Postings werden aggressiver

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10.6.2015
Soziale Medien & Facebook: Rassismus im Netz nimmt zu
Quelle: Kurier.at
Adresse: http://kurier.at/lebensart/leben/soziale-medien-facebook-rassismus-im-netz-nimmt-zu/135.319.139
Datum: 10.06.2015, 13:25
Interview
"Postings werden aggressiver"
Der Sozial­ und Kulturwissenschaftler Thomas Philipp über
wachsende Fremdenfeindlichkeit in sozialen Medien.
Foto: icafreitas/Fotolia
Dreckspack, Ratten - wütende Beschimpfungen und eine Diktion wie man sie teilweise aus
der Zeit des Dritten Reichs kennt ist auf Sozialen Medien und in Online-Foren schon längst
keine Rarität mehr. Fremdenfeindlichkeit und rassistische Vorurteile im Netz nehmen zu.
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Soziale Medien & Facebook: Rassismus im Netz nimmt zu
Foto: /Andreas Kepplinger
Thomas Philipp, Sozial- und Kulturwissenschaftler sowie Lehrbeauftragter an der Uni Linz
beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema „Rassismus und Social Media“. Im Interview mit dem
Kurier spricht er über aktuelle Diskussionen und eine wachsende Aggressivität, etwa auf
Facebook oder in Online-Foren.
KURIER: Sie haben bereits im Jahr 2012 eine Studie zum Thema "Social Media und
Rassismus" vorgelegt, seither ist vieles passiert. Haben Sie den Eindruck dass die
Fremdenfeindlichkeit in den Sozialen Medien derzeit massiv ansteigt?
Thomas Philipp: Der Eindruck lässt sich zumindest teilweise bestätigen. Abgesehen davon,
dass die Nutzung von Social-Media-Diensten allgemein nach wie vor zunimmt, registrieren
hier Institutionen wie jugendschutz.net oder ZARA (Zivilcourage und Anti-Rassismusarbeit)
gerade in den vergangenen Jahren einen deutlichen Zuwachs von rassistischen,
rechtsextremen und fremdenfeindlichen Inhalten. Vor allem Ereignisse wie aktuell die
Diskussion um die menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen führen auf SocialMedia-Plattformen wie Facebook dazu, dass die Postings zunehmend aggressiver werden.
Außerdem zeigt sich auch in den sozialen Medien ein gewisser Gewöhnungseffekt. Wenn
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hundertfach fremdenfeindliche Äußerungen zu einzelnen Beiträgen oder in einzelnen
Gruppen getätigt werden und die Policy des Betreibers der Plattform dies zulässt, dreht
sich die Spirale von "Hate Postings" schnell weiter.
Es hieß immer, dass sich Menschen in Sozialen Medien in der Anonymität verstecken. Wer
sich aktuell umsieht, merkt: Es wird sehr offen und unverhohlen gegen "gehasst" und
"geschimpft" und zwar aufs Brutalste. Weshalb ist das so?
Hier muss man etwas differenzieren. In vielen Fällen wird nach wie vor auf Anonymität,
Pseudonyme und Nichtverfolgbarkeit großer Wert gelegt, etwa bei Diskussionen über
nationalsozialistische Themen in Foren, Wikis oder geschlossenen Facebook-Gruppen. Da
diskutiert dann "Fuehrer88" mit "ezuendel39" und "killjews" in einem einschlägigen Forum
über die so genannte "Holocaust-Industrie". Andererseits ist zu beobachten, dass gerade
auf den populären Social-Media-Plattformen wie Facebook oftmals Menschen mit ihrem
echten Klarnamen fremdenfeindliche Postings veröffentlichen – in der Annahme, dass
Internet sei ein straffreier Raum. Es hat sich trotz einiger Anklagen und Verurteilungen in
der letzten Zeit anscheinend noch nicht herumgesprochen, dass dies nicht der Fall ist.
Auffällig ist auch, dass sich die Diktion massiv verschlimmert hat. Wie sehen Sie das?
Ich sehe in der Qualität der Diktion keine großartigen Sprünge in der letzten Zeit,
wenngleich sie immer wieder einmal anzieht, etwa wenn auf der Facebook-Seite von HC
Strache verkürzte oder unwahre Postings über die Situation von Flüchtlingen veröffentlicht
werden. Zu beobachten ist jedoch, dass eine gewalttätige und aggressive Diktion auf
derartigen Seiten rein quantitativ zunimmt und dadurch mehr Aufmerksamkeit erzeugt
wird. Es wird auch verstärkt versucht, Verknüpfungen mit alten Bildern, Motiven oder
Sprüchen herzustellen, um neue Aufmerksamkeit zu generieren. Diese Verknüpfungen
bedienen sich dabei in vielen Fällen einer Diktion, die wir in diesem Land vor nicht allzu
langer Zeit hatten und die absolut barbarisch, grausam und böse war. Ein Plakat mit dem
Spruch "Österreicher! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Muslimen!" würde wahrscheinlich in der
jetzigen Zeit bei genügend Userinnen und Usern auf Facebook nicht einmal Widerwillen
hervorrufen.
Ist da eine Hemmschwelle gefallen? Würden sich diese Menschen auch aussprechen
trauen, was sie auf Facebook einfach dahinschreiben?
Sicher ist, dass die technologischen und kommunikativen Besonderheiten von SocialMedia-Plattformen dazu verleiten, sich hemmungsfreier und offensiver mitzuteilen:
schnell, direkt, unmittelbar, interaktiv, in einem relativ homogenen und sich selbst
bestätigendem Umfeld. In diesem Sinne ist Facebook so etwas wie ein Stammtisch 2.0,
allerdings innerhalb der sicheren, eigenen vier Wände. Dazu kommt, dass es sich um eine
virtuelle Kommunikation handelt, d. h. ich muss auf Befindlichkeiten meines Gegenübers
weniger achtgeben als in einer Face-to-Face-Kommunikation. Gestik, Mimik, Tonfall und
ähnliches fallen ebenfalls weg. Im öffentlichen Diskurs abseits davon sieht es also doch
anders aus, da hier die Vielschichtigkeit der Kommunikation deutlich höher ist und man
viel massiver auf relativierende, differenzierende und gegenteilige Meinungen trifft.
Tarnen sich fremdenfeindliche Seiten eher oder gibt es da auch ganz offensichtliche
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Seiten?
Es gibt genügend Seiten, die sich tarnen. Andererseits ist durchaus auffällig, wie offen viele
Seiten agieren. Die Initiative "Heimat ohne Hass" hat beispielsweise erst vor wenigen
Tagen eine große Facebook-Gruppe mit dem Namen "ISLAM GEHÖRT NICHT ZU
ÖSTERREICH (EUROPA)" analysiert. In dieser Gruppe finden sich auch zahlreiche aktive
FPÖ-Funktionärinnen und FPÖ-Funktionäre. Über sie wurden u. a. Fotos verteilt, auf denen
afrikanischen Kindern "Zyklon-B"-Giftgasdosen überreicht werden oder auf denen Adolf
Hitler an einer Schultafel steht und "Ich vergesse, ich vergaß, ich vergaste" schreibt.
Man hat den Eindruck, dass die Betreiber sozialer Netze nicht rigoros genug gegen solche
Seiten vorgehen - braucht es da nicht mehr Bewusstsein seitens der Unternehmen?
Ein Problem besteht darin, dass es bei gewissen soziale Medien für die österreichische
Justiz schwierig ist, die tatsächlichen Urheber der rassistischen Äußerungen ausfindig zu
machen und zu verfolgen, da sich die Server oftmals im Ausland befinden und sich die
handelnden Personen zumeist hinter Pseudonymen verstecken. Dies ist etwa bei Blogs,
Wikis oder Foren immer wieder der Fall. Bei den großen und populären Social-MediaPlattformen wie Facebook, Twitter oder Instagram wurde in den letzten Jahren vielfach die
zu lasche Verantwortung im Umgang mit "Hate Postings" kritisiert. Das hängt u. a. mit
anderen „Moralvorstellungen“ der zumeist US-amerikanischen Betreiber zusammen. Ein
blanker Busen im Rahmen einer Brustkrebskampagne wird zensiert, ein rassistisches
Posting mit Neonazi-Codes hingegen nicht. Allgemein gesprochen, handelt es sich hier um
eine komplexe Debatte rund um die Einschränkung der freien Meinungsäußerung
aufgrund von verhetzenden und rassistischen Aussagen im virtuellen Raum unter dem
Licht des Datenschutzes auf internationaler Ebene, die uns noch lange begleiten wird.
Einfache Lösungen wie rigorose Zensur auf der einen Seite oder vollkommen freie
Meinungsäußerung auf der anderen Seite gibt es hier nicht.
Sie haben in ihrer Untersuchung erwähnt, dass es auf Facebook eine Art "Wir-Gefühl", also
eine Gruppenzugehörigkeit gibt?
Die Stelle in der Untersuchung bezieht sich auf einen Artikel des deutschen
Politikwissenschaftlers Christoph Busch zur rechtsradikalen Vernetzung im Internet. Er
geht in diesem weniger auf Facebook, sondern auf andere soziale Medien wie Foren ein.
Die virtuelle Welt geht dabei der realen voraus, was die Möglichkeiten der internen
Kommunikation betrifft. Zugang zu dieser Welt wird nur in Form eines "Zugangsschlüssels"
gewährt, die Teilnahme an der Diskussion bleibt jenen Userinnen und Usern vorbehalten,
die über das richtige Passwort verfügen. Dadurch kann sich fernab der Öffentlichkeit eine
rechtsradikale Gemeinschaft bilden, der es ermöglicht wird, auf diese Weise rechtsradikale
Informationen und Wissen sowohl auszutauschen als auch zu vermitteln. Diese Form der
Kommunikation hat der rechtsextremen Szene in den letzten Jahren ein neues "WirGefühl" vermittelt. Neue virtuelle Beziehungen haben sich entwickelt, die geeignet sind, die
durch Organisationsverbote abhanden gekommenen Strukturen dieser Szene neu zu
gestalten. Auf offeneren Social-Media-Plattformen wie Facebook ist ähnliches in
geschlossenen Gruppen der Fall. Aber auch bei offenen Gruppen oder Seiten sind solche
Mechanismen in abgeschwächter Form zu erkennen. Man wird von einer Person, mit der
man auf Facebook befreundet ist und der man im realen Leben vielleicht noch nicht
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einmal begegnet ist, in eine Gruppe eingeladen oder dazu aufgefordert, eine Seite mit
"Gefällt mir" zu markieren. Damit wird man zu einem Teil eines mehr oder weniger
geschlossenen Systems, in dem sich über die Zeit bestimmte Einstellungen, Werte und
Ideologien tendenziell verfestigen. Auch wenn es sich nur um eine virtuelle Gruppe
handelt, erzeugt diese ein entsprechendes "Wir-Gefühl". Um es bildlich zu verdeutlichen:
Unsere Facebook-Gruppe "Asylanten abschieben sofort!" gegen die Facebook-Gruppe
"Refugees welcome!".
Wie soll in öffentlichen Foren - etwa in Tageszeitungen oder Magazinen mit diesem Thema
umgegangen werden?
Online-Foren in Zeitungen sollten aus meiner Sicht auf alle Fälle moderiert werden, da mit
der Funktion des Mediums "Zeitung" ja auch gewisse Sorgfaltspflichten einhergehen.
Genauso wie man sich von (parteipolitisch unabhängigen) Zeitungen erwarten kann, dass
sie sorgfältig recherchierte und kritisch aufgearbeitete Artikel veröffentlichen, die einen
Sachverhalt aus verschiedenen Perspektiven darstellen, ist die Pflege, Wartung und
Moderation eines Online-Forums eine Aufgabe, mit der verantwortungsvoll umzugehen ist.
Postings, unabhängig davon ob anonymisiert oder nicht, die den deutlich kommunizierten
ethischen Standards des Blattes widersprechen, werden dementsprechend nicht
veröffentlicht. Sollte die Moderation der Online-Foren aus finanziellen Gründen nicht
tragbar sein, sollte die Diskussion auf einzelne Artikel eingeschränkt werden oder generell
auf die Möglichkeit der Online-Foren verzichtet werden.
Und was kann jeder einzelne gegen Rassismus im Netz tun?
Auf alle Fälle nicht entmutigen lassen und die Seiten bzw. Angebote bei den Betreibern der
Plattformen melden, dazu bei entsprechenden Stellen wie www.zara.or.at,
www.jugendschutz.net oder hass-im-netz.info. Ansonsten ist Zivilcourage das richtige
Stichwort und es gilt das gleiche wie im Leben 1.0: wenn ich in der Straßenbahn sehe, wie
jemand rassistisch beschimpft wird, schaue ich auch nicht weg, sondern setze
entsprechende Handlungen. Auf Facebook umgelegt: wenn es zum Beispiel zu
verhetzenden Facebook-Postings auf einer FPÖ-Ortsgruppenseite kommt, kann ich mich
dazu entscheiden, direkt dort die Diskussion zu führen. Das wäre dann in etwa so, als
würde ich gezielt zu einem FPÖ-Stammtisch gehen und dort das Wort ergreifen.
Unwahrscheinlich, aber auf alle Fälle mutig. Ich kann auf alle Fälle die Seite melden und
zusätzlich das dort Gesagte in meinem eigenen Freundeskreis teilen und entsprechend
kritisch kommentieren. Wenn es sich um meinen "eigenen" Social-Media-Bereich handelt,
etwa bei rassistischen Kommentaren zu einem Foto auf meinem Instagram-Blog, sind
vielleicht Mittel wie Löschen und Blockieren besser geeignet.
(KURIER) Erstellt am 10.06.2015, 12:16
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