„Ihr, die Ihr in die Zukunft geht, müsst durch die Vergangenheit gehen, sonst habt Ihr keine Zukunft.“ Franz Kiessling Steine gegen das Vergessen Stolpersteine in Hilden Eine Dokumentation des Arbeitskreises Stolpersteine ergänzt durch Collagen von Schülerinnen und Schülern des Helmholtz-Gymnasiums Diese Broschüre entstand im Rahmen der Woche „Wir gegen Rechts“ der Stadt Hilden zum 70. Jahrestag der Pogromnacht am 9./10. 11. 1938 Der Arbeitskreis Stolpersteine wird durch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) getragen, unter Mitarbeit der Erwachsenenbildung der Evangelischen Kirchengemeinde Hilden (EEB) und unterstützt durch die Stadt Hilden Hilden im November 2008 Impressum: Texte und Redaktion: Arbeitskreis Stolpersteine Quellen (in Auszügen): - Wolfgang Hain, „Zur Geschichte der Juden in Hilden“, in: „Hildener Jahrbuch 1979“ - weitere Jahrbücher der Stadt Hilden - Ernst Huckenbeck, „Der Mord an dem Arbeiter Wihelm Schmitt“, in: „Niederbergische Beiträge 1981“ - Dokumentation „Nationalsozialismus in Hilden 1918 1945“, herausgegeben von Gerd Müller Fotos: Heide Wucke, Birgit Brebeck-Paul, Archiv der Stadt Hilden, privat Grafik, Satz und Druck: deus werbung solingen Titel-Collage: Jasmin Schleicher 2 Grußwort des Bürgermeisters der Stadt Hilden Liebe Leserinnen und Leser, auch in Hilden sind sie, im Stadtgebiet verteilt, in die Gehwege eingelassen: die Stolpersteine. Erschreckend hoch ist die Anzahl dieser „Steine gegen das Vergessen“ in Relation zur damaligen Einwohnerzahl unserer Stadt. Einstimmig hat der Rat der Stadt Hilden im April 2004 die Teilnahme an dem mittlerweile internationalen Projekt „Stolpersteine“ des Kölner Künstlers Gunter Demnig beschlossen. Ein sehr engagierter Arbeitskreis „Stolpersteine in Hilden“ hat den Ratsbeschluss umgesetzt und ohne großes Aufheben haben sich in kürzester Zeit Paten für alle in Hilden zu verlegenden Steine gefunden. Ich nutze gerne die Gelegenheit, an dieser Stelle allen Paten und allen anderen, die dem Projekt wohlwollend und unterstützend gegenüber gestanden haben, zu danken. Mein besonderer Dank gilt den Mitgliedern des Hildener Arbeitskreises Stolpersteine wie auch den Schülerinnen, Schülern und Lehrern der verschiedenen Hildener Schulen, die das Projekt intensiv begleitet haben. Ich hoffe sehr, dass die Hildener Stolpersteine dazu beitragen, sich zu erinnern, gerade in einer Zeit, in der die Erinnerung an die schlimmste Zeit unserer Geschichte verblasst und darüber hinaus immer wieder gefordert wird, es möge ein Schlussstrich unter die jüngere deutsche Vergangenheit gezogen werden. Lassen Sie uns weiterhin gemeinsam gegen dieses Vergessen kämpfen. Günter Scheib Bürgermeister Hilden, im September 2008 3 Was sind Stolpersteine? Sie sind in vielen Orten Deutschlands zu finden, tausendfach, inzwischen auch in Österreich, Ungarn und den Niederlanden, noch in diesem Jahr wohl in Tschechien und Polen. Sie sind in das Pflaster auf den Gehwegen eingelassen, mehr oder weniger deutlich sichtbar, manchmal nur einer, häufiger mehrere, hin und wieder auch viele. Man „stolpert“ - in Gedanken - über sie. Sie erregen Aufmerksamkeit, manchmal Unmut, manchmal Befremden, fast immer Nachdenklichkeit. Sie werfen Fragen auf, Fragen an die Geschichte, Fragen an den Umgang mit der Vergangenheit. Der Künstler Gunter Demnig aus Köln hat sie „erfunden“, diese Steine der Erinnerung, diese Steine gegen das Vergessen, Steinquader, 10 x 10 x 10 cm, darauf eine Messingplatte mit Namen und Daten. Gedenksteine? – Gewiss, aber nicht einer, an einem Ort, für alle. Solche Gedenkstätten gibt es auch, das ist gut so. Aber die Stolpersteine sind Gedenkstätten im Alltag, für jeden Tag, am letzten Wohnort der Opfer verlegt, für jedes Opfer des Nationalsozialismus vor seiner Deportation, vor der Ermordung in der Pogromnacht zu Hause oder irgendwann in einem Ghetto, vor der Hinrichtung, vor dem gewaltsamen Tod, ob in einem Konzentrationslager oder am Wegesrand, in einer Krankenanstalt oder einer Fabrik oder wo auch immer. Wenn man die Namen und Daten der Opfer auf den Stolpersteinen lesen will, muss man sich ein wenig nach vorne beugen. Das ist wie ein Verneigen vor dem Opfer, wie eine Ehrung des Menschen, dem Leben und Würde auf so unmenschliche Weise geraubt worden sind. Und das ist es, was Gunter Demnig mit seinem Projekt möchte: den Opfern ihre Würde zurückgeben, sie aus der anonymen Massenvernichtung herauslösen und sie wieder beheimaten, ihnen einen Ort des persönlichen Gedenkens widmen. 4 Gunter Demnig Es ist keine Abrechnung mit den Tätern oder denen, die tatenlos zugesehen haben, es ist kein Vorwurf an wen auch immer, keine Schuldzuweisung und keine Form der Ent-Schuldigung. Darum geht es bestimmt nicht. Es sind Stolpersteine, Steine gegen das Vergessen, Steine des Anstoßes und Steine zur Erinnerung, Steine des Gedenkens und der Mahnung, Steine zum Nachdenken über die Vergangenheit und darum gewiss auch Steine für die Zukunft. Karin Marquardt 5 Der Arbeitskreis „Stolpersteine in Hilden“ Im Frühjahr 2003 fasst die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW, Ortsverband Hilden, Haan, Mettmann, Erkrath) auf Initiative von Klaus Herborn den Beschluss die „Aktion Stolpersteine“ in Hilden durchzuführen. Die Evangelische Erwachsenenbildung Hilden, die seit 2000 jährlich den Gottesdienst „Erinnern und Gedenken“ am 9.11. gestaltet, bietet ihre Mitarbeit an. Ein Jahr später stimmt der Rat der Stadt dem Vorhaben einstimmig zu. Von Anfang an geht es nicht nur um die Verlegung der Steine, sondern auch um die Begegnung der jungen Generation mit dem, was in unserer Stadt und vielen anderen deutschen Städten während der NS-Zeit geschah. So treffen sich am 7.6.04 zum ersten Mal Schüler/innen und Lehrer/innen verschiedener Hildener Schulen zum Arbeitskreis „Stolpersteine“. Weitere Interessierte kommen später hinzu. Die Mitarbeiter/innen beginnen mit Recherchen zu den Personen, für die die Steine verlegt werden sollen. Dies erweist sich als nicht einfach, trotz der großen Unterstützung durch das Stadtarchiv. Von den meisten Menschen, die zu Opfern wurden, gibt es kein Foto. Wer erinnert sich noch? Aber das Wenige ist umso kostbarer: z.B. eine Grabplatte auf dem jüdischen Friedhof in Düsseldorf, die Antwort aus Kiel auf die Anfrage zu einem kleinen Mädchen, das Foto einer Schulklasse, ein Brief aus USA, der Anruf der Tochter eines Ermordeten ... Jugendliche wie Erwachsene werden bewegt von den Schicksalen, die so unvorstellbar sind, dass sie niemanden los lassen. Der Arbeitskreis trifft sich regelmäßig zum Austausch und zur Planung gemeinsamer Aktivitäten. Anne Latt und Schülerinnen des Helmholtz-Gymnasiums 6 Schüler/innen der AlbertSchweitzer-Schule Zwischen dem 24.11.04 und dem 2.2.07 kommt Gunter Demnig vier Mal nach Hilden, um 25 Stolpersteine zu verlegen. Die Schüler/ innen arbeiten intensiv bei der Gestaltung mit. Filmaufnahmen dokumentieren wichtige Ereignisse: Den Besuch von Angehörigen aus den USA zu einer Stolperstein-Verlegung, die Ausstellung mit den ersten Recherche-Ergebnissen in der Stadtbücherei, ... Im Rahmen dieser Ausstellung gibt es zwei Abendveranstaltungen, einmal mit der Gruppe „amnesty international“, zum anderen mit Streitschlichtern aus Hildener Schulen. Es gilt auch heute gegen Gewalt, Diskriminierung und Terror einzutreten. Die Arbeit ist nicht abgeschlossen: Wir wissen von 12 weiteren Opfern, die in Hilden gelebt haben. Wir sind auch weiterhin auf Erinnerungsspuren angewiesen. Anita Ellsiepen AK Stolpersteine Hilden Florian Rohde, Marcel Campbell (Theodor-Heuss-Schule) Anne Katrin Latt, Melanie Bente, Jennifer Bader (Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium) Schüler/innen der TheodorHeuss-Schule und der WilhelmFabry-Realschule Judith Schäfer und Sabrina Hinz (Albert-Schweitzer-Schule) Schüler/innen der Bettine-vonArnim-Schule 7 Benrather Straße 19 Letzter Wohnort des Ehepaars Richard und Helene Wahle Helene Wahle, geb. Kuh geb. 19.10.1872 in Prag umgekommen am 23.06.1942 in Lodz Richard und Helene Wahle sind in Prag geboren, galten dort aber als Deutsche. Sie zogen 1908 nach Hilden, erwarben hier die Maschinenfabrik Kirberg und Hüls und erhielten 1919 die Einbürgerung. Sie gehörten dem gehobenen Bürgertum der Stadt an und engagierten sich in vielfältiger Weise, Helene Wahle erhielt 1920 das Verdienstkreuz der Kriegshilfe. In den schwierigen Wirtschaftsjahren 1930/32 verstand es Richard Wahle trotz allem keinen seiner Arbeiter zu entlassen. Dennoch wurden Helene und Richard Wahle früh Opfer der Rassegesetze: 1934 wurde ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt und ihre Pässe wurden eingezogen. Ein Beschwerdeverfahren beim preußischen Innenministerium hatte aber schließlich Erfolg: Die Aberkennung wurde widerrufen, als Gründe dafür das hohe Alter des Richard Wahle und seine Verdienste um seinen Betrieb genannt, was aber die Nationalsozialisten nicht hinderte, ihm als Juden den Verkauf des Betriebes schon gleich 1938 nahe zu legen: Ab September 1938 stand die Firma unter einem anderen Eigentümer im Handelsregister. In der Pogromnacht gab es einen versuchten Übergriff von beiden Schlägertrupps auf das Ehepaar Wahle, es wurde aber nicht körperlich misshandelt. Allerdings standen Helene und Richard Wahle unter genauester Beobachtung, im März 1939 wurde bei der 8 Gestapo eine Akte über sie angelegt, weil im Hause Wahle eine „deutschblütige“ Hausangestellte beschäftigt wurde. Es folgte eine Verurteilung zu einer Geldstrafe. Weitere ähnliche Verstöße wurden gemeldet und geahndet, aber es gab kein Gerichtsverfahren bis zum Tode von Richard Wahle, er starb 1939 im Alter von 78 Jahren, seine Witwe lebte weiterhin in Hilden. Helene Wahle musste sich im Oktober 1941 in Düsseldorf einfinden, sie wurde von dort aus in das Ghetto Litzmannstadt in Polen gebracht, wo sie zunächst mit anderen Juden aus Düsseldorf in der Fischerstr. 15 gewohnt hat. Ihr Vermögen war an das Reich gefallen und da sie zu alt zur Arbeit war, fristete sie später in einem Greisenheim für Altreichsjuden ein armseliges Dasein, das am 23.06.1942 ein Ende fand. 9 Benrather Straße 32 Eugenie Willner, geb. Albert geb. 9.12.1871 in Ottweiler Pogromopfer in Hilden, in der Nacht vom 9. zum 10.11.1938 erschossen (vorsätzlich) Ernst Willner geb. 19.08 1901 in Düsseldorf Pogromopfer in Hilden, in der Nacht vom 9. zum 10.11.1938 misshandelt und ebenfalls vorsätzlich erschossen Die Willners waren eine angesehene Familie in Hilden: Isidor Willner, dem Ehemann von Eugenie und Vater von Ernst, gehörte bis 1937 die Kornbrennerei, dann musste er sie abgeben. Ein Sohn ist bei einem Unfall im Heeresdienst im Ersten Weltkrieg umgekommen. Im Jahr 1938 bestand die Familie nur noch aus Eugenie Willner und ihrem Sohn Ernst, der als Vertreter tätig war und dem Reichsbanner (einer Kampftruppe der SPD) angehörte. Diese Zugehörigkeit war 1937 als Anlass genommen worden, ihm keine Legitimationskarte für seine Arbeit auszustellen, eine der vielen Schikanen, 10 die sich die Nationalsozialisten den Juden gegenüber verstärkt erlaubten. Eugenie Willner war wohl das erste Pogromopfer in Hilden: Ihr Haus stand dem Versammlungsort „Deutsches Haus“, in dem sich Teilnehmer einer Feier zum 9. November „Hilden gedenkt der Helden Großdeutschlands“ noch eingefunden hatten und von dem die Schlägertrupps an diesem Abend loszogen, am nächsten, nur etwa 150 m entfernt. Nach dem gewaltsamen Eindringen wurde Frau Willner misshandelt und erschossen. Später kam der Trupp noch einmal zurück und tötete auch den schon stark verletzten Sohn Ernst, der sich zunächst auf dem Dachboden hatte verstecken können, mit einem gezielten Schuss. Weitere Opfer folgten, insgesamt sieben in dieser Kleinstadt. 11 Berliner Straße/Marie-Colinet-Straße (früher Apfelstraße) Letzter Wohnsitz der Familie Herz Bertha Herz, geb.Meyer geb. am 29.10.1870 in Richrath Pogromopfer in Hilden, aus dem Fenster gestürzt, gestorben am 23.12.1938 an den Folgen der Verletzungen Erna Herz geb. am 26.10.1903 in Hilden deportiert am 10.12.1941 in der Bürgerrolle steht: Riga, Lettland, ausgewandert Sig(es)mund Herz geb. am 4.07.1870 in Berghausen deportiert nach Theresienstadt ermordet dort am 13.06.1943 Sigmund Herz lebte mit seiner Frau Bertha und den Kindern Max und Erna in der Feldstraße und zog nach seiner Rückkehr als Frontsoldat aus dem Ersten Weltkrieg - er bekam dafür noch 1935 eine Ehrenmedaille in die Apfelstr. 11, wo er eine Metzgerei betrieb. Er war mehr als 25 Jahre aktives Mitglied im Gesangsverein „Germania“, auch sonst nahmen Bertha und Sigmund Herz am Hildener Leben teil. Die Kinder verließen 1921 das Elternhaus, Max ging nach Berlin, Erna für einige Zeit nach Kleve. Sie kehrte 1922 nach Hilden zurück und blieb bei den Eltern. Nach der Machtergreifung der NSDAP 1933 blieben die jüdischen Kaufleute in Hilden zunächst von Boykotts weitgehend verschont, jedenfalls anfangs, aber der Metzgermeister Herz musste wegen des erlassenen 12 Schächtverbots schon im März 1933 Einschränkungen hinnehmen. Die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich. In der Pogromnacht verschaffte sich ein Schlägertrupp gewaltsam Zutritt zur Wohnung und verwüstete sie. Bertha Herz stürzte dabei aus dem Fenster und erlag am 23.12. 1938 ihren Verletzungen. Sigesmund Herz Erna Herz lebte zusammen mit ihrem Vater in sehr ärmlichen Verhältnissen in Hilden in der Apfelstraße, sie wurde am 10.12.1941 deportiert. Genaue Informationen über ihren weiteren Verbleib sind nicht bekannt (s.o. Lebensdaten). Ihr Vater zog nach Düsseldorf und wurde von dort nach Theresienstadt deportiert und am 13.06.1943 ermordet. Erna und Sigmund Herz waren die letzten Juden in Hilden, am 8. Januar 1942 gab der Bürgermeister in einer Ratssitzung bekannt, dass „… die Stadt seit dem 31.12.1941 judenfrei“ sei. 13 Fritz-Gressard-Platz/Benrather Straße 1 Letzter Wohnsitz von Erna Kaufmann in Deutschland Erna Kaufmann, geb. Löwenstein geb. am 23.12.1883 in Levern, Kreis Lübbecke 1943 nach Sobibor deportiert und am 23.05.1943 ermordet Die Familie Kaufmann gehörte zu den schon früh in Hilden ansässigen jüdischen Familien, sie führte ein großes Haus und genoss hohes Ansehen. Jonas Kaufmann, dem Schwiegervater von Erna Kaufmann, gehörte ein noch heute vorhandenes Haus in der Mittelstr. 7-9, an dem man die Initialen JK erkennen kann. Jonas Kaufmann war Ratsherr in Hilden, anerkannt auch in seinem Beruf als Kaufmann, und er stiftete im Jahr 1902 die silberne Ratsglocke für das neu erbaute Ratshaus. Salomon Sigesmund Kaufmann, der Sohn von Jonas Kaufmann, heiratete Erna Löwenstein und zog mit ihr in ein großes Haus in der Benrather Str. 1 (Haus Hagdorn). Sie hatten zwei Söhne, Carl (geb. 1908) und Werner (geb. 1913). Dass die Familie auch nach der Machtergreifung noch geschätzt und anerkannt war, wurde in einem Nachruf auf den Tod von Salomon Sigesmund Kaufmann am 21.03.1935 deutlich. Es war die Rede von ihm als einem „… Menschen, der in seiner aufrecht schlichten Art manchem ein treuer Freund und guter Kamerad gewesen war … der viel Gutes … getan …“ Aber schon am 26.07.1935 wurde die Firma aus dem Handelsregister gelöscht, die Söhne verließen Hilden und gingen zunächst nach Holland, dann in die USA. 14 Die Schwiegereltern von Carl Kaufmann, Frieda und Julius Brandenstein zogen zu Erna Kaufmann. Obwohl das Haus in unmittelbarer Nähe vom Versammlungsort „Deutsches Haus“ stand, wurde es in der Pogromnacht verschont, seine Bewohner nicht behelligt. Aber schon in einer Ratssitzung vom 12.12.1938 wurde beschlossen, dass man das Grundstück der Witwe Kaufmann für die Stadt beanspruchen wolle. Der Kauf wurde am 13.10.1939 vollzogen. Von dem Erlös von 44.000 RM blieben Erna Kaufmann nach Abzug der Reichsfluchtsteuer und der Anwaltskosten ganze 831 RM. Erna Kaufmann hatte mit Erlaubnis der Behörden die Stadt verlassen und war am 17.01.1939 zu ihrem Bruder nach Amsterdam gezogen. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen 1940 versuchte Erna Kaufmann, auf den Seeweg nach Amerika zu kommen. Es gelang nicht, weil den Flüchtlingen in mehreren Ländern die Aufnahme verweigert wurde. Sie mussten wieder zurück nach Holland. Von dort wurde Erna Kaufmann im Jahr 1943 nach Sobibor deportiert und am 23.05.1943 ermordet. 15 Gerresheimer Straße 189/191 Letzter Wohnsitz der Familie Meyer Minna Meyer, geb. Cohn, verw. Seckel geb. am 5.02.1886 in Hamburg deportiert nach Minsk, dort umgekommen Nathan Meyer geb. am 3.11.1861 in Erkrath Pogromopfer in Hilden, in der Nacht vom 9. zum 10.11.1938 misshandelt, seinen Verletzungen am 12.11.1938 im Marienhospital in Düsseldorf erlegen Edith Hannelore Cohn geb. am 24.01.1933 in Elmenschagen deportiert nach Minsk, dort umgekommen Die Witwe Minna Seckel wohnte mit ihrer vierjährigen Tochter Edith Hannelore Cohn zunächst in Düsseldorf. Nach ihrer Heirat mit dem Kaufmann Leo Meyer zog die kleine Familie am 16.02.1937 nach Hilden in die Gerresheimer Str. 191. Das Haus gehörte Leo Meyers Eltern, dem Viehhändler Nathan Meyer und seiner Frau Maria, geb. Rosenberg, die im Nachbarhaus wohnten. Sie lebten unauffällig in Hilden in guten nachbarschaftlichen Verhältnissen. Nathan Meyer musste den neuen Verordnungen entsprechend seinen Viehhandel im November 1937 einstellen, weitere Angaben dazu liegen nicht vor. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 drang ein Schlägertrupp in das Haus der Eheleute Nathan und Maria Meyer ein, zerstörte die Einrichtung, fiel über den im Bett liegenden Nathan Meyer her und misshandelte ihn in erheblichem Maße. Auch in das Haus der Familie Leo Meyer gelangte der Schlägertrupp, zerstörte das Mobiliar und schlug auf 16 Gerresheimer Str. 189/191 Nordfriedhof Düsseldorf Leo Meyer ein. Man ließ von ihm ab, als er darum bat, als ehemaliger Frontsoldat in Ruhe gelassen zu werden, und warf noch einen Schrank um, der auf Leo Meyer fiel. Seine Frau und ihre kleine Tochter ließ man in Ruhe. Nachdem der Trupp abgezogen war, brachte Leo Meyer seinen schwer verletzten Vater zu Nachbarn und am Mittag ins Marienhospital nach Düsseldorf. Dort erlag Nathan Meyer seinen Verletzungen am 12.11.1938. Der Plan der Familie nach Ecuador auszuwandern scheiterte. Leo Meyer konnte untertauchen, aber Minna Meyer wurde mit ihrer kleinen Tochter nach Düsseldorf in ein Judenhaus (Steinstr.) gebracht. Beide wurden von dort aus nach Minsk deportiert und sind wohl umgekommen, genaue Spuren fehlen. 17 Gerresheimer Straße 340 Letzter Wohnsitz der Eheleute Sommer und ihrer Haushälterin Hendrika Grüter Dr. Siegmund Sommer geb. 16.06.1870 in Crainfeld Pogromopfer in Hilden, (Selbstmord nach Pogrom) gest. 13.11.1938 Hendrika Grüter geb. 13.07.1893 in Duisburg Pogromopfer in Hilden, (Selbstmord nach Pogrom) gest.14.11.1938 Dr. Sommer hatte nach eigenen Aussagen 1938 schon seit 40 Jahren als Arzt praktiziert, wie lange davon in Hilden, ist nicht ganz klar. Aber als er im Jahr 1927 heiratete, zog seine Frau Gertrud, katholischen Bekenntnisses, „… zu ihm in sein Haus mit Praxis in die Gerresheimer Str. 340“, wie es in der Aussage von Frau Sommer (Juni 1945) steht. Wann genau Dr. Sommer, der in der Statistik über die in Hilden lebenden Juden als Dissident gekennzeichnet ist, seine Praxis den neuen Verordnungen entsprechend aufgeben musste, ist auch nicht ganz klar, er wurde jedenfalls seit Mitte 1934 nicht mehr in der Liste der praktizierenden Ärzte aufgeführt und seine Frau bezifferte in ihrer Aussage vom Juni 1945 zu den Ereignissen in der Reichspogromnacht das offizielle Ende seiner Arzttätigkeit auf 1936 oder 1937. Zum Haushalt des Ehepaares Sommer gehörte noch die „Stütze“ Hendrika Grüter, die trotz der neuen Regelungen der Nationalsozialisten über die Tätigkeiten „deutschblütiger“ Frauen in „Judenhaushalten“ geblieben war. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 drang ein Schlägertrupp von SS und SA in das Haus 18 ein und verwüstete es. Das Ehepaar Sommer und Hendrika Grüter wurden ins Schlafzimmer gesperrt, körperliche Misshandlungen erfolgten nicht. Man riet ihnen aber dringend, das Haus sofort zu verlassen, weil es am nächsten Tag in Brand gesetzt würde, falls man sie noch anträfe. Nach dem Abzug des Schlägertrupps stellte sich heraus, dass in Wohnung, Praxis und Kellerräumen beinahe alles völlig zerschlagen und damit die Existenzgrundlage zerstört worden war. Das Ehepaar Sommer beschloss daraufhin, Selbstmord zu begehen und Hendrika Grüter sein nicht unbeträchtliches Vermögen zu hinterlassen, wovon sie gut hätte leben können. Doch diese einfache Frau gab eine Antwort, die Hochachtung verdient: „Unter solchen Menschen kann ich nicht leben.“ Alle drei nahmen die gleiche Menge Schlaftabletten. Am Morgen des 10. November fand ein Kriminalbeamter sie schlafend vor, der Arzt vor Ort ließ Frau Sommer und Hendrika Grüter ins Krankenhaus bringen, bei Dr. Sommer lohne es nicht, er sei zu schwach, war der Kommentar. Dr. Sommer starb schließlich drei Tage später am 13.11.1938, ein Opfer des Pogroms. Hendrika Grüter starb am 14.11.1938 im Krankenhaus, sie hatte das Bewusstsein nicht mehr erlangt. Auch ein Opfer des Pogroms in Hilden. Frau Sommer überlebte. 19 Mettmanner Straße 76 Henry Bernstein geb. 21.01.1896 in Winsen am 28.09.1944 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet Rolf Bernstein geb. 16.03.1929 in Düsseldorf ermordet am 28.02.1945 in Auschwitz Henry Bernstein war Kaufmann, er hatte seine Ausbildung in Benrath absolviert, im Möbel- und Textilgeschäft Heumann, und dort auch nach Beendigung seiner Lehre bis 1924 gearbeitet. Seine Tätigkeit wurde nur von 1914 bis1918 unterbrochen, er kämpfte als Soldat im 1. Weltkrieg und erhielt dafür noch 1935 das Ehrenkreuz für Frontkämpfer. Im Mai 1924 machte er sich selbständig und gründete zusammen mit einem Partner ein Versandgeschäft für Textil- und Schuhwaren, Standort Hilden. Zwei Jahre später heiratete er Martha Heumann, eine Tochter seines früheren Chefs, der inzwischen verstorben war. Als 1929 der Sohn Rolf geboren wurde, lebten Henry und Martha Bernstein schon in der Mettmanner Str. 76. Martha Bernstein war eine sehr gute Pianistin, die auch gelegentlich Konzerte gab. Insgesamt pflegte die Familie durchaus gute nachbarschaftliche Kontakte. Im Jahr 1935 trat eine neue, gegen Juden gerichtete Gewerbeordnung in Kraft und Henry Bernstein musste sein Geschäft einstellen. Er arbeitete wieder im Geschäft seiner Schwiegermutter in Benrath, Rolf Bernstein, Gary Eichenwald Henry Bernstein die Familie lebte 20 aber weiterhin in Hilden, wo Rolf Bernstein die katholische Grundschule Augustastraße besuchte. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 drang der Schlägertrupp von SS und SA, der schon bei Familie Sommer alles zerstört hatte, auch bei den Bernsteins ein. Die Männer zerschlugen Möbel und misshandelten Henry Bernstein, ließen allerdings Frau Bernstein und den Sohn Rolf in Ruhe. Die Familie ging zunächst zurück nach Benrath. Aber weil auch dort nach den Zerstörungen in der Pogromnacht kein sicheres Leben mehr möglich war, wollte Henry Bernstein über die Niederlande nach Amerika auswandern. Das gelang nicht, im Jahr 1940 wurden die Niederlande von den Deutschen besetzt und die Juden mussten untertauchen. Rolfs niederländischer Lehrer Benjamin Blankenstein versteckte die Familie Bernstein auf dem Dachboden seines Hauses, wurde dann aber im Juni 1944 verraten und zusammen mit den Untergetauchten von einem Militärgericht in Amsterdam verurteilt. Er kam 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen ums Leben. Familie Bernstein kam ins Lager nach Westerbork und von dort aus deportierte man sie am 2. August 1944 nach Theresienstadt, wo Martha Bernstein überlebte. Henry Bernstein wurde am 28. September 1944 nach Auschwitz transportiert und dort ermordet, nicht ganz einen Monat später, am 23. Oktober 1944 geschah dasselbe mit Rolf Bernstein. 21 Mittelstraße 37/39 Letzter Wohnsitz von Carl, Otto, Liselotte und Manfred Herz Carl Herz geb. am 30.11.1879 in Berghausen Pogromopfer in Hilden, erstochen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 Otto Herz geb. am 7.3.1910 in Hilden ermordet am 15.8.1942 im Konzentrationslager Auschwitz Lieselotte Herz, geb. Bloemendaal geb. am 1.10.1911 in Düsseldorf ermordet am 17.7.1942 im Konzentrationslager Auschwitz Manfred Herz geb. am 21.6. 1937 in Hilden ermordet am 17.7.1942 im Konzentrationslager Auschwitz Carl Herz lebte seit 1906 mit seiner Familie in Hilden und betrieb ein Textilgeschäft (Mittelstr. 37), das er im Zuge der Weltwirtschaftskrise im Dezember 1931 aufgeben musste. Er erwarb dann einen Gewerbeschein für eine Provisionsvertretung für eine Ausstellungsattrappe, der ihm aber Ende September 1938 wieder entzogen wurde. Sein Sohn Otto wurde Musiker, lebte eine Zeit lang in Düsseldorf, heiratete am 25. April 1934 Lieselotte Bloemendaal und lebte dann mit seiner Familie bei seinen Eltern in Hilden. Zu den Nachbarn, besonders zu Familie Schnatenberg, pflegten die Herzens ein freundliches, nachbarschaftliches Verhältnis. Sie führten kein 22 religiöses Leben und waren in der Hildener Bürgerschaft gut integriert. Schon bald nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten musste Otto Herz erste berufliche Einschränkungen erleben; er verlor seinen Posten als Kapellmeister und Carl Herz versuchte ab 1935 sich im Ausland eine neue Existenz aufzubauen. Nachdem er abwechselnd in England und Deutschland gelebt hatte, ließ er sich schließlich 1938 in Amsterdam bei seinem Schwiegervater nieder. Ursprünglich hatte er geplant, wieder nach England und von dort aus weiter nach Amerika auszuwandern, sobald er seine Familie nachgeholt hatte, denn seine Frau Lieselotte lebte zu diesem Zeitpunkt mit dem kleinen Sohn Manfred noch bei ihrem Schwiegervater in der Mittelstraße in Hilden und bemühte sich von dort aus, die Ausreise zu organisieren. Ein dafür notwendiger Heimatschein wurde jedoch nicht genehmigt und als Begründung angeführt, dass Herz Besitzer eines Kontos war und die Gefahr bestünde, dass er sein Geld aus dem deutschen Reich nach Holland transferiere. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 drang ein SA-Trupp in die Wohnung der Familie ein, verwüstete sie und sperrte Lieselotte Herz und ihren Sohn Manfred in ein Zimmer, sie wurden nicht körperlich misshandelt. Als der Trupp abgezogen war, fand Frau Herz ihren Schwiegervater tot am Boden liegend, Carl Herz war mit einem SA-Dolch erstochen worden. Sie blieb mit ihrem Sohn in Hilden, bis sie im Januar 1939 endlich den beantragten, auf ein Jahr befristeten Heimatschein bekam und damit auch die Ausreisepapiere nach Amsterdam. Von dort aus wurde die gesamte Familie im Jahr 1942 nach Auschwitz deportiert, wo Lieselotte Herz und ihr Sohn Manfred vermutlich sofort getötet wurden, datiert wurde ihr Tod auf den 17. Juli 1942. Otto Herz lebte noch bis Mitte August im Lager, am 15.08.1942 wurde auch er ermordet. 23 Mittelstraße 62 Letzter Wohnsitz der Familie Krämer in Hilden Emma Krämer, geb. Coopmann geb. 12.03.1871 in Linnich 1942 nach Theresienstadt deportiert, am 17.08.1943 dort gestorben Emma Coopmann, die am 1. August 1897 ein Geschäft für Kurz-, Woll- und Weißwaren in Hilden, Mittelstr. 73 eröffnet hatte, heiratete am 28. Dezember 1901 den Kaufmann Josef Krämer, geboren 1869 in Bensheim/Weinstraße, der das Geschäft übernahm, es aber 1902/1903 unter dem Mädchennamen seiner Frau ins Handelsregister eintragen ließ. Im Juli 1910 wurde das Geschäft in die Mittelstr. 62 verlegt, dort gab es größere Schaufenster und damit bessere Ausstellungsmöglichkeiten für die neue Ware, es wurden nämlich zusätzlich Hüte verkauft. Die Familie - sie bestand inzwischen aus vier Personen, Sohn Benno (Bernhard), geboren 1902, und Tochter Klara, geboren 1904, waren hinzugekommen - genoss ein gewisses Ansehen in Hilden, jedenfalls wurde das 30-jährige Geschäftsjubiläum im August 1927 in der Zeitung mit einem Artikel gewürdigt. In der Pogromnacht am 9. November 1938 schlug ein Trupp von SS- und SA-Leuten die Schaufenster ein, zerstörte die Einrichtung und verstreute Waren auf dem Bürgersteig. Frau Krämer führte zu dieser Zeit das Geschäft allein, ihr Mann war schon seit Jahren krank. Wenige Tage nach dem 9. November wurde Frau Krämer zum Ortsgruppenleiter bestellt, der sie das Haus zu verkaufen drängte. Sie beugte sich dem Druck, der Kaufpreis für das große Haus betrug 23000 Reichsmark, allerdings wurde der Familie nur ein geringer Teil ausgezahlt. 24 Am 17. November 1941 wurde Josef Krämer in eine Anstalt nach Bendorf-Sayn gebracht, als sein Todestag wurde der 20. Mai 1943 angegeben. Die genaueren Umstände sind bisher nicht bekannt, wahrscheinlich war Josef Krämer ein Opfer der so genannten „Euthanasie“. Am 4. Dezember 1941 verließen Emma Krämer, ihr Sohn und ihre Schwiegertochter Hilden, sie zogen nach Düsseldorf. Das war die letzte jüdische Familie in Hilden, nur Erna Herz und ihr Vater Sigmund Herz blieben wenige Tage länger (s. Seite 12). Am 21. Juli 1942 wurde Emma Krämer von Düsseldorf nach Theresienstadt deportiert, sie starb dort am 17. August 1943. 25 Mittelstraße 77 Letzter Wohnsitz von Helene und Josef Schmitz in Hilden Helene Schmitz, geb. Schlächter geb. 8.10.1876 in Nideggen, Krs. Düren deportiert 1942 nach Minsk, für tot erklärt Josef Schmitz geb.2.02.1873 in Wollersheim, Krs. Düren am 22.07.1942 nach Theresienstadt deportiert, von dort nach Minsk, dort „verschollen“ Der Kaufmann Josef Schmitz, der Frontkämpfer im 1. Weltkrieg gewesen war, und seine Frau Helene zogen am 28. März 1919 von Benrath nach Hilden, zunächst in die Mittelstr. 27. Neun Jahre später erfolgte der Umzug in das eigene Geschäft in der Mittelstr. 77. Als im August 1935 eine Fensterscheibe des Geschäfts eingeworfen wurde, erstattete Josef Schmitz Anzeige. Dieser Anzeige wurde auch nachgegangen. Doch in der nächsten Zeit gab es weitere Schikanen, denen sich das Ehepaar nicht gewachsen fühlte. Die Führung des Geschäfts übergab Josef Schmitz an Albert Schmitz, er selbst zog mit seiner Frau am 5. Januar 1938 zurück nach Düsseldorf. Das Geschäft wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, wie viele andere auch, verwüstet und kurz danach enteignet und einer „arischen Firma“ zur Weiterführung überlassen. Am 22. Juli 1942 wurde Josef Schmitz von Düsseldorf zunächst nach Theresienstadt deportiert, dann am 21. September nach Treblinka. Josef Schmitz wird 26 als „verschollen“ geführt, er starb wahrscheinlich noch im Jahr 1942 in Minsk. Helene Schmitz wurde 1942 nach Minsk deportiert und dann für tot erklärt. 27 Richrather Straße 15 Letzter Wohnsitz von Margarete und Max Grünewald Margarete Grünewald, geb. Knopfmacher geb. 14.06.1890 in Wangrawitz/Posen 18.10.1941 nach Lodz deportiert ermordet am 15. Mai 1942 Max Grünewald geb. 24.11.1874 in Immigrath 18.10.1941 nach Lodz deportiert ermordet, wahrscheinlich am 15. Mai 1942 In der letzten Statistik jüdischer Einwohner in Hilden vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wird die Familie Grünewald aufgeführt: Max Grünewald, von Beruf Rohrzieher, seine Frau Margarete und eine Tochter Julia, geb. 1907, von Beruf Schneiderin, über die aber (bisher) weiter nichts bekannt ist. Die Familie lebte offenbar sehr zurückgezogen, denn es gibt keine weiteren Einträge oder Hinweise, auch nicht in den Untersuchungen zur Reichspogromnacht in Hilden, es gibt nur den Bericht über „die erste Deportation von Hildener Juden“, in dem steht, dass „… die Eheleute Max Grünewald, wohnhaft gewesen in Hilden, Richrather Str. 15, … aus dem Reichsgebiet entfernt (wurden)“. Sie hatten sich mit anderen Menschen jüdischen Glaubens am 18.10.1941 in Düsseldorf am Schlachthof einfinden müssen, von dort wurden sie in ein „… Sammellager bei Litzmannstadt in Polen …“ gebracht. In den dortigen Akten findet man ihre Namen 28 in den Listen von Lebensmittelzuweisungen bis zum Mai 1942, danach nur noch den Namen Margarete Grünewald in der Liste der am 15. Mai 1942 in die Gaskammer Deportierten. Da auch Max Grünewald nicht mehr unter den Bewohnern des Ghettos in Lodz genannt ist, kann man davon ausgehen, dass er auch zu dem Transport vom 15. Mai 1942 in die Gaskammer gehörte. 29 Richrather Straße 96 Letzter Wohnsitz von Hermann Klemens Hermann Klemens geb. 12.08.1900 in Düsseldorf am 07.07.1933 hinterrücks erschossen Der Arbeiter Hermann Klemens lebte mit seiner Frau Elfriede, geb. Böhm, und seinem Sohn Heinz-Hermann in Hilden. Er gehörte der Kommunistischen Partei an, die nach der Machtübernahme durch die NSDAP verboten worden war. Dennoch gab es Aufrufe und Aktionen gegen die Nationalsozialisten, was häufig zu Verhaftungen führte. Am 7. Juli 1933 waren wieder einmal Kommunisten verhaftet worden, so auch Hermann Klemens. Im Polizeigefängnis wurde er von Mitgliedern der SA misshandelt. Gegen Mitternacht brachte man ihn noch ein- Hermann Klemens 30 mal ins Rathaus, allerdings brach er nach schlimmen Schlägen und weiteren Misshandlungen auf dem Weg dorthin zusammen. Er wurde von hinten erschossen, was in einem Bericht am nächsten Tag als „auf der Flucht erschossen“ dargestellt wurde. Das Grab von Hermann Klemens befindet sich auf dem Stadtfriedhof in Hilden, es trägt die Inschrift: Er starb für Freiheit und Menschenwürde. Hermann Klemens war das erste Opfer der Nationalsozialisten in Hilden. 31 Walder Straße 222 Letzter Wohnsitz von Wilhelm Schmitt Wilhelm Schmitt geb. 22.03.1902 in Hilden am 4.09.1933 verschleppt auf die Koburg/ Neandertal, dort erschlagen Wilhelm Schmitt wurde am 22. März 1902 in Hilden geboren. Er war Arbeiter und aktives Mitglied der Kommunistischen Partei. So unterzeichnete er am 4. April 1932 einen Brief an die Polizeiverwaltung in Hilden, in dem eine öffentliche Antikriegskundgebung mit anschließender Demonstration angezeigt wurde. Die Demonstration verlief in völliger Ruhe, wird berichtet. Am 2. September 1933 wurde Wilhelm Schmitt mit anderen Kommunisten aus dem Hildener Osten verhaftet. Am 4. September wurde er zur Koburg, dem Sitz der SA-Standarte bei Mettmann gebracht. Was dort genau geschah, lässt sich nicht sicher rekonstruieren. Sicher ist, dass er den schweren Misshandlungen zum Opfer fiel. Die SA hatte Mithäftlinge Schmitts dazu genötigt, unter Androhung von Gewalt und dem Vorwurf Schmitt habe sie verraten, den schon zuvor gefolterten Wilhelm Schmitt halb tot zu schlagen. Den Rest erledigte man wohl selbst und ließ daraufhin die Leiche verschwinden. Bis zum heutigen Tage wurde der Leichnam Wilhelm Schmitts nicht gefunden. Wilhelm Schmitt war zu dem Zeitpunkt seiner Verhaftung 31 Jahre alt. Er war verheiratet und hatte zwei Töchter. Gisela Steffens, Tochter von Wilhelm Schmitt erinnert sich: „Als mein Vater verhaftet wurde im September 1933, war ich 2 Jahre alt. Ich erinnere mich nur an viele dunkle, große Personen und an die verzweifelten Rufe meiner Mutter. Ich wurde als Kind von den Eltern der Nachbarskinder geschnitten, auch in der Schule 32 Wilhelm Schmitt Steinverlegung mit Tochter und Enkelin wurde ich ausgegrenzt, vor allem durch Lehrer. Bis zum 11. Lebensjahr bekam ich keine Antwort auf die Frage nach der Todesursache meines Vaters aus Angst vor weiterer Verfolgung der Familie. Erst später erfuhr ich, dass mein Vater als Kommunist auf die Koburg im Neandertal verschleppt wurde, dort zu Tode geprügelt und getreten wurde und seine Leiche verschwunden blieb. Ich bin so froh, dass es jetzt diesen Stein für meinen Vater geben wird, wir haben ja nicht einmal ein Grab.“ Diana Steffens (nach Unterlagen der Großmutter Gisela Steffens, Tochter von Wilhelm Schmitt) 33 Weitere Stolpersteine werden noch verlegt werden müssen: Friedrich Wilhelm Beuer, Nordstraße Katharina Gammel, Grabenstr. 2 Henriette Maria Grabowski, Benrather Straße Karl Harhoff, Hochdahler Str. 132 Sofie Israel, geb. Kopf, Mittelstr. 86 Marianne Kopf, geb. Katz, Mittelstr. 86 Tobias Kopf, Mittelstr. 86 Julius Kaupe, Kirchhofstraße Josef Krämer, Mittelstr. 62 Paul Krey, Eller Str. 128 Paul Levin, Kirchhofstraße Betty Schweriner, geb. Kaufmann, Mittelstr. 7-9 34 Die folgenden Fotocollagen wurden von Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 13 des Helmholtz-Gymnasiums im Kunstunterricht unter der Leitung ihrer Kunstlehrerin Christiane Haider erstellt. Die Schülerinnen und Schüler setzten sich mit den Vorgängen der Reichspogromnacht in Hilden am 9. November 1938 und Darstellungen von Gewalt und Willkür in der Kunstgeschichte auseinander. Da eine Reihe der Häuser, in denen die gewalttätigen Ausschreitungen gegen jüdische Bürger stattfanden, auch heute das Stadtbild prägen, lag es nahe, sie motivisch einzusetzen und das Schicksal ihrer ehemaligen Bewohner durch Zitate aus der Kunstgeschichte mittels der Collagetechnik zeitübergreifend zu verdeutlichen. Fabian Reich 35 Niklas Paul 36 Björn Schuster Kolja Vornholt 37 Jan Imfeld 38 Janina Treffon 39 Julius Hollweg 40 Moritz Müller 41 Nadine Schmökel 42 Die kunstgeschichtlichen Zitate stammen überwiegend aus folgenden Werken: Pablo Picasso, Guernica, 1937, Weinende Frau, 1937, Massaker in Korea 1951 Francisco de Goya, Der 3. Mai, Erschießung der Aufständischen, 1814 Edouard Manet, Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko, 1867 Edvard Munch, Der Schrei, 1893 Oskar Kokoschka, Plakat, 1908 Salvador Dali, Weiche Konstruktion mit gekochten Bohnen, Vorahnung des Krieges, 1936 Equipo Cronica, Die Ungeheuer, 1974 Ossip Zadkine, Die zerstörte Stadt, Mahnmal für Rotterdam, 1951-1953 43 Steine gegen das Vergessen Stolpersteine in Hilden