Soziale Arbeit und Pflege im Spital – Ergänzung oder Konkurrenz? Sozial-, Fach und Berufspolitik auf dem Prüfstand 29./30. Mai 2008 Schweizerischer Fachverband Sozialdienst in Spitälern SFSS Sozialpolitisches Engagement von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern – eine Einführung in Begriffe und erste Erkenntnisse Katrin Burri dipl. Sozialarbeiterin FH Katrin Burri Sozialpolitisches Engagement von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern Sozialpolitisches Engagement von Sozialarbeiterinnen und Sozialabeitern – eine Einführung in Begriffe und erste Erkenntnisse Viele Gründe sprechen dafür, dass sozialarbeiterisches Fachwissen von grosser Relevanz für sozialpolitische Diskussionen ist und dass die politische Beteiligung der Sozialen Arbeit in der Form von sozialpolitischem Engagement von Bedeutung wäre: - In der heutigen Zeit können soziale Probleme nicht mehr nur individuell und klientenzentriert gelöst werden, da sie oftmals strukturelle Ursachen haben. Um auf struktureller oder gesellschaftlicher Ebene Veränderungen zu bewirken, muss die Soziale Arbeit als Profession ihr Mitspracherecht in der Sozialpolitik geltend machen. - Die Professionellen der Sozialen Arbeit nehmen durch ihr theoretisches und praktisches Fachwissen in sozialen Fragen eine Expertenrolle ein. - Die Soziale Arbeit als Profession ist selbst stark durch gesetzliche Rahmenbedingungen definiert und von politischen Entscheiden abhängig. Das politische System bildet immer den Rahmen und den Kontext für die Praxis. Die Soziale Arbeit kann sich deshalb nicht aus der Entscheidungsebene heraushalten. - Die Menschenrechte sprechen jedem Individuum Anrecht auf ein menschenwürdiges Leben zu. Es reicht jedoch nicht aus, durch materielle Hilfeleistungen die Leiden einzelner zu lindern, ohne deren Ursachen zu bekämpfen. Gesamtgesellschaftliche Probleme müssen auf politischer Ebene thematisiert und beseitigt werden. - Die politische Beteiligung der Sozialen Arbeit ist im Berufskodex verankert und darauf stützen sich zahlreiche Leitbilder und Handlungskonzepte von sozialen Institutionen. Aufgrund dessen sind unterstützende Strukturen, welche sozialpolitisches Engagement zum Thema machen und fördern, wünschenswert, sowohl während der Ausbildung an den Fachhochschulen und Universitäten als auch in der beruflichen Praxis im vorgegebenen Rahmen der Institutionen. Begriffe und Definitionen - Was ist politisches Engagement? In der Auseinandersetzung mit der Thematik ist es nötig, die Begriffe, mit denen gearbeitet wird, zu definieren. Unter dem Begriff politisches Engagement lässt sich alles Mögliche verstehen. Wer ist tatsächlich politisch engagiert oder aktiv: Wer zur Urne geht, wer Leserbriefe schreibt, wer passives oder aktives Mitglied einer politischen Partei ist? Wo liegt die Grenze zwischen aktiv und passiv? 2 Katrin Burri Sozialpolitisches Engagement von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern „Engagement“ bedeutet: Weltanschauliche Verbundenheit mit etwas, innere Bindung an etwas, ein Gefühl des inneren Verpflichtetseins zu etwas, verbunden mit persönlichem Einsatz. Wer sich engagiert, setzt sich also für etwas ein, was sie oder er als wichtig erachtet. Es gibt eigennütziges Engagement, das persönlichen Zwecken dient. Daneben existiert das gemeinnützige Engagement, welches der Allgemeinheit von Nutzen sein soll. Da es in der Politik um gesamtgesellschaftliche Entscheidungsfindungen geht, die letztlich jedes Mitglied unserer Gesellschaft treffen, ist politisches Engagement unter gemeinnützigem Engagement einzuordnen. In der Literatur findet sich dazu folgende Definition: Politisch ist das Engagement, wenn es im Wesentlichen darauf ausgerichtet ist, bei der Gestaltung der Politik – somit bei der Schaffung der Rahmenbedingungen für die Lebensgestaltung der Menschen – oder einzelner öffentlicher Bereiche mitzuwirken. Im Zentrum des politischen Handelns steht also das Schaffen von Rahmenbedingungen, welche das Zusammenleben verschiedener Gruppen in unserer Gesellschaft prägen. Selbstverständlich ist der Inhalt der politischen Aktivität stark durch die gesellschaftliche Sichtweise, die Werthaltung und die individuelle Situation der politisch aktiven Person geprägt. Politisches Engagement: - hat zum Ziel, Einfluss zu nehmen auf die Rahmenbedingungen des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft. - geschieht durch Mitwirkung bei Entscheidungen auf inhaltlicher und prozessualer Ebene. - ist geprägt durch die individuelle Weltanschauung und das Menschenbild der engagierten Person bzw. der politisch aktiven Gruppe. In der Realität kann politisches Engagement eine Fülle verschiedener Formen annehmen. Von der Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen über das Schreiben von Leserbriefen, die Mitgliedschaft in einer Partei oder einem politisch orientierten Verband, die aktive Teilnahme an Podiumsdiskussionen bis hin zum Bekleiden eines politischen Amtes gibt es eine viele Varianten, sich für seine politischen Interessen stark zu machen. Unterscheidung von sozialpolitischem, berufspolitischem Engagement fachpolitischem und Politisches Engagement wird in der Folge unterteilt in die drei Kategorien des sozialpolitischen Engagements, des fachpolitischen Engagements und des berufspolitischen Engagements. Engagement resp. politisches Engagement ist ein Teil des menschlichen Verhaltens. Menschliches Verhalten wird von 3 Katrin Burri Sozialpolitisches Engagement von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern Wechselwirkungen zwischen kognitiven Fähigkeiten, Emotionen und Motivation gesteuert. Wenn sich eine Person politisch engagiert, so tut sie dies aufgrund von Wissen, Denkprozessen, Gefühlen, Trieben und Bedürfnissen. Es sind somit einerseits Triebe und Gefühle, die den Mensch zum Handeln verleiten und andererseits Wissen und Information. Beide Teile gehören zum Engagement. Möglichst optimale Rahmenbedingungen für alle Teile unserer Gesellschaft können dann gestaltet werden, wenn das politische Engagement nicht nur von Interessen und Emotionen, sondern auch durch Wissen beeinflusst wird. Individuelle Triebe und Gefühle sollen dabei möglichst im Hintergrund bleiben, ihr Einfluss kann aber nicht geleugnet werden. Eine Sozialarbeiterin kann sich allgemein politisch engagieren, indem sie beispielsweise an Abstimmungen und Wahlen teilnimmt, sie kann sich aber auch spezifisch im Bereich der Sozialpolitik betätigen. Sie kann dies besonders gut, weil sie über ein spezielles, berufliches Interesse an sozialen Fragen verfügt sowie über ein spezifisches Wissen, welches die Beteiligung an sozialpolitischen Diskussionen ermöglicht. Sie kann sich in diesem Bereich kompetent fühlen, weil die Sozialpolitik sich mit ihrem beruflichen und somit ihrem Fachwissen überschneidet. In diesem Fall wird das politische Engagement, weil es speziell den Bereich des Sozialen betrifft, zum sozialpolitischen Engagement. Sozialpolitik zielt auf die Gewährleistung von sozialer Sicherheit ab, sie strebt die Behebung resp. Milderung von sozialen Missständen an. Es geht um die Bewältigung von sozialen Konflikten und darum, die allgemein gültigen Grundwerte von Solidarität und Gleichwertigkeit der Menschen zu verwirklichen. Unter dem Einbezug von Fachwissen wird das politische Engagement zum fachpolitischen Engagement. Fachwissen ist beispielsweise das Wissen, welches sich Professionelle der Sozialen Arbeit in der Ausbildung, in Weiterbildungen oder im beruflichen Kontext erarbeitet haben. Es betrifft spezifisch das Fachgebiet des Sozialen oder der Sozialen Arbeit und unterscheidet sich durch seine Fundiertheit vom Alltagswissen. Das Verfügen über Fachwissen unterscheidet ebenfalls den Laien von der Fachperson. Diese Darstellung ist grob vereinfacht, normal ist eine Mischform sowohl Fachwissen als auch Alltagswissen, die beide automatisch in politisches Engagement miteinbezogen werden. Die klare Unterscheidung ermöglicht aber, aufzuzeigen, was allgemeines Engagement zu spezifisch fachlichem Engagement macht. Unter fachpolitischem Engagement wird also eine Aktivität verstanden, im Rahmen derer sich der agierende Mensch als Fachperson zu einem bestimmten Bereich, beispielsweise zu sozialen Problemlagen äussert. In diesem Gebiet verfügt er über ein spezifisches Fachwissen und nimmt dadurch eine 4 Katrin Burri Sozialpolitisches Engagement von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern Expertenrolle ein. Fachpolitisches Engagement bedeutet somit, als Fachperson zu agieren und Fachwissen bei zu ziehen. Im Falle von Sozialarbeiterinnen, die in ihrem Berufsfeld theoretisches und praktisches Wissen gesammelt haben, kann das sozialpolitische Engagement gleichermassen als fachpolitisch bezeichnet werden. Es betrifft spezifisch den Fachbereich des Sozialen. Andere Formen von Fachpolitik sind beispielsweise die Umweltpolitik oder die Finanzpolitik, auch sie basieren auf Fachwissen im entsprechenden Bereich. Eine weitere Kategorie ist das berufspolitische Engagement. Es dreht sich inhaltlich um Fragen und Anliegen, die eine bestimmte Profession betreffen. Ziel und Zweck ist es, sich für den eigenen Berufsstand einzusetzen. Berufspolitische Aktivitäten umfassen einerseits Themen, welche die Profession direkt tangieren wie Bestrebungen, die Arbeitsbedingungen für Sozialarbeiterinnen zu verbessern. Andererseits kann berufspolitisches Engagement ebenso darin bestehen, im Sinne von Öffentlichkeitsarbeit eine Profession nach Aussen zu vertreten und für das Ansehen in der Gesellschaft und der öffentlichen politischen Diskussion zu sorgen. Die Arbeit sämtlicher Berufsverbände oder Gewerkschaften ist stark berufspolitisch gefärbt. Entstehung von politischem Engagement Nachdem definiert ist, worin politisches Engagement besteht, stellt sich als nächstes die Frage, wie es entsteht. Welches sind die Motive und Beweggründe, die eine Person zu politischem Handeln bewegen? Studien zeigen, dass folgende Beweggründe für Politisches Engagement eine Rolle spielen: - Ungezwungenheit, Möglichkeit eines jederzeitigen Ausstiegs, Unverbindlichkeit: Viele Menschen wollen sich nicht für ein dauerhaftes Engagement verpflichten. Freiheit in Bezug auf Dauer und Intensität des Engagements fördert die Bereitschaft, sich aktiv zu beteiligen. - Attraktivität: Sich für etwas politisch zu engagieren ist dann attraktiv, wenn im Vergleich zum Aufwand genügend profitiert werden kann. Informationen müssen in kurzer Zeit erfassbar und zu verarbeiten sein, Aufwand und Gewinn müssen in einem attraktiven Verhältnis zueinander stehen. Vorteile des Engagements, z. B. der Wissenserwerb oder das Knüpfen von beruflichen oder privaten Beziehungen, sollen betont werden. - Zeit: In engem Zusammenhang mit der Attraktivität steht der Faktor Zeit. Wer politisch aktiv sein kann, ohne an Lebensqualität – und als Teil davon Freizeit – einzubüssen, wird sich eher engagieren. - Beteiligung, Erlebnisorientierung und Betroffenheit: Durch Berührungspunkte wie Treffen mit Politikerinnen, 5 Katrin Burri Sozialpolitisches Engagement von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern Diskussionsrunden, Mitarbeit in Projekten etc. können Vorurteile abgebaut und Interesse geweckt werden. In der politischen Bildungsarbeit wird ein kognitiver Lernprozess dann stattfinden, wenn mit erlebnisorientierten bzw. betroffenheitspädagogischen Ansätzen gearbeitet wird und ein Ich-Bezug zum Thema hergestellt werden kann. Wer von einem politischen Thema betroffen ist und die Möglichkeit hat, eine Veränderung herbeizuführen, wird eher motiviert sein, sich später wieder einmal zu engagieren. - Betreuung und Selbstorganisation: Eine gute Betreuung ist wichtig, ebenso klare Strukturen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Nicht zu vernachlässigen ist dabei jedoch ein gewisser Grad an Selbstorganisation und Mitbestimmungsmöglichkeit, damit das Engagement spürbar von den Interessen und Fähigkeiten der Beteiligten geprägt ist. - Adressatenorientierung: Zeitlich, örtlich und finanziell muss sich politische Bildungsarbeit an den Bedürfnissen und Möglichkeiten der am Engagement beteiligten Menschen orientieren. Wird darauf aus ideologischen oder wirtschaftlichen Gründen keine Rücksicht genommen, so wird die Bildungsarbeit das Zielpublikum nicht erreichen. - Überparteilichkeit: Will man Leute zu politischem Engagement bewegen, so soll es nicht darum gehen, Personen zur Vertretung der eigenen Interessen zu instrumentalisieren. Der Sinn von politischer Bildungsund Kommunikationsarbeit besteht vielmehr darin, dass jemand dazu befähigt wird, sich eine Meinung zu bilden und diese dann aktiv gegen Aussen d. h. in der Gesellschaft, zu vertreten. Es gibt einerseits Motive, die stark mit der engagierten Person selbst zu tun haben wie Spass und Interesse an der Sache. Dies sind innere oder persönliche Faktoren. Dazu kommen andererseits äussere Faktoren und Bedingungen. Die Möglichkeit eines jederzeitigen Ausstieges hängt stark von den Strukturen und Rahmenbedingungen ab, in denen das Engagement stattfindet. Als Gegenstück zu den förderlichen existieren diverse hinderliche oder so genannte negative Kriterien. Dazu einige Beispiele aus dem Bereich der äusseren Faktoren: Fehlende Betreuung und Unterstützung, falsche oder fehlende Strukturen, unklare Verantwortung, fehlende Transparenz, fehlende Information, fehlende Möglichkeiten zur Beteiligung etc. Auch im Bereich der negativen Kriterien gibt es persönliche Faktoren, die sich hinderlich auswirken wie z.B. fehlendes Selbstvertrauen. In der Untersuchung, die nachfolgend kurz beschrieben wird, liegt der Fokus auf den externen Faktoren, da diese von Aussen einfacher beeinflussbar und veränderbar sind. 6 Katrin Burri Sozialpolitisches Engagement von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern Einflussmöglichkeiten von Institutionen auf sozialpolitisches Engagement – eine Untersuchung Wenn tatsächlich positive und negative Einflussfaktoren auf politisches Engagement genannt werden können, so liegt die Vermutung nahe, dass durch Verstärkung der positiven Einflussfaktoren sowie durch Schwächung oder Eliminierung der negativen Einflussfaktoren die Institutionen, also Arbeitgeber, Berufsverbände und Ausbildungsstätten, das sozialpolitische Engagement von Sozialarbeitenden fördern können. Fünf Fachpersonen wurden in Expertinneninterviews dazu befragt, wo sie in ihrem professionellen Umfeld Möglichkeiten sehen, sozialpolitisches Engagement von Sozialarbeitenden zu beeinflussen, inwiefern sie diese Möglichkeiten wahrnehmen resp. wie die Einflussmöglichkeiten vermehrt genutzt werden könnten. Die interviewten Personen waren: - Die Leiterin eines städtischen Sozialdienstes, - der Leiter eines überregionalen Angebotes im Suchtbereich, - die Leiterin des Fachbereiches Soziale Arbeit der Berner Fachhochschule, - die Co-Präsidentin und die Geschäftsleiterin des AvenirSocial, - eine Nationalrätin und gelernte Sozialarbeiterin . Aus den Interviews hat sich herausgestellt, dass - auf institutioneller Ebene zahlreiche Möglichkeiten bestehen, auf das sozialpolitische Engagement von Sozialarbeiterinnen Einfluss zu nehmen; - diese Einflussmöglichkeiten von Leitungspersonen in verschiedenen Institutionen unterschiedlich genutzt werden; - mit zunehmender Professionalisierung der Sozialen Arbeit eine überparteiliche Haltung der Institutionen zu politischen Fragen massgebend ist; - das Bewusstsein, wie sozialpolitisches Engagement der Berufsleute gefördert werden kann, auf Seiten der Institutionen eher gering ist; - unterschiedliche Ansichten darüber bestehen, ob sozialpolitisches Engagement im Rahmen der beruflichen Rolle oder als Privatperson ausgeübt werden soll. Daraus lässt sich schliessen, dass die Profession der Sozialen Arbeit, wenn sie mit ihrem theoretischen und praktischen Wissen in der sozialpolitischen Diskussion präsent sein will, politische Bildungsarbeit an Ausbildungsstätten für Soziale Arbeit, in sozialen Institutionen und in den verschiedenen Berufsverbänden vermehrt thematisieren und verankern muss. 7 Katrin Burri Sozialpolitisches Engagement von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern Literatur Burri, K. & Wandeler, D. (2005). Sozialpolitisches Engagement von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern. Einflussmöglichkeiten auf institutioneller Ebene. Diplomarbeit, Hochschule für Sozialarbeit HSA Bern. Bern: HSA. Merten, R. (Hrsg.). 2001. Hat Soziale Arbeit ein politisches Mandat? Positionen zu einem strittigen Thema. Opladen: Leske+Budrich. Rudolf, K. & Zeller, M. (2001). Wie entsteht politisches Engagement? – Das Nidderau-Projekt – eine empirische Wirkungsstudie zur politischen Bildung. Schwalbach: Wochenschau Verlag. 8