Alternativen zur Zwangspsychiatrie: Utopie oder Notwendigkeit?!

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Peter Meyer
Alternativen zur Zwangspsychiatrie
Redemanuskript:
Seine Sie alle herzlich begrüßt. Kurze Vorstellung: Ich bin Peter Meyer und seit ca. 30 Jahren in
der Menschenrechtsbewegung aktiv, z.B. im Arbeitskreis Menschenrechte und Zwangspsychiatrie,
in der Erwerbsloseninitiative BASTA und anderen Zusammenhängen. Wir verstehen uns ausdrücklich als parteilich, in dem Sinne, dass wir die Interessen der Betroffenen vertreten, auch und gerade die Interessen der Psychiatrie-Erfahrenen.
„Alternativen zur Zwangspsychiatrie“- so hieß eine Veranstaltungsreihe, die im Sommer 2015
durchgeführt wurde vom „Verein zum Schutz vor psychiatrischer Gewalt“ bzw. seiner Beratungsstelle. Bei den sehr anregenden Diskussionen haben Psychiatrie-Erfahrene ihre Wünsche und Forderungen formuliert was sie von diesen Alternativen erwarten.
Dabei wurden unter Anderen folgende Wünsche geäußert und auf Zettel geschrieben:
„In Krisen wünsche ich mir einen Schutzraum, in dem ich Geborgenheit finde und frei bin von
Nachstellungen und Zwängen.“
„Ich bin obdachlos und suche eine sichere Bleibe, wo ich auch mal die Tür hinter mir zumachen
kann und auch mit meinem Hund wohnen kann. Mein Hund ist mein bester Freund.“
„Ich bin Veganerin und möchte in einer Kriseneinrichtung auch z.B. mein Essen nach meinen Vorstellungen zubereiten können.“
„Ich möchte wegen meiner gesundheitlichen Beschwerden eine Ärztin/ Arzt meiner Wahl und meines Vertrauens.“
„Ich möchte, dass der sozialpsychiatrische Dienst sich nie wieder in mein Leben einmischt!“
„Ich möchte nicht bespitzelt und überwacht werden und das hinter meinem Rücken alle Daten
über mich eingesammelt werden, auch die intimsten und persönlichsten Sachen. Mein Post-und
Telefonverkehr soll vertraulich sein!“
„Ich möchte nicht entmündigt werden durch eine Betreuung und auch nicht in eine geschlossene
Einrichtung eingesperrt werden!“
„Ich möchte auch als behinderter Mensch frei und selbstbestimmt leben können.“
Gesundheit Berlin-Brandenburg (Hrsg.): Dokumentation Kongress Armut und Gesundheit, Berlin 2016
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„Ich brauche oft Hilfe und Begleitung beim Umgang mit Ämtern und Behörden.“
„Ich brauche Hilfe von Rechtsanwältinnen, weil meine Rechte als behinderter Mensch mit Füßen
getreten werden.“
„Ich möchte nie wieder hungern müssen, weil ich mit Hartz IV Sanktionen überzogen wurde.“
„Ich wünsche mir eine niedrigschwellige Einrichtung wie z.B. ein Nachtcafé, wo ich in akuten Krisen auch mal anonym Hilfe bekomme und bei verständnisvollen Menschen übernachten kann.“
Das sind nur einige Beispiele.
Für viele mögen die oben geäußerten Wünsche befremdlich klingen, da es sich für Menschen aus
der Mitte der Gesellschaft um Selbstverständlichkeiten handelt. Ein Dach über dem Kopf, eine
sinnvolle Beschäftigung, nicht eingesperrt und überwacht werden. Das alles sind elementare Rechte wie sie auch in den Menschenrechtskonventionen festgeschrieben sind, wie z.B. in der „UNKonvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“. Darauf hat auch Patricia di Tolla
treffend hingewiesen.
Das sog. „Psychiatrische Hilfesystem“ hat heutzutage faktisch ein Behandlungsmonopol für Menschen in seelischen und sozialen Notlagen, wobei das Eine oft das Andere bedingt. Das Recht auf
freie Arztwahl oder freie Wahl der Wohn- und Lebensumstände ist für Menschen, die in die Fänge
dieses Systems geraten sind, de facto außer Kraft gesetzt.
Seit dem 1. September 2009 ist das Gesetz zur Patientenverfügung in Kraft. Dadurch hat man nun
die Möglichkeit sich durch die antipsychiatrische PatVerfü zu schützen. Diese PatVerfü ist allerdings
eine defensive Maßnahme, die vor unerwünschter zwangspsychiatrischer Einwirkung schützt, sofern sich Ärzte und Dienste daran halten. Was aber von vielen Psychiatrie-Erfahrenen gewünscht
wird sind menschliche Hilfsmöglichkeiten in Lebenskrisen, in denen ihre Rechte und ihre Würde
gewahrt werden. Es gibt dazu Ansätze, wie zum Beispiel das Weglaufhaus „Villa Stöckle“, die
Soteria-Konzepte oder eine Krisenpension in Schöneberg. Die Nutzer haben aber angegeben, dass
bei allem guten Willen diese Einrichtungen bestenfalls in Ansätzen eine Alternative darstellen, aber
es wirklich nur ein „Tropfen auf den heißen Stein“ ist, bzw. viele gute Absichten vom Bürokratiedschungel wieder zunichte gemacht werden. Das Weglaufhaus z.B. hat nur 13 Betten.
Die Betroffenen fordern einen Ansatz für Alternativen zur Zwangspsychiatrie, der deutlich grundlegender und umfassender ist. „Armut und Gesundheit“- der direkte Zusammenhang dieser beiden
Größen ist der Schlüssel.
Die Zwangspsychiatrie ist die Schwester des Hartz IV-Systems mit seinen krankmachenden Sanktionen und Drangsalierungen. Auf den geschlossenen psychiatrischen Stationen finden sich fast nur
Hartz IV- und Sozialhilfeempfänger, Kleinstrentner, Obdachlose, auch Migranten ohne Papiere etc.
Es handelt sich eindeutig um ein Instrument der Klassenherrschaft. Millionäre werden wohl kaum
in Existenzängste geraten, etwa wegen einer Zwangsräumung oder in einer Hartz IV- Sanktion.
Gesundheit Berlin-Brandenburg (Hrsg.): Dokumentation Kongress Armut und Gesundheit, Berlin 2016
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Menschen die im Hamsterrad der sog. Leistungsgesellschaft nicht mehr mit rennen können oder
wollen, werden von der Zwangspsychiatrie selektiert, stigmatisiert, entmündigt und in profitträchtigen Einrichtungen weggesperrt wie z.B. der Treberhilfe e.V. des genussfreudigen Maserati-Harry.
Wie ernst es die Zwangspsychiatrie in Wahrheit meint mit der der ärztlichen Schweigepflicht, das
beweist die geheime Software des Sozialpsychiatrischen Dienstes mit Namen „SPDI32“, die seit
2007 im Einsatz ist. Darin werden alle Daten und Informationen gesammelt die man über Psychiatrieerfahrene durch Bespitzelung und Denunziation ergattern konnte. Diese Software SPDI32 enthält intimste persönliche Daten, wie Personalien und Lebensläufe von Verwandten, Liebespartnern,
Kontakte ins Ausland, Angaben zu und von Arbeitgebern, Vermietern, Nachbarn und was besonders skandalös ist: sämtliche Befunde von den Hausärzten des Vertrauens der Bespitzelungsopfer.
Diese brisanten Daten werden an alle möglichen Stellen weitergeleitet z.B. an Ärzte des Vertrauens, Kliniken, Job Center, Versicherungen.
Wir haben hier den gläsernen Erwerbslosen, immer mehr Hartz IV-Empfänger werden nämlich
entgegen jedem Datenschutz von dieser Software erfasst und bespitzelt. Im Bezirk FriedrichshainKreuzberg hat es bereits eine Anfrage der Piraten-Fraktion zu SPDI32 gegeben, in der kritisiert
wurde, dass diese Software SPDI32 in jeder Hinsicht dem Datenschutz und den Persönlichkeitsrechten widerspricht und auf dem veralteten Betriebssystem Windows XP läuft, so das sie mühelos
von jedem gehackt werden kann. Ich zitiere hier noch einen Ausschnitt aus dem „Bericht des Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit“ Dr. Alexander Dix:
„Dennoch ist unserem Wunsch, ein den Anforderungen entsprechendes verfahrensspezifisches
Sicherheitskonzept zur Prüfung zu erhalten, so lange nicht entsprochen worden, bis wir erfuhren,
dass das Verfahren probehalber im Echtbetrieb eingesetzt wird. Demzufolge haben wir unsere
Beratung eingestellt und werden den Einsatz des Verfahrens mit Echtdaten einer datenschutzrechtlichen Kontrolle unterziehen.“ Zitat Ende.
Wenn jemand hier im Saale an dieser Sache interessiert ist, oder neueres weiß bitte ich sehr darum uns zu kontaktieren. www.bastaberlin.de
„Gesundheit ist gesetzt“ heißt heute das Thema. In Berlin gibt es einen Entwurf für eine Neufassung des Psychisch-Kranken-Gesetzes. Dieser Entwurf enthält für die Patienten eine Vielzahl von
gravierenden Verschlechterungen. Wir lehnen ihn vollumfänglich ab. So wird den Patienten jede
Möglichkeit genommen sich gegen Misshandlungen in der Zwangspsychiatrie wirksam zu wehren.
Die Beschwerdestellen und die Patientenfürsprecher sind in diesem Entwurf als feste Bestandteile
der Zwangspsychiatrie mit eingebaut, also nicht unabhängig und werden aus der gleichen Landeskasse bezahlt wie die Zwangspsychiatrie selbst. Unabhängige Besuchskommissionen auf geschlossenen Stationen sind nicht vorgesehen. Auf die Artikel der UN-BRK wird nicht die geringste Rücksicht genommen. Stattdessen werden neue Sprachregelungen angeordnet: z.B. soll es jetzt statt
„Einrichtung für psychisch Kranke“ heißen: „Einrichtung für seelische Gesundheit“. Fixierbetten und
Elektroschockgeräte werden aber unverändert auf Hochtouren laufen. Das ist eine zynische Verhöhnung der Psychiatrieopfer. Der Entwurf zum PsychKG enthält immer wieder verschleiernde
Formulierungen wie „Beleihung“. Damit ist gemeint, dass hoheitliche exekutive Rechte, die sonst
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nur von Polizei oder Justiz nach rechtsstaatlichen Maßstäben und durch Rechtsmittel abgesichert
wahrgenommen werden dürfen, nunmehr vom Personal der Zwangspsychiatrie völlig willkürlich
und nach Gutsherrnart wahrgenommen werden sollen, v a. auch die Eingriffe in Grund- und Menschenreche der völlige Entzug derselben. Das betrifft vor allem das Recht auf Freizügigkeit, auf
Leben und Gesundheit, diverse Persönlichkeitsrechte wie Post-und Fernmeldegeheimnis u.v.m. Die
Patienten sollen keinerlei Gegenwehr durch Rechtsmittel oder dergleichen haben.
Da der Entwurf zum PsychKG von Funktionären der Zwangspsychiatrie geschrieben wurde, hat
man auch das Recht auf Folter der Patienten vorbehalten. Diese sollen zu einem Geständnis gezwungen werden, dass von der Zwangspsychiatrie zynisch als „Krankheitseinsicht“ oder „compliance“ bezeichnet wird. Compliance heißt Unterwerfung. „Uneinsichtige“ Patienten werden mit empfindlichen Übeln überzogen, z.B. werden sie fixiert und mit toxischen Substanzen wie Haldol,
Abilify und giftigen Neuroleptika vollgespritzt. Das verstößt gegen das ausdrückliche Folterverbot
der von Deutschland unterschriebenen Menschenrechtskonventionen.
Angesichts des menschenrechtsfreien Raumes, den v. a. das geplante PsychKG zementieren will,
darf man wohl getrost von einem „Ermächtigungsgesetz“ sprechen.
Was fordern Psychiatrieerfahrene Menschen vom Gesetzgeber?
1. Die Abschaffung aller Psychisch-Kranken-Landesgesetze, zumindest die Zwang und Gewalt
legitimierenden Teile.
2. Die gesetzliche Verankerung von Alternativen zur Zwangspsychiatrie, z.B. eine gemeinnützige Krankenversicherung für nicht-psychiatrische Einrichtungen, deren Beiträge obligatorisch von JobCentern und Sozialämtern übernommen werden müssen.
3. Behörden-Software wie o. g. „SPDI32“ und alle anderen Akten der Zwangspsychiatrie müssen vollständig und rückstandsfrei den Betroffenen ausgehändigt werden und wenn keine
schriftliche Erlaubnis der Betroffenen vorliegt unwiderruflich gelöscht werden
4. Sozialleistungen dürfen nicht von psychiatrischen Zwangsbegutachtungen abhängig gemacht werden. Abschaffung aller unzumutbaren und menschenrechtswidrigen „Mitwirkungspflichten“. Freie Arztwahl und Akzeptanz der Atteste der Ärzte des Vertrauens! Mittelfristig: Ersatzlose Abschaffung des menschenrechtswidrigen Hartz IV Systems! Bezahlbarer
Wohnraum für Alle!
5. Schluss mit diskriminierenden Regelungen und einer Praxis, die die Menschen einteilt nach
psychisch gesund oder psychisch krank, also wertvoll und unwertig!
Wir setzen darauf, dass sich alle Psychiatrieerfahrenen politisch organisieren. Das gilt für alle Menschen, die entwürdigt und entrechtet werden. Wir wollen zusammen kämpfen mit Erwerbslosen,
Menschen mit prekärer Beschäftigung und auch Pflegekräften und Medizinern, die von herrschenden Verhältnissen die Nase voll haben!
Kein Mensch ist asozial! Kein Mensch ist Illegal!
Gesundheit Berlin-Brandenburg (Hrsg.): Dokumentation Kongress Armut und Gesundheit, Berlin 2016
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Ich hoffe, ich konnte einen kleinen Einblick geben, warum Alternativen zur Zwangspsychiatrie so
dringend sind wie nie zuvor und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Kontakt:
Peter Meyer
Grafik im Header: Connye Wollf / JiSign, Fotolia
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