Johannes Gutenberg-Universität Mainz Institut für Physik Seminar zum F-Praktikum WS 08/09 Kern- und Teilchenphysik Handout zum Vortrag __________________________________________ Experimente zu Neutrinos 8 schließlich die beim Zerfall von Bor entstehenden B Neutrinos bei, welche bei der Hauptfolgereaktion III 3 entstehen. Aus der Hauptfolgereaktion I, bei der He zu 4 He fusioniert, resultieren keine Neutrinos. Das zu erwartende Spektrum aus den in der Sonne ablaufenden Prozessen ist in Abb. 1, dem StandardSonnenmodell von Bahcall und Pinsonneault, gezeigt. 10 -2 -1 Auf der Erde kommen etwa 6x10 Neutrinos cm s an. ___________________________________ von Frank Cimander Was sind Neutrinos? Neutrinos (ν) sind elektrisch neutrale Elementarteilchen, gehören zu den Leptonen und werden nur durch die schwache Wechselwirkung beeinflusst. Sie besitzen als Fermionen im Standardmodell der Teilchenphysik einen Spin von 1/2 und negative Helizität. Die Wechselwirkungswahrscheinlichkeit eines Neutrinos ist äußerst klein. Sein Nachweis ist nur über den geladenen und neutralen Strom, das Z-Boson und das W-Boson als Austauschteilchen der schwachen Wechselwirkung, möglich. Bekannt sind drei Generationen (sog. Flavours) von Neutrinos: Elektron-Neutrino (νe), Myon-Neutrino (νµ) und Tau- oder Tauon-Neutrino (ντ). Daneben gibt es zu jedem Neutrino auch das entsprechende Antiteilchen. Neutrinoquellen Atmosphärische Neutrinos Durch den Einfall kosmischer Strahlung (die größtenteils aus Protonen besteht) resultiert die Erzeugung von Neutrinos in der Erdatmosphäre. Treffen Protonen auf andere Protonen oder auf Photonen, kann es zur Erzeugung von (geladenen) Pionen kommen, bei deren Zerfall Muonen und MuonNeutrinos entstehen. Solare Neutrinos Bei Kernfusionsprozessen in der Sonne (p-p-Reaktion, CNO-Zyklus, pep- und Hep-Reaktion) entstehen ausschließlich Elektron-Neutrinos. Die mit Abstand meisten solaren Elektron-Neutrinos kommen aus der p-p-Startreaktion: H + H H + e + νe + 0,42 MeV e+ + e- 2γ + 1,022 MeV 2 + 1 + 3 2+ H + H He + γ + 5,49 MeV . 1 + 1 + 2 + + Auf diese Startreaktionen folgen die so genannten Hauptfolgereaktionen I bis III. Der im Vergleich zu den 7 pp-Neutrinos etwa zehnmal schwächere Fluss der Be –Neutrinos resultiert aus der Hauptfolgereaktion II, bei der Beryllium in Lithium umgewandelt wird. Mit nur einem Zehntausendstel des Gesamtflusses tragen Abb. 1: Energiespektrum der Sonnenneutrinos Weitere Neutrinoquellen Beim β -Zerfall (z.B. in Kernreaktoren) wird neben dem Elektron bzw. Positron auch ein Anti-Elektronneutrino bzw. ein Elektronneutrino emittiert, wie in den folgenden Reaktionsgleichungen zu sehen ist: . Bei Supernovae als auch bei Galaxiencrashs werden ebenfalls Neutrinos emittiert. Vorhersage und erster Nachweis des Neutrinos Bis zum Jahr 1930 war der radioaktive β-Zerfall nicht genau verstanden, da man bei diesem Zerfall nur ein ausgesandtes Elektron beobachtete. Man ging also von einem Zweikörperzerfall aus, womit sich aber das gemessene kontinuierliche Energiespektrum nicht erklären ließ, ohne eine Verletzung des Energieerhaltungssatzes anzunehmen. Wolfgang Pauli postulierte daher ein drittes Teilchen, welches beim β-Zerfall zusammen mit dem Elektron ausgesandt wird, auf das sich die Energie statistisch verteilt. Der erste Nachweis dieses dritten Teilchens (Pauli nannte es Neutron; 1934 wurde es von Enrico Fermi in Neutrino = „kleines Neutron“ umgetauft, da kurz nach 1 Paulis Postulierung das „echte“ Neutron entdeckt wurde) gelang Mitte der 50er Jahre Frederick Reines und Clyde L. Cowan, Jr. Sie nahmen an, dass das ausgesandte Antineutrino aus dem β -Zerfall mit einem Proton wechselwirken kann und damit ein Neutron und ein Positron erzeugt wird (inverser β-Zerfall). Während das Positron mit einem Elektron annihiliert und durch einen entsprechenden Strahlungspuls nachgewiesen werden kann (Koinzidenzmessung der beiden ausgesandten, bei der Annihilation entstandenen Photonen), wird das Neutron mit einer charakteristischen Verzögerungszeit 108 von einem Cadmium-Atom ( Cd) eingefangen. Auch dieser Prozess liefert einen elektrischen Puls, das heißt, die gesamte Reaktion musste sich durch eine Folge von zwei elektromagnetischen Strahlungspulsen (Photonen) mit einem genau definierten zeitlichen Abstand identifizieren lassen. In Abb. 1 ist der Aufbau des Experiments und die einzelnen Prozessschritte schematisch dargestellt. Tatsächlich gelang es Cowan und Reines, solche Ereignisse zu finden. Sie bauten ihr Experiment 11m entfernt von einem Kernreaktor auf, woher sie die nötigen Neutrinos geliefert bekamen. aus der pep- und Hep-Reaktion nachgewiesen werden können. 37 Die entstandenen Ar-Atome werden chemisch aus 37 dem Tank herausgefiltert. Ar ist instabil und zerfällt über EC mit einer Halbwertszeit von 35 Tagen wie folgt: . 37 Der Zerfall der Ar-Atome wird mit einem Zählrohr gemessen, wobei jeder nachgewiesene Zerfall einem eingefangenen Neutrino entspricht. Der gemessene Neutrinofluss entsprach aber lediglich weniger als der Hälfte des vorhergesagten Flusses. GALLEX und SAGE Das GALLEX (Gallium Experiment), ebenfalls ein radiochemisches Experiment zum Nachweis von Neutrinos, lief von 1991 bis 1997 am unterirdischen Laboratori nazionali del Gran Sasso in Italien. Bei diesem Experiment diente ein mit GalliumtrichloridSalzsäure Lösung, in der 30t reines Gallium enthalten sind, gefüllter Tank als Detektor. Das Gallium in der Lösung agiert als Target für die Neutrinos, die beim Treffen eines Galliumatoms einen inversen β-Zerfall auslösen, wobei sich das Gallium in Germanium umwandelt: . Ein wesentlicher Grund weshalb man das seltene Gallium (Weltjahresproduktion 80-100t) benutzt hat besteht darin, dass die Schwellenenergie für diese neutrino-induzierte Reaktion bei 233,2 keV liegt und damit ein Teil der aus der p-p-Startreaktion entstandenen Neutrinos (größter Neutrinofluss) abgedeckt ist. Abb. 2: Schematischer Aufbau des Neutrino-Nachweis Experiments von Cowan und Reines. Experimente zum Nachweis von Sonnenneutrinos Das Homestake Experiment In den 1960er Jahren begann Raymond Davis Jr. mit der Untersuchung des solaren Neutrinostroms mit einem Elektron-Neutrinodetektor (Chlordetektor) in der Homestake-Mine in South Dakota. Bei diesem radiochemischen Experiment diente ein in 1500m tief unter der Erde liegender Tank gefüllt mit 615t Perchlorethylen (C2Cl4) als Detektor. Unter Neutrino37 einfang an einem Cl-Atom findet folgende Reaktion statt . Der Schwellenwert für diese Reaktion liegt bei 814keV, was bedeutet, dass nur die 7Be und 8B Neutrinos aus der Hauptfolgereaktion II und III sowie die Neutrinos Völlig analog zum Homestake Experiment wird das 71 entstandene Ge chemisch aus dem Tank extrahiert und dessen Zerfall mit einem Zählrohr nachgewiesen. Auch hier entspricht jeder nachgewiesene Zerfall einem eingefangenen Neutrino. Das SAGE (Soviet-American Gallium Experiment, 1990 bis 2006) ist im Prinzip das gleiche Experiment wie das GALLEX, es wurde nur an einem anderen Ort (Russland), mit einer doppelt so großen Menge Gallium (60t) und mit einer insgesamt 10 Jahre längeren Messzeit durchgeführt. Das Verfahren sowie die radiochemische Reaktion ist die gleiche wie beim GALLEX. Tab. 1: Die Ergebnisse aus den drei Experimenten zeigen ein deutliches Neutrinodefizit. 2 Die große Diskrepanz zwischen dem gemessenen Neutrinofluss und der theoretischen Vorhersage aus dem SSM ist als „solares Neutrinoproblem“ oder auch als „solares Neutrinodefizit“ bekannt. und einem Elektron (neutrinoinduzierter Betazerfall). Beim Durchgang der Elektronen durch das Wasser entsteht, genauso wie bei Super-Kamiokande auch, Cherenkov-Strahlung, die von ungefähr 9.600 Photomultipliern detektiert wird. Neutrinooszillationen Myon- und Tauneutrinos können solch eine Reaktion nicht auslösen. Sie können aber durch Reaktionen der elastischen Neutrinostreuung an Elektronen im Detektor nachgewiesen werden. Dadurch wird eine Unterscheidung von Elektronneutrinos und den übrigen Neutrinos ermöglicht. Erst hierdurch konnte das solare Neutrinoproblem auch experimentell mit der Theorie der Neutrinooszillation erklärt werden, da die fehlenden Elektronneutrinos als Myon- oder Tauneutrinos detektiert werden konnten. Neuere Messungen haben gezeigt, dass der Gesamt-Neutrinofluss (alle drei Flavours) sehr gut mit der Erwartung aus dem Standard-Sonnenmodell übereinstimmt. Hiermit sind zweifelsfrei Neutrinooszillationen nachgewiesen worden. Das scheinbare Verschwinden einiger Neutrinos wird durch die Theorie der Neutrinooszillation erklärt. Einige Elektron-Neutrinos sind auf ihrem Weg zur Erde in Myon-Neutrinos oszilliert und konnten daher nicht als Elektronneutrinos nachgewiesen werden. Damit dieser Effekt überhaupt möglich ist, werden zwei Annahmen benötigt. Zum einen müssen Neutrinos unterschiedliche Massen besitzen, zum anderen sollen die Massen-Eigenzustände der Neutrinos gegenüber den Wechselwirkungs-Zuständen (analog zur CKMMischung im Quark-Sektor) vermischt sein. Über quantenmechanische Beziehungen zwischen Flavor- und Masse-Eigenwerte der Neutrinos, lässt sich eine Näherungsformel für eine 2-Flavour-Oszillation aufstellen: . Hierbei ist L die zurückgelegte Strecke des Neutrinos, Θm der Mischungswinkel der Flavours und ∆m2 der Massenunterschied der Flavours. Experimente zu Neutrinooszillationen Super-Kamiokande und SNO Im Gegensatz zu radio-chemischen Experimenten, werden bei den Echtzeitexperimenten SuperKamiokande und SNO nicht die Neutrinos selbst, sondern ihre Rückstoß-Partner erfasst. Dessen Impuls wird oft über die Cherenkov-Strahlung, welche von Photomultipliern detektiert wird, ausgewertet. Der Super-Kamiokande-Detektor, ein mit 50.000t LeichtWasser-Target (superreines H2O) gefüllter Tank mit 11.200 Photomultipliern, befindet sich 1.000m tief unter der Erde in der japanischen Kamioka-Mine. Trifft ein Neutrino ein Elektron, so bekommt es einen so großen Impuls, dass es sich schneller als die Lichtgeschwindigkeit im Wasser bewegt. Dabei entsteht ein Cherenkov-Lichtkegel, der von den Photomultipliern registriert wird. Außerdem lässt sich durch den Lichtkegel noch die Herkunftsrichtung des Neutrinos bestimmen. Beim kanadischen SNO-Detektor (Sudbury Neutrino Observatory), der 2.000m tief unter der Erde liegt, wird schweres Wasser (D2O) als Detektormaterial benutzt. Elektronneutrinos, die von der Sonne kommen, reagieren mit den Neutronen des Deuteriums in den Molekülen des schweren Wassers zu einem Proton Das CNGS Experiment Ein anderer Ansatz, die Teilchen in (beinahe) Echtzeit nachzuweisen, wird beim CNGS (CERN Neutrinos to Gran Sasso) Experiment verfolgt. Der derzeit in Gran Sasso im Aufbau befindliche OPERA-Detektor soll direkten Nachweis der von Muon- zu Tau- oszillierten Neutrinos liefern. Dabei wird ein am CERN erzeugter Neutrinostrahl durch die Erde hindurch, genau in den OPERA-Detektor geschossen. Man erwartet, dass sich die erzeugten Muon-Neutrinos in Tau-Neutrinos oszillieren. Neutrinomassen Experimente zur Bestimmung der Neutrinomasse fallen in drei Gruppen: - Direkte Bestimmung der Masse aus der fehlenden Energie beim Betazerfall, - die Beobachtung von Neutrinooszillationen und - indirekte Folgerungen aus anderen Beobachtungen, insbesondere aus der beobachtenden Kosmologie. Direkte Messungen des Endpunktes des Betaspektrums von Tritium konnten bis 2006 die mögliche Masse der Elektronneutrinos auf kleiner als 2eV einschränken. Eine bessere Obergrenze erhofft man sich durch noch genauere Messungen des KATRIN Experiments am Forschungszentrum Karlsruhe, das eine Obergrenze von 0,2eV erreichen soll. Die bisherigen Messungen konnten nicht ausschließen, dass Elektronneutrinos masselos sind. 3 Quellen BAHCALL, JOHN N.: Two California, Berkeley. 2001 Secrets. University of HYPERPHYSICS http://hyperphysics.phyastr.gsu.edu/hbase/particles/cowan.html (16.02.09) KATRIN HOMEPAGE http://www-ik.fzk.de/tritium (05.02.09) LANG, KENNETH R.: Die Sonne. Stern unserer Erde. Springer, Heidelberg. 1996 THE SUDBURY NEUTRINO OBSERVATORY http://www.sno.phy.queensu.ca (30.01.09) THOMSON, MARK: Neutrino oscillations. Cavendish Laboratory, University of Cambridge. The Royal Society, 2002 UNIVERSITÄT TÜBINGEN www.pit.physik.unituebingen.de/jochum/SS06_Neutrinos/MKraus_Oszillat ionen_Experiment.ppt (30.01.09) UNIVERSITÄT TÜBINGEN www.pit.physik.unituebingen.de/jochum/SS05_Neutrinos/SolareNeutrinos _D_Bothner.ppt (16.02.09) Abbildungsnachweis Abb. 1: Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg: http://www.mpi-hd.mpg.de (16.02.09) Abb. 2: Cimander, Frank: Eigene Illustration in Anlehnung an: SCHMITZ, N.: Neutrinophysik. S. 11, Abb. 1.2. Teubner, Stuttgart 1997 4