Rechtswissenschaftliches Institut Vorlesung 3: Strafbefreiungsgründe & Strafrahmen Dr. iur. Omar Abo Youssef FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 1 Rechtswissenschaftliches Institut Strafrahmenbestimmung (1) Vorgehen: 1. Verdient das konkrete strafbare Verhalten überhaupt eine Sanktion? Strafbefreiungsgründe: Fehlendes Strafbedürfnis, wenn Schuld und Tatfolgen gering sind (Art. 52 StGB) Wiedergutmachung (Art. 53 StGB) Betroffenheit des Täters (Art. 54 StGB) Einstellung des Verfahrens: Ehegatte/eingetragener Partner/Lebenspartner als Opfer (Art. 55a StGB) Falls kein Strafbefreiungsgrund vorliegt (nächste Folie): FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 2 Rechtswissenschaftliches Institut Strafrahmenbestimmung (2) 2. Bestimmung des Strafrahmens = Mindest- und Höchstmass der Strafe werden bestimmt Vorgehen in der Praxis: (1) Festlegung des ordentlichen Strafrahmens (vgl. Folie 6 ff.) (2) Erweiterung des Strafrahmens nach unten aufgrund von Strafmilderungsgründen? (vgl. Folie 10 ff.) (3) Erweiterung des Strafrahmens nach oben aufgrund von Strafschärfungsgründen? (vgl. Folie 15 ff.) 3. Strafzumessung (Lektion 4) FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 3 Rechtswissenschaftliches Institut Strafbefreiungsgründe – Fehlendes Strafbedürfnis (Art. 52 StGB): Voraussetzung: Schuld und Tatfolgen sind geringfügig (Bagatelldelikt) Wiedergutmachung (Art. 53 StGB): Voraussetzung: Der Täter hat den verursachten Schaden gedeckt oder alle zumutbaren Anstrengungen unternommen, um das von ihm bewirkte Unrecht auszugleichen: + Voraussetzungen für eine bedingte Strafe (Art. 42 StGB) sind erfüllt + Strafverfolgungsinteresse der Öffentlichkeit und des Geschädigten sind gering Betroffenheit des Täters durch seine Tat (Art. 54 StGB): Voraussetzung: Der Täter ist durch die unmittelbaren Folgen seiner Tat so schwer betroffen, dass eine Strafe unangemessen wäre FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 4 Rechtswissenschaftliches Institut Einstellung des Verfahrens Bei gewissen Delikten*, die gegenüber Personen, welche in häuslicher Gemeinschaft mit dem Täter leben, begangen werden, wird auf Gesuch des Opfers oder des gesetzlichen Vertreters das Verfahren sistiert (Art. 55a StGB). * Folgende Delikte fallen unter Art. 55a StGB: einfache Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 2 Abs. 3-5 StGB) wiederholte Tätlichkeiten (Art. 126 Abs. 2 lit. b, bbis und c StGB) Drohung (Art. 180 Abs. 2 StGB) Nötigung (Art. 181 StGB) FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 5 Rechtswissenschaftliches Institut Bestimmung des ordentlichen Strafrahmens 1 Angedrohte Strafe (Straffolge) Verbrechen (Art. 10 Abs. 2 StGB), Freiheitsstrafe über 3 Jahre Vergehen (Art. 10 Abs. 3 StGB), Freiheitsstrafe bis 3 Jahre oder Geldstrafe Übertretung (Art. 103 StGB), Busse + Legaldefinitionen der Strafarten Art. 40 StGB: Freiheitsstrafe = i.d.R. 6 Monate bis 20 Jahre, ev. lebenslänglich Art. 34 StGB: Geldstrafe = 1 bis 360 Tagessätze Art. 37 StGB: gemeinnützige Arbeit = 4 bis 720 Stunden Art. 106 StGB: Busse = i.d.R. bis zu CHF 10’000, ev. höher + Spezialbestimmungen = ORDENTLICHER STRAFRAHMEN FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 6 Rechtswissenschaftliches Institut Ordentlicher Strafrahmen = MINDESTSTRAFE und HÖCHSTSTRAFE d.h. eine Mindest- und Höchstdauer bei der Freiheitsstrafe, bei der Geldstrafe (Anzahl Tagessätze) und bei der gemeinnützigen Arbeit, sowie einen Mindest- und Höchstbetrag bei der Geldstrafe (Tagessatzhöhe) und der Busse Anwendungsbeispiel: Ordentlicher Strafrahmen von Art. 179ter StGB (unbefugtes Aufnehmen von Gesprächen)? FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 7 Rechtswissenschaftliches Institut Ordentlicher Strafrahmen - Anwendungsbeispiel Ordentlicher Strafrahmen von Art. 179ter StGB (unbefugtes Aufnehmen von Gesprächen)? Angedrohte Strafe: Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe = Vergehen (Art. 10 Abs. 3 StGB) Höchststrafe: 1 Jahr Freiheitsstrafe (Art. 179ter StGB) bzw. 360 Tagessätze Geldstrafe à 1.- bis 3000.- CHF (Art. 34 StGB) Mindeststrafe: ergibt sich aus den Legaldefinitionen: Art. 40 StGB: Freiheitsstrafe (i.d.R.: 6 Monate; Ausnahme: 1 Tag) Art. 34 StGB: Geldstrafe (1 Tagessatz à 1.- bis 3000.- CHF) Ausserdem möglich: Art. 37 StGB: gemeinnützige Arbeit (4 bis 720 Std., nur mit Zustimmung des Täters) FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 8 Rechtswissenschaftliches Institut Ordentlicher Strafrahmen - Anwendungsbeispiel 4 Std. = 1 Tag 720 Std. Gemeinnützige Arbeit (Art. 37) oder 1 Tagessatz 180 Tagessätze 360 Tagessätze Geldstrafe (Art. 34) 1 Tag oder i.d.R. mind. 6 Monate 1 Jahr Freiheitsstrafe (Art. 40) 720 Std. gemeinnützige Arbeit entsprechen 180 Tagessätzen Geldstrafe entsprechen 6 Monaten Freiheitsstrafe (Art. 36 Abs. 1 StGB; Art. 37 Abs. 1 StGB) FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 9 Rechtswissenschaftliches Institut Strafmilderung (1) 2 In einem zweiten Schritt muss geprüft werden, ob Strafmilderungsgründe gemäss Art. 48 StGB vorliegen: Handeln aus achtenswerten Beweggründen (lit. a Ziff. 1) Handeln in schwerer Bedrängnis (lit. a Ziff. 2) Handeln unter dem Eindruck einer schweren Drohung (lit. a Ziff. 3) Handeln auf Veranlassung einer Person, welcher der Täter Gehorsam schuldig oder von der er abhängig ist (lit. a Ziff. 4) Provokation durch den Verletzten (lit. b) Handeln im Affekt oder unter grosser seelischer Belastung (lit. c) Betätigung aufrichtiger Reue (lit. d) Zeitablauf und Wohlverhalten (lit. e) FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 10 Rechtswissenschaftliches Institut Strafmilderung (2) 2 AT-Bestimmungen mit Verweis auf Strafmilderung: Unterlassungsdelikte (Art. 11 Abs. 4 StGB) entschuldbare Notwehr (Art. 16 Abs. 1 StGB) entschuldbarer Notstand (Art. 18 Abs. 1 StGB) verminderte Schuldfähigkeit (Art. 19 Abs. 2 StGB) vermeidbarer Rechtsirrtum (Art. 21 Satz 2 StGB) Versuch (Art. 22 Abs. 1 StGB) Rücktritt/tätige Reue (Art. 23 StGB) Gehilfenschaft (Art. 25 StGB) Teilnehmer am Sonderdelikt (Art. 26 StGB) BT-Bestimmungen mit Verweis auf Strafmilderung: leichter Fall einfacher Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 1 StGB) Üble Nachrede und Verleumdung (Art. 173 Ziff. 4, Art. 174 Ziff. 3 StGB) FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 11 Rechtswissenschaftliches Institut Wirkung der Strafmilderung 2 Wirkung der Strafmilderung nach Art. 48a StGB: – Wegfall der Mindeststrafdrohung, d.h. die angedrohte Mindeststrafe kann durch das Gericht unterschritten werden (Abs. 1) – Verhängung einer anderen Strafart zulässig, wobei das Gericht das gesetzliche Höchst- und Mindeststrafmass der jeweiligen Strafart zu beachten hat (Abs. 2) FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 12 Rechtswissenschaftliches Institut Strafmilderung - Anwendungsbeispiel Der Angeklagte ist schuldig des qualifizierten Raubes (Art. 140 Ziff. 4 StGB). Zum Tatzeitpunkt war er in einem Zustand verminderter Schuldfähigkeit (Art. 19 Abs. 2 StGB). Aufgabe: Bestimmen Sie den Strafrahmen. FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 13 Rechtswissenschaftliches Institut Strafmilderung – Anwendungsbeispiel (Lösung) 1. Ordentlicher Strafrahmen von Art. 140 Ziff. 4 StGB? Angedrohte Strafe: Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren = Verbrechen (Art. 10 Abs. 2 StGB) Höchststrafe: ergibt sich aus den Legaldefinitionen 20 Jahre Freiheitsstrafe (Art. 40 StGB) Mindeststrafe: 5 Jahre Freiheitsstrafe (Art. 140 Ziff. 4 StGB) Geldstrafe und gemeinnützige Arbeit aufgrund der Mindeststrafe nach Art. 140 Ziff. 4 StGB unmöglich! mind. 5 Jahre 20 Jahre Freiheitsstrafe (Art. 40) FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 14 Rechtswissenschaftliches Institut Strafmilderung - Anwendungsbeispiel 2. Erweiterter Strafrahmen nach Art. 48a wegen verminderter Schuldfähigkeit (Art. 19 Abs. 2)? 10’000 Fr. 1 Fr. Busse (Art. 106) 4 Std. 720 Std. Gemeinnützige Arbeit (Art. 37) 1 Tagessatz 180 Tagessätze 360 Tagessätze Geldstrafe (Art. 34) 1 Tag i.d.R. mind. 6 Monate 20 Jahre 1 Jahr Freiheitsstrafe (Art. 40) FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 15 Rechtswissenschaftliches Institut Strafschärfung (1) 3 Ausgangslage: Durch eine oder mehrere Handlungen Voraussetzungen für mehrere gleichartige Strafen erfüllt (Art. 49 Abs. 1 StGB) Die strafschärfende Wirkung (Art. 49 Abs. 1 StGB) hängt davon ab, ob die relevanten Strafnormen unterschiedliche Rechtsgüter schützen (echte Konkurrenz) oder nicht (unechte Konkurrenz). Bei echter Konkurrenz: Erhöhung des ordentlichen Strafrahmens der schwersten Straftat um max. die Hälfte ihres Höchstmasses, wobei die gesetzliche Obergrenze der betreffenden Strafart nicht überschritten werden darf (Art. 49 Abs. 1 StGB) FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 16 Rechtswissenschaftliches Institut Strafschärfung (2) 3 • Kumulationsprinzip: Addition aller verwirkten Strafen (im Verwaltungsstrafrecht anzutreffen) • Absorptionsprinzip: nur die nach dem schwersten Tatbestand angedrohte Strafe wird verhängt (anzuwenden bei lebenslänglicher Freiheitsstrafe) • Asperationsprinzip: Ausgangspunkt ist die Strafe der schwersten Straftat, welche angemessen verschärft wird (Normalfall, Art. 49 Abs. 1 StGB) FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 17 Rechtswissenschaftliches Institut Ermittlung der schwersten Tat Die schwerste Tat wird anhand der im Gesetz erwähnten abstrakten Strafdrohung ermittelt, wobei folgende Vorgehensweise gilt: 1. In erster Linie wird auf die Deliktsart (Verbrechen, Vergehen, Übertretung) abgestellt 2. In zweiter Linie ist das vorgesehene Höchstmass der im Tatbestand angedrohten Strafe zu berücksichtigen 3. In dritter Linie wird das Mindestmass der vorgesehenen Strafen beachtet FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 18 Rechtswissenschaftliches Institut Begriff der «gleichartigen Strafen» (1) Art. 49 Abs. 1 StGB meint mit gleichartigen Strafen, dass das Asperationsprinzip bei gleichartigen Strafarten angewendet wird. Beispiele: 1. Der Täter begeht einen Mord an E (Art. 112 StGB) sowie eine vorsätzliche Tötung an K (Art. 111 StGB): Beide Delikte sehen eine Freiheitsstrafe vor Asperationsprinzip anwendbar 2. Der Täter begeht einen Mord an A (Art. 112 StGB) sowie eine schwere Körperverletzung an M (Art. 111 StGB): Für Mord wird lediglich eine Freiheitsstrafe vorgesehen, für eine schwere Körperverletzung kann eine Freiheitsstrafe oder Geldstrafe verhängt werden. Beide Tatbestände sehen jedoch als Strafart die Freiheitstrafe vor Asperationsprinzip anwendbar FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 19 Rechtswissenschaftliches Institut Begriff der «gleichartigen Strafen» (2) Beispiele (Forts.): 3. Der Täter begeht eine vorsätzliche Tötung an T (Art. 111 StGB) sowie eine Beschimpfung gegenüber W (Art. 177 StGB): Für eine vorsätzliche Tötung ist eine Freiheitsstrafe zu verhängen, die Beschimpfung ist mit einer Geldstrafe zu bestrafen. Die beiden Delikte sehen nicht dieselben Strafarten vor Asperationsprinzip nicht anwendbar Stattdessen ist gegenüber dem Täter eine Freiheitsstrafe und eine Geldstrafe zu verhängen. FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 20 Rechtswissenschaftliches Institut Strafschärfung – Anwendungsbeispiel (1) Der Angeklagte ist schuldig der qualifizierten Veruntreuung (Art. 138 Ziff. 2 StGB) und der qualifizierten Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 Ziff. 2 Abs. 2 StGB). Aufgabe: Bestimmen Sie den Strafrahmen. FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 21 Rechtswissenschaftliches Institut Strafschärfung – Anwendungsbeispiel (2) Bestimmung des ordentlichen Strafrahmens: 1. Bestimmung der Deliktsart: Art. 138 Ziff. 2 StGB: Freiheitsstrafe bis 10 J. oder Geldstrafe Verbrechen Art. 285 Ziff. 2 Abs. 2 StGB: Freiheitsstrafe bis 3 J. oder Geldstrafe Vergehen Art. 138 Ziff. 2 StGB ist aufgrund der höheren abstrakten Strafdrohung das schwerere Delikt 2. Höchstmass der angedrohten Strafe: Freiheitsstrafe bis zu 10 J. oder Geldstrafe Verbrechen (Art. 10 Abs. 2 StGB) Höchststrafe durch Art. 138 Ziff. 2 StGB auf 10 J. Freiheitsstrafe beschränkt. FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 22 Rechtswissenschaftliches Institut Strafschärfung – Anwendungsbeispiel (3) 3. Mindestmass der Strafe: ergibt sich aus den Legaldefinitionen Freiheitsstrafe (Art. 40 StGB): i.d.R. 6 Monate, ausnahmsweise 1 Tag Geldstrafe (Art. 34 StGB): 1 Tagessatz à 1.- bis 3000.- CHF Ausserdem möglich ist gemeinnützige Arbeit (Art. 37 StGB): 4 bis 720 Stunden, jedoch nur mit Zustimmung des Täters Achtung: Art. 285 Ziff. 2 Abs. 2 StGB sieht eine Geldstrafe nicht unter 30 Tagessätzen vor Sperrwirkung der Mindeststrafe Beachte: Sperrwirkung der Mindest- und der Höchststrafe des milderen Delikts (Art. 285 Ziff. 2 Abs. 2 StGB)! FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 23 Rechtswissenschaftliches Institut Strafschärfung – Anwendungsbeispiel (4) Ordentlicher Strafrahmen von Art. 138 Ziff. 2 StGB: 4 Std. = 1 Tag 720 Std. Gemeinnützige Arbeit (Art. 37) 1 Tagessatz 180 Tagessätze 360 Tagessätze Geldstrafe (Art. 34) 1 Tag i.d.R. mind. 6 Mte. 1 Jahr 10 Jahre Freiheitsstrafe (Art. 40) FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 24 Rechtswissenschaftliches Institut Strafschärfung – Anwendungsbeispiel (5) Erweiterter Strafrahmen nach Art. 49 Abs. 1 wegen mehrfacher Tatbegehung in echter Konkurrenz (Asperation) Achtung! Sperrwirkung der Mind.-/Höchststrafe Art. 285 Ziff. 2 Abs. 2 720 Std. erhöhte Mindeststrafe GA (Art. 37) 30 Tagessätze 180 Tagessätze 360 Tagessätze Geldstrafe (Art. 34) 30 Tage i.d.R. mind. 6 Mte. 1 Jahr Freiheitsstrafe (Art. 40) FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef 10 Jahre „Sperrwirkung“ der Höchststrafe 120 Std. 13 Jahre (10 + 3) Seite 25 Rechtswissenschaftliches Institut Zusammentreffen von Strafmilderung- und Strafschärfungsgründen 4 Wie ist beim Zusammentreffen von Strafmilderung- und Schärfungsgründen vorzugehen? Dem Gesetz kann zu dieser Frage nichts entnommen werden. In der Lehre wird logisch gefolgert, dass der Strafrahmen sowohl nach oben als auch nach unten erweitert wird, es erfolgt demnach eine: Herabsetzung und Erhöhung des ordentlichen Strafrahmens nach den üblichen Regeln der Art. 48, 48a, 49, siehe auch Art. 104 StGB. FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 26 Rechtswissenschaftliches Institut Gleichzeitige Strafmilderung und Strafschärfung Anwendungsbeispiel Der Angeklagte ist des mehrfachen Totschlags (Art. 113 StGB) schuldig. Er ist zugleich vermindert schuldfähig (Art. 19 Abs. 2 StGB). Aufgabe: Bestimmen Sie den Strafrahmen. FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 27 Rechtswissenschaftliches Institut Gleichzeitige Strafmilderung und Strafschärfung Anwendungsbeispiel (1) Bestimmung des ordentlichen Strafrahmens: 1. Bestimmung der Deliktsart: Art. 113 StGB: Freiheitsstrafe von 1 bis 10 J. Verbrechen (Art. 10 Abs. 2 StGB) 2. Höchstmass der angedrohten Strafe: 10 J. Freiheitsstrafe 3. Mindestmass der Strafe: durch Art. 113 StGB auf 1 J. Freiheitsstrafe angehoben Geldstrafe und gemeinnützige Arbeit sind unmöglich 1 Jahr 10 Jahre Freiheitsstrafe (Art. 40) FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 28 Rechtswissenschaftliches Institut Gleichzeitige Strafmilderung und Strafschärfung Anwendungsbeispiel (2) Erweiterter Strafrahmen nach Art. 48a StGB wegen verminderter Schuldfähigkeit (Art. 19 Abs. 2 StGB)? 1 Fr. 10’000 Fr. Busse (Art. 106) 4 Std. 720 Std. Gemeinnützige Arbeit (Art. 37) 1 Tagessatz 180 Tagessätze 360 Tagessätze Geldstrafe (Art. 34) 1 Tag i.d.R. mind. 6 Monate 1 Jahr 10 Jahre Freiheitsstrafe (Art. 40) FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 29 Rechtswissenschaftliches Institut Gleichzeitige Strafmilderung und Strafschärfung Anwendungsbeispiel (3) Erweiterter Strafrahmen nach Art. 49 Abs. 1 StGB wegen mehrfacher Tatbegehung: 1 Fr. 10’000 Fr. Busse (Art. 106) 4 Std. 720 Std. Gemeinnützige Arbeit (Art. 37) 1 Tagessatz 180 Tagessätze 360 Tagessätze Geldstrafe (Art. 34) 1 Tag i.d.R. mind. 6 Monate 1 Jahr 10 Jahre 15 Jahre Freiheitsstrafe (Art. 40) FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 30 Rechtswissenschaftliches Institut Retrospektive Konkurrenz (1) 5 = Sonderfall der Konkurrenz (Art. 49 Abs. 2 StGB) Voraussetzungen (kumulativ): Ein Täter wird wegen einer oder mehreren Straftaten verurteilt In einem späteren Strafverfahren erkennt ihn der Richter für eines oder mehrere Delikte schuldig, die der Täter vor der Verurteilung der anderen Tat begangen hat (massgebender Zeitpunkt = Fällung des erstinstanzlichen Urteils) In einem solchen Fall hat der Richter den Strafrahmen nach den gleichen Grundsätzen wie beim Zusammentreffen von strafbaren Handlungen oder Strafbestimmungen zu setzen (also nach Art. 49 Abs. 1 StGB). Eine Gesamtwürdigung ergibt dann ein bestimmtes Strafmass. Die Differenz zwischen dem Strafmass und dem ersten Urteil wird als Zusatzstrafe in das zweite Urteil aufgenommen. FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 31 Rechtswissenschaftliches Institut Retrospektive Konkurrenz (2) 5 • Achtung: Ist die Differenz zwischen der Gesamtwürdigung und dem erstem Urteil gleich Null, kann der Richter folglich auf die Zusatzstrafe verzichten. • Achtung: Wenn die neu zu beurteilenden Straftaten vor und nach dem ersten Urteil begangen wurden: Ausgangspunkt ist auch in diesem Fall die schwerste Tat. Geschah die schwerste Tat vor dem ersten Urteil, wird für sie eine Zusatzstrafe ermittelt, die dann um die Strafmasse der nach dem Ersturteil liegenden Straftaten erhöht wird. Liegt die schwerste Tat nach dem Ersturteil, wird das Verfahren umgekehrt. • Achtung: Übersteigt die Zusatzstrafe zusammen mit der Grundstrafe 24 Monate, darf für erstere (Zusatzstrafe) keine bedingte Strafe mehr gewährt werden, der bedingte Strafvollzug für letztere (Grundstrafe) bleibt jedoch bestehen (Rechtskraft des Urteils!). FS 2016 Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef Seite 32