Diagnostik und Therapie der Craniomandibulären Dysfunktion – Ein

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Fortbildung
Diagnostik und Therapie der Craniomandibulären Dysfunktion –
Ein Praxiskonzept
Das facettenreiche Erscheinungsbild der Craniomandibulären Dysfunktion im und außerhalb des stomatognathen Systems stellt den behandelnden Zahnarzt nicht selten vor das Problem der causalen Zuordnung der Beschwerden. Eine Vielzahl diagnostischer Methoden und
zum Teil gegensätzliche Lehrmeinungen und Therapieansätze sind in der Literatur beschrieben. Nur eine klar strukturierte Stufendiagnostik ermöglicht eine systemübergreifende Mustererkennung als Grundlage für eine systematische Funktionstherapie. Die enge Kommunikation in kooperierenden, interdisziplinären Therapeutenteams eröffnet durch patientenbezogene Modifikation grundlegender Konzepte
therapeutische Möglichkeiten, die Ärzte einzelner Fachrichtungen nicht erreichen können.
Ausgehend von der Regulationspathologie
unterscheidet man drei grundsätzlich unterschiedliche Stufen im Erscheinungsbild der
Craniomandibulären Dysfunktion (s. Abb. 1):
Innerer oder äußerer Reiz
Regulationssysteme
Akute Erkrankung
Überlastung der
Regulationskapazität
Kompensation
„Stumme“ Erkrankung
Überlastung der
Kompensationskapazität
Dekompensation
Chronische Erkrankung
Abb. 1: Schema Regulationspathologie
Im Falle der akuten Erkrankung ist meist
der unmittelbare Zusammenhang zwischen
der Noxe und der regulativen Reaktion des
stomatognathen Systems herstellbar. Anamnestische Angaben decken sich mit dem klinischen Befund (z. B. eingeschränkte Mundöffnung verbunden mit Myalgien der
Kaumuskulatur nach Trauma). Eine symptomatische Therapie führt schnell zu nachhaltigen Verbesserungen im Beschwerdebild.
Bei der „stummen“ Erkrankung handelt es
sich um einen pathologisch veränderten Systemzustand, der allerdings durch entsprechende Kompensationsmechanismen zu
keinen oder nur geringen Beschwerden
führt. Es sind objektiv eine Vielzahl von Befunden erhebbar, die allerdings nicht mit der
relativen Beschwerdefreiheit korrelieren
(z. B. beschwerdefreies Knacken der Kiefergelenke bei der Mundöffnung). Eine unmittelbare Behandlungsnotwendigkeit besteht
in diesem Falle nicht, der veränderte Systemzustand muss aber unbedingt Beachtung finden, wenn eine Veränderung der Okklusionsbeziehung (z. B. Erwachsenen-KfO oder
prothetische Neuversorgung) ansteht.
Im dekompensierten Zustand werden wir
mit dem Phänomen des chronischen
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Schmerzpatienten konfrontiert. Eine Vielzahl von Beschwerden (chronische Kopfschmerzen, Ohrenschmerzen, Tinnitus, unklare Gesichts- oder Zahnschmerzen,
neuralgiforme Schmerzattacken, Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule, Nackenverspannungen, Hüftbeschwerden, psychosomatische Alteration) dauern
über einen erheblichen Zeitraum an, häufig
sind entsprechende objektivierbare Befunde
nicht zu erheben. Die betroffenen Patienten
haben meist schon eine Vielzahl symptomatischer Therapien durchlaufen, ohne dass eine dauerhafte Verbesserung zu erzielen war.
Diese Patientengruppe bedarf einer abgestimmten interdisziplinären Betreuung.
Die Eingruppierung erfolgt mittels eines
Screeningtests (Jackstatt, Ahlers) im Rahmen
der eingehenden Untersuchung, wenn die
Verdachtsdiagnose „CMD” besteht bzw. eine prothetische Neuversorgung ansteht.
CMD-Kurzbefund
Dieser 6-Punkte-Test kann in jeder Zahnarztpraxis oder den mitbehandelnden Facharztpraxen schnell durchgeführt werden und ermöglicht eine erste Einschätzung des
Erkrankungsbildes.
• Mundöffnung asymmetrisch
• Mundöffnung eingeschränkt
• Gelenkgeräusche
• Habituelle Bisslage unterscheidet sich von
der Bisslage im maximalen Vielpunktkontakt
• Muskelpalpation schmerzhaft
• Parafunktionelle Befunde
Ist nur einer der vorgenannten Punkte positiv, kann man von einer akuten Erkrankung
bzw. von einem gut kompensierten Zustand
ausgehen. Zwei positive Befunde sind als
grenzwertig einzuschätzen, jegliche Veränderung in den okklusalen Beziehungen kann
zur Dekompensation führen. Mehr als zwei
positive Befunde sprechen für einen dekompensierten Zustand. Prothetische Maßnahmen sind ohne entsprechende Vorbehand-
lung kontraindiziert. Eine eingehende klinische und instrumentelle Funktionsdiagnostik ist für die präprothetische Funktionstherapie eine conditio sine qua non!
Klinische Funktionsdiagnostik
Die Aufnahme eines systematischen klinischen Funktionsstatus ist Grundvoraussetzung für eine effiziente Funktionstherapie.
Um die im Anamnesegespräch und bei der
Befunderhebung enorme Fülle von Informationen strukturiert zu erfassen, hat sich die
Verwendung von Befundbögen (z. B. Dentaconcept) bewährt.
• Anamnese
Zunächst schildert der Patient seine Beschwerden möglichst ohne Unterbrechung.
Nachfragen sollten auf seine Hauptbeschwerden zielen und auf bisherige Therapien und deren Erfolge. Kann der Patient keine
verwertbaren Angaben zu bisherigen Therapien machen, hat es sich bewährt, die angegebenen Kollegen zu kontaktieren, um erfolglose Therapiestrategien nicht zu
wiederholen. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn der Patient die Auskunft über Vorbehandler und deren Therapieansatz verweigert. Das ist ein signifikanter Hinweis auf
eine psychosomatische Störung und sollte
im weiteren Verlauf der Diagnostik und Therapieplanung unbedingt Beachtung finden.
Die Aufnahme der Anamnese dauert zwischen 30 und 60 Minuten, der erhöhte Zeitbedarf muss in der Terminplanung Berücksichtigung finden.
• Gelenkrelevante Befunde
Es werden aktive und passive Bewegungsmöglichkeiten des Unterkiefers und dabei
gegebenenfalls auftretende Missempfindungen oder Schmerzen dokumentiert. Abweichungen von der Mittellinie bei der Mundöffnung (Deviation/Deflektion) werden erfasst. Manuelle Untersuchungstechniken
(Kompressions-, Traktions- und Translations-
Zahnärzteblatt SACHSEN 04/05
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tests) geben Informationen über die Richtung
der Belastung im Kiefergelenk (Belastungsvektoren). Eine ausführliche Beschreibung
dieser Techniken würde den Rahmen dieses
Artikels sprengen. Empfehlenswerte Literatur:
Köneke, Chr.: Die interdisziplinäre Therapie und Diagnostik der Craniomandibulären
Dysfunktion. Quintessenz Verlags-GmbH
Berlin 2005
Buhmann, A., Lotzmann, U.: Funktionsdiagnostik und Therapieprinzipien; Farbatlanten der Zahnmedizin 12, Thieme Verlag
2000
Gelenkgeräusche (Knacken/Krepitationen) werden erfasst, die Kiefergelenke auf
Druckdolenzen von lateral und dorsal untersucht. Den Gerbertest für eine orientierende
Aussage über den Gelenkspalt wende ich regelmäßig an, obwohl seine Aussagekraft in
der Literatur kontrovers diskutiert wird. Bei
diesem Test wird der Patient aufgefordert,
Shimstockfolie im Seitzahngebiet zu fixieren. Das sollte bei habitueller Okklusion der
Gegenseite möglich sein. Nachfolgend wird
die Gegenseite zunächst mit 0,3 mm und
später mit 0,5 mm Zinnfolie gesperrt. Ein frei
beweglicher Gelenkspalt liegt vor, wenn
auch bei 0,5 mm Zinnfolie auf der Gegenseite die Shimstockfolie fixiert werden kann.
Wird die Shimstockfolie nicht fixiert, finden
wir auf dieser Seite häufig ein Kompressions-
gelenk vor. Ein weiteres Indiz für eine mangelnde Abstützung im Seitzahngebiet sind
deutliche Weichteilveränderungen am Zungenrand und der Wangenschleimhaut in
Höhe der Okklusionsebene (s. Abb. 2 und 3).
Es wird nach zentrischen Frühkontakten
und exzentrischen Hyperbalancekontakten,
sowie abnormalen Abrasionen der Zahnhartsubstanz und Hinweisen auf lokale
Überlastungen (keilförmige Defekte, McCallsche Girlanden, Stillmannspalten) gefahndet. Diese parafunktionellen Befunde
sind als Folge muskulärer Überaktivität Indizien für okklusale Interferenzen (s. Abb. 4, 5).
auslösen, aber auch in entfernte Regionen
ausstrahlen. Die muskuläre Funktionsstörung wird dabei in einem Circulus vitiosus
aufrechterhalten. Für die Kaumuskulatur sind
Übertragungsschmerzen in begrenzte Zahnoder Gesichtsbereiche typisch. Häufig berichten die Patienten, dass offensichtlich gesunde Zähne immer wieder Beschwerden
verursacht haben, endodontisch behandelt
oder gar extrahiert wurden, ohne dass die Beschwerden sich verringert hätten. Aus der
Funktion druckdolenter Muskeln lassen sich
charakteristische Hinweise über die Richtung
des mechanischen Missbrauchs ableiten.
M. masseter
Sind beide Seiten druckdolent, kann man
von einem Pressen ausgehen, bei einseitigen
Beschwerden von einem Laterobruxismus.
Ausstrahlender Schmerz im Ober- und
Unterkieferseitzahnbereich, zu den Augenbrauen oder tief im Ohr.
Abb. 4: Hyperbalancekontakt regio 47 in
der Laterotrusion nach links
M. temporalis
Druckdolent bei anterior/retral bruxierenden
Patienten oder bei retralem Zwangsbiss infolge fehlender Abstützung im Seitzahngebiet.
Der vordere Anteil projiziert den Schmerz
in das Oberkieferfrontzahngebiet. Der mittlere in das Oberkieferseitzahngebiet und der
hintere Anteil verursacht Kopfschmerzen
im Schläfenbereich, die häufig als Migräne
diagnostiziert werden.
M. pterygoideus medialis
Synergist des M. masseter.
Schmerzübertragung in den Bereich des
Rachen, harter Gaumen und Zungenwurzel.
Abb. 5: Typisches Bild einer lokalen Überlastung mit abnormen Abrasionen, cervicalen Läsionen und Veränderungen des Gingivalsaumes
• Muskelpalpation
Abb. 2 und 3: Impressionen am Zungenrand und in der Wangenschleimhaut sind
ein Indiz für eine mangelnde Abstützung im
Seitzahngebiet
Zahnärzteblatt SACHSEN 04/05
Bei jeder Dysfunktion des Bewegungsapparates spielt die muskuläre Dysbalance eine
entscheidende Rolle. Durch die lang andauernde unphysiologische Leistungsabforderung kommt es zu dauerhaften Veränderungen im Muskelgewebe. Der überaktive
Muskel kann nicht mehr in seine Ausgangslänge zurückkehren, es bilden sich Triggerpunkte. Ein latenter Triggerpunkt ist per se
nicht schmerzhaft, bei Palpation allerdings
deutlich druckdolent. Aktive Triggerpunkte
können bei kräftiger Kontraktion des betroffenen Muskels Schmerzen im Muskel selbst
M. pterygoideus lateralis
Dieser Muskel ist bei beidseitiger Kontraktion bei der Mundöffnung und bei einseitiger
Kontraktion bei der Laterotrusion zur Gegenseite beteiligt. Er entzieht sich aufgrund seiner Lage einer direkten Palpation. Durch Isometrietests wird im Seitenvergleich die
Muskelkraft beurteilt. Teilweise lassen sich
dabei Schmerzen provozieren.
Übertragungsschmerzen manifestieren
sich im Oberkiefer und oft auch im Bereich
des Kiefergelenks.
Mundbodenmuskulatur
Eine verspannte Mundbodenmuskulatur ist
charakteristisch für einen retralen Zwangsbiss. Häufig spielt auch eine Fehlfunktion in
der Zungenruhelage eine Rolle.
Triggerpunkte in der Mundbodenmuskulatur sind extrem schmerzhaft und strahlen in
den Rachenbereich und in das Unterkiefer-
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frontzahngebiet aus. Häufig beschreiben die
Patienten auch ein Kloßgefühl im Hals und
eine belegte Stimme (Drang zum Räuspern).
stellung beim kooperierenden Physiotherapeuten. Neben einer fundierten Diagnostik
erfolgt eine Rückmeldung über erforderliche
physiotherapeutische Maßnahmen, die mit
in den Therapieplan einfließen. Gegebenenfalls können erste Maßnahmen, wie das Lösen von Blockierungen der Wirbelsäule, die
weitere zahnärztliche Diagnostik unterstützen.
Suboccipitale Muskulatur
Funktion dieser Muskulatur ist die Extension
des Kopfes entgegen der Schwerkraft und die
Rotation. Bei retralem Zwangsbiss kommt es
zu einer anterioren Verlagerung des Kopfes,
die suboccipitale Muskulatur verkürzt, um
die aufrechte Positionierung des Kopfes zu
ermöglichen. Die Folge ist der typische
Spannungskopfschmerz vom Hinterhaupt
ziehend bis in die Schläfenregion.
M. trapezius
Extension der Halswirbelsäule, Hauptmuskel des Schultergürtels.
Neben der allgemein bekannten Nackenverspannung kann der Muskel ausstrahlende
Kopfschmerzen verursachen.
Druckdolente Bereiche der suboccipitalen
Muskulatur und des M. trapezius deuten auf
Probleme in der gesamten Körperstatik hin.
• Psychosomatische Beurteilung
Abb. 6
• Beurteilung der Körperhaltung
Das Kiefergelenk ist das einzige Gelenk des
menschlichen Organismus, welches seine
Endposition nicht muskulär einstellen und
korrigieren kann. Seine Positionierung wird
durch den harten Endanschlag der Okklusion determiniert. Bereits geringfügige Fehlkontakte (Die Taktilität der Propriorezeptoren des Endodonts beträgt 12 µm!) können
zu einem muskulären Hypertonus oder zu
einer veränderten Positionierung des Unterkiefers führen. Kiefergelenke und Wirbelsäule stehen in einer engen funktionellen Wechselbeziehung. Auf der Grundlage einer
Craniomandibulären Dysfunktion kommt es
zu Funktionsstörungen in den Kopfgelenken
und nachfolgend durch die Muskelketten
absteigend zu Funktionsstörungen der
Kreuzdarmbeingelenke, der daraus resultierende funktionelle Beinlängenunterschied
kann zu reaktiven Beschwerden der Kniegelenke führen. Im Gegenzug setzt ein fein abgestimmter Kompensationsmechanismus
der Muskulatur entlang der Wirbelsäule aufsteigend ein, der es ermöglicht, über einen
zum Teil sehr langen Zeitraum die muskuläre Dysbalance zu kompensieren (s. Abb. 6).
Beschwerden treten häufig erst nach Jahren auf, z. B. nach einer prothetischen Neuversorgung. Doch wer geht schon mit Knieoder Rückenbeschwerden zum Zahnarzt?!
Eine veränderte Kopfhaltung hat erheblichen
Einfluss auf die Positionierung des Unterkiefers gegenüber dem Oberkiefer (s. Abb. 7).
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Die Beurteilung der psychoemotionalen Reaktionslage muss mit besonderem Fingerspitzengefühl erfolgen. Bereits im ersten
Anamnesegespräch wird die Grundlage für
ein vertrauensvolles Arzt-/Patientenverhältnis als Voraussetzung für eine komplexe
Therapie geschaffen oder verspielt. Einerseits entwickeln chronische Schmerzpatienten objektiv eine psychogene Komponente,
die das Krankheitsbild weiter negativ beeinflussen, andererseits sind sie hoch sensibilisiert, „in die Psychoecke gestellt zu werden“,
und verschließen sich einer zweckmäßigen
psychologischen Kotherapie. In den seltenen Fällen einer psychatrischen Grunderkrankung ist jede somatische Therapie kontraproduktiv.
Instrumentelle Funktionsdiagnostik
Abb. 7: Aus: Hochschild, J., Strukturen und
Funktion begreifen/Band1; Thieme-Verlag
2002
Zahnstellungsänderungen (spontan bei
länger bestehender Körperfehlhaltung oder
durch kieferorthopädische Maßnahmen)
oder prothetische Restaurationen nach einfachen Bissnahmen bei bestehender Fehlhaltung des Kopfes fixieren das orthopädische Problem. Manualtherapeutische Maßnahmen können zwar kurzfristig die Funktionsstörungen der Wirbelsäule beheben,
die durch die Okklusion fehlerhafte Positionierung des Unterkiefers führt das Regelungssystem wieder in seine Pathologie
zurück.
Manualmedizinische
Untersuchungstechniken erfordern eine umfangreiche Ausbildung und Erfahrung in der täglichen Anwendung. Deshalb beschränken wir uns in
der zahnärztlichen Praxis auf die frontale
(Becken- oder/und Schulterschiefstand) und
laterale (Körperlot) Beurteilung der Körperhaltung. Im Seitenvergleich wird die Halswirbelsäule auf Rotationseinschränkungen
geprüft. Bei Auffälligkeiten erfolgt die Vor-
Ziel der instrumentellen Funktionsdiagnostik
ist es, die physiologische Ruhelage des Unterkiefers gegenüber dem Oberkiefer zu bestimmen. Im Idealfall führt die isotonische
Kontraktion der Elevatoren den Unterkiefer
direkt aus der Ruhelage in die maximale Intercuspidation bei zentrischer Positionierung der Kondylen. Der Nachweis okklusaler Interferenzen, die in der maximalen
Intercuspidation eine Verlagerung des Unterkiefers provozieren, ist Grundlage einer
ursachenbezogenen Schienentherapie. Methodisch steht der praktisch tätige Zahnarzt
vor folgendem Problem:
Die Charakteristika einer physiologischen
Kondylenposition werden in ihrer klinischen
Bedeutung für die Funktion und Gesunderhaltung des Kauorgans seit nahezu einhundert Jahren kontrovers und häufig dogmatisch diskutiert. Es resultieren eine Vielzahl
auch heute noch aktueller und konkurrierender Lehrmeinungen, die sich in einer verwirrenden Nomenklatur sowie zum Teil widersprüchlichen Kondylenpositionen widerspiegeln. Es existiert somit weder in der Lehre
noch in der Praxis ein allgemein anerkanntes
theoretisches und praktisches Konzept zur
physiologischen Kondylenpositionierung.
(U. Lotzmann, 1999)
Zahnärzteblatt SACHSEN 04/05
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Aktive Registrierverfahren
Die aktiv registrierte Unterkieferposition
wird ausschließlich über die vom Patienten
ausgeführte Schließbewegung bestimmt. Es
erfolgt keine manuelle Beeinflussung durch
den Behandler oder interokklusale Behelfe
zur neuromuskulären Deprogrammierung.
Semiaktive Registrierverfahren
Die Führung des Unterkiefers in die zentrische Relation erfolgt aktiv durch den Patienten, wird aber durch intra- oder extraorale
Registrierbehelfe beeinflusst und kontrolliert.
• inzisale Aufbisse
• intraorale Stützstiftsysteme
• paraokklusale Achsiografie
• Myomonitorverfahren mit aktiver Stimulation der Kaumuskulatur
gungen des Unterkiefers über einen Sensor
aufgezeichnet und in Echtzeit extraoral auf
einem Monitor dargestellt (s. Abb. 9, 10).
Abb. 9: Stützstift mit rollender Kugel an der
Spitze
Abb. 11: Verlässt der Patient während der
Aufzeichnung den optimalen Kraftbereich,
wechselt die Balkenfarbe von grün auf rot.
Eine unmittelbare Kontrolle und Korrektur
ist möglich.
Modelldiagnostik im voll adjustierbaren
Artikulator
Für die schädelbezogene Montage des
Oberkiefermodells ist ein Gesichtsbogenregistrat unabdingbar (s. Abb. 12).
Passive Registrierverfahren
Die intermaxilliäre Registrierung erfolgt im
Wesentlichen mit manueller Unterstützung
des Behandlers mit dem Ziel, die Kondylen
senkrecht gegen den posterioren Anteil der
Gelenkfossa zu zentrieren.
Die Bestimmung der horizontalen Kieferrelation mittels IPR-System
Die Intraoral Pressuredependent Registration (IPR) ist eine Weiterentwicklung der intraoralen Stützstifttechnik nach Gysi und
McCrane (s. Abb. 8).
Abb. 8: Durch Aufhebung der okklusalen
Kontakte und zentrale Abstützung des Unterkiefers über einen Stift, gleiten die Kondylen in die zentrale Position der Gelenkfossa. Die Chance einer Gelenkzentrierung
wird optimal genutzt, aber leider durch gar
nichts gewährleistet. (Gerber 1989)
Die klassische, mechanische intraorale
Aufzeichnung des Pfeilwinkels weist eine
nicht zu vernachlässigende Fehlerquote auf,
da nur wenige Bewegungen aufgezeichnet
werden können, das Registrat sehr klein ist
und die muskuläre Aktivität während der
Aufzeichnung nicht beurteilt werden kann.
Beim IPR-System werden die Grenzbewe-
Zahnärzteblatt SACHSEN 04/05
Abb. 10: Drucksensitive Aufzeichnungsplatte
Bei der Aufzeichnung wird die auf den
Stützstift wirkende Kraft gemessen und im
Sinne des Biofeedback für den Patienten
sichtbar auf dem Monitor angezeigt. Daten
werden nur erfasst, wenn die Belastung des
Stützstiftes zwischen 10 und 30 N liegt.
Durch diese gezielte Leistungsabforderung
kann sich ein durch den Patienten willkürlich
nicht zu beeinflussendes muskuläres Gleichgewicht einstellen. Neben dem klassischen
Pfeilwinkel können auch neuromuskulär gesteuerte Lateralbewegungen aufgezeichnet
und beurteilt werden. Das Messprotokoll
wird im PC abgespeichert und kann für vergleichende Untersuchungen im Verlauf der
Therapie herangezogen werden (s. Abb. 11).
Die extraorale Festlegung des Verschlüsselungspunktes liegt frei im Ermessen des Behandlers und kann je nach vertretener Lehrmeinung und therapeutischem Konzept auf
der Pfeilwinkelspitze oder mehr oder weniger vor dieser liegen. Die x-y-Koordination
wird mit Hilfe eines Kreuztisches auf eine
Hilfsplatte übertragen, der Patient in die festgelegte UK-Position geführt und die intermaxilläre Beziehung der Zahnreihen registriert. Die dabei methodikbedingte minimale
Sperrung der Okklusion wird als Fehlerquelle billigend in Kauf genommen.
Abb. 12: Im Gesichtsbogenregistrat offensichtliche ungünstige Neigung der Okklusionsebene nach prothetischer Versorgung
Das Unterkiefermodell wird mit Hilfe der
Registrate zugeordnet und der Artikulator abgesenkt. Beim CMD- Patienten wird im Regelfall kein intermaxillärer Vielpunktkontakt entstehen. Nach Freigabe der Artikulator„Kondylen“ kann bestimmt werden, welche
Bewegungen des Unterkiefers erforderlich
sind, um eine maximale Intercuspidation zu
erreichen (s. Abb. 13).
Stimmen die Bewegungsrichtungen mit
den in der klinischen Funktionsdiagnostik erkannten Belastungsvektoren überein, ist der
Nachweis für eine okklusogene Störung erbracht.
Therapieplan, Verlaufskontrolle und
Prognose
In die Erarbeitung des Therapieplanes ist der
Patient aktiv einzubeziehen. Während akut
aufgetretene Schmerzen relativ schnell zu
beherrschen sind, ist die Behandlung lange
bestehender chronischer Beschwerdebilder
31
Fortbildung/Bücherecke
Abb. 13: Bereits geringe okklusale Defizite
können zu deutlichen Kondylenverlagerungen führen, wenn der Unterkiefer in die
maximale Intercuspidation gleitet
wesentlich aufwendiger. Die zeitliche und
finanzielle Belastung ist unter Umständen erheblich, Kotherapien z. B. beim Physiotherapeuten, Logopäden oder Psychosomatiker
sind für eine fundierte Therapie unumgänglich. Das grundsätzliche Verständnis des Patienten für den komplexen Charakter der Erkrankung ist für die Compliance erforderlich.
Ob eine vollständige Besserung der bestehenden Beschwerden erfolgt, ist von vornherein nicht zu beurteilen, Rezidive kommen auch bei zunächst erfolgreichem
Therapieverlauf regelmäßig vor und sind
nicht als Misserfolg der Therapie zu werten.
Auch nach korrekter Bisslageeinstellung und
intensiver interdisziplinärer Therapie können Beschwerden persistieren, die z. B. eine
Dauermedikation oder periodische physiotherapeutische Maßnahmen erfordern.
Der zahnärztliche Part im Therapeutenteam besteht in einer adäquaten Schienentherapie. Die Behandlung akuter
Schmerzzustände mittels nicht adjustierten Aufbissbehelfen (Miniplastschiene,
Aqualizer) ist in der Regel unproblematisch, da die Anwendung auf einen kurzen
Zeitraum beschränkt ist und sich kurzfris-
tig Behandlungserfolge einstellen.
Soll eine Bisslageumstellung mit Etablierung einer neuromuskulären Zentrik erfolgen, ist die adjustierte Aufbissschiene das
Mittel der Wahl. Bei der Konstruktion der
Schiene ist es für die Akzeptanz durch den
Patienten erforderlich, ein Maximum an
Komfort zu erreichen. Eine grazile Gestaltung mit ausreichender Ästhetik und Phonetik erleichtert dem Patienten, der Forderung
nachzukommen, die Schiene 24 h am Tag
zu tragen. Nur durch diese ständige okklusale Sicherung der zentrischen Kondylenposition ist es möglich, die muskulären Engramme neu zu programmieren und eine
dauerhafte Senkung des Muskeltonus zu erreichen. Als Konstruktionsform hat sich die
Unterkieferschiene mit einem Sublingualbügel und gebogenen Halteelementen bewährt
(s. Abb. 14).
Die okklusale Gestaltung zielt auf die
Kompensation von Defiziten. Nach Möglichkeit wird die vertikale Relation auf dem
ersten zentrischen Kontakt eingestellt, lediglich im Bereich der Eckzähne werden kleine
Aufbauten angebracht, um Hyperbalancekontakte aufzulösen und eine leicht anterior
gerichtete Laterotrusion zu etablieren. Aus
dem Verständnis biologischer Regelsysteme
heraus ist nachvollziehbar, dass die Erstdiagnostik nur eine Momentaufnahme der Problematik sein kann. Das einmalige Entfernen
okklusaler Interferenzen führt nicht unmittelbar zu einer neuromuskulären Stabilisation
des Unterkiefers. Die einsetzende muskuläre
Entspannung führt zu räumlichen Verlagerungen der Mandibula und erfordert mehrfache Okklusionskorrekturen. Nach etwa
10 Wochen wird erneut ein klinischer Funktionsstatus erhoben, mittels instrumenteller
Diagnostik die Zentrik bestimmt und die
Schiene im Artikulator geprüft. Bei geänderten okklusalen Beziehungen wird die Schie-
Rote Liste
In den letzten Tagen haben viele Kollegen
die „Rote Liste“ 2004 auf CD ins Haus bekommen. Aufgrund eines Rahmenvertrages
zwischen der BZÄK und dem Verlag ist die
CD kostenlos.
Man ist bei der bewährten Programmoberfläche des vergangenen Jahres geblieben. Das ist auch gut so, denn so sind
schnelle übersichtliche Abfragen möglich.
Der Datenbestand wurde aktualisiert und
einige kleine Änderungen am Programm
gemacht. Leider gibt es die Netzwerk-
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Abb. 14: Adjustierte Aufbissschiene zur
Korrektur okklusaler Defizite – die „Brille“
fürs Gebiss
ne entsprechend neu adjustiert. Kritisch
muss der bisherige Behandlungsverlauf gewertet und gegebenenfalls auch die Therapie nachjustiert werden. Erst wenn bei mehreren Nachregistrierungen über einen
längeren Zeitraum eine relative Beschwerdefreiheit erreicht ist und sich die Modellsituation im Artikulator nicht mehr verändert,
kann man davon ausgehen, die definitive
neuromuskuläre Zentrik erreicht zu haben.
Hält die Beschwerdefreiheit über einen längeren Beobachtungs- und Stablilisierungszeitraum an, kann die Umsetzung der Schienenposition in die Zahnoberflächen mittels
Prothetik, Kieferorthopädie oder Kieferchirurgie erfolgen. Auf die strikte Einhaltung der
eingestellten Unterkieferposition ist zu achten, damit der labile Kompensationszustand
nicht wieder dekompensiert. Eine enge Dispensairebetreuung hilft auftretende Rezidive
rechtzeitig zu erkennen und adäquate Therapie-Maßnahmen einzuleiten.
Dipl.-Stom. Tom Friedrichs
Zahnarzt in eigener Niederlassung
Dresden
Literatur abrufbar unter Tel. 0351/8066-276
ZAP im Kaufhaus?
freischaltung nun nicht mehr kostenlos. Alles in allem ist die „Rote Liste“ in dieser
Form auch für die Zahnarztpraxis ein Gewinn.
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ZA Hermann Loos
ECV Editio Cantor Verlag GmbH
Postfach 1255
Bändelstockweg 20
88322 Aulendorf
In der Bremer Karstadt-Filiale will die Firma
Medi z als deutschlandweit einmaliges Projekt ab Mai dieses Jahres eine Praxis eröffnen. Die Idee stammt aus den USA und
überlebte dort nicht, weil die besondere Patienten-Zahnarzt-Beziehung nach einer vertrauten Atmosphäre in geeigneter Umgebung verlange.
Die Bremer Praxis will vor allem ästhetische Versorgung und Mundhygiene anbieten.
Quelle: Financial Times 3.3.2005
Zahnärzteblatt SACHSEN 04/05
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