Im Fokus Implantate in der Alterszahnmedizin Gibt es eine Grenze für Implantate bei alten Menschen? Implantate gehören zum vielseitigen therapeutischen Spektrum einer Generation von Patienten, die in der Jugend wenig oder gar nicht von präventiven Maßnahmen profitiert haben. Das Implantat wird bei dieser Patientengruppe bei komplexen Rekonstruktionen, aber auch bei einfachen Lösungen mit reduzierten Behandlungszielen und Reparaturmaßnahmen, erfolgreich eingesetzt. Entsprechend den demographischen Trends werden genau diese Menschen in zehn, spätestens in zwanzig Jahren Interaktive Lerneinheit mit zwei zum ältesten Segment unserer Population gehören und der Zahnarzt wird sich im Rahmen Fortbildungspunkten der Alterszahnmedizin unweigerlich mit der Implantologie auseinandersetzten müssen. nach den Richtlinien der Indizes: Alterszahnheilkunde, allgemeinmedizinische Befunde, Alter, Implantatprothetik, therapeutisches Spektrum BZÄK-DGZMK unter www.dental-online-community.de Ein Beitrag von Prof. Dr. med. dent. lic. phil. Regina Mericske-Stern, Klinik für Zahnärztliche Prothetik, Universität Bern 1. Einleitung Die heutigen Perspektiven der Alterszahnmedizin orientieren sich oft am Geriatriepatienten im Krankenhaus oder im Pflegeheim. Dabei gilt zu berücksichtigen, dass der größere Anteil älterer Menschen nicht unselbständig ist oder wird und im eigenen Haushalt lebt. So verweist ein zukünftiges Gesundheitsmodell „Krankheit“ an das Lebensende beziehungsweise kurz vor den Tod (Abb. 1). Die Zahnmedizin ist reich an Facetten und bewegt sich zwischen Lifestyle, Kosmetik, Medizin, Technik sowie den diversen Aspekten der Lebensqualität. Auf Grund neuer Studien wird die orale Gesundheit respektive die erkrankte Mundhöhle in direkten Zusammenhang mit dem Allgemeinzustand gebracht und ihre Bedeutung insbesondere beim älteren Menschen im medizinischen Kontext hervorgehoben. Infektionen wie Parodontitis und die plaquebeladene Mundhöhle belasten den gesamten Organismus. Eine radikale Äußerung dazu kommt von der Seite der Parodontologie: „... 144 teamwork J Cont Dent Educ tooth eradication may reduce the systemic inflammatory burden“ [21]. Doch auch mit einer implantatprothetischen Versorgung bleiben die Bakterien in der Mundhöhle ein Problem. Unter diesem Blickwinkel stellt sich die Frage nach einer Altersgrenze für die Indikation von Implantaten. In Zahlen des chronologischen Alters kann dies nicht ausgedrückt werden, es ist eine Frage des biologischen Alters. Als Argumente gegen Implantate im Alter werden häufig genannt: 1. Die Mundhygiene älterer Menschen ist oft ungenügend. Außerdem ist unsicher, ob eine regelmäßige Nachsorge langfristig gewährleistet ist. 2. Allgemeinmedizinische Befunde sprechen bei älteren Menschen gegen einen chirurgischen Eingriff. Außerdem wird vermutet, dass gewisse systemische Faktoren einen negativen Einfluss auf die Osseointegration und Remodelingkapazität des Knochens haben. Im Fokus Abb. 1 Gesundheitsmodell der Medizin: Kranksein und palliative Maßnahmen werden in diesem Modell auf den letzten, etwa zweijährigen Lebensabschnitt vor dem Tod verlegt. Die Gesundheit der Menschen mit Risiken soll durch Prävention und adäquate Therapie erhalten werden Abb. 2 Kontraindikationen für Implantate im Alter b a c Abb. 3 a bis c Verlust von Zähnen, trotz regelmäßiger Nachsorge: Abb. 3a Spontanverlust der stark gelockerten Zähne 32 und 31, Abb. 3b Karies am Zahn 11 unter alter Krone, Abb. 3c Rasche Kariesentwicklung in wenigen Monaten an den Zähnen 43, 42, 41 3. Die reduzierte Knochenqualität und die Atrophie der Kieferkämme sprechen bei längerer partieller oder bei totaler Zahnlosigkeit gegen eine Implantation (Abb. 2). In wissenschaftlichen Studien werden hauptsächlich der Allgemeinzustand und der dentale Zustand betagter Patienten im Pflegeheim oder im Geriatriespital betrachtet. Die Frage, wie in naher Zukunft eine zahnmedizinische Versorgung älterer Menschen beim Eintritt ins höhere Lebensalter aussehen kann, wird weniger in die Überlegungen einbezogen. Trotz regelmäßigem Recall und guter Pflege zeigt sich, dass immer wieder Interventionen notwendig werden. Vitale Frontzähne mit Rezessionen und dünnen Zahnhälsen sowie endodontisch behandelte Zähne mit Aufbauten und Stiften frakturieren, alte rezementierte Rekonstruktionen sind nicht mehr zu erhalten, oder Pfeilerzähne entwickeln plötzlich und in kurzer Zeit eine tiefe Wurzelkaries (Abb. 3). Es gibt also viele Einsatzmöglichkeiten für ein Implantat – die Option „Implantat“ muss in der Alterszahnmedizin unbedingt berücksichtigt werden. Der vorliegende Artikel möchte darauf hinweisen, wie und unter welchen Bedingungen Implantate bei älteren Menschen heutzutage zum Einsatz kommen können. Dazu sind zwei Denkansätze von Bedeutung: 1. Können wir beim älteren Patienten mit Hilfe von Implantaten die orale Gesundheit und Funktion – und damit die allgemeine Gesundheit und die Lebensqualität – erhalten und verbessern? 2. Welche oralen Verhältnisse und implantatgetragenen Rekonstruktionen werden die Betagten in den nächsten 20 Jahren aufweisen? 2. Demographische Aspekte, die dentale Situation bei älteren Patienten Die demographischen Trends zeigen für die nächsten Jahren eine Zunahme der über 65- jährigen, wobei der Anteil der 80- jährigen und älteren Menschen überproportional steigt. Sie weisen zu einem großen Prozentsatz verschiedene alterstypische allgemeinmedizinische Befunde auf. Dank guter medizinischer Versorgung können die Menschen, www.teamwork-media.de © 13. Jahrgang, 2/2010 teamwork 145 Im Fokus trotz ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung, ein relativ normales Leben führen. Ihre Ansprüche werden sich deshalb auch im Bereich der Zahnmedizin erhöhen [8]. Das macht die Entscheidung für die optimale Behandlungsmodalität komplex. Gleichzeitig versucht die Zahnmedizin auch bei „alten“ Menschen die Zähne zu erhalten, wie eine japanische Studie unter dem verkürzten Titel 80/20 beschreibt [19]. Ergebnis dieses Konzepts ist, dass die 80- jährigen heute und in der Zukunft noch 20 eigene Zähne besitzen sollten. Bei einer bis auf die Prämolaren verkürzten Zahnreihe besteht keine Notwendigkeit für eine Teilprothese, Totalprothesen werden überflüssig. Die Studie sagt nichts zu der denkbaren Möglichkeit, die verkürzte Zahnreihe mit einer implantatprothetischen Versorgung zu ergänzen. Über den Aufwand, die Zähne bei steigendem Alter oder bei Gebrechlichkeit und Demenz zu erhalten, wird nicht berichtet. In einer skandinavischen Querschnittsuntersuchung wurde in den 90er Jahren in einer Gemeinde der Zahnbestand von älteren Menschen analysiert. 15 Jahre später wurden die gleichen Befunde in derselben Gemeinde, wiederum bei älteren Menschen erhoben [24]. 15 Jahre später besaßen die alten Menschen im Durchschnitt vier Zähne mehr, dass heißt 14 im Vergleich zu 10 Zähnen. Weniger als 50 Prozent der Untersuchten waren zahnlos gegenüber 75 Prozent 15 Jahre zuvor. Insofern wurde ein Teilziel erreicht. Insgesamt stellten die Untersucher aber fest, dass sich die Zähne dieser älteren Menschen in einem schlechteren Zustand befanden. Das Fazit der Autoren: „As more people retain their own teeth throughout their life...... their objective need for treatment is even greater“. Dabei stand die Kariesproblematik im Vordergrund. Der Restzahnbestand alter Menschen weist, im Vergleich zum gesunden jugendlichen Gebiss viele Nischen auf, welche die Reinigung erschweren. Einfacher und gut geplanter, implantatgestützter Zahnersatz kann hier große Vorteile aufweisen. 3. Indikationen für Implantate Absolut gesehen nimmt die totale Zahnlosigkeit ab und verlagert sich ins höhere Lebensalter. Wenn auch ältere Menschen nicht mehr so häufig zahnlos sind, so ist dennoch ihr Zahnbestand reduziert. Die einfache Teilprothese wird als zweckmäßiges, kostengünstiges Therapiemittel der Wahl angesehen. Wie eine Übersichtsarbeit [31] zeigt, sind aber Studien mit positiven Resultaten zur Teilprothetik rar, es wird vielmehr auf Probleme wie Kariesentwicklung, Stomatitis, Abneigung gegen das Tragen der Prothesen, ungenügenden Halt und mangelnde Funktion hingewiesen. Nicht jeder Restzahnbe146 teamwork J Cont Dent Educ stand und jede Kieferform zeigt die Voraussetzungen, um eine funktionell befriedigende Teilprothese inkorporieren zu können. Strategisch wichtige Zähne stehen ungünstig oder fehlen, die Abstützung der Prothese ist linear, und oft kann das Prothesendesign die Kriterien für eine gute Stabilität und Verankerung nicht oder nur bedingt erfüllen. Zudem sind die zahnlosen Kieferkammabschnitte atrophisch, schmal und mit dünner, nicht elastischer Mukosa bedeckt, was sich in schlechtem Tragkomfort und in Schmerzen äußert. Folgerichtig ergibt sich in den nachfolgend genannten Situationen die Indikation zum Einsatz von Implantaten: q Der zahnlose Unterkiefer: Die auf zwei bis drei Implantaten auf einem Steg- oder auf Druckknopfankern gelagerte Prothese. q Der teilbezahnter Kiefer: Einzelimplantate bei kleinen Lücken, kleinere Brücken, Verzicht auf eine Teilprothese. q Der teilbezahnte Kiefer mit stark reduziertem Zahnbestand: Implantate in strategisch günstiger Position zur besseren Abstützung einer Teilprothese. q Der zahnlose Oberkiefer: Stegprothesen auf mindestens vier Implantaten, unter günstigen Bedingungen eventuell Einzelanker. Die letztgenannte Indikation tritt weniger häufig auf und ist eher im jüngeren Segment der alten Patienten vorzufinden, da wegen fortgeschrittener Kammatrophie die Implantation nicht oder nur mit größerem chirurgischen Aufwand möglich ist. Ebenso sind bei alten Patienten festsitzende Rekonstruktionen im zahnlosen Kiefer selten. 4. Allgemeinmedizinische Befunde und Abklärung Viele ältere Menschen benötigen regelmäßige ärztliche Kontrollen und Behandlung. Deshalb sollen die Patienten dem Zahnarzt immer das Einverständnis zur Rücksprache mit dem Hausarzt geben. Dadurch können Risiken erkannt, besser abgeschätzt und alle notwendigen Maßnahmen im Rahmen einer zahnärztlichen Intervention getroffen werden. Die Implantation ist keine Notfallbehandlung und sollte deshalb zum besten Zeitpunkt und unter den bestmöglichen Bedingungen durchgeführt werden. Verschieden Autoren haben Kontraindikationen zu implantologischen Maßnahmen genannt. Speziell erwähnt werden vor allem Diabetes, kardiovaskuläre Probleme, Osteoporose sowie generell der medizinisch kompromittierte Patient [2, 13,15, 26, 28]. Ein allgemeiner Konsensus besteht jedoch: Das chronologische Alter des Patienten alleine stellt keine Kontraindikation für eine implantatprothetische Versorgung dar. Im Fokus Implantatmisserfolge werden auf Grund ihrer klinischen Manifestation beschrieben. Über mögliche Ursachen wird eher spekuliert, als dass wissenschaftlich Evidenz erbracht werden kann. Die Koinzidenz von allgemeinmedizinischer Situation und Misserfolg scheint oft zufällig [1, 25, 29]. In einer neuen, retrospektiven Studie wurde festgestellt, dass bei alten Menschen die Misserfolgsrate von Implantaten etwas höher ist als bei jüngeren Patienten [20]. Dabei spielten der Faktor Rauchen [10] und bei Frauen Hormonersatzpräparate in der Menopause eine ausschlaggebende Rolle. Allgemeinmedizinische Befunde bei älteren Implantatpatienten zeigten, dass bis zu 60 Prozent der Krankheitsbilder kardiovaskuläre Probleme betrafen und rund 45 Prozent der Patienten drei und mehr Medikamente einnahmen [16]. Anzeichen von spezifischen, krankheitsbedingten Implantatmisserfolgen wurden in dieser Studie nicht gefunden. Die Erfolgsrate der Implantate war vergleichbar mit derjenigen bei gesunden Patienten. Wichtigste Regel für die Implantation bei älteren Menschen sind eine gute Planung und eine gut organisierte Behandlung. q Bei Patienten mit kardiovaskulären Problemen und Angina pectoris ist bei der Implantatchirurgie auf eine ruhige freundliche Atmosphäre mit Stressminderung zu achten. q Man braucht Adrenalin als Zusatz zur Lokalanästhesie, deshalb soll der Eingriff gut geplant und ein zielstrebiges, wenig invasives Vorgehen gewählt werden, wodurch die Menge an Lokalanästhetikum reduziert werden kann. q Nach einem Herzinfarkt soll die Implantatchirurgie nicht vor dem Ablauf von sechs Monaten erfolgen. q Die Empfehlungen bezüglich Thrombozytenagregationshemmern variieren, oft werden sie zehn Tage vor dem Eingriff abgesetzt. Bei niedriger Dosierung ist dies aber nicht nötig. q Bei Antikoagulation muss der Hausarzt über das Risiko des Absetzens entscheiden. Der für einen chirurgischen Eingriff korrekt eingestellte Quickwert wird wenige Stunden vor der Implantation durch den Arzt bestätigt. q Der implantatchirurgische Eingriff unter Antibiose ist vielerorts üblich, unabhängig vom Alter und Gesundheitszustand des Patienten. Aber auch diesbezüglich besteht kein Konsens, außer wenn zwingende Gründe, wie etwa eine Endokarditisprophylaxe, die Antibiose unbedingt erfordern. q Zum Problem der Osteoporose sind die Empfehlungen und Meinungen kontrovers [3, 10,11]. Seit die durch Medikamente zur Behandlung der Osteoporose verursachten Kiefernekrosen beobachtet wurden [23], wird das Risiko einer Implan- tation höher eingeschätzt. Dies vor allem für Patienten, die diese Medikamente über fünf und mehr Jahre eingenommen haben. q Die nicht insulinpflichtige, gut eingestellte Diabetes wird nicht als Kontraindikation für eine Implantation angesehen [18]. q Bei verschiedenen systemischen Problemen, denen wir selten und nur vereinzelt begegnen, werden die Indikation oder die Kontraindikation zur Implantation unter individueller Abwägung des Risikos beziehungsweise des Nutzens gestellt [9]. 5. Behandlungskonzepte und die Bedeutung des Implantates beim älteren Patienten 5.1.Planung Karies, insbesondere Zahnhalskaries, wird bei älteren Menschen zum größten Risiko für den Zahn [27]. In dieser Hinsicht hat das Implantat eindeutig eine bessere Prognose. Für die Entscheidung, ob parodontal geschädigte Zähne erhalten oder durch Implantate ersetzt werden sollen, gibt es keine solide Evidenz. Wie von Parodontologen vorgeschlagen [14, 30], kann die Entscheidung nicht aus rein parodontologischer Sicht gefällt werden. Sanierungsmassnahmen müssen bei älteren Menschen immer in einem Gesamtkonzept erfolgen. Dabei spielen prothetische Überlegungen meistens die wichtigere Rolle. Insofern werden nur langfristig sichere Zähne in strategisch guter Position erhalten. Die Implantatplanung für älteren Menschen folgt zwar üblichen Konzepten, sollte sich aber nach folgenden Kriterien richten: 1. Die Planung soll detailliert und konzise sein, damit invasive Chirurgie vermieden oder wo nötig, präzise voraussagbar, kalkulierbar und machbar wird. Mehr Aufwand bei Diagnose und Planung führt zu weniger Aufwand bei der Behandlung. 2. Es ist ein Implantat zu verwenden, bei dem die Implantatschulter auf Knochenniveau liegt. Wird ein alter Patient gebrechlich, unselbständig oder vielleicht dement und kommt mit der implantatgetragenen Prothese nicht mehr zurecht, oder er verweigert das Tragen der Prothese ganz, kann diese einfach entfernt werden. Die Mukosa heilt über den Implantaten in wenigen Tagen zu. 3. Die nach prothetischen Kriterien erfolgte Implantatplanung hat Lösungen zum Ziel, bei denen auf Mesostrukturen und Abutments verzichtet wird. Es werden möglichst einfache Verankerungsstrukturen gewählt. Dadurch ist die Reparaturfähigkeit des Zahnersatzes im vernünftigen Rahmen gewährleistet. An die Stelle von festsitzenden Versorgungen mit Restaurationen aus Verblendkeramik treten Versorgungen mit Titangerüsten und Kunststoffprothesen. www.teamwork-media.de © 13. Jahrgang, 2/2010 teamwork 147 Im Fokus a b d e c Abb. 4 a bis e Aufwändige Sanierung (Modalität 1): Kronen und Brücken auf Zähnen und Implantaten inklusive Erneuerung alter Kronen bei einem 84jährigen Patienten. Die Rekonstruktionen sind in kleine Einheiten aufgeteilt und können auf den Implantaten verschraubt werden 4. Alle prothetischen Suprastrukturen sollen direkt auf Implantatniveau verschraubt werden. Alle Rekonstruktionen sollen entfernbar sein, was die gründliche Reinigung oder eine Reparatur ermöglicht. 5. Auf Verbindungen zwischen Zahn und Implantat wird bis auf Ausnahmefälle verzichtet. Damit diese Zielvorgaben erfüllt werden können, sind moderne Hilfsmittel und die computergestützte Planung sinnvoll. CAD/CAM-gefertigte Werkstücke erhöhen die Passgenauigkeit und tragen zu deren passivem Sitz bei, was wiederum zur Reduktion technischer Komplikationen führt. Bei Extraktionen ist die Sofortimplantation zu erwägen. Im günstigen Fall kann auch die transgingivale Implantation ohne Aufklappung zum Einsatz kommen. 148 teamwork J Cont Dent Educ 5.2 Therapiekonzepte Als therapeutische Konzepte können vier Modalitäten formuliert werden: 1. Aufwändiges Behandlungsziel: Erhalten der vorhandenen Zähne, auch in Kombination mit Implantaten. Hier wird die festsitzende Versorgung mit kleineren Brückensegmenten bevorzugt. Bei Zahnlosigkeit oder minimalem Restzahnbestand werden ausgedehnte Sanierungen mit Hilfe von Implantaten durchgeführt. Wenn die Erneuerung einer Teilprothese ansteht, wird häufig der Wunsch nach einer festsitzenden Versorgung geäußert. Dies vor allem von der jüngeren Gruppe der alten Patienten, aber von auch alten und noch vitalen Menschen (Abb. 4). Im Fokus a b c c Abb. 5 a bis c 87-jähriger Patientin mit einer desolaten Restbezahnung (Modalität 2) Therapie: Extraktion und Sofortimplantate sowie Versorgung mittels CAD/CAM hergestelltem Titansteg und Totalprothese a b Abb. 6 a und b 77-jährige Patientin mit nicht erhaltungswürdigen Zähnen 44, 45 und 46 (Modalität 3) Mit einer dreigliedrigen Brücke auf den Implantaten regio 44 bis 46 konnte eine einseitig verkürzte Zahnreihe und deren Versorgung mit einer abnehmbaren Prothese vermieden werden 2. Reduziertes Behandlungsziel: Sanierung mit einfacheren Mitteln, keine Investition in unsichere Zähne, keine komplexe Parodontalbehandlung und langwierige Endodontie. In dieser Kategorie finden sich vor allem Patienten, die ihre noch vorhandenen Zähne vernachlässigt haben und sich nun für einen Neuanfang und eine Sanierung entscheiden. Für diese sowie bereits zahnlose Prothesenträger ist z. B. im Unterkiefer die Stegprothese das Therapiemittel der Wahl (Abb. 5). 4. Palliative Behandlung: Keine rekonstruktive Therapie, nur Schmerzlinderung und Hygienemaßnahmen. Dieses Minimalkonzept kommt bei gebrechlichen, unselbständig lebenden Patienten im Geriatriespital oder im Pflegeheim zur Anwendung. Es sind Patienten, bei denen sich die Frage nach einer Implantation nicht mehr stellt. Zukünftig wird es sich dabei um eine Bevölkerungsgruppe handeln, die bereits mit implantatgetragenem Zahnersatz versorgt ist! 3. Einfaches Behandlungsziel: Effiziente Maßnahmen um Bestehendes zu erhalten, keine radikalen oder großen Veränderungen. Auch hier spielen Implantate eine wichtige Rolle (Abb. 6). Für den alten Patienten wird heute, neben dem oben angeführten Behandlungskonzept 2, vor allem dem Konzept 3 der Vorrang gegeben – einfache erhaltende Maßnahmen stehen im Vordergrund. www.teamwork-media.de © 13. Jahrgang, 2/2010 teamwork 149 Im Fokus a Abb. 7 a bis d Sofortimplantat zum Ersatz des Zahnes 21 mit verschraubter, vollkeramischer Krone. Da sich der 76-jährige Patient über das Implantat freute, äußerte er den Wunsch nach einer neuen Krone auf 11. Die alte Krone 22 wurde belassen 5.3. Der Einzelzahnersatz und die Versorgung mit Brückensegmenten Hierbei gehen zwar nur einzelne Zähne oder kurze Brückensegmente verloren, doch zieht deren Verlust, je nach Lokalisation, unerwünschte, größere Sanierungsmassnahmen nach sich. Der Lückenschluss mittels einer abnehmbaren Prothese würde oft zu einer Überkonstruktion führen. Natürliche Nachbarzähne könnten als Pfeiler ungeeignet sein. Die verbleibenden, älteren Restaurationen und die angrenzenden Zähne entsprechen zwar nicht immer heutigen Qualitätskriterien, doch drängt sich eine Sanierung nicht auf. Große Interventionen sollen vermieden werde, weshalb sich das Implantat als rasche und einfache Lösung zum Ersatz der verloren gegangenen Zähnen erweist. Eine Sofortimplantation und damit die Verkürzung der Behandlungszeit kann die Therapie der Wahl sein, wenn dadurch bei komplexeren allgemeinmedizinischen Befunden das Risiko durch mehrere Eingriffe erspart wird (Abb. 7). Die Sofortimplantation wird vor allem im Frontzahngebiet kontrovers diskutiert. Während einige Autoren sie befürworten, sogar im Zusammenhang mit einer Sofortrestauration [6], sind Andere vorsichtig und empfehlen eine Implantation vier bis acht Wochen nach Extraktion [4]. Sie verweisen auf das bessere Weichgewebsmanagement und dementsprechend auf eine bessere Voraussagbarkeit des ästhetischen Resultates hinsichtlich der Papillenbildung. Dies ist für jüngere Patienten mit gesunden gingivalen und parodontalen Verhältnissen von großer Bedeutung. 150 teamwork J Cont Dent Educ c b d a c b e d Abb. 8 a bis e Beispiele von strategischen Implantaten zur Verbesserung der Prothesenabstützung [aus: Kaufmann et al. 2009] Blau: Wurzelkappe, Rot: Implantat, Weiß: Zähne, nicht ins Prothesengerüst integriert, Grün: Posteriore Klammerzähne Bei älteren Menschen ist der Gingivaverlauf nicht mehr regelmäßig, er zeigt Rezessionen sowie ein unterschiedliches Ausmaß an Attachmentverlust und flache Papillen. Natürlich wird dennoch die dreidimensional korrekte Platzierung der Implantate angestrebt, um ein individuell optimales Ziel zu erreichen. 5.4. Das strategische Implantat zur Abstützung von herausnehmbarem Zahnersatz bei stark reduzierter Bezahnung Bei vielen Patienten mit reduziertem Zahnbestand ist abnehmbarer Zahnersatz kostengünstig und daher das Therapiemittel der Wahl. Patienten, die über längere Zeit einen abnehmbaren Zahnersatz Im Fokus Abb. 9 a und b Zahnverlust durch Parodontitis und Karies bei einem 74-jährigen Patienten. Nur die Wurzeln der Zähne 12 bis 22 konnten erhalten werden. Verlust der Wurzel 13. Durch ein Implantat mit Kugelanker in regio 15 kann die Prothesenabstützung trotz minimaler Restbezahnung verbessert werden b a b c d Abb. 10 a bis d 78-jährger Patient mit Parkison. Vernachlässigung der Mundhygiene seit Erkrankung und ungünstige intermaxilläre Beziehung ohne stabile Zahnkontakte. Therapie: Extraktion aller Zähne, Insertion von je zwei Implantaten im Ober- und im Unterkiefer sowie Eingliederung von Totalprothesen. Für die Pflegenden ist es einfacher, die Kugelanker und die Prothesen zu reinigen als die natürliche Restbezahnung getragen haben, verlangen nicht immer nach einer festsitzenden Versorgung, auch wenn diese heute vielfach mit Implantaten machbar wäre. Argumente sind langjährige Gewohnheit sowie das Gefühl, die Reinigung des herausnehmbaren Zahnersatzes sei einfacher. Häufig besteht eine Diskrepanz zwischen der Prognose und der prothetischen Verwendbarkeit eines Pfeilers, denn erhaltbar bedeutet nicht gleichzeitig strategisch günstig. Implantate verbessern im stark reduzierten Restgebiss die Abstützung, die Stabilität und das Design einer abnehmbaren Prothese. Eine neuere Studie weist auf die große Variabilität des Restgebisses und auf die oft ungünstige Pfeilerverteilung hin [9] (Abb. 8). Dank dem Einsatz von Implantaten wurde in den graphisch dargestellten Beispielen die Situation mit relativ wenig Aufwand verbessert (Abb. 9). In diesen Fällen ging es um neu geplante, einfache abnehmbare Prothesen oder auch um Reparaturen, wenn ein wichtiger Pfeilerzahn innerhalb der bestehenden abnehmbaren Rekonstruktion verloren ging. 5.5. Der zahnlose Kiefer Trotz aller zahnmedizinischen Fortschritte werden ältere Menschen auch heute noch zahnlos oder sind es bereits seit langer Zeit (Abb. 10). Das Konzept, dass im Unterkiefer zwei zur Stabilisierung einer Prothese dienende Implantate eine gute Langzeitprognose haben und dass dieses in einem guten Kosten-Nutzen-Verhältnis steht, wurde mehrfach beschrieben [17]. Die wissenschaftliche und klini- www.teamwork-media.de © 13. Jahrgang, 2/2010 teamwork 151 Im Fokus a b Abb. 11 a und b 72-jährige Patientin mit Stegprothese nach Verlust aller noch vorhandenen Zähne im Oberkiefer, der Unterkiefer ist voll bezahnt. Der Titansteg ist CAD/CAM-gefertigt und die Prothese gaumenfrei gestaltet b a c Abb. 12 a bis c Die Implantate wurden bei der 66-jährigen Patientin nach computerassistierter Planung parallel transgingival gesetzt. Vier Locator-Attachments dienen zur Prothesenverankerung sche Evidenz ist hierbei hoch. Eine Langzeituntersuchung mit einer Beobachtungsdauer von 10 bis 24 Jahren hat ergeben, dass die kumulative Überlebensrate der Implantate rund 95 Prozent beträgt und erst nach über 20 Jahren unter 90 Prozent abfällt. Die Studie hat auch gezeigt, dass bei diesen alten Menschen die Nachsorge gewährleistet war und dass diese oft beim Eintritt ins Pflegeheim erhalten werden konnte. Dank regelmäßiger Nachsorge waren die Prothesen zu über 80 Prozent zwischen 10 und 24 Jahren in Funktion [22]. Für den zahnlosen Oberkiefer gibt es keine vergleichbaren Langzeitdaten. Auch Stegprothesen 152 teamwork J Cont Dent Educ sind für entsprechend alte Menschen nicht dokumentiert. Es ist die jüngere Gruppe der älteren Population, bei welcher im zahnlosen Oberkiefer Implantate zum Einsatz kommen. Insbesondere, wenn im Unterkiefer noch eigene Zähne und festsitzende Brücken vorhanden sind (Abb. 11). Der stark atrophierte zahnlose Oberkiefer mit ungünstigen anatomischen Verhältnissen verlangt nach mehr chirurgischem Aufwand. In der Fachliteratur wird darauf hingewiesen, dass die Überlebensrate von Implantaten im zahnlosen Oberkiefer niedriger ist als im zahnlosen Unterkiefer [5]. Die Knochenstruktur des Oberkiefers ist weniger dicht, was sich in einer geringeren Stabilität der Implantate mani- Im Fokus a b Abb. 13 a und b Die 65-jährige Patientin ist seit 30 Jahren im Oberkiefer zahnlos: Es besteht der Wunsch nach einer festsitzenden Brücke. Aufwändige Chirurgie mit GBR infolge fortgeschrittener Atrophie des Kiefers. Direkt auf der Implantatschulter verschraubtes CAD/CAM-gefertigtes Brückengerüst aus Titan mit Kunststoffzähnen und Kunststoffbasis festiert, gemessen mit der Resonanz-Frequenz Analyse (RFA). So wurde der atrophische, zahnlose Oberkiefer als a priori osteoporotisch bezeichnet. Untersuchungen haben ergeben, dass bei Frauen niedrige RFA-Werte signifikant häufiger sind [32]. Die Verwendung von lediglich zwei Implantaten zur Verankerung einer Totalprothese im Oberkiefer, wie dies bei an Parkinson erkrankten Patienten gezeigt wurde, gilt nicht als Standard und kommt nur in spezifischen Fällen zur Anwendung. Bei idealer, beidseitiger Implantatverteilung sind aber vier Locator-Attachments oder Kugelanker auf Implantaten von genügender Länge und Durchmesser möglich (Abb. 12). 6. Die Implantatversorgung der Generation 60 plus In aktuellen zahnmedizinischen und zahntechnischen Magazinen finden wir zahlreiche Beispiele von ausgedehnten und komplexen Sanierungen mit Hilfe von Implantaten. Es werden individuelle, auf den Behandler bezogene, chirurgische und prothetische Techniken dargestellt. Die Anzahl der inserierten Implantate ist hoch und die benutzten Technologien sind kompliziert. Dies vielleicht auch, weil die Implantate nicht immer optimal platziert sind. Mit dem Wissen um die Implantologie steigen die Wünsche und Ansprüche der Patienten, welche Zähne verlieren, oder bereits einen zahnlosen Kiefer haben. Es handelt sich um Patienten im Alter über 50, bevorzugt zwischen 60 und 70, die sich nicht mit dem Gedanken an eine einfache prothetische Versorgung mit herausnehmbarem Zahnersatz, oder gar mit Totalprothesen auseinandersetzen wollen. Anstelle des abnehmbaren Zahnersatzes soll eine festsitzende Rekonstruktion eingegliedert werden. So müssen verschiedene Implantatoptionen zur Verfügung stehen, die auf konzisen Behandlungskonzepten in Kombination mit moder- nen, zuverlässigen und einfachen Technologien basieren (Abb. 13 und 14). Diese heute noch vital und jugendlich wirkenden 60- bis 70-jährigen Menschen werden in zehn, spätestens in zwanzig Jahren unsere alten Patienten, ja vielleicht Geriatriepatienten sein, die nach wie vor auf zahnärztliche Betreuung angewiesen sind. Die Zahnärzteschaft muss sich dieser Perspektive bewusst und darauf vorbereitet sein, dass in naher Zukunft einfache aber auch komplexe Rekonstruktionen mit Hilfe von Implantaten nun auch bei gebrechlichen, kranken und dementen Patienten keine Ausnahme mehr sein werden. 7. Schlussfolgerungen Altern lässt sich nicht aufhalten, aber es ist von biologischen Gesetzen und durch das individuelle Verhalten, die Lebensweise und die Lebensumstände der Menschen geprägt. Ältere Menschen sollen zu einem Zeitpunkt zahnärztlich saniert werden, an dem der Allgemeinzustand noch nicht zu großer Einschränkung führt und an dem sich der Patient einen implantatchirurgischen Eingriff zutraut. Das Hinausschiebendes notwendiger Behandlungen führt nur zu einer Kumulation der Probleme und kompliziert die Maßnahmen zu einem späteren Zeitpunkt. Kommen wir auf die zwei in der Einleitung erwähnten Denkansätze zurück: 1. Ältere Menschen sind eine ausgesprochen inhomogene Patientengruppe, deshalb ergibt sich hier ein breites und interessantes Spektrum an implantologischer Tätigkeit. Implantate bereichern in unterschiedliche Situationen die Therapie, vereinfachen die prothetische Planung und können rasch zu effizienten Maßnahmen führen. Die Frage, ob wir die orale Gesundheit damit langfristig verbessern, kann noch nicht endgültig beantwortet werden. www.teamwork-media.de © 13. Jahrgang, 2/2010 teamwork 153 Im Fokus a b c d Literatur beim Verfasser oder im Internet unter www.teamwork-media.de in der linken Navigationsleiste unter „Journale Online“. Abb. 14 a bis e Festsitzende statt abnehmbarer Versorgung bei einer 84-jährigen Patientin. Die Wurzelstiftkappen auf 13, 23 wurden zu Kronen umgearbeitet. Im linken Oberkiefer wurde eine Sinusbodenelevation vorgenommen. Insertion von zwei Implantaten in jeder Kieferhälfte. Je eine direkt auf Implantatniveau verschraubte, vollkeramische Brücke aus Zirkoniumdioxid (distaler Anhänger bei der rechten Brücke) 2. Heute erhalten viele ältere Menschen unterschiedlich einfache, aber auch komplexe Sanierungen mit Implantaten. Das heißt, dass die Implantologie in naher Zukunft unvermeidlich ein Teil der Alterszahnmedizin sein wird, sowohl bei der Therapie und insbesondere bei der Nachsorge von alten Patienten. Die Implantologie muss deshalb zur Ausbildung in der Gerodontologie gehören. Zudem brauchen wir bessere Konzepte, zahnmedizinisch, politisch, ökonomisch und logistisch, um diesen zukünftigen Perspektiven der Alterszahnmedizin gerecht zu werden. q Korrespondenzadresse Prof. Dr. R. Mericske Stern Klinik für Zahnärztliche Prothetik Freiburgstrasse 7 3010 Bern/Schweiz [email protected] 154 teamwork J Cont Dent Educ e Alle gezeigten Bilder wurden bei der Behandlung von Patienten im Alter zwischen 65 und 90 Jahren aufgenommen. Keine der gezeigten Rekonstruktionen entstand im Rahmen von Studien, die Patienten haben alle Therapiemassnahmen selber bezahlt. Über die Autorin Prof. Dr. med. dent. Regina Mericske-Stern ist seit Ende 2001 Direktorin der Klinik für Zahnärztliche Prothetik der Universität Bern und Spezialistin für Rekonstruktive Zahnmedizin (SSRD). Ihr Studium absolvierte sie an der Universität in Bern, wo sie auch im Fach Prothetik und Implantologie habilitierte. 1996 wählten sie die Studenten zum „Teacher of the Year“. Seit einem Studienaufenthalt bei Prof. G.A. Zarb 1992/93 in Toronto war sie dort regelmäßig als Gastprofessorin engagiert. Sie ist Mitglied von zahlreichen nationalen und internationalen Gesellschaften. Prof. R. Mericske-Stern ist Past-Präsidentin der SGZBB (Schweizerische Gesellschaft für die zahnmedizinische Betreuung Behinderter und Betagter) sowie President elect der SSRD (Schweizerische Gesellschaft für Rekonstruktive Zahnmedizin). Ihr Hauptinteresse in Klinik und Forschung gilt der Implantatprothetik mit den Schwerpunkten Biomechanik und Implantate für ältere Menschen. Seit drei Jahren steht die CAD/CAM-Technologie, insbesondere im Zusammenhang mit Implantatrekonstruktionen, im Vordergrund. Es entstanden zahlreiche Publikationen, Abstracts und Buchkapitel. Professor Mericske wird oft zu internationale Kongresse eingeladen und hat in über 25 Ländern referiert. Die Klinik von Prof. Regina Mericske-Stern bietet als anerkannte Ausbildungsstätte das Weiterbildungscurriculum für die Spezialisierung in Rekonstruktiver Zahnmedizin sowie den 3-jährigen Masterlehrgang (MAS) in „Prosthodontics and Implant Dentistry“ an.