Ratgeber Typ 1 Diabetes bei Kindern und Jugendlichen den Weg durch die Pubertät erleichtern Über 90 Prozent aller von Diabetes betroffenen Kinder und Jugendlichen haben den so genannten Typ 1 Diabetes, bei dem das körpereigene Abwehrsystem Antikörper gegen die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse produziert und diese zerstört. Ohne das Hormon Insulin kann der Energielieferant Zucker nicht mehr in die Körperzellen gelangen und reichert sich im Blut an. Die Ursache für die Antikörperbildung ist bis heute nicht bekannt. Man nimmt an, dass mehrere Faktoren wie Vererbung, Immundefekte sowie äußere Einflüsse (z.B. Infektionen, Stress) für die Krankheit verantwortlich sind. Es ist wichtig zu wissen, dass diese Stoffwechselerkrankung nicht ansteckend ist und auch weder Eltern noch die erkrankten Kinder „Schuld“ am Auftreten von Diabetes sind. Unregelmäßige Hormonausschüttung Gerade in der Pubertät ist es aufgrund der hormonellen „Revolution“ oft sehr schwer, den Blutzuckerspiegel im Lot zu halten. Die Hormone können die Wirksamkeit des injizierten Insulins abschwächen und sich negativ auf den Blutzucker auswirken. Problematisch ist dabei vor allem die Unregelmäßigkeit der Ausschüttung, die einen ständig wechselnden Insulinbedarf zur Folge hat. Viele junge Patienten leiden unter dem sogenannten DAWNPhänomen (von engl. dawn = Morgendämmerung), einem Blutzuckeranstieg in den frühen Morgenstunden. 4 Ursache ist dafür in erster Linie die bei Kindern und Jugendlichen verstärkte Ausschüttung der Wachstumshormone Katecholamine, Adrenalin, Glukagon und Kortisol. Diese Gegenspieler des Insulins verursachen einen relativen Insulinmangel. Durch die fehlende körpereigene Insulinproduktion beim Typ 1 Diabetes kommt es meist zwischen 3 und 6 Uhr morgens zu erhöhten Nüchternblutzuckerwerten. Die Erhöhung der abendlichen Insulindosis oder eine möglichst späte Verabreichung des Abendinsulins können oftmals gut helfen, dem Phänomen vorzubeugen. Andere stellen sich auch nachts den Wecker, um durch einen kleinen Bolus den Blutzuckeranstieg zu verhindern. Für manche Betroffenen kann eine Insulinpumpe, die kontinuierlich Insulin in das Unterhautfettgewebe abgibt, eine optimale Lösung bieten. Andauernde Hyperglykämien mit möglichen Ketoazidosen können in der Pubertät sogar öfters eine lebensbedrohliche Gefahr darstellen. Zusätzlich zu den Sexual- und Wachstumshormonen, die dem Insulin entgegenwirken, können in dieser heiklen Phase auch die Stresshormone ansteigen und den Blutzuckerspiegel noch weiter in die Höhe treiben. Auch Therapiefehler tragen zur labilen Stoffwechsellage der Adoleszenten bei. Denn sie wollen jetzt flexibel sein und die DiabetesTherapie alleine, ohne Hilfe ihrer Eltern, bewerkstelligen. Für ein gesundes Miteinander Stress ist für viele Jugendliche bekannterweise ein Dauerzustand. Identitätsfindung, Ablösung vom Elternhaus, Austesten der Grenzen, dazu oftmals eine erhebliche Selbstunsicherheit und Empfindlichkeit führen zu permanenten Konflikten im familiären und schulischen Umfeld. Nicht nur körperliche, sondern auch große seelische Veränderungen werden in der Pubertät durchlebt. Viele haben Angst aus der Gruppe der Gleichaltrigen desintegriert zu werden und versuchen ihre Krankheit geheim zu halten, was wiederum zu vermehrtem Stress und Belastungen führt. Das Mithalten im sozialen Umfeld wird schwer. Das Verheimlichen der Erkrankung kostet viel Kraft, manchmal sogar mehr als die Erkrankung selbst. So verzichtet der eine oder andere junge Diabetiker schon mal auf das lebenswichtige Messen und Spritzen, um nicht unangenehm aufzufallen. In manchen Fällen kann es sogar zu einer völligen Therapieverweigerung kommen. Um dem vorzubeugen und die Jugendlichen zu einem verantwortungsvollen Umgang zu sensibilisieren, ist es wichtig, dass neben den Eltern auch ein Diabetologe den Betroffenen unterstützend zur Seite steht. So kann verhindert werden, dass in Folge der beschriebenen Belastungen sogenannte sekundäre Verhaltensauffälligkeiten wie Angststörungen, Depression und sozialer Rückzug auftreten. Diese sind aber nicht, wie früher angenommen, Ursache der Erkrankung, sondern Folge ebendieser. Die Diagnose dieser chronischen Stoffwechselerkrankung verändert die Lebensplanung in Hinsicht auf berufliche, private, familiäre, partnerschaftliche und sexuelle Aspekte – es sind letztendlich alle Lebensbereiche betroffen. Übertriebene Fürsorge oder zu viel Kontrolle können sich jedoch äußerst kontraproduktiv auf ein verantwortungsvolles Diabetesmanagement auswirken. Die Einschränkung der Freiheit ist eben, wie schon der berühmte Philosoph Immanuel Kant erkannte, nur in dem Maße gerechtfertigt, wie sie sich im Interesse künftiger Freiheit (im Sinne von Selbstständigkeit) als erforderlich erweist. Besonders hilfreich ist der Austausch mit anderen gleichaltrigen Betroffenen, die vor den selben Problemen und Herausforderungen stehen. Dieser unersetzbare Kontakt kann die eigene Einstellung relativieren und depressiver Verstimmung sowie Null-Bock-Haltungen vorbeugen. Altersentsprechende Gruppenschulungsprogramme und gemeinsame Freizeit- und Urlaubsaktivitäten können Hemmungen überwinden und die Akzeptanz dieser nicht heilbaren Autoimmunerkrankung erheblich steigern. Die Jugendlichen werden so auf ihrem Weg in die Selbständigkeit unterstützt und zur Therapieverantwortung motiviert. Die Österreichische Diabetikervereinigung (ÖDV) bietet z.B. regelmäßig Kinder- und Jugendcamps, Sportwochen, Diabetes-Infotage u.v.m. an (http://www.diabetes.or.at). Auf der Website der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG) finden Sie auch sämtliche Diabetes Ambulanzen in Österreich gelistet – getrennt nach Ambulanzen für Erwachsene und Ambulanzen für Kinder und Jugendliche – jeweils sortiert nach Bundesländern (http://www.oedg.org). Informieren Sie sich rechtzeitig! Auch innerhalb der pädiatrischen Altersgruppe ist je nach Alter und Entwicklungsstand ein differenziertes Konzept notwendig, welches die individuellen Anforderungen sowie Wünsche der Jugendlichen und ihrer Eltern berücksichtigt. Die Begleitung in dieser besonderen Lebensphase ist zweifelsohne eine große Herausforderung, als Team allerdings gut zu bewältigen. Immerhin durchleben die allermeisten jugendlichen Diabetiker auch dieses Wechselbad der Gefühle völlig unbeschadet und treten tatkräftig in einen neuen Lebensabschnitt ein. 5