Mehrsprachige Erziehung Babylon macchina voiture car 64 ELTERN 10|2009 bil Italienisch, Englisch, Persisch – auf Spielplätzen herrscht ein ganz schönes Sprachengewirr. In vielen Familien auch. Weil unser Autor Jesko Johannsen selber Schwedisch beisteuert, forschte er nach: Wie setzen Eltern bilinguale Erziehung am besten um? im Sandkasten carro Fotos: Thomas Willemsen, Getty Images, Mauritius Images/Alamy E in Geständnis vorweg: Ich erziehe meinen Sohn falsch. Und zwar, seit meine Frau und ich beschlossen haben, ihm zwei Sprachen beizubringen. Sie ist Halbschwedin, ich bin Deutscher. Wir sprechen beide deutsch und schwedisch. Miteinander – und eben auch mit Joakim, heute 2. Und er mit uns. Dabei lautet die gängige Empfehlung: Jeder Elternteil spricht mit dem Kind nur in seiner Muttersprache. „Eine Person, eine Sprache“ heißt dieses Prinzip. Meine Frau fand das gut. Ich nicht, und ich habe mich diesmal durchgesetzt. Lange dachte ich, dass ich damit ein Außenseiter bin. Bis Joakim laufen konnte und ich mit ihm begann, auf Spielplätze zu gehen. Ein sonniger Sonntag am Kaiser-Friedrich-Ufer in Hamburg-Eimsbüttel: An der Rutsche staut es sich gerade. In der Sandkiste wird Englisch gesprochen, an der Schaukel meine ich, Spanisch zu hören. Ich entdecke einen schwedischen Papa und unterhalte mich ein bisschen auf Schwedisch mit ihm – ohne zu bemerken, dass Joakim hinter mir hockt und etwas auf dem Boden beobachtet. „Guck mal, ein Marienkäfer“, tönt es von unten. Ich bin entsetzt. Mein Sohn spricht doch Schwedisch! Was soll der andere Vater denn jetzt denken? Ganz schnell frage ich Joakim: „Vad heter djuret på svenska?“ (Wie heißt das Tier auf Schwedisch?) Und mein Sohn ruft: „Nyckelpiga.“ Das ist ja noch mal gut gegangen. Und ein Grund, stolz zu sein: Nicht nur, 10|2009 ELTERN 65 Mehrsprachige Erziehung dass mein Sohn den Schwedischtest bestanden hat. Er hat auch zum ersten Mal die beiden Sprachen voneinander unterschieden – mit zweieinhalb Jahren! „In dem Alter wissen die Kinder längst, dass sie zwei Sprachen lernen“, sagt die Sprachwissenschaftlerin Dr. Natascha Müller wenig beeindruckt. Mit der Forscherin von der Uni Wuppertal hatte ich Kontakt aufgenommen, weil ich mehr über zweisprachige Erziehung erfahren wollte. Und über die verschiedenen Möglichkeiten, sie im Alltag umzusetzen. Anschauungsmaterial gibt es auf unserem Spielplatz genug. Oben auf der Rutsche wird ein Kind gerade mit den Worten „Auf geht’s, schön gerade sitzen“ losgeschickt. Und unten auf Französisch begrüßt: „Ah, te revoilà, mon petit coeur.“ Eine Person, eine Sprache. Vorbildlich. Für diese klassische Variante haben sich auch Massimo und Uta Cricchio entschieden. Er spricht mit der sechsjährigen Lara sabbia und der zweijährigen Stella Italienisch, sie Deutsch. „Ich will einfach meine italienische Identität nicht untergehen lassen“, sagt Massimo. „Die Mädchen verstehen fast alles. Aber sie wollen nicht oft sprechen. Als Lara kleiner war, hat sie sich eine Zeit lang geweigert, überhaupt irgendwas auf Italienisch zu sagen.“ Bei den Cricchios gibt es jetzt den italienischen Sonntag: „Das ist ein Tag, an dem alle Italienisch sprechen – und singen. Da muss auch ich ran“, schmunzelt Mutter Uta. Massimo gibt aber auch zu, dass sein Prinzip öfter an praktische Grenzen stößt: „Wenn die Kinder mich nicht verstehen, wiederhole ich die Sätze. – Oder sage dasselbe nochmal auf Deutsch.“ Natascha Müllers Meinung: „Auch wenn die beiden Töchter nicht immer so mitziehen – die Eltern sollten nicht aufgeben. Besser, die Kinder verstehen Italienisch und sprechen Deutsch, als wenn sie einsprachig aufwachsen, oder?“ Unser Spielplatz sieht aus wie ein riesiger Sandkasten mit einem großen und einem kleinen Boot mittendrin. Rundherum führen zwei Stufen in den Sand. Da sitzt man dann mit anderen Eltern. Neben mir zwei Mütter, die sich auf Deutsch unterhalten. Die eine springt plötzlich auf, stürzt sich in die Sandfluten Richtung Piratenschiff und ruft zu ihrer Tochter: „I told you a thousand times: Do not throw sand at other children.“ Als sie wieder neben mir sitzt, frage ich sie, ob der Vater aus England sei. „Nein, nein“, antwortet sie, „wir sind beide deutsch, aber wollen, dass unser Kind Englisch schon vor der Schule lernt.“ Aha. Auch Vivian und Cem Dedeoglu sprechen Englisch mit ihren Kindern Kaya, 7, Liv, 5, und Lara, 3. Allerdings aus anderen Gründen. „Wir haben längere Zeit in den USA gelebt – da wurden auch zwei der Kinder geboren“, sagt Cem. Er selbst hat türkisch-deutsche Wurzeln, seine Frau ist Deutsche. „Bei uns hat sich Englisch als Familiensprache etabliert. Seit wir in Hamburg sind, mischen wir Deutsch und Englisch.“ Vivian hätte es gut gefunden, wenn die drei auch noch Türkisch lernen, und anfangs las Cem ihnen türkische Kinderbücher vor. „Aber das wurde zu viel. Ich kann zwar Türkisch, empfinde es aber als eine Art Fremdsprache. Ich hätte es gar nicht richtig vermitteln können.“ Kommentar von Natascha Müller: „Wenn es zu der Familie passt, und wenn beide Elternteile eine dritte Sprache beherrschen und sich in ihr wohlfühlen, spricht nichts dagegen. Aber rein deutschsprachige Eltern sollten sich das mit dem Familien-Englisch gut überlegen. Und es keinesfalls machen, bloß um ihrem Kind eine bessere Startposition in der globalisierten Welt zu verschaffen. Ein Kind, das nicht von Geburt an mit zwei Muttersprachen groß wird, hat keine Nachteile. Die meisten Grundschulen beginnen ja heute schon mit Englisch. Das reicht in der Regel völlig.“ Mein Sohn kommt auf mich zugerannt, er hat Durst. „Papa. Jag vill was trinken“, ruft er. Und ich korrigiere pflichtbewusst: „Jag vill ha någonting att dricka.“ Immer wieder das Gleiche: Joakim ver- 66 ELTERN 10|2009 10|2009 ELTERN 67 Mehrsprachige Erziehung Sie wollen Ihr Kind zweisprachig erziehen? Tipps dazu finden Sie unter www.eltern.de/ zweisprachig. mischt Deutsch und Schwedisch in einem Satz. Das hat mir erst ein bisschen Sorgen gemacht – bis ich gelesen habe, dass solche Sprachmischungen eine ganz normale Phase in der Entwicklung mehrsprachiger Kinder sind. Und kein Zeichen von Überforderung. Außerdem beruhige ich mich immer gern mit dem Gedanken an den kleinen Filippo: Wenn ein Kind von Mehrsprachigkeit überfordert sein müsste, dann er. Mein Sohn geht mit Filippo in die Spielgruppe. Die beiden reden Deutsch miteinander. Das überrascht, denn Filippos Mama Samira Shayegi-Pace ist Iranerin und spricht Persisch mit ihrem Sohn. Sein Papa Andrea Pace ist Italiener und spricht Italienisch mit Fillipo. Und untereinander reden die Eltern Englisch – weil sie sich in den USA kennengelernt haben. Samira sagt: „Wir sprechen kein Deutsch mit Filippo. Er findet es komisch, wenn wir das tun.“ Natascha Müllers Kommentar: „Ich finde diese Variante völlig in Ordnung. Die meisten Eltern fahren gut damit, wenn sie ihrem Bauchgefühl folgen. Bei so einer Sprachkonstellation ist es allerdings wichtig, das Kind hink so früh wie möglich in den Kindergarten gehen zu lassen, damit es die Landessprache lernt. Und es wäre gut, wenn die Freunde und Spielkameraden einsprachig deutsch sind.“ Eine einleuchtende Empfehlung – fragt sich nur, ob sie immer so leicht umzusetzen ist. In deutschen Großstädten gibt es inzwischen viele Stadtteile, in denen ein bunter Sprachenmix Alltag ist. Dass mehrsprachige Erziehung im Trend liegt, beobachtet auch Joakims Spielgruppenleiterin Hala Fielker: Unter den rund 40 Kindern, die sie betreut, sind 14, deren Eltern unterschiedliche Nationalitäten haben. Ihr Eindruck: „Das mit der Zweisprachigkeit in der Familie klappt immer dann, wenn es für die zweite Sprache vor Ort ein soziales Netzwerk gibt. Ist das nicht vorhanden, geht die zweite Muttersprache irgendwann unter.“ Wir haben hier in Hamburg zum Glück einige schwedische Freunde mit kleinen Kindern gefunden. Wir treffen uns regelmäßig – zum gemeinsamen Singen zum Beispiel oder bei Familiengottesdiensten und anderen Terminen in der schwedischen Kirche. So bleibe auch ich mit meinem Schwedisch auf dem Laufenden. Kleine Zweifel kommen mir trotzdem ab und zu: Als Joakim ausgetrunken hat und wieder Richtung Piratenschiff stürmen will, frage ich ihn noch: „Är det roligt att leka här?“ (Ist das lustig, hier zu spielen?) Aber Moment: Heißt es „roligt“ oder „rolig“? Vor meinem geistigen Auge taucht meine Frau auf, die oft mit mir schimpft, weil ich mir die einfachsten schwedischen Grammatikregeln nicht merken kann. Tatsächlich bin ich mit dem „t“ am Ende vieler Wörter unsicher. Aber diesmal war es richtig. Meine Unsicherheit beschränkt sich aber inzwischen nur noch auf einige grammatikalische Fragen. Sicher bin ich mir heute, dass unsere zweisprachige Mischvariante für uns richtig ist. Unsere Spielplatzbesuche, aber auch die Gespräche mit Fachleuten haben mich darin bestärkt. „Eine Person, eine Sprache“ funktioniert bei vielen gut, aber wir kommen mit unserer Lösung gut klar. Die einzig wahre zweisprachige Erziehung, so sehen das heute die meisten Experten, die gibt es nicht. Irgendwie beruhigend. Wir dürfen also alle einfach Spaß haben an der deutschfranzösisch-englisch-spanisch-schwedischen Rutsche. arrosoir Buchtipp 68 ELTERN 10|2009 Anja Leist-Villis: „Elternratgeber Zweisprachigkeit“, Stauffenburg Verlag, 17,80 Euro