EKG: Auswertung Modul 30 Modul 30: EKG: Auswertung Stichworte: Wellen und Zacken des EKGs – Strecken und Intervalle des EKGs – elektrische Herzachse – Lagetypbestimmung – Rhythmusstörungen – Repolarisationsstörungen Lern-Inhalte Das Lernziel dieses Moduls besteht darin, dass Sie anhand von physiologischen und einigen ausgewählten pathologischen EKG´s die Charakteristika des Elektrokardiogramms erlernen und eine erste Beurteilung von physiologischen und pathologischen Befunden durchführen können. Verdachtsdiagnose und klinisches Kernwissen A: Lungenembolie Bei Herrn A. bestehen mit (atemabhängigen) Thoraxschmerzen und Dyspnoe 2 der 3 Hauptsymptome einer Lungenembolie (das 3. Hauptsymptom ist ein kurzer, spontan reversibler Bewußtseinsverlust: „Synkope“). Sie ist fast immer Folge einer tiefen Beinvenenthrombose, kann jedoch auftreten, bevor oder ohne dass sich diese bemerkbar macht. Tiefe Beinvenenthrombosen haben ihre Ursache unter anderem in Immobilisierung, Störungen des Blutgerinnungssystems (z.B. AT III Mangel) und Malignomen („paraneoplastisch“). Die Ausprägung einer Lungenembolie kann ganz unterschiedlich sein und reicht von einer asymptomatischen Verlegung von kleinen Arterien auf Subsegmentebene bis zur fulminanten Embolie mit Verlegung des Hauptstamms der A. pulmonalis. Folge einer größeren Lungenembolie ist neben der beeinträchtigten Oxygenierung des Blutes (Folge: Dyspnoe, Tachypnoe) eine akut auftretende Rechtsherzbelastung: Der Blutfluss vom rechten Herz in die Lunge ist behindert, sodaß der Druck, den das rechte Herz aufbringen muss, steigt. Schafft das rechte Herz das nicht, kommt es zur Rechtsherzdekompensation mit Stau vor dem rechten Herzen und mangelndem Blutangebot ans linke Herz: Volumenmangel mit Hypotonie und Tachykardie. Im EKG gibt es lediglich indirekte Zeichen einer (größeren) Lungenembolie. Neben einer etwaigen Sinustachykardie oder anderen Rhythmusstörungen wie Vorhofflimmern sind dies die Zeichen der Rechtsherzbelastung: Zum einen dreht sich das Herz durch die starke Mehrarbeit des rechten Ventrikels, sodaß sich der Lagetyp von in diesem Alter eher indifferent bis links liegend typischerweise zum S1Q3 Typ (hier nicht besprochen) bzw. nach rechts (Steiltyp, Rechtstyp oder überdrehter Rechtstyp) ändern kann. Zudem kann es als Folge der Überlastung des rechtsventrikulären Myokards zu Repolarisationsstörungen kommen, die sich durch ST-Senkungen oder TNegativierungen in den rechts präcordial liegenden Ableitungen (V1-V3) bemerkbar machen. Manchmal kommt es auch zu Reizleitungsstörungen im rechten Tawara-Schenkel: inkompletter oder kompletter Rechtsschenkelblock. Bei Herrn A. wird die Diagnose der Lungenembolie durch die Bestimmung der D-Dimere und durch ein Angio-CT (Kontrastmittel-CT zur Darstellung der Lungengefäße) gesichert. Im Herzultraschall zeigt sich eine beginnende Rechtsherzbelastung. Da der Patient weitestgehend hämodynamisch stabil ist, wird keine Lyse durchgeführt. Mit einer therapeutischen Antikoagulation mit einem niedermolekularen Heparin s.c. 2xtgl. wird der Patient mit Monitorüberwachung auf die Station verlegt. Durch die Immobilisierung im Vorfeld ist die Lungenembolie hinreichend erklärt, sodaß keine weitere Ursachenforschung durchgeführt wird. Der Patient wird überlappend auf Marumar eingestellt und kann nach einigen Tagen nach Hause entlassen werden. Das Marcumar kann nach 6 Monaten wieder abgesetzt werden. Physiologisches Kernwissen Das EKG zeichnet den Summenvektor auf und beschreibt damit im Zeitverlauf das Wandern der Erregungsfront im Herzen. Hierbei kommt es in der EKG-Kurve zu charakteristischen Wellen und Zacken, die sich in jeder Ableitung in unterschiedlicher Ausprägung finden lassen. Abb. 30.1 zeigt das Schema eines physiologischen EKG´s (Ableitung II). Die P-Welle (norm. <0,25 mV, <0,1 sek) ist Ausdruck der Vorhoferregung. Sie hat auf Grund der geringen Muskelmasse der Vorhöfe eine Amplitude von max. 0,25 mV. Die P-Wellendauer kann in den verschiedenen Ableitungen nicht gleichermaßen gut 30-1 EKG: Auswertung Modul 30 gemessen werden. Deshalb sucht man sich grundsätzlich die breiteste P-Welle aus den verschiedenen Ableitungen heraus (oft Ableitung II). Die Repolarisation des Vorhofs ist nicht sichtbar, da sie in den folgenden Wellen und Zacken untergeht. Diagnostische Bedeutung: Das Vorhandensein einer normal geformten, pos. P-Welle, auf die jeweils ein QRS-Komplex folgt, lässt auf einen Sinusrhythmus schließen (den Sinusknoten selbst kann man im EKG nicht sehen). Der QRS-Komplex (norm. bis 0,1 sek) setzt sich aus Q-Zacke, R-Zacke und S-Zacke zusammen, wobei nicht alle Zacken vorhanden sein müssen. Definitionsgemäß nennt man die 1. negative Zacke Q-Zacke, die positive Zacke R-Zacke und die 1. negative Zacke nach einer positiven Zacke S-Zacke. Der QRS-Komplex spiegelt die Erregung der Kammern wieder. Aufgrund der hohen Muskelmasse hat der QRS-Komplex in den Ableitungen, denen der tatsächliche Summenvektor am nächsten liegt, eine sehr hohe Amplitude. Diagnostische Bedeutung: Beurteilung der Erregungsleitung und -ausbreitung im Arbeitsmyokard (u.a. verändert ventrikulären Extrasystolen, Blockade der TawaraSchenkel). Die T-Welle ist Ausdruck der Repolarisation der Kammern. Diagnostische Bedeutung: Die Erregungsrückbildung ist z.B. bei Herzinfarkten gestört und äußert sich z.B. in einer T-Negativierung. Die Wellen und Zacken sind teilweise durch sog. isoelektrische Linien verbunden, die als „Strecken“ bezeichnet werden. In diesen Phasen bestehen keine Potentialdifferenzen: es gibt keine Erregungsfront, weil das Gewebe total erregt oder total unerregt ist. Die PQ-Strecke (zwischen P-Welle und QRS-Komplex) spiegelt den Zustand der völlig erregten Vorhöfe wieder, bevor die Erregung der Kammer zustande kommt. Diagnostische Bedeutung: s. PQ-Intervall. Strecken-Intervalle Wellen-Zacken QRS-Komplex 0,1s R-Zacke pos. neg. P-Welle 0,1 s PQ-Strecke T-Welle Q-Zacke ST-Strecke S-Zacke PQ-Intervall < 0,2 s PP-Abstand Abb. 30-1 Nomenklatur des EKGs QT-Intervall frequenzabhängig bei 70/min etwa 0,32-0,39s Die ST-Strecke (zwischen QRS-Komplex und T-Welle) spiegelt dementsprechend den Zustand der völlig erregten Kammern und den Beginn der Repolarisation wieder. 30-2 EKG: Auswertung Modul 30 Diagnostische Bedeutung: typischerweise bei Ischämie verändert (ST-Hebung bei Myokardinfarkt). Als PQ-Intervall (oder PQ-Zeit) bezeichnet man die Zeit vom Beginn der P-Welle bis zum Ende der P-Strecke. Sie repräsentiert die Dauer vom Beginn der Vorhoferregung bis zum Beginn der Kammererregung. Sie beinhaltet damit die Zeit der AV-Überleitung (norm. bis 0,2 sek). Diagnostische Bedeutung u.a.: Funktion des AV-Knotens Das QT-Intervall (oder QT-Zeit) umfasst die Zeit vom Beginn des QRS-Komplexes bis zum Ende der T-Welle und repräsentiert demnach die Dauer vom Beginn bis zum Ende der Kammererregung. Sie ist frequenzabhängig und beträgt bei einer HF von 75/min bis 0,4 sek. Frequenz: Die Frequenz der Herzerregung kann aus dem EKG bestimmt werden, indem die Häufigkeit des QRS-Komplexes in Relation zur Schreibgeschwindigkeit gesetzt wird (normofrequenter Sinusrhythmus: 60-100/min, darüber: Tachykardie, darunter: Bradykardie). Lagetyp: Die 6 Extremitätenableitungen unterteilen die Frontalebene in verschiedenen Achsen, die sich jeweils 30° von einander unterscheiden. Je näher der tatsächliche Summenvektor an einer Achse liegt, desto höher wird in der betreffenden Ableitung der Ausschlag. Unter der vereinfachten Annahme, dass sich das Herz in der Frontalebene befindet (die Kippung der Achse von hinten nach vorne wird außer Acht gelassen), ist es möglich, durch die Analyse der Höhe der Ausschläge in den einzelnen Ableitungen die genaue Ausrichtung des Summenvektors in der Frontalebene und damit die Richtung der Erregungsausbreitung zu bestimmen. Die Richtung der Erregungsausbreitung, auch elektrische Herzachse genannt, entspricht unter physiologischen Bedingungen ungefähr der anatomischen Herzachse. Jeder Ausrichtung des Summenvektors innerhalb der Frontalebene wird dementsprechend ein sog. Lagetyp zugeordnet: ein Rechtstyp (120-90°), ein Steiltyp (90-60°), ein Indifferenztyp (60-30°), ein Linkstyp (30- -30°), bzw. darüber hinaus ein überdrehter Rechts- oder Linkstyp (s. Abb. 30-2). I II III aVR aVL aVF Abb. 30-2: Darstellung der Lagetypen im Oberflächen-EKG mit Zuordnung der Winkelgrade. Abb. 30-3: Beispiel-EKG zur Lagetypbestimmung. 30-3 EKG: Auswertung Modul 30 Da das Kammermyokard den maßgeblichen Anteil des Herzens ausmacht und damit seine Lage die des Herzens maßgeblich bestimmt, wird zur Lagetypbestimmung lediglich der Summenvektor während der Kammererregung („mittlerer QRS-Vektor“) herangezogen. Da der Cabrerakreis die 6 Frontalableitungen und ihre Achsen optisch zusammenfasst (Abb. 30-2), ist er bei der Bestimmung des Lagetyps eine große Hilfe. Praktisch geht man folgendermaßen vor: Der wahre Vektor liegt in der Region des höchsten pos. Ausschlages, also des höchsten R. Man trennt die Nachbarfelder dieser Region von einander ab, indem man diejenige Ableitung im EKG analysiert, die sich zu der Trennlinie der beiden in Frage kommenden Felder im 90° Winkel befindet. Weicht der tatsächliche Hauptvektor von dieser Achse ab (was er ja tut, sonst wäre hier der größte Ausschlag), aber nicht um mehr als 90°, so ist diese Ableitung überwiegend positiv (R ist größer als S). Weicht der tatsächliche Hautvektor um mehr als 90° ab, ist diese Ableitung überwiegend negativ (S ist größer als R). Also, anhand des Beispiels in Abbildung 30-3: 1. In welcher Ableitung findet man das höchste R? In Ableitung II. Dies spricht für einen Steiltyp oder Indifferenztyp, möglicherweise aber auch für die links und rechts angrenzenden Typen. 2. Welche Ableitung steht im 90° Winkel dazu? Ableitung aVL. Der QRS-Komplex ist hier überwiegend positiv. Bei einem Steiltyp müsste aVL überwiegend negativ sein, denn die tatsächliche Herzachse stünde ja mehr als 90° entfernt. Also: Indifferenztyp oder die links angrenzenden Typen. 3. Welche Ableitung trennt diese beiden Felder? Ableitung aVR 4. Welche Ableitung steht im 90° Winkel dazu? Abl. III. Diese ist überwiegend positiv. Wenn das EKG einem Linkstyp entsprechen würde, müsste III überwiegend negativ sein, denn bei tatsächlicher Herzachse im Linkstypfeld stünde diese ja mehr als 90° von Ableitung III entfernt. Also kein Linkstyp. Damit ergibt sich im Beispiel als Lagetyp ein Indifferenztyp. Aufgabe 1 Ausmessen eines EKG´s Vermessen und interpretieren Sie Ihr abgeleitetes EKG aus Modul 29 nach dem unten stehenden Schema und tragen Sie die Ergebnisse in die Tabelle auf dem Protokollblatt ein. Geräte/Material 1. EKG-Lineal 2. EKG-Ableitungen I,II, II und aVL, aVR, aVF Vorgehensweise zur Auswertung eines EKG´s 1. Beschriften Sie zunächst: P-Welle, Q-, R- und S- Zacke, T-Welle, PQ-Intervall und QT-Intervall (Ideal zur Befundung ist meist Ableitung II) 2. Messen Sie die Dauer von P-Welle, QRS-Komplex, T-Welle, PQ-Intervall und QTIntervall aus 3. Liegt ein Sinusrhythmus vor? Woran machen Sie das fest? 4. Bestimmen Sie die Herzfrequenz. Besteht Normofrequenz? 5. Beurteilen Sie die Erregungsüberleitung von den Vorhöfen auf die Kammern und die Erregungsleitung innerhalb der Kammern. Worauf achten Sie jeweils? 6. Beurteilen Sie die Erregungsrückbildung. Welche Abschnitte analysieren Sie und worauf achten Sie? 30-4 EKG: Auswertung Aufgabe 2 Modul 30 Bestimmung der elektrischen Herzachse; atemabhängige Veränderung 1. Bestimmen Sie Ihre elektrische Herzachse unter: Ruhebedingungen (gleichmäßige Ruheatmung) Nach maximaler Inspiration Nach maximaler Exspiration 2. wie erklären sich die Unterschiede? Aufgabe 3 Diagnose von Rhythmusstörungen Physiologisches Kernwissen Extrasystolen: Extrasystolen sind Herzschläge, die durch ektope (außerhalb der physiologischen Schrittmacherzentren) Impulse ausgelöst werden. Liegt ein solches ektopes Zentrum im Vorhof bzw. im AV-Knoten spricht man von supraventrikulären Extrasystolen, liegt es in der Kammer nennt man sie ventrikuläre Extrasystolen. Supraventrikuläre Extrasystolen (SVES): Außerhalb des Grundrhythmus auftretende P-Welle, die je nach Ursprungsort deformiert sein kann. Darauf folgt ein normal geformter Kammerkomplex. Da bei der SVES der Sinusknoten häufig retrograd miterregt wird, folgt die nächste Erregung erst wieder im Abstand des Sinusrhythmus (Verschiebung des Sinusrhythmus). Ventrikuläre Extrasystolen (VES): Die Erregung geht von einem ektopen Zentrum in einer Kammer aus, die Erregungsleitung in den Kammern ist dementsprechend verändert. Typischerweise kommt es zu einem deformierten QRS-Komplex ohne vorherige P-Welle. Bei niedriger Sinusfrequenz wird die nächste Sinuserregung ungestört zu den Ventrikeln weitergeleitet: interponierte Extrasystole. Bei höherer Sinusfrequenz fällt eine vom Sinusknoten ausgehende Erregung in die Refraktärzeit der Extrasystole, wodurch eine kompensatorische Pause bis zur nächsten vom Sinusknoten ausgehenden Erregung entsteht. AV-Block: Unter einem AV-Block versteht man eine Überleitungsstörung der Vorhoferregung auf die Kammer. Entsprechend dem Schweregrad dieser Überleitungsstörung spricht man vom AV-Block 1. bis 3. Grades. Beim AV-Block 1. Grades ist die AV- Überleitungszeit gleichbleibend verlängert, diagnostizierbar durch ein PQ-Intervall länger als 200 ms. Beim AV-Block 2. Grades wird nicht mehr jeder Impuls von den Vorhöfen auf die Kammern weiter geleitet, sondern z.B. nur noch jeder zweite oder dritte Impuls. Beim AV-Block 3. Grades findet gar keine Überleitung von der Vorhoferregung auf die Kammer statt. Es springen die tiefer gelegenen, langsameren Schrittmacherzentren ein, so dass Vorhöfe und Kammern völlig unabhängig voneinander mit jeweils einer Eigenfrequenz schlagen. Vorhofflattern und -Flimmern: Unter Flattern und Flimmern versteht man eine unkoordinierte Erregung der Vorhöfe durch kreisende Erregung. Beim Vorhofflattern findet man Vorhoffrequenzen von 220-350/min und im EKG typischerweise eine sägezahnförmige P-Welle. Die Überleitung auf die Kammern erfolgt häufig in einem festen Verhältnis wie z.B. 2 oder 3:1, so dass der Puls rhythmisch und normofrequent sein kann. Beim Vorhofflimmern entstehen Vorhoffrequenzen von 350-600/min. Der AV-Knoten kann nur außerhalb seiner Refraktärzeit die Erregungen auf die Kammern übertragen, was typischerweise sehr unregelmäßig auftritt. Es kommt daher zur absoluten Arrhythmie. 30-5 EKG: Auswertung Modul 30 Kammerflattern (Frequenz 200-300/min) und Kammerflimmern (Frequenz > 300) gehen im Gegensatz zum Vorhoflattern und -flimmern mit sofortigem Kreislaufstillstand einher. Man sieht im EKG eine rasche Folge von deformierten QRS-Komplexen, die beim Kammerflattern regelmäßig und beim Kammerflimmern unregelmäßig sind. Durchführung Soll zu Hause durchgeführt werden. Bei dieser Aufgabe sollen Sie an Hand der Beispiele im Protokollbogen für sich prüfen, ob Sie die Grundphänomene der EKG-Entstehung beherrschen und es Ihnen gelingt, grobe EKG-Veränderungen zu erkennen. Versuchen Sie, die zu der Diagnose gehörigen Befunde (Abweichungen von einem physiologischen EKG) zu finden und tragen Sie diese mit der Diagnose unter die jeweiligen EKG´s ein. Beachten Sie neben der Frequenz und dem Rhythmus Folgendes: - Folgt auf alle P-Wellen ein QRS-Komplex? - Was markieren die Pfeile in den EKG´s 4 und 5 - Was unterscheidet die EKG´s 6, 7und 8 voneinander? - Was unterscheidet die EKG´s 9, 10 und 11 voneinander? Verdachtsdiagnose und klinisches Kernwissen B: akuter Myokardinfarkt Bei Herrn B. bestehen die für einen Myokardinfarkt typischen linksthorakalen Schmerzen mit typischer Ausstrahlung in den linken Arm. Die Schmerzen können aber auch in Oberbauch und Oberkiefer ausstrahlen oder gänzlich untypisch sein. Sie können sogar gar nicht vorhanden sein: „stummer Myokardinfarkt“ besonders bei älteren Patienten oder Patienten mit einer Polyneuropathie in Folge eines Diabetes mellitus. Grundlage des Myokardinfarkts ist fast immer eine koronare Herzerkrankung, das heißt, Arteriosklerose (s. Modul 32) an den Herzkranzgefäßen. Ein Myokardinfarkt kann zu typischen Veränderungen im EKG führen (STEMI: „ST-Hebungsinfarkt“), die verschiedenen Stadien zuzuordnen sind (s. Abb. 33-3). Diese Veränderungen kommen insbesondere dadurch zustande, daß die Minderdurchblutung zu Repolarisatonsstörungen führt (Veränderungen der ST-Strecke und des Ts). EKG-Zeichen in Ableitungen, die direkt dem Infarktareal entsprechen, werden als direkte Infarktzeichen bezeichnet. Dazu kommt es zu spiegelverkehrten Veränderungen in den gegenüberliegenden Ableitungen: indirekte Infarktzeichen. Im akuten Stadium kommt es als früheste Veränderung durch die subendokardiale Durchblutungsstörung zu einer TÜberhöhung („Erstickungs-T“), die allerdings häufig dem Nachweis entgeht. An der Grenze zwischen gesundem und geschädigtem Myokard kommt es zu Potentialdiferenzen, wobei der Summenvektor der elektrischen Erregung auf das Infarktgebiet gerichtet ist. Es kommt daher in allen Ableitungen, die über dem Infarktareal liegen, zu STHebungen. Die dem Infarktgebiet gegenüberliegenden Ableitungen weisen reziproke ST-Senkungen auf (bei Herrn B Hebungen in Ableitung II, III und aVF, dementsprechend spiegelbildliche Senkungen in I, aVL und V1-3). Bei einem unbehandelten Infarkt beginnt nach einigen Tagen das Zwischenstadium, das in das mehrere Wochen andauernde Folgestadium übergeht. Es kommt zur schrittweisen Rückbildung der ST-Hebung, zunehmenden T-Negativierung, einem R -Verlust (Schwinden der Muskelmasse bei Narbenbildung führt zu einem kleineren Ausschlag) und zur Ausbildung einer breiten, tiefen Q-Zacke. Im Endstadium baut sich ein kleines R oft wieder auf, und auch das negative T kann wieder positiv werden. Das tiefe Q bleibt oft lebenslang bestehen. Potentiell lebensbedrohliche akute Folgen eines Myokardinfarkts sind zum einen eine durch einen größeren Muskelausfall verursachte Linksherzinusffizienz bishin zum kardiogenen Schock. Die Pumpfunktion kann im EKG nicht beurteilt werden. Zum anderen kann es zu Herzrhythmusstörungen kommen, die wiederum im EKG diagnostizierbar sind. Durch die Repolarisationsstörungen kann es insb. zu Reentryphänomenen kommen, die zu ventrikulären Tachykardien und Kammerflimmern führen können. Kammerflimmern ist die Haupttodesursache bei Myokardinfarkten! An weiteren Rhythmusstörungen kann es z.B. bei Hinterwandinfarkten zu AV-Blockierungen kommen. 30-6 EKG: Auswertung Modul 30 Neben den sog. STEMIs gibt es Herzinfarkte, die nicht mit einer ST-Hebung einhergehen: non-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI). Die Diagnose gelingt über den laborchemischen Nachweis eines Herzmuskelschadens durch die Bestimmung der sog. Herzenzyme CK, CK MB und der kardialen Troponine I oder T. Diese werden bei Herzmuskelschaden freigesetzt und lassen sich dann im Blut finden. Da dies eine gewisse Zeit benötigt, gehört zu jedem definitiven Ausschluss eines Herzinfarktes eine Kontrolle dieser Parameter nach 6 Stunden. Bei dem Pat. Herrn B. reichen Symptome und EKG aus, um die Diagnose eines akuten Hinterwandinfarktes zu stellen. O.g. Werte werden zwar abgenommen, das Ergebnis aber nicht mehr abgewartet: der Patient wird umgehend koronarangiographiert. Hier wird ein frischer Verschluss der RCA dilatiert und mit einem beschichteten Stent versorgt. Nach 1 Woche ist die CK auf Normwerte zurückgegangen. In der Echokardiographie zeigt sich eine gute LV-Funktion ohne Nachweis eines Thrombus im Infarktareal. Der Patient ist in der Ergometrie gut und ohne ST-Änderungen oder ventrikuläre Herzrhythmusstörungen belastbar. Er wird daraufhin mit den Thrombozytenaggregatioshemmern Acetylsalicylsäure (ein Leben lang) und Clopidogrel (für 12 Monate nach beschichtetem Stent), einem HMG-KO A Reduktasehemmer („Statin“, Ziel LDL unter 70 mg/dl) und seinen Blutdruckmedikamenten, die bereits einen ß-Blocker und einen ACE-Hemmer enthielten (beide nachweislich prognoseverbessernd nach Herzinfarkt), in eine ReHa-Klinik entlassen. Abb. 30-3: EKG bei Myokardinfarkt 30-7