Universität St.Gallen - IFF Institut für Finanzwissenschaft und Finanzrecht Varnbüelstrasse 19, CH-9000 St.Gallen, www.iff.unisg.ch St. Galler Seminar zur Mehrwertsteuer 2017 St. Gallen, 14./15. Februar 2017 Seminar: E-Commerce und Zahlungsabwicklung Neue Produkte / Versandhandel Bezahlsysteme, Zentralregulierung Fallbeispiele Ausgearbeitet von Niklaus Honauer Dr. iur. HSG, Rechtsanwalt Partner Indirect Tax Services, PricewaterhouseCoopers AG, Zürich Mathias Bopp Dr. iur., dipl. Steuerexperte Partner, Leiter Indirect Tax, KPMG AG Zürich Seite 2 FALLBEISPIELE A. VERSANDHANDEL 1. Webshop Die Wholesale&Retail GmbH betreibt einen Webshop. Die Waren werden aus Zeitgründen im Lager eines Logistikanbieters in Holland zur Auslieferung bereitgestellt. Sobald die W&R GmbH die Zahlung der Kunden erhalten hat (Kreditkarte, Vorauskasse oder paypal) werden die Waren an die Kunden in verschiedenen EU-Ländern, Norwegen und der Schweiz versandt. Sowohl Steuerpflichtige wie auch Private können bei der W&R GmbH über den Webshop einkaufen. Fragen 1. In welchem Land muss die W&R GmbH für ihre Verkäufe MWST bezahlen, wenn es sich um Waren unter €22 bzw CHF 62.50 handelt (steueroptimierte Variante)? 2. In welchem Land muss die W&R GmbH für ihre Verkäufe MWST Zahlen, solange sie in diesem Land weniger als € 25’000 Umsatz macht (Variante: mehr als € 100’000) 3. Wie verändert sich die Rechtslage ab 2021 unter dem „Mehrwertsteuer-Paket für den digitalen Binnenmarkt“ der Europäischen Kommission (http://ec.europa.eu/taxation_customs/business/vat/digital-single-market-modernising-vat-cross-borderecommerce_de)? Seite 3 2. Die Vermittlung im Online-Shopping Der Onlineshop „Alles für Sie“ bietet für jede erfolgreiche Vermittlung eines neuen Kunden eine Vermittlungsprämie. Das Konzept funktioniert wie folgt: Bestehende Online-Kunden können den Onlineshop an ihre Freunde und Bekannten weiterempfehlen. Diese erhalten für ihren Erst-Einkauf einen Rabatt von CHF 10. Hat der NeuKunde den Rabatt eingelöst, so erhält der bestehende Kunde einen Rabatt von CHF 20 auf seinem nächsten Einkauf. Fragen 1. Wie sind die beiden Rabatte aus Sicht der MWST zu behandeln? 2. Beurteilen Sie die Situation anders, wenn sie als Kunde im MWST-Register eingetragen sind? 3. Wie ist ein Rabatt zu behandeln, den Sie erhalten, wenn Sie eine Umfrage ausfüllen? Seite 4 B. NEUE PRODUKTE 3. Penny Auctions (Cent-Auktionen) Schweizer Kunden erwerben entgeltlich das Recht von Welmory CY, auf der AuktionsWebsite bids für Waren abzugeben. Welmory CY lässt diese Auktions-Website entgeltlich von Welmory PL betreiben. Welmory PL verkauft Waren an Kunden. Fragen 1. Objektive und Subjektive Steuerpflicht von (1) Variante: Sitz von Welmory CY ist in der Schweiz Variante: Wohnsitz des Kunden ist in Polen / in Russland / usw. 2. Objektive und Subjektive Steuerpflicht von (2) Variante: Die Ware wird in einem anderen EU-Land übergeben Seite 5 4. Klassische Leistungen im digitalen Zeitalter 4.1 Partnervermittlung Die „meet & kiss“ Corp. mit Sitz in Florida, bietet über verschiedene Internetplattformen die Möglichkeit, anhand unterschiedlicher Kriterien den passenden Partner zu finden. Die Gesellschaft stellt sich auf den Standpunkt, dass die Partnervermittlung unter Art. 8 Abs. 2 lit. a MWSTG fällt. Teilen Sie diese Auslegung? 4.2 eLearning PwC bietet ein eLearning zu den Grundprinzipien der MWST an. Der Kurs wird für CHF 150 (inkl. 8% MWST) angeboten. Der Kurs kann auch aus dem Ausland gebucht werden. Fragen 1. Könnte das eLearning auch ohne Hinweis auf die MWST angeboten werden? 2. Welches sind die MWST-Konsequenzen, wenn der Kurs von a) einer Privatperson mit Sitz im Ausland b) von einem Unternehmen mit Sitz im Ausland gebucht wird? Seite 6 5. 3D-Drucker Der Drucker-Hersteller verkauft den 3D-Drucker dem Kunden (physische Warenlieferung). Der Kunde kauft Rohstoffe; lässt sie durch den 3D-Drucker zu Produkten verarbeiten; Der 3D-Drucker greift auf Software des Produzenten (Arbeitsschritte) zu; der Kunde schuldet dem Produzenten dafür ein Entgelt. Fragen Handelt es sich beim Zugriff auf die Software des Produzenten zur Herstellung des 3DDruckes um eine Lieferung, eine elektronische Dienstleistung oder eine andere Dienstleistung? Variante: Der Produzent stellt den Drucker selber her (inkl. Rezeptur) und verkauft (Untervariante: verleast) den Drucker dem Kunden. Das Entgelt wird monatlich in Abhängigkeit der gedruckten Menge festgelegt. 6. Der Wert meiner Daten Die Nutzung von elektronischen Dienstleistungen führt zu folgenden Sachverhalten: • Der Nutzer von Suchmaschinen gibt seine Daten ein • Der Nutzer von Navigationssdiensten erlaubt die Standortbestimmung • Der Besteller von Waren und Dienstleistungen gibt sein Konsumverhalten preis • Das Mitglied eines Netzwerkes gibt seine persönlich(st)en Informationen preis? Fragen: 1. Welches sind die MWST-Konsequenzen für den Nutzer? 2. Besteht ein Unterschied zwischen privaten und kommerziellen Nutzern? 3. Was hat der Anbieter der elektronischen Dienstleistungen zu versteuern 4. Wie wird der Wert der Daten bestimmt? Seite 7 C. ZAHLUNGSABWICKLUNGEN 7. Die Ausrufung des Staates A Der Verwaltungsratspräsident und Hauptaktionär einer international tätigen Industriegruppe hat einen eigenen Staat ausgerufen. Die steuerpflichtige Holdinggesellschaft hat Silbermünzen mit dem Portrait des Verwaltungsratspräsidenten geprägt. Die Silbermünzen stehen im Zusammenhang mit der vom VRP vertretenen Vorstellung einer neuen und freieren Gesellschaft. Fragen: 1. Kann die Holding auf dem Kauf des Silbers und auf den Prägungskosten den Vorsteuerabzug geltend machen? a) sofern die Kosten vor 2010 angefallen sind? b) sofern die Kosten nach 2010 angefallen sind? 2. Wie ist die Situation zu beurteilen, wenn die Holding die Silbermünzen an eine neu gegründete Stiftung verkauft werden, die die Idee des VRP umsetzt? 3. Kann dann die Stiftung den Vorsteuerabzug geltend machen? 4. Welches sind die MWST-Konsequenzen, wenn die Silbermünzen als Zahlungsmittel eingesetzt werden? 5. Alternativ kann im Staate A auch mit Bitcoins bezahlt werden Seite 8 8. Forderungsabtretung Die Leasing AG tritt ihre Forderungen im Betrag von CHF 1‘100‘000 aus Leasingverträgen (Laufzeit 24 – 48 Monate) mit Privatpersonen und Geschäftskunden an die Bank ab, die für die Forderungen einen Betrag von CHF 1‘000‘000 erhält. Fragen Welches sind die MWST-Folgen für alle Beteiligten: 1. Einzelne Leasingnehmer bezahlen die Raten nicht mehr 2. Bei einzelnen Leasingnehmern kann auf dem Weg der Betreibung oder des Konkursverfahrens eine Zahlung von 50% der Raten erreicht werden 3. Einzelne Leasingverträge werden vor Ablauf der festen Laufzeit durch neue Verträge ersetzt 4. Auf 1.1.2018 kommt es zu einer Anpassung der MWST-Sätze Seite 9 9. Zentralregulierung Die international tätige Zentralregulierungs AG tritt sowohl mit dem Lieferanten als auch mit dem Handelshaus in ein Vertragsverhältnis. Gegenstand der Zentralregulierung ist im Wesentlichen, dass die Z AG die Guthaben, die dem Lieferanten gegenüber dem Handelshaus zustehen, bei diesem einzieht und an den Lieferanten weiterleitet. Sowohl der Lieferant als auch das Handelshaus schulden der Z AG eine Zentralregulierungsgebühr. Zusätzlich bietet die Z AG Unterstützung bei der Absicherung der Forderungen der Lieferanten. Die Absicherung erfolgt dann durch eine der Z AG nicht nahestehende Drittunternehmung. Für diese Vermittlung schuldet der Lieferant eine Bürgschaftsvermittlungsgebühr. Fragen 1. Wie ist die Zentralregulierungsgebühr zu qualifizieren? 2. Wie ist die Bürgschaftsvermittlungsgebühr zu qualifizieren? 3. Würde die Antwort zu Frage 1 und 2 anders ausfallen, wenn sich der Sachverhalt schon vor 2010 realisiert hätte?