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Sichtbare Verbindungen schaffen
Wirtschaftliches Prozessmanagement durch Visualisierung von Nahtstellen
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Peter Felber, Eisenach, und
Peter Wintzer, Gensingen
Je nach Unternehmensgröße kann es an den Nahtstellen der Zuständigkeiten zu erheblichen Reibungsverlusten kommen, insbesondere
wenn mehrere Standorte miteinander kommunizieren müssen. Ein
mittelständischer Kunststoffverarbeiter hat sich speziell dieser Problemstellung angenommen und über den Weg der Einführung eines
prozessorientierten Managementsystems eine praktikable Lösung
herbeigeführt.
Wie Unternehmen vieler anderer Branchen auch, musste sich die Schuster
Kunststofftechnik GmbH, Lüdenscheid,
aufgrund des Wettbewerbsdrucks mit
Kosteneinsparungen beschäftigen. Seit
der deutschen Wiedervereinigung hatte
der Hersteller von dekorativen Kunststoffteilen mit hohen Oberflächenansprüchen für die Automobilindustrie und
die Mobilfunksparte in Seebach einen
Werkzeugbau eingerichtet und nachfolgend in zwei Schritten die komplette Produktion und Montage von Kunststoffbaugruppen nach Waltershausen bzw. See-
bach verlagert. Die Summe der Unternehmensleistungen wurde somit an drei
Standorten erbracht. Der damit verbundene Mehraufwand in der Kommunikation und die dadurch aufgetretenen
zusätzlichen Reibungsverluste wurden
in Kauf genommen, da ihnen zu jenem
Zeitpunkt noch ein angemessener Erlös
gegenüberstand. Ein starker Umsatzeinbruch in der Telekommunikationssparte
jedoch zwang das Unternehmen, schnell
über eine Ausweitung des Automobilgeschäftes und über Kosteneinsparungen
nachzudenken.
Probleme erkennen
Die anstehenden Themen mussten unter
Zeitdruck parallel in Angriff genommen
werden. Neben vielen anderen Aktionen
wurde eine Akquisition in der Automobilindustrie getätigt. Als Begleiterscheinung
wurden
die
Einrichtung
eines
Managementsystems unter Berücksichtigung der ISO 9001:2000 und der ISO/TS
16949 sowie diverse Kostensenkungsmaßnahmen nötig. Eine Schlüsselrolle
bei der Neustrukturierung des Unternehmens, so zeigte sich, spielte die Zertifizie-
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Bild 1. Geschäftsprozesse des
Unternehmens: „M“ weist auf
mindestens eine Nahtstelle hin.
„I” steht für alle Anweisungen,
die für die ordnungsgemäße
Ausführung des jeweiligen Tätigkeitsschritts erforderlich sind
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rung nach ISO/TS 16949. Von
Anfang an war dieses Projekt in
der
Unternehmenshierarchie
sehr hoch angesiedelt. Als Projektleiter wurde einer der zwei
Prokuristen eingesetzt, der in Zusammenarbeit mit dem Leiter des
Qualitätswesens und einem externen Berater das Gesamtprojekt steuerte. Gestartet wurde
dieses Projekt im Januar 2002,
Ziel war die Zertifizierung innerhalb von neun Monaten.
Während der Arbeiten zur Beschreibung der Geschäftsprozesse kristallisierte sich rasch ein
Kernproblem heraus. Innerhalb
der Geschäftsprozesse gab es
zahlreiche Nahtstellen zu unterschiedlichen Zuständigkeiten,
was in der Praxis immer wieder
dazu führte, dass Aufgaben gar
nicht, nicht sachgerecht oder
nicht termingerecht erledigt
Bild 2. Unterprozess Kundenanfragen bearbeiten
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METHODEN
wurden. Daher wurde als ein separates
Projektziel beschlossen, den Nahtstellen
zwischen den Geschäftsprozessen besonderes Augenmerk zu schenken und die
in diesem Zusammenhang anfallenden
Fehlerkos-ten drastisch zu reduzieren.
Zwar war den Beteiligten bewusst, dass
erhebliche Störungen im Betriebsablauf
auftraten und damit auch erhebliche Kosten verbunden waren. Doch Kennzahlen,
etwa betriebswirtschaftliche Größen, die
Auskunft darüber geben könnten, welche
finanziellen
Verluste
aus
der
bestehenden Nahtstellenproblematik resultierten, existierten nicht. Auf diese
Weise würde im Projektverlauf oder nach
Abschluss wegen der vielen zeitgleichen
Maßnahmen zur Kostensenkung kein
Einzelnachweis des Erfolgs geführt werden können. Um dies dennoch zu ermöglichen und auch, weil klar war, dass alle
Geschäftsprozesse mit unterschiedlicher
Gewichtung betroffen waren, konzentrierte sich die Projektarbeit darauf, die
Nahtstellen dauerhaft sichtbar zu machen
und mit eindeutigen Zuständigkeiten für
die Ausführung zu belegen.
Prozesse strukturieren
Für die Dokumentation der Abläufe des
Unternehmens, einschließlich der Darstellung der Nahtstellen, wurde von Projektbeginn an die Software Wiss-Intra
eingesetzt – eine internetfähige Dokumentationslösung mit einer zentral abgelegten, aber dezentral pflegbaren Datenbank, auf die von allen Standorten jederzeit zugegriffen werden kann. Wegen der
damit bestehenden Rahmenbedingungen „Projekt Zertifizierung“ und „Software WissIntra“ war eine optimale Ausgangslage vorhanden, die es ermöglichte, folgende Zielstellungen dieses Projektes gemeinsam zu erreichen:
■ Zertifizierung,
■ anwenderorientierte
Geschäftsprozessdarstellung,
■ papierlose Dokumentation,
■ elektronische Freigaben,
■ Identifikation aller Beteiligten mit ihren Prozessen,
■ Kostensenkung an den Nahtstellen
der Prozesse sowie
■ Kennzahlen für Prozesse und Tätigkeitsschritte.
Die Darstellung der
Geschäftsprozesse
in WissIntra bildete
auch die Grundlage
für die Visualisierung der geschäftsprozess-übergreifenden und internen Nahtstellen. Zu
Projektbeginn erfolgte zunächst die
Festlegung der Geschäftsprozesse des
Unternehmens und
die Benennung der
Personen, die für
die erstmalige Dokumentation und
die spätere Pflege
der Geschäftsprozessbeschreibungen verantwortlich
sind
(Bild
1).
Grundidee war, von
der bisherigen zentralen Verwaltung
der (Qualitäts-) Managementsystemdokumente durch
den QM-Beauftragten auf eine dezentrale
Verwaltung
Bild 3. Wechselwirkungen im Geschäftsprozessablauf
durch die zuständi-
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gen Fachbereiche zu wechseln. Damit
wurden eine deutlich höhere Identifikation der Fachbereiche mit ihren eigenen
Prozessen und der Dokumentation erzeugt und die Freigabeverfahren vereinfacht.
ISO 9000:2000 definiert den Begriff
Prozess als „Satz von in Wechselbeziehung oder Wechselwirkung stehenden
Tätigkeiten, der Eingaben in Ergebnisse
umwandelt“. Eingaben sind dabei gemäß
Anmerkung 1 üblicherweise Ergebnisse
anderer Prozesse. Deshalb wurde bei der
Dokumentation der Geschäftsprozesse
konsequent darauf geachtet, dass diese
auch die tatsächlichen
Ablauffolgen
wiedergeben. Damit sind für diese Situationen auch bereits alle Wechselwirkungen dargestellt, wie am Beispiel der Anfragenbearbeitung deutlich wird (Bild 2).
Bei jedem Tätigkeitsschritt sind die Ausgaben auch gleichzeitig die Eingaben in
den folgenden (Bild 3). Bei der
Prozessdokumentation mittels WissIntra
gelang es auf diese Weise, dem Anwender alle benötigten Informationen auf
möglichst einer Bildschirmseite zur Verfügung zu stellen.
Am Ende einer Prozesskette steht immer der konkrete Tätigkeitsschritt. Hier
werden die Sachaufgaben geleistet, hier
müssen alle internen und externen Forderungen erfüllt werden, gleichgültig ob
sie aus Satzung, Gesetz, Verordnung,
Normen (wie z. B. Qualität, Umwelt, Arbeitssicherheit, Basel-II-Rating) resultieren, hier wird über Qualität entschieden.
Deshalb lag auch ein besonderes Augenmerk auf dieser Stelle. Führungskräfte
und Mitarbeiter waren zu jedem Tätigkeitsschritt aufgefordert, sich Gedanken
zu machen über
■ Ziel/Nutzen,
■ Nutzenfeststellung,
■ Eingabeinformationen,
■ grundsätzliche Arbeitsausführung,
■ Ausgabeinformationen und
■ Nahtstellen zu anderen Tätigkeitsschritten.
Damit waren zunächst einmal alle mit
administrativen Tätigkeiten betrauten
Mitarbeiter in den Vorgang der Planung
ihrer eigenen Prozesse bzw. Tätigkeitsschritte miteinbezogen. Dies führte dazu,
dass sich diese Mitarbeiter mit ihren Prozessen identifizieren und im Alltag auch
tatsächlich mit diesen Beschreibungen
arbeiten. Dadurch haben sich Einarbeitungszeiten und Fehler neuer Mitarbeiter verringert, der Aufwand für die Prüfung und Aktualisierung der Geschäfts-
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Bild 5. Nahtstellen
eines Tätigkeitsschritts
machen Aktionen
und Zuständigkeiten
sichtbar
prozesse vor dem ersten Überwachungsaudit hat sich deutlich reduziert, und die
Kommunikation zwischen den Verantwortungsbereichen hat sich versachlicht.
Eine weitere wichtige Voraussetzung
zur Reduzierung von Nahtstellenkosten
besteht darin, dass die Entscheidungsträger auch eine Übersicht der sie betreffenden Nahtstellen erhalten. Die eingesetzte Software ermöglicht es, die Nahtstellen aus verschiedenen Perspektiven
zu betrachten: aus Sicht der Geschäfts-
prozesse, der Funktionen und der Personen (Bilder 4, 5). Der Geschäftsführung
und dem Managementsystembeauftragten steht eine quantitative Auswertung
zur Verfügung, um Schwerpunkte erkennen zu können (Bild 6).
Reibungsverluste reduzieren
Während der Arbeiten zur Darstellung
der Geschäftsprozesse, bei denen
zwangsläufig auch die Nahtstellen mit
aufgezeichnet wurden, wurde den Ge-
schäftsprozessverantwortlichen und -betreuern sowie den beteiligten Mitarbeitern schnell klar, dass bei der bestehenden Ausgangslage der drei Standorte tatsächlich erhebliche Reibungsverluste an
diesen Nahtstellen auftreten:
■ Notwendige Tätigkeiten sind nicht
oder nur unvollständig beschrieben.
■ Die
Ausführungsverantwortungen
sind nicht oder unklar geregelt.
■ Die Daten- bzw. Informationsflüsse
sind zu lang und/oder zu zeitaufwendig.
Die ersten beiden Sachverhalte konnten in ihren Grundzügen im Rahmen
der Geschäftsprozessdarstellung und
der Beschreibung der einzelnen Tätigkeitsschritte miterledigt werden, wobei
allen Beteiligten auch klar ist, dass hier
noch nicht alle Lücken geschlossen
sind. Als schwieriger stellte sich die
Lösung des dritten Sachverhaltes dar.
Welche Informationen für die Ausführung von Tätigkeiten erforderlich sind
und welche Informationen als Ergebnisse aus den Tätigkeiten resultieren,
konnte ebenfalls aus der Beschreibung
Bild 4. Liste der Nahtstellen eines Geschäftsprozesses
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der einzelnen Tätigkeitsschritte entnommen werden.
Mit genauer Betrachtung dieser Daten
wurde festgestellt, dass die größten Reibungsverluste und somit auch die meisten Einsparungspotenziale in den Nahtstellen zum vorhandenen PPS-System
liegen:
■ Anwender in den Fachbereichen kennen wesentliche Möglichkeiten des
PPS-Systems nicht.
Lieferantenbewertung betroffen. Hier
wurde das im PPS-System vorhandene,
aber nicht genutzte Verfahren optimiert,
und die Ergebnisse der Wareneingangsprüfung fließen nun automatisch ein.
Im Projektverlauf gab es vielfache ähnliche Maßnahmen an anderen Nahtstellen zwischen Geschäftsprozessen, doch
die einschneidendste und kostenwirksamste war die Verlagerung der Projektierung (Entwicklung) einschließlich der
Bild 6. Gesamtübersicht aller Nahtstellen
■
Das PPS-System genügt in wesentlichen Punkten nicht mehr heutigen
Anforderungen.
■ In den Fachbereichen werden Daten
erzeugt, die auch im PPS-System verarbeitet werden könnten oder können.
Ein wesentlicher Teil der getroffenen
Maßnahmen konzentrierte sich auf diese Schwachstelle. So wurde zum Beispiel innerhalb von drei Monaten die
Prüfplanung neu strukturiert. Bis zum
Zeitpunkt der Inkraftsetzung der Neuregelung wurden die Prüfungen, die am
Zukaufmaterial sowie an den Zwischenund Fertigprodukten durchzuführen
sind, durch drei verschiedene Stellen
geplant und in drei verschiedenen Dokumenten auf Word-Basis dokumentiert. Durch eine programmtechnische
Ergänzung der PPS-Software erfolgt
heute die Planung an einer Stelle, es
gibt nur noch einen Prüfplan, und die
Prüfergebnisse werden ebenfalls im
PPS-System dokumentiert, um in einem
nächsten Programmschritt die Dynamisierung der Prüfhäufigkeit realisieren
zu können. Gleichzeitig war auch die
Nahtstelle zwischen Wareneingang und
Einkauf in Bezug auf eine objektivere
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Musterabteilung sowie des Einkaufs vom
Standort Lüdenscheid an den Standort
Waltershausen. Überlegungen dazu hatten schon lange bestanden, und die Ergebnisse der Nahtstellenanalyse gaben
nun den letzten Anstoß zur Durchführung.
Nutzen betrachten
Die sehr transparente Darstellung der
Ablauforganisation über alle Geschäftsprozesse und der gewünschte Zwang zur
Dokumentation der notwendigen Ausführungsdetails und Nahtstellen führten
dazu, dass heute ein enormes Wissenspotenzial zur Aufbau- und Ablauforganisation vorhanden, gespeichert und für
alle Mitarbeiter zugriffsfähig ist. Damit
ergibt sich ein erheblicher wirtschaftlicher Vorteil:
■ Die Nahtstellen der Prozesse sind
transparent, die Beteiligten kennen
ihre Aufgaben, Reibungsverluste sind
deutlich reduziert.
■ Alle Informationen und Hilfsmittel
zur Ablauforganisation stehen den
Mitarbeitern ohne Zeitverluste direkt
zur Verfügung.
■
Der Aufwand bei der Einarbeitung
neuer Mitarbeiter und die Fehlerkosten in dieser Phase wurden verringert.
■ Durch die Schaffung offizieller Informationskanäle wurde die Zusammenarbeit zwischen den Fachbereichen
deutlich verbessert.
Mit dieser Transparenz der Ablauforganisation wurde gleichzeitig ein
Fundament für den Prozess der kontinuierlichen Verbesserung geschaffen.
Geschäftsprozessverantwortliche und
-betreuer – in den meisten Prozessen
handelt es sich hier auch gleichzeitig
um die Fachbereichsleiter – sind beauftragt, die Beschreibung der Ablauforganisation immer auf dem neuesten
Stand zu halten. Diese Verpflichtung
enthält auch:
■ die Einbindung der eigenen Mitarbeiter sowie
■ die Kommunikation mit den Geschäftsprozessverantwortlichen und
-betreuern der angrenzenden Prozesse.
Damit wurde erreicht, dass aktuelle Veränderungen im Tagesgeschäft und Ideen
zur Verbesserung innerhalb der Geschäftsprozesse, aber auch an den Nahtstellen zu anderen Prozessen besprochen, in die Praxis umgesetzt werden
und unmittelbar in die Systemdokumentation einfließen. In diesem Punkt befindet sich die Schuster Kunststofftechnik
GmbH auf einem viel versprechenden
Weg.
Die Autoren dieses Beitrags
Dipl.-Ing. Peter Felber, geb. 1967, studierte
nach seiner Ausbildung zum Industriekaufmann
an der Fachhochschule Darmstadt Kunststofftechnik. 1997 erwarb er die Qualifikation zum
EOQ Quality Systems Manager. Seit 2001 ist er
Prokurist der Schuster Kunststoff GmbH, Leiter
der Projektierung, nimmt als Managementsystem-Beauftragter die Aufgaben des Qualitätsmanagement-Beauftragten wahr und leitet
seit 2003 auch die Abteilung Qualitätssicherung.
Peter Wintzer, geb. 1945, ist Techniker sowie EOQ Quality Systems Manager und EOQ
Quality Auditor. Seit 1981 ist er in der Unternehmensberatung tätig und führt heute die
PWMP Management- und Organisations-Beratung, Gensingen. Die Schwerpunkte seiner Beratung liegen in der Einrichtung von Managementsystemen unter Berücksichtigung der
gängigen Normen und Regelwerkforderungen
aus Industrie und Dienstleistung.
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