Patienten zu mehr Bewegung motivieren

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ó˘ KONGRESS
Psychosomatische Rehabilitation
Patienten zu mehr Bewegung motivieren
Dass intensive Sport- und Bewegungstherapie in der
psychosomatischen Rehabilitation sinnvoll ist, zeigte
ein Symposium anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums der
Klinik Gais eindrücklich auf. Konzepte und Argumente,
wie die Patienten noch besser zu motivieren sind, wurden vorgestellt.
A
n der Klinik Gais hat die sportliche Betätigung der Patienten eine vorrangige Bedeutung. Sich wieder mit Freude zu bewegen, ist ein wichtiges Behandlungsziel. Für alle psychosomatischen Erkrankungen gibt es Studien, welche die
Wirksamkeit von individuell massgeschneiderten Bewegungsprogrammen als wirksam belegen. Die Crux ist die Motivation
– wie bringt man die Patienten dazu, eine für sie passende
Sportart zu finden und diese dann auch längerfristig zu betreiben? Ein Aufenthalt im Rahmen einer psychosomatischen Rehabilitation kann hier oft die Basis legen, so die Experten beim
Symposium in Gais. Dr. med. Thomas Berghändler, ärztlicher
Leiter der psychosomatischen Abteilung in Gais, ist überzeugt, dass es auch das Vorbild braucht, das zum Erfolg beiträgt. Daher werden alle Wanderungen ärztlich begleitet.
Unheilvolle Allianzen durchbrechen
Es gilt, den Teufelskreis aus Stress, Angst und Depression zu
unterbrechen. Darauf verwies PD Dr. med. Ulrich Hemmeter
von den Kantonalen Psychiatrischen Diensten St. Gallen
Nord. Bei ambulant praktizierenden Ärzten sind Depressionen die häufigste psychiatrische Diagnose, die Rückfallrate
ist hoch (50–85% nach der ersten Episode, 90% nach der dritten Episode). Daher ist es wichtig, den Patienten möglichst
früh aufzuzeigen, wie sie sich vor Rückfällen schützen können.
Ein grosser Anteil der Patienten erleidet sonst weitere psychosoziale und körperliche Beeinträchtigungen; die Rate an Komorbiditäten (Alkoholabhängigkeit, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen) und auch die Suizidrate ist erschreckend
hoch.
Die Patienten profitieren davon, im Rahmen einer psychosomatischen Rehabilitation sich selbst besser kennenzulernen
und Methoden des Stressabbaus zu erlernen. Der zugrunde
liegende physiologische Prozess besteht in einer Aktivierung
der Stresshormonachse mit einem Anstieg der Stresshormone.
Bei Gesunden kommt es normalerweise zu einer Entspannung, wenn der Stressor wegfällt. Bei einer Depression verselbständigt sich der Prozess und es bauen sich zudem pathologische Angstzuständen auf. Generalisierte Angststörungen
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˘ Dr. med. Thorsten Berghändler:
«Ein gutes Vorbild trägt viel dazu
bei, Patienten für mehr Bewegung
zu motivieren.»
haben eine hohe Komorbidität mit Depressionen und führen
zu einer starken Beeinträchtigung der Lebensqualität bis zur
Invalidisierung und erhöhter Suizidrate.
Aus psychiatrischer Sicht nimmt bei der Therapie neben
der akuten Symptombekämpfung mit Anxiolytika, Verbesserung von Schlaf und Stressresistenz (Sport!) auch die Psychoedukation breiten Raum ein: Der Patient braucht immer wieder Gespräche, Beratung, Aufklärung und Diskussionen zur
Änderung des Lebensstils.
Bei der Aktivierung psychosozialer Ressourcen kann das
Gruppen- und Erfolgserlebnis beim Sport eine wichtige Rolle spielen. Der Patient sollte dementsprechend beraten werden, insbesondere auch über die Angebote in der persönlichen
Umgebung. Sport kann vor Depressionen schützen, verbessert
das Lernvermögen und die Gedächtnisleistung, regt den Stoffwechsel im Gehirn an und verbessert das SelbstwirksamkeitsErleben. Sport ist ein sehr gutes Mittel, um Grübeln zu unterbrechen und hilft bei bestimmten Angsterkrankungen,
angstmachende Körperwahrnehmungen als ungefährlich umzubewerten. Ganz wichtig: Zum Sport gehört auch die Entspannung nach der körperlichen Aktivität.
Wenn es überall weh tut
Fibromyalgie-Patienten tut es überall weh – heute weiss man,
dass die Ursache in einer veränderten Wahrnehmung von
Schmerzsensationen liegt (Neuromodulation, Augmentation,
Abnahme der grauen Substanz). Aktuelle Thesen zur Ursache des Fibromyalgiesyndroms reichen von Missbrauch in der
Kindheit bis zu Nahrungsmittelunverträglichkeit [1–3]. Prof.
Dr. med. Peter Keel von der Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik am Bethesda-Spital in Basel diskutierte die neuesten Erkenntnisse.
Die Fibromyalgie ist als eigenständige Erkrankung anerkannt und wird in der internationalen Nomenklatur als Krankheit des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes auf-
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geführt. Chronische Schmerzen mit einer Dauer von mehr als
drei Monaten bei fehlenden Hinweisen auf entzündliche oder
degenerative Ursachen und Druckschmerzhaftigkeit an den
spezfischen Tenderpoints sind charakteristisch. Zusätzliche
Symptome sind oft Müdigkeit, Schlafstörungen, Morgensteifigkeit, Ängstlichkeit und Depressivität [1].
Die Schmerzen bei der Fibromyalgie können auf vier Ebenen beeinflusst werden. Sie sprechen auf nichtsteroidale Entzündungshemmer (peripheres Gewebe), Opioide (Rückenmark), Antikonvulsiva und Antidepressiva (Gehirn, zentral
absteigende Bahnen) an. Bei den absteigenden hemmenden
Bahnen der Schmerzwahrnehmung sind Serotonin und Noradrenalin wichtige Transmitter [3].
Wichtig ist eine Dekonditionierung der Patienten und das
Ausräumen falscher Vorstellungen (Arbeit schadet dem Rücken, Schmerz muss man aushalten, nur Leistung macht liebenswert etc.). Fibromyalgie-Patienten zeigen meist ein klassisches Typ-A-Verhalten: Sie sind sehr verantwortungsbewusst,
perfektionisitisch, ungeduldig, neigen zur Verausgabung, finden keine Balance zwischen Verausgabung und Entspannung,
buhlen um Anerkennung und leiden unter Kritik. In der
Bethesda-Klinik wird ein multimodales (Gruppen)-Behandlungsprogramm angeboten:
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1. Information zum Leben mit Schmerzen
2. Bewegungstherapie, die auch Kraft und Ausdauer trainiert
3. Psychotherapie zur Schmerz- und Stressbewältigung (Leistungsverhalten), Entspannung (Verhaltenstherapie)
4. Symptomatische Schmerzbehandlung.
Empfohlen wird die Kombination aus mässigem Ausdauertraining, (Warm)Wassergymnastik und Krafttraining. Sport
unterbricht den Teufelskreis aus Vermeidungsverhalten und
Inaktivität und Schmerz, verstärkt Körperkraft und Ausdauer und verändert die Schmerzwahrnehmung. Die Zahl der
Schmerzpunkte geht zurück, Schmerzschwelle und -ausdehnung werden verändert.
Dr. med. Susanne Schelosky
Quelle: Symposium anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Klinik Gais,
10. September 2009.
Literatur:
1. Carville SF, et al.: EULAR evidence-based recommendations for the management of fibromyalgia syndrome. Ann Rheum Dis 2008; 67(4): 536–541.
2. S3-Leitlinie zum Fibromyalgiesyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Fibromyalgiesyndroms von 07/2008. http://leitlinien.net/ Schmerztherapie, Nr. 041.
3. Eich W, et al.: Definition, Klassifikation und Diagnose des Fibromyalgiesyndroms. Schmerz 2008; 22: 255–266.
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