLE Prevalence of minor depression in elderly persons with and without mild cognitive impairment N. Sonnabend, C. Sander, U. Hegerl, P. Schönknecht (submitted) - die minore Depression stellt die häufigste psychische Erkrankung im höheren Lebensalter dar - Punktprävalenz: 0-29.2% - Inanspruchnahmepopulationen (5-29.2%; Median: 15.5%) > bevölkerungsbasierte Studien (0-10.2%; Median: 4.6%) - Lebenszeitprävalenz nur in einer Studie untersucht (23.8%) - keine Einigkeit bezüglich Alter und Geschlecht, aber Prävalenzraten steigen mit zunehmenden kognitiven Beeinträchtigungen - Risikofaktoren: Einsamkeit, Langzeitunterbringung in einer Einrichtung, schlechte physische Gesundheit, Schwierigkeiten beim Gehen, schlechtere Lebensqualität, weniger Lebenszufriedenheit © Universitätsmedizin Leipzig (201) 11 Klinisches Merkmal © Universitätsmedizin Leipzig (201) 12 Klinisches Merkmal © Universitätsmedizin Leipzig (201) 13 Klinisches Merkmal © Universitätsmedizin Leipzig (201) 14 Die leichte kognitive Störung ein unspezifisches Syndrom? © Universitätsmedizin Leipzig (201) 15 Klinisches Merkmal Als „leichte kognitive Störung“ werden kognitive Defizite bezeichnet, die das Ausmass physiologischer Alterungsveränderungen überschreiten, ohne jedoch den Schweregrad einer Demenz zu erreichen. © Universitätsmedizin Leipzig (201) 16 Klinisches Syndrom Mnestische Defizite oder Beeinträchtigung anderer kognitiver Funktionen keine Bewusstseinsstörung erhaltene Alltagskompetenz © Universitätsmedizin Leipzig (201) 17 Differentialdiagnostik der leichten kognitiven Störung (LKS) 1. Ätiologische DD a) primäres vs. b) sekundäres Syndrom 2. Klinisch-neuropsychologische DD a) Welche kognitive Funktion ist betroffen? b) Welches Cluster von Funktionen ist betroffen? © Universitätsmedizin Leipzig (201) 18 Primäre und sekundäre kognitive Defizite Kognitives Defizit hirnorganische (primär) nicht-hirnorganische (sekundär) z. B. neurodegenerativ z. B. systemisch Leichte kognitive Beeinträchtigung (LKB) ICD-10 F06.70 Leichte kognitive Störung (LKS) ICD-10 F06.71 © Universitätsmedizin Leipzig (201) 19 Gibt es einen präklinischen Verlauf? Mini-Mental State Examination (MMSE) Frühstadium Spätstadium Mittleres Stadium 30 25 20 15 10 Ältere Erstsymptome Menschen mit einer leichten kognitiven Beeinträchtigung entwickeln mit einer Rate von Diagnose 10-15% /Jahr in den darauffolgenden Selbstständigkeit JahrenVerlust einederDemenz Verhaltensaufälligkeiten (Unverzagt et al., 2001; Petersen et al., 2001; Ritchie et al., 2001) Heimeinweisung 5 Komplette Pflegebedürftigkeit 0 1 © Universitätsmedizin Leipzig (201) 2 3 4 5 Jahre 6 7 8 9 nach: Feldman und Gracon, 1996 20 Leitende klinische Konzepte Konzept MCIa (Petersen et al., 1997) Anamnese subjektiv nachlassende Gedächtnisleistungen Psychometrie subjektive Beeinträchtigung kognitiver Funktionen Testleistungen in einem der Bereiche mindestens 1 SD unter dem Durchschnitt Gleichaltriger (= objektive Beeinträchtigung) Bereiche - Gedächtnis und Lernen Ausschluss AACD (IPA; Levy 1994) - Gedächtnis und Lernen - Aufmerksamkeit/Konzentration - Sprache - visuo-konstrukive Fähigkeiten - abstraktes Denken Demenz; internistische, neurologische, psychiatrische Erkrankungen, die kognitive Defizite verursachen können Ist Depression toxisch? © Universitätsmedizin Leipzig (201) 22 Atrophie des Bulbus olfactorius bei der AD nach: Braak und Braak, 1991 Thomann et al., 2008 © Universitätsmedizin Leipzig (201) 23 Klinisches Merkmal © Universitätsmedizin Negoias et al., 2010 Leipzig (201) 24 © Universitätsmedizin Universitätsklinikum Leipzig Leipzig (201) AöR (2011): Guenther et al. – Vigilance and FDG-PET 25 © Universitätsmedizin Leipzig (201) 26 Zusammenfassung 1. LKS sollte sekundären Störungen vorbehalten werden. Kann reversibel sein, erfordert vielfach interdisziplinäre Behandlung. 2. LKB bezeichnet ein präklinisches Stadium der AD. 3. Bei entsprechender Untersuchungstiefe (Neuropsychologie, Bildgebung, Labordiagnostik) können spezifische Merkmale eines progredienten Krankheitsverlaufs hin zur AD und die DD einer depressiven Symptomatik dargestellt werden. 4. Zukünftig sind neben Risikofaktoren sind protektive Faktoren (z. B. kognitive Reserve) in der Diagnostik zu berücksichtigen. © Universitätsmedizin Leipzig (201) 27