BERLIN www.taz.de [email protected] FREITAG, 27. FEBRUAR 2015 TAZ.DIE TAGESZEITUNG 23 Es ist etwas zerbrochen ASYL II Was wurde aus der syrischen Flüchtlingsfamilie, die abgeschoben werden sollte und über die die taz Weihnachten berichtete? Ein Follow-up In einem syrischen Flüchtlingslager im Libanon Foto: Hussein Malla/ap „Die Menschen haben Angststörungen“ ASYL I Traumatisierte Menschen brauchen Sicherheit, Ruhe und stabile soziale Kontakte wie die zu Mentoren, meint Dietrich F. Koch, Leiter von Xenion, einem Beratungszentrum für Flüchtlinge INTERVIEW SANDRA LÖHR nau das Gegenteil ist der Fall. Die Flüchtlinge sehen sich ständig mit der drohenden Abschiebung konfrontiert. Gleichzeitig finden sie sich hier in einer fremden Umgebung, sie haben keine Familie oder Freunde, die sie unterstützen können. Deshalb haben Sie letztes Jahr das Mentorenprogramm gestartet, bei dem Berliner ehrenamtlich Flüchtlingen helfen? Richtig. Denn für den Erfolg einer solchen Psychotherapie braucht es nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch stabile Kontakte. Die ehrenamtlichen Mentoren sind sozusagen unsere Multiplikatoren. Sie helfen den Flüchtlingen nicht nur beim Stellen des Asylantrags oder bei der Suche nach einer Wohnung, sondern sie tragen mit zur Gesundung bei. Wie wird das finanziert? Ein Großteil der Gelder für die Therapien kommt vom Land Berlin. Daneben gibt es noch Zuwendungen von anderen internationalen Organisationen wie beispielsweise der UNO-Flüchtlingshilfe oder Amnesty International. Aber wir sind chronisch unterfinanziert und daher dringend auf Spenden angewiesen. Das Mentorenprogramm wird „Yes, of course, we are very happy“, sagt Saleh Maleh*. Aber so wie er es sagt, klingt es irgendwie nicht sehr happy, eher erschöpft und trotzdem angespannt. Kein Wunder: Nach insgesamt vier Jahren auf der Flucht vor Bomben, Bürgerkrieg und Folter in Syrien, nach Stationen in Thailand und Ägypten, nach einer traumatischen Schiffsfahrt übers Mittelmeer mit einem Kleinkind, nach Schlägen in Italien, Behördenwillkür in Schweden und nach einem BürokratieHindernislauf in Deutschland haben die Malehs vor einigen Tagen den ersehnten Brief vom Bundesamt erhalten. In dem Brief heißt es im schönsten Beamtendeutsch, dass den Malehs nun doch „die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft“ bescheinigt wird. Sprich, dass sie endlich bleiben können, dass Deutschland sie als legale Flüchtlinge anerkennt, auch wenn sie auf illegalen Wegen hierhergekommen sind. Seit dem Frühjahr 2014 sind Saleh Maleh und seine Frau Alaa, zusammen mit ihren beiden kleinen Kindern, in Deutschland. Ein knappes Jahr haben sie jetzt mit Warten und zermürbenden Ämtergängen verbracht. Dabei hätten sie nach all den Strapazen der mehrjährigen Flucht etwas anderes gebraucht: Ruhe, um das Erlebte zu verarbeiten, Sicherheit, um anzukommen. Hil- fe, um sich hier ein neues Leben aufzubauen. Noch heute kann Alaa Maleh kaum von den Bombennächten in Damaskus und von der Reise übers Mittelmeer erzählen. Immer wieder bricht sie in Tränen aus, wenn sie schildert, wie viel Todesangst sie hatten. Und vor allem, wie viel Angst sie um ihre kleine Tochter hatte. „Irgendwas in mir ist zerbrochen auf diesem Schiff“, sagt sie. Sie sollten nach Italien Dennoch mussten die Malehs in Deutschland gleich weiterkämpfen: Im Oktober 2014 erhielten sie einen Abschiebungsbescheid. Sie sollten nach Italien zurück, in ein Land, in dem sie keinen Menschen kennen, das ihnen keine Perspektive anbieten kann, einfach nur dahin, wo ihnen als Erstes die Fingerabdrücke nach ihrer Einreise nach Europa abgenommen worden sind. So, wie es das Dublin-III-Abkommen der EU vorsieht. Seitdem lebten die Malehs in Angst vor der angekündigten Abschiebung nach Italien, vor dem lauten Klopfen der Polizisten an ihrer Zimmertür im Wohnheim, die sie mitnehmen zum Flughafen und sie ins nächste Flugzeug nach Italien setzen. Der einzige Halt in dieser Zeit waren ihre deutschen Mentoren, Christian und Maria Schmidt*, die sich über den Berliner Verein Xenion um sie kümmerten und die sie nicht nur bei der Klage gegen die Abschiebung unterstützten. Jetzt kann die Familie Maleh also erst einmal aufatmen. Für die nächsten drei Jahre bekommen sie eine Aufenthaltsgestattung für Deutschland, wahrscheinlich sogar eine Arbeitserlaubnis. Dann kann Saleh Maleh vielleicht bald wieder als Lehrer arbeiten, die Malehs könnten dann ein fast normales Leben in Deutschland führen, Geld verdienen, eine Wohnung mieten. Doch was in drei Jahren sein wird, weiß niemand. Vielleicht ist dann ja der Bürgerkrieg in Syrien zu Ende, das Land bereit für einen Neuanfang. Aber jetzt zählen erst einmal die nächsten drei Jahre. Bald kommt ihre Tochter in die Schule. Sie soll ein normales Leben haben, hier Wurzeln schlagen. Die Malehs wollen einen Ort finden, an dem sie bleiben können. Auf seiner Facebook-Seite hat Saleh Maleh einen Fernsehbericht über die katastrophale Situation von syrischen Flüchtlingscamps im Libanon gepostet. Man sieht riesige Zeltstädte, die im Schlamm versinken, syrische Kinder in bunten Plastiksandalen. Schneeflocken tanzen über den Zelten. Die Malehs sind froh, es nach Deutschland geschafft zu haben. Trotz allem. SANDRA LÖHR von der Robert-Bosch-Stiftung, der Paritätischen Stiftung, der taz: Herr Koch, Sie behandeln Losito-Kressmann-Zschach-Stifseit Jahren traumatisierte tung und Spenden getragen. Flüchtlinge in Berlin. Mit welAber gerade beim Mentorenchen Krankheitsbildern komprogramm könnten wir noch men die Menschen hier an? viel mehr machen. Derzeit beDietrich Koch: Die häufigste treuen wir mit einer halben StelForm, die wir erleben, ist die le 50 Mentorenpartnerschaften, *Namen geändert Posttraumatische Belastungsstöaber wir haben viel mehr Anfrarung, hervorgerufen durch die gen, als wir Mentoren betreuen ANZEIGE Erlebnisse der Flüchtlinge in ihkönnten. Unsere Infoabende rer Heimat: also Krieg, Gewalt, sind immer rappelvoll. Verfolgung und Folter. Aber auch Warum ist eine professionelle die Flucht traumatisiert viele. Begleitung des MentorenDas neue Stadt-Portal von Manche sind ja jahrelang unterprogramms so wichtig? wegs, weil es keine legalen Wege Viele Flüchtlinge haben durch nach Europa gibt, viele riskieren ihre Erlebnisse ein Misstrauen ihr Leben dabei. anderen Menschen gegenüber. Wie viele der Flüchtlinge sind Sie können sich nur schwer öfftraumatisiert, die hier in nen. Die Mentoren müssen das Deutschland Asyl suchen? wissen, die Verhaltensweisen Man schätzt, dass es zwischen 30 richtig deuten und dürfen vieles und 50 Prozent sind. Aber viele nicht persönlich nehmen. Die von ihnen bekommen gar keine meisten Menschen haben genug psychotherapeutische Hilfe. JeEinfühlungsvermögen, daher des Jahr behandeln wir zirka 250 geschieht es manchmal, dass die Patienten. Es ist nicht so leicht, eiMentoren Stellvertreter-Traunen Antrag auf Psychotherapie matisierungen entwickeln. überhaupt durchzukriegen. Ein Ängste stecken eben an. Deshalb Viertel aller Anträge wird abgemuss so ein Prozess professiolehnt, manche Flüchtlinge müsnell begleitet werden und sen über ein Jahr auf die Therabraucht Supervision. pie warten, da die Zentrale LeisBerlin hat viele Flüchtlinge aus ENTD tungsstelle für Asylbewerber toSyrien aufgenommen. Ist die BERLI ECKE N NEU tal überlastet ist. Arbeit mit diesen Flüchtlingen ! Die bes Wie äußern sich diese Traubesonders schwierig? te n ............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ V e r a nst mata konkret? Die Situation von Syrern ist oft Xenion und Or altungen te in de Die Menschen haben Angst- ...................................................................................................................................................................................................................................................................................................... besonders dramatisch. Viele hainer Nähe ! störungen und Depressionen, sie ■ ist ein Beratungs- und Behandben noch Familienangehörige in werden von Erinnerungen ge- lungszentrum für traumatisierte Syrien, sie verfolgen die Gequält, von denen sie nicht mehr Flüchtlinge. Neben der psychothe- schehnisse dort genau, sehen die loskommen. Bilder von schreck- rapeutischen und medizinischen Gräuelvideos des IS-Staates auf lichen Gewalttaten, Morden und Behandlung bietet der Verein unYouTube, was zu weiteren TrauFolter, die sie selbst erlebt haben ter anderem auch eine Sozialbera- matisierungen führt. Das alles oder mit ansehen mussten. tung sowie die Begleitung von ist dann sehr präsent in den TheManchmal sind diese Erinnerun- Flüchtlingen durch deutsche Ehrapien. Aber was mich und uns gen im Erleben so intensiv und renamtliche (Mentorenimmer wieder erstaunt: Viele realistisch, als würde sich das programm) an. Flüchtlinge bringen einen unerTrauma gerade wieder ereignen. ■ Mehr Informationen über den schütterlichen Glauben mit, dass Das nennt man Flashbacks. Die Verein unter: www.xenion.org sie es schaffen. Deshalb bringt Folge davon ist, dass sie sich ■ Spenden an Xenion: Bank für die Arbeit auch den deutschen schlecht konzentrieren können Sozialwirtschaft, Iban: Mentoren so viel. Es ist für die und sich nur sehr schlecht auf DE73100205000003052403 meisten ungeheuer bereichernd, die neue Situation hier in BIC: BFSWDE33BER einen Flüchtling auf diesem Weg Deutschland einlassen können. zu begleiten. Also mitzuerleben, ............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ Eigentlich bräuchten sie jetzt ihwie es ihm irgendwann besser Dietrich F. Koch re ganze Kraft für den Neuan- ...................................................................................................................................................................................................................................................................................................... geht, er sich einlebt. WOHIN MIT fang. Aber das gelingt den we- ■ 58, Diplompsychologe und Psy- Was wünschen Sie sich für die Was läuft im Kino DEN nigsten. Besonders ihre Kinder chologischer Psychotherapeut, Zukunft? KINDERN? um die Ecke? leiden darunter, denn viele der leitet die Berliner Einrichtung Xeni- Ich habe das Gefühl, in der ÖfWo ist traumatisierten Flüchtlinge kön- on – Psychotherapeutische Berafentlichkeit passiert gerade etdie nächste nen sich nicht mehr richtig auf tungsstelle für politisch was. Die Notlage der Flüchtlinge Tanke? Das beste sie einstellen. Verfolgte. Als Psy- ist jetzt viel präsenter in den MeRestaurant HAT DIE DIE BESTEN Was bräuchten diese Menschen dien. Darüber bin ich sehr glückchotherapeut in meiner APOTHEKE AUSSTELLUNGEN? am dringendsten? lich. Und doch: Der größte Feind kümmert er Nähe? NOCH AUF? Das Trauma zerstört das Sicherist die rigide Asylpolitik. Das ist sich auch um heitsgefühl, deswegen ist es ja so alles so destruktiv, teilweise so Flüchtlinge wichtig, den Flüchtlingen Sicherohne Wohlwollen, wir erleben jevom Oranienheit und Ruhe zu geben, aber gede Form der Willkür. platz. ALLES AUF EINER KARTE Foto: Chiussi/Agentur StandArt PC WWW.GO.BERLIN GO BERL