8 107 STANDARDMODELL 8 Standardmodell 8.1 Fermion-Massen (i) Massen der Leptonen Wir haben die Massen der Leptonen bereits im Rahmen der elektroschwachen Theorie diskutiert. Dort war der Ausgangspunkt die Lagrangedichte (7.40), LY = − 3 X f,g=1 f (Ye )f g ℓ · φ rg + h.c. , wobei Ye eine 3 × 3-Matrix ist, f, g Generationen-Indizes bezeichnen und ′ ′ ′ ′ eR νµ νe ντ r = µ′R und ℓT = , . , e′L τL′ µ′L ′ τR Wenn man das Higgs-Feld durch seinen Vakuumerwartungswert ersetzt, 1 0 √ , φ → v 2 ergibt sich LY e′R → − (e′L , µ′L , τL′ ) · M · µ′R + h.c. . τR′ Die Massenmatrix M = werden, UL† M UR √1 Ye 2 v kann durch eine bi-unitäre Transformation diagonalisiert me = D = 0 0 0 mµ 0 0 0 , mτ (8.1) wobei UL/R unitäre 3 × 3-Matrizen sind. D.h., durch die Feld-Redefinitionen ′ ′ eL eL eR eR µL = U † µ′L µR = U † µ′R , und L R τL τL′ τR τR′ erhält man die Massenterme der geladenen Leptonen, Lmass = − me eL eR − mµ µL µR − mτ τL τR + h.c. . Bemerkung: Wir identifizieren beispielsweise 1 me = √ y e v . 2 Dabei ist zu beachten, dass der Massenterm für die W - bzw. Z-Bosonen ebenfalls ∼ v ist. Der Parameter ye sorgt dafür, dass die Massen von Elektronen und dieser Bosonen um 6 Größenordnungen auseinander liegen. Diese Hierarchie ist ein Input und findet keine Erklärung im betrachteten Modell. Die Kleinheit der Yukawa-Kopplungen ist jedoch stabil 8 108 STANDARDMODELL unter Quanten-Korrekturen. Quantenkorrekturen können beschrieben werden durch die sog. Renormierungsgruppengleichungen, welche im betrachteten Fall der Form 3 15 9 d ye = ye |ye |2 + (|ye |2 + |yµ |2 + |yτ |2 ) − g12 − g22 + . . . (8.2) 16π 2 µ dµ 2 4 4 ist. Insbesondere sind die Korrekturen zur Yukawa-Kopplung eines Fermions sind proportional zur Yukawa-Kopplung selbst, d.h. eine hierarchisch kleine Kopplung bleibt hierarchisch klein. (ii) Massen der Quarks Das Vorgehen für die Leptonen kann auf die Quarks übertragen werden. Wir wollen wieder Massen erhalten, die linear im Vakuumerwartungswert v des Higgsfeldes sind. D.h., wir benötigen in der Lagrangedichte Kopplungen, die linear in dem Higgsfeld φ sind. Das wiederum impliziert, dass irgendwelche Quarks als SU(2)L -Dubletts transformieren. Analog zu den Leptonen versuchen wir es mit den linkshändigen Quarks, d.h. wir führen (zunächst nur für eine Generation) das linkshändige Quark-Dublett uL (8.3) QL = dL ein. Damit können wir zwei Arten von SU(2)L -invarianten Termen hinschreiben, Lud = − yd QL · φ dR − yu εij (QL )i (φ∗ )j uR + h.c. mit dem Levi-Civita-Symbol 0 1 ij (ε) = −1 0 und (ε)ij = 0 −1 1 0 (8.4) . Bemerkung zu den SU(2) Dublett-Kontraktionen. Es gibt zwei Möglichkeiten, SU(2) Dubletts ψ und χ invariant zu kontrahieren, ψ∗ · χ und ψ·ε·χ. (8.5) Die erste Kontraktion ist übertragbar auf beliebige SU(N ) Symmetrien während die zweite spezifisch für die SU(2) gilt und Konsequenz der Tatsache ist, dass eine anti-symmetrische 2 × 2-Matrix nur eine Komponente hat. Wir müssen uns nun über die Quantenzahlen der Felder QL , uR und dR Gedanken machen. Ausgangspunkt ist die Forderung, dass das Quark-Dublett als 3-plett unter der SU(3)C und als 2-plett unter der SU(2)L transformiert. Des Weiteren transformieren die rechts-händigen Quark-Singletts uR und dR als 3-pletts unter SU(3)C . Deren elektrische Ladungen sind durch Q = qY gegeben. Um dem u-Quark bzw. dem d-Quark die Ladungen Q = 2/3 bzw. Q = −1/3 zu verleihen, müssen also uR bzw. dR die Hyperladungen qY (uR ) = 2/3 bzw. qY (dR ) = − 1/3 tragen. Damit die Terme in (8.4) eichinvariant sind, muss, da φ die Ladung 1/2 hat, QL die Ladung 1/6 haben. Interessanterweise sind beide Terme in (8.4) konsistent mit dieser Ladungszuweisung; wir werden später einen möglichen Grund kennenlernen. Setzen wir jetzt den Vakuum-Erwartungswert für das Higgs-Feld ein (siehe (7.22)), so ergibt sich 1 1 Lud → − √ yd v dL dR − √ yu v uL uR + h.c. . 2 2 (8.6) 8 109 STANDARDMODELL Dies führt auf die Quark-Massen 1 md = √ y d v 2 und 1 mu = √ y u v . 2 Das jetzt massive u-Quark wird durch uL und uR beschrieben. Im Folgenden soll dieses Verfahren auf die anderen Quark-Generationen ausgedehnt werden. Wie wir aus dem Experiment wissen, gibt es drei Generationen an Quarks. Daher können zusätzliche Kopplungsterme auftreten, die die Generationen mischen. Wir betrachte also drei Generationen an Quarks, f uL f QL = : 3 × (3, 2)1/6 unter SU(3)C × SU(2)L × U(1)Y , dfL ufR dfR : 3 × (3, 1)2/3 , : 3 × (3, 1)−1/3 . Die Notation ist dabei folgendermassen zu verstehen: Die beiden fett gedruckten Zahlen in den Klammern geben die Dimension der Darstellung bzgl. SU(3)C und SU(2)L an; das Subskript ist die Hyperladung. Wir haben hierbeit eine willkürliche Basis für die Zustände gewählt. In dieser Basis haben wir −LQuark = 3 h i X f f QL · φ (Yd )f g dgR + QL · ε · φ∗ (Yu )f g ugR + h.c. . (8.7) f,g=1 Es gibt ausgezeichnete Basen. Die wichtigste ist die der Massen-Eigenzustände, in der die Yukawa-Matrizen Yu bzw. Yd diagonal sind. Es ist bekannt, dass sich beliebige Matrizen biunitär diagonalisieren lassen (siehe Anhang F.2), d.h. es existieren unitären Matrizen (d) (d) (u) (u) UL , UR , UL und UR , so dass yu † (u) (u) , yc UL = Yu UR (8.8a) yt yd † (d) (d) . ys UL = Yd UR (8.8b) yb Hierbei sind yu , yc , yt , yd , ys und yb reell und positiv. Die Tatsache, dass die linkshändigen Quarks in Dubletts zusammengefasst sind, führt allerdings zu Subtelitäten. Um dies zu sehen, gehen wir zunächst in die Massen-Basis für die ‘up-artigen’ Quarks, d.h. anstatt in der ursprünglichen (willkürlich gewählten) Basis arbeiten wir in der Basis der gestrichenen Felder † (u) ~ ′ ~ ~ ′L = U (u) Q ~L , UL Q bzw. Q (8.9a) L = QL L † (u) (u) bzw. ~uR′ = UR ~uR . (8.9b) UR ~uR′ = ~uR Gemäß dem oben Gesagten ist in dieser Basis die Yukawa-Matrix Yu diagonal, denn z.B. ~ ′ T U (u) † Y U (u) ~u = Q ~ ′ T diag(y , y , y ) ~u ′ . ~ T Y ~u = Q Q u R R u c t L u R L L R L Bezeichnen wir nun uL cL tL ′ T ~ (QL ) = , , d′L s′L b′L und (~uR′ )T = (uR , cR , tR ) , (8.10) 8 110 STANDARDMODELL so entsteht nach elektroschwacher Symmetriebrechung, d.h. für 1 0 , φ → √ v 2 aus dem Yu -Term in (8.7) 3 X f,g=1 f QL · ε · φ∗ (Yu )f g ugR → yc v yt v yu v √ uL uR + √ cL cR + √ tL tR 2 2 2 =: mu uL uR + mc cL cR + mt tL tR . (8.11) Wir können die selben Schritte für die ‘d-artigen’ Quarks wiederholen. D.h., wir können in einer Basis † (d) ~ ′′ ~ ~ ′′ = U (d) Q ~L , UL Q bzw. Q (8.12a) L = QL L L † (d) (d) bzw. d~R′′ = UR UR d~R′′ = d~R d~R . (8.12b) arbeiten, wobei ~ ′′L )T = (Q u′L dL ′ ′ tL cL , , bL sL und (d~′R )T = (dR , sR , bR ) . (8.13) Analog zu (8.11) entsteht 3 X f,g=1 f QL · φ (Yd )f g dgR → yd v y v y v √ dL dR + √s sL sR + √b bL bR 2 2 2 =: md dL dR + ms sL sR + mb bL bR . (8.14) Allerdings haben wir i.A. (und in der realen Welt) ~ ′L 6= Q ~ ′′L . Q (8.15) Dies hat wichtige Konsequenzen. Die Tatsache, dass die QiL als SU(2)L 2-pletts transformieren, impliziert, dass die kovariante Ableitung Terme mit den W -Bosonen beinhalten, σa 1 f Dµ QfL = ∂µ QfL − i g2 W Q + ... . (8.16) 2 µ L Hierbei ist f ein Flavor-Index und a ein SU(2)L -Generator-Index. Nach der Diagonalisierung der Eichbosonen-Massen (siehe (7.23)) ergibt sich zunächst eine Kopplung zwischen den linkshändigen Quarks und den W ± Bosonen der Form X 1 f 1 f √ uL γ µ dfL Wµ+ + √ dL γ µ ufL Wµ− . (8.17) 2 2 f In der Massenbasis der u-artigen Quarks entsteht aus der Kopplung an W + 1 √ uL γ µ d′L + cL γ µ s′L + tL γ µ b′L Wµ+ , 2 wobei ′ տ dL (u) sL = UL bL ւ ր ց † · տ ւ (d) UL dL · sL . bL ց ր (8.18) (8.19) 8 111 STANDARDMODELL (u) † (d) Die Matrix-Kombination UL UL bezeichnet – bis auf Phasenkonventionen, die wir uns etwas später ansehen werden – die sog. Cabibbo-Kobayashi-Maskawa-Matrix oder kurz CKM-Matrix VCKM .13 Zumeist schreibt man sie in der Form ′ d Vud Vus Vub d s′ = Vcd Vcs Vcb · s , (8.20) b′ Vtd Vts Vtb b wo die gestrichenen Zustände diejenigen sind, in welche die Masseneigenzustände bei Prozessen der schwachen Wechselwirkung übergehen. In dem rechtsstehenden Diagramm geht ein linkshändiges u-Quark in seinen Wechselwirkungspartner d′ = Vud d + Vus s + Vub b d′ über. Die Übergangswahrscheinlichkeit für den Übergang q → q ′ ist proportional zu |Vqq′ |2 . Die Matrix ist stark diagonaldominant, die Diagonalelemente sind vom Betrag ≥ 0.97; die Elemente, die ein Quark der ersten Generation mit einem Quark der zweiten Generation verknüpfen liegen betragsmäßig bei etwa 0.2 und die, die mit einem Quark der dritten Generation was zu tun haben, sind wesentlich kleiner als 0.02. (u) † u W+ (d) Phasen-Ambiguitäten. Die CKM-Matrix, VCKM = UL · UL , ist nicht eindeutig. (u) Um dies einzusehen, betrachte z.B. UL . Diese unitäre Matrix ist bestimmt dadurch, dass (u) † UL (u) Yu Yu† UL mit yu , yc , yt ∈ (u) ′ UL ! = diag(yu2 , yc2 , yt2 ) (8.21) R. Wenn UL(u) die Gleichung (8.21) erfüllt, erfüllt (u) = UL · diag(ei ϕ1 , ei ϕ2 , ei ϕ3 ) die Gleichung (8.21) ebenfalls. D.h., man hat drei Phasen, die nicht bestimmt sind, die man (willkürlich) in eine globale Phase (etwa ϕ3 ) und zwei relative Phasen (etwa ϕ1 − ϕ3 und (d) (u) † ϕ2 − ϕ3 ) einteilen kann. Insgesamt sehen wir dann, dass in UL · UL sind die Differenz der globalen Phasen und die insgesamt vier Relativ-Phasen unbestimmt sind. Ganz allgmein ist die CKM-Matrix bei n Generationen von Quarks eine U(n)-Matrix. 2n − 1 Parameter lassen sich in der Phasenwahl der Zustände absorbieren, sodass man die CKM-Matrix durch n2 − 2n + 1 Parameter beschreiben kann. Cabibbo-Winkel. Betrachte nur zwei Generationen. Dann gibt es lediglich einen Parameter, den sog. Cabibbo-Winkel θC . Man hat dann beispielsweise j V1j d′ L = cos θC d′L + sin θC s′L . (8.22) Der Term sin θC erlaubt es einem s-Quark, schwach in ein u-Quark zu zerfallen. 13 Kobayashi und Maskawa haben im Jahr 2008 für damit im Zusammenhang stehende Arbeiten den Nobelpreis erhalten. 8 112 STANDARDMODELL Standardparametrisierung der CKM-Matrix. Für n = 3 benötigt man 4 Parameter. Die Matrix wird dann üblicherweise zerlegt in zwei unphysikalische Phasenmatrizen und die physikalische CKM-Matrix V , U wobei = diag(ei δu , ei δc , ei δt ) · V · diag(e−i φ1 /2 , e−i φ2 /2 , 1) , c12 c13 V = −c23 s12 − s23 s13 vc12 eiδ s23 s12 − c23 vs13 c12 eiδ s12 c13 c23 c12 − s23 s13 s12 eiδ −s23 c12 − c23 s13 s12 eiδ (8.23) s13 e−iδ s23 c13 . c23 c13 (8.24) Dabei sind cij := cos θij und sij := sin θ12 . Die beiden Phasen-Matrizen diag(ei δu , ei δc , ei δt ) und diag(e−i φ1 /2 , e−i φ2 /2 , 1) können in einer Re-Definition der Felder absorbiert werden. Was bleibt sind die physikalischen CKM-Parameter θ12 , θ13 , θ23 und δ. Insbesondere ergibt sich für δ 6= 0 eine komplexe Matrix, was, wie später diskutiert wird, CP-Verletzung impliziert. Wolfenstein-Parametrisierung. Zum Teil wird von der sog. Wolfenstein-Parametrisierung Gebrauch gemacht, die eine näherungsweise Beschreibung der CKM-Matrix erlaubt, 1 − 21 λ2 λ A λ3 (ρ − iη) . V ≃ −λ − i A λ5 η 1 − 21 λ2 A λ2 (8.25) 3 2 4 A λ (1 − ρ − iη) −A λ − i A λ η 1 Diese kann als Entwicklung in λ ≃ 0.23 ≃ sin θC aufgefasst werden. i i Fazit: Die Masseneigenzustände der Quarks u′ L bzw. d′ L und die Quarkzustände, die an die schwache Wechselwirkung koppeln, stimmen nicht überein, sondern sind durch die CKM-Matrix verbunden. Durch die schwache Wechselwirkung sind also Übergänge zwischen den Quark-Generationen im Sinne der Masseneigenzustände möglich. Ausdehnung auf Leptonen: Prinzipiell spräche nichts dagegen, die Vorgehensweise g von den Quarks auf die Leptonen zu übertragen. Man müßte lediglich drei Felder νR einführen, die komplett invariant unter SU(3)C × SU(2)L × U(1)Y sind. Zusätzlich müßte zur Lagrangedichte (7.18) ein Term fi g + h.c. Lν = − (Yν )f g εij ℓL (φ∗ )j νR (8.26) addiert werden. Völlig analog zu den Quarks würde man • massive Neutrinos und • Übergänge zwischen den Leptonenfamilien bekommen. Tatsächlich werden beide Phänomene beobachtet. Allerdings ist die Masse der Neutrinos von der Größenordung 0.1 eV oder darunter. Dies erfordert Yukawa-Kopplungen von Ordnung . 10−12 . Später werden wir eine Konstruktion diskutieren, die kleine Neutrinomassen plausibel macht. 8 113 STANDARDMODELL 8.2 Lagrangedichte des Standardmodells Eichgruppe. Die Eichgruppe des Standardmodells ist GSM = SU(3)C × SU(2)L × U(1)Y . (8.27) Selbstverständlich gilt, dass [Ta , Ii ] = [Ta , Y ] = [Ii , Y] = 0 , (8.28) wo {Ta }8a=1 mit Ta = λa /2 die Generatoren der SU(3)C , {Ii }3i=1 mit Ii = σi /2 die Generatoren der SU(2)L und Y der Generator der U(1)Y sind. Fermionen. Die Eichquantenzahlen der Fermionen des Standardmodells sind in Tabelle 8.1 zusammengefasst. ν e e L eR u d′ L uR dR νµ µ L µR c s′ L cR sR ν τ τ L τ R t b′ L tR bR Darstellung (1, 2)−1/2 (1, 1)−1 (3, 2)1/6 (3, 1)2/3 (3, 1)−1/3 Q 0 −1 −1 2 3 − 31 2 3 − 13 Leptonen Quarks Tabelle 8.1: Fermionen des Standardmodells. Higgs. Des Weiteren beinhaltet das Standardmodell noch das skalare Higgsfeld φ, das bzgl. der SU(2)L als 2-plett transformiert und die schwache Hyperladung +1/2 trägt, d.h. + φ φ = : (1, 2)1/2 . φ0 Bezüglich der SU(3)C sind alle Leptonen Singletts, die Quarks Tripletts und das Higgsfeld Singlett. Lagrangedichte. L = Die Lagrangedichte des Standardmodells ist 1 1 1 − tr(Gµν Gµν ) − tr(Wµν W µν ) − Bµν B µν 2 2 4 3 h X f f QL iγ µ Dµ QfL + ufR iγ µ Dµ ufR + dR iγ µ Dµ dfR + f =1 f + ℓL iγ µ Dµ ℓfL + efR iγ µ Dµ efR − 3 h i X f f f (Yu )f g QL · ε · φ∗ ugR + (Yd )f g QL · φ dgR + (Ye )f g ℓL · φ egR + h.c. f,g=1 + (Dµ φ)† (Dµ φ) − Dabei gilt: i 2 λ † φ φ − v2 . 2 (8.29) 8 114 STANDARDMODELL • Die einzelnen Feldstärketensoren sind Gµν = Gaµν Ta a mit Gaµν = ∂µ Gaν − ∂ν Gaµ + g3 fbc Gbµ Gcν , Wµν = i Wµν Ii Bµν = ∂µ Bν − ∂ν Bµ . i mit Wµν i = ∂µ Wνi − ∂ν Wµi + g2 fjk Wµj Wνk , (8.30a) (8.30b) (8.30c) Die Spuren können dabei auch in Kontraktionen der Gruppenindizes umgewandelt werden, etwa 1 1 tr(Gµν Gµν ) = Gaµν Gµν a . 2 4 • Die einzelnen kovarianten Ableitungen sind implizit durch die jeweilige Darstellung gegeben, Dµ QfL = Dµ ℓfL Dµ ufR Dµ dfR Dµ efR = = = = Dµ φ = ∂µ − i g3 Gaµ Ta − i g2 Wµi Ii − i g1 qY (QL ) Bµ QfL , ∂µ − i g2 Wµi Ii − i g1 qY (ℓL ) Bµ ℓfL , ∂µ − i g3 Gaµ Ta − i g1 qY (uR ) Bµ ufR , ∂µ − i g3 Gaµ Ta − i g1 qY (dR ) Bµ dfR , [∂µ − i g1 qY (eR ) Bµ ] efR , ∂µ − i g2 Wµi Ii − i g1 qY (φ) Bµ φ. (8.31a) (8.31b) (8.31c) (8.31d) (8.31e) (8.31f) Die Hyperladungen qY erscheinen als Index in Tabelle 8.1. • Im Grundzustand hat man SU(2)L × U(1)Y 0 φ→ v −−−−−−−−−→ U(1)em . Die resultierenden elektrischen Ladungen sind in der letzten Spalte von Tabelle 8.1 aufgelistet. Parameter des Standardmodells. Im Standardmodell treten die folgenden Parameter auf: 3 Eichkopplungen: g1 , g2 , g3 9 Fermion-Massen: (mν = 0) mu , md , mc , ms , mt , mb me , mµ , mτ 4 CKM-Parameter: θ12 , θ13 , θ23 , δ 2 Higgs-Parameter: v, λ 18 Parameter des Standardmodells 8 115 STANDARDMODELL Bemerkungen: (1) 18 Parameter geügen, um eine grosse Zahl an Observablen zu beschreiben. Anderseits sind 18 Parameter ein bißchen zu viel dafür, um das Standardmodell eine wirklich grundlegende Theorie nennen zu können. (2) Die Terme in LSM umfassen alle eichinvariante und renormierbare (d.h. die Kopplungsstärke hat nicht-negative Massendimension) Möglichkeiten bis auf eµν , θQCD Gµν G (8.32) eµν = 1 εµνρσ Gρσ den sog. dualen Feldstärketensor bezeichnet, und der analogen wo G 2 Konstruktion für Wµν und Bµν . Während die beiden letztgenannten keine beobachtbaren Konsequenzen haben, würde ein nicht-triviales θQCD interessante Implikationen besitzen. Bisher kann man nur obere Schranken an θQCD angeben; man könnte θQCD durchaus als 19. Parameter des Standardmodells bezeichnen. (3) Diese herkömmliche Version von LSM beschreibt nicht die beobachteten NeutrinoMassen, die wir separat in 9.1 diskutieren werden. (4) Alle Parameter des Standardmodells sind (abgesehen von Messungenauigkeiten) bekannt bis auf λ, ein Mass für die Higgs-Masse. Tatsächlich repräsentiert die letzte Zeile in (8.29) nur die ökonomischste Möglichkeit, elektroschwache Symmetriebrechung zu realisieren. Das Higgs Teilchen wurde (noch?) nicht nachgewiesen; es ist durchaus denkbar, dass es die elektroschwache Symmetriebrechung von einem komplexeren Sektor kommt. 8.3 Symmetrien des Standardmodells Neben den Eich-Symmetrien SU(3)C × SU(2)L × U(1)Y hat das Standardmodell noch weitere Symmetrien, die im Folgenden diskutiert werden. (i) Raum-Zeit-Symmetrien Die SU(2)L × U(1)Y -Wechselwirkungen verletzen offensichtlich P und C. Z.B. gilt P νL −→ νR , (8.33a) d.h. ein Teil des SU(2)L Lepton-Dubletts wird abgebildet auf ein Teilchen, das es im Standardmodell nicht gibt. Die analoge Aussage gilt für C νL −→ ν L , (8.33b) Jedoch hat man für die kombinierte Transformation CP νL −−−→ ν R , (8.34) das Antiteilchen zum links-händigen Neutrino ist ein rechts-händiges Anti-Neutrino. 8 116 STANDARDMODELL Bemerkung: Tatsächlich ist die Benennung SU(2)L , wobei das L“ für links“ steht, ” ” reine Konvention, da wir die Chiralität der Teilchen, aus denen sich unsere Umgebung zusammensetzt, betrachten. Im Prinzip könnten wir die Rolle von Teilchen und AntiTeilchen vertauschen; wir würden dann in einer Welt leben, in der die Gegenstände im Wesentlichen aus Anti-Materie besteht, und würden von einer SU(2)R sprechen. Nun könnte man vermuten, dass die Kombination CP erhalten ist. Im Folgenden soll 0 gezeigt werden, dass dies nicht der Fall ist. Dazu betrachte das K 0 − K -System. Die Kaonen sind auch strange- und down-Quarks zusammengesetzt, |K 0 i = |s di , 0 |K i = |d si . (8.35) 0 |K 0 i und |K i werden durch CP bis auf eine Phase in einander abgebildet, 0 C P |K 0 i = ξ |K i ; (8.36) wir wählen ξ = −1. 0 Die Zustände |K 0 i und |K i mischen. Dies kann daran gesehen werden, dass beide in Pionen zerfallen können. Für unsere Diskussion werden die in Abbildung 8 gezeigten Diagramme von Bedeutung sein. d¯ u, c, t u, c, t s d¯ s̄ W W d (a) s̄ ū, c̄, t̄ W s W u, c, t (b) d Abbildung 8: Box-Diagramme. Nun soll ein System von zwei mischenden Zuständen quantenmechanisch beschrieben werden. Hier folgen wir [15, S. 232 ff.]. Dazu identifizieren wir 0 a(t) . (8.37) |ψ(t)i = a(t) |K 0 i + b(t) |K i ≡ b(t) Wir sind nur an der Zeit-Abhängigkeit interessiert. Der Hamilton-Operator ist dann eine Matrix i H11 H12 , (8.38) H = H = M− Γ = H21 H22 2 wobei M † = M und Γ† = Γ gilt. Es lässt sich zeigen, dass CPT-Invarianz impliziert H11 = H22 , M11 = M22 , Somit können wir H schreiben als i A p2 H = M− Γ = q2 A 2 Γ11 = Γ22 . (8.39) (8.40) Diagonalisieren der hermiteschen Matrix H führt auf zwei Eigenzustände |KL i und |KS i, d.h. H |KL/S i = λL/S |KL/S i , (8.41) 8 117 STANDARDMODELL wobei mit 1 0 |KL/S i = p p |K 0 i ± q |K i |p|2 + |q|2 i i p = ML/S − ΓL/S = M11 − Γ11 ± 2 2 q λL/S 2 q p (8.42) i M12 − Γ12 , 2 ∗ M12 − 2i Γ∗12 , M12 − 2i Γ12 = i = (ML − MS ) − (ΓL − ΓS ) 2 1/2 1/2 i i ∗ M12 − Γ∗12 . = 2 M12 − Γ12 2 2 2p q Betrachte nun die CP-Eigenzustände i 1 h 0 0 |K± i = √ |K 0 i ∓ |K i 2 (8.43) (8.44) (8.45) (8.46) mit 0 0 C P |K± i = ± |K± i. (8.47) Vergleich mit (8.42) zeigt, dass die CP-Eigenzustände nicht den Eigenzuständen von H entsprechen, sondern 1 0 0 i . |KL/S i = p |K∓ i ± ε |K± 2 1 + |ε| (8.48) Hierbei ist ε = p−q . p+q (8.49) Man kann weiter zeigen, dass ein Zustand aus zwei bzw. drei Pionen gerade bzw. ungerade unter CP ist (vgl. Übungen). Das langlebige Kaon, KL zerfällt dominant in drei Pionen, aber zu einem kleinen Teil auch in zwei Pionen. Dies zeigt, dass KL einen (kleinen) Anteil an K+ hat. Andererseits kann man sich vorstellen, dass man KL aus drei Pionen produziert. Wenn KL dann in zwei Pionen zerfällt, ist offensichtlich CP verletzt. Man kann mittels der Box-Diagramme (Abbildung 8) die Mischung der Kaonen, und somit CP-Verletzung, zur CKM-Matrix in Beziehung setzen. Man findet durch Rechnung der Diagramme, dass im Quark-Sektor des Standardmodells CP genau dann verletzt ist, wenn • δ nicht-trivial ist, d.h. δ 6= 0, π (vgl. Gleichung (8.24)), und • es nicht-triviale Mischung zwischen allen drei Generationen gibt. Experimentell findet man δ ≃ 60◦ . Man beachte auch, dass CP-Verletzung nicht-triviale CKM-Matrix-Elemente erfordert. M.a.W., ohne Quark-Mischung gäbe es auch keine CP Verletzung im Quark-Sektor. Das wird durch die sog. Jarlskog-Invarianten explizit gemacht, die durch JCP = 1 1 ∗ ∗ ∗ ∗ |Im(V11 V12 V21 V22 )| = |Im(V11 V13 V31 V33 )| 2 2 8 118 STANDARDMODELL = 1 1 ∗ ∗ |Im(V22 V23 V32 V33 )| = c12 c213 c23 sin δ s12 s13 s23 2 2 (8.50) gegeben sind, und die ein Maß für die CP-Verletzung darstellen. Ist beispielsweise θ13 = 0, so verschwindet JCP , und es gibt keine CP-Verletzung. Abschliessend sei bemerkt, dass CP-Verletzung eine entscheidende Rolle in der (Teilchen)Kosmologie spielt. So erfordert die Erklärung der beobachteten Baryonen-AntibaryonenAsymmetrie eine Verletzung von CP. CP-Verletzung impliziert nach dem CPT-Theorem T-Verletzung. Ob die mikroskopische CP-Verletzung in direktem Zusammenhang mit der z.B. durch den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik ausgezeichneten Zeitrichtung steht, ist nicht wirklich geklärt. Fazit: Die diskreten Transformationen P, T und C sind nicht Symmetrien des Standardmodells der Elementarteilchenphysik. (ii) Globale Symmetrien Neben den Eichsymmetrien gibt es im Standardmodell kontinuierliche globale Symmetrien. Die Lagrangedichte (8.29) hat vier globale U(1) Symmetrien, die Baryonzahl U(1)B sowie die drei Leptonfamilienzahlen U(1)e , U(1)µ und U(1)τ , die definiert sind durch U(1)B : QfL → exp(i β/3) QfL , (8.51a) , (8.51b) , (8.51c) ufR dfR U(1)e : U(1)µ : U(1)τ : → → exp(i β/3) ufR exp(i β/3) dfR eR → exp(i αe ) eR , νe νe , → exp(i αe ) eL eL (8.51d) µR → exp(i αµ ) µR , νµ νµ , → exp(i αµ ) µL µL (8.51f) ντ τL τR → exp(i ατ ) τR , νe . → exp(i ατ ) eL (8.51e) (8.51g) (8.51h) (8.51i) D.h., die Quarks tragen Baryon-Zahl 1/3. Gemäß dem Noether’schen Theorem ergeben sich daraus vier klassische Erhaltungsgrößen, die Baryon-Zahl B sowie die drei Leptonfamilienzahlen Le , Lµ und Lτ . Die Baryon-Zahl-Erhaltung impliziert die Stabilität des Protons; das Proton ist bekanntlich sehr stabil, seine ‘Halbwertszeit’ beträgt mindestens 1033 Jahre. Es sei bemerkt, dass diese klassischen Erhaltungsgrösßen auf dem Quantenniveau nicht streng erhalten sind, sondern dass die entsprechenden Erhaltungssätze durch sog. Anomalien gebrochen werden. Es zeigt sich jedoch, dass es eine nicht-anomale Linearkombination gibt, die U(1)B−L , die sich ergibt, indem man β = −αe − αµ − ατ setzt in (8.51). Fazit: Die Lepton- und Baryonzahl-Symmetrien sind zufällige Symmetrien des Standardmodells und auf dem Quanten-Niveau gebrochen. Es gibt eine globale U(1)B−L -Symmetrie, die frei ist von Anomalien. Wie wir später in Abschnitt 9.1 diskutieren werden, gibt es Gründe, anzunehmen, dass diese ebenfalls gebrochen ist. 8 119 STANDARDMODELL 8.4 Vorhersagen und Tests Der elektroschwache Sektor beinhaltet vier Parameter, die zwei Eichkopplungen g1 und g2 sowie die Parameter des Higgs-Potentials µ2 und λ. Diese Parameter können eingetauscht werden gegen vier Meßgrößen, die Feinstruktur-Konstante α, die Fermi-Konstante GF , die Z-Masse MZ und die (noch) unbekannte Higgs-Masse mH . f f W Z f′ f (b) Z → f + f . (a) W → f + f ′ . Abbildung 9: Zerfall eines (a) W - bzw. (b) Z-Bosons in zwei Fermionen. Beim W -Zerfall können das Fermion und das Anti-Fermion verschiedene Flavors haben. Die Blobs deuten an, dass (Quanten-)Korrekturen berücksichtigt sind. Am LEP Experiment wurden die W - und Z-Bosonen in grossen Zahlen produziert. Es gibt viele Observablen im Zusammenhang mit ihrer Produktion bzw. ihrem Zerfall (Abbildung 9). Zerfallsraten und W - bzw. Z-Masse. Die Massen MW und MZ können beispielsweise kinematisch gemessen werden, die Lebensdauer liefert die Zerfallsraten ΓW und ΓZ . R-Verhältnisse. Die Verhältnisse der verschiedenen partiellen Zerfallsraten, etwa das Verhältnis der Zerfallsrate des Z in b-Quarks zu der Zerfallsrate des Z in beliebige Hadronen, Rb = 1 Γ Z →b+b . Γ(Z → Hadronen) (8.52) Wie wir in ?? diskutiert haben kann man aus den R-Verhältnissen auch auf die Zahl der Farben schliessen. f e+ Vorwärts-Rückwärts-Asymmetrien. aktionen vom Typ In Re- e+ + e− → Z/γ → f + f ist die Richtung des auslaufenden Fermions f korreliert mit der Richtung des einlaufenden Elektrons. Dies wird durch die sog. Vorwärts-RückwärtsAsymmetrien Affb ausgedrückt, die erklärt sind über Z, γ e− f 8 120 STANDARDMODELL Affb = σff − σbf σff + σbf f für f = µ, τ, b, c . Dabei ist der Wirkungsquerschnitt für ein vorwärts auslaufendes Fermion, d.h. ϑ ∈ [0, π/2] in der rechtsstehenden Abbildung, wohingegen σbf den Wirkungsquerschnitt für ein vorwärts auslaufendes Fermion bezeichet. ρ-Parameter. ρ = MZ2 ϑ e− σff • e+ f Eine weitere wichtige Observable ist der sog. ρ-Parameter, der durch 2 MW cos2 θW (8.53) definiert ist. Auf Tree-Niveau gilt ρ = 1. Schleifen korrigieren diesen Wert. Insbesondere liefern Schleifen Korrekturen zu der Masse der W ± - und Z-Bosonen (Abbildung 10). t W+ t W+ b (a) Korrektur zum W + Propagator. Z Z t (b) Korrektur zum Z Propagator. h h W ±, Z W ±, Z (c) Higgs-Korrektur. W ±, Z (d) Higgs-Korrektur. W ±, Z Abbildung 10: Schleifen-Korrekturen zum ρ-Parameter. Dabei haben die Korrekturen, etwa 10(a) und 10(b), die identische Struktur, unterscheiden sich jedoch dadurch, dass die Teilchen, die in den Schleifen propagieren, verschiedene Massen und Kopplungen an die Eichbosonen haben. Hätten sie identische Massen und Kopplungen, wären die Quantenkorrekturen universell und es würde ρ = 1 auch auf dem Quantenniveau gelten. Man sagt, es gibt eine ‘custodial SU(2) Symmetrie’, die lediglich durch die Yukawa-Kopplungen und die Hyperladung gebrochen wird. Dementsprechend hängen die Korrekturen von den Fermionmassen ab und sind durch die t-Masse dominiert. Die Diagramme in Abbildungen 10(a) und 10(b) liefern m2t 3GF m2t √ ∝ (8.54) 2 . MW 8π 2 2 Historisch konnte damit die t-Masse vorhergesagt werden bevor das Teilchen am TeVatron gefunden wurde. Die Higgs-Korrekturen 10(c) und 10(d) hängen von der Higgs-Masse ab, jedoch nur logarithmisch, ∆ρ(t) ≃ ∆ρ(h) = − C ln m2h 2 . MW (8.55) 8 121 STANDARDMODELL Damit kann man im Prinzip die Higgs-Masse vorhersagen. Jedoch ist diese Vorhersage sehr sensitiv auf Parameter wie z.B. die t-Masse, von der ρ quadratisch abhängt. Wir werden später sehen, dass daduch die Vorhersage noch relativ große Fehlerbalken hat; dies gilt leider auch für analoge Möglichkeiten, die Higgs-Masse indirekt zu bestimmen. Eichboson-Selbstwechselwirkung. Wie wir bei der Diskussion der nicht-abelschen Eichteorien gesehen hatten, treten Wechselwirkungen zwischen den Eichbosonen auf (vgl. S. 1). Beispielsweise benötigt man, um die Beobachtung im Prozess e+ + e− → W + + W − beide in Abbildung 11 dargestellten Diagramme. e− W− e− W− νe Z, γ e+ W+ (a) e+ (b) W+ Abbildung 11: W -Boson Paar-Produktion. 8.5 Der Higgs-Sektor Alle Teilchen des Standardmodells wurden im Experiment gesehen – bis auf das HiggsBoson. An dieser Stelle sei bemerkt, dass das Higgs-Boson die minimale Möglichkeit darstellt, die elektroschwache Symmetriebrechung zu bewerkstelligen und die Fermion-Massen zu generieren. Es ist sehr gut möglich, dass es einen ganzen Higgs-Sektor gibt; beispielsweise sagen supersymmetrische Theorien mindestens zwei Higgs-Bosonen voraus. Eine der wesentlichen Aufgaben des derzeit laufenden LHC Experiments ist die Suche nach dem Higgs bzw. die Klärung der Frage des Ursprungs der elektroschwachen Symmetriebrechung. (i) Hierarchie-Problem Ein konzeptionelles Problem des Higgs-Sektors ist, dass die Higgs-Masse UV-sensitiv“ ist. ” Damit ist gemeint, dass Strahlungskorrekturen der Higgs-Masse von der Größenordnung einer Einbettungs-Skala Λ sind, d.h. einer Skala, an der die Beschreibung durch das Standardmodell ihre Gültigkeit verliert. Um das zu sehen, betrachte die Korrekturen, die aus den Yukawa-Kopplungen resultieren, f −i M 2 (p) = h k+p p k f h p 8 122 STANDARDMODELL = − (−iyf )2 = − 4 yf2 Z Z i k+p+m i k+m d4 k f f ih i tr h (2π)4 (k + p)2 − m2 k 2 − m2 f f k · (p + k) + m2f d4 k h ih i. (2π)4 (k + p)2 − m2 k 2 − m2 f f (8.56) Durch dimensionale Analyse sehen wir, dass das Integral (nach einer Wick-Rotation) quadratisch divergiert (vgl. die Diskussion auf S. 57). M.a.W., die Korrekturen zur HiggsMasse gehen wie yf2 Λ2 , wegen yt ≫ yf 6=t also 1 2 2 y Λ . (8.57) 16π 2 t Man nimmt deswegen an, dass das Standardmodell nicht zu beliebig hohen Skalen die Physik angemessen beschreibt, sondern dass es bei Λ ≃ TeV neue Physik jenseits des Standardmodelles gibt. Wir werden darauf kurz in Abschnitt 9 eingehen. ∆m2h ≃ (ii) Higgs-Produktion Um das Higgs-Boson direkt nachzuweisen, muss es zunächst einmal produziert werden. Dafür sind sowohl Lepton- als auch Hadron-Collider geeignet (Abbildung 12). Am LEP Experiment wurde nach dem Higgs gesucht, es jedoch nicht gefunden. Daraus leitet man eine Schranke mh & 114 GeV (8.58) an die Higgs-Masse ab. Dabei muss man insofern vorsichtig sein, als dass das eine Schranke an ein Boson mit den Eigenschaften des SM Higgses ist; in Erweiterungen des SM gibt es durchaus die Möglichkeit, leichtere Skalare zu haben die konsistent sind mit dem LEP Experiment. e− h G h Z e+ (a) Z G (b) Abbildung 12: Higgs-Produktion. Das Higgs-Boson kann sowohl in (a) e+ e− -Kollisionen als auch in (b) Hadron-Collidern produziert werden. (iii) Higgs-Kopplungen und Zerfall Am LHC wird man (hoffentlich) viele Resonanzen sehen. Nehmen an, eine davon hat eine Masse von mehr als 114 GeV und ist neutral. Ist das das Higgs? Es gibt einige, für das Higgs charakteristische Eigenschaften. Alle Tree-Niveau Kopplungen sind proportional zu Massen, da die Massen ja ihrerseits vom Vakuum-Erwartungswert 8 123 STANDARDMODELL Wlong , Zlong f h h (a) M ∝ mf . Wlong , Zlong f (b) M ∝ mh . γ G h h (c) G γ (d) Abbildung 13: Higgs-Zerfälle. Die Übergangsamplituden der Tree-Niveau Diagramme (a) und (b) sind proportional zu Massen, aber es gibt auch Schleifendiagramme, etwa (c) und (d), die den Zerfall in masselose Teilchen erlauben. des Higgs kommen. Dementsprechend ist der Zerfall von dem schwersten kinematisch zugänglichen Teilchen dominiert. Das kann, für ein schweres Higgs, das tt-Paar sein oder, für ein leichteres Higgs, die bb- bzw. τ τ -Paare (Abbildung 13(a)). Es gibt auch eine signifikante Zerfallsrate in die longitudinalen Komponenten der W - und Z-Bosonen (Abbildung 13(b)). Diagramme mit Schleifen ermöglichen den Zerfall in Gluonen (Abbildung 13(c)) und Photonen (Abbildung 13(d)). Die Zerfallsraten für den Zerfall in Fermionen (Abbildung 13(a)) und in die longitudinalen Komponenten der W -Bosonen sind für mh ≫ mf , MW Γ h→ f +f = Γ(h → Zlong + Zlong ) = GF mh m2f √ Nc , 4π 2 1 GF m3h √ . Γ(h → Wlong + Wlong ) = 2 32π 2 (8.59a) (8.59b) Dabei ist Nc ein Farbfaktor, d.h. Nc = 3 für Quarks und Nc = 1 für Leptonen. Die Verzweigungsverhältnisse des Higgs in verschiedene Zerfallsprodukte hängt stark von der betrachteten Energie ab. Falls das Higgs-Boson vergleichsweise schwer ist, mh > 2MW , dominiert der Zerfall in zwei W -Bosonen. Falls das Higgs relativ nahe bei der unteren Massenschranke von ungefähr 114 GeV ist, könnte der Zerfall in zwei Photonen der Kanal mit den größten Erfolgsaussichten bedeuten. Das würde bedeuten, dass es mehrere Jahre dauern könnte, bis das Higgs-Boson am LHC gefunden ist. (iv) Schranken an die Higgs-Masse Wir beschäftigen uns nun mit der Higgs-Masse. Im Standardmodell ist m2h = 2λv 2 ein freier Parameter und kann nicht vorhergesagt werden. Nun sollen kurz die experimentellen Schranken angegeben werden: 8 124 STANDARDMODELL • Das Higgs wurde beim LEP Experiment nicht gefunden. Daher schliesst man, das mh & 114 GeV . (8.60) • Wie bereits erwähnt, trägt das Higgs zu Strahlungskorrekturen bei, insbesondere zum ρ-Parameter. Daher liefern Präzisionsmessungen indirekte Schranken an die Higgs-Masse. Die Resultate eines globalen Fits sind im sog. “Blueband-Plot” (Abbildung 14) dargestellt. Mit einer statistischen Sicherheit von 95 % ist das Higgs-Boson leichter als 185 GeV. 6 Theory uncertainty ∆αhad = (5) 5 0.02758±0.00035 0.02749±0.00012 incl. low Q2 data ∆χ 2 4 3 2 1 0 Excluded 30 100 300 mH [GeV] Abbildung 14: “Blueband-Plot”. (Für die Quelle der Abbildung siehe [16].) Bemerkung: Es gibt theoretische Argumente, die relativ enge obere bzw. untere Schranken für die Higgs-Masse implizieren. (1) In der minimalen supersymmetrischen Erweiterung des Standardmodells ist die HiggsSelbstkopplung λ durch die Eichkopplungen gegeben und man ein relativ leichtes Higgs, mh . 135 GeV. (2) Unter der Annahme, dass das Standardmodell eine adäquate Beschreibung auch bei höheren Energieskalen liefert, kann man Schranken aus der Forderung, dass λ zum einen perturbativ bleibt und zum Anderen nicht negativ wird, ableiten. Die relevanten Renormierungsgruppengleichungen lauten µ d λ(µ) dµ = 1 2 (4π) 12λ2 − 12 yt4 + . . . , (8.61a) 8 125 STANDARDMODELL d yt (µ) µ dµ = yt 2 (4π) 9 2 2 y − 8g3 + . . . . 2 t (8.61b) Hierbei ist µ die Skala in dimensionaler Regulariserung und soll nicht mit dem Parameter im Higgs-Potential verwechselt werden! Wir sehen an (8.61), dass yt mit grösserer Renormierungsskala µ kleiner wird . Das Verhalten von λ hängt von seinem Startwert“ an der elektroschwachen Skala, d.h. der Higgs-Masse ab. Wir nehmen ” nun an, das Standardmodell würde eine adäquate Beschreibung der Physik bis zu einer Skala Λ liefern. Dann gibt es zwei Schranken: • Die sog. Trivialitäts-Schranke“ λ(µ) < ∞ für v ≤ µ ≤ Λ. λ muss in dem ” betrachteten Bereich endlich bleiben. Würde die Kopplung also an einer Skala µL < Λ explodieren, dann wäre die perturbative Interpretation der Theorie nicht mehr angemessen. M.a.W., das Standardmodell wäre nur bis zur Skala µL gültig. Im Umkehrschluss liefert also die forderung, dass das Standardmodell bis zu einer Skala Λ die richtige Beschreibung liefert, eine obere Schranke an λ(v), und damit an die Higgs-Masse. • Die sog. Vakuum-Stabilitäts-Schranke“ λ(µ) > 0. Falls λ im Intervall v ≤ µ ≤ ” Λ negativ würde, wäre das Higgs-Potential nach unten unbeschränkt, und das elektroschwache Vakuum wäre nicht länger der Grundzustand der Theorie.14 Die numerischen Implikationen sind in Abbildung 15 dargestellt. 60 0 M H [GeV/ 2 c ] mh /GeV 50 0 40 0 Triviality EW 3 00 Precision 2 00 1 00 EW vacuum is absolute minimum 0 3 5 7 9 11 13 15 17 19 Λ [ Ge V ] log10 Λ/GeV lo g 10 Abbildung 15: Trivialitäts- und Vakuum-Stabilitäts-Schranken an die Higgs-Masse. Nach rechts ist die Skala, bis zu der das Standardmodelle eine adäquate Beschreibung liefert, angetragen. (Für die Quelle der Abbildung siehe [16].) 14 Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass wir in einem metastabilen Vakuum leben.