Integriertes Modell Ruhrgebiet 2050 Stand der Forschung November 2014 IN KOOPERATION MIT: • Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH (Koordination) • Kulturwissenschaftliches Institut Essen • Technische Universität Dortmund, Fachgebiet Städtebau, Stadtgestaltung und Bauleitplanung • Spiekermann & Wegener (S&W) Stadt- und Regionalforschung • Bergische Universität Wuppertal, Lehrstuhl Umweltverträgliche Infrastrukturplanung, Stadtbauwesen Impressum Integriertes Modell Ruhrgebiet 2050: Stand der Forschung November 2014 Kristine Brosch, Felix Huber, Björn Schwarze, Klaus Spiekermann, Michael Wegener 2014, Dortmund/Wuppertal Teilprojekt 1.1.1 Integriertes Modell "Städte und Klimawandel – Ruhrgebiet 2050" Microsoft Word 2010 Gefördert durch die Stiftung Mercator KONTAKTPERSONEN Prof. Dr.-Ing. Michael Wegener Spiekermann & Wegener Stadt- und Regionalforschung Lindemannstraße 10 44137 Dortmund Prof. Dr.-Ing. Felix Huber Lehr- und Forschungsgebiet Umweltverträgliche Infrastrukturplanung, Stadtbauwesen Bergische Universität Wuppertal Pauluskirchstraße 7 42285 Wuppertal ii Inhalt 1 EINLEITUNG 1 2 STADTENTWICKLUNG UND VERKEHR 2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 Theorien Flächennutzung-Verkehr Technische Theorien: Städte als Mobilitätssysteme Wirtschaftliche Theorien: Städte als Märkte Soziale Theorien: Gesellschaft und städtischer Raum 2 2 4 5 2.2 Wirkungszusammenhänge 6 2.3 Modelle der räumlichen Stadtentwicklung 9 3 ENERGIEVERBRAUCH VON GEBÄUDEN 11 4 ENERGIEVERBRAUCH DES STADTVERKEHRS 14 4.1 Car-sharing 17 4.2 Elektromobilität 19 4.3 Radverkehr 23 5 KLIMAWANDEL 26 6 LITERATUR 28 iii ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1. Der Regelkreis Flächennutzung und Verkehr 3 Abbildung 2. Stadtentwicklungsmodelle heute 10 Abbildung 3. Energiestandards und Baupraxis in Deutschland 12 Abbildung 4. Spezifischer Energieverbrauch ausgewählter Verkehrsträger im Personenverkehr Abbildung 5. Pkw-Neuzulassungen und deren CO2-Emissionen nach Teilsegmenten des Fahrzeugmarkts 2007 und 2011 15 16 Abbildung 6. Übersicht über Antriebstechnologien 20 Abbildung 7. Das System Elektromobilität und seine Bausteine 21 Abbildung 8. Das System Radverkehr und seine Bausteine 25 TABELLENVERZEICHNIS Tabelle 1. Wirkungen Flächennutzung ► Verkehr 7 Tabelle 2. Wirkungen Verkehr ► Flächennutzung 8 Tabelle 3 Wirkungen Gebäude 13 Tabelle 4 Wirkungen Verkehr 14 Tabelle 5. Wirkungen Car-sharing 16 Tabelle 6. Wirkungen Elektromobilität 22 Tabelle 7. Wirkungen Radverkehr 25 iv 1. Einleitung Städte sind die größten Konsumenten von Energie und Produzenten von Treibhausgasen durch Heizung, Produktion und Verkehr. Zugleich sind sie durch ihre hohe Dichte besonders anfällig für negative Folgen des Klimawandels wie Überflutungen und Hitzewellen. Mit einer Bevölkerung von über fünf Millionen ist das Ruhrgebiet eine der größten städtischen Agglomerationen in Europa. Wie können die anspruchsvollen Treibhausgasreduktionsziele der Bundes- und Landesregierung erreicht werden? Gegenwärtige Politikansätze im Ruhrgebiet konzentrieren sich auf kleinteilige Maßnahmen zur Reduzierung von Energieverbrauch und Treibhausgasen und gehen umfassende Strategien zum Klimaschutz noch zu wenig entschieden an. Dabei verfügt das Ruhrgebiet durch seine industrielle Vergangenheit und seine polyzentrische Siedlungsstruktur über ein besonderes Potential für die Umwidmung ehemaliger Industrieflächen und die Entwicklung verkehrsreduzierender und energieeffizienterer Siedlungsstrukturen. Ein Grund für die Vernachlässigung dieses Potentials in der Vergangenheit ist der Mangel an Wissen über die voraussichtlichen Wirkungen von Flächennutzungs-, Verkehrs- und anderen Maßnahmen zur Reduzierung von Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen auf Flächennutzung, Verkehr und Umwelt. Deshalb finanziert die Stiftung Mercator, Essen, das Rahmenprogramm zur Umsetzung der Energiewende in den Kommunen des Ruhrgebiets zur Förderung von Kenntnissen und Problembewusstsein über die Notwendigkeit und Herausforderungen der Energiewende in den Gemeinden des Ruhrgebiets. Das auf vier Jahre angelegte Programm umfasst Erhebungen, Grundlagenforschungsprojekte, Bürgerbeteiligung und Umsetzungsstudien. Das Projekt Integriertes Modell Städte und Klimawandel – Ruhrgebiet 2050 ist Teil dieses Programms. In ihm wird das bisher für die Stadtregion Dortmund angewendete IRPUDModell von Flächennutzung, Verkehr und Umwelt in Stadtregionen (Wegener, 2011) auf das ganze Ruhrgebiet erweitert und zur Abschätzung der Auswirkungen von Flächennutzungs-, Verkehrs- und anderen Maßnahmen zur Reduzierung von Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen auf Wirtschaft, Mobilität, Lebensqualität und Umwelt im Ruhrgebiet bis zum Jahre 2050 angewendet. Hierzu wird das Modell um Teilmodelle zur Energieeffizienz von Gebäuden ergänzt und zur Simulation von Szenarien verwendet, die sich in ihren Annahmen über zukünftige Energiepreiserhöhungen und mögliche Kombinationen von Maßnahmen zur Reduktion des Verbrauchs fossiler Energien und zur Erhöhung der Energieeffizienz und des Gebrauchs erneuerbarer Energien zur Erreichung der energiepolitischen Ziele der Landesregierung Nordrhein-Westfalen unterscheiden (Huber u.a., 2013). Das Projekt ist eine Zusammenarbeit mit dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie und dem Lehr- und Forschungsgebiet Umweltverträgliche Infrastrukturplanung, Stadtbauwesen der Bergischen Universität Wuppertal. Diese Zusammenfassung des Forschungsstands auf den für das Projekt relevanten Themenbereichen hat vorläufigen Charakter und wird im Laufe des Projekts durch weitere Forschungsergebnisse ergänzt werden. 1 2. Stadtentwicklung und Verkehr Dieses Kapitel gibt einen Überblick über Forschungen über die Wechselwirkungen zwischen städtischer Flächennutzung und Verkehr, d.h. zwischen den Standort- und Mobilitätsentscheidungen privater Akteure (Haushalte, Unternehmen und Verkehrsteilnehmer) in Reaktion auf Veränderungen im regionalen Flächennutzungs- und Verkehrssystem. Dass Flächennutzung und Verkehr in Stadtregionen eng miteinander verknüpft sind, ist allgemein bekannt. Dass die räumliche Trennung menschlicher Aktivitätsstandorte Bewegungen von Personen und Gütern zwischen ihnen erfordert, ist die Grundannahme der Verkehrsanalyse und -prognose. Danach ist es leicht zu verstehen, dass die Ausdehnung der Städte im Zuge der Suburbanisierung mit zunehmender räumlicher Arbeitsteilung und somit zunehmender Mobilität verbunden ist. Der umgekehrte Zusammenhang, der vom Verkehr zur Flächennutzung, ist dagegen weniger gut bekannt. Es besteht wohl eine Vorstellung davon, dass die Entwicklung von der weitgehend fußläufigen mittelalterlichen Stadt zu den heutigen ausgedehnten Ballungsgebieten mit ihren täglichen Verkehrsströmen ohne erst die Eisenbahn und dann besonders das private Automobil, das praktisch jeden Ort in der Stadtregion als Wohn- oder Arbeitsort fast gleich gut erreichbar gemacht hat, nicht möglich gewesen wäre. Aber wie genau die Entwicklung des Verkehrssystems die Standortentscheidungen von Grundstückseigentümern, Investoren, Unternehmen und Haushalten beeinflusst, darüber besteht weiterer Forschungsbedarf. 2.1 Theorien Flächennutzung-Verkehr Im Folgenden werden die wichtigsten Theorieansätze zur Erklärung der Wechselwirkung zwischen Flächennutzung und Verkehr in Stadtregionen zusammengefasst (Wegener und Fürst, 1999). 2.1.1 Technische Theorien: Städte als Mobilitätssysteme Städte entstanden in der menschlichen Geschichte, als spezialisierte Handwerker von landwirtschaftlicher Arbeit getrennt wurden (Sombart, 1907). Die Konzentration spezialisierter Techniken in größeren Siedlungen löste eine "ungeheure Ausdehnung der menschlichen Möglichkeiten" aus und erforderte Schutz und Austausch: Befestigungen und Märkte wurden die wichtigsten frühen Stadtfunktionen (Mumford, 1961). Technische Theorien erklären auch die innere Organisation von Städten Die hohe Dichte der mittelalterlichen Stadt entstand aus der Notwendigkeit der Befestigung und der Tatsache, dass fast alle Wege zu Fuß zurückgelegt wurden. Als beides im 19. Jahrhundert entfiel, wurde Stadtentwicklung weitgehend eine Funktion der Verkehrstechnik. Die Arbeiterwohnungen der Städte des frühen 19. Jahrhunderts lagen in unmittelbarer Nähe der Fabriken, und nach Einführung der Eisenbahn und der Straßenbahnen in der Umgebung von deren Haltestellen. Mit der Verbreitung des Autos konnten auch die Gebiete zwischen den Bahnlinien besiedelt werden, und die Ausdehnung der Städte wurde immer diffuser ("Zersiedlung"). In den 1950er Jahren wurden in den USA die ersten Versuche gemacht, den Zusammenhang zwischen Verkehr und der räumlichen Entwicklung von Städten zu analysieren. Hansen 2 (1959) konnte am Beispiel von Washington, DC, nachweisen, dass Standorte mit guter Erreichbarkeit eine größere Wahrscheinlichkeit hatten, bebaut zu werden, als abgelegen Standorte ("How accessibility shapes land use"). Die Erkenntnis, dass Mobilitäts- und Standortwahlentscheidungen einander bedingen, und dass daher Verkehrs- und Flächennutzungsentwicklung koordiniert geplant werden sollten, verbreitet sich schnell unter amerikanischen Planern, und der Regelkreis Flächennutzung und Verkehr ("land-use transport feedback cycle") wurde ein Begriff in der amerikanischen Planungsliteratur. Seine Wirkungszusammenhänge können wir folgt zusammengefasst werden (Abbildung 1): Abbildung 1. Der Regelkreis Flächennutzung und Verkehr • Die Verteilung der Flächennutzungen wie Wohngebiete oder Industrie- und Gewerbegebiete bestimmt die Standorte der Haushalte und Betriebe und damit die Standorte der menschlichen Aktivitäten wie Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Ausbildung und Erholung. • Die Verteilung der Aktivitäten erfordert Ortsveränderungen, um die räumliche Entfernung zwischen diesen Standorten zu überwinden. • Diese Ortsveränderungen erfolgen über das Verkehrssystem aufgrund von Entscheidungen der Verkehrsteilnehmer über die Verfügbarkeit eines Verkehrsmittels, die Häufigkeit von Wegen, die Ziele, das benutzte Verkehrsmittel und die eingeschlagene Route. Die Folge dieser Entscheidungen sind die Verkehrsströme und im Falle von Verkehrsstaus Erhöhungen der Reisezeiten, Wegelängen und Wegekosten. • Reisezeiten, Wegelängen und Wegekosten schaffen Gelegenheiten für Ortsveränderungen, das heißt Erreichbarkeit. Die räumliche Verteilung von Erreichbarkeit beeinflusst, mit anderen Attraktivitätsmerkmalen, die Standortentscheidungen von Bauinvestoren und resultiert in Neubau, Modernisierung oder Abriss, das heißt in Veränderungen der Sied- 3 lungsstruktur. Diese bestimmen die Umzugsentscheidungen von Haushalten und Betrieben und somit die Verteilung der Aktivitäten im Raum. 2.1.2 Wirtschaftliche Theorien: Städte als Märkte Eine zweite Gruppe von Theorien betont die ökonomischen Gründe für das Wachstum der Städte. Nach diesen Theorien unterscheiden sich Städte durch ihre Marktfunktionen von ihrer ländlichen Umgebung (Weber, 1921; 1925). Andere Autoren definieren Handel und Handwerk als die eine Stadt konstituierenden Aktivitäten (Sombart, 1907): Städte entstehen, weil Händler, Handwerker und Bauern unterschiedliche Personen sind. Deshalb ist die Stadt ein Produkt der Spezialisierung und Arbeitsteilung. Eine fundamentale Annahme aller raumökonomischen Theorien ist, dass Standorte mit guter Erreichbarkeit attraktiver sind und einen höheren Marktwert haben als periphere Standorte. Das wohl einflussreichste Beispiel für diese Annahme ist das Modell des städtischen Bodenmarkts von Alonso (1964). Das Alonso-Modell geht davon aus, dass Unternehmen und Haushalte einen Standort wählen, an dem der Bodenpreis, den sie zu zahlen bereit sind, dem Preis entspricht, den der Grundstückseigentümer fordert, so dass der Bodenmarkt im Gleichgewicht ist. So ist es nicht verwunderlich, dass etwa Juweliere im Stadtzentrum zu finden sind, während Logistikunternehmen ihre Betriebshöfe am Stadtrand haben. Das Modell Alonsos war der Ausgangspunkt zahlreicher stadtökonomischer Modelle (siehe Nijkamp und Mills, 1987). In modernen weiter entwickelten Varianten des Alonso-Modells wurden zu restriktive Annahmen wie vollkommener Wettbewerb, vollständige Information und die monozentrische Stadt differenziert (z.B. Anas, 1982). In der Vergangenheit haben niedrige Energiepreise, höhere Einkommen, zunehmende Frauenerwerbstätigkeit, kleinere Haushalte, mehr Freizeit und sich verändernde Wohnpräferenzen zu einer wachsenden Nachfrage nach mehr Wohnfläche in attraktiven Wohnquartieren geführt, und dies war leichter an der städtischen Peripherie oder in kleineren Städte mit attraktiven Stadtzentren und guten Einkaufsmöglichkeiten zu realisieren. Einzelhandel und Dienstleistungen folgten ihren Kunden in die Vororte, ebenso wie die neuen umweltfreundlichen Betriebe mit überwiegend gut ausgebildeten Mitarbeitern (Sieverts, 1997). Aus sozialer und ökologischer Sicht sind die Ergebnisse des Suburbanisierungsprozesses eher negativ: längere Arbeits- und Einkaufswege, höherer Energieverbrauch, steigender Flächenverbrauch, mehr Luftverschmutzung und Unfälle und zunehmende Problem der Daseinsvorsorge in ländlichen Gebieten. Die Innenstädte, außer denen der erfolgreichsten Metropolen, sind die Opfer des Verlusts von Einwohnern und Arbeitsplätzen. Innerstädtische Wohngebiete werden marginalisiert, wenn die jüngeren und aktiveren Einwohner wegen des Verfalls des Wohnungsbestands, des Verkehrslärms und des Mangels an Parkplätzen abwandern, solange bis die Bestandsbevölkerung durch Gentrifizierung oder Tertiarisierung verdrängt ist – obwohl diese Prozesse Anzeichen ökonomischer Prosperität und daher vor allem in wirtschaftlich erfolgreichen Städten geschehen. Allerdings gibt es auch Tendenzen in andere Richtungen. Telearbeit und Online-Einkaufen könnten die täglichen Mobilitätsmuster und damit auch das Standortverhalten grundsätzlich verändern. Es gibt eine zunehmende Vielfalt von Lebensstilen und Wohnpräferenzen, die die Dominanz des Lebens in den Vororten als die ideale Form des guten Lebens beenden könn4 ten. Es gibt Anzeichen für eine neue Popularität des städtischen Lebens und einer Rückkehr in die Innenstädte. Auf der anderen Seite des Spektrums gibt es neue Ideen in Städte- und Landschaftsbau in Richtung auf neue Formen der Integration von Wohnen und Natur aus ökologischer Sicht. 2.1.3 Soziale Theorien: Gesellschaft und städtischer Raum In sozialen Theorien der Stadtentwicklung ist die räumliche Entwicklung der Städte das Ergebnis individueller oder kollektiver Aneignungsprozesse. In räumlicher Hinsicht ist die ökologische Position ein Territorium wie ein Quartier oder eine Region. Die Raumaneignung findet als Invasion unterschiedlicher Ethnien oder Einkommensgruppen oder Dienstleistungen in ein Wohnquartier statt und verwendet Konzepte der Tier- und Pflanzenökologie wie Eindringen, Ersetzung oder Beherrschung, um die Phasen dieses Verdrängungsprozesses zu beschreiben. Sozialgeographische Theorien sind mit den sozialökologischen Konzepten verwandt, aber gehen über deren Makroperspektive hinaus, indem sie alters-, geschlechts- oder sozialgruppenspezifische Aktivitätsmuster untersuchen, die zu charakteristischen Mobilitäts- und Standortwahlmustern führen. Aktionsräumliche Analysen (z.B. Chapin, 1965; Chapin und Weiss, 1968) identifizierten die in Raumzeitprotokollen rekonstruierte Häufigkeit der Ausführung von Aktivitäten als Funktion der Entfernung zu anderen Aktivitäten und zogen daraus Schlüsse für die angemessenste Anordnung von Wohnungen, Arbeitsplätzen, Einzelhandelsund Erholungseinrichtungen und die beste räumliche Arbeitsteilung in Städten. Hägerstrand (1970) machte diese Ideen operational durch die Einführung von Zeitbudgets, innerhalb derer Individuen je nach ihrer sozialen Stellung, ihrem Einkommen und der ihnen zur Verfügung stehenden Technik (z.B. Autobesitz) im Rahmen von Restriktionen über Aktionsräume unterschiedlicher Größe und Dauer verfügen. Aktionsräume sind durch drei Arten von Restriktionen eingeschränkt: • Kapazitätsrestriktionen: persönliche, nichträumliche Restriktionen der Mobilität wie Geldbudgets, Zeitbudgets, Verfügbarkeit von Verkehrsmitteln und Fähigkeit, diese zu nutzen, • Koppelungsrestriktionen: Restriktionen der Verknüpfung von Aktivitäten durch Lage und Zeitpläne der Aktivitäten anderer Individuen, • Institutionelle Restriktionen: Restriktionen des Zugangs zu Einrichtungen durch öffentliche oder private Regulierungen wie Eigentum, Öffnungszeiten, Gebühren oder Preise. Nur Standorte innerhalb der Aktionsräume kommen für eine Nutzung in Frage. Es ist das Verdienst der Raum-Zeit-Geographie der Hägerstrand-Schule, auf die eingeschränkte Mobilität von Frauen mit Kindern und von älteren oder gebehinderten Personen aufmerksam gemacht zu haben, die ein auf die Bedürfnisse der Wohlhabenden und Mobilen ausgerichtetes Flächennutzungs- und Verkehrssystem mit sich bringt. Auf der Grundlage der Aktionsraumtheorie Hägerstrands hat Zahavi (1974; 1979; Zahavi u.a., 1981) die Hypothese aufgestellt, dass Individuen in ihrer täglichen Mobilität nicht, wie die konventionelle Theorie des Verkehrsverhaltens unterstellt, die zur Ausübung einer gegebenen Menge von Aktivitäten notwendigen Reisezeiten oder Reisekosten minimieren, son- 5 dern stattdessen die Aktivitäten oder Gelegenheiten, die im Rahmen ihrer Zeit- und Gelbudgets erreicht werden können, maximieren. Zahavi untersuchte Städte in der ganzen Welt und fand, dass die Zeit- und Geldbudgets für Mobilität innerhalb von Stadtregionen als Funktion von Alter, Einkommen und Wohnstandort variieren, aber im Mittel über die ganze Stadtregion relativ stabil sind. In den Industrieländern ist die mittlere Zeit, die eine Person täglich unterwegs ist, etwas mehr als eine Stunde, und die mittleren Verkehrsausgaben je Haushalt betragen etwa 15 Prozent des Haushaltseinkommens. Die Stabilität der Zeit- und Gelbudgets für Verkehr erklärt, warum in der Vergangenheit höhere Reisegeschwindigkeiten nicht zu Zeitersparnissen (wie es in Kosten-NutzenAnalysen von Verkehrsprojekten angenommen wird), sondern zu mehr und längeren Wegen führten. Die Theorie der Zeit- und Gelbudgets erlaubt es, darüber zu spekulieren, was geschehen würde, wenn Geschwindigkeit und Kosten des Verkehrs bewusst durch umweltorientierte Planungsmaßnahmen geändert würden. Beschleunigung und Kostenreduzierung würden zu mehr, schnelleren und längeren Wegen, Geschwindigkeitsbeschränkungen und höhere Verkehrskosten zu weniger, langsameren und kürzeren Wegen führen. Langfristig hätte dies Auswirkungen auf die Raumstruktur: längere Wege ermöglichen weiter zerstreute Standorte und ein höheres Maß an räumlicher Arbeitsteilung, kürzere Wege erfordern eine bessere räumliche Koordination der Standorte. Den Verkehr langsamer und teurer zu machen führt jedoch nicht notwendigerweise zu einer Rückkehr der Flächennutzungen in das historische Stadtzentrum. In vielen Stadtregionen ist die Bevölkerung bereits soweit dezentralisiert, das eine Dezentralisierung der Arbeitsplätze mehr zur Reduzierung der Wegelängen beitragen würde als eine Wiederkonzentrierung der Bevölkerung. 2.2 Wirkungszusammenhänge Die Tabellen 1 und 2 auf den folgenden Seiten fassen in knapper Form die bei Durchführung bestimmter Maßnahmen oder infolge veränderter Rahmenbedingungen oder anderer Veränderungen in den Bereichen Flächennutzung und Verkehr zu erwartenden Wirkungen zusammen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Maßnahmen auf lokaler, Landes- oder Bundesebene oder durch Beschlüsse der Europäischen Kommission beschlossen werden. Ebenso spielt es keine Rolle, ob die betrachteten Veränderungen durch politische Entscheidungen oder durch Veränderungen auf dem Weltmarkt – etwa im Bereich der Energiekosten – verursacht werden. Die Tabellen fassen die Ergebnisse von theoretischen Überlegungen und empirischen Untersuchungen zusammen. Tabelle 1 zeigt die Auswirkungen von Flächennutzungsmaßnahmen wie Verdichtung, Quartiersplanung, Standortplanung und Stadtgröße auf Verkehrsindikatoren wie Wegelänge, Wegehäufigkeit und Verkehrsmittelwahl. Tabelle 2 zeigt die Auswirklungen von Verkehrsmaßnahmen auf die Standortwahl von Haushalten und Unternehmen 6 Tabelle 1. Wirkungen Flächennutzung ►Verkehr Richtung Flächennutzung Ursachen Verteilung der Einwohner Zielgrößen Wegelänge Höhere Einwohnerdichte allein führt nicht zu kürzeren Wegen. Eine Mischung von Arbeitsplätzen und Wohnungen in einem Gebiet führt zu kürzeren Berufswegen. Wegehäufigkeit Häufigere kürzere Wege werden möglich. Verkehrsmittelwahl Wenn die Wege kürzer werden, werden mehr Rad- und Fußwege gemacht. Wegelänge Die Konzentration von Arbeitsplätzen in wenigen Zentren führt zu längeren Berufswegen. Eine Mischung von Arbeitsplätzen und Wohnungen in einem Gebiet führt zu kürzeren Berufswegen. Wegehäufigkeit Häufigere kurze Wege werden möglich. Verkehrsmittelwahl Die Konzentration von Arbeitsplätzen in wenigen Zentren reduziert die Benutzung des Pkw, wenn zugleich der öffentliche Nahverkehr verbessert wird. Wegelänge Attraktive öffentliche Räume und eine Vielfalt von Einzelhandels- und Dienstleistungsangeboten führen zu kürzeren Wegen. Wegehäufigkeit Häufigere kurze Wege werden möglich. . Verkehrsmittelwahl Mehr attraktive Fuß- und Fahrradwege führen zu mehr Fuß- und Fahrradverkehr. Wegelänge Mehr Wohnungen am Stadtrand führen zu längeren Wegen. Wegehäufigkeit Wenn Wege länger werden, können weniger Wege gemacht werden. Verkehrsmittelwahl Mehr Wohnungen am Stadtrand führen zu mehr Wegen mit dem Auto. Wegelänge Mehr Wohnungen und mehr Arbeitsplätze im Stadtzentrum führen zu kürzeren Wegen. Wegehäufigkeit Häufigere kurze Wege werden möglich. Verkehrsmittelwahl Mehr Wohnungen im Stadtzentrum führen zu weniger Wegen mit dem Auto. Wegelänge Die Nähe der Bahnhöfe und gute Verbindungen im ÖPNV führen zu längeren Wegen. Wegehäufigkeit Häufigere kurze Wege werden möglich. Verkehrsmittelwahl Die Nähe der Bahnhöfe und gute Verbindungen im ÖPNV führen zu mehr ÖPNV-Wegen. Wegelänge Telearbeit und Online-Einkaufen erlauben längere verbleibende Wege. Wegehäufigkeit Telearbeit und Online-Einkaufen führen zu weniger Berufs- und Einkaufswegen. Verkehrsmittelwahl Telearbeit und Online-Einkaufen erlauben mehr verbleibende Pkw-Fahrten. ▼ Verkehr Verteilung der Arbeitsplätze Städtebauliche Gestaltung Weitere Suburbanisierung Verdichtung in den Stadtzentren Verdichtung an Bahnhöfen (TOD) Internet Zu erwartende Wirkungen 7 Tabelle 2. Wirkungen Verkehr ►Flächennutzung Richtung Ursachen Verkehr Verbesserung der regionalen Erreichbarkeit ▼ Flächennutzung Zielgrößen Zu erwartende Wirkungen Wohnungen Standorte mit besserer Erreichbarkeit zu Arbeitsplätzen, Einkaufen, Ausbildung und Freizeit werden attraktiver für Wohnungsbau, haben höhere Bodenpreise und werden eher bebaut. Lokale Erreichbarkeitsverbesserungen verändern die Richtung der Stadtentwicklung, Erreichbarkeitsverbesserungen in der gesamten Stadtregion führen zu mehr Zersiedelung. Industrie Standorte mit besserer Erreichbarkeit zu Autobahnen und Güterbahnhöfen werden attraktiver für neue Industriebetriebe und werden eher bebaut. Lokale Erreichbarkeitsverbesserungen verändern die Richtung der Industriebauentwicklung. Büros Standorte mit besserer Erreichbarkeit zu Flughäfen, Autobahnen und Bahnhöfen mit Hochgeschwindigkeitsanschluss werden attraktiver für Büroneubauten und haben höhere Bodenpreise. Lokale Erreichbarkeitsverbesserungen verbessern die Richtung der Bürobauentwicklung. Einzelhandel Standorte mit besserer Erreichbarkeit zu Kunden und anderen Einzelhandels unternehmen werden attraktiver für Einzelhandelsentwicklung und haben höhere Bodenpreise. Lokale Erreichbarkeitsverbesserungen verändern die Richtung der Einzelhandelsentwicklung. Wenn es das Ziel ist, durch integrierte Flächennutzungs- und Verkehrsmaßnahmen energiesparsamere Stadtstrukturen zu erreichen, kann der Stand der Forschung folgendermaßen zusammengefasst werden: Maßnahmen zur Verdichtung von Flächennutzungen allein haben nur geringe Wirkung. Sie sind aber langfristig wichtig, da sie die Voraussetzung für weniger autoabhängige städtische Lebensweisen in der Zukunft schaffen. Verkehrsmaßnahmen, die den Autoverkehr teurer und langsamer machen, sind wirksamer als Maßnahmen, die den öffentlichen Nahverkehr attraktiver machen. Aber sie setzen eine nicht zu disperse räumliche Organisation voraus. Sowohl im Bereich der Flächennutzungsmaßnahmen als auch in Bereich der Verkehrsmaßnahmen sind negative Anreize ("Push"-Maßnahmen) wirksamer als positive Anreize ("Pull"-Maßnahmen). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Verkehrsmaßnahmen direkter und wirksamer sind als Flächennutzungsmaßnahmen, dass sie jedoch der Unterstützung durch begleitende Flächennutzungsmaßnahmen bedürfen. 8 2.3 Modelle der räumlichen Stadtentwicklung Die zunehmende Einsicht, dass Flächennutzungs- und Verkehrsplanung koordiniert werden müssten, führte bereits in den 1960er Jahren in den USA zur Entwicklung der ersten integrierten Flächennutzungs- und Verkehrsmodelle. Das Model of Metropolis von Lowry (1964) war der erste Versuch, den Regelkreis Flächennutzung und Verkehr in einem Modell zu operationalisieren. Das Modell besteht aus zwei ineinander verschachtelten Standortwahlmodellen für Wohnungen und Einzelhandels- und Dienstleistungseinrichtungen. Das Lowry-Modell stimulierte zahlreiche zunehmend komplexere Modellansätze in den USA (Goldner, 1971; Putman, 1983; 1991) und bald auch in Europa (Echenique, 1969; Wegener, 1982). Viele dieser frühen Modelle waren wegen Schwierigkeiten bei der Datenbeschaffung und Eichung und der noch unvollkommenen Computertechnik nicht erfolgreich. Wichtiger war jedoch, dass die Modelle auf Stadtwachstum und Effizienz des Verkehrssystems orientiert waren und zu den damaligen ethnischen und sozialen Konflikten der amerikanischen Städte nicht zu sagen hatten. Darüber hinaus waren die Modelle dem Ideal des "synoptischen Rationalismus" in der Planungstheorie verhaftet, welches zunehmend durch inkrementalistische, partizipationsorientierte Planungsformen ersetzt wurde. In seinem "Requiem for large-scale models" warf Lee (1973) den Modellen sieben Sünden vor: sie seien zu umfassend, zu grob, zu mechanisch, zu teuer, zu datenhungrig, zu kompliziert und überhaupt insgesamt verkehrt. Die Folge war, dass die Entwicklung der Modelle hauptsächlich in den Universitäten fortgeführt wurde. Aber das Requiem war verfrüht. Viele der technischen Probleme der Modelle wurden durch bessere Datenverfügbarkeit und schnellere Computer gelöst. Die räumliche und inhaltlich Auflösung der Modelle konnte erhöht werden, und sie konnten auf bessere Theorien wie Bodenmarkttheorie (bid-rent theory), Entscheidungstheorie (discrete choice theory) und die Theorie des Nutzergleichgewichts (user equilibrium) in Verkehrsnetzen begründet werden. Darüber hinaus machten bessere Visualisierungstechniken die Ergebnisse der Modelle für Bürger und Politiker verständlicher. So entstand eine neue Generation von Modellen, die Gesichtspunkten der sozialen Gerechtigkeit mehr Aufmerksamkeit schenkten. Die 1990er Jahre brachten einen weiteren Aufschwung in der Entwicklung der Stadtentwicklungsmodelle. Die neue Umweltgesetzgebung der USA verlangte, dass Städte, die Bundesmittel für Verkehrsinvestitionen beantragten, die Auswirkungen der geplanten Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen auf die Siedlungsentwicklung nachwiesen. Das hatte zur Folge, dass nahezu jede größere Stadtregion in den USA ein integriertes Flächennutzungs- und Verkehrsmodell unterhielt. In Europa finanzierte die Europäische Kommission ein großangelegtes Forschungsprogramm "Die Stadt von morgen", in dem in mehreren Forschungsprojekten integrierte Flächennutzungs- und Verkehrsmodelle entwickelt und angewendet wurden. Weltweit werden heute derartige Modelle in einer wachsenden Zahl von Stadtregionen angewendet: MEPLAN (Echenique u.a., 1969), IRPUD (Wegener, 1982; 2011), LILT (Mackett, 1983), TRANUS (de la Barra, 1989), IMREL (Anderstig und Mattsson, 1991), MUSSA (Martinez, 1992), RURBAN (Miyamoto und Udomsri, 1996), DELTA (Simmonds, 1999), UrbanSim (Waddell, 2002) und PECAS (Hunt und Abraham, 2003), Die ersten derartigen Modelle (TRANUS und UrbanSim) wurden als Open Source Software im Internet für jedermann verfügbar gemacht. 9 Noch jüngere Entwicklungen scheinen eine glänzende Zukunft für Modelle der räumlichen Stadtentwicklung zu eröffnen. Neue Entwicklungen in Datenverfügbarkeit durch geographische Informationssysteme (GIS) und Computertechnik (Parallelverarbeitung) haben frühere technische Grenzen beseitigt. Neue Entwicklungen in Theorie und Methode der Modellbildung wie aktivitätsorientierte und agentenbasierte Modelle haben die Bandbreite von Fragen, die untersucht werden können, erweitert. Eine weltweite Gemeinschaft von Modellentwicklern trifft sich regelmäßig auf Tagungen. Abbildung 2 zeigt die wichtigsten integrierten Flächennutzungs- und Verkehrsmodelle der letzten Jahrzehnte (Wegener, 2009): Abbildung 2. Stadtentwicklungsmodelle (Wegener, 2009, 77). In Deutschland gibt es zur Zeit nur drei einsatzfähige Modelle der Wechselwirkungen zwischen Flächennutzung und Verkehr: • die im Rahmen des BMBF-Leitprojekts intermobil Region Dresden entwickelte Simulation von Raum- und Verkehrsentwicklung (Rümenapp, 2005), • das im Rahmen des BMBF-Projekt €LAN (Energiepreisentwicklung und Landnutzung) entwickelte integrierte Landnutzungs- und Verkehrsmodell für den Großraum Hamburg (Bohnet und Gertz, 2011; Gertz und Peter, 2014). • das am Institut für Raumplanung der Universität Dortmund entwickelte Modell von Flächennutzung, Verkehr und Umwelt in Stadtregionen (IRPUD-Modell), das in diesem Projekt eingesetzt wird. Das in Wegener (2011) beschriebene IRPUD-Modell prognostiziert intraregionale Standortentscheidungen von Unternehmen, Wohnungsbauinvestoren und Haushalten, die aus ihnen resultierenden Wanderungen und Verkehrsströme, die Entwicklung der Bautätigkeit und Flächennutzung und die Wirkung öffentlicher Planungseingriffe in den Bereichen Wirtschaftsförderung, Wohnen, Infrastruktur und Verkehr. Das IRPUD-Modell wurde in verschiedenen Projekten für die Stadtregion Dortmund angewendet (Lautso u.a., 2004; Fiorello u.a., 2007; Spiekermann und Wegener, 2005, Beckmann u.a., 2007). 10 3. Energieverbrauch von Gebäuden Die Auswirkungen der Stadtstruktur auf Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen im Verkehr sind Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen und eine wichtige Komponente der meisten gegenwärtigen Stadtentwicklungsmodelle. Bisher vernachlässigt worden sind jedoch die Auswirkungen der Stadtstruktur auf den Energieverbrauch von Gebäuden, der mit rund 40 Prozent mehr als das Doppelte des Energieverbrauchs des Verkehrs ausmacht. Trotzdem hat die Verbindung zwischen Stadtstruktur und dem Energieverbrauch von Gebäuden weniger Beachtung gefunden hat als die Verbindung zwischen Siedlungsstruktur und Verkehr. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Verbindung zwischen Siedlungsstruktur und Energieverbrauch von einer Reihe von anderen Faktoren mitbestimmt wird, vor allem vom Lebensalter der Gebäude, den Haushaltseinkommen, Lebensstilen und dem Anteil von Einfamilienhäusern. Es gilt heute als weitgehend gesichert, dass zwischen dem Ausmaß der Zersiedlung in Regionen und dem Gesamtenergieverbrauch von Haushalten in ihnen ein enger Zusammenhang besteht (Kenworthy, 2003). Eine jüngere Studie von Glaeser und Kahn (2010) stellte eine starke negative Korrelation zwischen Treibhausgasemissionen und Flächennutzungsrestriktionen fest und berichtete, dass städtische Dichte mit niedrigeren Treibhausgasemissionen verbunden ist – sowohl beim Vergleich zwischen Stadtzentren und ihren Vororten als auch im Vergleich zwischen unterschiedlichen Stadtregionen. Ein Versuch den gesamten Energieverbrauch einer Stadtregion einschließlich des Energieverbrauchs von Gebäuden abzuschätzen, wurde von Larson u.a. (2012) unternommen. Sie berechneten den Energieverbrauch von Gebäuden als eine Funktion von Wohnfläche, Haushaltseinkommen, Energiepreisen, und Gebäudetyp, und fanden, dass Gebäudeeigenschaften wie Größe und Bauart die wichtigsten Erklärungsfaktoren für den Energieverbrauch der Haushalte waren. Ewing und Rong (2008) stellten am Beispiel US-amerikanischer Städte fest, dass Haushalte in freistehenden Einfamilienhäusern deutlich mehr Heizungsenergie verbrauchen als Haushalte in Mehrfamilienhäusern. Zu ähnlichen Ergebnissen kam die Studie von LSE Cities und EIFER (2014) am Beispiel von typischen Wohnquartieren in Paris, London, Berlin und Istanbul. Außer Gebäudetyp und -größe scheint auch das Baualter eine wichtige Bestimmungsgröße für den Energieverbrauch zu sein. Eine Studie der britischen NHBC Foundation (2012) zeigte, dass nach heutigen Standards gebaute Wohngebäude etwa 50 Prozent weniger Energie verbrauchen als vergleichbare Gebäude aus viktorianischer Zeit. Es wird erwartet, dass der Energieverbrauch von Wohngebäuden um weitere 50 Prozent sinken wird, wenn die Pläne der Regierung für zukünftige Baustandards verwirklich werden. Allerdings wurde auch beobachtet, dass die Marktdurchdringung energieeffizienter Techniken erheblich langsamer stattfindet, als allein nach Gesichtspunkten der Profitmaximierung zu erwarten wäre (Hausman, 1979; Train, 1985; Jaffe und Stavins, 1994; Howarth und Sanstad, 1995): Hinzu kommen Rebound-Effekte auf der Verbraucherseite, die dazu führen können, dass Verbesserungen in Energieeffizienz nicht zu einer Verringerung des Energieverbrauchs, sondern sogar zu einem Mehrverbrauch von Energie führen. 11 Empirische Daten über die energetische Sanierung von Gebäuden gibt es bisher nur wenige. Es gibt Daten über die Kosten und Energieeinsparungen verschiedener Maßnahmen wie Wärmedämmung, neue Fenster, oder ein neues Heizungssystem. Aber es gibt nur wenig Informationen über die Bereitschaft der Gebäudeeigentümer, Grundstückeigentümer und Wohnungsgesellschaften, unter unterschiedlichen Marktbedingungen, Energiepreisen, Energiestandards und Förderungsbestimmungen in energetische Sanierungen zu investieren. In Deutschland hat die Deutsche Energieagentur auf der Grundlage einer großen Zahl energetisch sanierter Gebäude Daten über die Kosten energetischer Sanierungen und die damit erzielten Energieeinsparungen gesammelt (dena, 2010; 2011). Ähnliche Daten aus mehreren Studien wurden vom Kölner Institut für Wirtschaftsforschung zusammengetragen (IW, 2012). Die Analyse der Daten zeigte die Schwierigkeit, energetische Sanierungen von normalen Unterhaltungssanierungen oder Modernisierungen zu trennen. Simons (2012) fasste die Daten aus mehreren Studien zusammen und kam zu dem Schluss, dass aufgrund der noch immer niedrigen Energiepreise energetische Sanierungen ohne massive öffentliche Subventionen nicht wirtschaftlich sind. Das Fraunhofer Institut für Bauphysik veröffentlichte das Diagramm in Abbildung 3, in dem die Entwicklung der Energiestandards für Wohngebäude und die Energieeffizienz der tatsächlich gebauten Wohngebäude seit 1980 mit der Energieeffizienz verglichen wird, die theoretisch erreicht werden könnte (Erhorn u.a., 2010). Die stufenweise absteigenden Linien im oberen Teil des Diagramms zeigen die bereits realisierten und für die Zukunft geplanten Energiestandards der Wärmeschutzverordnung (WSVO) und der Energieeinsparverordnung (EnEV) der Bundesregierung. Abbildung 3. Energiestandards und Baupraxis in Deutschland (Erhorn u.a., 2010, 3) (Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Verfasser) 12 Trotz der wachsenden Interesses für die Energieeffizienz von Gebäuden sind Daten über den Umfang tatsächlich durchgeführter energetischer Sanierungen noch immer sehr fragmentarisch. Es gibt weder räumlich hochaufgelöste Erhebungen über die Energieeffizienz des Gebäudebestands, noch Daten über die Akzeptanz unterschiedlicher Politikmaßnahmen zur Förderung energetischer Sanierungen. Zudem gibt es erhebliche öffentliche Debatten über Außenwanddämmungen von Gebäuden mit für das Stadtbild wertvollen historischen Fassaden. Das macht es schwer, Modelle des Gebäudeeigentümerverhaltens auf der Grundlage mikroökonomischer Theorien statistisch zu eichen. Dennoch wurden am Wuppertal Institut Modelle zur Bilanzierung des Energieverbrauchs von Wohn- und Nichtwohngebäuden entwickelt (Hanke u.a., 2010; Hamann, 2014). Die in der folgenden Tabelle 3 angenommenen Wirkungen von Maßnahmen zur Erzielung von Energieeinsparungen im Gebäudebereich beruhen deshalb auf einem stark vereinfachten Modell, das im Wesentlichen auf der Annahme beruht, dass vor allem die Länge der Amortisationszeit, das heißt, die Zeit, in der die Investitionskosten der energetischen Sanierung durch Energiekosteneinsparungen zurückgewonnen werden, die Bereitschaft der Grundstückseigentümer zur energetischen Sanierung bestimmt (Fuerst und Wegener, 2014). Die Auswahl der Maßnahmen orientiert sich an Simons (2012). Tabelle 3. Wirkungen Gebäude Richtung Gebäude Ursachen Investitionssubvention Zielgröße Energetische Sanierungen Zu erwartende Wirkungen Subventionierung der Investitionskosten von energetischen Sanierungen ist nur wirksam, wenn sie deren Amortisationszeit deutlich verkürzt. Ordnungsrecht Die Rechtslage für obligatorische energetische Sanierungen nach EnEV ist strittig. Subvention von Vorsparen Subventionierung von Rücklagen für spätere energetische Sanierungen würde nur langfristig wirken. Verschärfung der EnEV Eine Erhöhung der Energiestandards der EnEV würde energetische Sanierungen teurer machen und damit ihre Amortisationszeit verlängern und ihre Wahrscheinlichkeit verringern. Entwicklung Energiepreise Höhere Energiepreise verkürzen die Amortisationszeit und erhöhen somit die Wahrscheinlichkeit energetischer Sanierungen. Erhöhung Ökosteuer Eine Erhöhung der Steuer auf fossile Energien würde die Amortisationszeit energetischer Sanierungen verkürzen und damit ihre Wahrscheinlichkeit erhöhen. Kostensenkung Förderung von Forschung und Entwicklung zur Kostensenkungen bei Bauarbeiten und Geräten könnte die Amortisationszeit energetischer Sanierungen verkürzen und damit ihre Wahrscheinlichkeit erhöhen. 13 4. Energieverbrauch des Stadtverkehrs Es gibt inzwischen umfangreiche Daten und Literatur über beobachtete Trends des Energieverbrauchs und mögliche Maßnahmen zur Energieeinsparung im Verkehr. Die Verkehrsleistung, d.h. die beförderten Personen oder Güter multipliziert mit der Entfernung, ist in den vergangenen Jahrzehnten in der Bundesrepublik Deutschland wie in nahezu allen Staaten der Welt kontinuierlich gestiegen. Im Personenverkehr werden jährlich nunmehr etwa 1,2 Billionen Personenkilometer zurückgelegt, dies ist eine Steigerung von etwa 25 Prozent in den letzten zwanzig Jahren (dena, 2012). Etwa drei Viertel der Personenkilometer werden im motorisierten Individualverkehr zurückgelegt, der öffentliche Personenverkehr hat einen Anteil von fast 14 Prozent, Fußgänger und Radfahrer haben einen Anteil von fast sechs Prozent, und der Luftverkehr hat einen Anteil von fünf Prozent der Personenverkehrsleistung. Beim hier nicht betrachteten Güterverkehr ist die Verkehrsleistung in den letzten Jahren sogar um 50 Prozent angestiegen, das Wachstum wurde allerdings durch die Wirtschaftskrise kurzzeitig unterbrochen. Ein wesentlicher Grund für die steigende Personenverkehrsleistung ist zunächst einmal die Entwicklung der Siedlungsstruktur mit einem räumlichen Auseinanderfallen der verschiedenen Aktivitätsstandorte der Bevölkerung bei gleichzeitiger Vergrößerung der Zieleinrichtungen (z.B. Verron u.a., 2005; Holzapfel, 2012). Dies führte bei kaum veränderter Anzahl Wege je Person und Tag zu längeren Wegen, die vermehrt mit dem Pkw zurückgelegt werden. Ein weiterer Grund ist der steigende Wohlstand der Bevölkerung bei gleichzeitig jahrzehntelangem unterdurchschnittlichem Anstieg der Verkehrskosten, insbesondere der Treibstoffkosten. Erst seit der Jahrtausendwende sind die Preise für den Betrieb eines Kraftfahrzeugs und den öffentlichen Verkehr stärker gestiegen als die Verbraucherpreise allgemein (DESTATIS, 2013). Mit dem wachsenden Wohlstand ging gleichzeitig eine ständige Steigerung der Pkw-Verfügbarkeit einher. So ist in den letzten 20 Jahren der Bestand an Pkw in der Bundesrepublik jedes Jahr gegenüber dem Vorjahr gewachsen, ungeachtet der wirtschaftlichen Entwicklung. In den letzten fünf Jahren lag die jährliche Wachstumsrate des Pkw-Bestandes stets zwischen 1,0 und 1,5 Prozent (DESTATIS, 2014). Bei einem Bestand von jetzt etwa 44 Millionen Pkw werden jährlich etwa 3 Millionen neue Pkw zugelassen. Der Energieverbrauch des Verkehrssektors hat seit 1990 um fast 200 Petajoule (PJ) auf etwa 2.600 PJ zugenommen. Der Anteil am gesamten Endenergieverbrauch erhöhte sich von 25 Prozent im Jahr 1990 auf etwa 30 Prozent im Jahr 2011 (BMWi, 2013). Allerdings war schon im Jahr 1999 der höchste Energieverbrauch im Verkehrssektor zu verzeichnen, seitdem ging der Energieverbrauch trotz weiterer Steigerung der Verkehrsleistung wieder zurück. Zwischen 2005 und 2012 betrug die Verringerung des Endenergieverbrauchs im gesamten Verkehrssektor 0,6 Prozent, wobei der Energiebedarf im Straßenverkehr um 2 Prozent und im Schienenverkehr um 4,6 Prozent abnahm, dagegen in der Küsten- und Binnenschifffahrt um 2 Prozent und im Luftverkehr sogar um 8 Prozent zunahm (BMWi, 2014). Am Primärenergieverbrauch des Personenverkehrs im Jahr 2010 lag der Anteil des Straßenverkehrs bei 81,8 Prozent, der des Flugverkehrs bei 13,4 Prozent und der des Schienenverkehrs bei 4,8 Prozent (UBA, 2014). 14 Die Entkopplung von Verkehrsleistung und Energieverbrauch wird der Effizienzsteigerung im Verkehrssektor zugeschrieben, also dem zurückgehenden Energieverbrauch je Personenoder Tonnenkilometer (BMWi, 2013). Im motorisierten Individualverkehr wurde dies durch den graduellen Austausch der Fahrzeugflotte bewirkt. Aufgrund verbesserter Motoren, einem höheren Anteil an energieeffizienteren Dieselfahrzeugen und einem größeren Anteil an Kleinwagen verbrauchen heute neu zugelassene Pkw und Kombis im Durchschnitt etwa weniger als 6 Liter Kraftstoff je 100 km, während es Ende der 1990er Jahre noch etwa 8 Liter waren (BMWi, 2014). Energieeffizienzsteigerungen gab es auch bei den Verkehrsmitteln des öffentlichen Verkehrs, bei deutlich geringerem spezifischem Energieverbrauch waren diese jedoch geringer als beim Pkw (Abbildung 4). Abbildung 4. Spezifischer Endenergieverbrauch ausgewählter Verkehrsträger im Personenverkehr, 1990-2010 (dena, 2012, 40, modifiziert) Die Energieeffizienzsteigerung bei Neuzulassungen von Pkw ist in Abbildung 5 differenziert nach Teilsegmenten des Fahrzeugmarkts anhand der spezifischen CO2-Emissionen dargestellt. Diese gingen zwischen 2007 und 2012 im Durchschnitt um 14 Prozent zurück. Minis und Kleinwagen haben die geringsten CO2-Emissionen von 112 bzw. 128 g/km; die Oberklasse mit 202 g/km, Nutzfahrzeuge bis 3,5 t Gewicht mit 180 g/km und Geländewagen mit 175 g/km haben die höchsten. Die Bilanz von Energieeffizienz und CO2-Emissionen der Neufahrzeuge wäre ohne die Verschiebungen zwischen den Marktsegmenten besser. Während nahezu alle Fahrzeugklassen leichte Rückgänge bei den Neuzulassungen hatten, stieg die Zahlen der effizienten Minis leicht und die der Geländewagen sehr stark an – deren Bestand erhöhte sich in den letzten fünf Jahren um insgesamt 74 Prozent auf 2,1 Millionen Fahrzeuge (DESTATIS, 2013). Die Zahl neu zugelassener Fahrzeugen mit alternativen Antriebsarten (Flüssiggas, Erdgas, Hybrid, Elektro) ist im Jahr 2013 mit etwa 46.000 Fahrzeugen und einem Marktanteil von 1.6 Prozent noch sehr gering (KBA, 2014). 15 Abbildung 5. Pkw-Neuzulassungen und deren CO2-Emissionen nach Teilsegmenten des Fahrzeugmarkts 2007 und 2011 (dena, 2012, 16). Zudem gibt es Forschungsstudien, die das Verhalten der Verkehrsteilnehmer allgemein, d.h. in Bezug auf alle Verkehrsarten, in Verfolgung ihrer Bedürfnisse und Präferenzen und unter Berücksichtigung von Restriktionen wie Zeit- und Geldbudgets (siehe Abschnitt 2.1.3) untersuchen. Tabelle 4 gibt einen Überblick über die aus diesen Theorieansätzen und empirischen Untersuchungen abgeleiteten Wirkungen möglicher Maßnahmen. Einen umfassenden Überblick gibt Litman (2013). Das gemeinsame Fazit dieser verkehrsartübergreifenden theoretischen und empirischen Untersuchungen ist, ähnlich wie bei den Wechselwirkungen zwischen Flächennutzung und Verkehr (siehe Abschnitt 2.2), dass negative Anreize ("Push"-Maßnahmen) wirksamer sind als positive Anreize ("Pull"-Maßnahmen). Deutlich wird auch, dass Maßnahmen, die der Energieeinsparung dienen, wie etwa die Förderung energiesparsamerer Autos, zugleich Anreize zu mehr weil billigeren Autofahrten oder großformatigeren Pkw, Geländewagen (SUV) oder Mini-Vans bieten, deren höherer Treibstoffverbrauch möglicherweise die Energieeinsparungen durch höhere Energieeffizienz übertrifft. Die Abbildung dieses Rebound-Effekts ist eine Voraussetzung für die Modellierung des Energieverbrauchs im Stadtverkehr. Neben diesen verkehrsartübergreifenden Theorieansätzen gibt es zahlreiche Forschungsarbeiten, die sich mit den Potentialen einzelner Verkehrsarten für die Energieeinsparung im Stadtverkehr befassen. Aus der Sicht des Energiewendeprojekts sind vor allem neue oder sich herausbildende Verkehrsarten, die zur Energieeinsparung im Verkehr beitragen könnte, von Interesse. Deshalb werden in den folgenden drei Abschnitten Car-sharing, Elektromobilität und Radverkehr genauer betrachtet. 16 Tabelle 4. Wirkungen Verkehr Richtung Verkehr Ursachen Verbesserung der regionalen Erreichbarkeit Verkehrskosten Reisezeit Energieeffizienz Zielgrößen Zu erwartende Wirkungen Wegelänge Standorte mit guter Erreichbarkeit zu vielen Zielen erzeugen längere Wege. Wegehäufigkeit Standorte mit guter Erreichbarkeit zu vielen Zielen erzeugen mehr Wege. Verkehrsmittelwahl Standorte mit guter Erreichbarkeit mit dem Auto erzeugen mehr Autofahrten. Standorte mit guter Erreichbarkeit mit dem ÖPNV erzeugen mehr ÖPNV-Fahrten. Wegelänge Steigende Verkehrskosten führen zu kürzeren Wegen, sinkende Verkehrskosten zu längeren Wegen. Wegehäufigkeit Steigende Verkehrskosten führen zu weniger Wegen, sinkende Verkehrskosten zu mehr Wegen. Verkehrsmittelwahl Steigende Pkw-Kosten führen zu weniger und kürzeren Wegen mit dem Pkw und mehr Wegen zu Fuß, mit dem Rad oder dem ÖPNV. Wegelänge Längere Reisezeiten führen zu kürzeren Wegen, kürzere Reisezeiten zu längeren Wegen. Wegehäufigkeit Längere Reisezeiten führen zu weniger Wegen, kürzere Reisezeiten zu mehr Wegen. Verkehrsmittelwahl Längere Pkw-Reisezeiten führen zu weniger Pkw-Fahrten, kürzere Pkw-Reisezeiten zu mehr Pkw-Fahrten. Wegelänge Energiesparsamere Pkw ermöglichen bei gleichen Kosten längere Pkw-Fahrten. Wegehäufigkeit Energiesparsamere Pkw ermöglichen bei gleichen Kosten mehr Pkw-Fahrten. Verkehrsmittelwahl Energiesparsamere Pkw ermöglichen bei gleichen Kosten mehr Pkw-Fahrten. 4.1 Car-sharing Car-sharing ist die Nutzung von Autos, die einem nicht oder nicht allein gehören. Die Carsharing-Systeme entstanden aus zwei Quellen, einerseits aus seit langem bestehenden Autovermietungsunternehmen wie Hertz, Sixt oder europcar, andererseits aus zivilgesellschaftlich-genossenschaftlichen Initiativen, in denen Gruppen sich die Nutzung gemeinsam unterhaltener Autos teilten. Heute ist Car-sharing vor allem in Großstädten ein schnell wachsender Markt von Unternehmen wie car2go, CiteeCar oder Flinkster, die ohne feste Stationen Fahrzeuge an Mobiltelefonbenutzer vermieten. 17 Das Wachstum des Car-sharing-Markts ist enorm. Nach einer Studie der Beratung Frost & Sullivan (Briggs, 2014) gab es Ende 2011 in Europa 700.000 Car-sharing-Kunden. Im Jahre 2020 werden es nahezu 15 Millionen Nutzer sein, und die Zahl der Fahrzeuge wird sich auf 240.000 mehr als verzehnfachen. Stationsloses Car-sharing ist bisher auf die Kernzonen der Großstädte beschränkt. Da die Nutzer die von ihnen genutzten Fahrzeuge nicht zum Ausgangsort zurückbringen müssen, sondern sie an ihrem Zielort abstellen dürfen, müssen die Zielorte eine gewisse Dichte aufweisen, um die notwendige Wahrscheinlichkeit zu bieten, Ausgangsorte für andere Fahrten zu werden. Daraus entsteht ein gewisser Systemdualismus: Während die unternehmerisch orientierten Car-sharing-Unternehmen vor allem in den großen Städten operieren, sind die zivilgesellschaftlich Selbsthilfeorganisationen vor allem in kleineren Städten und Gemeinden aktiv (Wilke u.a., 2007). Die Auswirkungen des Car-sharing auf die Umwelt sind umstritten. Die Befürworter des Carsharing weisen darauf hin, dass die im Car-sharing angebotenen Pkw in der Regel kleiner und energiesparsamer sind als die vor allem für längere Fahrten gekauften Pkw im Eigenbesitz, so dass ein geringerer Energieverbrauch je gefahrenen Car-sharing-Kilometer entsteht (Loose, 2009). Andererseits sind sich alle Studien darin einig, dass das stationslose Carsharing sowohl bei Haushalten mit eigenem Auto als auch besonders bei autolosen Haushalten zu mehr Pkw-Fahrten führt, die ohne Car-sharing zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem öffentlichen Personenverkehr durchgeführt oder ganz unterlassen worden wären (Cervero, 2002). Das stationslose Car-sharing kommt damit dem eigenen Autobesitz sehr nahe (Wilke u.a., 2007). Cervero und Tsai (2004) berichten allerdings, dass langjähre Car-sharing-Nutzer in San Francisco die Zahl ihrer Autofahrten über die Zeit reduzierten. Auch andere Studien bewerten den ökologischen Gesamteffekt des Car-sharing positiv, wobei etwa ein Drittel der Einsparungen auf den Basiseffekt jüngerer und kleinerer Autos zurückzuführen sei (Wilke u.a., 2007; Martin u.a., 2010). In einer Umfrage über die ökologischen Auswirkungen von fünf Jahren car2go in Ulm gab ein Viertel der Befragten an, dass sie auf den Kauf eines Autos verzichten würden, wenn car2go auf Dauer angeboten würde (Fimkorn und Müller, 2007). Jeder Car-sharing-Pkw ersetzt zwischen 4 bis 8 (Gosssen und Scholl, 2011) und 9 bis 13 (Martin u.a., 2010) Pkw im Eigenbesitz. Das könnte den Pkw-Besitz in Städten und damit den Parkplatzbedarf wesentlich reduzieren, und die freiwerdenden Flächen könnten für Grünflächen und Radwege genutzt werden. Allerdings wird auch berichtet, dass in Städten mit reger Car-sharing-Nutzung die so freigewordenen Parkplätze sofort von anderen Fahrzeugen belegt werden. Für den Carsharing-Nutzer bleibt das Problem der Parkplatzsuche am Zielort unverändert bestehen. Bei der Bewertung des Beitrag des Car-sharing zur Energiewende kommt es deshalb darauf an, ob die Einsparungen durch kleinere und energiesparsamere Pkw größer sind als der Mehrverbrauch von Energie durch zusätzlich induzierte Pkw-Fahrten, die ohne Car-sharing gar nicht oder zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem öffentlichen Personennahverkehr stattfinden würden. Da der Unterschied im Energieverbrauch zwischen den im Car-sharing angebotenen Pkw und den Pkw im Eigenbesitz eher abnehmen dürfte, ist anzunehmen, dass die Pkw-Fahrten stimulierende Wirkung des Car-sharing in der Zukunft überwiegt. 18 Diese Einschätzung bestimmt auch die Abschätzung der Wirkung möglicher Maßnahmen in der folgenden Tabelle 5: Tabelle 5. Wirkungen Car-sharing Richtung Verkehr Ursachen Subvention Car-sharing Parkplätze Car-sharing Zielgrößen Zu erwartende Wirkungen Wegelänge Keine erhebliche Wirkungen. Wegehäufigkeit Geringere Car-sharing-Gebühren führen zu mehr Car-sharing-Fahrten. Verkehrsmittelwahl Geringere Car-sharing-Gebühren führen zu mehr Pkw-Fahrten und weniger Fuß-, Radund ÖPNV-Wegen. Wegelänge Keine erheblichen Wirkungen. Wegehäufigkeit Mehr Parkplätze für Car-sharing führen zu mehr Car-sharing-Fahrten in die Innenstädte zu Lasten anderer Pkw-Fahrten. Verkehrsmittelwahl Mehr Parkplätze für Car-sharing führen zu mehr Pkw-Fahrten und weniger Fuß-, Radund ÖPNV-Wegen. 4.2 Elektromobilität Elektromobilität ist die Nutzung von Elektrofahrzeugen zur Erfüllung der unterschiedlichen individuellen Mobilitätsbedürfnisse. Sie umfasst alle Fahrzeuge, die mit elektrischem Strom betrieben werden (Elektrofahrzeuge). Die Elektromobilität gilt als essentieller Faktor einer sektorübergreifenden, umfassenden Energiewende. Ihr Potential für den Klimaschutz entfalten Elektrofahrzeuge nur bei der Verwendung von Strom aus regenerativen Energiequellen. (vgl. Hohenberger und Mühlenhoff, 2014). Außerdem weisen Elektrofahrzeuge einen höheren Wirkungsgrad (z.B. Wirkungsgrad des Tesla Roadsters 88 Prozent) im Vergleich zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren (bis 40 Prozent) auf. Diese guten Wirkungsgrade werden auch durch die Rekuperation, das Zurückspeisen von Energie bei Verzögerungsvorgängen, unterstützt. "Zudem können die Fahrzeuge als mobile Speicher dienen, um Strom aus erneuerbarer Energie zu speichern. Mittelfristig ist auch eine Rückspeisung des Stroms in das Netz denkbar. Elektrofahrzeuge können so in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Netzstabilität leisten. Elektromobilität ist damit ein zentrales Handlungsfeld für eine neuausgerichtete Energiepolitik.“ (BMWT, 2011, 5). Die Nationale Plattform Elektromobilität (NPE) teilt Elektrofahrzeuge wie folgt ein: Plug-inHybrids, Elektrofahrzeuge mit Reichweiteausdehnung, batteriebetriebene Fahrzeuge und Brennstoffzellenfahrzeuge (siehe Abbildung 6): 19 Abbildung 6. Übersicht der Antriebstechnologien (NPE, 2012, 7) Elektrofahrzeuge sind technisch durch folgende Rahmenbedingungen gekennzeichnet: • • • • • • Treibstoffe: fossil, biologisch, elektrisch (in unterschiedlichen Anteilen) Batteriekapazität, -leistung und -gewicht Günstiger Wirkungsgrad Definierte Reichweite und Höchstgeschwindigkeit Fähigkeit zur Rekuperation Lademöglichkeiten Die Hoffnung, dass die Automobilindustrie den besonderen Systemanforderungen der Antriebe mit Elektromotoren und der Speicherung der Energie in Batterien durch neue und abgestimmte Fahrzeugkonstruktionen entsprechen würde, konnte bisher nur zum Teil erfüllt werden. Lediglich Fahrzeuge wie der BMW i3, der Renault Twizzy oder die Technikkonzeptionen von Tesla stellen völlig neu konzipierte Fahrzeugkonzepte dar, die den Rahmenbedingungen der Elektroantriebe durch konstruktiv adäquate Lösungen entsprechen. Damit wird das Elektroauto häufig zum in Preis und Performance schlechteren und in Umwelteffekten besseren Fahrzeug. Die Chancen zur Nutzung von Elektrofahrzeugen für völlig neuer Mobilitätskonzepte werden bisher lediglich mit dem Elektrofahrrad/Pedelec, in der Nutzung des Segways für Sondereinsätze (Fremdenführungen, Polizei und in Großeinrichtungen) und in den Flotten von stationslosen Car-Sharing-Angeboten der Automobilhersteller (siehe Abschnitt 4.1) in größerem Umfang genutzt. Die Bundesregierung hat in ihrem Regierungsprogramm im Mai 2011 die Elektromobilität als wichtiges Element einer klimagerechten Energie- und Verkehrspolitik definiert und die „Nationale Plattform Elektromobilität“ (NPE) ins Leben gerufenen, um den sogenannten „Markthochlauf“ der Elektromobilität zu unterstützen und Deutschland als "Leitanbieter Elektromobilität“ bis 2020 durch die Förderung von Forschung und Entwicklung mit Innovationen im Bereich Fahrzeuge, Antriebe und Komponenten sowie der Einbindung der Fahrzeuge in die Strom- und Verkehrsnetze zu etablieren. (vgl. BMWT, 2011, 7 und NPE, 2012, 6) 20 Inzwischen gerät in Fachkreisen der Stadtentwicklungs- und Verkehrsplanung die stark auf Autotechnologie und Einzelfragen zentrierte und wenig integrierende Betrachtung der diversen Forschungsprogramme zur Elektromobilität zunehmend in die Kritik. Einen Überblick über die diversen Projekte zur Elektromobilität liefert BMUB (2014a). Es fehlt ein umfassender Begriff von Elektrofahrzeugen, der den Bogen vom elektrischen Rollstuhl über Elektrofahrräder, Elektro-Scooter, E-Autos und E-Lieferfahrzeuge bis hin zum E-ÖV mit Elektrobussen und elektrisch betriebenen Bahnen spannt. Und es fehlt die Integration dieses Spektrums an Fahrzeugen in eine inter- und multimodale Gesamtmobilitätsstrategie einer nachhaltigen Stadt- und Verkehrsentwicklungsplanung (Sustainable Urban Mobility Plan, SUMP). Zu den Marktpotentialen der Elektromobilität existieren eine Reihe von Untersuchungen (Hacker u.a., 2011, Engelen, 2014, Plötz u.a., 2013). Deren Ergebnisse werden stark von den unterstellten Rahmenbedingungen geprägt und sie gehen nicht über 2030 hinaus. Die weitere Entwicklung der Elektromobilität ist von einer Reihe von Rahmenbedingungen abhängig: • von verkehrspolitischen Maßnahmen der Europäischen Union wie z.B. zum Emissionshandel und zu den Flottenverbräuchen oder der Bundesregierung wie z.B. das Elektromobilitätsgesetz zur Definition der Sonderrechte für Elektroautos (BMUB, 2014b), • von der Entwicklung der Energiepreise und Steuern, • von der Fähigkeit der Fahrzeughersteller zu innovativen Konzepten, • und von der Bereitschaft der Stadt- und Verkehrsplaner zu deren Integration in neue Verkehrskonzepte, • vom Aufbau der Ladeinfrastruktur und der Einigung auf diverse Standards auf internationaler Ebene. Abbildung 7 zeigt das System Elektromobilität mit seinen Subsystemen Fahrzeugkonzepte, Fahrzeugarten, Energiebereitstellung, Reichweite und Marktdurchdringung. Abbildung 7. Das System Elektromobilität und seine Bausteine 21 Eine Modellierung des Beitrags der Elektromobilität zur Energiewende müsste im Prinzip alle Dimensionen dieser Subsysteme erfassen. Es gibt jedoch bisher nur wenige Beispiele für eine umfassende Modellierung der Marktdurchdringung der Elektromobilität in Städten. Ein Beispiel ist die mit dem aktivitätsorientierten Verkehrsmodell MATSim für die Stadt Zürich durchgeführte Simulation der Elektromobilität unter Berücksichtigung unterschiedlicher Szenarien der Ladeinfrastruktur (Galus u.a., 2013). In den bisherigen Anwendungen städtischer Flächennutzungs- und Verkehrsmodelle (z.B. Fiorello u.a., 2006) sind die Annahmen über den Anteil alternativer Antriebsformen in der Regel exogen. Die Herausforderung besteht daher darin, die für die Energiewende relevanten Parameter des Systems Elektromobilität zu isolieren und mit Werten aus Untersuchungen zu hinterlegen. Tabelle 6 fasst die zu erwartenden Wirkungen der zur Förderung der Elektromobilität möglichen Maßnahmen zusammen: Tabelle 6. Wirkungen Elektromobilität Richtung Elektromobilität Ursachen Zu erwartende Wirkungen Subventionen: - Subvention beim Kauf - Verzicht auf MWSt. - Befreiung KFz-Steuer - Keine Mineralölsteuer - Kostenlose Energie Verkehrsmittelwahl Erhöhung des Anteils an Elektrofahrzeugen bei der Beschaffung von Neuwagen. Erhöhung der Ladekapazität Wegelänge Verlängerung der Reichweiten von Elektrofahrzeugen. Quellen und Ziele von Fahrten mit Elektromobilen lassen sich darüber steuern. Wegehäufigkeit Längere Wege werden möglich. Verkehrsmittelwahl Erhöhung des Anteils an Elektrofahrzeugen bei der Beschaffung von Neuwagen. Wegelänge Elektrofahrzeuge werden als Citymobile für kurze Fahrten attraktiv. Wegehäufigkeit Innenstädte werden von (schweren/großen) Verbrennungskraftfahrzeugen befreit. Verkehrsmittelwahl Erhöhung des Anteils an Elektrofahrzeugen bei der Beschaffung von Neuwagen. Wegelänge Quellen und Ziele von Fahrten mit Elektromobilen lassen sich darüber steuern Wegehäufigkeit Elektrofahrzeuge werden häufiger genutzt Verkehrsmittelwahl Elektrofahrzeuge werden attraktiv. Wegelänge Das Elektroauto wird für Berufspendler attraktiv. Wegehäufigkeit Das Elektrofahrzeug wird häufiger genutzt. Verkehrsmittelwahl Elektrofahrzeuge werden attraktiv. Umweltzone für Elektrofahrzeuge (ggf. in Verbindung mit Gewichtsbeschränkungen) Parkplätze für Elektrofahrzeuge Mitnutzung von Busspuren 22 Zielgrößen 4.3 Radverkehr Die grundsätzliche Entwicklung des Fahrrads war im Prinzip Anfang des 20.Jahrhunderts (mit der ersten Nabenschaltung) abgeschlossen, und das Fahrrad wurde sowohl als Sportgerät als auch praktisches Verkehrsmittel akzeptiert. Hersteller investierten bis Anfang der 90er Jahre in die technische Verbesserung von Bremsen und Schaltungen. Neue Sportarten (Mountainbike und Triathlon) führen seit Anfang des 21.Jahrhunderts zur Verwendung von Aluminium, Titan und Carbon als alternative leichtere Rahmenwerkstoffe, ergänzt durch Vollfederungen oder elektronische Bauteile im Schaltungs- und Dämpfungssystem. Ursprünglich zur Unterstützung mobilitätseingeschränkter Personen entwickelte Elektrofahrzeuge haben sich als Elektrofahrräder etabliert (Wachotsch u.a., 2014). Beide Trends haben zur Folge, dass neue Nutzergruppen erschlossen wurden, Fahrräder als moderne Verkehrsmittel akzeptiert sind und Fahrradfahren leichter, sicherer und komfortabler geworden ist. Stärker als andere Verkehrsarten bedingt die Akzeptanz des Radverkehrs das optimale Zusammenspiel aller wesentlichen Randbedingungen: • • • • Nutzer und Fahrrad, Radfahren und (verkehrssichere) Radwegeorganisation Radverkehrsführung und Abstellanlagen, Fahrradnetz und Stadtstruktur. Während in ebenen oder touristisch geprägten Regionen frühzeitig mit dem Ausbau von Radwegen und Abstellanlagen begonnen wurde, haben topographisch ungünstigere Landesteile hier noch erhebliche Defizite, vgl. das aktuelle Projekt: “Radverkehrsförderung in Städten mit Höhenunterschieden” der TU Dortmund (VPL, 2014). Die Flexibilität des Radverkehrs erlaubt es schließlich, die Netze des motorisierten Verkehrs zu nutzen. Parallel dazu hat die Bewegung "fahrradfreundliche Stadt“ in Verbindung mit einer umfangreichen Radewegeforschung Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre (z.B. Angenendt u.a., 1993) zu einem umfangreichen Ausbau von Radwegen in Innenstädten geführt. Neben dem grundsätzlichen Aufbau von geschlossenen und beschilderten Radwegenetzen mit eigens geplanter Verkehrsführung spielt zunehmend auch eine hierarchische Struktur der Radwegenetze eine Rolle (überregional, regional, nahräumig). Bestandteil des regionalen bzw. überregionalen Radwegenetzes sind auch die Radschnellwege, die schnelle Verbindungen möglichst kreuzungsfrei auf stark nachgefragten Relationen anbieten sollen wie sie die Machbarkeitsstudie Radschnellweg Ruhr (RVR, 2014) oder der Landeswettbewerb Radschnellwege des Ministeriums für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (MBWSV, 2013) vorsehen. Als Methodik der Radverkehrsführung haben sich • • • • Schutzstreifen/Angebotstreifen, Mehrzweckstreifen, Radfahrstreifen, getrennter oder kombinierter Rad/Gehweg bzw. Gehweg/Radfahrer frei etabliert. 23 Bisher fehlt eine Systematisierung der Dimensionierung für Radverkehrsführungen in Abhängigkeit vom Radverkehrsaufkommen. Zu Radschnellwegen liegen außer der erwähnten Machbarkeitsstudie Radschnellweg Ruhr mehrere spezifische projektbezogene Dimensionierungs- und Gestaltungsvorschläge vor (z.B. AGFS, 2014; Fuchs u.a., 2014). Weitere politische Verkehrsstrategien zur Steigerung des Radverkehrs konzentrieren sich auf • Ausbau der Abstellanlagen (insbesondere bei starker Nutzungskonkurrenz und geringem Platzangebot), • Radfahren auch auf längeren Wegen (Radschnellwege, Bahntrassenradeln), • Verknüpfung mit öffentlichen Verkehrsmitteln, • Senkung der Unfallzahlen, • Fahrradverleihsysteme. In den kommenden Jahren liegt bei der Förderung von Projekten im nationalen Radverkehrsplan der Schwerpunkt auf den Themen "Verknüpfung mit anderen Verkehrsmitteln“ und "Gesundheitsförderung“. Der Nationale Radverkehrsplan (BMVI, 2012) sieht einen bundesweiten Radverkehrsanteil von 15 Prozent im Jahr 2020 vor. Dass Radfahren insbesondere durch Umstieg der Bevölkerung vom motorisierten Individualverkehr auf den kurzen Distanzen die Qualität (Luft und Lärm) in den innerstädtischen Bereichen erhöht, ist unstrittig. Hier lassen sich jedoch nur relativ geringe CO2-Einsparungen erzielen. Größere Potentiale liefern die mittleren Distanzen und die Nutzung des Fahrrades durch Berufspendler; insofern sind die Radschnellwege ein wichtiger Baustein zur Beförderung des Umstiegs vom Auto auf das Fahrrad. Daneben bekommt das Fahrrad eine Bedeutung zur Förderung der allgemeinen Gesundheit und Fitness. In einer alternden Gesellschaft suchen vor allem die sogenannten jungen Alten oder auch best ager genannten Altersgruppen nach Möglichkeiten ihre körperlichen Fähigkeiten zu trainieren. Sie benutzen das Fahrrad im Urlaub und an Wochenenden oder im Alltag zu Einkaufsfahrten. Viele finden über das Elektrofahrrad als "Ungeübte" wieder den Einstieg in das Fahrradfahren. Hierbei werden landschaftliche attraktive Radwege mit zahlreichen points of interest nachgefragt. Aktive Radfahrer (Senioren, Berufspendler, Lieferdienste und Schüler) wünschen sich dagegen attraktive und sichere innerstädtische Radwege. Dies führt zu neuen Diskussionen über sogenannte "lebenswerte" oder "grüne" Straßen, die – in Verbindungen mit attraktiveren Fußwegen und Vorrangspuren für den ÖPNV – als neues Leitbild die "autogerechte Stadt" ablösen. Neben den baulichen Randbedingungen und den politischen Zielen prägt aber auch die Fahrradkultur in den Städten und Regionen das Nutzerverhalten. Fahrradstädte wie Münster haben hier schon eine Tradition. Andere Städte und Regionen befinden sich noch im Aufbau. Eine wichtige Rolle spielen hier Organisationen, wie der Allgemeine Deutsch Fahrrad-Club (ADFC) und die Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in NRW (AGFS), aber auch Kampagnen wie Stadtradeln oder Aktionstage mit autofreien Bundesstraßen. Abbildung 8 zeigt das System Radverkehr mit seinen Bausteinen, die sowohl persönliche Eigenschaften als auch Eigenschaften des Verkehrssystems umfassen: 24 Abbildung 8. Das System Radverkehr und seine Bausteine Tabelle 7 fasst die zu erwartenden Wirkungen der zur Förderung des Radverkehrs möglichen Maßnahmen zusammen: Tabelle 7. Wirkungen Radverkehr Richtung Ursachen Verkehr Erhöhung der mittleren Reisegeschwindigkeit: - Radschnellwege - Verbesserung der Durchlässigkeit an den Knoten - Elektrofahrräder Infrastrukturausbau - Aufbau von Radnetzen - Fahrradabstellanlagen - Flächendeckender Fahrradverleih Zielgrößen Zu erwartende Wirkungen Wegelänge Keine erheblichen Wirkungen. Wegehäufigkeit Keine erheblichen Wirkungen. Verkehrsmittelwahl Eine höhere mittlere Reisegeschwindigkeit steigert die Attraktivität von kurzen, mittleren und langen Wegen für die Radnutzung. Wegelänge Verkürzung von Wegen möglich. Wegehäufigkeit Keine erheblichen Wirkungen. Verkehrsmittelwahl Verbessert Konkurrenzfähigkeit des Rades gegenüber anderen Verkehrsmitteln. 25 5. Klimawandel Die absehbaren Folgen des Klimawandels sind ein Thema der Forschung seit den 1970er Jahren. Bereits 1992 im Vorfeld der Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro hat die Bundesregierung den Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) eingerichtet. Im selben Jahr wurde das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) gegründet. Aber erst mit dem Vierten Assessment Report (AR4) des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten Nationen von 2007 (IPCC, 2007) wurde auch einer breiten Öffentlichkeit bewusst, dass einschneidende Klimaänderungen und ihre Folgen wie Überflutungen, Stürme oder Hitzewellen nicht mehr abwendbar sind, und dass zur Verhinderung noch schlimmerer Klimafolgen der Ausstoß von Treibhausgasen in den wohlhabenden Ländern der Erde reduziert werden muss. Die Folge dieses Bewusstseinswandels ist eine Zunahme wissenschaftlicher Beschäftigung mit den räumlichen Auswirkungen des Klimawandels. Es gibt inzwischen zahlreiche Untersuchungen der Auswirkungen unterschiedlicher Klimaszenarien auf die regional wirksamen Risiken von Überschwemmungen, Hitzewellen oder Veränderungen der Vegetation und Biodiversität (EEA, 2003; UBA, 2005; UBA/PIK, 2005; ESPON 1.3.1, 2006; BMU, 2007; Beierkuhnlein und Foken, 2008; BUND, 2008; Heiland u.a., 2008; IfR, 2008; ESPON Climate, 2011). Auch gibt es erste Untersuchungen über mögliche Maßnahmen zur Verminderung oder Verlangsamung des Klimawandels oder zur Anpassung an nicht mehr vermeidbare Klimaänderungen, zumeist im Sinne von Handlungsempfehlungen (Baumüller u.a., 1993; UBA/PIK, 2005; Fleischhauer und Bornefeld, 2006; Stern u.a., 2006; ARL, 2007; Ritter, 2007; Bartolomew u.a., 2007; BMU, 2007; Europäische Kommission, 2007; BUND, 2008; IfR, 2008; BMBF, 2009; Stadt Essen, 2009; Stadt Dortmund, 2011; MKUNLV, 2011). Allerdings richten sich nur wenige dieser Handlungsempfehlungen an Städte, und diese beschränken sich zumeist auf Empfehlungen kurzfristig zu realisierender Anpassungsmaßnahmen. Die viel schwierigeren Maßnahmen zum Klimaschutz und ihre möglicherweise starken Auswirkungen auf Lebensstile, Konsumverhalten, Standortwahl und Mobilität bleiben in der Regel unberücksichtigt oder werden nachrangig behandelt – angesichts der Selbstverpflichtung vieler Städte zur Reduzierung ihrer Treibausgasemissionen ein Defizit der wissenschaftlichen Politikberatung. Was fehlt, sind Wirkungsanalysen und Wirkungsprognosen, die – soweit dies nach dem heutigen Stand des Wissens möglich ist – quantifizieren, welche Auswirkungen die vorgeschlagenen und weitere Maßnahmen der Siedlungs- und Verkehrsplanung und andere Maßnahmen auf die Reduzierung von Energieverbrauch, Treibhausgasemissionen und Klimafolgeschäden haben würden, welche Informations-, Beteiligungs- und Entscheidungsstrategien zu ihrer Umsetzung notwendig wären, und welcher Preis in Form von Investitionen und Konsum- oder Mobilitätsverzicht im Falle ihrer Realisierung zu zahlen wäre. Auch fehlen Aussagen darüber, welche Wechselwirkungen (Synergien) zwischen den einzelnen Maßnahmentypen wie rechtlichen, fiskalischen oder planerischen Maßnahmen möglicherweise bestehen, das heißt, ob sich Maßnahmen in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken, ergänzen, substituieren oder konterkarieren. 26 Andere europäische Länder sind in dieser Hinsicht weiter. Als ein Beispiel hierfür kann das Cities Programme des Tyndall Centre for Climate Change Research in Großbritannien dienen (Dawson u.a., 2009). Das Ziel des Programms ist die Entwicklung eines Modellsystems, mit dem die Auswirkungen des Klimawandels in Städten simuliert und alternative Vermeidungs- und Anpassungsstrategien verglichen werden können. Das in Entwicklung befindliche Urban Integrated Assessment Framework erlaubt die Analyse von Vermeidungs- und Anpassungsstrategien wie Steuern, Abgaben, Emissionshandel, Verdichtung, Durchmischung, Bebauungsbeschränkungen, Infrastrukturausbau, alternative Treibstoffe, Nachfragebeeinflussung, Rückhaltebecken, Wärmedämmung von Gebäuden und sparsamere Fahrzeuge in einem einheitlichen Modellrahmen. 27 6. 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