Morphologisch-phänografische Betrachtungsweisen

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Morphologisch-phänografische
Betrachtungsweisen
Die Übersetzung der griechischen Namen dieser Betrachtungsweise sagt deutlich, worum es geht: Morphologisch bedeutet „die Form betreffend“, phänografisch „das Erscheinungsbild beschreibend“. Entsprechend rücken hierbei
diejenigen Aspekte von Bewegungen in den Vordergrund, die per unmittelbarer Wahrnehmung zugänglich sind. Nicht das exakt gemessene Ergebnis
der Biomechanik, sondern der Gesamteindruck, den ein – möglichst sachkundiger – Betrachter erhält, werden maßgeblich.
Fremd- und Selbstbeobachtung
Eine morphologisch-phänografische Bewegungsbeschreibung ist das Resultat
von Fremd- oder Selbstbeobachtungen.
• Fremdbeobachtungen können, besonders bei sehr kurz dauernden, aber
dennoch komplexen Vorgängen, wie man sie beispielsweise von Übungsteilen aus dem Gerätturnen oder von technischen Disziplinen der Leichtathletik kennt, durch Hilfsmittel wie Video und Bildreihen gestützt werden.
• Unter einer Selbstbeobachtung wird das Beziehen von Informationen im
Wesentlichen aus dem kinästhetischen Sinn, dem Bewegungsgefühl, verstanden (nicht etwa das Betrachten einer Video-Aufnahme der eigenen Bewegungen; in einem solchen Falle ist der Sportler sich selbst gegenüber
Fremdbeobachter).
Fremd- und Selbstbeobachtungen stimmen häufig nicht überein.
Ansatz und Ziel
Die morphologische Betrachtungsweise von Bewegungen ist praktisch-pädagogisch orientiert, sie ist also ebenso beschreibend wie erklärend. Es werden
dabei das Bewegungsoptimum ebenso wie in einer konkreten Situation aufgetretene Bewegungsfehler berücksichtigt und Möglichkeiten zur Bewegungskorrektur betrachtet. Entsprechend ist sie nicht an ihrem theoretischen Erklärungswert, sondern an ihrer praktischen Effektivität zu messen.
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Der Betrachtungsansatz ist somit insgesamt
• ganzheitlich, erkennt also in einer Bewegung mehr als die Summe ihrer
Einzelteile,
• subjektiv, weil der Betrachter die Bewegung etwa auf ihre Absicht hin interpretiert und dabei immer auch seine eigene Ansicht einfließen lässt,
• interdisziplinär, weil Erkenntnisse anderer Methoden, z. B. der Biomechanik, berücksichtigt werden.
Die morphologisch-phänografische Beobachtungsmethode geht wesentlich
auf Kurt Meinel (1898 –1973) zurück. Ihre Anwendung orientiert sich an folgender Übersicht:
Praxis der morphologisch-phänografischen Beschreibung
• Gliederung und Strukturierung der vorliegenden Bewegungsfolge.
• Genaue Beschreibung anhand der Gliederung.
• Begründung für Bewegungsanweisungen, die aus der Beschreibung resultieren.
• Hinweise auf mögliche Bewegungsfehler.
Schwächen und Stärken
Die Schwäche morphologischer Bewegungsbeschreibungen ist ihre mangelnde Exaktheit. Diese Schwäche ist aber auch ihre Stärke, da sie in jedem Fall,
auch in solchen, wo exakte Methoden nicht weiterwissen, mehr oder weniger
zutreffende Eindrücke vermittelt. Der Wert der morphologisch-phänografischen Betrachtungsweise ist in folgenden Punkten dokumentiert:
• Sie ist die „Methode der täglichen Praxis“ der Bewegungswissenschaft.
• Durch Fachleute vorgenommen bietet sie eine sichere Methode, Bewegungen zutreffend zu charakterisieren.
• Dort, wo exaktere Methoden der Bewegungsbeschreibung, etwa die Biomechanik, Abstriche machen müssen, vermittelt sie ein komplexes Bild. Bei
Sportarten wie Eiskunstlaufen oder rhythmischer Sportgymnastik ist es
etwa nicht möglich, leistungsbestimmende Merkmale wie Bewegungsausdruck, Ausstrahlung, Bewegungsfluss oder Elastizität exakt in Zentimetern
und Winkeln zu ermitteln. Die morphologische Beschreibung hat es da
leichter, mit Mitteln der alltäglichen Sprache den Gesamteindruck festzuhalten. Sie beschreibt Bewegungen etwa als graziös, anmutig, wuchtig oder
explosiv und vermittelt dadurch einen zwar nicht exakten, jedoch weitgehend zutreffenden und vermittelbaren Eindruck der beschriebenen Bewegung.
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4 Strukturierung von Bewegungsfolgen
Die morphologisch-phänografische Betrachtungsweise hat trotz ihres ganzheitlichen Ansatzes auch eine analytische Komponente. Denn um eine zu erlernende Bewegungsfolge übersichtlich und ohne Überforderung des Lernenden präsentieren zu können, ist es wichtig, diese zu gliedern. Die folgenden
Abschnitte zeigen entsprechende Gliederungsmodelle auf.
4.1 Phasenanalyse nach Meinel
Das Phasenmodell von Meinel ist ein Dreiphasenmodell, das wesentlich die
zeitliche Reihenfolge einer Bewegung berücksichtigt. Bei der Hierarchisierung
in eine Hauptphase und eine ihr zuleitende Vorbereitungs- und eine ableitende
Endphase spielt aber neben dem zeitlichen Aspekt auch deutlich ein funktionaler Aspekt eine Rolle.
Das Phasenmodell nach Meinel identifiziert eine Vorbereitungsphase, eine Hauptphase
und eine Endphase einer Bewegung.
• Ihrem Namen entsprechend wird in der Hauptphase die eigentliche Bewegungsaufgabe gelöst.
• Die Vorbereitungsphase soll optimale Voraussetzungen zur Bewältigung
der Hauptphase bereitstellen. Vorbereitungsphasen findet man in oder entgegen der Richtung der Hauptbewegung ausgeführt. In Richtung der
Zielbewegung verlaufen z. B. Anlauf-, Anschwung oder Angleitbewegungen, entgegen der Zielbewegung Ausholbewegungen, wie sie sich zur Verbesserung der Anfangskraft oder zur Bereitstellung optimierter Winkelverhältnisse besonders in den technischen Disziplinen der Leichtathletik finden. In Sportarten mit hohem individuell-taktischen Anteil wie etwa den
Sportspielen, den Kampfsportarten oder den Rückschlagspielen können
Vorbereitungsphasen gut zur Täuschung verwendet werden, indem man
sie weitgehend unterdrückt oder ohne ein Anhängen der Hauptphase ausführt. Beispiele sind der schnelle Wurf im Handball fast ohne Ausholbewegung oder die Wurffinte im Basketball.
• Nach Ablauf der Hauptphase dient die Endphase einer Bewegung dazu, das
Gleichgewicht zu sichern oder eine optimale Ausgangshaltung für nachfolgende Bewegungen zu finden. Beispiel einer Bewegungsendphase ist das
Abfangen der Bewegung nach dem Speerwurf, um nicht zu übertreten.
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