Kommunikation mit vorinformierten Patienten Eine Studie an Medizinstudierenden im Praktischen Jahr der Inneren Medizin Bewerbung von Frau Dr. med. Anne Herrmann-Werner, MME (Bern) auf ein Junior Fellowship für Innovationen in der Hochschullehre 1. Persönliche Motivation: Lehre war bereits immer ein großer Bestandteil meines Lebens. Angefangen als Tutorin in eigener Schul- und Studienzeit habe ich auch nach Berufsstart 2007 immer engagiert selbst unterrichtet, aber auch gleichzeitig neue Lehrkonzepte entwickelt. Mir war dabei von Beginn an beides wichtig: Aktive Lehre belebt durch meine klinische Arbeit als Ärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und didaktische Weiterqualifizierung, um meine hohen Ansprüche an Inhalte und Konzepte aufrechterhalten zu können. Über die Zeit wurde dies ergänzt um die dritte Disziplin des universitären „Triathlons“ – die Forschung. Zu überprüfen – und im besten Fall bestätigt zu bekommen – dass eigene Ideen in der Realität nicht nur dankbar angenommen werden, sondern auch wirksam sind, gibt neuen Schub für weitere Entwicklungen. Ganz besonders wichtig ist mir dabei der Austausch – sowohl mit Kollegen anderer Abteilungen, als auch insbesondere der Kontakt zu den Studierenden, um „mit der Basis für die Basis“ arbeiten zu können. Mittlerweile erstreckt sich meine Lehrtätigkeit nicht nur auf Studierende, sondern auch auf ärztliche Kollegen (im Rahmen des Kompetenzzentrums für Hochschuldidaktik in der Medizin, Baden-Württemberg, dem Kursus Psychosomatische Grundversorgung und der Akademie für Bildung in der Personalentwicklung des Uniklinikums Tübingen) und andere Gesundheitsberufe (u.a. Schule für Gesundheits- und Krankenpflege, Tübingen). Durch die Leitung der abteilungseigenen Lehre, die Koordination des Simulationspatienten-Programmes und der zentralen klinisch-praktischen Prüfung (OSCE), sowie der ärztlichen Leitung des interdisziplinären SkillsLabs (DocLab) in Tübingen habe ich bereits weitreichend Erfahrung mit der Organisation und Führung zentraler Lehrbereiche sammeln können. Der Erfolg meiner Lehre zeigt sich auch in verschiedenen fakultätsinternen Lehrpreisen basierend auf studentischer Evaluation, dem Lehrpreis der Medizinischen Fakultät Tübingen, sowie einer Platzierung in der Ausschreibung „Exzellente Nachwuchslehre“ der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung. Zudem stehe ich verschiedenen medizinischen Lehr-Journals (u.a. BMC Medical Education, Zeitschrift für Medizinische Ausbildung) als Peer-Reviewer zur Verfügung, um so neben Lehrpublikationen meinen Beitrag zum wissenschaftlichen Austausch zu leisten. Eine Teilnahme an dem Fellowship-Programm für Innovationen in der Hochschullehre würde es mir ermöglichen, meinen bereits begonnenen Weg weiterzugehen und gleichzeitig meinen Horizont zu erweitern. 1 2. Hintergrund und Ziel der Lehrinnovation: Das traditionelle, paternalistische Arzt-Patienten-Modell, in welchem es Aufgabe des Arztes ist, Informationen zusammenzutragen und den Patienten darüber zu informieren, tritt schon lange immer mehr in den Hintergrund zugunsten eines aktiven Patienten (Charles et al. 2003, Godolphin 2003, Gottlieb et al 2008, Hellenthal&Ellison 2008, Simmons et al. 2009). Wenn diese Patienten jedoch mit einem Stapel an gefundenen Informationen ankommen, so werden sie zumeist als „schwieriger Patient“ eingestuft (Godolphin et al. 2001). Waren es früher eher nur Informationen von Bekannten oder Laienpresse wie die Apothekenumschau, tritt heute mehr und mehr das Internet im Zuge fortschreitender Digitalisierung als Informationsquelle in den Vordergrund. So wurde beispielsweise Wikipedia im Zuge der Ebola-Krise ein wichtiges Instrument, um die Bevölkerung zu informieren (Cohen 2015). Allein von 2000 bis 2009 hat sich die Zahl der Internetnutzer von 361 Millionen auf 1,7 Milliarden vervielfacht (World Internet Users and Population Stats, 2016). Patienten haben eine „do it yourself“-Mentalität entwickelt (Jirasevijinda, 2015). Im Zuge dessen wurde der Begriff des „e-patient“ geprägt der das Internet über die normale Alltagsnutzung hinaus auch als Ressource für gesundheitsrelevante Informationen verwendet (Forkner-Dunn 2003, Fox 2006). Die Gründe hierfür sind mannigfaltig, z.B. Unzufriedenheit mit den beim Arztbesuch erhaltenen Informationen, Stärkung des Selbstvertrauens für den nächsten Arztbesuch oder Nachlesen von beim Arztbesuch erfahrener Punkte (Fox et al. 2000, Eysenbach 2003). Wichtig hierbei ist, dass e-Patienten nicht grundsätzlich gegen Ärzte sind, sondern mit ihnen zusammenarbeiten möchten (deBronkert 2013). In der Technologisierung liegt also für das Gesundheitssystem eine große Chance und Flexibilisierung, die zum Teil bereits aktiv genutzt werden (Bundorf et al. 2006; Chou et al. 2009; Stellefson et al. 2013; Schwartz, 2008). Programme wie „Healthy People 2020“ des US Departments of Health and Human Service nehmen bereits Bezug auf diese Möglichkeiten und haben flächendeckende Programme entwickelt, um diesen bisher unstrukturiert passierenden Prozess wissenschaftlich zu begleiten und somit zu verbessern (U.S. Department of Health and Human Services, 2015). Denn aktuell besteht die Gefahr, dass gerade ein flächendeckender und unkontrollierter Gebrauch der neuen Informationsquellen zu einer ungefilterten Inhaltsübernahme von Patienten führen kann oder komplett als Alternative zum Arztbesuch angesehen wird (Schwartz, 2008; MSL Group Germany GmbH, 2012). Neben der einfacheren Erreichbarkeit der Informationen im Vergleich zu konventionellen Zeitschriften und Büchern, spielt oft auch die Anonymität des Internets eine große Rolle (Fox et al. 2000). Nichtsdestotrotz werden die so gefundenen Informationen analog den nicht-digitalen Quellen mit in die Arzt-Patienten-Konsultationen gebracht und stellen den Arzt dann ebenso vor die Herausforderung, diese gewinnbringend in die Konversation einzubinden (Masters et al. 2010). Erste Reaktion von untrainierten Ärzten ist zumeist, die Informationssuche einzuschränken, statt die 2 Patienten zu angeleiteter Recherche zu ermutigen (Masters 2015). Die Ängste auf Seiten der Ärzte sind dabei vielfältig: Angefangen von der Sorge eines zu großen Zeitverlustes bis hin zu falsch informierten Patienten, die vehement auf ihre Inhalte bestehen – und das, obwohl viele Ärzte im Nachhinein vorinformierte Patienten eher als eine Bereicherung empfanden (Forkner-Dunn 2003, Fox 2005, Eysenbach 2003, Fergusson 2002). Eine offene, einladende Haltung der Ärzte ist dabei essentiell um zu verhindern, dass die Patienten die Informationen zwar weiterhin suchen, aber nicht mit ins Gespräch bringen und es zu einer unkontrollierten Verbreitung von zum Teil gefährlichem (Halb-)Wissen kommt (Fox 2006). Denn die Quellen sind vielfältig und nicht einer Qualitätssicherung unterzogen. Ist die Laienpresse oft noch kontrolliert, sind „Mund-zu-Mund-Propaganda“ und Internetquellen ungefiltert. Die meisten e-Patienten fangen mit generellen Suchmaschinen an und überprüfen nicht zwangsläufig Quelle oder Datum der gewonnenen Informationen (Fox 2006, Eysenbach&Kohler 2002). Bezieht der Arzt hingegen aktiv derartige Möglichkeiten der Informationssuche mit ein und empfiehlt ggf. sogar vertrauenswürdige Quellen, trägt dies zu einer Verbesserung der Arzt-Patienten-Kommunikation bei (Masters 2009, McCaw et al. 2007, Podichetty et al. 2006). Patienten, die aktiv gesundheitsrelevante Informationen recherchieren, sollten nicht als Gegner, sondern mehr als junger Kollege gesehen werden, der Zeit mit bringt und gleichzeitig hoch motiviert ist; insgesamt also eine Bereicherung für die Behandlung darstellt (Masters 2015). Unsere Studierenden sind aktuell nicht auf den adäquaten Umgang mit informierten Patienten vorbereitet. Dies gilt für bereits lange etablierte Informationswege wie Laienpresse oder Informationen aus dem Bekanntenkreis ebenso wie für die neue Komponente der digitalen Quellen. Hier muss als erstes eine Änderung der Haltung erfolgen, welche die damit verbundenen Veränderungen in der Informiertheit der Patienten berücksichtigt (Masters et al. 2010) Es braucht entsprechende Trainingseinheiten für Medizinstudierende. Gerade für junge Ärzte am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn ist es oft schwierig, die eigene Position zu finden und zu behaupten. Trotz gegenteiliger Logik scheinen viele Mediziner bereits im Studium den Anspruch zu haben, alles wissen zu müssen oder zumindest das Gefühl, dieser Anspruch werde an sie heran getragen. Es ist im Alltag immer wieder zu beobachten, wie schwer eine „Inkompetenz-Kompetenz“ fällt – also die Fähigkeit, die eigenen Grenzen offen zu benennen und konstruktiv mit ihnen umzugehen. Gerade ein Patient mit vielen Vorinformationen braucht aber genau das: eine Wertschätzung seines Einsatzes, eine klare Sortierung der Richtigkeit und Relevanz gefunden Materials und eine offene Darlegung etwaiger eigener Unwissenheit. Auch in der Ausbildung Tübinger Medizinstudierender kommt das Thema „E-health“ explizit bisher nur wenig vor. Ein erstes Modul zur Online-Kommunikation mit gynäkologischen Patientinnen wurde jüngst erfolgreich etabliert (Griewatz et al., 2016). Es gibt bisher jedoch noch keine Vorbereitung unserer Medizinstudierenden auf die viel häufigere Situation der face-to-face-Kommunikation mit 3 entsprechend vorinformierten Patienten. Deshalb möchten wir für Studierende des Praktischen Jahres (PJler), die ihr Pflicht-Tertial in der Inneren Medizin am Universitätsklinikum Tübingen im Zeitraum Januar 2017 bis März 2018 absolvieren, ein Unterrichtsmodul erstellen, welches genau solch eine Situation übt. Ergänzend sollen Schulungsvideos erstellt und für die Studierenden als Übungsmaterial zugänglich gemacht werden. Abb.1 :Übersicht über die Unterrichtsmodule (UM) im Projekt „Kommunikation mit vorinformierter Patienten“ Dabei soll eine Orientierung an spezifischer Kompetenzentwicklung im Mittelpunkt stehen. Die Bedeutung kommunikativer Kompetenzen wurde nicht nur in der neuen Ärztlichen Approbationsordnung besonders hervorgehoben, sondern auch in perspektivischen Programmen abgebildet (AppO 2002). So betont z.B. der „Masterplan Medizinstudium 2020“, welcher aktuell durch die Bundesregierung erarbeitet wird, die Notwendigkeit von Kursen zur Stärkung der kommunikativen Kompetenzen, und auch im Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) findet sich in zwei großen Arbeitsbereichen die Kommunikation als zentrale Kompetenz (Fischer et al. 2015, Hibbeler 2015). Daneben soll das Unterrichtsformat aber auch dazu dienen, generelle Haltung und Einstellungen zu reflektieren und ggf. zu adaptieren. Zur Wirksamkeitsüberprüfung werden die so geschulten Studierenden mit einer nicht geschulten Gruppe an PJlern in einem simulierten Arzt-Patienten-Kontakt verglichen. Primäre OutcomeVariablen sind dabei die Veränderung von gezeigtem Verhalten und das Stresserleben, sekundäre die Bewertung und Akzeptanz des Unterrichts, sowie eine katamnestische Befragung der Studierenden (Fragebogen und halbstrukturierte Interviews). 4 Abb. 2: Übersicht der Evaluation. UM = Unterrichtsmodule, Basisdaten: soziodemograph. Daten, berufliche Zufriedenheit; JSE = Jefferson’s Scale of Physician Empathy (Fragen zur Empathie, Hojat 2001), SWE = Fragen zur Selbstwirksamkeitserwartung (Schwarzer und Jerusalem, 1995), PSQ = Perceived Stress Questionnaire (Fragen zum Stresserleben, Fliege et al., 2005), SVF78 = Stressverarbeitungsbogen (Erdmann und Janke, 2008), BSCI = Brief Stress and Coping Inventory (Rahe et al., 2000), HRV = Herzratenvariabilitäts-Erfassung. Aus eigenen Untersuchungen wissen wir, dass gut konzipierte Schulungen selbst bei kurzer Dauer einen wirksamen Effekt haben können (Werner et al., 2013). Zudem besteht eine enge Kooperation mit Herrn PD Dr. C. Nikendei aus Heidelberg, welcher über eine große Erfahrung im Bereich effektiver Unterrichtseinheiten im PJ verfügt und sich bereits als Ansprechpartner für die Konzipierung und Umsetzung zur Verfügung gestellt hat. Zudem fand bereits eine erste Kontaktaufnahme mit Ken Masters statt, der ausgewiesener Experte auf dem Gebiet der e-Patienten, sowie Kursen für Studierende im Umgang mit selbigen ist (Masters et al. 2010, Masters 2015). Ken sagte gerne zu, mit seiner Expertise unterstützend bei der Entwicklung des Formates zur Verfügung zu stehen. Sollte sich das Unterrichtskonzept bewähren, hat auch das Kompetenzzentrum für Hochschuldidaktik in Medizin Baden-Württemberg (Leitung Frau Dr. Lammerding-Köppel) Interesse geäußert, es analog in ihr Unterrichtsprogramm für Dozierende zu übernehmen. 3. Implementierung ins Studium, Wirksamkeit und Verstetigung: Das Unterrichtskonzept soll in den regulären PJ-Unterricht Innere Medizin der medizinischen Fakultät Tübingen integriert werden. Hierbei handelt es sich um einen Pflichtunterricht. Aufgrund der begleitenden Studie, welche auf verschiedenen Ebenen überprüft (psychometrisch, psychophysiologisch, Akzeptanzüberprüfung, sowie qualitatives Follow-up), sollte sich gut zeigen lassen können, ob die Unterrichtseinheit die gewünschte Wirkung zeigt. Diese wäre vorrangig ein veränderter Umgang der Studierenden mit ihren vorinformierten Patienten auf der Verhaltensebene. Daneben wäre auch eine Stressreduktion (auf psychometrischer und/oder psychophysiologischer Ebene) wünschenswert. Zudem sollte das Format gut akzeptiert und evaluiert werden, da eine dauerhafte Implementierung nur Sinn ergibt, wenn die Unterstützung der Studierenden vorhanden ist. Sollte das Konzept die erhoffte Wirksamkeit zeigen, ist somit eine dauerhafte Etablierung des Unterrichtsformates im regulären PJ-Unterricht geplant. Dies ist mit dem zuständigen Koordinator bereits vorbesprochen. Aus den Erfahrungen vorangegangener Studien, sowie zahlreicher ähnlicher 5 Unterrichtsformate sollten für die teilnehmenden Studierenden keine Risiken bestehen. Sollte es durch die Exposition und Selbstreflexion dennoch zu Krisen einzelner Studierender kommen, so ist in meiner Abteilung (durch mich oder Kollegen) ausreichend Expertise vorhanden, damit eine Unterstützung gewährleistet ist. 4. Übertragbarkeit: Grundlegende Strategien der Kommunikation und Interaktionen sind auf alle Gesprächssituationen übertragbar. Dier Umgang mit vorinformierten Klienten, sowie eine zunehmende Informationsgewinnung aus digitalen Quellen spielt ebenfalls auch in anderen Fachdisziplinen eine Rolle, so dass eine grundsätzliche Übertragbarkeit gegeben ist. Spezifisch im Medizinstudium kommt der Gesprächssituation mit Patienten, welche mit voreingeholtem Wissen oder falschen Informationen kommen, eine große Bedeutung zu, so dass das Konzept auch in anderen Abteilungen als der Inneren Medizin durchführbar ist. Zudem werden selbstverständlich die im Rahmen des Projektes erstellten Videos sowohl interdisziplinär als auch interfakultär gerne zur Verfügung gestellt. 5. Austausch mit anderen Fellows: Aus bereits durchlaufenen Qualifizierungsprogrammen wie dem Baden-Württemberg-zertifikat für Hochschuldidaktik und dem Postgraduierten-Studiengang „Master of Medical Education“ weiß ich, wie wertvoll der fachlich-kollegiale Austausch mit anderen Lehrinteressierten ist. Ich verspreche mir, zum einen wertvolle Rückmeldungen zu dem geplanten Projekt in seiner Umsetzung und Beforschung zu erhalten. Insbesondere die Diversität an Hintergründen der geförderten Fellows stelle ich mir als große und für mich bisher neue Bereicherung und Alternative zur „medizinischen Brille“ vor. Ganz persönlich wünsche ich mir für meine eigene Weiterentwicklung spannende neue Bekanntschaften mit daraus entstehenden Möglichkeiten für zukünftige Kooperationen und Projekte, sowie Inspirationen aus anderen Bereichen der Hochschullehre, welche sich auf die Medizinische Fakultät übertragen lassen. 6