Abgestürzte CS-Aktie erhöht Druck auf Thiam

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Wirtschaft 9
Tages-Anzeiger – Dienstag, 28. Juni 2016 Abgestürzte CS-Aktie erhöht Druck auf Thiam
Die Papiere der Credit Suisse kratzen an der 10-Franken-Grenze. Schuld daran ist der Brexit – und offenbar Londoner Grossinvestoren,
die sich verspekuliert haben. Konzernchef Tidjane Thiam sieht sich einem wachsenden Misstrauen gegenüber.
Lukas Hässig
Börsen- und Kapitalmärkte
Die CS-Aktie näherte sich gestern Mittag
der 10-Franken-Grenze an. Diese wurde
von Beobachtern bereits vor ein paar
Wochen als jener Punkt genannt, an
dem der Verwaltungsrat des Finanz­
multis intervenieren würde. Möglich
wäre ein nochmaliger Chefwechsel. Die
starken Kursverluste deuten auf ein
rasch wachsendes Misstrauen der In­
vestoren gegenüber Tidjane Thiam und
seiner Strategie hin.
Die Credit Suisse meinte auf Anfrage
zum erneuten Kurszerfall und einer
möglichen Reaktion des Verwaltungsrats: «Wir nehmen gegenwärtig eine tiefgreifende Umstrukturierung unserer
Bank vor – zu einer Zeit, in der von den
Finanzmärkten keine Unterstützung
ausgeht. Im Laufe der Zeit wird der
Markt die Stärke unserer Bank und un­
serer Strategie anerkennen.»
Ein Zürcher Banker mit engen Beziehungen zum Londoner Finanzplatz
sagte, dass hinter dem Kurszerfall eine
Fehlspekulation grosser angelsächsischer Investoren stehe. Diese hätten
Put-Optionen veräussert. Die Empfänger dieser Optionen bezahlten eine
­Prämie für das Recht, den Investoren die
Aktie zu einem Preis zwischen 10 und 17
Franken abzukaufen. Die Rede ist von
Laufzeiten bis September.
Nun stünden diese Investoren – darunter zwei grosse Investmentbanken –
mit bedeutenden Positionen im Regen.
Weil die CS-Aktie nach dem Brexit am
Freitag rund 14 Prozent und gestern erneut 9
­ ,2 Prozent verloren hatte, mussten diese Profis die angebotenen Titel zu
einem überhöhten Preis erwerben und
sie sodann rasch im Markt weiterver­
kaufen. «Das hat zu einem massiven
­Verkaufsdruck auf den Titeln geführt»,
sagt die Quelle.
Anhaltende Ängste
um den Brexit
Eine neue Ausgangslage
Ein zweiter Gesprächspartner meinte,
dass die CS-Aktie um 10 Franken herum
Boden finden sollte. Doch der Brexit
habe eine neue Ausgangslage für viele
Grossbanken geschaffen, sodass nun
diese Grenze bei der CS durchbrochen
werden könnte. Danach gebe es vorerst
kein Halten mehr.
Unter die Räder gerieten auch die Titel
der Deutschen Bank, die wie die CS lange
am schwierigen Zinsgeschäft festgehalten
hatte, sowie jene der Uni Credit. Die italienische Bank wird von grossen Kreditpositionen in Osteuropa sowie einer Führungskrise zusätzlich belastet. In der
Schweiz musste auch die UBS an der Börse
Federn lassen, allerdings weniger stark
als die CS. Bei dieser zeigten sich Ana­
lysten besonders skeptisch. Die US-Bank
J. P. Morgan stufte die CS-Titel von «neu­
tral» auf «untergewichten» herunter,
­andere senkten das Kursziel.
Problematisch sind die immer noch
riesigen und zum Teil steigenden Positionen in der CS-Bilanz, deren Werthaltigkeit von aussen schwer zu beurteilen
ist. Die CS hat 2015 ihre Investments in
Staatsobligationen von 77 Milliarden auf
Die Credit Suisse wird derzeit von Analysten skeptisch beäugt: Filiale der Grossbank in Oerlikon. Foto: Urs Jaudas
88,2 Milliarden Franken erhöht. Ebenfalls ausgeweitet hat sie den Bestand an
Engagements in ausgewählten Ländern
des Euroraums, darunter viele in Südund Osteuropa. Diese Positionen stiegen
im letzten Jahr um rund eine Milliarde
auf 18,7 Milliarden Franken. Bei der UBS
sanken die Engagements in Euroländern
von 22,2 auf 21,3 Milliarden Franken.
Besonders undurchsichtig sind so­
genannte Level-3-Papiere. Dabei handelt
es sich um Investments, deren Wert
schwer einzuschätzen ist, da sie weder
einen Kurs haben noch andere klare Indikatoren dafür. Vielmehr müssen bei
diesen Positionen Annahmen getroffen
werden, die von internen Spezialisten
stammen. Die CS wies letztes Jahr 35,7 Milliarden Franken an Level-3-Investments
aus. Das waren rund 4 Milliarden weniger
als im Vorjahr. Doch im Vergleich zur UBS
waren es immer noch sehr viele. Diese
hatte nur 9 Milliarden in ihren Büchern,
und der Abbau verlief bei ihr schneller.
Dies nach sogenannter Fair Value Betrachtung. Nimmt man alle Level 3 Assets, dann
hatte die UBS deutlich mehr.
Interne Kandidaten stehen bereit
Der Verwaltungsrat der CS unter Führung
von Präsident Urs Rohner steht vor der
Frage, wie er dem anhaltenden Kurs-
Die vom Brexit ausgehenden Schock­
wellen waren an der Schweizer Börse
auch in der neuen Woche noch deutlich
zu spüren. Vor allem die Bankentitel
und zyklische Werte standen am Montag unter Druck. Der Swiss-Market-Index (SMI) schloss am Montag 1,97 Prozent tiefer auf 7594,49 Punkten und damit nur knapp über dem Tagestief. Die­
30 Titel des Index schlossen am Ende
des Tages allesamt im Minus.
Die Bankaktien litten unter Abwertungen durch Analysten. Dabei verloren die
Papiere der kapitalschwächeren Credit
Suisse mit minus 9,2 Prozent und einem
neuen Jahrestief bei 10.02 Franken stärker als diejenigen der UBS (–8,1 Prozent).
Bereits am Freitag waren die beiden Aktien zweistellig eingebrochen. Nicht besser erging es den Papieren der Privatbank Julius Bär (–9,8 Prozent).
Besser als die Banken hielten sich die
Versicherer. So gaben etwa die Titel von
Swiss Re lediglich um 2,1 Prozent und
diejenigen von Zurich Insurance um
3,0 Prozent nach.
Abgestossen wurden Titel von Industrieunternehmen mit einem relativ grossen Geschäftsanteil in Grossbritannien.
Dazu gehörten etwa die Papiere des Personaldienstleisters Adecco (–10,3 Prozent), des Reisedetailhändlers Dufry
(–7,9 Prozent) oder des Zementriesen
­L afargeHolcim (–7,3 Prozent).
Auch die Aktien des schweizerisch-irische Backwarenkonzerns Aryzta (­
–5,8
Prozent) befand sich in dieser Kategorie.
Deutlich nach unten ging es auch mit den
Valoren von Richemont (–4,7 Prozent),
Swatch (­–3,6 Prozent), Clariant (­–4,3 Prozent) und Geberit (­–4,4 Prozent).
Die Aktien der SMI-Schwergewichte
Roche (­–0,1 Prozent), Novartis (­–0,5 Prozent) und Nestlé (­–0,6 Prozent) standen
als defensive Absicherungen eher in der
Gunst der Anleger, konnten sich aber
zum Handelsende dem Sog nach unten
nicht entziehen. Besser als der Gesamtmarkt schnitten ausserdem Swisscom
­(­–0,6 Prozent) und Sonova (­–0,5 Prozent)
ab. (SDA)
rutsch begegnen will. Bei der UBS reagierte das oberste Lenkungsgremium
scharf, als die Aktie Anfang 2009 unter 10
Franken gefallen war. Oswald Grübel, der
bis 2007 die CS geleitet hatte, übernahm
den Chefposten, während Kaspar Villiger
Peter Kurer als Präsidenten ablöste.
Bei der CS würde ein Präsidentenwechsel wohl mehrere Monate in Anspruch nehmen. Ein neuer Chef könnte
hingegen sofort die operative Führung
übernehmen. Er würde Thiams Auf­
stellung der Grossbank mit einem Mix
aus geografischen Bereichen und einer
Investmentbanking-Divsion vermutlich
überarbeiten oder sogar rückgängig
­ achen. Wer das Steuer übernehmen
m
könnte, ist hingegen schwer abzuschätzen. Intern würde Finanzchef David
Mathers bereitstehen, der seit Jahren die
Zahlen und weite Teile des Backoffice
verantwortet und das Vertrauen der
Investoren geniesst. Ebenfalls könnte
­
Gael de Boissard zurückgeholt werden,
der aus London heraus das grosse CSZinsgeschäft geleitet hatte – bis er letztes
Jahr von Thiam abgesetzt wurde. Von
aussen kämen Jürg Zeltner und Ulrich
Körner von der UBS infrage. Oder die
Nummer 2 in der Chefetage einer der
grossen englischen Banken wie Barclays,
HSBC oder Standard Chartered.
Fredy Hasenmaile, Immobilienexperte bei der Credit Suisse, will negative
Hypothekarzinsen «zumindest nicht
ausschliessen». Der schweizerische Kreditmarkt sei sehr umkämpft. Weil es an
Anlagealternativen fehlt, drängten immer mehr neue Akteure – zum Beispiel
Pensionskassen und Versicherungen –
ins Geschäft. «Für gewisse Marktteilnehmer ist ein grosser Anreiz da, die Konkurrenten mit immer tieferen Zinssätzen zu unterbieten», sagt Hasenmaile.
sen wurden, deutlich zurückgegangen.»
Das zeige sich am Wachstum der Hypothekarvolumen: Während dieses in der Vergangenheit jeweils mehr als 5 Prozent pro
Jahr betrug, sind es momentan weniger
als 3 Prozent. Für viele Anbieter nehmen
aber die Gefahren zu, je tiefer sie ihre
Zinssätze senken: «Sollte das Zinsniveau
wieder steigen, könnten einige unter
Druck kommen, insbesondere wenn sie
fixe Hypotheken zu negativen Sätzen vergeben haben», sagt Hasenmaile.
Auch Lorenz Heim erkennt bei den
Anbietern gewisse Gefahren. Neuen Akteuren wie Pensionskassen fehle die Erfahrung auf dem Hypothekarmarkt.
Gleichzeitig gingen einige von ihnen zu
hohe Risiken ein. «Die Renditen auf
Hypotheken für klassische Eigenheime
sind vielen Pensionskassen zu tief. Also
wird zum Beispiel in Gewerbeimmobilien investiert, die zwar höhere Renditen bieten, aber auch riskanter sind.»
Gibt es bald Hypotheken mit negativen Zinsen?
Die Hypozinsen bleiben
wohl noch eine ganze Weile
tief. Einzelne Experten
glauben sogar, dass sie
ins Minus kippen könnten.
Franziska Kohler
An der Hypothekenfront tut sich Historisches. Zum ersten Mal seien 10-jährige Hypotheken für weniger als 1 Prozent Zins zu haben, berichtete der Vergleichsdienst Comparis am vergangenen Freitag. «Wir konnten für einzelne
Kunden bereits 10-jährige Festhypotheken zu einem Zins von 0,9 Prozent aushandeln», sagte Marc Parmentier, Bankenverantwortlicher bei Comparis, zur
«Schweiz am Sonntag». Laut Lorenz
Heim, Leiter des Hypothekenzentrums,
wurde die magische 1-Prozent-Grenze
gar schon vor zwei bis drei Wochen
unterschritten. Im Schnitt sind die
10-jährigen Kredite gemäss dem Hypothekenberater Moneypark erstmals für
weniger als 1,5 Prozent Jahreszins zu
haben.
Verantwortlich für den neuen Tiefststand ist der Brexit. Wegen der unsicheren Lage flüchteten Anleger bereits vor
der Abstimmung von letztem Donnerstag in den Franken. Seit Grossbritannien
nun definitiv für den Austritt aus der EU
gestimmt hat, verstärkte sich dieser
Trend. Die Nationalbank wird also weiter intervenieren und die Zinsen tief
­halten müssen, um die Schweizer Exportwirtschaft zu entlasten.
Harter Konkurrenzkampf
Möglich ist sogar, dass sie den Leitzins
noch weiter ins Negative drückt. «Somit
dürften auch Schweizer Hypotheken –
gerade auch lang laufende – auf Sicht der
nächsten zwei bis drei Jahre extrem
günstig werden», schreibt Moneypark.
Noch weiter geht Marc Parmentier: «Wir
könnten zum ersten Land werden, in
dem Hypotheken in der Breite zu negativen Zinsen angeboten werden.»
Eine Hypothek abschliessen und dafür
Geld bekommen – das klingt zu schön,
um wahr zu sein. Für Lorenz Heim ist dieses Szenario denn auch noch «sehr weit
weg». Er kann sich zwar vorstellen, dass
sich die Zinsen weiter dem Nullpunkt annähern. «Bis sie aber ins Negative kippen,
muss doch noch einiges passieren.»
Schliesslich trauten sich die Banken
heute auch noch nicht, auf ihren Sparkonten Negativzinsen zu erheben, so
Heim. «Sollten sie es eines Tages doch
tun, wäre der Weg für noch günstigere
Hypotheken geebnet. Die Banken
­
könnten diese dann über die Ein­
­
nahmen durch die Negativzinsen finanzieren.»
Risiken für Anbieter steigen
Je tiefer die Zinsen, desto attraktiver
wird es, Hypotheken aufzunehmen –
auch für jene, die sich Wohneigentum
nur knapp leisten können. Trotzdem
rechnet Hasenmaile nicht damit, dass
die Ausfallrisiken nun deutlich steigen.
«Die Nachfrage nach Hypotheken ist seit
2012, als auf Druck der Nationalbank
neue regulatorische Massnahmen erlas-
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