Dr. Götz Fabry Vorlesung Medizinische Psychologie 22.12.2010: Psychotherapie – Grundlegende Überlegungen Wie in den Vorlesungen zu Angst und Depression bereits angedeutet wurde, hat die Psychotherapie einen zentralen Stellenwert bei der Behandlung psychischer Störungen. Insbesondere auf lange Sicht ist die Psychotherapie wichtig, weil nur damit ungünstige kognitive Bewertungen, emotionale Reaktionen und Beziehungsmuster verändert werden können, die bei vielen psychischen Störungen für die Entstehung, den Verlauf oder als auslösende Momente eine wichtige Rolle spielen. Vor diesem Hintergrund soll diese Vorlesung mit ein paar grundlegenden Aspekten von Psychotherapie vertraut machen. Dabei wird es insbesondere um die Frage gehen, wie man sich die Wirkung von Psychotherapie vor dem Hintergrund psychologischen Wissens erklären kann. Doch was ist Psychotherapie eigentlich? Obwohl es eine große Fülle von psychotherapeutischen Verfahren gibt, lassen sich einige Gemeinsamkeiten benennen, die auf Folie 1 dargestellt sind. Im Gegensatz zu einem Gespräch im Alltag, das in der Regel zufällig und ungeplant verläuft, wird der Interaktionsprozess in der Psychotherapie ganz bewusst initiiert und geplant (was spontane Entwicklungen natürlich nicht ausschließt). Er dient der Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszuständen, wobei die Betroffenen (Patienten und ihre Angehörigen) sowie der Therapeut in der Regel darin übereinstimmen, dass diese Zustände behandlungsbedürftig sind. Eine Psychotherapie gegen die Überzeugung und ohne Motivation des Patienten ist praktisch nicht vorstellbar. Die Behandlung erfolgt mit psychologischen Mitteln, wobei das Gespräch in der Regel eine zentrale Rolle spielt, das je nach Verfahren durch verschiedene averbale Vorgehensweisen z.B. körperlichen Ausdruck, Übungen ergänzt wird. Für die Psychotherapie wird in der Regel ein bestimmtes Ziel definiert, z.B. die Beseitigung eines Symptoms, die Erweiterung der Erlebens- oder Beziehungsfähigkeit, usw. Die Fähigkeit zum psychotherapeutischen Handeln kann im Rahmen einer Ausbildung erworben werden, formale Voraussetzungen dazu sind in Deutschland ein Medizin- bzw. Psychologiestudium, zumindest dann, wenn man im Rahmen der von den Krankenkassen finanzierten Versorgung tätig werden will. Alle seriösen Psychotherapieverfahren haben zudem eine wissenschaftlich fundierte und überprüfbare Theorie des normalen und pathologischen Verhaltens. Dieser Punkt ist sehr wichtig, stellt aber selbst für die gängigen Verfahren in vielen Fällen auch eine große Herausforderung dar. Das liegt zum einen daran, dass wir über viele Bereiche des menschlichen Erlebens und Verhaltens noch nicht gut genug Bescheid wissen, um daraus therapeutische Schlussfolgerungen abzuleiten, zum anderen ist die psychotherapeutische Praxis zunächst aus Erfahrungen im Umgang mit Patienten entstanden, die erst im Nachhinein konzeptuell überprüft und erklärt werden können. Insofern sind die psychotherapeutische Praxis und die Theorie dieser Praxis (noch) nicht deckungsgleich, was vor allem für die Ausbildung von Psychotherapeuten eine große Herausforderung darstellt. Schließlich ist unabhängig vom jeweils eingesetzten Verfahren eine gute, emotionale Beziehung zwischen Patient und Therapeut eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Psychotherapie. Alle Psychotherapieverfahren widmen daher der Frage, wie diese Beziehung zu gestalten ist, besondere Aufmerksamkeit. Folie 1 Was ist Psychotherapie? • bewusster und geplanter interaktioneller Prozess • zur Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszuständen • die für behandlungsbedürftig gehalten werden (Patient, Therapeut, Bezugsgruppe) • mit psychologischen Mitteln • meist verbal (aber auch averbal) • in Richtung auf ein definiertes Ziel • mittels lehr-/lernbarer Technik • auf Basis einer wissenschaftlichen Theorie des normalen und pathologischen Verhaltens • innerhalb tragfähigen emotionalen Beziehung. n. Senf & Broda 2000, Strotzka 1975 © Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de 1 / 14 Obwohl es eine mittlerweile fast unüberschaubare Fülle von psychotherapeutischen Verfahren gibt, sind für die Patientenversorgung vor allem zwei Verfahren besonders bedeutsam: Zum einen die aus der Psychoanalyse entstandene psychodynamische (bzw. psychoanalystische oder auch tiefenpsychologisch fundierte) Psychotherapie und zum anderen die Kognitive Verhaltenstherapie. Nur für Behandlungen mit diesen beiden Verfahren werden von den Krankenkassen die Behandlungskosten übernommen. Das muss nicht immer so bleiben, denn auch für die Wirksamkeit anderer Psychotherapieverfahren (z.B. Gesprächspsychotherapie oder Hypnotherapie) gibt es mittlerweile wissenschaftliche Belege. Folie 2 Psychotherapieverfahren • Psychodynamische Psychotherapie (psychoanalytische PT, tiefenpsychologische PT) • Kognitive Verhaltenstherapie • Gesprächspsychotherapie • Hypnotherapie • etc. (> 250 Verfahren?) Angesichts der teilweise doch erheblichen Unterschiede z.B. im Hinblick auf die Erklärungsmodelle für normales und pathologisches Verhalten aber auch hinsichtlich der therapeutischen Techniken wird immer wieder die Frage danach gestellt, ob ein bestimmtes Psychotherapieverfahren (z.B. Verhaltenstherapie) einem anderen Verfahren (z.B. Psychodynamische Psychotherapie) grundsätzlich überlegen ist. In diesem Zusammenhang ist vom sogenannten „Dodo-Bird-Paradox“ (bzw. Äquivalenzparadox) die Rede (Folie 3). Vergleicht man nämlich die Wirksamkeit von Psychotherapie in wissenschaftlichen Studien, so zeigt sich, dass zwar mal das eine und mal das andere Verfahren überlegen ist, dass die therapeutischen Effekte der Verfahren aber insgesamt durchaus vergleichbar sind, was angesichts ihrer Unterschiedlichkeit ja nicht unbedingt zu erwarten ist. Folie 3 Dodo-Birds Lösung: „alle haben gewonnen und bekommen einen Preis!“ Äquivalenzparadoxon: Trotz aller Unterschiede bei Theorie & therapeutischer Technik kommen die wichtigsten psychotherapeutischen Verfahren zu ähnlichen Effekten. (Rosenzweig 1936, Luborsky 1975, etc.) Wie lässt sich dieses Äquivalenzparadoxon erklären (Folie 4)? Der wichtigste Grund dürfte wohl der sein, dass es trotz vieler Unterschiede auch Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Psychotherapieverfahren gibt, z.B. die besondere Bedeutung der Therapeuten-Patient-Beziehung. Tatsächlich kennt man heute mehrere solcher gemeinsamer Wirkfaktoren (siehe unten), die vermutlich einen Großteil der Wirkung von Psychotherapie erklären. Weitere Erklärungsmöglichkeiten liegen eher auf methodischer © Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de 2 / 14 Ebene. So könnte auch die Schulenzugehörigkeit des Wissenschaftlers (ob er also Verhaltenstherapeut oder Psychoanalytiker ist), der die Studie durchführt, das Ergebnis zugunsten seines Verfahrens beeinflussen (ein Phänomen, das wir auch aus Medikamentenstudien kennen, in denen das Ergebnis selbst bei hoher methodischer Qualität der Studie überzufällig häufig zugunsten des Medikaments ausfällt, dessen Hersteller die Studie finanziert). Ein weiterer, ebenfalls methodischer Grund könnte auch darin liegen, dass die Unterschiede zwischen den Verfahren noch nicht gut genug erfasst werden können, z.B. weil das verwendete Instrumentarium (Fragebögen, Ratingskalen, etc.) dazu nicht geeignet ist oder weil sich manche Aspekte gar nicht ohne weiteres messen und beobachten lassen. Schließlich wäre es auch möglich, dass in vielen Studien ein wichtiger Aspekt von Psychotherapie gar nicht erfasst wird, nämlich die Passung zwischen Therapeut, Patient und dem gewählten Verfahren. Vermutlich ist nicht jeder Patient gleich gut für eine Verhaltenstherapie oder eine Psychodynamische Psychotherapie geeignet, was natürlich bedeuten würde, dass ein Patient von einem für ihn ungeeigneten Verfahren weniger profitieren würde und umgekehrt, dass der therapeutische Effekt in einem für ihn passsenden Verfahren deutlich größer wäre. Träfe diese Annahme zu, dann wären Vergleichsstudien, bei denen Patienten z.B. zufällig dem einen oder anderen Verfahren zugeordnet werden (wie das auch bei Medikamentenstudien der Fall ist) für die Psychotherapieforschung eher ungeeignet. Im Durchschnitt wären dann zwar zwei miteinander verglichene Verfahren gleich gut, wobei in jeder Gruppe einige Patienten deutlich mehr, andere deutlich weniger von der Behandlung profitiert hätten. Folie 4 Dodo-Bird-Paradox mögliche Erklärungen • Gemeinsame Wirkfaktoren (z.B. therapeutische Beziehung) • Schulen-Zugehörigkeit des Wissenschaftlers (hohe Korrelation mit Ergebnis) • methodische Schwierigkeiten: Unterschiede zwischen Therapien noch nicht ausreichend erfaßt • Passung zwischen Patient und Therapie verantwortlich für Unterschiede; meist unzureichend erfaßt Luborsky et al. 2002 Folie 5 Allgemeine Indikationsfrage Bei welchem Patienten, Klienten mit welchen Problemen ist (sind) welche Behandlungsmaßnahme(n) durch welchen Therapeuten zu welchen Zielsetzungen angemessen und wirksam? Seidenstücker 1995 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass das Dodo-Bird-Paradox gar kein echtes Paradoxon, also ein unauflösbarer Widerspruch ist, sondern dass es sich zum einen auf methodische Probleme der Forschung zurückführen lässt und dass es zum anderen darauf verweist, dass die Frage, welches Psychotherapieverfahren grundsätzlich besser ist, falsch gestellt ist. Wichtiger ist vielmehr, die spezifischen © Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de 3 / 14 Stärken und Schwächen der verschiedenen (grundsätzlich als wirksam bekannten) Verfahren besser zu verstehen, um daraus Kriterien ableiten zu können, wann ein bestimmtes Verfahren indiziert ist (Folie 5). Unabhängig von diesen Überlegungen war die Entdeckung der allen psychotherapeutischen Verfahren gemeinsamen Wirkfaktoren ein wichtiger Erkenntnisgewinn für die Psychotherapieforschung und das Verständnis psychotherapeutischer Prozesse. Folie 6 zeigt diese Faktoren in der Übersicht, nachfolgend werden sie ausführlicher diskutiert, indem jeweils beispielhaft dargestellt wird, wie diese Faktoren bei den beiden gängigsten psychotherapeutischen Verfahren jeweils umgesetzt werden. Folie 6 psychotherapeutische Wirkfaktoren • Therapiebeziehung • Ressourcenaktivierung (z.B. mitgebrachte Beziehung(en), Stärken, Fähigkeiten) • Problemaktualisierung (reales Erleben veränderter Bedeutungen) • Bewältigungsaspekt (direkte Anleitung zur Problemlösung, Selbstwirksamkeit) • motivationale Klärung (warum verhält sich der Patient so und nicht anders?) Grawe 2005, 1995 Auf die zentrale Bedeutung der Therapeuten-Patient-Beziehung wurde bereits hingewiesen, sie ist einer der wichtigsten psychotherapeutischen Wirkfaktoren überhaupt (Folie 7). Diese Beziehung muss auf mehreren Ebenen betrachtet werden. Zum einen gibt es die Ebene der Arbeitsbeziehung zwischen Patient und Therapeut, auf der beide gewissermaßen einen Kooperationsvertrag miteinander schließen, indem sie vereinbaren, gemeinsam auf das therapeutische Ziel hinzuwirken. Doch außer dieser bewussten Ebene gibt es auch noch eine unbewusste Ebene der Beziehung, die für die therapeutische Arbeit besonders wichtig ist. Diese Ebene ist durch das Konzept der Übertragung vor allem in den Psychodynamischen Psychotherapien sehr gut und umfassend beschrieben worden. Aber auch in der Verhaltenstherapie, die diesem Aspekt lange Zeit kaum Beachtung geschenkt hat, ist in jüngster Zeit mit dem Konzept der Plananalyse und der darauf aufbauenden komplementären Beziehungsgestaltung ein vergleichbares Konstrukt entwickelt worden. Folie 7 Psychotherapeutische Wirkfaktoren Therapiebeziehung Verhaltenstherapie Psychodynamische PT • Arbeitsbeziehung • Analyse der Schemata und Pläne des Patienten • Komplementäre Beziehungsgestaltung • Arbeitsbeziehung • Übertragungsbeziehung: unbewusste Ebene – Patient richtet Beziehungswünsche und –befürchtungen auf den Therapeuten Zunächst zum Konzept der Übertragung. Folie 8 zeigt dazu ein stark vereinfachtes Beispiel. Nehmen wir an, ein Patient macht sich Gedanken darüber, wie seine Therapeutin ihn wohl im Vergleich zu ihren anderen Patienten erlebt, vielleicht, weil er einen anderen Patienten im Wartezimmer getroffen hat und © Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de 4 / 14 dabei miterlebte, wie dieser von der Therapeutin sehr freundlich begrüßt wurde. Daraufhin macht sich in ihm die Überzeugung breit, dass die Therapeutin die anderen Patienten wohl interessanter finde als ihn. Die Tatsache, dass der Patient aus der Vielzahl möglicher Interpretationen (z.B. „Meine Therapeutin ist einfach eine freundliche Person“) gerade eine für ihn negative herausgreift, hat mit seiner Lebensgeschichte zu tun. Als er vier Jahre alt war, bekamen seine Eltern noch ein Kind, das aufgrund einiger gesundheitlicher Probleme in den ersten Lebensjahren sehr viel Aufmerksamkeit verlangte. Aufgrund dieser „Zurücksetzung“ entwickelte sich in ihm die Überzeugung, für die Eltern nicht mehr interessant zu sein. Dieses lebensgeschichtlich entstandene Beziehungsmuster überträgt der Patient als eine Erwartungshaltung auch in spätere Beziehungen, so auch jetzt in die Beziehung zu seiner Therapeutin, wo es durch eine alltägliche Begebenheit (die freundliche Begrüßung eines „therapeutischen Geschwisters“) reaktualisiert wird. Folie 8 Übertragung Die anderen Patienten findet sie interessanter. Patient Therapeutin Aber nicht nur auf Seiten des Patienten werden solche Prozesse aktiviert, auch auf Seiten der Therapeutin findet sich diese Dynamik, was als Gegenübertragung bezeichnet wird (Folie 9). Auch dazu ein stark vereinfachtes Beispiel. Die Therapeutin erlebt den Patienten als sehr fordernd. Als er sie eines Tages fragt, ob eine Therapiestunde, die aufgrund eines Feiertages ausfällt, vielleicht an einem anderen Tag stattfinden könne, reagiert sie innerlich gereizt und denkt etwas genervt „Er kann nie genug kriegen.“ Folie 9 Gegenübertragung Die anderen Patienten findet sie interessanter. Patient Er kann nie genug kriegen. Therapeutin Auch hier gäbe es natürlich noch eine Fülle anderer Interpretationen (z.B. „Ihm ist die Therapie wirklich wichtig.“). Und auch hier ist ein lebensgeschichtlich erworbenes Beziehungsmuster dafür verantwortlich, dass die Therapeutin gerade auf diese Weise reagiert. Die Erziehung ihres eigenen Kindes brachte sie nämlich oft an den Rand ihrer Kräfte, weil dieses Kind sehr fordernd war. Diese Erfahrung (der vermutlich noch Erlebnisse mit ihren Eltern in der eigenen Kindheit zugrunde liegen) hat wiederum eine Erwar© Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de 5 / 14 tungshaltung entstehen lassen, die in der Situation mit dem Patienten aufgerufen wird und die Abgrenzungsreaktion der Therapeutin auslöst. Die Übertragung bzw. Gegenübertragung ist also eine unbewusste Wiederholung bzw. Reaktualisierung früherer Beziehungsmuster in der Interaktion, wobei eine potentiell vieldeutige Situation durch die Ähnlichkeit mit einer früheren Situation in ihrer Bedeutung eingeschränkt und festgelegt (determiniert) wird (Folie 10). Solche Reaktionen sind natürlich nicht auf therapeutische Beziehungen beschränkt, sie sind vielmehr in jeder Realbeziehung enthalten. Folie 10 Übertragung • unbewusste Wiederholung, Reaktualisierung früher Beziehungsformen in der Interaktion • vieldeutige Realität wird durch Ähnlichkeit mit frühen Bezugspersonen eingeschränkt • jede (!) Realbeziehung enthält auch Übertragungselemente Besonders wichtig ist zu beachten, dass in einer Übertragung immer zwei Elemente zusammenkommen: Zum einen bestimmte Charakteristika des Gegenübers, die geeignet sind zum anderen ein entsprechendes Beziehungsmuster, eine Erwartung im Subjekt der Übertragung auszulösen. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum es für Psychotherapeuten unerlässlich ist, im Lauf ihrer Ausbildung eine ausführliche Selbsterfahrung zu machen. Sie müssen nämlich ihre eigenen unbewussten Reaktionstendenzen und verinnerlichten Erwartungen an Interaktionspartner möglichst gut kennen, um im Zweifelsfall darüber reflektieren zu können, welches ihr eigener Anteil am Übertragungsgeschehen ist. Unter dieser Voraussetzung wird das Übertragungsgeschehen dann zu einem der wichtigsten therapeutischen Instrumente, weil es dazu führt, dass über die Beziehungsmuster des Patienten in der Therapie nicht nur gesprochen wird, sondern dass sich diese in der Beziehung zum Therapeuten auch manifestieren, so dass sie unmittelbar erlebbar sind und damit überhaupt erst identifiziert und bearbeitet werden können. Die Verhaltenstherapie hat sich im Vergleich zur Psychodynamischen Psychotherapie mit einer Konzeptualisierung der Therapeut-Patient-Beziehung jenseits des Arbeitsbündnisses lange Zeit schwer getan. Lange Zeit konzentrierte man sich ausschließlich darauf, das Verhalten des Patienten direkt zu verändern ohne über dabei ablaufende innere Prozesse zu reflektieren. Mittlerweile haben sich allerdings auch hier Konzepte wie die Plananalyse verbreitet (Folie 11), die aufbauend auf Erkenntnissen der kognitiven Psychologie und der Motivationspsychologie ein detaillierteres Verständnis der Interaktion zwischen Patient und Therapeut ermöglicht. Eine wichtige Grundannahme der Plananalyse ist, dass dem Verhalten des Patienten (und natürlich auch jeder anderen Person) Pläne zugrundeliegen, d.h. motivationale, auf ein bestimmtes Ziel gerichtete innere Zustände. Diese Pläne sind größtenteils unbewusst und können nur indirekt aus dem Verhalten und Erleben des Patienten erschlossen werden. Wichtig ist auch noch, dass Pläne hierarchisch organisiert sind. Je höher ein Plan in der Hierarchie ist, desto allgemeiner bringt er die Bedürfnisse eines Individuums zum Ausdruck (z.B. das Bedürfnis nach Nähe, nach Sicherheit, etc.). Weiter unten in der Hierarchie stehende Pläne sind dagegen spezifischer und beziehen sich sehr viel konkreter auf bestimmte Verhaltensweisen. Folie 12 verdeutlicht an einem vereinfachten Beispiel die Pläne einer Patientin mit einer Agoraphobie und das daraus resultierende Verhalten. Aus diesem Beispiel wird unmittelbar ersichtlich, dass es nicht die übergeordneten Pläne der Patientin sind, die problematisch sind, vielmehr handelt es sich dabei um sehr naheliegende und verständliche Bedürfnisse. Erst auf den tieferen Hierarchiestufen werden die Pläne problematisch und insbesondere das daraus resultierende Verhalten ist es in hohem Maße. © Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de 6 / 14 Folie 11 Plananalyse • Ziel: Verständnis des „motivationalen Überbaus“ von (Patienten-)Verhalten • Verhalten aus Sicht von miteinander verschachtelten, hierarchisch aufeinander bezogenen Plänen • Pläne beinhalten Ziele & Mittel (Motivations- und Fähigkeitskomponente) • Pläne sind größtenteils unbewusst [!], werden daher meist erschlossen • Grundfragen: – Welchen Zielen dient ein Verhalten? (bottom-up) – Wie kann ein Bedürfnis befriedigt werden? (top-down) (Caspar 1996) Folie 12 (n. Caspar 2000) Plananalyse such Sicherheit Bedürfnisse such Lebenssinn such Nähe sei gute Mutter löse Probleme bleibe kleines Mädchen binde Mann mach dich hilflos mach Therapie stimme Therapeuten positiv Verhalten entwickelt Agoraphobie vermeidet Karriere sorgt gut für Kinder ist sehr kooperativ Für den Therapeuten ist eine solche Plananalyse insofern hilfreich, als er sein Verhalten der Patientin gegenüber so gestalten kann, dass er zwar auf ihre Bedürfnisse eingeht, nicht aber auf die dem problematischen Verhalten unmittelbar zugrundeliegenden Pläne, was diese natürlich weiter stabilisieren würde. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer komplementären Beziehungsgestaltung (Folie 13), deren wichtigste Grundannahme die ist, dass durch die Befriedigung der übergeordneten Pläne oder Bedürfnisse, dem problematischen Verhalten die Veranlassung entzogen wird. Folie 13 komplementäre Beziehungsgestaltung • „maßgeschneidertes“ Beziehungsangebot des Therapeuten auf höherem Planniveau • Verhalten kann problematisch sein, Bedürfnisse nicht • Befriedigung übergeordneter Bedürfnisse entzieht dem zugeordneten Verhalten die motivationale Basis (n. Caspar 2005) © Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de 7 / 14 Folie 14 verdeutlicht an einem Beispiel, wie eine solche komplementäre Beziehungsgestaltung konkret aussehen kann: In diesem Fall jammert und klagt ein Patient während der gesamten Therapiestunde. Naheliegend könnte es daher sein, den Patienten zu trösten und ihm zu versichern, dass man sich seiner Probleme annimmt. Das hätte aber womöglich zur Folge, dass der Patient dann dieses Verhalten beibehalten wird, weil er damit erfolgreich war. Gelingt es dem Therapeuten dagegen, die übergeordneten Pläne des Patienten, z.B. seine Angst vor Überforderung zu erschließen, so kann er unmittelbar darauf reagieren und damit dem problematischen Verhalten des Patienten weitgehend die Basis entziehen, was für die therapeutische Arbeit förderlich ist. Folie 14 komplementäre Beziehungsgestaltung Patient vermeide Überforderung verhindere Fragen des Therapeuten Therapeut sorge dafür, dass Th. sich engagiert bewirke zusätzliches Engagement des Th. zeige dem Patienten dein Engagement versichere P., dass du ihn nicht überfordern wirst erreiche, dass Th. Probleme ernst nimmt zeige, dass es vermeide dir schlecht Verantwortung geht für Veränderung jammert und klagt die ganze Stunde kontrolliere Therapiesituation aktives Verhalten, das Interesse und Anerkennung zeigt „kleine Schritte sind besser“ (n. Caspar 2005) Es zeigt sich also, dass sowohl in der Psychodynamischen Psychotherapie als auch in der Verhaltenstherapie elaborierte Konzepte existieren, um die Beziehung zwischen Therapeut und Patient besser zu verstehen. Beiden Ansätzen gemeinsam ist die Tatsache, dass das unmittelbar beobachtbare Verhalten und Erleben des Patienten als „überdeterminiert“ verstanden werden, das heißt, dass ihre Ursachen allein aus der Situation heraus nur unzureichend erklärt werden können. Vielmehr wird angenommen, dass „im Hintergrund“ unbewusste Kräfte wirksam sind, die im therapeutischen Prozess erschlossen werden müssen, um sie einer Bearbeitung zugänglich zu machen. Der zweite wichtige Wirkfaktor von Psychotherapien ist die Ressourcenaktivierung (Folie 15). Zunächst liegt ihr die Annahme zugrunde, dass jedes Individuum über bestimmte Ressourcen verfügt, die allerdings z.B. aufgrund einer psychischen Störung oder ungünstiger Bewertungsprozesse vorübergehend nicht genutzt werden können. Ist ein Patient z.B. der Meinung er sei einfach „unfähig“, dann gelingt es ihm möglicherweise nicht, bestimmte Fähigkeiten, über die er zweifelsohne verfügt, erfolgreich einzusetzen. In der Psychotherapie ist es daher wichtig, diese Ressourcen der Patienten zu entdecken und zu verstärken. Folie 15 Ressourcenaktivierung Kontrolle ermöglichen: T: Ich schlage vor, dass wir in dieser Stunde vermehrt auf die Schwierigkeiten mit Herr A. achten. Was meinen Sie dazu? Problem handhabbar machen: P: Ich bin total beziehungsunfähig. T: Einige Beziehungen machen Ihnen momentan tatsächlich noch Schwierigkeiten. An welcher Beziehung wollen wir heute arbeiten? Ressourcen, Erfolge in der Vergangenheit finden und aktivieren: T: Wann in Ihrem Leben konnten Sie ganz gelassen sein, so dass Sie sich rundum wohl und selbstsicher gefühlt haben? [….] T: Versuchen Sie, sich diese Situation genau vorzustellen, welches Gefühl hatten Sie dabei? Bsp. aus Wöller, Kruse 2005 © Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de 8 / 14 Folie 15 zeigt einige allgemeine Interventionen, mit denen dies möglich ist. Sie werden in dieser Form von Therapeuten verschiedenster Verfahren verwendet und reichen von ganz einfachen Interventionen, die z.B. dem Patienten verdeutlichen, dass er selbst bestimmen kann, was besprochen wird, bis hin zu komplexeren Techniken, mit denen z.B. erfolgreiche Problemlösungen in der Lebensgeschichte des Patienten aufgesucht werden, um sie zum Ausgangspunkt aktueller Lösungen zu machen. Wichtig ist dabei, dass nicht dem Patienten von außen suggeriert wird, er könne etwas, sondern dass er sich selbst daran erinnert, etwas schon einmal erfolgreich bewältigt oder gekonnt zu haben, so dass er in sich selbst die momentan verschütteten Ressourcen entdecken kann. Der dritte psychotherapeutische Wirkfaktor ist die Problemaktualisierung (Folie 16). Damit ist gemeint, dass es, um nachhaltige therapeutische Veränderungen zu erreichen in der Regel nicht ausreicht, das Problem des Patienten einfach nur zu besprechen und ihm zu neuen Einsichten zu verhelfen. Vielmehr müssen die zu verändernden Verhaltens- bzw. Erlebensweisen, die Bewertungs- und Erwartungsmuster in der therapeutischen Situation selbst manifest, „greifbar“ werden, damit sie überhaupt verändert werden können. In der Verhaltenstherapie geschieht dies im Rahmen der Exposition ganz unmittelbar dadurch, dass der Patient in die angstauslösende oder von ihm vermiedene Situation gebracht wird, wodurch natürlich massive emotionale Reaktionen ausgelöst werden, die dann aber auch gut zu bearbeiten sind. Das ist allerdings nicht immer möglich, so dass häufig auf eine Simulation (z.B. durch Rollenspiel) oder eine Imagination der fraglichen Situation zurückgegriffen werden muss. In der Psychodynamischen Psychotherapie dagegen wird vor allem das Übertragungsgeschehen zur Problemaktualisierung genutzt. Wie oben bereits dargestellt wurde, manifestieren sich die Erlebens-, Bewertungs- und Beziehungsmuster des Patienten auch in der Beziehung zum Therapeuten. Damit werden sie ebenfalls direkt erleb- und bearbeitbar. Folie 17 verdeutlicht dies an einem einfachen Beispiel. Folie 16 Problemaktualisierung in verschiedenen PT-Verfahren Verhaltenstherapie Psychodynamische PT • (simulierte) Exposition in vitro, in vivo z.B. durch Imagination, Rollenspiel, reale Situationen • Nutzen der Übertragungsbeziehung: Identifizieren, Erlebbarmachen, Bearbeiten der „Inszenierung“ des Patienten Folie 17 Problemaktualisierung Nutzen der Übertragungsbeziehung P: T: P: T: P: T: P: T: P: T: P: T: Schade, dass die letzte Stunde ausgefallen ist. Was denken Sie darüber? Ich frage mich, was Sie in der Zeit gemacht haben. Sie werden eine Vermutung darüber haben. Keine Ahnung. Was denken Sie, was ich vielleicht gemacht haben könnte? Vielleicht haben Sie eine andere Patientin behandelt? Eine andere Patientin? Was für eine andere Patientin hätte das gewesen sein können? Vielleicht eine, die nicht immer so depressiv ist, wie ich. Mir scheint, da kommt eine Überzeugung von Ihnen zum Ausdruck: Wenn eine interessantere Patientin als Sie auftaucht, dann lasse ich Sie links liegen und wende mich der zu. Ja, irgendwie glaube ich das. Wie geht es Ihnen, wenn Sie sich vorstellen, dass ich andere Patientinnen vorziehe? Bsp. aus Wöller, Kruse 2005 © Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de 9 / 14 Hier beginnt der Patient die Therapiestunde mit einer Bedauernsäußerung, die sich auf den Ausfall einer Therapiestunde bezieht. In einem Alltagsgespräch würde man darüber vielleicht mit einer Floskel hinweggehen (z.B. „Ja, das fand ich auch.“). Der Therapeut vermutet hier aber, dass mehr dahinter stecken könnte und fragt daher offen nach. Und tatsächlich kommt heraus, dass der Patient sich Gedanken darüber gemacht hat, was der Therapeut wohl in dieser „freien“ Stunde gemacht hat. Durch weiteres Nachfragen stellt sich schließlich heraus, dass es um die Grundüberzeugung des Patienten geht, für andere nicht interessant zu sein. Durch das Übertragungsgeschehen wird diese Überzeugung für den Patienten unmittelbar erlebbar und kann damit auch bearbeitet werden (wobei selbstverständlich eine einmalige Bearbeitung nicht ausreicht; erst ein wiederholtes „Durcharbeiten“ wird hier zu einer Veränderung führen). Der vierte Wirkfaktor von Psychotherapien ist der Bewältigungsaspekt, womit gemeint ist, dass der Patient durch die Psychotherapie konkrete Hilfestellung bei der Bewältigung derjenigen Probleme erfährt, die ihn in die Therapie geführt haben (Folie 18). Hier hat die Verhaltenstherapie eine ihrer Stärken, weil sie über ein großes Repertoire an Methoden verfügt, dem Patienten konkrete Bewältigungsstrategien zu vermitteln. Zu vielen typischen Problemen (z.B. fehlende soziale Kompetenzen, Stress) liegen sogar ausgearbeitete Trainingsprogramme vor, die sich in der Praxis bewährt haben und deren Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen ist. Folie 18 Psychotherapeutische Wirkfaktoren Bewältigungsaspekt Verhaltenstherapie • direkte und konkrete Anleitung, Unterstützung des Patienten (z.B. soziales Kompetenztraining, Stressmanagement) • Identifizieren und Bearbeiten ungünstiger Bewertungsmuster (z.B. kognitives Umstrukturieren) Psychodynamische PT • fördern psychischer Kompetenzen (Selbstreflexion, emotionale Selbst- und Fremdwahrnehmung, Impulssteuerung, etc.) durch Spiegelung, Aufdecken von Mustern, Fokussieren auf emotionales Erleben • Aufheben von psychischen Barrieren Ein zweites verhaltenstherapeutisches Element ist das kognitive Umstrukturieren, das z.B. bei der Behandlung von Depressionen eine große Rolle spielt (Folie 19). Wie in der Vorlesung zur Depression dargestellt wurde, lassen sich bei depressiven Patienten häufig typische „Denkfehler“ feststellen, die vom Patienten zunächst unbemerkt, „automatisch“ ablaufen und zu der für die Depression umfassend negativen Selbst- und Weltsicht beitragen. Folie 19 Bewältigungsaspekt kognitives Umstrukturieren • Identifizieren automatischer Gedanken (z.B. depressive Denkfehler) • Genaues Protokollieren: – – – – – Auslösender Reiz, Situation Gefühle, Empfindungen Automatische Gedanken Alternative, angemessene Gedanken Erneutes Gefühlsurteil • Technik: „sokratischer Dialog“ (= konsequentes Hinterfragen von Realitätsgehalt, Folgerichtigkeit, Logik, Bewertungsmustern, etc.) Margraf, Schneider 2009 © Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de 10 / 14 Ziel des kognitiven Umstrukturierens ist es, diese Denkfehler zunächst zu identifizieren und dem Patienten damit überhaupt erst bewusst zu machen. Dies kann z.B. durch Führen von Tagebüchern bzw. Protokollen geschehen, in denen der Patient die jeweils auslösende Situation, seine dabei empfundenen Gefühle und die begleitenden Gedanken vermerkt. In der Therapie werden dann alternative Bewertungen erarbeitet, die dem Patienten dann auch ein anderes emotionales Erleben ermöglichen. Die dabei vom Therapeuten eingesetzte Technik ist der sogenannte „sokratische Dialog“ also das konsequente Hinterfragen der Grundannahmen des Patienten. Je nach Inhalt kann es dabei um deren Realitätsgehalt gehen (also inwieweit die Annahmen des Patienten wirklich angemessen sind) oder um deren Logik und Folgerichtigkeit. Auch hier gilt, dass erst durch ein hartnäckiges und langfristiges Bearbeiten solcher Bewertungsmuster eine Veränderung zu erwarten ist. Ein weiteres Beispiel für den Bewältigungsaspekt, der auch in der Psychodynamischen Psychotherapie eine große Rolle spielt, ist die Differenzierung der emotionalen Wahrnehmung. Wie in der einführenden Vorlesung zum Thema Emotionen dargestellt wurde, lernen wir insbesondere während der ersten Lebensjahre im Austausch mit den primären Bezugspersonen, unser emotionales Erleben zunehmend differenziert wahrzunehmen und zu regulieren. Diese differenzierte Wahrnehmung und Regulation von Emotionen ist bei Patienten mit psychischen Störungen häufig nicht besonders gut ausgeprägt, so dass es eine wichtige Aufgabe der meisten psychotherapeutischen Behandlungen ist, hier eine Verbesserung zu erreichen. Dazu gehört, wie auf Folie 20 an einem stark vereinfachten Beispiel dargestellt ist, die Patienten konsequent anzuleiten und sie dabei zu unterstützen, ihr emotionales Erleben möglichst präzise und differenziert zu schildern. Aus einem unguten, „miserablen“ Gefühl wird dann z.B. Resignation oder Traurigkeit, was es viel leichter macht, die darunter verborgenen Grundannahmen oder Muster zu erkennen als das bei undifferenzierten Emotionen der Fall wäre. Folie 20 Bewältigungsaspekt emotionale Wahrnehmung fördern T: Wie haben Sie sich in dieser Situation gefühlt? P: Wie soll ich mich gefühlt haben? Irgendwie miserabel. T: Können Sie mir das genauer schildern? Ich kann mir das noch nicht wirklich vorstellen. Waren Sie wütend oder ärgerlich oder war es noch ein anderes Gefühl? P: Wut habe ich keine gespürt. T: Versuchen Sie, es möglichst genau zu beschreiben. Sie waren eher traurig? Oder resigniert? P: Am ehesten resigniert. T: Erzählen Sie mir, wie es dann weiterging, wie Sie sich dann gefühlt haben. Bsp. aus Wöller, Kruse 2005 Der fünfte psychotherapeutische Wirkfaktor ist schließlich die motivationale Klärung, d.h. eine Erklärung dafür zu finden, warum der Patient eine bestimmte psychische Störung entwickelt hat bzw. sich in einer bestimmten Weise verhält (Folie 21). Hier werden Fragen der Ätiologie (also der Verursachung), noch mehr aber der Pathogenese (also der die Krankheit bzw. Störung bedingenden pathologischen Mechanismen) von psychischen Störungen berührt. Eine Gemeinsamkeit von Verhaltenstherapie und Psychodynamischer Psychotherapie besteht hier darin, dass in beiden Konzepten davon ausgegangen wird, dass die in der Störung zum Ausdruck kommenden Erlebens- und Verhaltensmuster lebensgeschichtlich geprägt sind. Unterschiede bestehen allerdings darin, wie diese lebensgeschichtliche Entstehung im Detail verstanden wird. Die Verhaltenstherapie spricht in diesem Zusammenhang von der „Lerngeschichte“. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass es vor allem Lernprozesse (insbesondere Konditionierungsphänomene) sind, die für die dysfunktionalen Muster verantwortlich gemacht werden. Entsprechend werden während einer Verhaltenstherapie umfangreiche und sehr detaillierte Verhaltensanalysen erstellt, in denen die störungsspezifischen kognitiven, emotionalen und physiologischen Reaktionen genau beschrieben werden und insbesondere im Hinblick auf Belohnungs- bzw. Bestrafungsmechanismen (im Sinne der operanten Konditionierung) analysiert werden. © Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de 11 / 14 Folie 21 Psychotherapeutische Wirkfaktoren motivationale Klärung Verhaltenstherapie Psychodynamische PT • Verhaltensanalyse: auslösende Situationen, begleitende Kognitionen und Emotionen • Lerngeschichte des Patienten • Einsicht in die eigene innere Situation (Wünsche, Bedürfnisse, Konflikte) und ihre lebensgeschichtliche Determinierung In der Psychodynamischen Psychotherapie dagegen stehen eher die inneren Wünsche und Bedürfnisse und die daraus im Lauf der Lebensgeschichte entstandenen Konflikte (insbesondere mit den primären Bezugspersonen) im Vordergrund. Zudem geht es in der Psychodynamischen Psychotherapie immer auch um die Frage nach der Beschaffenheit der psychischen „Struktur“ eines Patienten. Damit wird die Gesamtheit der während der ersten Lebensjahre zu erwerbenden psychischen Funktionen (z.B. emotionale Regulation, Beziehungsregulation) bezeichnet. Die umfangreichen theoretischen Annahmen, die sowohl in der Verhaltenstherapie als auch in der Psychodynamischen Psychotherapie hierbei gemacht werden, können hier nicht ausführlich dargestellt werden, Interessierte finden bei den Literaturhinweisen weiteres Material. Anhand von zwei Beispielen soll aber noch verdeutlicht werden, wie die motivationale Klärung vor sich gehen kann. Folie 22 verdeutlicht an einem kleinen Beispiel, dass es dabei zum Beispiel sehr wichtig ist, das Verhalten der Patienten nicht einfach nur als unangemessen oder dysfunktional zu verstehen, sondern auch daraufhin zu analysieren, in wieweit es für den Patienten auch mit positiven Konsequenzen verbunden ist. In diesem Beispiel einer Patientin, die sich immer wieder selbst durch Schneiden verletzt (was z.B. bei sogenannten Borderline-Persönlichkeitsstörungen häufig der Fall ist), zeigt sich, dass sie dadurch eine innere Entlastung erfährt. Das heißt, eine Motivation sich so zu verhalten liegt darin, dass es der Patienten eben auch gut tut, sich zu schneiden (so absurd das auf den ersten Blick erscheinen mag). Diese Erkenntnis ist für die Therapie insofern wichtig, als eine Veränderung hier erst dann zu erwarten ist, wenn die Patientin eine Alternative für ihr bisheriges Verhalten findet. Folie 22 Motivationale Klärung vom Guten des Schlechten T: Ich bin mir nicht so sicher, ob Sie Ihr Verhalten wirklich ändern wollen. P: Natürlich will ich das verändern, ich finde es schrecklich. T: Warum sollten Sie es ändern? Ich bin davon überzeugt, es bietet eine ganze Reihe von Vorteilen, sonst würden Sie es nicht immer wieder tun. P: Wenn ich mich schneide, geht es mir hinterher besser. T: Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt. P: Eigentlich will ich es erst aufgeben, wenn ich eine Alternative habe. Bsp. aus Wöller, Kruse 2005 Das zweite Beispiel auf Folie 23 verdeutlicht, wie die lebensgeschichtliche Determinierung von Überzeugungen erschlossen werden kann. Das negative Selbsturteil entpuppt sich bei genauerer Analyse als ein internalisiertes Urteil des Vaters. Während ein Kind sich gegen solche Urteile kaum zur Wehr setzen © Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de 12 / 14 kann, ist ein erwachsener Patient, einem solchen Urteil nicht mehr hilflos ausgesetzt, sondern er kann mithilfe einer durch den Therapeuten unterstützen Realitätsprüfung die Unangemessenheit eines solchen Pauschalurteils erkennen und es dann durch ein angemesseneres ersetzen. Folie 23 Motivationale Klärung lebensgeschichtlich geprägte Überzeugungen T: Wir haben zusammen festgestellt, dass es in Ihnen die Überzeugung gibt „Ich bin faul und egoistisch“. Und sie fühlen sich in diesem Zusammenhang schlecht und minderwertig. Wir haben auch gesehen, dass andere Ihr Verhalten ganz anders beurteilen würden, gar nicht als faul und egoistisch. Trotzdem ist die Überzeugung für Sie gefühlsmäßig gültig. P: Ja, so empfinde ich es. T: Es scheint, als gebe es eine innere Stimme, die zu Ihnen sagt: „Du bist faul und egoistisch.“ Können Sie sich vorstellen, woher diese Stimme kommt? P: Mein Vater hat sowas immer zu mir gesagt. T: Wie haben Sie sich dann gefühlt? Schlecht und minderwertig? P: Ja. T: Spüren Sie, dass diese Stimme des Vaters noch immer zu Ihnen spricht? Genauso, wie der Vater sie verurteilt hat, so verurteilen Sie sich noch immer selbst. Bsp. aus Wöller, Kruse 2005 Insgesamt zeigt sich, dass die allgemeinen Wirkfaktoren von Psychotherapie in den verschiedenen Verfahren teilweise sehr unterschiedlich umgesetzt werden. Vor diesem Hintergrund erscheint die Vermutung plausibel, dass verschiedene Patienten je nach Art ihres Problems oder ihrer Störung auch in unterschiedlichem Maß von den Verfahren profitieren. Folie 24 Take-home-message • ein Großteil der Wirkung von Psychotherapie kann durch allgemeine Faktoren erklärt werden • verschiedene Verfahren in der Psychotherapie ermöglichen eine auf den individuellen Bedarf und die Persönlichkeit des Patienten abgestimmte Therapie Literaturhinweise: • Caspar F (32007): Beziehungen und Probleme verstehen: Eine Einführung in die Praxis der psychotherapeutischen Plananalyse. Bern (Huber). • Caspar F, Grossmann C, Unmüssig C, Schramm E (2005): Complementary therapeutic relationship: Therapist behavior, interpersonal patterns, and therapeutic effect. 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