Die Elektrizitätsversorgung im Wandel der Zeit

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Die Elektrizitätsversorgung
im Wandel der Zeit
von Marcel Oberweis
Prof. Dr.-Ing. Marcel Oberweis i.R.
Mitglied der Arbeitsgruppe „Erneuerbare Energien” im Weltenergierat London
Abgeordneter
Die Elektrizitätsversorgung ist zurzeit durch die zentrale Stromerzeugung
in Großkraftwerken gekennzeichnet, der
kostspielige Stromtransport und die
Verteilung bis zum Endverbraucher
erfolgt über Freileitungen und Kabel.
Bedingt durch die Liberalisierung
werden die industrialisierten Länder
sich immer stärker der dezentralen
Elektrizitätsversorgung zuwenden, in
den Entwicklungsländern ist dies der
einzige gangbare Weg, Hunderten von
Millionen Menschen den Zugang zur
kommerziellen Energie zu ebnen.
Die Erfindung der dynamo-elektrischen Maschine im Jahr 1845 leitete
die großflächige Energieversorgung ein.
Die mechanische Energie wurde auf
direktem Weg in elektrische Energie
umgewandelt, anschließend auf höhere
Spannungen gebracht, mit Freileitungen
und Kabel zu den Verbrauchern gebracht. Durch die Entwicklung des
selbsterregenden Generators durch
Werner von Siemens und Charles
Wheatstone im Jahr 1867 war der
Siegeszug der Elektrizitätsversorgung
nicht mehr zu bremsen.
Das erste Kraftwerk der Welt wurde
1882 in der Pearl Street in New York
von Thomas Alva Edison in Betrieb
genommen, es lieferte Gleichstrom von
110 V. 1883 wurde in Grenoble die
elektrische Energie mit einer Spannung
von 3.000 V erfolgreich über eine
Strecke von 14 km übertragen. Weitere
Übertragungsleitungen auf den Spannungsebenen 6.000 V und 10.000 V
folgten. Der Trend zu immer höheren
Werten setzte ein und im Rahmen der
Weltausstellung in Frankfurt 1891
leitete man die elektrische Energie mit
einer Spannung von 30.000 V über die
Entfernung von 175 km.
Im Zuge der im 19. Jahrhundert begonnenen Elektrifizierung übernahmen
die Versorgungsunternehmen die
Aufgabe, die zunächst eigenständigen
Inselnetze hin zu einem übergreifenden,
stabilen Netzverbund aufzubauen.
Revue Technique Luxembourgeoise
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Damit der wachsende Bedarf an
elektrischer Energie gedeckt werden
konnte, wurde die Netzplanung dergestalt aufgebaut, dass die zentralen
Kraftwerke ein eigenes Gebiet versorgten, es entstanden die Energieversorgungsmonopole.
Das aktuelle
Elektrizitätsversorgungssystem
Die Elektrizitätsversorgung in
Europa mit Höchstspannungen von 220/
380 kV resp. 750 kV ist heute noch
zentral organisiert. Die Großkraftwerke
speisen ihre elektrische Energie in die
flächendeckenden Höchst- und Hochspannungsnetze ein. Dies ist historisch
bedingt, wurden doch die Kohlekraftwerke in der Nähe der Lagerstätten
errichtet (die Braunkohlekraftwerke im
Dreieck Düsseldorf-Bonn-Aachen),
derweil die Laufwasserkraftwerke am
Flusslauf resp. als Speicherbecken im
Hochgebirge errichtet wurden. Die Verteilung der elektrischen Energie wird
über die Mittel- und Niederspannungsebene nach dezentralem Muster abgewickelt.
Im Verbundnetz UCTE gab es bis
zur Liberalisierung der Energiemärkte
für die einzelnen Versorger ausgedehnte
Gebietsmonopole, der einzelne Konsument wurde von einem bestimmten
Stromversorger beliefert. Am 1. Juli
2007 tritt die letzte Phase der Liberalisierung in Kraft, demzufolge sogar die
Niederspannungskunden ihren Stromlieferanten theoretisch wählen können.
Die hohen Netznutzungsgebühren
werden dies jedoch vereiteln, nur die
Großkunden werden in der Lage sein,
diesen Schritt zu vollziehen.
In Anbetracht der umweltrelevanten
Probleme durch die Kraftwerke, im
Speziellen die Emissionen von treibhausfördernden Gasen, hat sich die
Europäische Kommission diesem
Themenkreis angenommen und fordert
neben der Verminderung dieser Emissionen und der Erhöhung der Energie-
effizienz auch die breite Nutzung der
erneuerbaren Energien.
Wenige Generationen nutzen die in
Jahrmillionen angesammelten Bodenschätze aus und die kommenden Generationen werden aus den fossilen Energien nur noch wenig Nutzen ziehen
können, trotzdem sie die Folgen unserer
Lebensweise zu tragen haben. In Anbetracht des Wissens um die schwindenden fossilen Primärenergieträger hat
sich der Gedanke durchgesetzt, dass es
letztendlich doch günstiger wird, über
einen mittleren Zeithorizont aus den
fossilen Energieträgern auszusteigen
und sich den erneuerbaren Energien
zuzuwenden.
Für die Einbindung der erneuerbaren
Energien hat nach anfänglicher Abneigung der Siegeszug begonnen: Windenergieanlagen, Biomassekraftwerke
und Photovoltaikanlagen, Kleinwasserkraftwerke und Brennstoffzellenkraftwerke haben ihre Daseinsberechtigung erkämpft, genau wie die modernen und kostengünstigen Gas- und
Dampfkraftwerke. Leider müssen sie
sich gegen die fadenscheinigen Argumente, wie: “Mit Windenergie können
wir unseren Strombedarf nicht decken”,
“Die Sonnenscheindauer ist in Europa
relativ gering”, “Der Wind weht nicht
immer”, “Die Wasserkraft kann nicht
weiter ausgebaut werden”, “Erneuerbare Energien sind unwirtschaftlich”
durchsetzen.
Das Kyoto-Protokoll mit seinen Einschnitten in die Energiewirtschaft wird
Remedur schaffen und sobald die Speicherung der erneuerbaren Energie
großtechnisch durchgeführt werden
kann, werden sie ihren Stammplatz in
der Energieversorgung einnehmen.
Die Sorgen bereitende
Energieabhängigkeit
Unsere Abhängigkeit von Energieimporten nimmt von 46,4% im Jahre
1995 auf 63,4% im Jahre 2020 zu. Bei
Erdgas wird die Importabhängigkeit fast
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Großkraftwerk speist über die Hochspannungsebene
in das Verteilungsnetz
Versorgungsstruktur nach
dezentralem Konzept
Verbraucher:
Klein- und Mittelunternehmen
Haushalte
Gewerbe, Handel und Verkehr
PV-Anlagen
Einspeisung über Trafo in die
Biomassekraftwerk
Mittelspannungsebene
Windenergieanlagen
Kleinwasserkraftanlage
Blockheizkraftwerk
Bild 1. Die dezentrale Elektrizitätsversorgung – Elemente eines vernetzten Systems
70% betragen, bei Erdöl sogar 86%.
Die Gründe für die zunehmende Importabhängigkeit liegen auf der Hand, der
Verbrauch von Erdöl, Erdgas und Kohle
nimmt weiterhin zu, während die eigenen Reserven abnehmen.
Die heimische europäische Steinkohle
wird aus Kostengründen eine geringere
Rolle spielen, fast 70% der Kohle wird
im Jahre 2020 aus Nordamerika,
Russland, Südafrika sowie Australien
importiert. Auch wenn derzeit auf die
Gas-& Dampfkraftwerke mit hohem
Nutzungsgrad gesetzt wird, letztendlich
werden auch diese mit importiertem
Erdgas beliefert, da sich die europäischen
Erdgasfelder dem Ende zuneigen.
Führt uns nicht die prekäre Erdgasversorgung aus Russland über die
Ukraine vor Augen, wie abhängig wir
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mittlerweile aus dieser Weltregion sind.
Hier blind in den Tag hinein leben,
dürfte für die Energiewirtschaft Europas
fatale Folgen haben, ähnliche Überlegungen gelten übrigens auch für die
Erdölversorgung. Vor dem Hintergrund
wirtschaftlicher und ökologischer
Zwänge muss es deshalb verstärkt zur
Integration erneuerbarer Energieerzeugung kommen, die durch die naturgegebene Dargebotssituation von Wind,
Sonne, Wasser und Biomasse zur dezentralen Elektrizitätserzeugung führt.
Die Europäische Union ist sich dieser
anstehenden Probleme wohl bewusst
und hat sich seit Mitte der 80er Jahre
des vorigen Jahrhunderts intensiv um
neue Wege bemüht. Sie hat sich das
Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 bis 12%
der elektrischen Energie durch erneuer-
bare Energien zu decken. Luxemburg
bemüht sich seinen Anteil auf 5,7 % bis
2010 anzuheben, die ersten Hürden sind
schon geschafft.
Die nachhaltige Entwicklung
Das Klima der Erde ist, seit die Erde
existiert, variabel in Zeit und Raum.
Der letzte gravierende, mit enormen
Auswirkungen verbundene Klimawandel hat vor etwa 12.000 Jahren stattgefunden, der Übergang von der letzten
Eiszeit, der Würm-Kaltzeit in die derzeitige Warmzeit, das Holozän, überlagert von sehr abrupten Änderungen in
relativ kurzer Zeit.
Waren die Variationen der Klima
beeinflussenden Gase in jener Zeit in
der „Norm”, so stellt der Klimafaktor
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Mensch im Industriezeitalter alles Bisherige in den Schatten. Durch den enorm
angestiegenen Ausstoß klimawirksamer
Spurengase, den Treibhausgasen, greift
der „homo sapiens” stark in den atmosphärischen Haushalt ein. Allein die CO2Emissionen haben, bedingt durch die
Nutzung der fossilen Energieträger und
der Waldrodungen inzwischen den Wert
von 30 Milliarden Tonnen pro Jahr erreicht. Um 1900 lag der energiebedingte
Anteil der anthropogenen CO2 -Emissionen noch bei ca. 2 Gt, im Jahr 2004
stand die Marke bereits auf 6 Gt. Die
Zunahme an Treibhausgasen führt zu
einer langfristigen Erwärmung der
Erdoberfläche, bedingt durch die sich
in der Atmosphäre ansammelnden
schädlichen Gase, für welche die industrialisierten Länder, immerhin nur 20%
der Weltbevölkerung, zu 80 % verantwortlich sind.
Seit ca. 1900 ist die globale Mitteltemperatur um 0,7°C und der Meeresspiegel um ca. 10 – 25 cm gestiegen.
Wenn sich diese Entwicklungen
fortsetzen, dann wird sich bis 2100 eine
Erwärmung der unteren Atmosphäre
global um 1,4-5,8 °C, abhängig von der
Region, einstellen. Deshalb müssen die
von den Menschen verursachten Temperaturänderungen unter 2°C bleiben.
Diese Entwicklung wird geleitet vom
Brundlandt-Bericht aus dem Jahr 1987,
welcher besagt, dass die Erfüllung der
Bedürfnisse der derzeitigen Generation,
ohne dadurch die Erfüllung der
Bedürfnisse künftiger Generationen zu
beeinträchtigen, ein grundlegendes Ziel
unserer derzeitigen Energie- und Umweltpolitik sein muss. Gelingt uns nicht,
die Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik so zu gestalten und zu vernetzen,
dann werden die Kosten für alle Partner
der Gesellschaft drastisch wachsen.
Jede Generation von Menschen ist
eine Brücke von der vorausgegangenen
zu der kommenden. Seit ein oder zwei
Generationen ist die Menschheit dabei
Fähigkeiten und Kräfte zu entwickeln,
mit denen sie ihre natürlichen und
sozialen Lebensbedingungen grundlegend verändern und langfristig
beschädigen kann. Wir sind derzeit
Zeuge der Zerstörung von natürlichen
Lebensräumen sowie der Ausrottung
vieler Pflanzen- und Tierarten. Trotz
der Unsicherheiten über das Ausmaß
der Erwärmung und die Konsequenzen
sind die allgemeinen wissenschaftlichen
Zusammenhänge grundsätzlich bekannt. Es gilt als wahrscheinlich, dass
höhere Lufttemperaturen zu häufigen
Hitzeperioden, höheren Niederschlagsmengen, ansteigenden Meerestemperaturen und einen Anstieg des MeeresRevue Technique Luxembourgeoise
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spiegels durch die thermische Ausdehnung der Meere und die Gletscherschmelze führen.
Das aktuelle Energiesystem verstößt
deshalb durch die Verschwendung einmaliger Ressourcen und durch die
langfristig wirksamen Veränderungen
der Atmosphäre und des Klimas in
grober Weise gegen die Generationengerechtigkeit. Eine generationengerechte weltweite Energieversorgung
darf nur Energiequellen nutzen, die sich
nicht erschöpfen und die keine nachteilige Auswirkungen für spätere Generationen hervorrufen, davon sind wir in
unseren Ländern meilenweit entfernt.
Die industrialisierten Länder sind
aufgefordert, die Montreal-Konferenz
im Dezember 2005 hat es eindeutig
erklärt, sofort Maßnahmen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen
einzuleiten. Ohne entsprechende Klimaschutzmaßnahmen entstehen weltweit im
Jahr 2100 Klimaschäden durch Extremwetterereignisse in Höhe von 20.000
Milliarden $. Die Experten schätzen, dass
die Kosten für eine heute beginnende
aktive Klimaschutzpolitik weltweit im
Jahr 2050 rund 430 Mrd. $ betragen
würden, 2100 wären es 3.000 Milliarden
$. Je früher die Klimaschutzmaßnahmen
ergriffen werden, desto weniger Klimaschäden werden in späteren Jahrzehnten
auftreten und die von unseren Kindern
und Enkeln bezahlt werden müssen.
Für die Energiewirtschaft lässt sich
deshalb ableiten, dass wir der Internalisierung der externen Kosten der Elektrizitätsversorgung den Stellenwert geben
müssen, den sie verdient. Wenn die
Umwelt- und Gesundheitskosten in den
Marktpreis der aktuellen Elektrizitätsversorgung hineingerechnet werden, dann
werden die effiziente Energienutzung
sowie die Nutzung der erneuerbaren
Energien den nötigen Aufwind erhalten.
Wenn nun bedacht wird, dass der
Neubau von Kraftwerken sowie Hochund Höchstspannungsleitungen aufgrund mangelnder Akzeptanz in der
Bevölkerung immer schwieriger wird,
dann kann für die nachhaltige Elektrizitätsversorgung nur die breite Nutzung
der erneuerbaren Energien die Lösung
dieses vernetzten Problems darstellen.
Mit kleineren dezentralen Einspeiseeinheiten kann schneller und flexibler
auf lokale Verbrauchsänderungen und
dies in Respekt mit der Umwelt reagiert
werden. Erste mutige Schritte sind
schon durchgeführt worden, auch in
Luxemburg, und die staatlichen großherzoglichen Reglemente zur Förderung der Energieeffizienz und Nutzung der erneuerbaren Energien stehen
für diesen langfristigen Umbruch.
Die dezentrale
Elektrizitätsversorgung - ein
Element der nachhaltigen
Entwicklung
Während den vergangenen Jahren
wurde die Stilllegung von alten umweltverschmutzenden Großkraftwerken
durchgeführt, trotz wachsendem Verbrauch, eine prekäre Situation dürfte
nicht ausbleiben und die Elektrizität
wird teurer. Im Sinne der Liberalisierung wird man deshalb verstärkt der
dezentralen Versorgung den Vorzug
geben, da diese Erzeugung näher beim
Verbraucher es ermöglicht, die bei der
herkömmlichen Elektrizitätserzeugung
verlorene Abwärme auch zu nutzen.
Die Wirtschaftlichkeit der Umwandlungsanlagen steigt und der Brennstoffeinsatz wird verringert.
Die dezentrale Elektrizitätsversorgung erfolgt durch Elektrizitätserzeugungsanlagen geringer elektrischer
Leistung von einigen kW bis mehreren
MW: Windenergieanlagen, Biomasseanlagen, Blockheizkraftwerke, Wasserkraftanlagen, Photovoltaikanlagen und
Brennstoffzellenkraftwerke. Diese
Energiewandler stehen unmittelbar dort,
wo die Energie gebraucht wird, nahe
am Verbraucher und insbesondere in
städtischen Ballungsgebieten resp. im
ländlichen Raum. Die Folge ist eine
sich verändernde Kraftwerksstruktur
sowie geänderte Anforderungen an
Netzbetrieb, Energiemanagement und
Schutztechnik.
Dabei schließen sich die zentrale
und die dezentrale Energieversorgung
keinesfalls aus. Beide Energiesysteme
können nebeneinander bestehen und
sich gegenseitig ergänzen. Die Konsequenz des Aufbaues der dezentralen
Elektrizitätsversorgung ist die langfristige Umstrukturierung des noch zentral
ausgerichteten Versorgungssystems hin
zu einem mehr von kleineren, dezentralen Einheiten gekennzeichneten System. Ein gezieltes Lastmanagement und
ein geändertes Verbraucherverhalten
sind eine wichtige Voraussetzung und
es bedarf des Einsatzes moderner
Informations- und Kommunikationstechnologien. Wenn darüber hinaus
durch Internet, Satellitentechnik und
Gebäudeleittechnik die Verbraucher
und die Erzeuger vernetzt in Richtung
rationeller Energienutzung eingebunden werden, wird der Verbrauch an
elektrischer Energie vermindert werden.
Durch die Vielzahl der installierten
Kraftwerke auf erneuerbarer Energie
werden wir in Europa in den kommenden Jahren den Beweis erbringen, dass
die Elektrizitätsversorgung auf „Er27
neuerbarkeit” und nicht mehr auf
„Erschöpflichkeit” beruhen wird. Flächendeckende Wetterstationen werden uns
ermöglichen, eine sehr genaue Kurzfristvorhersage durchzuführen. Die Produktionsmengen von Wind- und Solarstrom können damit sehr präzise
vorhergesagt werden. (Siehe Bild 1)
Insbesondere die Integration dezentraler Versorgungskonzepte in die
netzseitigen Aufgaben durch eine entsprechend abgestimmte Einsatzplanung
und Betriebsführung der Einheiten
verspricht aber auch einen zunehmend
optimierten Ressourceneinsatz hinsichtlich Energietransport und -verteilung. Über die potenziellen Möglichkeiten verringerter Transport- und Verteilungsverluste oder eines durch den
gezielten Einsatz dezentraler Erzeugung
vermiedenen Netzausbaus kann u. a.
auch die Versorgungssicherheit im
System profitieren. Es darf jedoch nicht
verkannt werden, dass in der momentanen Aufbauphase der dezentralen
Elektrizitätsversorgung, d.h. bei verstärktem Einsatz dezentraler Erzeugungseinheiten, ein starkes Transportund Verteilungsnetz für den überregionalen Energieaustausch notwendig
bleiben.
Mit Hilfe der Kommunikations- und
Regelungstechnik lassen sich die
dezentralen Einheiten wie ein einziges
Kraftwerk betreiben, die Erzeugungsanlagen können mittels IT-Technologien zu einem virtuellen Versorger in
einem sogenannten Mikronetz zusammengefasst werden. Diese bilden mit
einer Leistung von etwa maximal 20
MW eigenständige Versorgungsinseln,
sie können jedoch mit dem vorgelagerten Verteilungsnetz verbunden
werden. Die Aufteilung der Erzeugungskapazitäten auf viele dezentrale
Anlagen ermöglicht eine höhere
Verfügbarkeit und eine bessere Stromqualität und dies nahe beim Verbraucherschwerpunkt.
Das Ziel künftiger Forschungs- und
Entwicklungsarbeiten ist es, die sich
ändernden Versorgungsstrukturen so zu
gestalten, dass die Versorgungssicherheit auch bei steigender Anzahl dezentraler Energieversorgungseinheiten
ohne die Bereitstellung großer Leistungsreserven erhalten bleibt.
Die Versorgungsstruktur in den
Entwicklungsländern aufbauen
„Wir stehen vor Umweltproblemen,
die das Leben von Millionen Menschen
beeinflussen und den Weltfrieden
gefährden. Der Klimawandel, dessen
Folgen in erster Linie die Entwicklungs28
Bild 2. Die PV-Anlage ermöglicht
hier die schulische Bildung
länder tragen, ist dafür ein Beispiel.
Die Industrieländer müssen sich ihrer
Verpflichtung zur Umwelt- und Entwicklungszusammenarbeit als einer
Investition in ihre eigene Zukunft
bewusst werden. Die Linderung der
Armut ist ohne Umweltpolitik nicht
möglich. Umweltschutz und Armutsbekämpfung intelligent verknüpfen,
dies ist unsere Aufgabe”, so der Tenor
von Klaus Toepfer, Direktor des UNUmweltprogramms, anlässlich der
Klimawandel-Konferenz in Montreal.
Als zukunftsweisendes Konzept
kann für besonders geeignete Regionen
die Vollversorgung ausschließlich auf
der Grundlage der erneuerbaren Energien als dezentrale Versorgungslösung
beruhen. Dieses Konzept beschränkt
sich auf die Erzeugung elektrischer
Energie auf der Basis der Windenergie,
der Wasserkraft, der Solarenergie und
der Biomasse. Aus Gründen einer
optimalen zuverlässigen Versorgung
kommt der Speicherung eine wesentliche Rolle zu. Es kommen z.B. BleiAkkumulatoren zum Einsatz, welche
die nachgefragte Spitzenleistung im
regionalen, autarken Verteilungsnetz
liefern. Zu einem späteren Zeitpunkt
werden auch die modernen Kommunikationstechnologien für ein intelligentes Erzeugungs- und Verbrauchermanagement sorgen. (Siehe Bild 2)
Der wachsende Energiebedarf in den
Entwicklungsländern macht dort den
Einsatz der erneuerbaren Energien
dringend notwendig, dies auch aus
Gründen der nachhaltigen Entwicklung.
Dort gibt es insbesondere im ländlichen
Bereich selten ein zentrales Stromnetz.
Manchmal werden Dieselgeneratoren
benutzt, um Bewässerungspumpen
anzutreiben oder Schulen und Krankenhäuser zu versorgen, die Treibhaus-
gasemissionen sind die direkte Folge.
Bei näherer Betrachtung des afrikanischen Kontinents, zu dem Europa
ein innigeres Verhältnis aufbauen muss,
erkennt man, dass von den 850 Millionen Menschen, etwa 510 Millionen über
keinen Elektrizitätsanschluss verfügen
und 575 Millionen auf die Nutzung der
Biomasse wie Holz, Dung zum Kochen
und Heizen angewiesen sind.
Die Menschen in diesen Ländern
bedürfen nicht der ausrangierten
Technologien, sondern vollen Genuss
von dem Innovationsschub in den
industrialisierten Ländern erhalten.
Über den Weg von Klimaschutzprogrammen können die notwendigen
finanziellen Mittel zur Verfügung
gestellt werden. Die Menschen in den
Ländern mit geringem Bruttoinlandsprodukt träumen davon, sich Wohlstand
zu erarbeiten, dazu gehört ein Radiooder ein Fernsehgerät, eventuell ein
Computer. Da um den Äquator, also in
den krisengeschüttelten Gegenden
Afrikas, die Dunkelheit früh hereinbricht, ermöglicht die zur Verfügung
gestellte Elektrizität den Menschen,
auch dann noch zu arbeiten oder am
Schulunterricht teilzunehmen. Die dezentralen Elektrizitätsanlagen, gepaart
mit den Speicherelementen, erhalten
für die Gemeinschaft im ländlichen
Raum einen besonderen Stellenwert.
Insbesondere die Entwicklung zunehmend lokal oder regional orientierter
Energiemärkte mit der Bereitstellung
von elektrischer Energie sowie der
Spitzenleistung durch Speicherelemente auf der Niederspannungsebene,
scheint hier von Bedeutung zu sein.
Auch können solche Erzeugungsanlagen geringer Leistung durch ausgebildete lokale Handwerker repariert
werden und sind, bei steigender Nachfrage, leicht erweiterbar. Durch die Ausbildung geben wir den Menschen in den
Entwicklungsländern die Möglichkeit,
diese „erneuerbare Technik” im eigenen
Land herzustellen. Sie können diese
Anlagen mit eigener Kraft auf ihre
Bedürfnisse hin optimieren, es können
eigenständige Vertriebsstrukturen
sowie lokale nachhaltige Arbeitsplätze
geschaffen werden.
Schlussfolgerungen
Die verstärkte Nutzung von weiträumig verteilten, verbrauchernahen und
dargebotsabhängigen Erzeugungseinheiten führt je nach erreichtem DurchRevue Technique Luxembourgeoise
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Gesellschaft
dringungsgrad allmählich zu einer
Umstrukturierung des heute zentral ausgerichteten Elektrizitätsversorgungssystems. Die dezentrale Versorgung ist
somit geprägt durch den Einsatz von
Erzeugungsanlagen geringer Leistung,
wobei den Speicherelementen eine
bedeutende Rolle in der Zurverfügungstellung von gesicherter Leistung zufällt.
In meiner an der Universität Kassel
durchgeführten Doktorarbeit habe ich
mich für die Speicherung der elektrischen erneuerbaren Energie in Hochleistungs-Bleiakkumulatoren, errichtet
im ländlichen Raum in der Nähe der
Windenergieanlagen, entschieden. Die
zeitversetzte Einspeisung dieser gespeicherten elektrischen Energie in
Form von veredelter elektrischer Leistung während den Lastspitzen in das
Nieder- und Mittelspannungsnetz stellt
eine Innovation in der dezentralen
Elektrizitätsversorgung dar.
Durch die verbrauchernahe Bereitstellung von elektrischer Spitzenleistung vermindern sich die Übertragungskosten aus den entfernten Spitzenlastkraftwerken, der Ausbau von Kraftwerkskapazitäten kann in die Zukunft
verschoben werden. Die Emissionen
von Treibhausgasen in thermischen
Kraftwerken wird zum Teil reduziert.
Die vergleichsweise kleinen dezentralen
Erzeugungsanlagen können mittels
Energiemanagementsystemen mit den
bestehenden Versorgungseinheiten zu
einem virtuellen Kraftwerk vernetzt
werden. Die zeitliche Entkopplung von
Energiebereitstellung und -verbrauch
sowie die Sicherung der Versorgungsqualität sind Aufgabe von Speicher- und
Lastmanagementsystemen.
All diese Gesichtspunkte führen zu
einem vermehrten Einsatz erneuerbarer
Energien und zu einer verstärkten Nutzung von weiträumig verteilten, zum
Teil auch verbrauchernahen und dargebotsabhängigen Energieumwandlungsanlagen. (Siehe Bild )
Die Ausführungen möchten einen
Beitrag liefern, wie die Umstrukturierung des heute noch zentral ausgerichteten Versorgungssystems zu einem von
kleineren Erzeugungseinheiten gekennzeichneten dezentralen Versorgungssystem aussehen kann. Erzeugung,
Verteilung und Verbrauch werden zu
dezentralen Energieversorgungseinheiten zusammengefasst und mit Hilfe
geeigneter komponentenübergreifender
Leistungs- und Energiemanagementsysteme gesteuert. Ein gezieltes Lastmanagement sowie ein kontrolliertes
Verbraucherverhalten sind notwendig,
ebenfalls der Einsatz moderner Informations- und KommunikationstechRevue Technique Luxembourgeoise
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Umweltbelange
Wirtschaft
Dezentrale
Elektrizitätsversorgung
Technik
&Technologien
Politikgestaltung
Bild 3. Dezentrale Elektrizitätsversorgung im Spannungsfeld
nologien. Ein wesentlicher Grund für
die bisher vergleichsweise geringe
Nutzung der erneuerbaren Energien sind
deren Installationskosten, die Internalisierung der externen Kosten sowie
der wirtschaftliche & wissenschaftliche
Anschub bei weiter wachsendem Nutzungsmarkt werden die notwendige
Kostendegression herbeiführen. Die
Einbeziehung von klimatischen Risiken
in die Gestaltung und Umsetzung von
nationalen und internationalen Entwicklungsinitiativen kann Gerechtigkeit und
Entwicklung begünstigen, die nachhaltiger ist und die Anfälligkeit gegenüber
Klimaänderungen reduziert.
Letztendlich führt, ausgelöst durch
die breite Diskussion über den Klimawandel, kein Weg an der dezentralen
Elektrizitätsversorgung vorbei, sowohl
in den industrialisierten Ländern als
auch in den Entwicklungsländern. ‰
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