Artikel Psychedelische Highlung

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Psychedelische Highlung
Von Kai Kupferschmidt
LSD gegen Kopfschmerzen, Ecstasy gegen
Psychotrauma – in den USA wollen Ärzte mit Drogen
heilen
Der Psychiater John Halpern provoziert gern. Wenn er, Haare
zerzaust, Anzug ein wenig schief, über den Hof des McLeanKrankenhauses in Boston schlendert, zieht er manchmal einen
altmodischen Telefonhörer aus seiner Jackentasche und beginnt
hineinzusprechen. Der Hörer ist über Funk mit Halperns Handy
verbunden, aber wer im Hof einer psychiatrischen Klinik einen
Mann in einen losen Telefonhörer sprechen sieht, zieht womöglich
andere Schlüsse. Und viele Mediziner dürften auch für verrückt
halten, woran Halpern forscht: Er untersucht, ob er das Leid
krebskranker Menschen am Ende ihres Lebens mit Ecstasy mildern
kann.
Der Psychiater gehört zu einer kleinen Gruppe von
Wissenschaftlern, die eine ungewöhnliche Substanzklasse für die
Medizin wiederentdeckt haben: Halluzinogene Drogen.
Über Jahrzehnte waren die Stoffe tabu, wurden kaum erforscht.
Nun untersucht eine neue Generation von Wissenschaftlern die
psychedelischen Drogen – und sie kommen zu erstaunlichen
Ergebnissen.
Mit Ecstasy zum Beispiel. Im Juli des vergangenen Jahres gab der
amerikanische Psychiater Michael Mithoefer das Ergebnis einer
klinischen Studie mit der Partydroge bekannt. Er hatte 20
Menschen behandelt, die unter einer posttraumatischen
Belastungsstörung (PTBS) litten. Die meisten von ihnen waren
Frauen, die Opfer sexueller Gewalt geworden waren, einer war
Soldat im Irakkrieg. Alle durchlebten sie ihr Trauma immer wieder,
hatten Schlafprobleme, Angstzustände, Selbstmordgedanken.
In der gängigen Therapie wird versucht, die Erinnerungen zu
meistern, indem sie in einer sicheren Umgebung hervorgeholt
werden. Der Patient soll lernen, die Erfahrungen zu überdenken,
ohne von den Ängsten und Emotionen des Augenblickes übermannt
zu werden. Mithoefer gab einigen der Patienten vor ihren
Therapiesitzungen MDMA, den Inhaltsstoff von Ecstasy, anderen
ein Scheinmedikament. Zwei Monate später litten nur noch 17
Prozent der MDMA-Patienten unter den Symptomen. In der
Kontrollgruppe waren es 75 Prozent. „MDMA gibt Menschen ein
Gefühl von Sicherheit. Die Droge nimmt den Erinnerungen ihre
Schärfe“, sagt der britische Psychiater und Drogenforscher David
Nutt.
Ecstasy ist nicht die einzige Droge, für die Mediziner sich
interessieren. LSD gegen Kopfschmerzen, Magic Mushrooms gegen
Alkoholsucht, Ketamin gegen Depressionen, all diese Möglichkeiten
werden zurzeit untersucht. Was auf den ersten Blick erstaunlich
scheint, ist im Grunde naheliegend. Das Besondere an
psychedelischen Drogen wie Ecstasy ist, dass sie in die feine Balance
von Botenstoffen im Gehirn eingreifen. Nur deswegen können sie
das „High“ vermitteln, das Partygänger jagen. Aber auch Psychiater
und Neurologen wollen in den Stoffwechsel des Gehirns eingreifen.
„Das sind ungeheuer mächtige Substanzen“, sagt Nutt. „Leider hat
ihr Verbot 50 Jahre lang die Forschung behindert.“ Auch heute
werde die Forschung an psychedelischen Drogen noch durch
Verbote und Sicherheitsbestimmungen erschwert. Nutt forscht
selbst an Psilocybin, dem Inhaltsstoff der „magischen Pilze“. „Es war
sehr mühsam, überhaupt die Erlaubnis zu bekommen“, sagt er.
Die Drogenforschung hat eine unrühmliche Vergangenheit. Schon
einmal, in den 60er-Jahren, wurde das Potenzial von LSD und Co.
beschworen. Das begann mit einem Magic-Mushroom-Trip des
Harvard-Psychologieprofessors Timothy Leary und endete mit
seinem Rat an eine ganze Generation, Drogen zu nehmen und
gesellschaftliche Zwänge abzuwerfen: „Turn on, tune in, drop out“
war das Motto des Drogenpropheten. Zunächst unterstützte die
Universität Harvard die Forschung von Leary, der etwa untersuchte,
ob Psilocybin die Resozialisierung von Gefangenen vorantreiben
konnte. Kollegen an anderen Unis erforschten, ob die Drogen
spirituelle Erfahrungen auslösen, Schmerzen beseitigen oder
Paartherapie unterstützen konnten.
Aber Berichte über ausufernde Drogenpartys in Learys Haus und
Vorwürfe, er habe Drogen an Studenten gegeben, führten dazu, dass
er seinen Job verlor. Die von Drogenkonsum angekurbelte
Gegenkultur wurde auch zu einem politischen Problem. „Wer sollte
denn in Vietnam kämpfen, wenn alle high waren“, sagt Nutt. Die
Substanzen wurden verboten, Leary, der laut Nixon „gefährlichste
Mann Amerikas“, experimentierte weiter mit Drogen, wurde
schließlich festgenommen und verurteilt, das Forschungsfeld brach
zusammen. „Die Karriere vieler Forscher stand auf Messers
Schneide und sie haben sich etwas anderem zugewandt“, sagt John
Halpern.
Ausgerechnet in Harvard, wo die psychedelischen Träume einst
begraben wurden, könnte nun ihre Renaissance beginnen. Denn
Halpern ist Professor an der Universität. Eigentlich kommt er aus
der Suchtforschung. Aber ein Freund seines Vaters erzählte ihm von
Versuchen in den 60er-Jahren, Alkoholabhängigkeit mit
psychedelischen Drogen zu behandeln. „Ich habe zu ihm gesagt:
Und die Ergebnisse waren schlecht? Und er sagte: Nein, sie waren
sehr gut, aber niemand hat weiter daran geforscht“.
Halpern ist ein quirliger Typ. Zur Begrüßung erzählt er einen Witz
über seine letzte Begegnung mit LSD-Entdecker Albert Hofmann,
sein Büro ist ein schmaler Raum, eine wilde Ansammlung von
Stühlen, Büchern und Papierstapeln. Während er redet, fallen ihm
Kleinigkeiten ein, die er unbedingt zeigen will, eine leere Ampulle,
in der einmal 100 Milligramm LSD waren, der Entwurf einer Rede
von Leary. Aber Halpern bemüht sich, keine Zweifel aufkommen zu
lassen: Er will das Potenzial der Drogen seriös erforschen. Seine
Ecstasy-Studie an Krebspatienten, von der es es noch keine
Ergebnisse gibt, ist nur die jüngste von einer ganzen Reihe von
Drogenstudien.
Zunächst interessierten Halpern vor allem die Risiken. So
untersuchte er Mitglieder der indianischen Peyote-Religion. Die
etwa 300 000 Anhänger dieser Kirche konsumieren in ihren
Gottesdiensten den Peyotekaktus, der das berüchtigte Rauschgift
Meskalin enthält. „Das waren die perfekten Menschen, um die
Langzeitwirkung so einer Droge zu untersuchen: Sie haben sie über
Jahre einmal im Monat zu sich genommen. Ihre Religion verbietet
ihnen aber andere Drogen wie Alkohol.“ Halpern ließ die Indianer
eine ganze Reihe psychologischer Tests machen und verglich ihr
Abschneiden mit dem zweier anderer Gruppen: ehemaliger
Alkoholabhängiger und Menschen, die kaum Alkohol oder andere
Drogen zu sich nehmen. Das Ergebnis: Die Peyote-Indianer
schnitten so gut wie die Kontrollgruppe ab, bei den Alkoholikern
hingegen waren klare Folgen ihrer Sucht festzustellen.
Dass der Umgang mit Drogen Risiken birgt, zeigt der Fall Garri R..
Der Berliner Arzt hatte am 19. September 2008 in einer
„Therapiesitzung“ zehn Patienten ein Amphetamin namens Neocor
und später Ecstasy gegeben. Vorher hatte er selbst LSD genommen.
Das traurige Ergebnis: Zwei Patienten starben an dem
Drogencocktail, ein weiterer lag wochenlang im Koma. „Das war ein
Scharlatan“, sagt Halpern sichtlich erregt. „Diese sogenannte
Therapie ist nicht zugelassen. Er hat seinen Patienten einen kaum
untersuchten Stoff gegeben und dann auch noch um das Zehnfache
überdosiert.“
Aber auch ohne Überdosis kann es bei Ecstasy zu schweren
Nebenwirkungen kommen, sagt Rainer Thomasius vom
Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf. Der Psychiater erforscht
die dunkle Seite der Droge: Epileptische Anfälle, Hirnblutungen,
Herzinfarkte. „Das alles kann im Einzelfall passieren, aber wir
wissen nicht wie häufig“, sagt er. Außerdem komme es bei manchen
Menschen zu einer extremen Temperaturerhöhung. „Ecstasy
verursacht eine massive Ausschüttung des Botenstoffes Serotonin –
und manche Menschen reagieren darauf gewissermaßen allergisch.
Ihre Körpertemperatur steigt in kurzer Zeit auf bis zu 43 Grad
Celsius.“ Auch niedrige Dosierung schützt nicht unbedingt vor den
Gefahren, sagt Thomasius, gerade bei Langzeitschäden, wie dem
Absterben von Gehirnzellen. „Wir haben keine Schwelle feststellen
können, unter der die Zellen nicht absterben“, sagt er.
Halpern dagegen ist klar auf der Seite derjenigen, die das
therapeutische Potenzial von Ecstasy höher bewerten als die
Risiken. „Diese Forschung ist immer ein bisschen verharmlosend, so
wie die Forschung über Risiken immer ein Stück weit dramatisiert“,
sagt Thomasius. Tatsächlich steht hinter mancher Studie zu LSD &
Co. auch die Absicht, die Drogen wieder salonfähig zu machen. So
werden Halperns Untersuchungen und auch die PTBS-Forschung
von Mithoefer von einer Organisation namens MAPS unterstützt.
Die setzt sich für die wissenschaftliche Untersuchung
psychedelischer Substanzen ein. Aber nicht ohne Hintergedanken:
„Die Wissenschaft ist der beste Hebel, um psychedelischen Drogen
wieder zu Akzeptanz zu verhelfen“, sagt der Vorsitzende Rick
Doblin. Er habe mit 17 das erste Mal LSD genommen. Weil ihn als
jüdischen Jungen die Erzählungen über den Holocaust traumatisiert
hätten.
Die Befürchtung, Menschen könnten abhängig werden, kann Doblin
nicht nachvollziehen: „Es gibt eine Million Arten, wie Menschen vor
der Welt flüchten: Shopping, dümmliches Fernsehen, Heroin.
Dagegen machen psychedelische Drogen kaum abhängig.“ Einige
Drogenforscher sehen inzwischen allerdings auch ein
Glaubwürdigkeitsproblem. „Es ist wichtig, dass jetzt auch andere
Wissenschaftler sich mit dem Thema beschäftigen, nicht nur die, die
ohnehin daran glauben“, sagt etwa Nutt.
In einigen Fällen geht es aber weder um Sicherheitsbedenken noch
um eine Agenda der Legalisierung. Der Forscher Carlos Zarate hat
zum Beispiel zeigen können, dass schon kleine Dosen Ketamin
gegen Depressionen wirksam sind. Der Effekt tritt schon nach
wenigen Stunden ein und nicht, wie bei den gängigen
Medikamenten nach Wochen. Ketamin kann in hohen Dosen zwar
Halluzinationen auslösen und wird deswegen als „Special K“
gedealt. Vor allem ist der Stoff aber ein zugelassenes
Betäubungsmittel, das regelmäßig von Ärzten eingesetzt wird und
dessen Sicherheit gut untersucht ist.
Ohnehin endet die medizinische Forschung vermutlich nicht bei den
psychedelischen Substanzen selbst. Halpern hat vor kurzem eine
Studie mit Menschen durchgeführt, die unter Clusterkopfschmerzen
leiden. Diese Schmerzen sind so stark, dass sie auch als SelbstmordKopfschmerzen bezeichnet werden. Einige Patienten nehmen zur
Linderung LSD. Zusammen mit Torsten Passie von der
Medizinischen Hochschule Hannover testete Halpern deswegen die
Substanz 2-Brom-LSD, ein LSD-Molekül, an das ein Bromatom
angehängt ist, an fünf Patienten. „Der Effekt war enorm. Einige der
Patienten, die vorher täglich Attacken hatten, hatten monatelang
keine“, sagt Halpern. Das Besondere an 2-Brom-LSD ist, dass es im
Gegensatz zu LSD keine Halluzinationen hervorruft. „Wir wollten
zeigen, dass der Effekt auf die Kopfschmerzen nicht unbedingt mit
der halluzinogenen Wirkung zusammenhängt“, sagt Halpern.
Psychedelische Drogen könnten Forschern also auch nur dazu
dienen, den Weg zu neuen Medikamenten zu weisen. Auch Franz
Vollenweider, der an der Universität Zürich Drogen erforscht, sieht
hier die Zukunft: „Ich glaube, dass auch die Pharmaindustrie sich
am ehesten für neue Moleküle interessiert, die nicht so
psychedelisch sind, aber die gleichen Hirnmechanismen anwerfen.“
Oder, wie Nutt, ehemals Drogenberater der britischen Regierung, es
ausdrückt: „Wir sollten Substanzen wie Ecstasy nicht verbieten,
sondern Pharmafirmen dazu bringen, besseres, sichereres Ecstasy
herzustellen.“
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