Newsletter Medizin-/Pflegerecht sowie Erbrecht

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Aktuelles aus dem Medizin-/Pflegerecht
Aktuelles aus dem Erbrecht
Oktober 2010
Andrea Pfundstein
Rechtsanwältin und
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Fachanwältin für Medizinrecht
Ulrike Specht
Rechtsanwältin und
Fachanwältin für Erbrecht
Paluka Sobola Loibl & Partner
Neupfarrplatz 10
93047 Regensburg
Tel. 0941 58 57 1-0
Fax 0941 58 57 1-14
[email protected]
www.paluka.de
Die Veröffentlichung von
Transparenzberichten Qualitätsprüfungen in der Pflege
Im Dezember 2008 wurde eine folgenschwere Vereinbarung getroffen: Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen, die Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen auf
Bundesebene, die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe
und die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände unter Beteiligung des
Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen haben die sogenannte Pflege-Transparenzvereinbarung stationär (PTVS) geschlossen.
Rechtliche Grundlage dieser Vereinbarung ist die Pflicht der Landesverbände der Pflegekassen gemäß § 115 Abs. 1 a SGB XI (Soziale Pflegeversicherung), dass die von
Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität, insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen verständlich, übersichtlich und vergleichbar sowohl im Internet als auch in
anderer geeigneter Form kostenfrei veröffentlicht werden. Hierbei sind die Ergebnisse des Qualitätsprüfungen der Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK)
zugrunde zu legen, ergänzt durch Informationen aus sonstigen Überprüfungen.
Wie diese Veröffentlichung zu erfolgen hat, nach welcher Systematik die Pflegeeinrichtung bewertet wird und nach welchen Anleitungen die Prüfer des MDK vorzugehen und
ihre Berichte auszufüllen haben, ergibt sich aus der Pflege-Transparenzvereinbarung.
Verschiedenster Sozialgerichte und Landessozialgerichte quer durch die Republik hatten in der Folge zu entscheiden, ob eine Einrichtung einen Anspruch auf Unterlassung
der Veröffentlichung eines Transparenzberichtes hat, wenn sie fehlerhaft schlecht bewertet wurde. Die Ergebnisse der Gerichte konnten dabei nicht unterschiedlicher sein.
Demnächst muss sich nun auch das Bundessozialgericht als oberstes Gericht in den
Fragen der Sozialen Pflegeversicherung mit der Veröffentlichung von Transparenzberichten beschäftigen: Das Sozialgericht Münster hatte entschieden, dass der Landesverband der Pflegekassen einen Transparenzbericht eines Altenwohn- und Pflegeheimes im Kreis der KV Westfalen-Lippe nicht veröffentlichen darf, gleichzeitig aber wegen
der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache unter Übergehung der Berufungsinstanz die Revision zum Bundessozialgericht sogleich zugelassen.
Urteil des Sozialgerichts Münster vom 20.08.2010:
Sachverhalt:
Ein Altenwohn- und Pflegeheim mit 120 Pflegeplätzen war durch den örtlich zuständigen
MDK einer Qualitätsprüfung (Regelprüfung) unterzogen worden. Der darauf erstellte
Transparenzbericht weist als Gesamtergebnis die Note „ausreichend“ (4,3) aus. Der
Qualitätsbereich „Pflege und medizinische Versorgung“ erhielt die Gesamtnote „ausreichend“ (4,4). Der Bereich „Umgang mit demenzkranken Bewohnern“ wurde mit „mangelhaft“ (5,0) bewertet. Im Bereich „Soziale Betreuung und Alltagsgestaltung“ wurde die
Einrichtung mit „ausreichend“ (4,1) beurteilt. Ein „gut“ (2,1) gab es für den Qualitätsbereich „Wohnen, Verpflegung, Hauswirtschaft und Hygiene“. Als Landesdurchschnitt wurde 2,5 („befriedigend“) angegeben. Als Ergebnis der Befragung der Bewohner, das nicht
in das Gesamtergebnis mit einfließt, wurde die Note „sehr gut“ (1,3) mitgeteilt. Das Alten- und Pflegeheim machte geltend, dass der Transparenzbericht offensichtlich unrichtige Feststellungen enthalte. Dies bestritt der beklagte Pflegekassenverband und stützte
sich auf deren gesetzliche Verpflichtung zur Veröffentlichung des Transparenzberichtes.
Zudem müsse der Schutz des Grundgesetzes für die Alten- und Pflegeeinrichtung durch
Art. 12 Grundgesetz (Recht auf freie Berufsausübung) zurücktreten hinter dem Grundrecht der Pflegebedürftigen auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie Information.
Die Entscheidung:
Das Gericht gestand dem Alten- und Pflegeheim einen Anspruch auf Unterlassung
der Veröffentlichung des Transparenzberichtes zu, da Art. 12 Grundgesetz dadurch
verletzt würde.
Zunächst hat das Gericht grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken, ob die Veröffentlichung von Qualitätsberichten durch ein Schulnotensystem erfolgen kann, das vom
Gesetzgeber selbst gar nicht so festgelegt wurde. Angezweifelt wird also die grundsätzliche Legitimation der Vertragsparteien, die diese Transparenzvereinbarung als Basis für
die angewandte Überprüfungssystematik geschlossen haben. Ähnlich sahen dies im übrigen auch bereits die Sozialgerichte in München und Nürnberg. Als wesentlich erachtete das Gericht, dass angesichts des bestehenden öffentlichen Interesses an einer zuverlässigen Information kein großzügiger Maßstab bei der Prüfung der veröffentlichten Bewertungen angelegt werden darf. Es findet deutliche Worte zur „Qualität“ der Überprüfung wie folgt: “Den so umrissenen rechtlichen Anforderungen können die auf der
Grundlage der PTVS erstatteten Transparenzberichte nicht genügen. Die Beurteilungskriterien der PTVS sind nämlich nicht geeignet, die von den Pflegeheimen erbrachten
Leistungen und der Qualität, insbesondere – wie das Gesetz es ausdrücklich verlangt –
hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität zu beurteilen.
Die Systematik der Bewertung ist verfehlt, die Ermittlung der Pflegenoten für den Leser
nicht nachvollziehbar. Die Transparenzberichte täuschen den Verbraucher.“ Tatsache ist, dass die Transparenzberichte nur die Qualität der Einrichtung widergeben, die
sie bei Verfolgung von Standards und festen Abläufen bzw. Prozessen einhält. Die Pflegenoten beurteilen also faktisch nur die Qualität der vorgelegten Dokumentation,
nicht jedoch die pflegerischen Bemühungen, die bei den Bewohnern ankommen. Ein
Beispiel: Bei dem Kriterium 3 im Prüfbogen heißt es: Entspricht die Medikamentenversorgung den ärztlichen Anordnungen ? Dies wurde im Fall des SG Münster mit mangelhaft bewertet. Jeder Angehörige, der auf der Suche nach einem guten Pflegeplatz für
seinen Vater oder seine Mutter ist, würde an diesem Punkt bereits die Entscheidung getroffen haben, dass dieses Alten- und Pflegeheim auf keinen Fall in Frage kommt, denn
es lässt den Schluss zu, dass die Bewohner dieser Einrichtung nicht ihre verordneten
Medikamente erhielten. Die Ausfüllanleitungen der Prüfer offenbaren jedoch den wahren
Grund für eine solche Beurteilung: Nur wenn eine fachgerechte Dokumentation der Medikamentenversorgung uneingeschränkt bis hin zu der geforderten Angabe des vollständigen Medikamentennamens erfolgt, kann ein „mangelhaft“ vermieden werden. Mit
der ordnungsgemäßen Versorgung und tatsächlichen Medikamentenverabreichung an
die Bewohner steht dies also nicht in unmittelbarem Zusammenhang.
Verschiedene Studien und gutachterliche Stellungnahmen, die in der Zwischenzeit vorliegen, bestätigen diese Ansicht. Hier wird aufgezeigt, dass die klassischen Kriterien für
jedes Bewertungsverfahren, d.h. Objektivität, Reliabilität und Validität nicht erfüllt sind.
Die Kernaussage vieler Studien lautet daher: “Aussagen, ob das Verfahren tatsächlich
Pflegequalität misst, sind nicht möglich.“
Fazit:
Auf der Grundlage der geltenden Pflege-Transparenzvereinbarung stationär besteht die
Gefahr, dass Alten –und Pflegeheime beim sog. Pflege-TÜV ein schlechtes Ergebnis
erzielen, obwohl die Mitarbeiter eine gute Pflegeleistung erbringen und für eine hohe
Lebensqualität ihrer Bewohner sorgen. Solange der Gesetzgeber nichts an den Grundlagen dieses Pflege-TÜV ändert heißt es für Angehörige, sich jenseits von Veröffentlichungen ein umfassendes persönliches Bild vor Ort zu machen und Erfahrungen von
anderen Angehörigen und Bewohnern zu berücksichtigen. Den Alten- und Pflegeeinrichtungen kann nur dringend angeraten werden, im Falle von unberechtigten und verzerrt
dargestellten Prüfergebnissen nicht nur den Weg der Kommentierung von Transparenzberichten im Internet zu gehen, sondern in jedem Fall die Gerichte zu bemühen und so
zumindest vorläufig für eine Unterlassung der Veröffentlichung und Schadensbegrenzung zu besorgen, bis eine höchstrichterliche Entscheidung des Bundessozialgerichts
vorliegt, die hoffentlich diese wichtige Thematik wieder in den richtigen Rahmen zurechtrückt.
Andrea Pfundstein
Rechtsanwältin und
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Fachanwältin für Medizinrecht
Berliner Testament –
Bindung für die Ehegatten
Die Rechtsprechung hat sich immer wieder mit der Bindungswirkungen von Regelungen, die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament (Ehegattentestament) treffen, zu befassen. Ein Sonderfall des Ehegattentestaments ist das sog. „Berliner Testament“. Charakteristisch hierfür ist die gegenseitige Benennung der Ehegatten als Alleinerben und Einsetzung der gemeinsamen Kinder als Schlusserben. Errichten Ehegatten ein solches Testament, so stellt sich die Frage, ob der überlebende Ehegatte wirksam ein neues Testament errichten kann, mit dem er die Schlusserbeneinsetzung der
Kinder aufhebt und z. B. den neuen Lebensgefährten als Erben einsetzt.
Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 13.09.2010:
Sachverhalt:
Ein ähnlich gelagerter Fall lage kürzlich dem Oberlandesgericht (OLG) München zur
Entscheidung vor (Beschluss vom 13.09.2010 vom Az. 31 Wx 119/10). Die Erblasserin
hatte mit ihrem damals schwerkranken Mann ein Berliner Testament errichtet, mit dem
sie sich gegenseitig und ihre drei Kinder als Schlusserben eingesetzt hatten. Nachdem
Tod des Ehemanns errichtete die Witwe ein handschriftliches Testament, mit dem sie
nur eines der drei Kinder als Erben einsetzte. Die anderen wurden damit enterbt. Nach
dem Tod der Witwe hat der im handschriftlichen Testament als Erbe benannter Sohn einen auf sich lautenden Erbschein beantragt. Dagegen wehrten sich die beiden anderen
Kinder unter Berufung auf das Berliner Testament der Eltern. Sie sind der Auffassung,
dass die Schlusserbeneinsetzung bindend (wechselbezüglich) ist, sodass ihre Mutter
die Schlusserbfolge nicht mehr ändern konnte. Das OLG München gab der Beschwerde
der beiden anderen Kinder statt.
Die Entscheidung:
Das OLG München gab der Beschwerde der beiden anderen Kinder statt und gelangte
zu dem Ergebnis, dass alle drei Kinder Erben der verstorbenen Mutter wurden.
Die Witwe hätte die Schlusserbeinsetzung anhand des späteren handschrifltichen Testaments nur ändern können, wenn die Regelungen im Berliner Testament nicht wechselbzüglich angeordnet wurden. Wechselbezüglich und damit für den überlebenden
Ehegatten bindend, sind Verfügungen, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des
einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten getroffen worden wäre und nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine mit der anderen
stehen oder fallen soll (BayObLG FamRZ 2005, 1931; OLG Hamm FamRZ 2004, 662).
Maßgeblich ist der übereinstimmende Wille der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung.
Enthält ein gemeinschaftliches Testament keine klare und eindeutige Anordnung zur
Wechselbezüglichkeit, muss diese nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen
und für jede Verfügung gesondert ermittelt werden. Nach § 2270 Abs. 2 BGB ist Wechselbezüglichkeit anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder
wenn dem einen Ehegatten von dem anderen Ehegatten eine Zuwendung gemacht und
für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht.
Dies hat das OLG München hier als gegeben erachtet. Der Ehemann hat seine Frau als
Erbin eingesetzt und diese wiederum für den Fall ihres Überlebens die gemeinsamen
Kinder als Schlusserben benannt. Entgegen der Auffassung des in der ersten Instanz
mit der Sache befassten Amtsgerichts sei nicht anzunehmen, dass ein Elternteil die gemeinsamen Kinder nur deswegen als Erben einsetzt, weil auch der andere dies tut. Die
betreffe das Verhältnis der einen Schlusserbeinsetzung zur anderen Schlusserbeinsetzung und erlange insbesondere Bedeutung, wenn die Erbeinsetzung der Kinder nicht
mit einer gegenseitigen Erbeinsetzung der Eheleute verknüpft ist. Unabhängig davon
könne die gegenseitige Abhängigkeit im Verhältnis einer dieser Schlusserbeinsetzungen
einerseits und der Einsetzung des jeweils anderen Ehegatten als einzigen Erben unter
Ausschluss der gemeinsamen Kinder beim Tode des zuerst versterbenden Ehegatten
andererseits bestehen.
Die damalige Lebenssituation der Ehegatten lasse auf eine wechselseitige Abhängigkeit der genannten Verfügungen schließen. Es sei davon auszugehen, dass die Ehegatten wegen der schweren Erkrankung des Ehemannes annahmen, dass der Mann deutlich vor seiner Frau versterben würde. Nachdem die Ehegatten noch jung und die Kinder
minderjährig waren, habe der Ehemann wohl sichern wollen, dass seine Kinder in jedem
Falle später an seinem Vermögen partizipieren.
Wer sein Vermögen letztendlich an die eigenen Kinder weitergeben will, sie aber trotzdem für den ersten eigenen Todesfall enterbt, weil er zunächst nur die Ehefrau einsetzt,
tue dies im Bewusstsein und Vertrauen darauf, dass wegen der Schlusserbeinsetzung
des anderen Ehegatten das gemeinsame Vermögen eines Tages auf die Kinder übergehen wird. Argument hiergegen könne auch nicht sein, dass die Eheleute das gemeinsam Erarbeitete erhalten und an die nächste Generation weitergeben wollten und die
Mutter in der Lage sein sollte, über das gesamte Vermögen frei zu verfügen, um z. B.
den Schuldendienst zu bedienen und den Lebensunterhalt der Familie zu sichern.
Denn diese Verfügungsfreiheit zu Lebzeiten wird bei dem sog. Berliner Testament gerade nicht eingeschränkt, auch dann nicht, wenn man wie hier die Wechselbezüglichkeit
wie oben beschrieben bejaht. Die Witwe war damit an das Berliner Testament gebunden
und konnte die Schlusserbfolge durch späteres Testament nicht abweichend regeln.
Fazit:
Dieser Fall zeigt einmal mehr die komplexe Struktur des Ehegattentestaments und dessen weitreichende Folgen. Streitfälle dieser Art können nur durch sorgfältige Formulierungen vermieden werden. Hierzu ist es erforderlich, dass sich Ehegatten im Vorfeld
klar darüber werden, ob und inwieweit sie sich gegenseitig mit dem gemeinschaftlichen
Testament binden wollen. Denn nur zu Lebzeiten beider können beide Ehegatten gemeinsam ohne weiteres ein neues Testament errichten. Nachdem Tod des ersten Ehegatten kann der überlebende Ehegatte nur unter bestimmten Voraussetzungen von der
bereits testierten Erbfolge abweichen.
Ulrike Specht
Rechtsanwältin und
Fachanwältin für Erbrecht
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